Verzerrte Effektdarstellungen - Grundlagen Klaus Lieb - Universitätsmedizin Mainz
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Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Verzerrte Effektdarstellungen Grundlagen Klaus Lieb Universitätsmedizin Mainz Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Folien verfügbar auf: www.unimedizin-mainz.de/psychiatrie/klinische- partner/veranstaltungen 2
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Erklärung von Interessenkonflikten K. Lieb Seit 2007 keinerlei persönliche Annahme von Geldern oder anderen Zuwendungen der Industrie Wissenschaftliche Kooperation mit der Industrie in der Durchführung klinischer Studien im Studienzentrum unserer Klinik. 2010 – 2016: Kendle Inc., Essex, Norgine, Lilly, Pfizer, Boehringer Ingelheim, Hoffmann La Roche u.a. (DRM-Konten der Klinik) Verhaltenstherapeut, Schematherapie Leiter des Fachausschusses „Transparenz und Unabhängigkeit“ der Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft (AkdÄ); Gründungsmitglied von MEZIS e.V. 3
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Vielfältige Einflüsse auf die Arzt-Patient- Beziehung Krankenkassen Freie Praxis Arzt-Patient-Beziehung Hippokrat. Eid Industrie Berufsordnung* Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen, Gewinnerwartungen von KH, Ärzten etc. * §31: …sind verpflichtet, in allen … Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit… zu wahren 4
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Ca. 80% der deutschen Ärzte werden mindestens 1x/Woche von Vertretern besucht, ca. 17% jeden Tag Wie oft wurden Sie im vergangenen Jahr durchschnittlich von Vertretern der pharmazeutischen Industrie besucht? 2007 2011 46% Täglicher Besuch: 14% 12% Mindestens 1x/Woche: 19% 8% 84% 14% Lieb und Brandtönies – Deutsches Ärzteblatt 2010 Lieb und Scheurich – PLOS One (2014)
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Positives n Negatives n Informationen 65 Aufdringlichkeit 30 Fortbildungen 19 Beeinfussungsversuche/Verkaufsdruck 30 Muster 16 Zeitverlust 25 fachliche Kompetenz 15 mangelnde Objektivität 10 kurz gefasste Gespräche 12 mangelnde fachliche Kompetenz 9 Objektivität 8 kein Gefühl für Zeitmangel 6 persönliche Kontakte 8 zu häufges Kommen 6 Zurückhaltung 8 Redundanz 6 ofenes Gespräch 6 geschönte/falsche Statistiken 5 Informationsmaterial f. Patienten 6 „Schlechtmachen“ der Konkurrenz 3 Geschenke 5 Übertreibungen 2 Freundlichkeit 5 Belehrungsversuche 2 Datenbasis: n= 208 (300) Lieb und Brandtönies – Deutsches Ärzteblatt 2010 6
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Interessenkonflikte und verzerrte Informationen (“bias”) Interessenkonflikte (z.B. infolge des „Verkaufs“interesses des Vertreters oder durch enge Industriebeziehungen von Referenten) führen nicht immer zu „bias“, sie erhöhen aber graduell das Risiko dafür „Bias“ durch andere Ursachen kann ebenso schädlich sein: Ideologische Vertretung eines therapeutischen Ansatzes Begrenztes Fachwissen über ein Thema Methodische Mängel Fehler bei der Beurteilung von Sachverhalten Lo and Ott – JAMA 2013 7
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Beispiele für „bias“ durch enge Industrie- Beziehungen Wissenschaftler mit engen Industriebeziehungen betonen eher die Vorzüge als die Risiken des Antidiabetikums Rosiglitazone (Wang et al, 2010) Wissenschaftler mit engen Industriebeziehungen betonen die Vorzüge des Neuraminidase-Hemmers Tamiflu® (Dunn et al, 2014) 8
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Psychologische Wirkmechanismen von Interessenkonflikten Reziprozität Dankbarkeitseffekte Motivierte Evaluation Rationalisierungen Blinder Fleck („Bias blind spot“) 9
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Wie werden Therapie-Entscheidungen getroffen? Marketing based? Eminence based? Unabhängig und Evidence based? 10
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) als Goldstandard „Controlled…“: Faire Vergleichsbedingung zum Nachweis, dass Effekte nach Ende der Intervention(en) auf unterschiedliche Behandlung zurückzuführen sind (im Gegensatz zu z.B. rein zeitlich bedingten Veränderungen) „Randomized…“: Gleichmäßige Verteilung verzerrender Einflussfaktoren, insbesondere unbekannter „doppelblind“…: Ausschluss subjektiver Bewertungen RCTs als Goldstandard zum Nachweise, dass Effekte kausal auf die therapeutische Interventionen zurückzuführen sind 11
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Evidenzbasierte Entwicklung von (Psycho-)Therapien Phase I: Konzeptualisierung Phase II: Test in einer offenen, unkontrollierten Studie (Machbarkeit etc.) Phase III: Wirksamkeitsstudien – randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) Phase IV: Effektivitätsstudien unter Alltagsbedingungen, inklusive „dismantling studies“ 12
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Effizienz und Effektivität Studienpopulation Effizienz Effektivität Implementierung in Versorgung Patienteninteressen Kosten vs. Nutzen … Gesamtpopulation 13
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Statistischer Hintergrund p-Wert vs. Effektstärke p-Wert: Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines Unterschiedes zwischen zwei Interventionen an Hand des Signifikanzniveaus (p
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Effektstärken verstehen I SMD = Standardized Mean Difference = Behandlungseffekt = Vergleich der Effektivität der Intervention mit der Kontrollbedingung zum Behandlungsende Berechnung: Mittelwert in der Kontrollgruppe minus Mittelwert der Interventionsgruppe, geteilt durch die gepoolte Standardabweichung für das primäre Outcome-Maß. Nicht zu verwechseln mit den prä-post-Effektstärken! Sedgwick. BMJ –2015 15
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Effektstärken verstehen II Da ES unabhängig von der Skala des primären Outcomes sind, können mit ihnen Therapieeffekte in Studien, die unterschiedliche Skalen verwendet haben, verglichen werden. In Metaanalysen können ES von vielen Studien zusammengefasst und so die Aussagekraft erhöht werden Sedgwick. BMJ –2015 16
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Metaanalysen Kumulieren Evidenz aus vergleichbaren RCTs, so dass man echten Therapie- Effekten immer näher kommt Wichtig: Effekte sind abhängig von Qualität der Einzelstudien. Eine Metaanalyse mit eingeschlossenen schlechten Studien macht die Daten nicht besser Sedgwick. BMJ –2015 17
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Effektstärke von >= 0.5 als klinisch bedeutsamer Effekt Effektstärke (SMD, Cohen`s d): 0.2: klein 0.5: mittel 0.8: groß Aber auch kleinere ES als 0.5 können ggf relevant sein, wenn keine Alternativen existieren! Je kleiner das Konfidenz-Intervall der Effektstärke, um so sicherer ist die Schätzung der echten Effektstärke Wenn die Konfidenzintervalle die 0- Linie kreuzen, ist der Effekt nicht signifikant 18
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Risiko kleiner Fallzahlen Outcome Category Failure 20 treatment effect 10 Decreasing Relative Change in the 6 Odds Ratio 2 treatment effect 1 Increasing 0.6 0.2 10 20 40 100 200 400 1000 2000 4000 Total Number of Randomised Subjects Trikalinos et al. J Clin Epidmiol 2004 19
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Beispiele für Effektstärken verschiedener Therapieverfahren Huhn et al., JAMA Psychiatry 2014 20
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Effektstärken internistischer und psychiatrischer Medikamente Übersichtsarbeit mit 91 Metaanalysen über 48 internistische Medikamente gegen Placebo und 33 Metaanalysen über 16 Psychopharmaka gegen Placebo Ähnliche Verteilung der Effektstärken bei internistischen und psychiatrischen Medikamenten Mediane Effektstärke aller Medikamente SDM=0.40 Leucht et al., Br J Psychiatry, 2012 21
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Die Innovationskrise in der Psychopharmaka-Entwicklung und deren Folgen Die Pharmaindustrie bringt Schein-Innovationen („Schrittinnovationen“) auf den Markt Medikamente mit keinem oder wenig Zusatznutzen werden besonders intensiv beworben Ergebnisse von Studien und deren Publikation werden durch die pharmazeutische Industrie zu deren Nutzen beeinflusst 22
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Einfluss der Industrie auf Studien Forschungsprioritäten orientieren sich an Märkten Nichtpublizieren negativer und Mehrfachpublikationen positiver Studien (Bedeutung Studienregister) Rückhalten von Informationen über Nebenwirkungen (Bsp. Vioxx®, Zyprexa®, Seroquel®, Seroxat®) Unfaire Therapietests ; z.B. hochdosiertes Haloperidol als Vergleichssubstanz, um NW-Profil der getesteten Substanz besser aussehen zu lassen Verzerrte Werbung (Darstellung der Effekte, Information über Nebenwirkungen, Betonung biologischer Ursachen) Bewerbung von Off-label use (hohe Strafzahlungen in USA) Bekelman et al., 2003; Schott, Lieb et al., 2010a,b 23
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Selektive Publikation positiver Studien führt zu Überschätzung der Effekte Änderung der Effektstärken der Medikamente bei Einschluss auch der unpublizierten Studien um 32% (11-69%) Studienergebnis Turner et al., NEJM 2008 24
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Interessen-geleitete verzerrte Nutzen-/Risikokommunikation Effekte werden groß: Darstellung des relativen Nutzens/Risiken (in %) Nutzen von Medikamenten (Pharmaindustrie) Schaden von Impfungen/Medikamenten (Impfgegner, Gegner der Pharmaindustrie) Effekte werden klein: Darstellung des absoluten Nutzens/Risikos, um Effekte klein aussehen zu lassen (in absoluten Zahlen) Nebenwirkungen von Medikamenten (Pharmaindustrie) Nutzen von Medikamenten (kritische Aufklärung) 25
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Verzerrte Werbung Selincro® Relativer „Nutzen“ prä-post: Reduktion des Alkoholkonsum 67% Effektstärke: 0,2 (im Vgl zu Placebo trinken die Patienten nicht einmal ein Glas weniger Bier pro Tag als unter Placebo) 26
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Verzerrte Leitlinien Mechanismen, wie verzerrte Informationen in Leitlinien gelangen: Fachliche Mängel bei der Erstellung (z.B. Studiensuche, Bewertung der Evidenz) Verzerrte Studienlage (z.B. Publication Bias; häufiger positive Studienergebnisse bei Industrie-Finanzierung) Leitlinienautoren mit Interessenkonflikten (finanziell und nicht- finanziell) Mangelhaftes Management von Interessenkonflikten in Leitlinien- Gremien 27
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Unabhängige Informationsquellen Arzneitelegramm (www.arznei-telegramm.de; 55,80€/Jahr) Arzneimittelbrief (www.der-arzneimittelbrief.de; 58€/Jahr) Arzneiverordnungen in der Praxis; kostenfrei ( www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP) Für Patienten: Infoportal des IQWiG (www.gesundheitsinformation.de) Gute Pillen/Schlechte Pillen (www.gutepillen-schlechtepillen.de; 49€/Jahr) 28
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Unabhängige Fortbildungen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ( www.akdae.de) LIBERMED (www.libermed.de) Akademie für Ärztliche Fortbildung RLP (Psychiatrie und Psychotherapie) 29
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen LIBERMED – Termine 2018 30
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Fortbildungsakademie RLP in Mainz – Termine 2018 31
Psychiatrie und Psychotherapie - Grundlagen Take home Interessenkonflikte sind Risikokonstellationen für verzerrtes Urteilen und Handeln p-Werte sagen nichts über die Zuverlässigkeit und Relevanz von Studien aus Effektstärken (SMDs) aus Metaanalysen mit > 2000 Patienten bieten am ehesten zuverlässige Informationen Es gibt sichtbare (z.B. Werbung) und unsichtbare (z.B. Publikations-Bias, Allegiance) Ursachen für verzerrte Informationen Leitlinien sind anfällig für Verzerrungen infolge der Erstellung durch Interessengruppen (Fachgesellschaften) 32
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