Health Literacy in Oberösterreich
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Health Literacy in Oberösterreich Einflussfaktoren und korrespondierende Merkmale von Gesundheitskompetenz Joachim Gerich, Fritz Hemedinger, Robert Moosbrugger Institut für Soziologie, JKU Linz Health Literacy – Information und Kommunikation für mehr Gesundheitskompetenz Linz, 19. Mai 2015
Ergebnisse basieren auf einer Untersuchung des Instituts für Soziologie im Auftrag der Zukunftsakademie des Landes OÖ. und der Direktion Gesundheit und Soziales des Landes Oberösterreich. • Qualitative (kognitive) Interviews • postalische Befragung von 3000 OberösterreicherInnen ab 18 Jahren, auswertbarer Rücklauf: 800 Ausgangspunkt der Studie: Eine internationale Studie hat 2012 für Österreich eine - im Verhältnis zu anderen EU Staaten - geringe Gesundheitskompetenz (gemessen mittels Health Literacy Scorce - HLS) festgestellt. Ziele der Studie: Welche Erfahrungs- und Wahrnehmungshintergründe sind mit einem geringen/hohen Score verbunden? In welchem Zusammenhang steht HLS mit Gesundheit, Wohlbefinden und gesundheitsrelevanten Merkmalen? Lassen sich Risikogruppen identifizieren? Welche Handlungsnotwendigkeiten ergeben sich bei Personen mit geringem HLS? Ausgangslage: HLS Score und Ergebnisse der internationalen Studie (HLS-EU Consortium 2012) HLS Instrument misst "subjektive Health-Literacy" (47 Items bzw. 16 Items in Kurzversion): "Wie einfach oder schwierig ist es Ihrer Meinung nach…" (sehr einfach, ziemlich einfach, ziemlich schwierig, sehr schwierig) Beispiel Health-Care: "...Informationen über Therapien für Krankheiten, die Sie betreffen, zu finden?" Beispiel Disease-Prevention: "...Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen, wie Stress oder Depression, zu finden?" Beispiel Health-Promotion: "...Informationen über Verhaltensweisen zu finden, die gut für psychisches Wohlbefinden sind?"
HLS-Score: Indexwert aus allen Items als "subjektive Health-Literacy" (0=geringste HLS bis 50=maximale HLS) Kategorisierung: 0 bis
Ein hoher Score auf der Skala muss jedoch nicht notwendigerweise eine hohe Kompetenz im Sinne von Fähigkeiten einer Person widerspiegeln. Dieser kann auch aus einer stärkeren externaler Kontrollüberzeugung (die Tendenz, Verantwortung für Gesundheit und Krankheit an Professionisten des Gesundheits- systems abzugeben) resultieren. „Wenn du heute Vertrauen zu einem Arzt hast, dann ist das überhaupt kein Problem. (…) Ja, ich bin der Typ, wenn der Arzt so sagt, dann befolge ich das“ (I15/13). „Ich meine was er sagt, das muss man glauben (...) und das wird schon stimmen, darum ist es einfach. Wenn er sagt das ist das und das, und wenn er sagt es ist eh nix, dann ist eh nix“ (I07/05). HLS Score gibt in diesen Fällen eher Auskunft über das Vertrauen in das Gesundheits- system und dessen Akteure bzw., Zuversicht, dass Gesundheit und Krankheit für sie/ihn geregelt werden. Ein hoher HLS-Score kann auch aus einer eher unkritischen und wenig reflektierenden Sichtweise resultieren. Gesundheitsrelevante Anforderungen werden als einfach bewältigbar bewertet, weil die Anforderung als solche gar nicht wahrgenommen wird „Zu beurteilen, ob die Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien– ja, warum sollen die nicht vertrauenswürdig sein?“ (I03/28) „Wenn ich heute ein Rezept kriege vom Arzt, der sagt mir Bescheid und der Apotheker schreibts drauf, also da hab ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ganz Wurst, ob das eine Tablette, eine Salbe oder sonst was ist“ (I15/08).
Daraus scheint erklärbar, dass ein hoher HLS-Score häufig mit paternalistischen Erwartungen an die Arzt-Patient-Beziehung einhergeht. Wenn die Verantwortung für Gesundheit externalisiert wird, scheinen Anforderungen dann leichter handhabbar, wenn Ärztinnen/Ärzte klar befolgbare Anweisungen geben. „(…) wieso sollte das schwierig sein. Das ist eh logisch, oder. Wenn er sagt, in der Früh jeden Tag eine, dann nimmst in der Früh jeden Tag eine“ (I09/08). „Ist ganz einfach, weil das gibt er mir in die Hand und sagt [klopft mit der flachen Hand auf den Tisch]: 3x am Tag. Ja, wir haben einen ganz praktischen Hausarzt“ (I03/08). „Das ist ziemlich einfach, weil der hat eine Hausapotheke, der gibt mir das in die Hand und sagt: ‚so wird’s gemacht’ und aus. Und ich nehms“ (I03/16). Empfehlungen und Erklärungen, die über unmittelbare Anweisungen hinausgehen, können als kontraproduktiv wahrgenommen werden. „Weil dann erzählt er, wissens eh, sie haben Übergewicht’. Das interessiert mich nicht, das weiß ich eh schon lange, dass ich Übergewicht habe. Er soll mir sagen, zum Anlassfall, warum das jetzt so ist“ (I17/05). Ein hoher HLS-Score kann aus geringer Erfahrung resultieren. Hypothetische Einschätzungen fallen häufig positiv aus. „An und für sich habe ich das bis jetzt nicht gebraucht, weil ich nicht krank bin oder war. Und wenn ich jetzt was brauchen würde, glaube ich, dass man das, dass das für mich ziemlich einfach wäre, weil dann gehe ich einfach dort an die Stellen und erkundige ich mich – oder Hausarzt usw.“ (I09/04) „Bei sowas weiß ich nicht, weil sowas habe ich noch nie, aber ich denke mir, das ist auch ‚ziemlich einfach’. Da brauch ich nur im Internet... ‚ Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen wie Stress oder Depressionen zu finden’. Auch ‚ziemlich einfach’, finde ich“ (I19/18).
Zentrale Resultate der quantitativen Untersuchung Gesundheitskompetenz Typologie HLS hoch Typ 3 Typ 4 "subjektive "literat" Überschätzung" (27%) (27%) Wissen Wissen gering hoch Typ 1 Typ 2 "wenig literat" "subjektive (26%) Unterschätzung" (20%) HLS gering Typ 4 (HLS hoch, Wissen hoch) Kompetente empowerte PatientInnen, die mit der Gesundheitsversorgung zufrieden sind. • Jung, höherer Sozioökonomischer Status, • hohe soziale (Netzwerke, Sozialkapital) und personale Ressourcen (Artikulation, Selbstwirksamkeit, Reflexion) • Shared-Decision Erwartungen, geringe externale Kontrolle, Vertrauen und Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung. • Beste subjektive Gesundheit und Wohlbefinden. In Anlehnung an Schulz & Nakamoto (2013) könnte dieser Typ als "effective self- manager" bezeichnet werden (high psychological empowerment and high health literacy). In Anlehnung an Joseph-Williams et al. (2014) verfügt diese Gruppe sowohl über "knowledge", als auch "power" (Voraussetzung für partizipative Interaktion im Gesundheitssystem).
Typ 1 (HLS gering, Wissen gering) Wenig kompetente Kritiker. • Risikogruppe mit geringen sozioökonomischen Status, geringe personale und soziale Ressourcen, älter. • Passiver, tendieren zu Fatalismus, weniger Vertrauen in das Gesundheitssystem, weniger zufrieden mit der Versorgung. • Geringere Motivation zu Vorsorge und gesundem Lebensstil. • Ärzte sollten möglichst keine Fragen stellen. Dennoch geben Sie häufiger kritische Compliance an. • Relativ betrachtet schlechtester subjektiver Gesundheitszustand, geringstes Wohlbefinden. Sie könnten damit i.A. an Schulz & Nakamoto (2013) als "Dangerous Selfmanager" bezeichnet werden. Typ 3 (HLS hoch, Wissen gering) Zufriedene PatientInnen, welche die Verantwortung für die eigene Gesundheit bei Expertinnen und im Gesundheitssystem sehen. • Traditionelle – eher paternalistische Erwartungen an die Interaktion, Rollenerwartungen werden erfüllt. • Höhere bedingungslose und weniger kritische Compliance. • Hohe internale und externale Kontrolle, aber auch höherer Fatalismus. • Höchstes Vertrauen in das Gesundheitssystem. • Hausärzte als wichtigste Anlaufstelle. • Etwas schlechterer subjektiver Gesundheitszustand als Typ 4; Wohlbefinden ist jedoch vergleichbar mit Typ 4. • Etwas weniger Erfahrung in der Interaktion mit dem Gesundheitssystem: Möglicherweise ist die optimistische Kompetenzeinschätzung dadurch erklärbar. "Pflegeleichte PatientInnen". i.A. an Joseph-Williams et al. 2014: Vertrauen ist funktional für Compliance, begünstigt jedoch passive Konsultation.
Typ 2 geringe HLS, hohes Wissen Kritische PatientInnen mit höherer Bildung, die weniger Vertrauen in das professionelle System der Gesundheitsversorgung haben. • Lehnen bedingungslose Compliance ab, haben partizipative Rollenerwartungen, sehen diese Erwartungen jedoch weniger erfüllt. • Sie suchen bei Gesundheitsbeschwerden häufiger direkt die Apotheke oder alternativmedizinische Behandlungen, geringe externale Kontrollüberzeugung. • Sie geben jedoch häufiger Rückzugstendenzen und geringere Motivation für Vorsorge und gesunden Lebensstil an. • Schlechtere Gesundheit und vor allem schlechteres Wohlbefinden als Typ 3 und 4. Der geringe HLS-Score scheint hier weniger Ausdruck geringere personaler Kompetenzen zu sein, sondern höhere Skepsis und Distanz zur (schul-) medizinischen Versorgung. Ein vorläufiges Fazit Hohe subjektive Health-Literacy kann unterschiedliche Dimensionen widerspiegeln z.B.: • Ausdruck persönlicher Kompetenzen • Verfügbarkeit vertrauensvoller und kompetenter Ärzte (insbes. Hausärzte) • Geringe Erfahrung und damit optimistische Einschätzung von Bewältigungsmöglichkeiten • Externale Kontrollüberzeugung und Vertrauen in die Medizin und das Versorgungssystem • Geringe persönliche Reflexion HLS repräsentiert die persönliche Einschätzung von Handhabbarkeit ("Power"). Dies kann Empowerment von PatientInnen reflektieren. HLS ist jedoch nicht mit Empowerment gleichzusetzen. Empowerment (und damit aktive, partizipative Gesundheitsgestaltung) setzt "Power" und "Knowledge" (d.h. Wissen, personale Kompetenzen und Reflexionsfähigkeit) auf individueller Ebene und ein Versorgungssystem, welches die Partizipation ermöglicht voraus.
Vertrauen als wesentliche Komponente von HLS ist grundsätzlich positiv zu werten. Vertrauen ermöglicht Offenheit in der Arzt-Patient Interaktion, Sicherheit in der Interaktion und begünstigt Wohlbefinden. Blindes Vertrauen kann jedoch auch passive Konsultation begünstigen. Komplexere Situationen und Handlungsprobleme können zu einer Erosion des Vertrauens führen. „Ich hab jetzt Borreliose. Da sind wir uns jetzt noch nicht ganz einig, weil ich hab jetzt lang ein Antibiotikum genommen und es ist nicht vergangen. Jetzt hat er mir Blut abgenommen, sind aber keine Borrelien mehr da, aber der Fleck ist noch da. Jetzt wissen wir es alle zwei nicht, was wir tun. Ich nehm auf jeden Fall nichts mehr, ich hab eh über siebzig Tabletten genommen, ich nehm nichts mehr“ (I03/05). Generell sind Maßnahmen für ein "verständlicheres Gesundheitssystem" nötig und sinnvoll. z.B. Weniger Fachvokabular, bessere und verständlichere Informationen, "Wegweiser" durch das System der Gesundheitsversorgung (auch im Internet) Herausforderung für medizinisches Fachpersonal: Traditionelle Rolle von Ärzten als alleinige Experten und PatientInnen als passive Empfänger kein "Patentrezept" mehr für alle PatientInnen. Die Erwartungen der PatientInnen sind heterogen: Während eine Gruppe einfach verständliche Anweisungen erwarten, erwartet eine große Gruppe von PatientInnen, dass ihre eigenen Einschätzungen und ihr eigenes Laienwissen berücksichtigt werden. Sie erwarten Teilhabe an Entscheidungen und ausführlichere Erklärungen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Literatur: HLS-EU Consortium (2012). Comparative Report of Health Literacy in eight EU member states. The European Health Literacy Survey HLS-EU. , ONLINE PUBLICATION: HTTP://WWW.HEALTH-LITERACY.EU Schulz, P.J. & Nakamoto, K. (2013). Health literacy and patient empowerment in health communication: The importance of separating conjoined twins. Patient Education and Counceling 90, 4-11. Joseph-Williams, N., Elwyn, G. & Edwards, A. (2014). Knowledge is not power for parients: A systematic review and thematic synthesis of patient-reported barriers and facilitators to shared decision making. Patient Education and Counselling 94, 291-309.
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