Vielfalt gestaltet Grundschule - NÜRTİKULTİ Ein Modellprojekt stellt sich vor Dokumentation, Handreichung und Ausblick
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Vielfalt gestaltet Grundschule NÜRTİKULTİ Ein Modellprojekt stellt sich vor Dokumentation, Handreichung und Ausblick
inhalt VORWORT 05 SCHULE IN BEWEGUNG! VIELFALT UND VERSCHIEDENHEIT ALS HERAUSFORDERUNG IM KONTEXT SCHULE 06 Praxis 07 Ansätze und Konzepte 11 DAS PROJEKT NÜRTİKULTİ – VIELFALT GESTALTET GRUNDSCHULE 18 Die Idee 19 Die Umsetzung 23 Die Bestandsanalyse oder „Ich sehe Dich nicht, wie Du Dich siehst.“ 26 Das Co-Teaching: Vom Umgang mit Vielfalt im Klassenraum 33 NÜRTİKULTİ IM GESPRÄCH 46 „Diversity in homöopathischen Dosen“ – Die Leitung 47 Haugerud Skole (Ein Exkurs) 55 „Zeit, Raum, Rahmen und Licht“ – Teamer/innen und Pädagog/innen 56 LEARNING POINTS? LEARNING POINTS! 62 Das Einmaleins der Vielfalt 65 SERVICETEIL 66 Der Diversity-Check: Fragen zur Reflexion 67 Übungen und Methoden 69 Literaturliste 74 Tipps und Links im Internet 82 Postkarten zum Bestellen und Verteilen 84 IMPRESSUM 90 2
vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, Berlin ist Vielfalt. In unserer Stadt gibt es die verschiedensten Lebenswelten und Lebensstile. Die Zuwanderung aus anderen Kulturen trägt entscheidend dazu bei. In den Berliner Kiezen und Bezirken treffen unterschiedliche Milieus aufeinander. Das spiegelt sich auch in den Schulen der Stadt wider: Berlin ist auch eine Stadt der Bildungsvielfalt. Bereits heute hat über ein Drittel der Kinder an unseren Grundschulen einen Migrationshintergrund. Umso wichtiger ist es, dass an unseren Schulen der friedliche und respektvolle Umgang gelebt und gelehrt wird. Dazu gehört der Blick über den Tellerrand, die Neugier auf das Neue und Andere, das Aushalten von Unterschieden und Ambivalenzen sowie das Abgrenzen und das Finden von Gemeinsamkeiten. Wie geht Schule damit um? Drei Jahre lang konnte das Modellprojekt „NÜRTİKULTİ – Vielfalt gestaltet Grundschule“ der Stiftung SPI die Kreuzberger Nürtingen-Grundschule dabei begleiten und unterstützen, sich als Diversity-freundliche, diskriminierungskritische und inklusionsorientierte Einrichtung weiter zu entwickeln. Zentrale Themen und Fragen hierbei waren der wertschätzende Umgang mit Vielfalt, Abbau von Barrieren zu Bildungs- und Teilhabechancen und Identität. Somit brach das Projekt NÜRTİKULTİ die Frage nach der Gestaltung von Zusammenhalt in Vielfalt und der damit einhergehenden Auseinandersetzung mit Interessenkonflikten, Abgrenzungen sowie Hindernissen zu chancengerechter Einbeziehung und Teilhabe auf den konkreten Alltagsbetrieb einer Schule herunter. Sandra Scheeres Diese Broschüre stellt das Projekt, seine Grundlagen, seine Meilensteine, die Reflexionen der beteiligten Akteure sowie ein Einmaleins der Vielfalt und nützliche Materialien vor. Sie macht damit für Außenstehende einen Schatz an Erfahrungen und Erkenntnissen zugänglich, der für viele schulische Akteure in Berlin und darüber hinaus von großem Interesse und Wert sein kann. Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre und bedanke mich bei der Stiftung SPI für die geleistete Arbeit. Es grüßt Sie herzlich Sandra Scheeres Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlin 4 5
Schule in Bewegung Praxis Vielfalt und Verschiedenheit als Herausforderung im Kontext Schule: Ansätze, Konzepte, Praxis „Managing Diversity“ oder der Umgang mit TEXT Ann-Sofie Susen ILLUSTRATION Jörg Kreutziger Vielfalt und Verschiedenheit stellt ein Konzept dar, das Wege aufzeigt, wie mit Heterogenität in der Gesellschaft, in Kita und Schule, in Vereinen Früh um sieben öffnet der Hausmeister der Grundschule von zu Hause mitgebracht: Gezuckerte Cornflakes, Stangen- „Bunte Blumen“, Herr Özdemir, die Schultür. Eine Handvoll brot und Brezeln, Nutellagläser und Konfitüre, Pancakes mit und Betrieben, auf der Straße und der täglichen Kinder wartet schon auf den Einlass. Herr Özdemir, von allen Ahornsirup, Zitronenkuchen, saftige Melonen und Ananas. nur „Ötzi“ genannt, empfängt die Kinder mit einem freundli- Der Tisch ist schließlich reich gedeckt. Frau Balt freut sich Begegnung adäquat umgegangen werden kann. chen „Guten Morgen“. Im Schulcafé stehen schon Brötchen über das Engagement der Kinder, ist aber gleichzeitig etwas Im pädagogischen Kontext wird der Ansatz mit Käse und Geflügelsalami sowie heißer Tee bereit. Die Som- ratlos, weil niemand Couscous und Börek mitgebracht hat. merferien sind seit drei Wochen vorbei. In den Horträumen treffen sich an diesem Morgen die zunehmend als „Diversity Education“ bezeichnet. Es ist 8 Uhr, der Schulgong ertönt. Kinder flitzen über die Erzieher/innen zu ihrer wöchentlichen Teamsitzung. Die Lei- Flure in ihre Klassenzimmer. Sumaya aus der 3b hinkt ihren terin eröffnet das Treffen mit einer Befindlichkeitsrunde. Sa- Klassenkamerad/innen hinterher. Wegen eines Hüftschadens bine, eine neue Erzieherin, teilt ihren Unmut darüber mit, ist sie nicht so schnell wie die anderen Kinder. Immer wieder wird sie deshalb von Mitschüler/innen gehänselt. Manchmal „Opfer!“ – „Und du bist schwul, beachtet sie die Beschimpfungen nicht weiter, manchmal re- agiert sie wütend. An diesem Morgen knallt ihr Manka die lern erst mal Fußballspielen.“ Klassenzimmertür vor der Nase zu. Sumaya öffnet die Tür wie- der und ruft dem Mädchen zu: „Neger sind dumm!“ Das Mäd- dass die Erzieher/innen von den Eltern mit Vornamen ange- chen erwidert: „Und Zigeuner sind dreckig und humpeln!“ redet und häufig geduzt werden, während die Lehrer/innen In der 1c hat sich Frau Balt für heute etwas Besonderes mit Nachnamen angesprochen und selbstverständlich gesiezt ausgedacht: ein interkulturelles Kennenlernfrühstück. Sie hat werden. Bei ihrer letzten Arbeitsstelle wurde das gesamte Per- die Kinder gebeten, etwas mitzubringen, was sie in ihren Fa- sonal gesiezt und mit Nachnamen angesprochen. Es kommt milien besonders gern essen. Dafür hat sie eine festliche Tafel zu einem Disput unter den Kolleg/innen, ob sie zukünftig auf mit bunten Papptellern, Luftschlangen und kleinen Fähnchen die Ansprache mit ihrem Nachnamen bestehen wollen. Gegen hergerichtet, die die verschiedenen Nationalitäten der Kinder Ende der Auseinandersetzung richtet sich Katrin noch mal repräsentieren sollen. Die Kinder ihrerseits haben auch viel direkt an Sabine: „Ok, wenn wir uns einigen sollten, auf das 7
Siezen umzusteigen, möchte ich dich im Gegenzug bitten, zu- stresst, in seiner Klasse ging es heute mal wieder drunter und künftig von Dir in der weiblichen Form zu sprechen und dich drüber. Die Sonderpädagogin der Klasse ist für einige Wochen nicht mehr als ´Erzieher` zu bezeichnen.“ krankgeschrieben, eine Vertretung nicht in Sicht. Der Schullei- In der Pause geraten zwei Jungs aneinander, die verschie- ter stellt ihm die Eltern von Domian vor, die ihr Kind neu an dene Klassen besuchen, sich aber aus dem Fußballverein ken- der Schule angemeldet haben. Domian leidet an einer mittel- nen. Orkan raunt Elias an: „Opfer!“ Elias erwidert: „Selber, du bist doch behindert!“ Orkan: „Und du bist schwul, lern erst „Ja, du zumachen Tür.“ „Nicht ich, mal Fußballspielen.“ Mit hoch rotem Kopf schubst Elias den großen Orkan zur Seite, der daraufhin auf ihn einprügelt. Die sie zumachen. Nicht Aufsicht schickt die beiden Kinder zum Schulsozialarbeiter zumachen“ „Ja. Ja. Zumachen.“ Martin. Als sich die Kinder beruhigt haben, setzt sich Martin mit ihnen hin und bespricht den Vorfall. Es stellt sich heraus, schweren Form von Autismus, er soll ab der kommenden Wo- dass Orkan wütend auf seine Eltern ist, weil er am Wochenen- che die Klasse von Herrn Henning besuchen. Die Eltern erzäh- de nicht zum Auswärtsspiel seines Vereins mitfahren darf. len von seiner bisherigen schwierigen Schulgeschichte und Martin fragt, wie sich die Kinder fühlen, was die Be- wie froh sie sind, nun doch noch einen Platz an einer Regel- schimpfungen ausgelöst haben und wie sie anders hätten schule für ihn gefunden zu haben. Die Eltern sind Herrn Hen- reagieren können. ning auf Anhieb sympathisch, aber er fühlt sich von der Ent- Nach der großen Pause kommt die 3a in der Turnhalle scheidung der Schulleitung überfahren. „Meine Batterien sind zum Sportunterricht zusammen. Der Lehrer Kunz bittet die bald alle, das Schuljahr ist noch lang, merkt das eigentlich Schüler/innen um eine gleichmäßige Verteilung von Jungen keiner?“, denkt er leise und lässt sich nichts anmerken. und Mädchen. Mia schlägt vor, dass sie die Gruppen zusam- Im Hort bringt ein Kind zum Geburtstag eine große Tüte men mit Tatjana zusammenstellen könnte. Der Lehrer stimmt Gummibärchen zum Verteilen mit. Noch bevor die Tüte die zu. Die Mädchen wählen abwechselnd, beide wählen zunächst Runde macht, greift der Erzieher Malte ein und weist darauf die ihres Erachtens besten Spieler und Spielerinnen aus. Zu- hin, dass aus religiösen Gründen wegen der enthaltenen Ge- letzt bleibt nur noch Sascha übrig. Sascha ist kleiner und di- latine nicht alle Kinder Gummibärchen essen. Unter den Kin- cker als die anderen Kinder. Er hat leichte Entwicklungsver- dern bricht daraufhin ein Streit aus, wer die Gummibärchen zögerungen. Eigentlich mögen ihn die meisten Mitschüler/ essen darf und wer nicht. innen, er ist gut integriert. Sascha fängt an zu weinen. Am frühen Abend trifft sich erstmalig im neuen Schul- Einige Lehrerinnen haben eine Freistunde und sitzen jahr die neue Gesamtelternvertretung mit der Schulleitung. im Lehrerzimmer zusammen. Frau Bregovic erzählt von ihrem Auf dem Flur trifft der Schulleiter Frau Akgün, die neue Reini- Wochenende in Süddeutschland. Dort habe sie ein Schulmu- gungskraft. Er bittet sie, die Schule heute ausnahmsweise nicht abzuschließen. Sie schaut ihn fragend an: „Schülüssel?“ „Meine Batterien sind bald alle, das „Bitte heute nicht die Schultür zuschließen! Haben Sie das verstanden?“ „Ja, du zumachen Tür.“ „Nicht ich, sie zumachen. Schuljahr ist noch lang, merkt das Nicht zumachen“ „Ja. Ja. Zumachen.“ eigentlich keiner?“ Herr Holm ist gut gelaunt. Er rückt die Stühle für einen Stuhlkreis in der Aula zurecht und freut sich, heute die Zusage seum besucht, wo eine historische Anlauttabelle ausgestellt für ein interkulturelles Theaterprojekt erhalten zu haben. Die war, auf der das „N“ mit einem klischeehaft dargestellten ersten Elternvertreter trudeln ein. Viele Gesichter sind dem Schwarzen erklärt wurde. Sie schildert, dass die Museumsfüh- Schulleiter aus dem letzten Jahr bekannt. Er ist ein wenig ent- rung eine aktuelle Anlauttabelle zeigte, auf der das „I“ mit täuscht. Trotz verschiedener Appelle sind wieder mehrheitlich einem „Indianer“ und das „CH“ mit einem klischeehaft dar- weiße, deutsche, akademisch gebildete Eltern gewählt wor- gestellten Chinesen erläutert wird. „Ja, diese Anlauttabelle den, die die eigentliche Zusammensetzung der Schülerschaft verwenden wir doch auch“, wirft die Kollegin Frau Herrgut nicht repräsentieren. Er begrüßt die Eltern und berichtet von ein. Die Lehrer/innen diskutieren, ob man die Anlautta- dem geplanten Theaterprojekt. belle weiter benutzen könne oder lieber nach einer neuen Als die ersten Eltern gehen wollen, kommen sie wieder suchen solle. zurück in die Aula. Die Schultür ist abgeschlossen. Gegen 20 Der Lehrer Herr Henning hat am frühen Nachmittag ei- Uhr checkt Herr Holm im Sekretariat noch einmal die E-Mails. nen Termin mit dem Schulleiter Herrn Holm. Herr Holm Ein Reporter-Team fragt an, ob man vorbeikommen könne, es musste neulich ein Kind im Rollstuhl abweisen, da die Schule gehe um die Dokumentation des Schulalltags an einer ganz nicht barrierefrei ist. Er ist froh, dass er nun immerhin ein an- normalen Schule in Deutschland. Herr Holm lächelt, schaltet deres Kind mit Beeinträchtigung aufnehmen kann. Lehrer den Computer aus und macht sich auf den Weg nach Hause. Henning kommt ins Besprechungszimmer gehetzt. Er ist ge- Ein turbulenter Schultag geht zu Ende. 8
ansätze und konzepte Dieser beispielhaft dargestellte Tag einer Grundschule zeigt, „Managing Diversity“ oder der Umgang mit Vielfalt und Ver- dass die Vielfalt und Verschiedenheit unserer Gesellschaft schiedenheit stellt ein Konzept dar, das Wege aufzeigt, wie längst in den hiesigen Klassenzimmern und Turnhallen ange- mit Heterogenität in der Gesellschaft, in Kita und Schule, in kommen ist und damit Konflikte und Herausforderungen ein- Vereinen und Betrieben, auf der Straße und der täglichen her gehen, die nicht immer leicht zu bewältigen sind, aber Begegnung adäquat umgegangen werden kann.1 Im pädago- dennoch die Chance bergen, voneinander und miteinander zu gischen Kontext wird der Ansatz zunehmend als „Diversity lernen und zu wachsen. Education“ bezeichnet Die eingangs geschilderten Beispiele zeigen darüber hinaus, Diversity aLs Denkansatz dass die sich aus Vielfalt und Verschiedenheit ergebenden Seit nunmehr über einem Jahrzehnt hat das Schlagwort „Di- Konfliktlagen: versity“ Eingang in die pädagogische Debatte gefunden. Buch- • komplex sind, „Opfer“ und „Täter“ nicht eindeutig sein müs- titel wie „Heterogenität im Klassenzimmer“, „Pädagogik der sen; Vielfalt“ oder „Verschiedenheit nutzen“ zeugen davon. Doch • strukturell bedingt sein können, wenn Didaktik und Me- mit dem Auftauchen dieses Schlagworts und seiner Überset- thodik nicht auf Chancengerechtigkeit geprüft werden; zungen ist ein Paradigmenwechsel verbunden. Die Erkenntnis • manchmal erst durch pädagogisches Eingreifen forciert reift, dass Spezialdisziplinen wie „Interkulturelle Pädagogik“, werden; „Sonderpädagogik“ oder „Geschlechtersensible Pädagogik“ • oft zunächst gar nicht konflikthaft erscheinen müssen, da den Realitäten in Schule und Klassenzimmer moderner Ge- die zugrundeliegenden Ausgrenzungsmechanismen subtil sellschaften kaum noch gerecht werden können, zumal wenn und schwer zu fassen sind; die Schulen ihrem Auftrag der Inklusion nachkommen wollen. • häufig nicht von allen gleichermaßen als konflikthaft wahr- Der Diversity-Ansatz birgt die Möglichkeit, Vielfalt und Ver- Das Diversity-Rad zeigt eindrücklich, welche Merkmale genommen werden; schiedenheit differenzierter in den Blick zu nehmen, dem ein- unsere Identität, Persönlichkeit und gesellschaftliche Ver- • eine andere Ursache haben können, als zunächst ange- 1 Diversity Management“ ist ein Ansatz aus dem wirtschaftlichen Kontext, nommen; ortung ausmachen. • nicht zwangsläufig mit dem Thema „Diversity“ assoziiert dem die Idee zugrundeliegt, dass die Unterschiedlichkeit als positives Potential eines Unternehmens aufgefasst werden muss, um zum einen die werden, wenn es z.B. um den beruflichen Status geht. optimale Produktivität der Mitarbeitenden zu gewährleisten und um zum anderen die Diversität der Belegschaft als Wettbewerbsvorteil in einer globalisierten Wirtschaftswelt nutzen zu können. Darüber hinaus wurzelt die Diversity-Idee in den US-Amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen und ihren politischen Forderungen. 10 11
zelnen und seiner Identität gerechter zu werden und sensibler zu reflektieren. Unsere Bilder werden realitätsnäher, wenn wir gegenüber subtilen und offenen Diskriminierungen zu werden. uns nicht allein auf Gegensätze Schwarz-Weiß, Deutsch-Aus- Was heißt Diversity? Wir übersetzen den Begriff bevor- länder, Mann-Frau, Jung-Alt kaprizieren, sondern die Zwi- zugt mit „Vielfalt und Verschiedenheit“, da Diversity zwei Ebe- schentöne und ihre Verschränkungen einbeziehen. nen impliziert: Zum einen beschreibt er die gesellschaftliche Diskriminierungskritik meint, sensibel für Ausgren- Vielfalt, zum anderen hebt er aber auch auf die individuellen zungsmechanismen zu werden. Reflektiert werden muss da- Verschiedenheiten ab. Beides bedingt sich, beide Perspektiven bei jedoch auch das „Diversity-Dilemma“. Einerseits müssen sind notwendig, um pädagogische Herausforderungen treff- Diversity-Merkmale benannt werden, um über sie reden zu sicher beschreiben und identifizieren zu können. können, andererseits muss reflektiert werden, dass durch das Das Diversity-Rad zeigt eindrücklich, welche Merkmale „Darüberreden“ die Gefahr besteht, Bilder und Stereotype erst unsere Identität, Persönlichkeit und gesellschaftliche Veror- zu (re)produzieren und diese zu verfestigen.Diversity ist also tung ausmachen. zunächst ein Denkansatz, eine Möglichkeit der Reflexion und Ohne an dieser Stelle alle Merkmale im einzelnen zu be- eine Frage der Haltung. leuchten, zeigt sich doch, dass unsere Identitäten meist sehr viel heterogener sind, als es vielleicht auf den ersten Blick er- Inklusion als Handlungsansatz scheinen mag. Der Diversity-Ansatz sensibilisiert dafür, Men- Einen weiteren Paradigmenwechsel in der pädagogischen und politischen Debatte stellt die zunehmende Forderung nach In- Diskriminierungskritik meint, klusion dar. Wie die rechts stehende Grafik zeigt, geht es nicht mehr darum, „das Andere“ in „das Bestehende“ zu integrieren, sensibel für Ausgrenzungsmecha- sondern durch die Inklusion aller in ihrer Verschiedenheit zu nismen zu werden. einem „neuen Ganzen“ zu kommen, schlussendlich um „Gleichheit in der Verschiedenheit“. schen differenzierter wahrzunehmen und eingeübte Erwar- Inklusion ist eine Antwort auf die Frage nach dem ge- tungshaltungen zu hinterfragen.2 sellschaftlichen Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit. Das Diversity-Rad zeigt jedoch nicht nur mögliche Iden- Inklusion ist verwirklicht, wenn die Teilhabe jedes Einzelnen titätsmerkmale auf, sondern unterscheidet darüber hinaus ermöglicht ist. verschiedene Dimensionen. Die innere Dimension umfasst Nicht zuletzt durch die UN-Behindertenrechtskonven- dabei gegebene Merkmale, die nicht oder nur schwer änderbar tion aus dem Jahr 2006 fand die Idee der Inklusion in den letz- sind, die äußere Dimension zeigt Merkmale auf, die veränder- ten Jahren verstärkt Eingang in die gesellschaftliche Debatte. bar sind, aber dennoch als stark persönlichkeitsprägend ge- Insbesondere Bildung und Schule sind aufgefordert, inklusiv wertet werden können und die je nach gesellschaftlicher Wirk- zu arbeiten. Inklusive Schulen sind offen für alle Kinder. Da- samkeit auch ergänzt bzw. ausgetauscht werden können. hinter steht die Abkehr von verschiedenen Einrichtungen für Die Unterscheidung ist nicht zuletzt mit Blick auf Dis- verschiedene Kinder hin zu gemeinsamen Einrichtungen für kriminierungserfahrungen wichtig: Merkmale, denen wir uns alle Kinder. Kinder sollen nunmehr also nicht erst segregiert, nur schwer entziehen können, lassen Ausgrenzungsmecha- um später wieder mehr oder weniger mühsam reintegriert zu nismen wirkmächtiger werden. Es ist darüber hinaus mit- nichten so, dass alle Merkmale imjeweiligen Kreis eine glei- Inklusion ist eine Antwort chermaßen große Relevanz haben, ihr Gewicht ist nicht zuletzt vom politisch-gesellschaftlichen Kontext abhängig, auf die Frage nach dem auf den sie treffen. Nationalität kann mit erheblichen rechtli- gesellschaftlichen Umgang mit chen Einschränkungen oder auch Privilegien verbunden sein, die Milieuzugehörigkeit ist weitaus prägender als die Vielfalt und Verschiedenheit. Freizeitgestaltung, Hautfarbe und Geschlecht gehen mit Rol- lenzuschreibungen und Klischees einher, die Wahrnehmung werden, sondern von vornherein inkludiert und mitgedacht und Verhalten massiv beeinflussen. sein. Dass dieser konzeptionelle Wandel in der Bildungsland- Diversity als Denkansatz birgt jedoch die große Chance, schaft stattfinden kann, ist auch der verstärkten Wahrneh- aufzuzeigen, dass es um Diversitätsbewusstsein und Diskrimi- mung und Anerkennung von gesellschaftlicher Vielfalt und nierungskritik geht. Diversitätsbewusstsein heißt dabei, nicht Verschiedenheit geschuldet. nur den Anderen in seinem Anderssein zu betrachten, son- Das hier abgebildete Schema zeigt anschaulich, was In- dern den Anderen auch im Angesicht des eigenen Andersseins klusion – auch in Abgrenzung zu Integration – meint. Mit Blick auf die Schullandschaft vollzieht das Modell auch den Wandel 2 Ergänzend sei der intersektionale Ansatz erwähnt, der ähnlich wie der der pädagogischen Ansätze in den letzten Jahrzehnten nach, Diversity-Ansatz die Identitätsmerkmale miteinander in Bezug setzt, allerdings stärker auf ihre jeweiligen gesellschaftlichen Positionierungen und wobei Exklusion aufgrund der allgemeinen Schulpflicht in die damit verbundenen Machtverhältnisse abhebt. 12 13
Deutschland entfällt. Separation ist dem deutschen Schulsys- flexion und Sensibilisierung, Fragen der Wahrnehmung und konsequent gedachten und umge- tem jedoch nicht unbekannt, wovon die Sonder- und Förder- Haltung, die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität setzten Teilhabestruktur sowie der schulen sowie die sogenannten „Ausländerklassen“ zeug(t) und Biografie, das Einüben von Vorurteilsbewusstsein usw. Di- Schaffung von gemeinsamen Iden- en. Mit dem Schritt hin zur Integration wurde und wird zwar versity Education setzt in der Praxis häufig auf letzterer Ebene titätsangeboten. die institutionelle Differenzierung abgebaut, allerdings wird an (z.B. mit Diversity Trainings), langfristig sollte ein systemi- Durch größtmögliche Teilha- an homogenen Lern- und Peergruppen – gewollt oder unge- be aller, d.h. durch ein hohes Maß wollt – innerhalb der Bildungsinstitution weiterhin festgehal- Inklusion ist verwirklicht, wenn an Mitbestimmung und demokrati- ten. Erst mit der Inklusion kommt es zu einem deutlichen scher Verfahrensweisen, kann ge- Paradigmenwechsel: Nicht nur sind alle in ihrer Unterschied- die Teilhabe jedes währleistet werden, dass Vielfalt lichkeit willkommen, Vielfalt und Verschiedenheit wird darü- Einzelnen ermöglicht ist. und Verschiedenheit ihren Aus- ber hinaus als Wert anerkannt, der produktiv genutzt werde druck in der gelebten Alltagskultur kann. scher Blick auf die jeweiligen Institutionen jedoch stärker be- und der Repräsentation der Organi- Das abgebildete Schema stellt unseren Versuch dar, die rücksichtigt werden, um eine nachhaltige Implementierung sation/Schule findet. mit den Schlagworten Diversity und Inklusion verknüpften von Diversity-Strategien zu gewährleisten. Gerade im schulischen Bereich Denk-, Diskussions- und Handlungsansätze noch stärker Auch wenn die impliziten pädagogischen Ziele von Diver- existieren inzwischen viele Struktu- miteinander zu verbinden: So haben die Exkludierten und die sity Education und Inklusion inzwischen weitreichend aner- ren, Konzepte und Projektideen, Inkludierten zwar unterschiedliche Farben (Blautöne und kannt werden, ist ihre pädagogische Umsetzung weniger unum- die Partizipation auf der formalen Rottöne), aber teilweise gleiche Formen (Punkte, Vierecke, stritten. Als mögliche pädagogische Strategien im Umgang mit Hinzu kommt, dass von Seiten der Pädagog/innen die Speisen und informalen Ebene fördern sollen. Häufig wird jedoch Dreiecke) – so wird deutlich, dass der Ein- und Ausschluss Vielfalt und Verschiedenheit lassen sich in der Praxis nach Pe- – sicherlich gut gemeint – zwar als Bereicherung wertgeschätzt nicht weiter reflektiert, dass allein die Installation von Struk- bestimmter Gruppen meist über bestimmte Merkmale vorge- tra Wagner3 bisher fünf Ansätze ausmachen: werden, die Kinder aber auf ihre tatsächliche oder auch ver- turen und Projekten nicht gewährleistet, dass alle repräsen- nommen wird, was aber nicht heißt, dass diese Gruppen 1. Gleichbehandlung meintliche Herkunftskultur zurückgeworfen werden und ihre tiert und beteiligt sind. Auch die Problematik, dass Beteili- nicht auch über gemeinsame Merkmale verfügen können. 2. Sondermaßnahmen für Kinder mit Förderbedarf tatsächliche Identität keine Anerkennung findet. gungsmöglichkeiten in hierarchisch strukturierten Organisa- Beispiel: Auf die eine Gruppe trifft das Merkmal Migrations- 3. Kulturelle Begegnung als Bereicherung tionen Grenzen haben, die aber für alle transparent sein hintergrund zu, auf die andere nicht. Innerhalb dieser Grup- 4. Chancengleichheit für alle Chancengleichheit für alle und Anti-Diskriminierung: sollten, wird häufig nicht berücksichtigt. Es bleibt zu fragen, pen könnte das Merkmal Beziehung von Transfereinkommen 5. Anti-Diskriminierung Neuere Diversity-Ansätze stellen hingegen eher die Chancen- wer, wo, wie beteiligt ist, aber auch, wer eigentlich warum fehlt. auf einen bestimmten Teil zutreffen. Würde man dieses Merk- gleichheit und die Anti-Diskriminierung (4 und 5) in den Vor- Es geht letztendlich nicht darum, „durchquotierte“ mal als jeweilige Gruppenkategorie heranziehen, wäre die Gleichbehandlung: Der Ansatz der Gleichbehandlung (1) läuft dergrund, notwendig hierfür sind Diversitätsbewusstsein und Gremien zu schaffen, sondern sensibel dafür zu werden, wel- Trennung nach Migrationshintergrund wiederum aufgeho- schnell Gefahr, Unterschiede zu negieren und dabei nicht an- Diskriminierungskritik, es geht also vor allem auch um die Reflexion che Perspektiven unsichtbar und welche Stimmen ungehört ben oder es würde zu weiteren Subgruppenbildungen kom- zuerkennen, dass nicht alle die gleichen Voraussetzungen mit- eigener Haltungen und die empathische Sensibilität für gesell- bleiben sowie welche unterschiedlichen Beteiligungsformen men. Je mehr Merkmale jedoch herangezogen werden, desto bringen, wie es diese Karikatur von Hans Traxler gut auf den schaftliche Ausgrenzungsmechanismen. Zugänge für unterschiedliche Menschen und ihre Hinter- absurder werden Gruppenbildungen. Punkt bringt. In der Anerkennung von Verschiedenheit und dem Anliegen, gründe schaffen. Auch ein verkürzter Demokratiebegriff im Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Dis- allen dabei die gleichen Chancen zu eröffnen, liegt jedoch ein Sinne von „Die Mehrheit entscheidet“ ist wenig hilfreich, kussion über Inklusion eher im pädagogischen Diskurs veror- Sondermaßnahmen für Kinder mit Förderbedarf: Dem zwei- Spannungsfeld. In der pädagogischen Praxis müssen hierfür wenn es um das Einüben und Lernen demokratischer Hal- tet ist und hier das Augenmerk vor allem auf Kindern mit Be- ten Ansatz, Sondermaßnahmen (2) für Einzelne, ist wiederum mögliche Wege immer wieder neu ausprobiert und hinter- tungen geht. Für Entscheidungsfindungen sind demokrati- einträchtigungen liegt, während die Debatte über Exklusion Separation als Gedanke inhärent. Verschiedenheit wird dabei fragt werden. sche Abstimmungen unerlässlich, aber das Anhören und eher von soziologischer Seite aus geführt wird und zur Be- nicht als das Normale, sondern als das Besondere betrachtet. Als weitere wichtige Grundlagen und Bausteine zur pädago- Ernstnehmen von Gegenstimmen, anderen Meinungen ist schreibung von Menschen in prekären sozialen und ökonomi- gischen Umsetzung von diversitysensibler Inklusion kön- ebenso unerlässlich – nicht zuletzt als Korrektiv oder gar als schen Situationen, dem „Prekariat“, dient. Ähnlich wie bei der Kulturelle Begegnung als Bereicherung: Die kulturelle Begeg- nen genannt werden: „Innovationsmotor“. Demokratie braucht Mehrheiten. Auf Beschäftigung mit den zwei Medaillenseiten Diversity und nung als Bereicherung (3) umfasst Maßnahmen, die sich ins- • Wertschätzung von und Öffnung für Vielfalt und Ver- dem Weg zur Inklusion müssen diese jedoch durchlässig sein, Diskriminierung, sollte die pädagogische Debatte verstärkt besondere in der interkulturellen Bildung großer Beliebtheit schiedenheit es gilt, festgezurrte Mehrheiten und Minderheiten zu vermei- Exklusionsmechanismen auf institutioneller Ebene und im erfreuten, aber letztendlich auch der dichotomen Spaltung • Sensibilisierung für Diskriminierung und Ausgrenzungs- den, sonst bleibt es bestenfalls bei Integration: Die Mehrheit pädagogischen Alltag in den Blick nehmen, da der Wunsch zwischen dem Eigenen und dem Fremden verhaftet blieben. mechanismen nimmt die Minderheit zwar in ihren Kreis, belässt es aber bei nach Inklusion sonst Makulatur und es bestenfalls bei Integ- Beliebtes Beispiel zur Veranschaulichung ist das eingangs dar- • Schaffung von Chancengerechtigkeit den unterschiedlichen Positionen. Wünschenswert wäre die ration bleibt. gestellte interkulturelle Frühstückt, zu dem alle Kinder Speisen • Umsetzung von Teilhabemöglichkeiten Etablierung von Vielstimmigkeit. mitbringen sollen, die typisch für ihren kulturellen Hinter- • Vermeidungsstrategien von Exklusion Schließlich geht es auch um eine gemeinsame Identi- Diversity und Inklusion grund sein sollen. Wenn dann Kinder mit türkischem Migrati- • Barrierefreiheit im weitesten Sinne tätsfindung bzw. -bildung. Die Punkte in der dargestellten Gra- im Pädagogischen Kontext onshintergrund Börek zum Frühstück mitbringen, entsteht • Schaffung und stete Erneuerung von gemeinsamen Iden- fik zur Inklusion schweben nicht im luftleeren Raum, sie sind Inklusives Diversity Management kann top-down oder bot- unter Umständen ein verzerrtes Bild, da die Kinder vielleicht titätsräumen durch einen Kreis gerahmt. Diese wichtige Rahmung wird tom-up ansetzen. Bei ersterem Vorgehen steht die Ebene der eigentlich Cornflakes und Nutella zum Frühstück bevorzugen. häufig nicht mitgedacht oder als selbstverständlich voraus- Organisation im Vordergrund, dabei werden bspw. Leitbilder, Vor diesem Hintergrund erklären sich die zwei weiteren kon- gesetzt, wenn es um die Wertschätzung und Anerkennung Außendarstellung, Partizipations- und Kommunikationsstruk- zeptionellen Säulen des Projekts NÜRTİKULTİ: Partizipation von Individuen im Sinne des Diversity-Ansatzes geht. Der 3 Wagner, Petra: Gleichheit und Differenz im Kindergarten – eine lange turen, Personalmanagement etc. analysiert. Bottom-up be- Geschichte. In: Wagner, Petra (Hg.): Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als und Identität. Eine aktive Anerkennungskultur von Vielfalt Rahmen kann ein Sportverein, eine Schule, ein Unterneh- ginnt bei den einzelnen Individuen, im Fokus stehen hier Re- Chance – Grundlagen einer vorurteilsbewussten Erziehung. Freiburg im und Verschiedenheit mit dem Ziel der Inklusion bedarf einer men, eine Stadt oder die Gesellschaft sein. Er ist in der Regel Breisgau 2008. S. 11 ff 14 15
nicht neu zu schaffen und gibt Bedingungen vor, die eher mehr als sportliche Leistung anerkannt? Hat jeder seinen lang- als kurzfristig geändert werden können. Sportvereine Platz in der Schule? Gibt es eine gelebte Corporate Identity haben ihre eigenen Spielregeln, Schulen müssen sich an das im Unternehmen? Wer ist repräsentiert im Stadtbild? Schulgesetz halten, Unternehmen haben eine eigene Orga- Die Identitätsentwicklung einer Organisation steht im nisationskultur, Städte haben vielfältige Gesichter, Gesell- Spannungsfeld, einerseits mit gegebenen Bedingungen umgehen zu müssen und andererseits die Identitätsbil- Die Anerkennung von dung so dynamisch zu halten, dass sich jeder in der Rah- mung wieder findet und diese stetig verändert werden kann. Vielfalt und Verschiedenheit Dies gelingt am besten, wenn Prozesse der Identitätsbildung braucht Teilhabe und ein (Entwicklung von Leitbildern, Alltagskulturen und Umgangs- formen, Namensgebung, räumliche Gestaltungen, Feste, gemeinsam gestaltetes Haus Außenrepräsentation etc.) partizipativ angelegt sind. Die Entwicklung einer Corporate Identity, um die es letztendlich schaften funktionieren unterschiedlich. In unterschiedli- geht, bleibt jedoch ein Balanceakt: Sie sollte nicht zur chen Kontexten bewegen wir uns unterschiedlich, werden Zwangsjacke für den Einzelnen werden, aber dennoch ge- unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Meistens meinsame Identifikationspunkte schaffen, in der sich alle merken wir sehr schnell, ob es sich um einen eher ablehnen- wieder finden, eben Gleichheit in der Verschiedenheit. den, ausgrenzenden oder uns annehmenden, inkludieren- Die Anerkennung von Vielfalt und Verschiedenheit braucht den Kontext handelt. Hier spielt nicht zuletzt das Identi- Teilhabe und ein gemeinsam gestaltetes Haus. tätsangebot der Organisation eine Rolle. Wird im Sportverein fazit Angenommen, das gesamtpädagogische Personal der ein- leicht würde die Schule eine neue Begrüßungskultur einführen. gangs erwähnten Grundschule „Bunte Blumen“ hätte mehr- Vielleicht würde eine neue pädagogische Ausrichtung fach Diversity-Trainings absolviert, den Index für Inklusion folgen, vielleicht Ganztag, vielleicht auch nicht. Inklusion durchgearbeitet, ein Leitbild im Sinne von Diversity, Partizi- Vielleicht würden die Eltern darüber nachdenken, wie die pation und Inklusion entwickelt, eine Auszeichnung für das Elternvertretung die Schülerschaft besser repräsentieren könn- Ziele Vorgehen Maßnahmen Engagement für Vielfalt und Verschiedenheit erhalten und te. Vielleicht würde es Quotierungen geben, vielleicht auch ein- Diversity-Kriterien bei der Personalrekrutierung berücksich- fach nur mehr Kennenlernangebote. Vielleicht würden eine Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit Z.B. Diversity-Trainings, Wertschätzung von der eigenen Identität Nutzung des tigt: Würde sich der Schulalltag anders als oben beschrieben Lehrerin Frau Akgün und ein Erzieher Herr Özdemir heißen. Gemeinsamkeiten und und Normalitätsvorstel- vorhandenen Potentials, darstellen? Vielleicht. Vielleicht würde er wie alle anderen Angestellten der Unterschieden, Vielfalt lungen, Sensibilisierung Umgang mit Vielleicht hätte die Schule beschlossen, den Konsum Schule unhinterfragt gesiezt werden. Diversity als Potential begreifen und Einübung eines diskriminierendem von Schweinefleisch und gelatinehaltigen Produkten zu un- Vielleicht würden stärker verschiedene Unterschiedlich- und nutzen, aktiven Umgangs mit Verhalten, Maßnahmen Diversitätsbewusst-sein diskriminierendem zum Nachteilsausgleich, tersagen. Vielleicht hätte man sich aber auch darauf geeinigt, keiten in den Blick geraten – jenseits von Migrationshinter- und Diskriminierungs- Verhalten, aktives vielfaltsorientierte Per- darauf zu vertrauen, dass die Schüler/innen selbst einschät- grund, Religionszugehörigkeit oder Hautfarbe. Vielleicht würde kritik Gestalten von Vielfalt sonalentwicklung zen können, was sie essen und was nicht. Vielleicht würde es vermehrt über Milieus und die Schwierigkeit ihrer Überwin- in jeder Klasse zu Beginn eines neuen Schuljahres ein offenes dung, über Ost-West-Biografien oder die Altersstruktur gere- Teilhabemöglichkeiten Vermittlung und anbieten, Beteiligungs- Z.B. Beteiligungsverfah- Willkommensfrühstück geben. det werden. Vielleicht. Einübung demokrati- kultur aufbauen und ren und -strukturen Vielleicht würden die Lehrmaterialien und Unterrichts- Sicher wäre die Schule in Bewegung. Jeden Tag. Ohne scher Kompetenzen, pflegen, Einbeziehung etablieren: Diskussions- methoden systematisch darauf geprüft werden, ob sie Kli- Stillstand. Anstrengend und aufregend. Für den wertschätzen- Partizipation Sensibi- aller Akteure, Transpa- runden, Umfragen, Räte, scheebilder produzieren und Ausgrenzungsmechanismen den Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit und der Ab- lität für Ausgrenzungs- renz von Entscheidungs- Abstimmungen, Wahlen, mechanismen hierarchien, offene niedrigschwellige Betei- erzeugen. Vielleicht würde aber auch nur am konkreten Fall wehr von Ausgrenzung gibt es keine Kochrezepte mit Ein- Kommunikationsstruk- ligungsformen diskutiert werden – jedoch ohne die Angst haben zu müssen, kaufsliste. Es gibt Geschmacksrichtungen. Bevor gekocht wird, turen von anderen Kolleg/innen für eine Meinung oder Sensibilität muss die Geschmacksrichtung klar sein. Was am Ende auf Mögliche Identitäts- Z.B. Partizipative Leit- belächelt zu werden. Vielleicht könnte man auch ganz offen dem Tisch steht, kann sehr unterschiedlich sein. Die einen punkte ausmachen, bild- und Programment- über unterschiedliche Wahrnehmungen und Sensibilitäten hobeln das Gemüse lieber, die anderen raspeln es klein. Die Kollektive Identität Identität entwickeln und stärken verhandeln und anbie- wicklung, Namensfin- sprechen. einen salzen kräftig, die anderen setzen auf Schärfe. Wichtig ten, Zukunftsvisionen dung, Events, Symbolik, Vielleicht wäre die Schule barrierefrei. ist ein gemeinsames Verständnis, ein Konsens über die Leit- entwickeln Zukunftswerkstätten Vielleicht würde es weniger diskriminierende Schimpfworte un- ziele: Süß, sauer, salzig? Alles andere muss ausgehandelt und Inklusion und Fortlaufende Qualitätsmanagement, ter den Kindern geben. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wür- erprobt werden. Immer wieder. Immer wieder aufs Neue. Das = Gleichheit in der Organisationsentwick- externe Beratung, de man aber solche Äußerungen als Herausforderung und ist zuweilen anstrengend. Doch die Mühe lohnt, wenn am Verschiedenheit lung Coaching Chance wahrnehmen und sie nicht einfach geschehen lassen. Viel- Ende des Tages alle am gedeckten Tisch sitzen und es schmeckt. 16 17
das projekt NÜRTİKULTİ Die Idee Vielfalt gestaltet Grundschule Ein zentrales Anliegen des Projektes bestand darin, für die Wahrnehmung der Vielfalt von Identitäten und Identitätskonstruktionen und ihre Verbindungen Die Nürtingen-Grundschule mit den komplexen Realitäten der Gesellschaft und bestehenden Machtverhältnissen zu sensibilisieren. Die Grundschule ist der Sozialisations- und Integrationsort im lokalen Gemeinwesen, an dem dazu für Kinder, Eltern und Pädagog/innen Gelegenheit geschaffen und eine ent- sprechende Alltagskultur etabliert werden kann. 19
Das Modellprojekt NÜRTİKULTİ – Vielfalt gestaltet Grund- schule in Berlin Kreuzberg am Mariannenplatz. Der Kiez ver- konzepts des Senats von Berlin und menschenrechtlicher, frei- • Wie wird auf Diskriminierungsvorfälle reagiert? schule begann im März 2011 und wurde gefördert aus Mitteln ändert sich schnell und ist sozial gemischt. In der Wohngegend heitlicher und demokratischer Werte und Normen – den Islam • Wie sieht eine Schulkultur aus, in der sich jede/r Einzelne des Bundesmodellprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz findet man Singles und viele Familien mit verschiedenen Her- integrieren und Islamismus bekämpfen kann, wie weit Tole- wiederfindet und die niemanden ausgrenzt? stärken“ sowie durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Integrati- künften. Seit den 1970er Jahren leben hier Migrant/innen ranz gehen und wann sie gegen Intoleranz verteidigt werden Einige Antworten sowie den Diskussionsprozess rund um diese on und Frauen des Landes Berlin im Rahmen des Landespro- überwiegend aus der Türkei, viele aus Gastarbeiterfamilien muss, was Diskriminierung und was legitime Behauptung ei- Fragen stellt das Kapitel zur Bestandsanalyse dar. gramms „Demokratie. Vielfalt. Respekt. In Berlin.“ NÜRTİKULTİ mit alevitischem Hintergrund. Die erwachsene Bevölkerung gener Positionen ist, war noch mit viel Unsicherheit und dem überträgt die Erkenntnisse des Modellprojektes VIELFALT GE- ohne Migrationshintergrund ist größtenteils dem sozialökolo- Wunsch nach Orientierung und größerer Handlungssicherheit Projektverlauf STALTET (aus dem vorhergehenden Bundesmodellprogramm gischen und liberal-intellektuellen Milieu zuzurechnen. Die verbunden. Das Projekt NÜRTİKULTİ – VIELFALT GESTALTET Das Projektteam von NÜRTİKULTİ – VIELFALT GESTALTET VIELFALT TUT GUT) aus der Beratung und Begleitung von Ober- jüngere Generation gehört eher dem hedonistischen Milieu GRUNDSCHULE der Stiftung SPI zielte darauf, die Nürtingen- GRUNDSCHULE begleitete die Nürtingen-Grundschule und schulen und Einrichtungen zur Berufsvorbereitung in einem oder dem postmigrantischen Performermilieu an, das sich in Grundschule und das Schülerhaus Kotti e.V. in der Bearbei- das Schülerhaus Kotti e.V. drei Jahre lang. Entsprechend ori- Diversity-Prozess auf ein neues Konzept für ein Modell zur dem traditionsreichen Club SO36 und dem international tung dieser Fragen zu unterstützen und einen konstruktiven entierte sich die Konzeption von NÜRTİKULTİ an den drei langfristigen und intensiven Begleitung von Grundschulen. efolgreichen Theater „Ballhaus Naunynstraße“ trifft.6 In der Umgang mit Differenzen zu fördern. Projektjahren. In dem Vorgängerprojekt Vielfalt Gestaltet hatte sich ge- Schule kamen täglich 400 Kinder zusammen, ca. 200 von ih- zeigt, dass für die nachhaltige Verankerung eines Diversity- nen nahmen die ergänzende Nachmittagsbetreuung des Projektziel: Im ersten Jahr Prozesses in einer Einrichtung oder Schule eine Zeitspanne Schülerhauses Kotti e.V. in Anspruch. Die Kinder wurden von Eine vielfältige Schule für Alle • Hospitation im Schulalltag sowie Gespräche mit allen von einem knappen Jahr entschieden zu kurz angesetzt ist. ca. 30 Lehrerinnen und Lehrern und 18 Erzieher/innen alters- Lehrer/innen und Erzieher/innen sowie möglichst breite und Beteiligten Daher konzentrierte sich das auf drei Jahre angelegte Projekt gemischt unterrichtet und betreut, das heißt, die Klassen 1-3 repräsentative Teile der Schüler- und Elternschaft wurden in • Fortbildung von Pädagog/innen NÜRTİKULTİ – VIELFALT GESTALTET GRUNDSCHULE in dem einem längerfristigen Beratungsprozess qualifiziert und darin • Erarbeitung und Präsentation der Bestandsaufnahme gesamten Projektzeitraum auf eine Schule. Eine weitere Er- Ziel war es, Vielfalt als Ressource unterstützt, die Schule strukturell zu verändern. Ziel war es, (Entwicklungspotentiale, Ressourcen und vorhandene kenntnis aus dem Vorgängerprojekt war, dass für eine Bearbei- Vielfalt als Ressource wahrzunehmen und zu nutzen, Hand- Kompetenzen) tung von Vorurteilsmustern die Phase des Jugendalters, in der wahrzunehmen und zu nutzen, lungsspielräume zu schaffen und Diskriminierung abzubauen. • Handlungsempfehlungen für konkretes weiteres Vorgehen sich Schüler/innen von weiter führenden Schulen befinden, Handlungsspielräume zu schaffen Ein zentrales Anliegen des Projektes bestand darin, für die ein ziemlich später Zeitpunkt ist, da sich hier problematische Wahrnehmung der Vielfalt von Identitäten und Identitätskon- Im zweiten Jahr Stereotype und menschenfeindliche Einstellungen schon und Diskriminierung abzubauen. struktionen und ihre Verbindungen mit den komplexen Rea- • intensive Begleitung und Beratung einzelner Klassen und weitgehend verfestigt haben. Neuere Forschungsergebnisse litäten der Gesellschaft und bestehenden Machtverhältnissen pädagogischer Teams zeigen, dass Kinder bereits in den ersten Grundschuljahren und 4-6 lernen hier gemeinsam.7 Die soziale und ethnische zu sensibilisieren. Barrieren zu chancengleicher Teilhabe soll- • gemeinsame Erarbeitung von Konzepten mit Pädagog/innen Muster für politische Einstellungen ausprägen und „[v]or al- Zusammensetzung der Schüler/innen- und Elternschaft an ten abgebaut und Pädagog/innen, Eltern und Schüler/innen • Fortbildungsangebote für Eltern lem mit Blick auf intergruppale und gesellschaftsbezogene der Nürtingen-Grundschule bildet die sozialen Hintergründe dazu befähigt werden, sich im Sinne von Demokratie und Orientierungen ... von einer erheblichen Kontinuität zwischen des Chancen- und Konfliktpotenzials der pluralen Gesell- Menschenrechten aktiv an der Gestaltung des Schulalltags zu Kindheit und Jugendjahren auszugehen“ ist.4 Die erste ver- schaft der Einwanderungsstadt Berlin ab: etwa die Hälfte der beteiligen. bindliche öffentliche Bildungsinstitution ist die Grundschule, Schüler/innen kommt aus Familien mit nichtdeutscher Her- die bei den Programmen zur Extremismusprävention bislang kunftssprache (überwiegend mit Migrationshintergrund Tür- Zentrale Fragen eher vernachlässigt wurde. Die hier ansetzende Präventions- kei); die andere Hälfte sind deutsche Muttersprachler/innen, Eine Gegenüberstellung der Situation an der Nürtingen- arbeit ist aber besonders wichtig, weil Demokratie- sowie so- z. T. mit Migrationshintergrund (wie Afrodeutsche mit einem Grundschule und im Schülerhaus mit der Wahrnehmung der ziale Kompetenzen im Umgang mit Vielfalt und Verschieden- Vater nichtdeutscher Herkunft). Einige Kinder stammen aus Schulakteur/innen von dieser Situation sollte eine Einschät- heit durch Lernen erworben werden – möglichst früh und im bildungsorientierten Familien, die sich bewusst für die Nür- zung ermöglichen, welche Ressourcen und Veränderungs- Zusammenwirken von Eltern und pädagogischen Fachkräf- tingen-Grundschule und ihre Montessori-Pädagogik entschie- möglichkeiten bestehen. Um etwas über das Verhältnis zwi- ten. Die Grundschule ist der Sozialisations- und Integrations- den haben; fast zwei Drittel aller Erziehungsberechtigten schen den objektiven Gegebenheiten wie Sozialstruktur, ort im lokalen Gemeinwesen, an dem dazu für Kinder, Eltern waren im Schuljahr 2010/2011 (Projektbeginn) von der Lern- Lern- und Arbeitsbedingungen und den subjektiven Sichtwei- und Pädagog/innen Gelegenheit geschaffen und eine entspre- mittelzuzahlung befreit.8 sen der Pädagog/innen, Eltern und Kinder auf diese Bedin- chende Alltagskultur etabliert werden kann. Dafür müssen Unter diesen schulischen Akteur/innen war der Wunsch gungen zu erfahren, ließ sich NÜRTİKULTİ von folgenden Lehrer/innen, Erzieher/innen und Schulsozialarbeiter/innen, sehr verbreitet, nicht diskriminierend, sondern wertschät- Fragen leiten: Eltern und Schüler/innen in ihren Diversity-, Partizipations- zend, einbeziehend und konstruktiv mit der soziokulturellen • Wie sind die Schülerschaft und die pädagogischen Teams und Demokratiekompetenzen gestärkt werden, d. h. vor allem: Vielfalt umzugehen. Der Prozess zur Entwicklung eines reflek- zusammengesetzt? sich als Subjekte von Gestaltungsprozessen erleben. tierten Umgangs mit der realen Pluralität, zur Reflexion eige- • Welche Beteiligungsmöglichkeiten bestehen im Schulalltag Die Nürtingen-Grundschule eignete sich für einen sol- ner und anderer Identitäten, Normen und Wertvorstellungen, für Kinder, Eltern und Pädagog/innen? chen Prozess aus mehreren Gründen besonders gut: Sie ist Wahrnehmungs- und Deutungsmuster stand aber noch am • Wie stellen sich Schule und Schülerhaus beim Umgang mit eine Montessori-orientierte5 und offene Ganztags-Grund- Anfang. Die Frage etwa, wie man – im Sinne des Integrations- Vielfalt und Verschiedenheit aus Sicht aller Beteiligten dar? • Werden die unterschiedlichen Lebenswelten der Schüler/ 4 Noack, Peter /Gniewosz, Burkhard: Politische Sozialisation. S. 140. In: 6 Eine genauere Beschreibung der verschiedenen Milieus im Sozialraum Beelmann, Andreas .u.a. (Hg.): Diskriminierung und Toleranz: Psychologi- findet sich in der Bestandsanalyse ab S.30. innen im Unterricht berücksichtigt? sche Grundlagen und Anwendungsperspektiven. 2009. VS Verlag für 7 Die Zahlen beziehen sich auf den Projektbeginn im Jahr 2011. • Welche Konflikte ergeben sich vor Ort aus der Vielfalt und Sozialwissenschaften Inzwischen haben sie sich durch den Standortentwicklungsprozess mit der 5 Das pädagogische Konzept der Schule orientiert sich an den Grundsätzen, benachbarten e.o.plauen-Grundschule verändert. Verschiedenheit? die die Reformpädagogin Maria Montessori Anfang des 20. Jahrhunderts 8 Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft: Bericht zur • Wo zeichnen sich Ausgrenzungsmechanismen ab? entwickelte. Der Kernsatz lautet: „Hilf mir, es selbst zu tun“. Mehr dazu auf S. 32 Inspektion der Nürtingen Grundschule 02G18, März 2012, S. 17. 20 21
Die umsetzung Die drei Logos Schülerhaus Kotti e.V., Nürtingen-Grundschule und Ostkreuz standen als Ausgangsmaterial, das nach Integration in ein neues Ganzes verlangte, zur Verfügung. Enstanden ist eine Synthese: NÜRTİKULTİ. Die Lenkungsrunde Im dritten Jahr • Unterstützung bei der Umsetzung der konkreten Empfeh- Grundschule und Schülerhaus Kotti mit NÜRTİKULTİ als Pro- lungen jekt des Mobilen Beratungsteams »Ostkreuz« der Stiftung SPI • Festigung und Verankerung der erzielten Ergebnisse im Arbeitsbereich „Vielfalt, Partizipation und Inklusion“ zum • Abschlussdokumentation und Fazit Ausdruck bringen. Diese drei Logos standen als Ausgangsma- terial, das nach Integration in ein neues Ganzes verlangte, zur Im wesentlichen konnte der Projektverlauf wie geplant einge- Verfügung. halten werden, wenn auch teilweise mit zeitlichen Verzöge- rungen aufgrund von Anpassungen an den Schuljahresablauf. Eine gemeinsame Identität wird durch das Dach symbolisiert, Die Lenkungsrunde war das zentrale Steuerungselement Um im Projektverlauf angemessen auf den Bedarf der Schule unter dem sich alle wiederfinden können und ist dem Logo des zu reagieren, wurden an manchen Stellen außerdem die Ge- Schülerhauses entnommen. Der Vielfalt der an dem Projekt des Projektes. Sie war ein Gremium mit einem festen Teil- wichtungen verändert. Durch die Implementierung einer sich beteiligten Menschen, die in der Nürtingen-Grundschule und nehmerkreis bestehend aus Schulleitung, Schülerhauslei- zweiwöchentlich treffenden Lenkungsrunde in der Schule so- dem Schülerhaus zusammen kommen, entsprechen die ver- wie ein begleitendes Teamcoaching des Projektes konnte die schiedenen Farben der einzelnen Felder. Die Unterteilung in tung, zwei Lehrkräften, zwei Erzieher/innen, Schulsozialar- Kommunikation mit der Schule und Reflexion der Projektar- einzelne Felder findet sich ebenfalls im »Ostkreuz«-Logo und beiter und dem Team NÜRTİKULTİ. beit kontinuierlich gewährleistet werden. kann auch in Analogie zu den verschiedenen Räumen, die die Schule und das Schülerhaus ihren Besucher/innen anbieten, Das Projektlogo: gelesen werden. Die Schnecke ist dem Logo der Nürtingen- Aus 3 mach 1! Grundschule entlehnt, das wiederum durch den Ammoniten Das Logo sollte nicht nur die Idee veranschaulichen, das heißt auf die partnerschaftliche Verbindung mit dem damaligen im Falle von NÜRTİKULTİ die drei konzeptionellen Säulen Landkreis Nürtingen verweist. Inwiefern sich die dritte Pro- Vielfalt, Partizipation und Identität verbinden. Es sollte auch jektsäule, Partizipation, im Projektnamen „NÜRTİKULTİ“ ver- noch die Zusammenarbeit der Projektbeteiligten Nürtingen- steckt, steht im nächsten Kapitel. 22 23
Im Folgenden stellen wir die Projektphasen und die Projekt- • eine Fortbildung für Eltern und Pädagog/innen zum Thema Bandbreite der Beratungen anzudeuten: praxis vor. Aufgrund des zeitlichen und quantitativen Um- „Sprachliche Vielfalt im Klassenzimmer“, • Beratung zu Genderfragen aufgrund einer sehr ungleichen fangs des Projekts liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf • Moderation eines Workshops zur Leitbildentwicklung der Verteilung in einer Klasse. den Phasen der Bestandsanalyse und des Co-Teachings. Alle Schule, • Beratung zum Türkischunterricht aufgrund von Unzufrie- weiteren Tätigkeiten und Projektfelder werden an dieser Stel- • zwei Fortbildungen über den Aufbau und die Besonder- denheiten seitens der Eltern mit der fachlich-inhaltlichen le nur kurz angerissen. Eine ausführliche Darstellung findet heiten der türkischen Sprache, Ausrichtung des Unterrichts durch das Konsulat. sich ergänzend auf unserer Website unter folgendem Link: • ein Projekt angeleitet durch eine Theaterpädagogin für Kin- • Beratung von Eltern, die sich nicht ausreichend repräsen- http://mbt-ostkreuz.de/ostkreuz/nuertikulti/ der basierend auf dem Kinderbuch „Das Vier-Farben-Land“ tiert fühlten im Schulalltag. • kollegiale Fallberatungen zum Thema „Vielfalt im Klassen- • Beratung von künstlerischen Projekten an der Schule. Das Projekt begann mit dem Arbeitstitel „Vielfalt gestaltet zimmer“, • Beratung zum Umgang mit dem Film „Tom Sawyer“, den Grundschule“. Auf einen Projektnamen wurde seitens des Trä- • zweisprachige Fortbildung für Eltern mit türkischem Mig- einige Klassen im Kino anschauen wollten. Aufgrund von gers zunächst bewusst verzichtet, um den Schulakteuren die rationshintergrund über das Berliner Schulsystem, Elternprotesten wurde der Kinobesuch wegen rassisti- Chance zu geben, einen Projektnamen für ihr Projekt zu finden. • Einführung und Vorstellung des Interkulturellen Kalenders, scher Implikationen im Film abgesagt. Eltern und Pädagog/innen wurden aufgerufen, einen Na- • Begleitung von Teamtagen des Schülerhauses anlässlich • Beratung zum Umgang mit Konflikten unter Kindern mit men vorzuschlagen. Die Vorschläge und die Projektidee wur- des Umzugs und anstehender Kooperationen mit der Hilfe aktivierender Elternarbeit. den vom Projektteam und seinem Maskottchen in allen Klas- Nachbarschule, • Beratung zu langfristigen Strategien bei der Gestaltung ei- sen vorgestellt und mit einer Namenswahl verbunden. Am • Reflexionsrunde zum Co-Teaching mit allen beteiligten ner inklusiven Schule, um von anlassbezogenen reaktiven Ende hatte sich beinahe die Hälfte aller Schüler/innen für den Akteuren Maßnahmen wegzukommen und eine kontinuierliche prä- Namen NÜRTİKULTİ entschieden. Dieses partizipative Vorge- • usw. ventive Ausrichtung zu stärken. hen kann im Nachhinein als sehr erfolgreich bewertet werden. Einem Großteil der Kinder war das Projekt durch die Präsenta- Im Projektverlauf wurden immer wieder Beratungsanfragen Diese Wandplakate der Schüler/innen entstanden im Rahmen tion und unmittelbare Beteiligung auch später noch in bleiben- an das Team gestellt. Anlass waren meist konkrete Herausfor- eines Kunstprojekts mit dem Raum X-Team und Garfikinsel- der Erinnerung geblieben. derungen oder Probleme im Schul- und Hortalltag. Team. In den folgenden Kapiteln stellen wir die Ergebnisse der Exemplarisch seien die folgenden Beratungen erwähnt, um die Bestandsanalyse und des Co-Teachings ausführlich dar. Zu Beginn des Projekts stand eine intensive Kennenlernphase Im Rahmen einer projektbezogenen Sozialraumanalyse für an, um einerseits die Funktionsweise der beiden Organisati- die Schule wurden verschiedene Akteure des Sozialraums auf- onssysteme Schule und Schülerhaus zu erfassen, und anderer- gesucht (Quartiersmanagement, Campus Marianne u.a.) und seits auch ein Gespür für die Kultur, die Praktiken und die Men- Kontakte geknüpft. Die Sozialraumanalyse wurde unter be- schen in diesem System zu bekommen. Daneben diente diese sonderer Berücksichtigung Diversityrelevanter Aspekte er- Phase auch der Vertrauensbildung, um eine Grundlage für die stellt und dem Kollegium und Erzieher/innen-Team durch das weiteren Beratungstätigkeiten des Projekts herzustellen. Es Projekt vorgestellt. wurden alle wichtigen Gremien und Einrichtungen in der Schule und im Schülerhaus besucht, um diese kennenzulernen Um zu gewährleisten, dass alle Schulakteure eine Idee vom und das Projekt vorzustellen, darüber hinaus wurden erste in- Diversity-Konzept haben, wurden zunächst für die Mitarbei- tensive Gespräche mit den wichtigen Akteuren der Schule ge- ter/innen der Schule ein zweitägiges Diversity-Training und führt und eine Lenkungsrunde installiert. später auch für die Eltern sowie die Bibliothekare, die Lesepat/ Die Lenkungsrunde war das zentrale Steuerungsele- innen und Stadtteilmütter ein Diversity-Training durchgeführt. ment des Projektes. Sie war ein Gremium mit einem festen Teil- In der Phase der Bestandsaufnahme hat das Projekt nehmerkreis bestehend aus Schulleitung, Schülerhausleitung, NÜRTİKULTİ in mehreren Klassen hospitiert, Schulmaterialien zwei Lehrkräften, zwei Erzieher/innen, Schulsozialarbeiter ausgewertet und leitfadengestützte Interviews mit verschiede- und dem Team NÜRTİKULTİ. nen Schulakteuren durchgeführt. Auf dieser Grundlage wurde Das Gremium traf sich alle zwei Wochen in der Schule, eine umfangreiche Bestandsanalyse fertiggestellt, in der die um insbesondere organisatorische und strategische Schritte verschiedenen Perspektiven der Akteure gegenübergestellt wur- zusammen zu planen. den (siehe auch Kapitel zur Bestandsanalyse). An die Vorstel- In der ersten Phase wurden feste Projekt-Sprechstunden lung der Bestandsanalyse schloss sich die Entwicklung eines angeboten. Darüber hinaus wurden regelmäßig Angebote wie Maßnahmenkatalogs an. das wöchentliche Eltern- und das Müttercafé und das Jour Fixe Im Rahmen des Projekts wurde eine Reihe von Veran- (Treffen von Schulleitung und Elternvertreter/innen) sowie der staltungen und Fortbildungen organisiert und durchgeführt, Elternstammtisch vom Projekt aufgesucht. zum Beispiel: An den Sommerfesten der Schule beteiligte sich das • ein Teamtag im Schülerhaus zur vorurteilsbewussten Erzie- Projekt mit eigenen Ständen und dem Angebot für die Kinder, hung mit ausgebildeten Anti-Bias-Trainern, NÜRTİKULTİ-Buttons zu erstellen und sich von einer profes- • zwei Dialogveranstaltungen im Rahmen der Tage des Ber- sionellen Fotografin porträtieren zu lassen. liner Interkulturellen Dialogs, 24 25
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