Vorsicht, Verwundung! Reizweiter lei- tung mit mechanosensitiven Proteinen

Die Seite wird erstellt Hortensia Dörr
 
WEITER LESEN
Vorsicht, Verwundung! Reizweiter lei- tung mit mechanosensitiven Proteinen
601

Pflanzliche Wundsignalübertragung

Vorsicht, Verwundung! Reizweiterlei-
tung mit mechanosensitiven Proteinen
                                                                                            ren. Dadurch wird die Nahrungsaufnahme
MICHAEL M. WUDICK                                                                           und das Wachstum der Raupen beeinträch-
INSTITUT FÜR MOLEKULARE PHYSIOLOGIE, UNIVERSITÄT DÜSSELDORF                                 tigt und die Pflanze als Nahrungsquelle
                                                                                            unattraktiver [3]. Damit diese Abwehrstoffe
Being sessile, plants are exposed to adverse stresses, including                            nicht nur im verwundeten Blatt, sondern in
wounding by insects. Albeit lacking experimental evidence, one                              der ganzen Pflanze hergestellt werden, sen-
hypothesis predicted involvement of hydro-electric signals in wound                         det die Pflanze Signale bis in unverwundete
                                                                                            Gewebeteile. Diese wundinduzierte Signal-
signaling. Now, we could show that the mechanosensitive anion
                                                                                            weiterleitung kann dabei auf unterschied-
channel MSL10 is necessary for wound-induced long-distance signal-                          liche Weise erfolgen.
ing in plants. By linking mechano-sensing, ion fluxes, membrane depo-
larization and electrical signal propagation, MSL10 might integrate                         Signalweiterleitung in Pflanzen:
hydraulic and electric wound signals.                                                       elektrisch, chemisch oder
                                                                                            hydraulisch?
DOI: 10.1007/s12268-021-1658-5
                                                                                            Die Ausbreitung des Wundsignals erfolgt
© Der Autor 2021
                                                                                            über das Leitgewebe der Pflanze, das den
                                                                                            Transport von Wasser und darin gelöster
                                                                                            Nährstoffe ermöglicht. Die Weiterleitung
ó Pflanzen sind im Laufe ihres Lebens-         gasförmigen Methyljasmonats kann es über     kann in Form elektrischer, chemischer oder
zyklus einer Vielzahl äußerer Faktoren aus-    Spaltöffnungen im Blatt ausströmen und       hydraulischer Signale erfolgen, oder einer
gesetzt, wie Klimaschwankungen oder dem        Nachbarpflanzen vor anstehendem Befall        Kombination daraus. Die Blätter der Modell-
Befall von Insekten und Schädlingen. Schät-    durch Fressfeinde „warnen“ [2]. Zudem kann   pflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmal-
zungsweise gehen weltweit jährlich bis zu      Jasmonsäure die Produktion von toxischen     wand) wachsen in Rosettenform und sind
20 Prozent der Ernteerträge durch Schäd-       Substanzen veranlassen. Wenn Pflanzen bei-    durch ihr sequenzielles Wachstum von „alt“
lingsbefall verloren [1]. Ein besseres Ver-    spielsweise von Raupen angefressen werden,   nach „jung“ klassifizierbar (Abb. 1). Zudem
ständnis über pflanzliche Abwehrstrategien      produzieren sie bestimmte Hemmstoffe, die    kann man anhand der Blattstellung identi-
gegen Insektenfraß ist deshalb nicht nur aus   die Verdauungsenzyme der Raupen blockie-     fizieren, welche Blätter über dasselbe Leit-
ökonomischer Sicht, sondern auch mit Blick
auf eine gesicherte Lebensmittelversorgung
hoch relevant.                                   ˘ Abb. 1: Die Blätter
                                                 der Ackerschmal-
Pflanzliche Abwehrstrategien: vom                 wand wachsen spiral-
                                                 förmig und lassen
mechanischen Schutzschild bis zur
                                                 sich entsprechend
„chemischen Keule“                               des Zeitpunkts ihres
Zur Abwehr von Fressfeinden wie Insekten         Erscheinens von alt
haben Pflanzen verschiedene Strategien ent-       (Blatt 1) nach jung
                                                 (Blatt 20) klassi-
wickelt. Als erster Schutz dienen oft äußere
                                                 fizieren. Lokale Ver-
Barrieren, z. B. in Form von Borke, Stacheln     wundung, z. B. durch
oder wachsbeschichteten Blättern. Wird die-      Raupen (Blatt 8), initi-
se Barriere durchbrochen, kann die Pflanze        iert elektrische, che-
durch gezielte Hemmstoffproduktion verhin-       mische und hydrauli-
                                                 sche Signale, die sich
dern, dass Schädlinge sich auf andere Pflan-
                                                 in entfernte Pflanzen-
zenteile oder Nachbarpflanzen ausbreiten.         teile (Blatt 13) aus-
Verwundung führt zur Produktion des              breiten (Pfeile).
pflanzlichen Hormons Jasmonsäure, das die
Freisetzung von Abwehrstoffen und somit
die Immunabwehr der Pflanze ankurbelt.
Jasmonsäure kann dabei in verschiedenen
chemischen Varianten auftreten. In Form des

BIOspektrum | 06.21 | 27. Jahrgang
Vorsicht, Verwundung! Reizweiter lei- tung mit mechanosensitiven Proteinen
602     W I S S EN S CH AFT

 A                                        B                                       C                                  D

  ˚ Abb. 2: Visualisierung wundinduzierter Calciumsignale durch den fluoreszierenden Calciumsensor MCaMP6s. Mechanische Blattverwundung
  (A, Pfeil) simuliert Insektenfraß und führt zum lokalen Anstieg der Calciumkonzentration [Ca2+] im Leitgewebe (B). Das Signal gelangt dann in
  benachbarte, über gemeinsame Leitgewebe verbundene Blätter (C), bevor es sich auf die restliche Pflanze ausbreitet (D). © Bild: C. Sies, HHU.

                                                                                                        Pflanzenteilen ein Unterdruck. Mechanis-
                                                                                                        tische Modelle nahmen an, dass die Verwun-
                                                                                                        dung des Leitgewebes zu einem rapiden
                                                                                                        Druckanstieg in den Leitgewebezellen führt.
                                                                                                        Die sich ausbreitende Druckdifferenz könnte
                                                                                                        von mechanosensitiven Proteinen erfasst
                                                                                                        und in elektrische Signale umgewandelt wer-
                                                                                                        den. Daran beteiligte Proteine waren bislang
                                                                                                        jedoch unbekannt.

                                                                                                        Das mechanosensitive Protein MSL10
                                                                                                        ist essenziell bei der
                                                                                                        Wundsignalübertragung
                                                                                                        Elektrische Signale lassen sich in Blättern als
                                                                                                        Oberflächenpotenziale – die surface oder slow
                                                                                                        wave potentials (SWPs) – detektieren. Die
                                                                                                        Messung von SWPs erfolgt mithilfe von Elek-
                                                                                                        troden, die auf Blattstielen von verwundeten
  ˚ Abb. 3: Repräsentative Spannungskurven von Kontrollpflanzen (grau) und msl10-Mutanten
  (grün). Im abgebildeten Beispiel sind sowohl die Dauer (in Sekunden, s) als auch die Amplitude        und unversehrten Blättern platziert werden
  (in Millivolt, mV) des elektrischen Signals in der msl10-Mutante verändert, was z. B. zu einer ver-   und die gesamte elektrische Aktivität des
  minderten Produktion von Abwehrstoffen führen kann.                                                   darunterliegenden Gewebes erfassen. Basie-
                                                                                                        rend auf diesen Informationen haben wir ein
                                                                                                        Messverfahren optimiert, bei dem nach
gewebe zum direkten Signalaustausch befä-             und führt zur Glutamat-abhängigen Aus-            mechanischer Verwundung von Blatt 8 das
higt sind. Durch den Fressfeind oder die              breitung des Ca2+-Signals [5, 6].                 dabei generierte elektrische Wundsignal in
Verwundung freigesetzte Botenstoffe kön-                                                                Blatt 13 gemessen wird (Abb. 1). Kontroll-
nen an spezielle Rezeptoren im Leitgewebe             Visualisierung wundinduzierter                    pflanzen sind durch SWPs mit charakteris-
binden. Einige dieser Rezeptoren fungieren            Signalmoleküle                                    tischer Dauer und Amplitude gekennzeich-
als Kanäle, die den Transport von Ionen               Genetisch codierte, fluoreszenzbasierte Sen-       net (Abb. 3, [6, 7]). Anhand systematischer
über biologische Membranen ermöglichen.               soren für Glutamat und Ca2+-Ionen erlauben        Screens von Mutanten, denen bestimmte
Ionenkanäle können das chemische Wund-                es, die Entstehung und Ausbreitung des            Gene fehlten, entdeckten wir, dass Pflanzen
signal in ein elektrisches Signal umwan-              Wundsignals in Echtzeit quantitativ zu ana-       ohne den mechanosensitiven Anionenkanal
deln, verstärken und an Nachbarzellen                 lysieren (Abb. 2). Vorangegangene Experi-         MSL10 signifikant verkürzte SWPs aufwie-
übermitteln. Glutamat ist eines der am bes-           mente zeigten, dass bestimmte GLRs essen-         sen [10]. Zudem kam es in diesen Pflanzen
ten erforschten wundinduzierten Signalmo-             ziell für die Ausbreitung wundinduzierter         zu einer Verringerung des wundinduzierten
leküle. Ähnlich wie im menschlichen                   Ca2+- und elektrischer Signale über das Leit-     Ca2+-Signals und einer verminderten Produk-
Gehirn, wo Glutamat als Neurotransmitter              gewebe sind [7]. Über die Bedeutung des           tion von Abwehrstoffen [10]. Die Ausbrei-
die neuronale Zell-Zell-Kommunikation                 Leitgewebes für die Ausbreitung eines             tung des Botenstoffs Glutamat war hingegen
ermöglicht, verfügt das Leitgewebe von                hydraulischen Wundsignals und die Kopp-           nicht beeinträchtigt. Da das gleichzeitige
Pflanzen über Glutamatrezeptoren (GLRs),               lung hydroelektrischer Signale wurde lange        Entfernen der ebenfalls zur Wundsignalüber-
an die der Botenstoff binden kann [4]. Die            spekuliert [8, 9]. Im Leitgewebe herrscht         tragung benötigten GLRs zu keiner weiteren
Interaktion mit Glutamat erhöht die                   durch den kontinuierlichen Transpirations-        Veränderung des SWPs führte, ist unsere
Calcium(Ca2+)-Transportaktivität der GLRs             sog zwischen der Wurzel und oberirdischen         Hypothese, dass entweder zwei parallele Sig-

                                                                                                          BIOspektrum | 06.21 | 27. Jahrgang
Vorsicht, Verwundung! Reizweiter lei- tung mit mechanosensitiven Proteinen
nalwege existieren oder dass sich MSL10         nummer 267205415 – SFB 1208 gefördert
und die GLRs in einem gemeinsamen Sig-          und ich danke allen daran Beteiligten! ó
nalweg gegenseitig regulieren können
[10].                                           Literatur
                                                [1] Deutsch CA, Tewksbury JJ, Tigchelaar M et al. (2018)
                                                Increase in crop losses to insect pests in a warming cli-
Glutamat als Wundsignal oder                    mate. Science 361: 916–919
Nährstoff: Wie unterscheidet die                [2] Farmer EE, Ryan CA (1990) Interplant communica-
                                                tion: airborne methyl jasmonate induces synthesis of pro-
Pflanze?                                         teinase inhibitors in plant leaves. Proc Natl Acad Sci USA
Anders als im tierischen System fungiert        87: 7713–7716
                                                [3] Green TR, Ryan CA (1972) Wound-induced protein-
Glutamat in Pflanzen nicht nur als Boten-        ase inhibitor in plant leaves: a possible defense mecha-
stoff, sondern auch als Metabolit, dessen       nism against insects. Science 175: 776–777
                                                [4] Alfieri A, Doccula FG, Pederzoli R et al. (2020) The
Konzentration ständigen Schwankungen            structural bases for agonist diversity in an Arabidopsis
unterliegt. Um zwischen metabolischen           thaliana glutamate receptor-like channel. Proc Natl Acad
                                                Sci USA 117: 752–760
Schwankungen und verwundungsbeding-             [5] Wudick MM, Portes MT, Michard E et al. (2018)
tem Anstieg der Glutamatkonzentration           CORNICHON sorting and regulation of GLR channels
                                                underlie pollen tube Ca2+ homeostasis. Science 360:
zu unterscheiden, bedarf es eventuell           533–536
einer weiteren Stellschraube. Diese Funk-       [6] Toyota M, Spencer D, Sawai-Toyota S et al. (2018)
                                                Glutamate triggers long-distance, calcium-based plant
tion übernimmt möglicherweise MSL10.            defense signaling. Science 361: 1112–1115
In unserem Modell führt wundinduzierter         [7] Mousavi SAR, Chauvin A, Pascaud F et al. (2013)
                                                GLUTAMATE RECEPTOR-LIKE genes mediate leaf-to-leaf
Druckabfall im Blatt-Leitgewebe zur             wound signalling. Nature 500: 422–426
MSL10-Aktivierung und dem Transport             [8] Malone M (1996) Rapid, long-distance signal trans-
                                                mission in higher plants. Adv Bot Res 22: 163–228
von Anionen über die Zellmembran. Die           [9] Farmer EE, Gasperini D, Acosta IF (2014) The
so hervorgerufene Membrandepolarisie-           squeeze cell hypothesis for the activation of jasmonate
                                                synthesis in response to wounding. New Phytol 204:
rung könnte der Pflanze helfen, den             282–288
gleichzeitigen Anstieg der Glutamatkon-         [10] Moe-Lange J, Gappel NM, Machado M et al. (2021)
                                                Interdependence of a mechanosensitive anion channel
zentration als Wundsignal zu erkennen           and glutamate receptors in distal wound signaling. Sci
und GLR-vermittelte Abwehrreaktionen            Adv 7: eabg4298
                                                [11] Hansen KB, Yi F, Perszyk RE et al. (2018) Structure,
einzuleiten (z. B. durch Jasmonsäure-Pro-       function, and allosteric modulation of NMDA receptors. J
duktion). In der Tat existiert eine ähnliche    Gen Physiol 150: 1081–1105

Form der simultanen Ko-Aktivierung bei
                                                Funding note: Open Access funding enabled and organized by Projekt
einigen tierischen Glutamatrezeptoren,          DEAL.
                                                Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons
bei denen die Interaktion der Rezeptoren        Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die
                                                Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in
mit Glutamat nur bei gleichzeitiger Mem-        jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen
                                                Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative
brandepolarisierung zu einer Signalwei-         Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen
                                                wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges
terleitung führt [11]. Indem wir die an der     Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons
                                                Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt.
pflanzlichen Wundsignalweiterleitung            Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative
                                                Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach
beteiligten Prozesse und Komponenten            gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten
                                                Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen
besser verstehen, können wir den Pflan-          Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte
                                                der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
zen möglicherweise helfen, Bedrohungen          deed.de.

schneller zu erkennen und abzuwehren.
Zukünftig kann so eventuell Ernteausfäl-
len durch Schädlingsbefall gezielter ent-       Korrespondenzadresse:
gegengewirkt werden.                            Dr. Michael M. Wudick
                                                Institut für molekulare Physiologie
                                                Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Danksagung
                                                Universitätsstraße 1
Dieses Projekt wurde durch die Deutsche         D-40225 Düsseldorf
Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projekt-         wudick@hhu.de

  AUTOR
                  Michael M. Wudick
                  2001–2006 Biochemiestudium an der Universität Potsdam. 2007–2010 Pro-
                  motion am INRA/SupAgro/CNRS/Université de Montpellier 2, Montpellier,
                  Frankreich. 2011–2014 Postdoc am Instituto Gulbenkian de Ciência (IGC),
                  Oeiras, Portugal. 2014–2019 Research Associate an der University of Mary-
                  land, College Park, USA. Seit 2019 Akademischer Rat und Gruppenleiter am
                  Institut für molekulare Physiologie der Universität Düsseldorf.

BIOspektrum | 06.21 | 27. Jahrgang
Sie können auch lesen