Groteske Köpfe nach Leonardo da Vinci - Kim H. Veltman
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Kim H. Veltman Groteske Köpfe nach Leonardo da Vinci Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. Bild als Waffe, eds. G. Langemeyer, G. Unverfehrt, H. Guratzsch und C. Stölzl. (München: Prestel-Verlag, 1985), pp.37-38. Kat. Blatt 13 Oberitalienisch, 3. Viertel 17. Jahrhundert Groteske Köpfe nach Leonardo da Vinci Feder in Braun, laviert, 209 x 306, 115 x 89 (oben rechts), 93 x 87 (unten rechts), mit Feder beschriftet Leonardo da Vinci. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Berlin. Bei Leonardo da Vincis grotesken Köpfen handelt es sich wohl weniger um Karikaturen im üblichen Sinn, die von Porträts bekannter Personen ausgehen, sondern eher um Studien über die Vielfalt des menschlichen Charakters und Ausdrucks. Einige Figuren entstammen dem alltäglichen Leben,1 andere medizinischen Studien,2 wieder andere gehen auf römische Münzen zurück.3 Altere Männer und Frauen in verärgerter Stimmung, böse oder auch lachend, werden bevorzugt. Aus Quellen des 16. Jahrhunderts sind wir über physiognomische Beobachtungen Leonardos unterrichtet. Vasari teilt mit, wie erfreut Leonardo war, wenn er merkwürdige Köpfe sah, stark behaart oder bärtig, und wie er jedem, der seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte, den ganzen Tag gefolgt sei.4 Lomazzo erzählt, daß Leonardo Bauern in sein Haus einlud, ihnen Witze erzählte und dann ihre lachenden Gesichter festhielt!5 Im Mittelalter gab es Spiele mit abstrakten geometrischen Formen (de ludo geometrico). Leonardo entwickelt daraus eine dreidimensionale Umsetzung von Formen, Figuren und Gesichtern. Darüber hinaus schlägt er vor, aus Teilen wirklicher Tiere neue, fiktive Gestalten zu kreieren. Gelegentlich verbindet er auch tierische und menschliche Körperteile. 1
Viele von Leonardos grotesken Köpfen sind klein, nur ein bis zehn cm hoch, und sie waren im Codex Atlanticus mitten zwischen technische Angaben zur Mechanik eingerückt. Eine Anzahl davon zog die Aufmerksamkeit Pompeo Leonis auf sich, der sie ausschnitt und sie als Fragmente der heutigen Sammlung in Schloß Windsor zufügte.6 Einzelne und besonders interessante Beispiele wurden paarweise und einander zugewandt gruppiert.7 Schüler Leonardos, wie beispielsweise Francesco Melzi, legten Blätter mit zwei Paaren oder einer Serie solcher Figuren an.8 Ein Blatt in der Ambrosiana in Mailand enthält 16 Figuren. Im 16. und 17. Jahrhundert bildeten sich zwei Traditionen heraus: eine, die die Figuren als einzelne Studien veröffentlichte (vgl. Kat. 14), und eine zweite, die mehrere groteske Köpfe nebeneinander auf einem Blatt versammelte (Abb. 22). Dieser zweiten Tradition gehört die ausgestellte Zeichnung eines oberitalienischen Künstlers nach der Mitte des 17. Jahrhunderts an (vom gleichen Zeichner auch Kat. 6, 7). Sie enthält drei nach links gerichtete Figuren und acht einander zugewandte Paare, fast ausschließlich ältere Männer und Frauen, verstimmt oder böse; nur eine Figur scheint ausgesprochen fröhlich (untere Reihe, 2. v.l.). Manche der Figuren sind auch aus anderen Sammlungen bekannt.9 Die verbleibenden Figuren haben in den großen europäischen Sammlungen von LeonardoZeichnungen kein Vorbild. Diese Feststellung zeigt die Komplexität der Verbreitung von Leonardos grotesken Köpfen. Der oberitalienische Meister des vorliegenden Blattes, aber auch Wenzel Hollar (Kat. 14) oder der Comte de Caylus10 hatten zu verschiedenen Sammlungen oder unterschiedlichen Kombinationen gezeichneter Groteskköpfe Zugang. K. H. V. Lit.: Unveröffentlicht. Abb.22 Nach Leonardo da Vinci, Groteske Köpfe. 2
Kat. Blatt 14. Wenzel Hollar (1607-1677) Groteske Köpfe nach Leonardo da Vinci, 1660/65 6 Radierungen, je 65-68 x 46-50. KunstSammlung der Universität Göttingen Das Blatt zeigt sechs zwischen 1660 und 1666 datierende Figuren, von denen eine auf F. Place zurückgeht (unten rechts) und fünf auf Leonardo. Von diesen ist die bösartige Frau (Mitte links auch von anderen Kopien bekannt (z. B. aus dem Blatt in der Akademie in Wien und de Caylus Nr. 22). Der verärgerte Mann (oben links) steht einem Fragment in Windsor Castle nahe1 (1Abb. 23). Die verbleibenden drei Figuren haben k. direkten EntSprechungen in den Sammlunge. Mailand, Venedig, Windsor, Caylus oder Duke of Devonshire. K. H. V. 1. W 12475 r. Vgl. Kat. 13, Anm. I. Lit.: G. Parthey, Wenzel Hollar. Beschreibendes \ zeichnis seiner Kupferstiebe, Berlin 1853, S. 358ff. 3
Kat. Blatt 15 William Hogarth (1697-1764) 3 Characters 4 Caricaturas, 1743 Radierung, 230 x 206, signiert W. Hogarth Fecit 1743. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Notes 1 Vgl. K. Clark, The Drawings of Leonardo da Vinci at Windsor Castle, London 1968, Nr. 12489 r (hiernach zitiert als W). 2 Vgl. W 12494 und 19012 v. 3 3 Vgl. W 12489 rund 12328 v sowie Gombrich 1976, S. 57ff. 4 Giorgio Vasari, Lives of Painters, Sculptors and Architects, Bd. 2, London 1963, S. 160. 5 G. P. Lomazzo, Trattato dell'arte della pittura, Mailand I 584, S. 106f. Vgl. auch C. Pedretti, The Literary Works of Leonardo da Vinci. Commentary, Bd. 2, London t977, S. 259. 6 W 12432 bis 12488, vgl. C. Pedretti, Fragments at Windsor Castle from the Codex Atlanticus, London 1957. 7 Vgl. W 12490. 6
8 Vgl. W 12493, 12491. 9 Fig. I auch in der Ambrosiana, Mailand, der Academia, Venedig, und bei Caylus, Nr. 12 und 13; Fig. 5 in der Ambrosiana; Fig. 6 in der Ambrosiana und auf W 12491; Fig. 8 und 17 in der Accademia und bei Caylus, Nr. 12 und 13; bei Caylus ferner Versionen von Fig. 7 (Nr. 5), (Nr. 36), 10 (Nr. 35), 11 (Nr. 17), 12 (Nr. 18), 14 (Nr. 4) und 16 (Nr. 6). Die Zählung der Köpfe von oben links nach unten rechts. 10 M. Le Comte de Caylus, Recueil de testes de charactères & de charges, Paris 1730 7
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