Wertschöpfungseffekte des tourismusbedingten Nachfrageausfalls für Tirol im Zuge der Corona-Pandemie
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Wertschöpfungseffekte des tourismusbedingten Nachfrageausfalls für Tirol im Zuge der Corona-Pandemie Tirol erzielte im Jahr 2019 eine Bruttowertschöpfung von rund € 32 Milliarden. Davon entfielen ca. € 4,9 Milliarden auf den Sektor Beherbergung/Gastronomie (das sind rund 15% der Gesamtwertschöpfung). Zählt man die Seilbahnwirtschaft und die tourismusnahen Dienstleistungen hinzu, beläuft sich der Wertschöpfungsanteil auf rund 18%. In keinem anderen Bundesland ist der Anteil von Beherbergung/Gastronomie an der Gesamtwirtschaft so ausgeprägt wie in Tirol. Durch die starke Verflechtung des Tourismus mit den anderen Wirtschaftssektoren (insbesondere Gewerbe, Bau, Handel, etc.) wirkt sich ein Nachfrageausfall in diesem Wirtschaftssektor selbstverständlich auf alle weiteren Branchen aus (im Zuge von Einkommen-Nachfrage Wechselwirkungen). Im Gegensatz zur Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 – 2010 handelt es sich diesmal um eine ausgeprägte Krise des Dienstleistungssektors – auch wenn der produzierende Bereich durch die Unterbrechung internationaler Lieferketten ebenfalls stark betroffen ist. Die zur Eindämmung der Corona-Pandemie von der öffentlichen Hand verordneten Maßnahmen haben vor allem zu Betriebsschließungen im Tourismus und im Dienstleistungssektor geführt. Insgesamt werden rund 40% der Bruttowertschöpfung in Tirol im Dienstleistungsbereich erwirtschaftet. Zum Vergleich: in Oberösterreich und Vorarlberg sind es rund 30%. Anhand des regionalwirtschaftlichen Simulationsmodells TiRemo haben die Wirtschaftskammer Tirol und die Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung drei mögliche Szenarien berechnet, wie sich der durch die Corona-Pandemie verursachte Nachfrageausfall im Tourismus (weniger Gäste, weniger Übernachtungen, Rückgang der tourismusbedingten Ausgaben, etc.) auf die Gesamtwirtschaft Tirols in den kommenden drei Saisonen auswirken könnte. Grundlagen der Analyse Die drei Szenarien berücksichtigen die jüngsten Meldungen betreffend möglicher Verlängerungen oder Aufhebungen der bestehenden Reisebeschränkungen. Weiter fließt auch die Entwicklung der Anzahl an Infizierten in den Hauptherkunftsländern von Tiroler Gästen mit in die Szenarien ein. So wirkt sich etwa ein stärkerer Rückgang der Infizierten in einer rascheren Erholung der Gästezahlen aus diesen Ländern aus. Ebenso wird auf die unterschiedlich starke wirtschaftliche Betroffenheit dieser Länder Bedacht genommen. Denn ein stärkerer Rückgang in den Einkommen der Konsumenten und Konsumentinnen in einem Land wird sich mitunter in einem stärkeren Rückgang des Gästeaufkommens aus diesem Land widerspiegeln. Dies ist etwa der Fall für Italien, das auch wirtschaftlich stärker betroffen ist als etwa Deutschland. Den Berechnungen liegen als Quellen die Anzahl an Nächtigungen sowie die Herkunftsländer der Gäste nach Saisonen (Land Tirol, Abteilung Raumordnung und Statistik) zugrunde. Weiters wurden die Ausgaben der Gäste nach Saison sowie nach Verwendungszweck (T-Mona / Tirol Werbung) für die Berechnungen berücksichtigt.
Die folgenden Angaben in den Rückgängen und Zuwächsen der Nächtigungen beziehen sich jeweils auf folgendes Referenzszenario. In diesem Szenario wird unterstellt, dass die Nächtigungen in Tirol in den nächsten Saisonen (Sommer 2020, Winter 2020/21 sowie Sommer 2021) mit 2% im selben Ausmaß steigen werden wie im Schnitt der letzten Jahre. 1) OPTIMISTISCHES SZENARIO: Das optimistische Szenario geht davon aus, dass sich mit Juni 2020 die Nächtigungen österreichischer Gäste in Tirol wieder auf 100% belaufen und in den verbleibenden Monaten der Sommersaison bis Oktober 2020 sowie in der Wintersaison 2020/2021 im Schnitt auf 120% ansteigen. Dieser Anstieg an Nächtigungen österreichischer Gäste wird angenommen, da heuer mehr Österreicher und Österreicherinnen ihren Urlaub im Inland verbringen werden als in den letzten Jahren, wovon auch Tirol leicht profitiert. In der Sommersaison 2021 gehen die Nächtigungen dann wieder auf 100% zurück, da die Märkte im Ausland auch für Österreicher wieder geöffnet sind und die Österreicherinnen wieder ihre traditionellen Urlaubsziele ansteuern. Zudem wird unterstellt, dass auch der Reiseverkehr mit Deutschland relativ rasch wieder ermöglicht wird und die Nächtigungen aus dem deutschen Markt bereits mit Juli 2020 bis zum Ende der Sommersaison 2021 wieder 100% erreichen. Mit Ausnahme von Italien, für das für die Sommersaison 2020 etwas stärkere Rückgänge als für die anderen Zielmärkte angenommen werden, ziehen die anderen Haupt-Zielmärkte wie Belgien, Niederlande, Schweiz und Vereinigtes Königreich langsam wieder an, erreichen jedoch nicht ihr reguläres Niveau. So belaufen sich die Rückgänge für die Sommersaison 2020 auf -70% bis -40% sowie für die Wintersaison 2020/21 auf -20%. Für die Sommersaison 2021 wird immer noch ein 10%-iger Rückgang erwartet. Auswirkungen: Im optimistischen Szenario ergibt sich für das Kalenderjahr 2020 ein Verlust von € 2,26 Milliarden an Bruttowertschöpfung in Tirol, davon entfallen rund € 1,13 Milliarden auf die Sommersaison. Im Wirtschaftssektor „Beherbergung und Gastronomie“ reduziert sich die Wertschöpfung im Jahr 2020 um € 924 Millionen; im Handel um € 272 Millionen und im Bereich der Verkehrswirtschaft, zu der unter anderem die Seilbahnwirtschaft gehört, in Höhe von € 239 Millionen. Im Sektor „Herstellung von Waren“ reduziert sich Bruttowertschöpfung um ca. € 153 Millionen und in der Bauwirtschaft um rund € 93 Millionen im Jahr 2020. Insgesamt gehen durch den Nachfrageausfall im Jahr 2020 rund 20.000 Arbeitsplätze in Tirol verloren. Das Aufkommen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträge reduziert sich in Tirol um rund € 800 Millionen im Jahr 2020. Durch die relativ rasche Normalisierung der Lage im optimistischen Szenario reduziert sich der Verlust an Bruttowertschöpfung in der Wintersaison 2020/2021 auf rund € 310 Millionen und in der Sommersaison auf € 135 Millionen.
Optimistisches Szenario - Rückgang an Bruttowertschöpfung 2020 in ausgewählten Sektoren in Mio. € 2.500 2.000 1.500 924 1.000 500 272 239 153 93 0 Beherbergung und Handel, Verkehr und Lagerei Herstellung von Bau Gastronomie Instandhaltung und Waren Reparatur von KfZ Quelle: Berechnungen anhand des regionalwirtschaftlichen Simulationsmodells TiRemo der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW). Bearbeitet durch Wirtschaftskammer Tirol und GAW, April 2020 2) MITTLERES SZENARIO: Das mittlere Szenario geht davon aus, dass Tirol die österreichischen Gäste beginnend mit Juli 2020 bis zum Ende der Sommersaison 2021 wieder zu 100% begrüßen kann. Die Nächtigungen deutscher Gäste ziehen schrittweise wieder an und pendeln sich im Zeitraum Juli 2020 bis Oktober 2020 auf 50% ein. Für die Wintersaison 2020/2021 wird angenommen, dass das Niveau der Übernachtungen deutscher Gäste weiter auf 80% und in der Sommersaison 2021 auf 90% ansteigt. Alle übrigen Märkte erholen sich hingegen nur schrittweise. So werden für diese Märkte in diesem Szenario für die Wintersaison 2020/21 lediglich 50% und für die Sommersaison 2021 70% der Nächtigungen erwartet. Auswirkungen: Im mittleren Szenario ergibt sich für das Kalenderjahr 2020 ein Verlust von rund € 3,6 Milliarden an Bruttowertschöpfung in Tirol, davon entfallen rund € 2,2 Milliarden auf die Sommersaison 2020. Im Wirtschaftssektor „Beherbergung und Gastronomie“ reduziert sich die Wertschöpfung im Jahr 2020 um € 1,48 Milliarden, im Handel um rund € 440 Millionen und im Bereich der Verkehrswirtschaft, zu der unter anderem die Seilbahnwirtschaft gehört, in Höhe von rund € 360 Millionen. Im Sektor „Herstellung von Waren“ reduziert sich Bruttowertschöpfung um ca. € 245 Millionen und in der Bauwirtschaft um rund € 147 Millionen im Jahr 2020. Insgesamt gehen durch den Nachfrageausfall unmittelbar im Jahr 2020 rund 31.600 Arbeitsplätze in Tirol verloren. Das Aufkommen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträge reduziert sich in Tirol um über € 1,28 Milliarden im Jahr 2020. Durch die nur langsame Erholung der internationalen Tourismusnachfrage belaufen sich die Einbußen in der Wintersaison 2020/2021 immer noch auf rund € 1,9 Milliarden und in der Sommersaison 2021 auf € 596 Millionen.
Mittleres Szenario - Rückgang an Bruttowertschöpfung 2020 in ausgewählten Sektoren in Mio. € 2.500 2.000 1.483 1.500 1.000 440 360 500 245 147 0 Beherbergung und Handel, Verkehr und Lagerei Herstellung von Bau Gastronomie Instandhaltung und Waren Reparatur von KfZ Quelle: Berechnungen anhand des regionalwirtschaftlichen Simulationsmodells TiRemo der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW). Bearbeitet durch Wirtschaftskammer Tirol und GAW, April 2020 3) PESSIMISTISCHES SZENARIO: Das pessimistische Szenario geht davon aus, dass mit Juni 2020 die Nächtigungen österreichischer Gäste in Tirol 50% erreichen und im Laufe der Sommersaison bis Oktober 2020 auf 70% steigen. Für die anderen Zielmärkte hingegen steigen die Nächtigungen lediglich auf 10% bis zum Ende der Sommersaison. In der Wintersaison 2020/21 erreicht das Niveau der Nächtigungen österreichischer Gäste 90%. Das Niveau der Übernachtungen aus den restlichen Märkten (mit Ausnahme von Italien, für das zu Beginn der Wintersaison 2020/21 noch stärkere Rückgänge erwartet werden) pendelt sich hingegen auf lediglich 30% ein. Im pessimistischen Szenario wird davon ausgegangen, dass auch die Sommersaison 2021 massiv betroffen ist. Die Anzahl österreichischer Gästenächtigungen steigt auf 100%, die übrigen Zielmärkte erreichen 50%. Auswirkungen: Im pessimistischen Szenario ergibt sich für das Kalenderjahr 2020 ein Verlust von rund € 4,8 Milliarden an Bruttowertschöpfung in Tirol, davon entfallen rund € 3 Milliarden auf die Sommersaison. Im Wirtschaftssektor „Beherbergung und Gastronomie“ reduziert sich die Wertschöpfung im Jahr 2020 um fast € 2 Milliarden, im Handel um € 593 Millionen und im Bereich der Verkehrswirtschaft in Höhe von rund € 478 Millionen. Im Sektor „Herstellung von Waren“ reduziert sich Bruttowertschöpfung um ca. € 329 Millionen und in der Bauwirtschaft um rund € 198 Millionen im Jahr 2020. Insgesamt gehen durch den Nachfrageausfall unmittelbar im Jahr 2020 über 42.500 Arbeitsplätze in Tirol verloren. Das Aufkommen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträge reduziert sich in Tirol um über € 1,7 Milliarden im Jahr 2020. Durch die anhaltende Schwäche der Tourismusnachfrage belaufen sich die Einbußen in der Wintersaison 2020/2021 immer noch auf rund € 4 Milliarden und in der Sommersaison 2021 auf rund € 1,65 Milliarden.
Pessimistisches Szenario - Rückgang an Bruttowertschöpfung 2020 in ausgewählten Sektoren in Mio. € 2.500 1.998 2.000 1.500 1.000 593 478 500 329 198 0 Beherbergung und Handel, Verkehr und Lagerei Herstellung von Bau Gastronomie Instandhaltung und Waren Reparatur von KfZ Quelle: Berechnungen anhand des regionalwirtschaftlichen Simulationsmodells TiRemo der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW). Bearbeitet durch Wirtschaftskammer Tirol und GAW, April 2020 4) ÜBERBLICK DER DREI SZENARIEN: Rückgang an Bruttowertschöpfung in Tirol nach Saisonen je nach Szenario in Mio € 5.500 4.847 5.000 4.500 3.999 4.000 3.604 3.500 3.000 2.500 2.263 1.943 2.000 1.651 1.500 1.000 596 309 135 500 0 KJ 2020 WS 2020/2021 SS 2021 Optimistisches Szenario Mittleres Szenario Pessimistisches Szenario 5) KRISENRESILIENZ DER BRANCHEN: Die Krisenresilienz der Unternehmen hängt sehr stark von ihrer Eigenkapitalquote und ihrer Umsatzrentabilität ab: Je höher die Eigenkapitalquote und die Umsatzrentabilität, desto leichter können Unternehmen schwierige Situationen bewältigen. Eine relativ hohe Krisenresilienz kann Unternehmen zugeschrieben werden, die eine Eigenkapitalquote von über 15 % und eine Umsatzrentabilität von über 5 % aufweisen. Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von weniger als 15 % und einer Umsatzrentabilität von unter 5 % weisen hingegen eine niedrige Krisenresilienz auf.
Untenstehende Aufstellung zeigt die nach diesen Kriterien definierte Krisenresilienz für ausgewählte Branchen in Tirol anhand der Bilanzdaten im Zeitraum vor der Wirtschaftskrise: Wirtschaftssektor Hohe Resilienz Niedrige Resilienz Beherbergung 29 % 32 % Gastronomie 26 % 38 % Herstellung von Waren 35 % 24% Bau 35% 28 % Handel 27 % 31 % Verkehr und Lagerei 39 % 22 % Quelle: KMU Forschung Austria 2020; Berechnungen der Wirtschaftskammer Tirol 2020 Laut Berechnungen der KMU-Forschung Austria galten vor Ausbruch der Krise rund 14 % der 6.300 Tiroler Beherbergungsbetriebe als „überschuldete Unternehmen in der Verlustzone“. Diese Unternehmen haben eine Eigenkapitalquote unter 0 % und eine Umsatzrentabilität von unter 0 %. Weitere rund 19 % der Beherbergungsbetriebe gelten als Unternehmen mit „klarem Verbesserungsbedarf in der Finanzierungs- und Ertragssituation“. Das sind in der Regel Unternehmen mit einer Umsatzrentabilität von max. 5 % und eine Eigenkapitalquote von max. 15 %. Vor allem beim oben angeführten pessimistischen Szenario aber auch beim mittleren Szenario sind damit rund 32 % der Beherbergungsbetriebe akut gefährdet. Gut gewappnet für die Krisensituation sind jene 15 % der Beherbergungsbetriebe, welche eine Umsatzrentabilität über 10 % aufweisen und eine Eigenkapitalquote von über 30 % vorweisen können. Zählt man Unternehmen mit einer Umsatzrentabilität von 5 % bis 10 % bzw. einer Eigenkapitalquote von 15 % bis 30 % hinzu, ergibt sich ein Anteil von rund 29 % an Beherbergungsbetrieben, die wohl auch für das pessimistische Szenario im Großen und Ganzen gut gerüstet sind. Angespannter ist die Lage bei den 3.500 Tiroler Gastronomiebetrieben: Rund 38 % der Gastronomiebetriebe hatten bereits vor der Corona-Krise eine Eigenkapitalquote von max. 15 % und eine Umsatzrentabilität von max. 5%. 17% waren schon vor der Krise in der Verlustzone und überschuldet und sind damit auch am stärksten von der Corona-Krise betroffen. Relativ hoch ist der Anteil von Unternehmen mit guter Krisenresilienz in den Wirtschaftssektoren „Bau“ und „Herstellung von Waren“ mit jeweils 35 % und vor allem im Sektor „Verkehr und Lagerei“ mit 39 %. Im Handel verfügen 27 % der Unternehmen über eine ausreichende Krisenresilienz; 31 % hingegen kämpften bereits vor der Corona Krise mit einer ausgeprägten Schwäche im Finanzierungs- und Ertragsbereich. Studien-Autoren: Abteilung Wirtschaftspolitik, Innovation und Strategie des Wirtschaftskammer Tirol Mag. Stefan Garbislander Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung KG Dr. Stefan Haigner und Mag. Stefan Jenewein 27.April 2020
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