Wie gestaltet man Strommärkte im Zeitalter fluktuierender erneuerbarer Energien?

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Mathias Mier

Wie gestaltet man Strommärkte
im Zeitalter fluktuierender
erneuerbarer Energien?

Auf Strommärkten ist das Timing von Entscheidun- IN KÜRZE
gen fundamental. Kapazitätsentscheidungen, d.h.,
der Bau von konventionellen Dampf- oder Gaskraft-
werken oder Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen, Steigende Anteile von fluktuierenden erneuerbaren Energien
muss über Jahre geplant werden. Genehmigungsver- (EE) in Kombination mit technologischen Restriktionen kon-
fahren und Bauzeiten machen es daher erforderlich, ventioneller Kraftwerke verändern die Art und Weise, wie
dass Kapazitätsentscheidungen lange vor Nachfrage
 Elektrizität bepreist werden muss und somit das zugrunde
und Produktionsentscheidungen stattfinden (Stufe 1,
vgl. Abb. 1). liegende Strommarktdesign. Der Beitrag untersucht die Kos-
 tendeckung unterschiedlicher Technologien und Konsumen-
DAS TIMING-PROBLEM tenverhalten, wenn Preise entweder vorher festgelegt sind
 (Ex-ante-Preise) oder sich erst in Echtzeit realisieren (Real-
Die Nachfrage nach Strom unterliegt ebenfalls lang- Time-Preise). Die Ergebnisse zeigen, dass die Kostendeckung
fristigen Planungen von Unternehmen und Haushal-
 von inflexiblen Dampfkraftwerken unbeeinflusst von höhe-
ten, entscheidet sich aber jeweils konkret erst einige
Stunden, bevor Strom tatsächlich verbraucht wird, ren Anteilen von EE ist. Ex-ante-Preise allein reichen nicht
beispielsweise durch das Anstellen einer Waschma- aus, um das Kostendeckungsproblem von Gaskraftwerken zu
schine oder Starten eines industriellen Prozesses. Zu- lösen, substituierende oder ergänzende Real-Time-Preise hin-
dem kommt hinzu, dass Endverbraucher in der Regel gegen schon. Die erneuerbaren Energien unterliegen aller-
nicht flexibel auf Preisänderungen reagieren. Einer- dings auch unter Real-Time-Preisen einem Output-Risiko und
seits, weil sie technologisch dazu nicht in der Lage
 benötigen Subventionen, um dieses Marktversagen zu korri-
sind (mangels Smart Meter) und andererseits, weil
Preisschwankungen überhaupt nicht in ihrem Preis- gieren. Daraus lassen sich konkrete Empfehlungen für eine
kalkül enthalten sind. Haushaltskunden zahlen in der Umgestaltung des Strommarktes ableiten. Beispielsweise müs-
Regel nämlich einen fixen Preis, der zeitlich keinen sen Firmen dafür bestraft werden, wenn sie ihren Lieferver-
Schwankungen unterworfen ist. All das führt dazu, pflichtungen nicht nachkommen, und Konsumenten hingegen
dass sich die Nachfrage nicht in Echtzeit (Real-Time) kompensiert werden, wenn sie unter diesem Mangel leiden.
verändert, sondern einige Zeit vorher als fixiert an-
genommen werden muss (Stufe 2). Die endgültige
Nachfrage bleibt bis zur finalen Realisierung unsicher.1
 Nachdem nun die Nachfrageentscheidung gefällt duktion Unsicherheiten unterworfen ist. Der finale
wurde, können Produktionsentscheidungen getroffen Dispatch von EE kann daher erst nach der Realisierung
werden. Diese unterliegen allerdings technologischen dieser Unsicherheiten entschieden werden (Stufe 4).
und wetterbedingten Erfordernissen. Dampfkraft- Sollte nun die Erzeugung von EE und aus Dampf-
werke, die entweder Braunkohle oder Kohle verbren- kraftwerken nicht ausreichen, die vorher fixierte Nach-
nen oder mit Atomkraft betrieben werden, müssen ei- frage zu decken, müssen Gaskraftwerke hinzugeschal-
nige Stunden, bevor die finale Produktion stattfindet, tet werden. Diese Gaskraftwerke können unmittelbar
geplant (»dispatched«) werden. Ein Kraftwerk an- bzw. auf die fluktuierende Einspeisung von EE reagieren
hoch- oder herunterzufahren, ist nicht immer ohne zu- und unterliegen (fast) keinen Restriktionen bzgl. Hoch-
sätzliche Kosten und Schäden am Equipment möglich. und Herunterfahrzeit. Auch die Kosten aus solch ei-
Daher entscheiden Dampfkraftwerke ihre Produktion nem Ramping sind vernachlässigbar (Stufe 5).
vor anderen Technologien (Stufe 3). Sollten die hinzugeschalteten Gaskraftwerke nicht
 Dies ist insbesondere wichtig, weil die Verfüg- ausreichen, eine etwaige Angebotslücke zu decken,
barkeit von Wind und Sonne bis zur endgültigen Pro- muss der finale Stromkonsum reduziert werden. Die
 Differenz aus Nachfrage und aggregierter Erzeugung
1
 Diese Untersicherheiten werden in der klassischen »Peak-Load-
Pricing-Literatur« behandelt (Brown und Johnson 1969), bei Mier
 ist dann der »Lost Load«. Hier stellt sich die Frage,
(2021) allerdings ausgeklammert. welcher Endverbraucher final unter Rationierung lei-

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Abb. 1 fallen bei »Lost Load« noch zusätzliche Kosten aus der
Timing auf Strommärktenª
 Nichtbelieferung an, sogenannte Disruptionskosten
 (die Nahrung im Kühlschrank verdirbt und muss neu
 Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 gekauft werden), die über den reinen Nutzenverlust
 (nichts zu essen da) hinausgehen. Diese Besonder-
 heit des Gutes Strom ist hier wichtig und führt oft zu
 ~
 Qr realisiert sich X = min {D, Y} sprunghaften Preisanstiegen auf Märkten auf Höhe
 Qj D Ys Yr Yg L ≥ 0 tritt auf
 der Disruptionskosten.
ª Qj ist die Kapazität von Technologie j; D ist die Nachfrage nach Strom;
Yj ist die Produktion von Technology j = s (Dampfkraftwerke), r (erneuerbare Energien).
 ~
g (Gaskraftwerke), Qr ist die verfügbare Kapazität von erneuerbaren Energien, MÖGLICHE MARKTERGEBNISSE
X ist der finale Stromkonsum,
Y ist aggregierte Produktion über alle Technologien und L ist Lost Load.
Quelle: Darstellung des Autors. © ifo Institut
 Es müssen drei unterschiedliche Zustände unterschie-
 den werden, die durch die Realisierung der unsicheren
 det bzw. leiden sollte. Ökonomisch optimal wäre es, Verfügbarkeit von EE bestimmt werden. Ein »Lost-
 genau jene Endverbraucher zu rationieren (d.h. nicht Load«-Zustand (Ω3) realisiert sich, wenn die Verfüg-
 zu beliefern), die die geringste Zahlungsbereitschaft barkeit von EE sehr gering ist. Ein Gas-Dispatched-
 aufweisen, bzw. solche Geräte abzustellen, für die Zustand (Ω2) ergibt sich, wenn die Verfügbarkeit von
 Endverbraucher eine geringe Zahlungsbereitschaft EE ausreichend ist, aber Gaskraftwerke noch nicht
 besitzen.2 Brown und Johnson (1969) haben dieses vollständig benötigt werden. Ein EE-abgeriegelt-Zu-
 ökonomisch effiziente »Perfect Load Shedding« als stand (Ω1) ergibt sich, wenn die Verfügbarkeit von EE
 erstes modelltheoretisch beschrieben. Allerdings ist so hoch ist, dass sie nicht komplett genutzt werden
 dieses »Perfect Load Shedding« oft nicht möglich, weil können. Häufig ist die Verfügbarkeit von EE gering
 diesem technologische Restriktionen von Stromüber- und nur sehr selten am Maximum der installierten
 tragung und -verteilung entgegenstehen. Visscher Kapazität. Abbildung 2 illustriert diese Zustände für
 (1973) und Carlton (1977) erarbeiteten daraufhin das solch eine exemplarische Verteilung.3
 Konzept des »Random Rationing«, d.h. die zufällige
 Rationierung von Stromverbrauchern ohne Beachtung EX-ANTE-PREISE
 von differenzierten Zahlungsbereitschaften.
 Mier (2021) entscheidet sich für den Ansatz des Sollte der Preis vor der Realisierung letzter Unsicher-
 »Perfect Load Shedding«, führt aber gleichzeitig Ratio­ heit fixiert sein (wie es in »Day-Ahead«- und »Intra-
 nierungskosten ein, die ein Netzbetreiber hat, sollte day-Märkten« der Fall ist), dann haben Dampfkraft-
 er diesem »Perfect Load Shedding« folgen (Crew und werke keinerlei Probleme bei ihrer Kostendeckung.4
 Kleindorfer 1976). Neben diesen Rationierungskosten Der Preis ist gleich der Summe aus marginalen Kapa-
 zitäts- und Produktionskosten und somit sind Kosten
 2
 Konsumenten sind eventuell bereit, ihren Fernseher auszustellen, gedeckt. Gaskraftwerke wiederum können ihre Kosten
 aber keineswegs ihren Kühlschrank nicht decken, weil die Existenz von Dampfkraftwerken
 den Preis niedrig hält und somit Kostendeckung ver-
Abb. 2 hindert. Schlussendlich ist die Fähigkeit von Gaskraft-
Exemplarische Dichtefunktion für die unsichere Realisierung der Verfügbarkeit
 werken, auf kurzfristige (zufällige) Schwankungen von
erneuerbarer Energienª
 EE zu reagieren, nicht adäquat bepreist.
 ~
 f (Qr , Qr )
 REAL-TIME-PREISE

 Real-Time-Preise verändern sich je nach EE-abgerie-
 gelt-Zustand, Gas-Dispatched-Zustand oder Lost-Load-
 Zustand. Jetzt ist die Möglichkeit von Gaskraftwerken,
 Ω1 auf die Fluktuation von EE zu reagieren, adäquat be-
 Ω2
 Ω3 ~ preist. Für Dampfkraftwerke ändert sich nichts, weil
 Qr
 der erwartete Real-Time-Preis gleich dem Ex-ante
 0 D – Ys – Qg D – Ys Qr
 Preis ist. Man würde annehmen, dass auch EE jetzt
 Lost Load Gas-Dispatched Erneuerbare-Energien- Formeln FN 2

 (Ω3) (Ω2) abgeriegelt (Ω1)
 genau ihre Kosten decken. Formeln DemFNist
 2 aber tatsächlich
 nurFormeln
 so, FNwenn
 2
 dieFNErzeugung
 Formeln 2 ( � , ) einzelner EE-Anlagen per- 

 Pr₃ = ∫0D-Qs -Qg f(x,Qr )dx Pr₂ = ∫D-Qs
 D-Qs
 -Qg
 f(x,Qr )dx Pr₁ = ∫D-Qs
 Qr
 f(x,Qr )dx � ( , )
 ( � , ) ( 1 , 2 , 3)
 ~ ~ ~ 3 ( � , ) ist
 Beachte E[Qr ] = aQr , E[Qr |Ωc ] * Prc = ∫Ωc x * f(x,Qr )dx und ac = E[ Qr |Ωc ] / Qr die Dichtefunktion. Die ( Wahrscheinlichkeiten
 1 , 2 , 3 ) der jeweili-
 ~ gen Zustände ( 1, 2, 3) ( � ergeben � �) sich aus dieser Dichtefunktion. Auch
ª Qr (Qr ) ist die (verfügbare) Kapazität von EE mit a Є (0,1) als erwartete Verfügbarkeit; die erwartete Verfügbarkeit von EE
 ( 1 , 
 2 , 
 3 ) ( � � �) und die durchschnittliche
 
D ist die Nachfrage nach Strom; Ys ist die Produktion aus Dampfkraftwerken;
 ~ bedingte Verfügbarkeit ( � � �) = � � |Ω �/ mit = 1,2,3 ergeben sich daraus.
Qg ist die Kapazität von Gaskraftwerken; f(Qr ,Qr ) ist eine exemplarische 4 ( � � �)
Dichtefunktion der Verfügbarkeit von EE; Ωc bildet den jeweiligen Zustand Day-Ahead-Märkte sind die Standardmärkte = � |Ω �/ zum
 � mit Stromhandel.
 = 1,2,3
 ~ Anbieter und Nachfrager = � � |Ω �/ agieren
 mit = 1,2,3 am Tag vor der vereinbarten Liefe-
c = 1,2,3 in Abhängig von Qr ab, Prc sind die dazugehörigen bedingten = � � |Ω �/ mit = 1,2,3
 ~ rung und fixieren Lieferungen. Intraday-Märkte agieren untertags bis
Wahrscheinlichkeiten E[Qr |Ωc ] die bedingte erwartete verfügbare Kapazität und
ac Є (0,1) die dazugehörigen bedingten erwarteten Verfügbarkeiten. einige Stunden vor der finalen Lieferung und ermöglichen Anpassun-
Quelle: Darstellung des Autors. © ifo Institut gen bei Angebots- und Nachfrageabweichungen.

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 METHODIK

Aus den Überlegungen zum Timing ergibt sich die ist c voll = cL + U' (D*) der Value of Lost Load (VOLL),
Wohlfahrt als Differenz des Konsumentennutzens und d.h. die Konsumentenkosten im Falle einer Disruption
der Kapazitäts- und Produktionskosten. Der Konsu- (Disruptionskosten plus marginaler Nutzenverlust).
mentennutzen ergibt sich wiederum aus dem direkten
Nutzen des Konsums U(X) und den Kosten von »Lost EFFIZIENTE KAPAZITÄTSENTSCHEIDUNG
Load« ((cL + δ)L (cL sind die (marginalen) Disruptions- (STUFE 1)
kosten und δ die (marginalen) Rationierungskosten).
Die Wohlfahrt ergibt sich dann als W = U(X) – (cL + δ) Die finalen Kapazitätsentscheidungen bestimmen sich
L – ∑ j (bj Q j + cj Yj) (bj sind die (marginalen) Kapazitäts- implizit aus den optimalen Wahrscheinlichkeiten der
kosten und cj die (marginalen) Produktionskosten von drei Zustände. Dampfkraft ist nur optimal im Techno-
Dampfkraftwerken (s), EE (r) und Gaskraftwerken (g)). logiemix, wenn der Preis gleich der Summe von Kapa-
Mier (2021) bestimmt die effiziente Bepreisung von zitäts- und Produktionskosten von Dampfkraftwerken
Elektrizität, indem zunächst die effiziente Lösung als ist bzw. nur wenn der Preis eine bestimmte Höhe hat,
Benchmark berechnet wird. Dazu wird die Wohlfahrt ist es optimal, Dampfkraft zu bauen. Das schließt au-
per Rückwärtsinduktion maximiert. tomatisch aus, dass der Preis über den marginalen
 Kosten von Dampfkraftwerken liegt (p > bs + cs), weil
EFFIZIENTE PRODUKTIONSENTSCHEIDUNG es dann immer besser wäre nur Dampfkraft zu ins-
(STUFEN 3 BIS 5) tallieren und so den Preis auf genau jene marginalen
 Kosten zu drücken (p = bs + cs).
Gaskraftwerke werden in Ω1-Zuständen nicht benutzt,
in Ω 2-Zuständen nur teilweise und in Ω 3 -Zuständen DEZENTRALE LÖSUNG
komplett, da angenommen wird, dass die Kosten von
Gaskraftwerken unter der Summe von Disruptions- Bei der Dezentralisierung der effizienten Lösung gibt
und Rationierungskosten liegen, aber über denen von es zwei Probleme: effiziente Produktionsentschei-
Dampfkraftwerken (bs + cs < bg + cg < cL + δ). EE wer- dungen und effiziente Kapazitätsentscheidungen.
den in Ω 23 -Zuständen voll (weil cr < cg) und lediglich Ex-ante-Preise beispielsweise würden nicht zu effi-
in Ω1-Zuständen nur teilweise benutzt. Das bedeutet zienten Produktionsentscheidungen führen, weil ein
nicht, dass die EE-Produktion in Ω1-Zuständen geringer Preis überhalb der marginalen Produktionskosten von
ist. Das Gegenteil ist der Fall, die Verfügbarkeit von EE Gaskraftwerken (p > cg) immer dazu führt, dass Gas-
ist so hoch, dass sie nicht voll benutzt werden kön- kraftwerke mit voller Kraft produzieren wollen, wohin-
nen. Dampfkraftwerke wiederum werden immer voll gegen Preise unter den marginalen Produktionskosten
benutzt, und zwar nicht wegen der Kostenstruktur (es von Gaskraftwerken (p < cg) zu keiner Produktion aus
gilt cr < cs < cg), sondern wegen der technologischen Gaskraftwerken anreizt. Schlussendlich muss der so-
Voraussetzungen von Dampfkraftwerken. Hinsichtlich ziale Planer den effizienten »Dispatch« (d.h. Produk­
der Produktionskosten wäre es besser, Dampfkraft- tionsentscheidungen) erzwingen. Das allerdings ist auf
werke herunterzuregeln, wenn EE viel Strom liefern Strommärkten nicht so ungewöhnlich. Zustandsab-
können, allerdings ist dies entweder nicht möglich hängige Real-Time-Preise hingegen würden effiziente
oder zu teuer, so dass final Dampfkraft immer unter Produktionsentscheidungen erzwingen.
vollem Dampf läuft. In Mier (2021) wird das Verhalten von Wettbe-
 werbsfirmen bestimmt, indem die Profite maximiert
EFFIZIENTE NACHFRAGEENTSCHEIDUNG werden.1 Korrigierende Politiken dienen der Erzwin-
(STUFE 2) gung von effizienten Produktionsentscheidungen und
 gleichzeitiger Garantie von fehlenden ökonomischen
Die Nachfrageentscheidung bezieht die Wahrschein- Profiten, sonst wäre die effizienten Kapazitätsent-
lichkeit der Realisierung der drei Zustände mit ein. Ma- scheidungen von Firmen keine Gleichgewichtslösung.
ximiert man die Wohlwahrt nach der Nachfrage, ergibt
sich das Level des marginalen Nutzens, bis zu dem BESCHRÄNKUNGEN
nachgefragt werden sollte. Die Nachfrageentscheidung
kann dezentralisiert werden, indem ein sozialer Planer In Mier (2021) werden Strommärkte theoretisch mo-
den Preis gleich dem marginalen Nutzen setzt, d.h. delliert und vom gesamten Technologiereichtum der
p = U' (D*) = crPr1 + cgPr2 + (c voll + δ)Pr3 . Der (optimale) Stromerzeugung und zu drei Kerntechnologien abstra-
Preis ist also ein gewichtiger Durchschnitt der margi-
nalen Kosten eines jeden der drei Zustände. Hierbei 1
 Die Übergänge sind zwischen Dampf- und Gaskraftwerken sind
 fließend und nicht so strikt wie modelliert.

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 hiert: Dampfkraftwerke, Gaskraftwerke und fluktuie- anwenden. Speicher und Handel mögen dem quanti-
 rende EE. Damit kann ein großer Teil abgebildet wer- tativ eine andere Richtung geben, die generellen Er-
 den. Zudem fehlen ausgleichende Technologien wie gebnisse verändern sich allerdings qualitativ nicht.
 Speicher oder marktübergreifender Handel oder auch Eine höhere Technologieauflösung verlangt nach nu-
 in Echtzeit-Preis-reaktive Endverbraucher. Trotzdem merischer Optimierung, da das Problem theoretisch
 lassen sich seine Ergebnisse auf reale Strommärkte nicht mehr handhabbar wäre.

 fekt korreliert ist. Dies bedeutet, dass jede einzelne wären die Disruptionskosten eingepreist, und in der
 Windturbine und jede Photovoltaik-Anlage im gesam- Tat müssten rationierte Konsumenten in Höhe der Ra-
 ten Marktgebiet die gleichen Wetterbedingungen ha- tionierungskosten besteuert werden. Letzteres scheint
 ben müsste. Scheint (bläst) auf der einen Seite des politisch nicht durchsetzbar zu sein, wohingegen die
 Marktes die Sonne (der Wind), woanders aber nicht, Kompensation intuitiv erscheint. Daher lohnt es sich,
 dann führt das zu Verlusten bei Firmen mit EE. existierende Marktdesigns zu betrachten, die diesem
 Darüber hinaus bleiben alle zentralen Ergebnisse Problem in unterschiedlicher Art und Weise begegnen.
 unverändert, sollte die planbare (durchschnittliche)
 Verfügbarkeit von EE bzw. die Nachfrage periodisch MODIFIKATION EXISTIERENDER MARKTDESIGNS
 schwanken (Mier 2021). Dann würden zwar Dampf-
 kraftwerke nicht mehr immer mit vollem Dampf be- Es gibt keine Strommärkte, die aus einzelnen Ex-
 trieben, allerdings bleiben alle Bepreisungs- und Kos- ante- oder Real-Time-Märkten bestehen. In der Tat
 tendeckungsimplikationen unverändert. gibt es zwei vorherrschende Marktphilosophien
 (Wilson 2002; Cramton 2017; Wolak et al. 2020). Erste­
 KORRIGIERENDE POLITIKEN ­re ist eine Kombination aus einem »Day-Ahead-Markt«
 (DAM) und einem »Real-Time-Markt« (RTM). Handel
 Ex-ante-Preise bepreisen die Fähigkeit von Gaskraft- und Arbitrage zwischen den Märkten sind möglich.
 werken, spontan hoch- und herunterzufahren, wenn Solch eine Kombination findet man vorwiegend in
 die Einspeisung aus EE niedrig bzw. hoch ist. Dem Nordamerika (verschiedene US-Märkte, aber auch
 kann durch vielerlei Maßnahmen entgegengewirkt in Kanada). Europäische Märkte kombinieren hinge-
 werden. In Mier (2021) wird gezeigt, dass Kapazitäts- gen DAM mit »Intraday-Markt« (IDM) und zusätzli-
 zahlungen (wie aktuell häufig gefordert) nicht aus- chen Ausgleichsmärkten (auch Regelenergiemärkte
 reichen, sondern immer noch durch korrigierende genannt). Der Unterschied zwischen dem europäi-
 Marktprämien ergänzt werden müssen. Die elegan- schen Ausgleichsenergiemarkt und dem nordame-
 teste Lösung ist demnach, auf Kapazitätszahlungen rikanischen RTM ist die Bepreisung von Elektrizität
 zu verzichten und die Abweichungen von Ex-ante- zu (Kapazitätszahlungen in Ausgleichsenergiemärkten
 Real-Time-Preisen durch zustandsabhängige Markt- vs. Energy-Only, d.h. nur Strom und keine Kapazi-
 prämien zu korrigieren. Dann ist man aber wieder tät, in RTM) und das resultierende Handelsvolumen,
 bei Real-Time-Preisen. Real-Time-Preise scheinen ein das generell geringer in Ausgleichsenergiemärkten
 deutlich einfacheres Mittel zu sein als komplizierte ist und so zu einem schlechteren Preissignal führt
 Steuer-Subventions-Systeme. (Crampton 2017).
 Wenn die EE-Erzeugung einzelner Anlagen nicht Beide Philosophien benutzen verschiedene For-
 perfekt korreliert ist, muss eine zusätzliche Kombi- men von Unterversorgungsstrafen (»Undersupply
 nation aus Kapazitätszahlung und (negativer) Markt- Penalty«), sollte die Real-Time-Produktion einer be-
 prämie dieses Marktversagen korrigieren. Eine andere stimmten Firma unter der Ex-ante-Verpflichtung liegen
 Lösung wären möglichst bezüglich der Wetterbedin- (Sunar und Birge 2019). In Mier (2021) werden solche
 gungen homogene Marktgebiete. Solche könnten Strafen in Höhe der Disruptionskosten der Endver-
 auch flexibel entsprechend einer Zonenbepreisung braucher implementiert, sobald Firmen ihren Ex-an-
 dynamisch je nach aktueller Wetterlage neugestaltet te-Lieferverpflichtungen nicht mehr nachkommen
 werden. können und »Lost Load« in Echtzeit auftritt.
 Zusätzlich erlauben manche Märkte (z.B. im Ver-
 KONSUMENTENVERHALTEN einigten Königreich oder Schweden) bereits eine Art
 Endverbraucherkompensation, sollte der Netzbetrei-
 In der Regel werden Konsumenten nicht für »Lost ber daran scheitern, die Stromversorgung innerhalb
 Load“ entschädigt (in Höhe ihrer jeweiligen Disrup­ einer bestimmten Zeitspanne wiederherzustellen, wo-
 tionskosten). Aber genau das müsste geschehen, bei extreme Wetterereignisse nicht kompensations­
 damit Konsumenten auch eine effiziente Nachfrage- fähig sind. Es existieren allerdings keine Märkte, die
 entscheidung tätigen, jedenfalls unter der Prämisse in Fällen von schlechten Ex-ante-Lieferverpflichtungen
 von Ex-ante-Preisen. Bei Real-Time-Preisen hingegen oder unzureichender Bereitstellung von ausfallsicherer

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Erzeugungskapazität (durch Firmen) bereits Endver- Endverbraucher in Höhe der Rationierungskosten be-
braucherkompensationen anwenden. Eine optimale steuert werden.
Nachfrage nach Elektrizität – falls Endverbraucher
nicht in Echtzeit auf Preise reagieren – verlangt eine Preisobergrenzen und Kapazitätszahlungen
Kompensation in Höhe der Disruptionskosten – wenn
Verbraucher Ex-ante-Preise bezahlen – und Besteu- Aus verschiedenen ökonomischen Überlegungen
erung in Höhe der Rationierungskosten – wenn Ver- haben viele Märkte Preisobergrenzend. Solch eine
braucher Real-Time-Preise bezahlen. Obergrenze wirkt der Ausnutzung von Marktmacht in
 Der zusätzliche organisatorische Aufwand sol- Knappheitssituation entgegen. Erzeugende Firmen mit
cher Kompensationssteuersysteme ist gering. »Under­ Marktmacht könnten ihre Erzeugung - und auch ihr Er-
supply« von Firmen wird bereits umfangreich gemes- zeugungsangebot – unter ihre tatsächlich verfügbare
sen und bestraft. Die in Mier (2021) vorgeschlagenen Kapazität reduzieren, um häufiger Lost-Load-Events
»Undersupply Penalties« sind ausreichend, um Kos- zu kreieren und dort höhere Profite zu erwirtschaf-
ten des Netzbetreibers (Rationierungskosten) und der ten. Sollten nun allerdings die Preise eine Obergrenze
Endverbraucherkompensation (Disruptionskosten) zu nicht überschreiten (und keine Marktmacht existie-
tragen, wenn Verbraucher Ex-ante-Preise bezahlen. ren), dann können die Firmen ihre Kosten nicht de-
Der Netzbetreiber muss lediglich Zahlungen von den cken bzw. würden nicht ausreichend Kapazität zur
Firmen ex post von den Erzeugern zu den rationier- Verfügung stellen. Dem wirken viele nordamerikani-
ten Endverbrauchern weiterleiten (und seinen Anteil sche Märkte mit zusätzlichen Kapazitätsmechanismen
einbehalten. entgegen.5 Schlussendlich führt solch eine Situation
 zu einem Marktsplitting. Firmen agieren entweder mit
NORDAMERIKANISCHES MARKTDESIGN Endverbrauchern auf dem DAM und erhalten keine
 Kapazitätszahlungen, weil Preise dort niemals die
Nordamerikanische Märkte folgen dem integrierten Obergrenze erreichen, oder Firmen agieren nur auf
Ansatz von zentral optimierten DAM für Kraftwerks­ dem RTM zum Ausgleich von Unsicherheiten. Letzt-
einsatzplanung (unter Einbezug von technologischen lich erhalten erstere keinerlei Kapazitätszahlungen.
Voraussetzungen von verschiedenen Kraftwerkstypen) Letztere hingegen erhalten Kapazitätszahlungen, die
und einem RTM für finalen »Dispatch« (Erzeugungsent- direkt die entgangenen Profite aus den Preisobergren-
scheidung gegeben der Realisierung von Unsicherhei- zen widerspiegeln.
ten) (Crampton 2017).
 EUROPÄISCHES MARKTDESIGN
Konsumenten bezahlen Day-Ahead-Preise
 Europäische Märkte bestehen aus einer Kombina-
Das Marktzwischenspiel ist wie folgt: Erzeugende tion von DAM und IDM; finale Abweichungen werden
Firmen und Endverbraucher agieren zusammen auf durch einen Ausgleichsenergiemarkt ausgeglichen
einem DAM. Aus der Interaktion resultiert Day-Ahead- (Crampton 2017). Energy-Only-Ausgleichsenergie-
Nachfrage und -Preis. Firmen wiederum können auf märkte bezahlen Firmen nur für gelieferte Mengen
einem RTM mit anderen Firmen handeln, d.h., Fir- von Ausgleichsenergie, aber nicht für die Vorhaltung
men mit zu geringer Erzeugung können von anderen von Kapazität. Solch ein Markt ist äquivalent zu ei-
Firmen mit höherer (oder billigerer) Erzeugung kau- nem RTM (im nordamerikanischen Sinne), auch wenn
fen, um ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen. zwischengeschaltete ITMs das Handelsvolumen der
Day-Ahead-Nachfrage und -Preise sind genau dann Ausgleichsenergiemärkte im Verhältnis zu einem star-
effizient, wenn (1) erzeugende Firmen eine »Under- ken RTM reduzieren und somit eventuell auch die
supply Penalty« in Höhe der Disruptionskosten bezah- Bepreisung verschlechtern.
len, (2) erzeugende Firmen die Rationierungskosten Ausgleichsenergiemärkte mit Kapazitätszahlun-
tragen und (3) rationierte Konsumenten in Höhe der gen sind weiterverbreitet. Kreiert man eine Situation,
Disruptionskosten kompensiert werden. in der erzeugende Firmen und Verbraucher vor der
 finalen Belieferung (ex ante) agieren und das Markt­
Konsumenten zahlen Real-Time-Preise ergebnis auf einem Ausgleichsenergiemarkt korrigiert
 wird, dann sind Ex-ante-Nachfrage und -Preis effi­
Das Zwischenspiel ändert sich minimal: Erzeugende zient, wenn erzeugenge Firmen (1) Zahlungen für Ka-
Firmen und Konsumenten agieren weiterhin auf einem pazitätsbereitstellung in Höhe ihrer Kapazitätskosten,
DAM zur Bestimmung der Nachfrage. Preise bilden sich (2) Ex-ante-Marktprämien in Höhe der Differenz von
allerdings erst auf dem finalen RTM, wo auch erzeu- Erzeugungskosten und Ex-ante-Preis (kann auch ne-
gende Firmen untereinander (wie vorher) miteinan- gativ sein) und (3) Ausgleichsenergiemarktprämien in
der Handeln können. Der Real-Time-Preis ist immer Höhe ihrer Erzeugungskosten bekommen (Mier 2021).
effizient, aber die Day-Ahead-Nachfrage nur wenn
 5
 In Mier (2021) wird gezeigt, wie solche Kapazitätsmechanismen
(1) erzeugende Firmen nicht für »Undersupply« und ausgestaltet werden müssen, wenn Firmen kompetitiv sind, aber
Rationierungskosten aufkommen und (2) rationierte gleichzeitig Preisobergrenzen auf dem jeweiligen RTM existieren.

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 Dampfkraftwerksfirmen bekommen nichts von alle- versorgen und Jahre im Voraus Lieferverpflichtun-
 dem, weil der Ex-ante Preis ausreichend ist. Solch gen abschließen. Das führt im Ernstfall, d.h. im Lost-
 eine Situation läuft darauf hinaus, dass alle Profite Load-Event, zu einer prioritären Belieferung. Endver-
 aus dem Stromverkauf entzogen und auf der anderen braucher mit leicht geringeren Kosten würden »Day-
 Seite die gesamten Kapazitätskosten durch den Aus- Ahead« abschließen und solche mit geringeren sogar
 gleichsenergiemarkt subventioniert werden. Nimmt erst »Intraday«. Die zentralen Ergebnisse der Modelle
 man Dampfkraftwerke heraus, ist dies immer noch ohne solch zeitliche Reihenschaltung bleiben aber un-
 ein unerwünschtes Marktdesign und unterscheidet verändert: Firmen zahlen für »Undersupply« in Höhe
 sich wenig von einer zentralen Steuerung von Inves- der jeweiligen Disruptionskosten und auch für Ratio-
 titions- und Produktionsentscheidungen. nierungskosten, sollten sie Lieferverpflichtungen zu
 Ex-ante Preisen mit Endverbrauchern abgeschlossen
 DIE ROLLE VON ZWISCHENHÄNDLERN haben. Endverbraucher wiederum müssen dann in
 Höhe der jeweiligen Disruptionskosten kompensiert
 Damit ein sozialer Planer möglichst wenig regulierend werden. Sollten Endverbraucher Real-Time-Preise zah-
 eingreifen muss, brauchen Firmen Real-Time-Preis­ len, dann fallen Zwänge für Firmen, aber die Endver-
 signale, entweder durch RTM oder Ausgleichsenergie- braucher müssen in Höhe der Rationierungskosten
 märkte. Darüber hinaus tendieren die meisten End- besteuert werden.
 verbraucher zu Ex-ante-Preisen, weil sie das wahrge-
 nommene Risiko von Real-Time-Preisen scheuen. Dazu FÜNF EMPFEHLUNGEN FÜR KÜNFTIGES
 kommt, dass sich eine Interaktion von Firmen und STROMMARKTDESIGN
 einzelnen Endverbrauchern auf Märkten recht kompli-
 ziert gestaltet. Deswegen gibt es Zwischenhändler, die 1. Die technologischen Limitationen von Dampf-
 einen Stromliefervertrag mit Endverbrauchern haben kraftwerken hoch- bzw. herunterzufahren (so-
 (und die damit verbundenen Lieferverpflichtungen) genanntes Ramping) sind nicht die Quelle von
 und wiederum mit Firmen auf den jeweiligen Märkten Marktversagen auf Strommärkten. Das Marktver-
 agieren. Solch ein Zwischenhändler ermöglicht es Fir- sagen wird rein durch eine falsche Bepreisung (ex
 men, in einfacher Weise kostendeckend zu arbeiten, ante) der Flexibilität von Gaskraftwerken ausge-
 effiziente Kapazitäten bereitzustellen und gleichzeitig löst. Dem Problem kann durch einen zusätzlichen
 effiziente Nachfrageentscheidungen zu kreieren, zu- Real-Time-Markt entgegengewirkt werden.
 mindest sollten Zwischenhändler risikoneutral sein. 2. Die Verfügbarkeit von Windturbinen und Pho-
 Ein solcher Zwischenhändler verhindert somit auch tovoltaik-Anlagen ist wetterabhängig. Wetter-
 die Besteuerung von Verbrauchern, wenn diese Real- bedingungen sind räumlich korreliert, aber nie-
 Time-Preise bezahlen. Der Zwischenhändler kann auch mals perfekt. Aber genau das wäre notwendig,
 nur ergänzend tätig sein, so dass im Endeffekt jeder um bei der effizienten Lösung anzukommen.
 Verbraucher selbst entscheiden kann, ob er direkt mit Darüber hinaus wächst das daraus entstehende
 Firmen auf Märkten agieren will (industrielle Verbrau- Output-Risiko mit dem Anteil von EE. Das Output-
 cher) oder einen Zwischenhändler einschaltet (Haus- Risiko-Problem mag wenig Einfluss auf räumlich
 haltsverbraucher). Auch können erstere entweder auf kleine oder Märkte mit geringeren EE-Kapazitä-
 einem Ex-ante- (wenn risikoscheu) oder Real-Time- ten haben, aber räumlich größere Märkte und
 Markt agieren (wenn risikoneutral). solche mit vielen EE müssen diesem Korrela­
 tionsmarktversagen entgegenwirken. Eine Mög-
 REIHUNG VON EX-ANTE MÄRKTEN lichkeit wäre es, das Marktgebiet entsprechend
 sich wechselnder Wetterbedingungen dynamisch
 In der Realität gibt es nicht nur einen Ex-ante-Markt, immer neu zu clustern und dann jeweils Zonen-
 auch nicht in den nordamerikanischen Märkten. Dort preise anzuwenden. Das würde allerdings auch
 gibt es immer noch einen komplementären »For- den organisatorischen Aufwand des Marktes
 ward-Markt«, der als Art Kapazitätsmechanismus lang- deutlich erhöhen.
 fristige Kapazitätsentscheidungen absichert. Solche 3. Rationierte Endverbraucher müssen in Höhe der
 »Forward-Märkte« gibt es auch in Europa, hier aller- Disruptionskosten entschädigt werden, wenn ihre
 dings auch zusätzlich noch verschiedene Formen von Preise (und damit auch ihre Nachfrage) vor der
 »Intraday-Märkten«. Bildet man nun solch eine Rei- finalen Belieferung fixiert sind. Endverbraucher
 hung von Ex-ante-Märkten ab, welche Jahre (Forward), bieten Flexibilität für das System durch poten-
 einen Tag (Day-Ahead) bzw. Stunden (Intraday) vor der zielle Rationierung. Für diese Flexibilität müssen
 finalen Belieferung abgeschlossen sind, bekommt man sie angemessen kompensiert werden. Sobald
 einen Eindruck, wie sich risikoscheue Endverbrau- Endverbraucher Real-Time-Preise zahlen, dreht
 cher mit hohen Disruptionskosten verhalten würden. sich die Kompensation in eine Steuer, weil sonst
 Solche Verbraucher, die eine hohe Abneigung gegen- der marginale Verbraucher nicht indifferent wäre
 über Rationierung haben (und gleichzeitig hohe Dis- zwischen Konsum und Rationierung. Um einer
 ruptionskosten), würden sich über »Forward-Märkte« Reduzierung der Nachfrage vorzubeugen, muss

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

 der Verbraucher die Rationierungskosten tragen, mit Endverbrauchern eingehen, im Falle von Eng-
 was den marginalen Konsumenten dann wieder pässen »Undersupply Penalties« zahlen und Ratio­
 indifferent stellt. nierungskosten tragen. Gaskraftwerke hingegen
4. Nordamerikanische und europäische Märkte würden den Real-Time-Markt unter sich ausma-
 müssen in dreierlei Hinsicht modifiziert werden. chen und Kapazitätszahlungen in Höhe der ent-
 (4a) »Undersupply Penalties« müssen auf die Höhe gangenen Erträge (durch die Preisobergrenze) er-
 der Disruptionskosten gesetzt werden, die den halten. Optimal designte Ausgleichsenergiemärkte
 dominanten Teil des VOLL bilden (d.h. irgendwo mit Kapazitätszahlungen würden die gesamten
 zwischen 5 000 und 10 000 EUR/MWh, Durch- Kapazitätskosten subventionieren und Profite aus
 schnittpreise agieren zwischen 40 und 60 EUR/ dem Handel von Strom entziehen.
 MWh). (4b) Die Endverbraucherkompensation in
 Lost-Load-Zuständen fehlt komplett und muss LITERATUR
 eingeführt werden. Das ist insbesondere wichtig, Brown, G. und M. B. Johnson (1969), »Public utility pricing and output
 weil die Mehrheit der Endverbraucher vertraglich under risk«, American Economic Review 59(1), 119–128.

 fixierte Preise (und nicht Real-Time-Preise) bezah- Carlton, D. W. (1977), »Peak load pricing with stochastic demand«, Ame-
 rican Economic Review 67(5), 1006–1010.
 len. (4c) Preiszonen müssen flexibel entsprechend
 Cramton, P. (2017), »Electricity market design«, Oxford Review of Econo-
 vorherrschender oder sich ändernder Wetterbe- mic Policy 33(4).
 dingungen gebildet werden, um den Output-Ri- Crew, M. A. und P. R. Kleindorfer (1976), »Peak load pricing with a
 siko von Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen diverse technology«, The Bell Journal of Economics 7(1), 207–231.

 entgegenzuwirken. Mier, M (2021), Efficient pricing of electricity revisited, Energy Econo-
 mics 104, 105637.
5. Kapazitätszahlungen oder -märkte sind durch
 Sunar, N und J. R. Birge (2019), »Strategic commitment to a production
 Preisobergrenzen (in nordamerikanischen Märk- schedule with uncertain supply and demand: Renewable energy in day-
 ten) oder Ausgleichsenergiemärkte mit Kapa- ahead electricity markets«, Management Science 65(2), 714–734.

 zitätszahlungen (in europäischen Märkten) ge- Visscher, M. L. (1973), »Welfare-maximizing price and output with
 stochastic demand: Comment«, American Economic Review 63(1),
 rechtfertigt. Preisobergrenzen reduzieren den 224–229.
 Real-Time-Preis in Lost-Load-Zuständen unter Wilson, R. (2002), »Architecture of power markets«, Econometrica 70(4),
 die Summe von VOLL und Rationierungskosten. 1299–1340.
 Solche Obergrenzen führen zu einer Segregation Wolak, F. A., J. Glanchant, P. Joskow und M. Pollitt (2020), »Wholesale
 electricity market design«, Handbook on the Economics of Electricity
 von Märkten. Dampfkraftwerke und EE würden Markets 18.
 auf »Day-Ahead-Märkten« Lieferverpflichtungen

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