Wie sich die Lesbarkeit von Texten auch ohne sprachliche Anpassungen verändern lässt
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Didaktik der Physik Frühjahrstagung – virtuell 2021 Gestaltung von Lernmaterial und Didaktische Typografie – wie sich die Lesbarkeit von Texten auch ohne sprachliche Anpassungen verändern lässt Rosalie Heinen, Susanne Heinicke Institut für Didaktik der Physik, WWU Münster, Wilhelm-Klemm-Str. 10, 48149 Münster rosalie.heinen@wwu.de Kurzfassung Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren aufgezeigt, dass naturwissenschaftsbezogene Texte, wie sie üblicherweise in Schulbüchern und Lernmaterialien verwendet werden, allgemein- und fach- sprachliche Herausforderungen an die Lernenden stellen (Busch & Ralle, 2011; Merzyn, 1994; Pre- diger, 2013; Sumfleth & Schüttler, 1995; Fraas, 1998; Hoffmann, 1998). Kohnen et al. (2017) zeigen außerdem auf, dass Änderungen allein auf morphosyntaktischer Ebene kaum signifikante Effekte in Bezug auf die Erhöhung der Lesbarkeit hervorbringen. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie unter 200 Schülerinnen und Schülern zeigen, wie bereits durch typografische Maßnahmen das sinnent- nehmende Lesen deutlich erleichtert werden kann. Der Beitrag wird zum einen die Ergebnisse der Studie vorstellen, daraus Empfehlungen der didaktischen Typografie ableiten und zum anderen evi- denz- und theoriebasierte (Cognitive Load Theory nach Sweller, 2005; Theory of Multimedia Lear- ning nach Mayer, 2005) Designs zur Gestaltung von Lernmaterial vorstellen, die anhand dieser Basis an der Universität Münster entwickelt werden. 1. Einleitung 2. Anforderungen an Lehrwerke Die Forschung von Merzyn (1994) kommt zu dem Er- Obwohl andere Medien und Medienpraktiken im gebnis, dass Schülerinnen und Schüler vor allem die Lehr- und Lernkontext zunehmend wichtiger werden, Sprache und Verständlichkeit von Physiklehrwerken strukturieren Schulbücher den Unterricht und beein- bemängeln (zitiert nach Starauschek, 2003). Auch flussen dessen Gestaltung auch heutzutage (Dieg- Bölsterli et al. (2010) macht deutlich, dass naturwis- mann, 2013). Dabei kommt ihnen eine Doppelrolle senschaftliche Schulbücher, wenn sie unverständlich zu: Einerseits dienen sie als Lernmittel für die Schü- konzipiert sind, selten genutzt werden. Somit spielt lerinnen und Schüler, andererseits bieten sie der Lehr- der Faktor „Sprache“ auch im Physikunterricht eine kraft „mannigfaltige Arbeitserleichterung bei der Un- wesentliche Rolle. Vor allem das Lesen und Verste- terrichtsvorbereitung“ (Merzyn, 1994, S. 28) und im hen von Schulbuchtexten stellt sprachschwache Unterricht. Lehrwerke besitzen „[…] mit Lehrenden Schülerinnen und Schüler vor Herausforderungen – und Lernenden einen klar definierten Adressatenkreis nicht nur aufgrund fachwissenschaftlicher Inhalte. und erfordern ein ‚Informationsdesign‘ im Sinne ei- Dabei lag das Hauptaugenmerk der Verständlichkeit nes ganzheitlichen Blicks auf Gestaltung und Ver- von Schulbuchtexten lange auf der fachinhaltlichen wendung“ (Pettersson 2010 zitiert aus Fuchs et al., und sprachlichen Ebene. Studien zur sprachlichen 2014; S. 41). Dabei hat der Adressatenkreis be- Struktur von Lehrtexten aus natur-wissenschaftlichen stimmte Voraussetzungen, die für eine Lernförderung Unterrichtsfächern machen allerdings sichtbar, dass gegeben sein müssen (ebd.). Nach Aeberli (2004) sol- die Texte äußerst komplexe sprachliche Eigenschaf- len moderne Lernmaterialien an den Lebenswelten ten vorweisen (Busch & Ralle, 2011; Merzyn, 1994; der Schülerinnen anknüpfen, eine Hilfestellung zur Prediger, 2013). Aktuelle Studien, in denen sprach- Zusammenarbeit bieten und bei gemeinsamem Erfor- lich vereinfachte Schulbuchtexte erprobt wurden, zei- schen von Bedeutungen unterstützen. Sie bieten Hilfe gen, dass die sprachliche Gestaltung bei der Rezep- zur autodidaktischen Selbstbildung an und unterstüt- tion von Texten nicht die einzige Rolle spielt: Ein zen den Aufbau von Basiskonzepten, indem Inhalte Text kann trotz reduzierter Sprachhindernisse kom- mithilfe didaktischer Mittel auf das Wesentliche re- plex wirken (Kohnen et al., 2017). Die Vorstudien zu duziert werden (Fuchs et al., 2014). Zusätzlich sollen Textverständlichkeitsmerkmalen in Physikschulbü- verschiedene Repräsentationsformen angeboten und chern legen nahe, dass neben fachlichen und sprach- vielfältige Interessen berücksichtigt werden (Fuchs et lichen Anforderungen auch die grafische Gestaltung al., 2014; S. 41 f.). die Verständlichkeit von Texten beeinflussen kann. 395
Heinen, Heinicke Neben diesen fachinhaltlichen, kognitionspsycholo- 3.1. Intrinsic cognitive Load gischen und fachdidaktischen Rahmenbedingungen Die intrinsic cognitive load (intrinsische kognitive formuliert Ballstaedt (1997) erstmals auch diverse Belastung bezeichnet) bezieht sich auf die durch die Gestaltungsgrundsätze für Lehrwerke: Funktionalität, Lerninhalte bedingte Belastung (Hofmann, 2012; Einfachheit und Konsistenz. Damit finden auch die Rey, 2008; Zander et al., 2012): Je schwieriger und grafischen Aspekte einer Lehrwerksgestaltung Be- komplexer der Lerninhalt für die Lernenden, desto achtung. In diesem Kontext existieren zwei Theorien höher die intrinsische kognitive Belastung. Je höher zum Lernen mit multimedialen Inhalten, die verbrei- das Vorwissen des Lernenden in Bezug auf den Lern- tet aufgenommen und allgemein akzeptiert sind. inhalt, desto niedriger die intrinsische kognitive Be- Beide beschäftigen sich mit der Gestaltung multime- lastung. dialer Lerninhalte und bezwecken die Reduzierung der kognitiven Belastung des Arbeitsgedächtnisses: 3.2. Germane cognitive load die Cognitive Load Theory nach Sweller (2005) und die Cognitive Theory of Multimedia Learning nach Die germane cognitive (lernbezogene oder relevante Mayer (2005). Beide Modelle sind nicht als konkur- kognitive Belastung) gilt als Prozess im Arbeitsge- rierend, sondern als sich gegenseitig ergänzende The- dächtnis, der für die Schemabildung und -automation orien zu betrachten. relevant ist (Rubitzko, 2006). Die Erhöhung der ger- mane cognitive load sorgt für einen besseren Aufbau 3. Cognitive Load Theory und eine leichtere Aktivierung der Schemata im Ar- beitsgedächtnis (Hofmann, 2012). Nach Rey (2008) Die Cognitive Load Theory geht von einer begrenzten ist die Lern- bzw. die Verständnisleistung besser, je Kapazität des Arbeitsgedächtnisses aus. Dementspre- größer die germane load ist. chend besteht das Ziel darin, die zur Verfügung ste- henden kognitiven Ressourcen der Lernenden opti- mal für lernrelevante Verarbeitungsprozesse zu nut- 3.3. Extraneous cognitive load zen. Dabei wird das Lernen als eine Veränderung im Im Gegensatz zur intrinsic cognitive load bezieht sich Langzeitgedächtnis angesehen (Rey, 2008). Wie kog- die extraneous cognitive load (lernirrelevante/extrin- nitiv anspruchsvoll ein multimedialer Inhalt ist, hängt sische kognitive Belastung) nicht auf die lernbezo- nach Sweller und Paas (2014) von drei Quellen der gene Belastung des Arbeits-gedächtnisses und das kognitive Belastung ab (vgl. Abb.1): Vorwissen des Lernenden, sondern auf die Darstel- 1. Intrinsic cognitive load lung sowie Gestaltung des Lernmaterials (Chandler & (Intrinsische kognitive Belastung) Sweller, 1991). 2. Extraneous cognitive load Die Verständlichkeit eines Lernstoffs hängt damit (Extrinsische kognitive Belastung) auch von der Darstellungsform des Inhalts ab: Ist ein 3. Germane cognitive load Lernmaterial schwer verständlich und enthält eine (Lernbezogene kognitive Belastung) Vielzahl in Bezug auf den Lerninhalt unwichtige In- formationen, so folgt eine hohe extrinsische Belas- tung, da die Informationsfindung kognitive Anstren- gung benötigt und nicht sofort zugänglich ist (Hof- mann, 2012). Zander et al. (2012) führen an, dass die extrinsische Belastung steigt, wenn Lernende einen Text auf ein Bild beziehen sollen, das sich z. B. auf einer anderen Seite des Buches befindet. Ziel der Cognitive Load Theory ist, Lernmaterialien so zu gestalten, dass die extraneous cognitive load möglichst geringgehalten wird. Darum werden im Folgenden verschiedene Effekte und daraus resultie- rende Design- und Gestaltungsmöglichkeiten be- schrieben, die Einfluss auf die extrinsische Belastung haben. 4. Prinzipien Reduktion des „Loads“ Bei der Gestaltung von Lernumgebungen ist darauf zu achten, dass alle drei erwähnten kognitiven Belas- tungen aufgrund ihres als additiv geltenden Charak- ters berücksichtigt werden. Ziel ist wie bereits er- wähnt, eine kognitive Überlastung des Lernenden zu verhindern. Um dies zu erreichen, gibt es nach Swel- ler (2005) und Mayer (2005) eine Reihe von Design- Abb.1: die drei kognitiven Belastungen nach Sweller (2005) und Gestaltungsmöglichkeiten, die sich aus der 396
Gestaltung von Lernmaterial und Didaktische Typografie Cognitive Load Theory ableiten lassen. Im Folgenden werden 4 dieser Prinzipien vorgestellt und diese in ei- nem weiteren Schritt auf die typografische Gestaltung von Lehrwerken übertragen. 4.1. Multimedia-Prinzip Das Multimediaprinzip besagt, dass das Lernen mit der Kombination von Text und Bild effektiver ist als das Lernen ausschließlich anhand von Text (Butcher, 2014). Außerdem wird damit argumentiert, dass Bil- der anschaulich sind und als Ganzes erfasst werden können (Rey, 2008). Dementsprechend müssen die Lernenden keine gedanklichen Bilder konstruieren. Dies hat schließlich zur Folge, dass durch die Kon- struktion von Bildern kognitive Belastungen redu- ziert werden können (vgl. Abb.2) Abb.3: das räumliche Kontiguitäts-Prinzip nach Sweller (2005) 4.3. Segmentierungs-Prinzip Das Segmentierungsprinzip beschreibt das Gliedern von Lernsequenzen in Abschnitte (Mayer & Pilegard, 2014). Ist das vorliegende Material ein Text, so be- deutet dies dessen Gliederung in Abschnitte (vgl. Abb. 4). Ist das Material hingegen eine Animation, so wird vom Gliedern in Teilsegmente gesprochen, die durch ‚stop‘ und ‚weiter‘ nacheinander aktivierbar sind (Rey, 2008). Durch die Segmentierung sind die Lernenden nach Zander et al. (2012) in der Lage, „[…] mentale Repräsentationen einzelner Abschnitte aufzubauen, bevor der kommende Abschnitt bearbei- tet wird“ (S. 52). Es müssen also keine bzw. wenige Abb.2: das Multimedia-Prinzip nach Sweller (2005) Informationen im Arbeitsgedächtnis erhalten bleiben, um den Lerninhalt verstehen zu können. Durch kog- 4.2. Räumliches Kontiguitäts- Prinzip nitive Überlastung gelingt es den Lernenden nicht, Textinhalte in einem verbalen und Bildinhalte in ei- Damit Lernende von Text-Bild-Kombinationen pro- nem visuellen Modell zu organisieren. Dementspre- fitieren können, müssen Bilder und Texte in unmittel- chend wird der Lernprozess erschwert. barer räumlicher Nähe stehen. Dazu werden z.B. Bil- der, Grafiken, Tabellen etc. neben den Absätzen plat- ziert, in denen sie beschrieben werden (vgl. Abb. 3). Ein Verweis auf ein Bild, das in Relation zu dem ent- sprechenden Text auf einer anderen Seite steht, hat zur Folge, dass die Aufmerksamkeit geteilt wird (Split-Attention-Effekt; auch bekannt als Prinzip der geteilten Aufmerksamkeit) (Zander et al., 2012). Der Split-Attention-Effekt ist somit ein Resultat der Nichteinhaltung des räumlichen Kontiguitätsprinzips. Abb.4: das Segmentierungsprinzip nach Sweller (2005) 397
Heinen, Heinicke 4.4. Signalisierungs-Prinzip Inwiefern sich die einzelnen Prinzipien in typografi- Das Signalisierungsprinzip besagt, dass das Lernen sche Maßnahmen übersetzen lassen, kann aus Tab. 1 effektiver wird, wenn Hinweiszeichen hinzugefügt entnommen werden. und Kerninhalte des Lernmaterials hervorgehoben werden (van Gog, 2014). Die Signalisierung lenkt Gestaltungs- Übertragung in eine typo- nicht nur die Aufmerksamkeit des Lernenden auf die prinzipien nach grafische Lösung Kerninhalte, sondern verbessert auch die Struktur des Sweller (2005) Materials (ebd.). Das Signalisierungsprinzip kann - Segmentierung des nach van Gog (2014) in verschiedenen Formen um- Segmentierungs- Prinzip Textes in Abschnitte gesetzt werden. Zum einen können die Hinweise text- und bildbasiert sein, d. h. es kann entweder ein kurzer - Einsatz von Zwischen- Text oder ein Bild mit Markierungen erstellt werden, überschriften zur Porti- die vorab auf die zentralen Aspekte und Elemente des onierung fachlicher In- Themas hinweisen. halte Zum anderen kann das Lernmaterial durch die Mar- - Strukturierung von Ele- kierung von Textstellen und die Hervorhebung we- menten mithilfe deutli- sentliche Aspekte in Bildern erleichtert werden (vgl. cher Abschnittsmarkie- Abb. 5). Dabei sollten zugehörige Prozesse bzw. rungen Textstellen die gleiche Farbe erhalten (van Gog, - Textstrukturierung mit- 2014). Die Signale können auch in Form von Pfeilen, hilfe von Aufzählungen Piktogrammen etc. dargestellt werden. (Zahlen, Punkte, Spie- gelstriche) Signalisierungs- - Überschriften und Zwi- Prinzip schenüberschriften - konsequente Auszeich- nung von Schlüsselbe- griffen - farbige Hinterlegung von Textflächen zur Kennzeichnung von Textkörpern - Piktogramme Multimedia- - Kombination verschie- dener Repräsentations- Prinzip formen wie bspw. Texte, Grafiken und Abbildungen räumliches Kon- - Abbildungsnummerie- Abb.5: das Signalisierungs-Prinzip nach Sweller (2005) tiguitäts-Prinzip rung und -unterschrif- ten, Bildverweise im 5. Übertragung der Prinzipien auf die Lehr- Text, räumliche Nähe werksgestaltung von zusammengehöri- Die verschiedenen Gestaltungsprinzipien lassen sich gen Text- und Bildele- auf das Repertoire der typografischen Gestaltung von menten Lehrwerken übertragen. Wenn es um wissensvermit- - Einsatz grafischer telnde Texte geht, spricht man in diesem Kontext Strukturmarker (Linien, auch von didaktischer Typografie. Gemeint ist damit Pfeile, Punkte etc.) der zweckdienliche Einsatz typografischer Gestal- - Rasterkonforme Text- tungsmittel in Texten, die in Lehr- und Lernprozessen Bild-Arrangements eingesetzt werden, zur Erhöhung der Lesbarkeit und bzw. die Ausgewogen- zur Unterstützung des Lese- und Verständnisprozes- heit von Text, Bild und ses. Dies geschieht z.B. durch die Wahl verschiedener Weißraum Schriften, Schriftschnitte und Schriftgrößen zur Kennzeichnung von Textkörpern und klarer Unter- Tab. 1: Übertragung der Gestaltungsprinzipien auf typo- scheidbarkeit der Textfunktionen (z. B. Lesetext, grafische Maßnahmen. Aufgaben, Zusammenfassungen oder Merksätze). 398
Gestaltung von Lernmaterial und Didaktische Typografie 6. Empirische Arbeit Damit wird eine bewusste Stichprobenziehung nach Im Rahmen der Studie soll erhoben werden, ob sich dem Top-down-Verfahren erzielt. die grafische Gestaltung eines Textes auf seine Ver- Zuerst wurden bei allen Schülerinnen die deutsche ständlichkeit auswirkt – während sprachliche Merk- Sprachkompetenz anhand eines C-Tests und die ba- male auf der Textoberflächenstruktur bewusst außer salen Lesekompetenzen anhand eines standardisier- Acht gelassen werden. Dazu werden ausgewählte ten Lesetests erhoben. Texte aus Nawi-Schulbüchern unter verschiedenen In einer weiteren Unterrichtsstunde erhielten die Gesichtspunkten überarbeitet. Ohne sprachliche Ver- Schülerinnen je eines der vier Textlayouts. Der Text änderungen vorzunehmen wird eine Defragmentie- wurde von den Schülerinnen gelesen und im An- rung des Schulbuchtextes in seine einzelnen Bestand- schluss ein Leseverständnistest ausgefüllt, der sich teile durchgeführt, um diese dann in kohärenter Ab- am Lesekompetenzmodell nach PISA orientiert. Zu- folge neu zusammenzusetzen. Darüber hinaus werden dem wurden Bearbeitungszeit und weitere subjektive die Layouts rein typografisch überarbeitet. Bei der Einschätzungen zum Text erfasst. grafischen Manipulation werden die Annahmen und Erkenntnisse der Cognitive Load Theory nach Swel- 7. Tendenzen der Vorstudie ler (1998) und der Cognitive Theory of Multimedia Anhand der mündlichen und schriftlichen Rückmel- Learning nach Mayer (2005) berücksichtigt. Zusätz- dungen der Schülerinnen und Schüler zu den vier ver- lich wird das Erfahrungswissen von Designern und schiedenen Textversionen konnten durch struktu- Typografen zum Thema Layout und Gestaltung hin- rierte Zusammenfassung der Vorstudienergebnisse zugezogen. insgesamt vier verschiedene Feedback-Kategorien festgestellt werden (vgl. Abb.7): 6.1. Methodisches Vorgehen - Feedback zur typografischen Gestaltung - Feedback zur sprachlichen Gestaltung Die teils qualitativ, teils quantitativ angelegte Studie - Feedback zur inhaltlichen Gestaltung zielt auf eine erste Erfassung des Einflusses von ty- - sonstiges (z. B. Gewicht und Kosten des pografischen Manipulationen in naturwissenschaftli- Lehrwerks) chen Lehrwerken in sprachlich heterogenen Klassen (Heinen & Heinicke, 2021) ab. Konkret soll erhoben werden, inwiefern sich die Manipulation eines naturwissenschaftlichen Schul- buchtextes durch auf die Zugänglichkeit des Textes für Schülerinnen und Schülern auswirkt. Dazu wur- den insgesamt zwei Schulbuchtexte in 4 Stufen mani- puliert, sodass die Layouts A bis D entstanden (vgl. Abb.6). Abb.7: Rückmeldungsparameter Die Rückmeldungen machen deutlich, dass bereits junge Leserinnen und Leser ein Gespür für gute oder schlechte Typografie besitzen (Heinen & Heinicke, Abb.6: Schematische Darstellung der verschiedenen Text- 2021). Die subjektiven Bewertungen und der Lernzu- layouts wachs zeigen in Tendenzen, dass die Verständlichkeit von Texten durch die Neustrukturierung der Inhalte und dem Einsatz typografischer Mittel verbessert Die Erhebung wurde an lokalen und internationalen werden kann. Dabei scheinen deutsche Mutter- deutschen Auslandsschulen (Köln, Kairo, Teheran, sprachler als auch Deutschlernende von der grafi- Istanbul, Kapstadt) in den Jahrgangsstufen 8 bis 10 schen Überarbeitung zu profitieren (Heinen & Heini- durchgeführt. Für die Datenerhebung wurden vor al- cke, 2021). lem deutsche Auslandsschulen ausgewählt, weil dort der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die Deutsch als Fremdsprache lernen, überproportional hoch ist. 399
Heinen, Heinicke 8. Implikationen für die Praxis 8.2. Marginalspalte Die bisherigen Erkenntnisse zur Wirkung von Layout und Schrift dienten u.a. zur Konzeption eines webba- sierten Arbeitsblatt-Generators namens Wunder- books, einem gemeinschaftlichen Arbeitsprojekt des Instituts für Didaktik der Physik (WWU Münster) und diversen Kooperationspartnern (Physikanten und Co., mintley GmbH, tutory UG) gefördert durch die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung (vgl. Abb.8). Das Projekt versteht sich als Weiterentwicklung des Schulbuchs und soll durch die modulare Arbeitsblatt- gestaltung und die Integration einer Video- und Foto- datenbank den digitalen Medieneinsatz im naturwis- senschaftlichen Unterricht didaktisch begleiten. 8.1. Schrift Die Arbeitsblätter werden in der Grundeinstellung mit der Schrift Fira Sans erstellt. Dabei handelt es sich um eine hochwertige, gut ausgebaute Open Source Schrift ohne Serifen, die eine große Anzahl Zeichen unterstützt. Gemeinsam mit vorgegebenen Abb.9: Beispielhaftes Arbeitsblatt mit Marginalspalte Schriftgrößen und Zeilenabständen kann eine opti- male Lesbarkeit gewährleistet werden. Den Nutzerin- nen und Nutzern werden limitierte Schriftgrößen und Bei der Konzeption von Arbeitsmaterialien besteht Hervorhebungen angeboten. Hierbei handelt es sich die Möglichkeit, mit Marginalspalten zu arbeiten um die bewusste Entscheidung, den Lehrenden einen (vgl. Abb.9). Diese erlauben, dass man Inhalte, die Großteil der Layoutarbeit abzunehmen, damit diese nebensächlich oder weiterführend sind, an der Seite sich auf die reine Vermittlung der Inhalte konzentrie- platzieren kann, ohne den Lesefluss zu stören. Auf ren können. Auf der einen Seite haben die Nutzerin- diese Weise können sich die Lernenden mit dem nen und Nutzer zwar weniger Kontrolle über die gra- Hauptinhalt beschäftigen, ohne von Zusatzinformati- fische Gestaltung der Arbeitsblätter, andererseits onen gestört zu werden. In der Marginalspalte können kann damit gewährleistet werden, dass die Materia- bspw. QR-Codes, Hinweise, Definitionen oder Pikto- lien immer ähnlich systematisch aufgebaut werden gramme platziert werden. und eine hohe Wiedererkennbarkeit besitzen. 8.3. Piktogramme Abb.8: Einblick in den Arbeitsblattgenerator Wunder- books Abb.10: entwickelte Piktogramme 400
Gestaltung von Lernmaterial und Didaktische Typografie Der allgemeine Einsatz von Piktogrammen ist beliebt. Busch, H. & Ralle, B. (2011): Fachbegriffe und ihre Dabei ist es wichtig zu gewährleisten, dass die Pikto- Bedeutung. Diagnostik fachsprachlicher gramme leicht verständlich und deutlich voneinander Kompetenz. Naturwissenschaften im Unter- zu unterscheiden sind. Das Institut für Didaktik der richt Chemie, 22 (124/125). S. 52-55. Physik (WWU Münster) entwickelte gemeinsam mit der Fachhochschule für Design in Münster Pikto- Butcher, K. R. (2014): The Multimedia Principle. In: gramme, die nicht nur als dekorative Illustration ver- Mayer, E. R. (Hrsg.): The Cambridge Hand- wendet werden, sondern anhand eines systematischen book of Multimedia Learning. 2. Aufl. New Farbcodes die Wiedererkennbarkeit und Wiederauf- York: Cambridge University Press. S. 174 - findbarkeit von Aufgaben gewährleisten (vgl. 205. Abb.10). Chandler, P., Sweller, J. (1991): Cognitive Load 9. Anschlussforschungen Theory and the Format of Instruction. In: Mit dem Arbeitsblatt-Generator Wunderbooks wird Cognition and Instruction 8, Heft 4. S. 293- den Lehrenden ein sowohl intuitiv zu bedienender als 332. auch modularer Baukasten zur Erstellung systemati- scher, gut lesbarer und attraktiver Arbeitsmaterialien Diegmann, D. (2013): Schulbücher. Zeitschrift für geboten, der den Basisanforderungen eines guten Erziehungswissenschaft, 16(2), S. 463 - 472. Kommunikationsdesigns gerecht wird. Mit der Annahme, dass die Verständlichkeit von Fraas, C. (1998). Lexikalisch-semantische Lehr- und Lernmaterialien nicht nur durch fachinhalt- Eigenschaften von Fachsprachen. In: L. Hoff- liche oder sprachliche Überarbeitung erzielt wird, mann, H. Kanalverkämper & H. Wiegand sondern durch den zweckmäßigen Einsatz didakti- (1998). Fachsprachen. Languages for special scher Typografie, können im Rahmen der Nutzung purposes. Ein internationales Handbuch zur des Wunderbooks-Arbeitsblattgenerators weitere An- Fachsprachenforschung und Terminologie- schlussforschungen zu folgenden Fragestellungen wissenschaft. Berlin: Walter de Gruyter. S. stattfinden: 428-438. - Welche didaktischen Einsatzmöglichkeiten Fuchs, E.; Niehaus, I. & Stoletzki, A. (2014): Das bieten die Wunderbooks-Materialien? Schulbuch in der Forschung: Analysen und Empfehlungen für die Bildungspraxis. Band - Wie können die Wunderbooks-Materialien 4. Göttingen: V & R Unipress. die Integration digitaler Medien im analogen naturwissenschaftlichen Unterricht didak- Heinen, R. & Heinicke, S. (2021): Die Rolle der tisch optimal begleiten? Typografie in naturwissenschaftlichen Lehr - Welche Rolle spielen die Designentschei- werken. In: Michalak, M. & Döll, M. (Hrsg.): dungen bei der Gestaltung und Nutzung von Lehrwerke und Lehrmaterialien im Kontext Wunderbooks-Materialien? des Deutschen als Zweitsprache und der sprachlichen Bildung. Deutsch als Zweitspra- 10. Literatur che – Positionen, Perspektiven, Potenziale (Band 2). Münster: Waxmann Verlag GmbH. Aeberli, C. (Hrsg.) (2004): Lehrmittel neu S. 91 – 118. diskutiert.Ergebnisse des 1. Schweizer Lehr- mittelsymposiums am 29./30. Januar 2004 auf dem Wolfsberg in Ermatingen, TG. Hoffmann, L. (1998). Syntaktische und Zürich: Lehrmittelverlag des Kantons Zürich. morphologische Eigenschaften von Fachspra- chen. In: L. Hoffmann, H. Kanalverkämper & Ballstaedt, S.-P. (1997): Wissensvermittlung. H. Wiegand (Hrsg.): Fachsprachen. Ein inter- Die Gestaltung von Lernmaterial. Weinheim: nationales Handbuch zur Fachsprachenfor- Beltz. schung und Terminologiewissenschaft. Ber- lin: Walter de Gruyter. S. 416-427. Bölsterli Bardy, K.; Wilhelm, M. & Rehm, M. (2010): Die Bedeutung von Schulbüchern im Hofmann, T. (2012): eFATHOM: Entwicklung und kompetenzorientierten Unterricht - am Bei- Evaluation einer multimedialen Lernumge- spiel des Naturwissenschaftsunterrichts. In: bung für einen selbstständigen Einstieg in die Beiträge zur Lehrerbildung, 28(1), S. 138– Werkzeugsoftware FATHOM. Wiesbaden: 146. Springer Spektrum Vieweg+Teubner Verlag. 401
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