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   Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen
   Extremisten verhindern; InFoEx Workshop, Berlin,
   28.-29. Mai 2020
   Koller, Sofia; Silke, Andrew; Lempp, Marion; Möller, Kurt

   Veröffentlichungsversion / Published Version
   Kurzbericht / abridged report

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Koller, S., Silke, A., Lempp, M., & Möller, K. (2021). Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten
verhindern; InFoEx Workshop, Berlin, 28.-29. Mai 2020. (DGAP Report, 11). Berlin: Forschungsinstitut der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-75827-6

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Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

                                                                                        Nr. 11
                                                                                   Juni 2021

                                   REPORT

                            InFoEx Workshop, Berlin, 28.- 29. Mai 2020

                            Themenpapier: Rückfälligkeit
                            bei islamistischen Extremisten
                            verhindern
von Sofia Koller
Mit Beiträgen von
Prof. Andrew Silke,
Marion Lempp und
Kurt Möller

                                                                     SOZIALES UMFELD

                                                         RISIKOBEWERTUNG
                                               EXTREMISMUS
                                           ENTLASSUNG                           WIEDEREINST

                                                      PSYCHOLOG
                                                                   ENTLASSUNG
                                     BEDÜRFNISSE
                                NETZWERK
                             RÜCKKEHRENDE RÜCKFÄLLIGKEIT    STABILI
                          SOZIALES
                         UMFELD         PRÄVENTION RISIKO
                       STABILISIERUNG NETZWERK
                      STRAFVOLLZUG BEDÜRFNISSE SOZIALES
                   WIEDEREINSTIEG                   PSYC
                                                                                         PRÄVEN
                  ÜBERGANGSMANAGEMENT
                   RISIKOBEWERTUNG                              BEDÜRFNISSE
                                                                                RÜCKFÄLLIG
                      NETZWERK ÜBERGANGSMANAGE                       EXTREMISMUS
2                                                                                                               Nr. 11 | Juni 2021

Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                                  REPORT

              ÜBER DAS PROJEKT INTERNATIONAL FORUM FOR EXPERT
              EXCHANGE ON COUNTERING ISLAMIST EXTREMISM (INFOEX)

              InFoEx ist ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
              (DGAP) und des Forschungszentrums für Migration, Integration und Asyl des Bundesam-
              tes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). InFoEx trägt bewährte Praktiken und wissen-
              schaftliche Erkenntnisse aus der Tertiärprävention im In- und Ausland zusammen. Ziel
              des Projekts ist es, empirische Befunde zu Radikalisierungs- und Deradikalisierungspro-
              zessen zu erheben, wobei der Schwerpunkt auf der praktischen Anwendbarkeit für die
              Deradikalisierung von Extremisten liegt. Zu diesem Zweck hat die BAMF-Forschungsstel-
              le ein Netzwerk von wissenschaftlichen Mitarbeitenden initiiert, die bei den bzw. über
              die lokalen Partner-Beratungsstellen der BAMF-Beratungsstelle „Radikalisierung“ sowie
              bei verschiedenen Forschungseinrichtungen angestellt sind. Zusammen mit den Bera-
              tenden der lokalen Beratungsstellen bilden diese wissenschaftlichen Mitarbeitenden den
              Kern von InFoEx.

              ÜBER DEN WORKSHOP AM 28. UND 29. MAI 2020

              Aufgrund von Einschränkungen wegen der COVID-19-Pandemie wurde der Workshop
              virtuell organisiert. Unter den 30 Teilnehmenden waren Netzwerkpartner der BAMF-
              Beratungsstelle Radikalisierung aus zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen
              sowie Praktiker und Praktikerinnen und Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus
              Belgien, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Kö-
              nigreich. Um den Workshop auf die Bedürfnisse seiner Akteure abzustimmen, teilten die
              in Beratungsstellen und Forschungseinrichtungen in Deutschland eingebetteten wissen-
              schaftlichen Mitarbeitenden – in Absprache mit den Beratenden in ihren lokalen Bera-
              tungsstellen – vor dem Workshop ihre spezifischen Informationsbedürfnisse und Fragen
              mit. Relevante externe Expertinnen und Experten wurden entsprechend eingeladen. Die
              Teilnehmenden hatten bei dem Workshop die Gelegenheit, ihre Erfahrungen zu den He-
              rausforderungen von Rückfälligkeitsprävention sowie Beispiele von bewährten Prakti-
              ken zu teilen.

              KONTAKT

              Sofia Koller, Projektleiterin InFoEx, E-Mail: koller@dgap.org

                                                                                          Forschungszentrum
                                                                                          Migration, Integration und Asyl
Nr. 11 | Juni 2021                                                                                             3

            REPORT                         Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern

                Inhalt
                Zusammenfassung                                                                  4
                Empfehlungen                                                                     4
                Einleitung                                                                        5
                Rückfallprävention im Gefängnis                                                   7
                Rückfallprävention nach der Haftentlassung                                      10
                De-Deradikalisierungsbemühungen                                                 12
                durch extremistische Akteure
                Psychosoziale und andere Aspekte von Rückfälligkeit                             14
                Der Sonderfall von Rückkehrenden aus Syrien und dem Irak                        15
                Fazit                                                                           16

                Literaturverzeichnis                                                             17
                Literaturhinweise                                                               18
4                                                                                                              Nr. 11 | Juni 2021

Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                                REPORT

Zusammen-                                                       Empfehlungen
fassung
                                                                1
Mehrere tödliche Anschläge wurden in den letzten Jah-                    Behördliche und zivilgesellschaftliche Praktiker soll-
ren in Europa von terroristischen Straftätern verübt, die                ten die Haftzeiten terroristischer Straftäter nutzen,
erst kurz davor aus dem Gefängnis entlassen worden wa-                   um den Kontakt zu möglichen Klienten herzustellen
ren und an Deradikalisierungs- und Aussteigerprogrammen                  und deren individuelle Bedürfnisse und Herausfor-
teilgenommen hatten. Für alle Länder, die von islamisti-                 derungen zu erkennen.

                                                                2
schem Extremismus und Terrorismus bedroht sind, werfen
diese Attentate die Frage auf, wie das Risiko der Rückfäl-               Praktiker sollten ab dem ersten Tag der Haftzeit an
ligkeit von terroristischen Straftätern verhindert oder zu-              Maßnahmen arbeiten, um den Insassen nach ihrer
mindest deutlich reduziert werden kann. Akteure in der                   Entlassung den Übergang zu erleichtern. Dazu ge-
Präventionsarbeit müssen die Wirksamkeit und Nachhal-                    hört der Auf bau von engmaschigen Unterstützungs-
tigkeit der Deradikalisierungs- und Ausstiegsarbeit genau-               netzwerken, um auf Bedürfnisse einzugehen und
er untersuchen.                                                          Herausforderungen anzugehen.

                                                                3
Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Deutsche Ge-
sellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Kooperation mit              Praktiker müssen sich der aktuellen Trends im On-
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im                    line- wie im Offline-Bereich bewusst sein, wie zum
Mai 2020 einen internationalen virtuellen Workshop zur                   Beispiel der Existenz von salafistischen „Hot Spots“
Rückfallprävention bei ehemaligen islamistischen Gewalt-                 in der örtlichen Gemeinde. Sie sollten mit ihren
tätern. Dieser Workshop fand im Rahmen des International                 Klienten offen über erneute Rekrutierungsbemü-
Forum for Expert Exchange on Countering Islamist Extre-                  hungen sprechen, mit denen (ehemalige) Häftlinge
mism (InFoEx) statt. In diesem Rahmen diskutierten staat-                wahrscheinlich konfrontiert werden.

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liche und zivilgesellschaftliche Netzwerkpartner des BAMF
mit externen Experten über Herausforderungen und be-                     Vor allem Wissenschaftler sollten genauer analy-
währte Praktiken. Zu den Themen gehörten die Verhinde-                   sieren, warum manche Personen erneut straffällig
rung von Rückfällen in der Haft und nach der Entlassung,                 werden und wiedereinsteigen, während andere dies
der Umgang mit möglichen De-Deradikalisierungsbemü-                      nicht tun. Das Ziel ist es, unnötige Restriktionen zu
hungen extremistischer Akteure, der Umgang mit psycho-                   vermeiden und die Grundlagen für eine evidenzba-
sozialen und anderen Aspekten von Rückfälligkeit sowie                   sierte Politik zu schaffen.

                                                                5
der Rückfallprävention im Kontext der Rückkehr auslän-
discher Kämpfer aus Syrien und dem Irak. Auf der Grund-                  Alle Akteure, z.B. auch Gefängnisverwaltung und Si-
lage der Diskussionen auf dem Workshop wurden die fol-                   cherheitsbehörden, sollten klar kommunizieren, was
genden Empfehlungen für Praktiker und Praktikerinnen,                    realistischerweise durch tertiäre Prävention von ge-
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie staatliche                walttätigem Extremismus innerhalb und außerhalb
Akteure formuliert, die an der Verhinderung von Rückfäl-                 des Gefängniskontextes erreicht werden kann.
len arbeiten:
Nr. 11 | Juni 2021                                                                                                                                                             5

               REPORT                                                        Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern

Einleitung

Die tödlichen Anschläge in Dresden und einem Pariser Vor-                                Nach einem Überblick über die Erkenntnisse aus der aktu-
ort im Oktober 2020 sowie die Schießerei in Wien im No-                                  ellen Forschung beschreibt dieses Papier die Herausforde-
vember 2020 erinnerten die europäische Öffentlichkeit                                    rungen und bewährten Praktiken, die während des Work-
schmerzlich daran, dass die Bedrohung durch islamisti-                                   shops diskutiert wurden: Rückfallprävention im Gefängnis
schen Extremismus und Terrorismus in Europa andauert.                                    und nach der Entlassung, De-Deradikalisierungsbemühun-
Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass zwei die-                                  gen von extremistischen Akteuren, psychosoziale und an-
ser Anschläge offenbar von kürzlich entlassenen terroris-                                dere Aspekte von Rückfälligkeit sowie Besonderheiten, die
tischen Straftätern verübt wurden. In beiden Fällen waren                                für Rückkehrende aus Syrien und dem Irak relevant sind.
die mutmaßlichen Angreifer in Kontakt mit Deradikalisie-
rungsprogrammen. Dies wirft die Frage auf, wie Rückfällig-                               Rückfälligkeit im engeren Sinne bezieht sich meist auf die
keit und Gewaltpotenzial reduziert bzw. vermieden werden                                 erneute Festnahme, Inhaftierung oder Verurteilung eines
können. Neben vielen involvierten Institutionen müssen                                   ehemaligen Straftäters wegen einer weiteren terroristi-
auch die an Präventionsarbeit beteiligten Akteure die Ef-                                schen oder nicht-terroristischen Straftat.2 Eine Strategie
fektivität und Nachhaltigkeit ihrer Deradikalisierungs- und                              zur Verhinderung von Rückfällen muss jedoch auch den
Distanzierungsbemühungen genauer unter die Lupe neh-                                     Umgang mit Personen umfassen, die sich erneut auf extre-
men. In vielen Bereichen – zum Beispiel bei der Bewältigung                              mistische Strukturen und Narrative einlassen, ohne aber ein
der Übergangszeit nach der Entlassung – stehen europäi-                                  zweites Mal verurteilt zu werden (Renard 2020). Zivilgesell-
sche Länder vor ähnlichen Herausforderungen. Unterschie-                                 schaftlichen Akteuren, die in der tertiären Prävention tätig
de im sozialen, politischen und juristischen Kontext können                              sind, geht es nicht ausschließlich darum, kriminelles Ver-
es aber auch erforderlich machen, spezifische Antworten zu                               halten zu verhindern und Sicherheitsrisiken zu reduzieren.
finden, zum Beispiel, wenn es um den Umgang mit salafis-                                 Vielmehr ist ihr Hauptziel, „individuelle Handlungsfähigkeit
tisch-dschihadistischen „Hot Spots“ geht.                                                sicherzustellen und soziale Integration zu ermöglichen, um
                                                                                         Lebensgestaltungschancen zu garantieren und zu erwei-
Für Praktiker, Behördenvertreter und Wissenschaftler ist                                 tern“ (Möller et al 2019, S.18). Die tertiäre Präventionsarbeit
es hilfreich, über die Herausforderungen der Rückfallprä-                                muss sich daher auch mit der Frage auseinandersetzen, wie
vention zu diskutieren und bewährte Praktiken zu identifi-                               Rückfallprävention nachhaltiger gestaltet werden kann.
zieren, die in ihrem besonderen Kontext nützlich sein kön-
nen. Dieses Themenpapier präsentiert die Ergebnisse der
Expertendiskussionen während des sechsten InFoEx-Work-
shops im Mai 2020, der sich auf das Thema Rückfälligkeit
konzentrierte. Die anhaltenden Einschränkungen aufgrund
von COVID-19 machten es notwendig, den Workshop in di-
gitalem Format zu organisieren. Mehr als 30 internationa-
le Praktiker, Wissenschaftler und Behördenvertreter, die
sich mit tertiärer Prävention von islamistischem Extremis-
mus1 beschäftigen, aus Belgien, Dänemark, Deutschland,
den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und Schwe-
den trafen sich online, um ihre Erfahrungen zu diskutieren.

1 Im Kontext von InFoEx werden unter tertiärer Prävention von (gewaltbereitem) islamistischem Extremismus alle Maßnahmen verstanden, die (gewaltbereite) Extremisten und
Extremistinnen in der Haft und der Gesellschaft bei der Herauslösung aus ihren Milieus, der Deradikalisierung, Entkriminalisierung und Resozialisierung unterstützen sollen.

2 So stellt Hodwitz (2019) in seiner Analyse der Rückfallquoten von terroristischen Häftlingen in den USA fest, dass neun von 561 Insassen im Gefängnis oder nach der
Entlassung erneut straffällig wurden. Zu ihren Straftaten gehörten jedoch auch Fälschungen, illegaler Erwerb von Lebensmittelmarken oder Drogenbesitz. Hodwitz folgerte
daraus, dass restriktive Maßnahmen zur Überwachung entlassener terroristischer Häftlinge nicht gerechtfertigt sind.
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Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                              REPORT

    Wissenschaftliche Erkenntnisse über Rückfallra-                 Erfreulicherweise deuten erste Forschungsergeb-
    ten bei Terroristen und die Folgerungen für Poli-               nisse darauf hin, dass die meisten derzeitigen Maß-
    tik und Praxis                                                  nahmen für terroristische Gefangene zumindest eine
    Von Professor Andrew Silke, Cranfield University, Ver-          gewisse positive Wirkung haben. Die Erfolgsrate ist
    einigtes Königreich                                             nicht hundert Prozent, aber man sollte sich darüber
                                                                    im Klaren sein, dass es ohnehin keine Maßnahmen
    Während der letzten 18 Monate gab es mehrere                    gibt, egal bei welcher Gefangenenpopulation, die
    schwere Anschläge, die mutmaßlich von entlassenen               eine hundertprozentige Effektivitätsrate aufweist.
    terroristischen Straftätern verübt wurden, darunter
    zwei Messerattacken in London und ein Schusswaf-                Die für terroristische Gefangene verwendeten Risi-
    fenangriff in Wien. Es ist verständlich, dass solche            kobewertungsmodelle geraten zwangsläufig in die
    Fälle ehemalige Häftlinge als erhebliche potenzielle            Kritik, wenn ein entlassener Häftling einen Anschlag
    Bedrohung in zukünftigen Gewaltszenarien erschei-               verübt hat. Doch hat sich dieser Bereich in den letz-
    nen lassen. Sie erwecken auch ernste Zweifel, was               ten zehn Jahren wesentlich weiterentwickelt. Mo-
    die Wirksamkeit der Rehabilitationsmaßnahmen für                derne Risikobewertungsinstrumente wie ERG22+
    terroristische Straftäter angeht. Gleiches gilt für Fä-         oder VERA2R sind eindeutig sehr viel besser für ter-
    higkeit der Gefängnis- und Bewährungsaufsicht, das              roristische Häftlinge geeignet als die allgemeinen
    von diesen Personen ausgehende Risiko richtig ein-              Modelle von früher.
    zuschätzen und darauf zu reagieren.
                                                                    Dennoch stehen wir weiterhin vor ernsthaften Her-
    Doch auch unter Berücksichtigung dieser Anschlä-                ausforderungen. Insbesondere zwei wichtige Fragen
    ge liefert die Wissenschaft Hinweise darauf, dass die           bedürfen verstärkter Aufmerksamkeit: Erstens ha-
    Rückfallprävention bei solchen Tätern Fortschrit-               ben wir noch nicht genügend Informationen darü-
    te gemacht hat. Dem jüngsten Überblick zufolge                  ber, was Rückfalltäter von anderen entlassenen Ter-
    existieren mittlerweile 16 Studien und Regierungs-              roristen unterscheidet. Wie genau unterscheiden sie
    berichte, die Statistiken über die Rückfallhäufig-              sich in Bezug auf Hintergrundmerkmale und Risiko-
    keit terroristische Straftäter enthalten und ein brei-          profile? Zweitens müssen die Auswirkungen von Ge-
    tes Spektrum von Ländern in Nordamerika, Europa,                fängnis- und Bewährungsmaßnahmen viel gründ-
    dem Nahen Osten und Asien abdecken. Wenn man                    licher untersucht werden, auch wenn es hier erste
    ihre Ergebnisse zusammenfasst, liegt die durch-                 positive erste Anzeichen gibt. Um zu verstehen, was
    schnittliche Rückfallquote für entlassene terroris-             funktioniert, müssen wir in die Erweiterung der Evi-
    tische Straftäter bei 9 Prozent, mit einem Median-              denzbasis investieren.
    wert von 5,5 Prozent. Diese Zahlen sind viel niedriger
    als die für nicht-terroristische Straftäter typischen
    Rückfallquoten.                                             Angesichts der Tatsache, dass die Rückfallquoten zwar re-
                                                                lativ niedrig, aber dennoch existent sind, und mit Blick auf
    Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in ei-         die gravierenden Folgen, die jeder Vorfall haben kann, sol-
    nigen Studien die Rückfallquoten in terroristische          len die folgenden Kapitel Einblicke in die Herausforderun-
    und nicht-terroristische Straftaten aufgeschlüsselt         gen und bewährten Praktiken der Rückfallprävention geben.
    wurden. Daraus geht hervor, dass es sich in etwa der        Sie wurden von Experten entwickelt, die daran arbeiten, bei
    Hälfte der Fälle um „gewöhnliche“ kriminelle Aktivi-        terroristischen Straftätern eine erneute Straffälligkeit und
    täten handelt, die weder politisch noch religiös mo-        den Wiedereinstieg in extremistische Gruppe zu erkennen
    tiviert sind.                                               und zu verhindern.

    Obwohl die Rückfallquoten bei aus dem Gefäng-
    nis entlassenen Terroristen unerwartet niedrig
    sind, ist es von kritischer Bedeutung, dass sie nicht
    gleich Null sind. Eine kleine Minderheit der entlas-
    senen terroristischen Gefangenen begeht weitere –
    und manchmal todbringende – Straftaten. Deswegen
    braucht es eine aufmerksame Analyse der Maßnah-
    men, die wir zur Rehabilitation von Gefangenen ein-
    setzen. Gleiches gilt für die Instrumente und Mo-
    delle, die für die Risikobewertung genutzt werden.
Nr. 11 | Juni 2021                                                                                                                                   7

              REPORT                                                       Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern

RÜCKFALLPRÄVENTION IM GEFÄNGNIS                                                        Wie genau der Zusammenhang zwischen der Rückfällig-
                                                                                       keit von terroristischen Straftätern und der von ihnen er-
                                                                                       fahrenen Seelsorge ist, ist nicht klar. Mehrere deutsche Ex-
Bei dem InFoEx Workshop erläuterte ein Wissenschaftler,                                perten berichteten, sie hätten gemischte Erfahrungen mit
für die Verhinderung von Rückfällen in Gefängnissen sei es                             der muslimischen Seelsorge in deutschen Gefängnissen ge-
entscheidend, zwischen verschiedenen Kategorien von Ge-                                macht. Die Hauptschwierigkeit bestehe darin, angemesse-
fangenen zu unterscheiden und die Maßnahmen entspre-                                   ne Unterstützung durch Seelsorger oder Imame für Häft-
chend anzupassen. Zunächst gebe es Häftlinge, die für die                              linge zu erhalten, erläuterte ein Praktiker. In Deutschland
Durchführung von Terroranschlägen verurteilt wurden. Die                               arbeiteten die meisten Imame bei Moscheevereinen, die mit
zweite Gruppe seien Gefangene, die wegen der Unterstüt-                                den Landesministerien kooperieren, um auch im Gefäng-
zung von Attentätern verurteilt wurden, aber möglicher-                                nis Seelsorge leisten zu können. Doch die Justizvollzugsan-
weise nicht so weit radikalisiert wurden wie die Attentäter                            stalten lägen oft weit außerhalb der Städte auf dem Land.
selbst. Dann gebe es Häftlinge, die für nicht-terroristische                           Die Besuche der Seelsorger dort seien freiwillig und wür-
Straftaten verurteilt wurden, aber radikalisiert worden sei-                           den nur mit einer geringen Aufwandsentschädigung ent-
en, möglicherweise sogar im Gefängnis. Die letzte Gruppe                               lohnt. Viele Imame, so die Experten, würden daher lieber
schließlich seien diejenigen, die das Gefängnispersonal für                            bei den Mitgliedern ihrer Moscheegemeinde bleiben. Hinzu
anfällig für Radikalisierung halte. Ein anderer Wissenschaft-                          komme, dass viele Imame nicht gut Deutsch sprächen und
ler wies darauf hin, dass es beim Thema Rückfälligkeit noch                            einen Übersetzer benötigten. Imame mit guten Deutsch-
immer an Forschung und statistischen Daten mangele. Sei-                               kenntnissen gehörten oft jedoch nicht zu einem Moschee-
ner Meinung nach sollte sich die Forschung auf die Unter-                              verein. In einigen Fällen kämen sie deswegen nicht für eine
scheidungsmerkmale zwischen terroristischen Straftätern                                Zusammenarbeit mit Ministerien und Gefängniseinrich-
und der allgemeinen Gefängnispopulation konzentrieren                                  tungen in Frage. Ein behördlicher Teilnehmer fügte hinzu,
und untersuchen, welche Faktoren die geringere Rückfall-                               es sei schwierig, muslimische Einrichtungen zu finden, de-
quote von Terroristen erklären können.                                                 ren Imame einerseits von ihrer Gemeinde respektiert wür-
                                                                                       den, die andererseits aber auch bereit seien, mit staatlichen
Nicht in allen deutschen Bundesländern stellen terroristi-                             Stellen vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Er halte es für
sche Straftäter einen wesentlichen Anteil der Gefängnis-                               einen Fehler, die muslimische Seelsorgearbeit hauptsäch-
population. Wo das allerdings der Fall ist, fehlt es nach An-                          lich unter dem Aspekt der Extremismusprävention darzu-
gaben mehrerer Praktiker dem Personal der Haftanstalten                                stellen. Dies würde wahrscheinlich das Misstrauen aller be-
in einigen Fällen an grundlegendem Wissen über Islam und                               teiligten Akteure, auch das der Häftlinge, vertiefen.
Islamismus. Ein Teil der Mitarbeiter sei außerstande, mit
den damit zusammenhängenden Fragen umzugehen. Dies                                     Workshop-Teilnehmende berichteten von den folgen-
sei insofern relevant, als das Gefängnispersonal oft die erste                         den bewährten Praktiken, um diesen Schwierigkeiten zu
Anlaufstelle für terroristische Straftäter sei. Das gelte auch                         begegnen:
für Einrichtungen, wo es Aussteigerprogramme mit erfah-
renen Mitarbeitern gebe. Ein Praktiker, der Schulungen
durchführt, beschrieb eine Haftanstalt, in der nach eigenen
Angaben nur zwei von 70 Bediensteten über Grundkennt-
nisse über den Islam verfügen. Insgesamt jedoch verbesse-
re sich die Situation. In immer mehr Bundesländern könn-
ten die Strukturen als angemessen gelten.

3 Für einen aktuellen Überblick über den Umgang mit extremistischen Straftätern in verschiedenen europäischen Ländern, siehe Basra & Neumann 2020.
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Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                                                                            REPORT

• Trennen Sie terroristische Straftäter von anderen Häft-                                • Helfen Sie den Häftlingen, konkrete Pläne für ihr Han-
lingen (“Containment”).3 Diese bewährte Praxis stammt aus                                deln zu entwickeln. Ein staatlich finanziertes Programm in
den Niederlanden, wo zahlreiche Gefängnismitarbeiter mit                                 Deutschland bietet terroristischen Straftäter die Unterstüt-
dieser besonderen Gruppe von Straftätern arbeiten, was                                   zung von Ausstiegsberatern bei der Entwicklung von „Ak-
den Auf bau von Beziehungen zwischen Personal und Häft-                                  tionsplänen“. Diese Pläne folgten einem ganzheitlichen An-
lingen fördere. Terroristische Straftäter getrennt unterzu-                              satz, der auch Resozialisierung beinhalte, berichtete ein
bringen, erleichtere das Sammeln von Informationen über                                  Workshop-Teilnehmer. Die Pläne enthielten konkrete Ziele,
ihre Profile und Persönlichkeiten und ermögliche es dem                                  um zum Beispiel einen Familienkonflikt anzugehen, Arbeit
Personal, Anführer von Mitläufern zu trennen, berichte-                                  zu finden oder eine Ausbildung fortzusetzen. Im Idealfall
te ein Teilnehmer. Dabei gehe es auch darum, die Position                                erreichten die Klienten bis zu ihrer Entlassung alle oder zu-
des Gefangenen „innerhalb des dschihadistischen Systems“                                 mindest einen Teil der Ziele. Die Beratenden unterstützten
zu analysieren und festzustellen, welcher Imam und wel-                                  diesen Prozess, indem sie mit den Häftlingen beispielswei-
che Ideologie sie oder ihn beeinflusst haben. Dies wurde                                 se Rollenspiele für Vorstellungsgespräche oder Familiensi-
als besonders wichtig für weibliche Gefangene angesehen,                                 tuationen durchführten. Derselbe Beratende begleitete den
die aus Syrien und dem Irak zurückgekehrt waren. In diesen                               Klienten dann nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis
Fällen bemühe sich das Gefängnispersonal auch herauszu-                                  und beobachte die Situation weiter. Dabei könne es zum
finden, ob der jeweilige Ehemann noch am Leben sei. Wenn                                 Beispiel darum gehen, wie ein Klient zurechtkomme, wenn
er tot sei, versuchten die Mitarbeiter zu ermitteln, welchen                             er an einem öffentlichen Ort einem Mitglied seiner frü-
Einfluss die Familie und die Freunde auf die Gefangene aus-                              heren Gruppe begegne. Wenn der Klient dies gut bewälti-
übten. Dieses Wissen sei hilfreich, um zu entscheiden, wie                               gen könne, sei es nicht so dringend, dass diese Person eine
man die Gefangene dabei unterstützen könne, das dschi-                                   möglicherweise schwierige Umgebung verlasse.
hadistische System zu verlassen.
                                                                                         • Ein Beispiel eines konkreten Instrumentes zur Unter-
• Seien Sie sich psychischer Probleme bewusst. Ein nie-                                  stützung der Vollzugsplanung terroristischer Straftäter ba-
derländischer Praktiker argumentierte, dass terroristische                               siere laut Teilnehmenden auf dem Konzept von KISSeS4
Straftäter zwar seltener unter Psychopathologie und Trau-                                (siehe Kasten). Im Zuge der Evaluierung einer Beratungs-
mata litten, als manchmal angenommen werde. Das Ge-                                      stelle in Bayern habe eine Forschergruppe der Hochschu-
fängnispersonal müsse aber über spezifische psychische                                   le Esslingen das Konzept zu einem Instrument zur sozialen
Gesundheitsprobleme wie Schizophrenie Bescheid wissen,                                   Diagnostik und Hilfeplanung weiterentwickelt. Auch wenn
um angemessen Unterstützung leisten zu können.                                           die Wirkung noch nicht wissenschaftlich evaluiert worden
                                                                                         sei, scheine dieser Ansatz aufgrund erster Erfahrungen gut
                                                                                         geeignet zu sein, um mit Klienten in der Haft und der da-
                                                                                         rauffolgenden Übergangszeit zu arbeiten, um Rückfälle zu
                                                                                         verhindern.

4 KISSeS ist ein Akronym aus den Begriffen Kontrolle, Integration, Sinnlichkeit, Sinn, erfahrungsstrukturierende Repräsentationen und Selbst- und Sozialkompetenzen.
Nr. 11 | Juni 2021                                                                                                           9

            REPORT                                       Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern

    KISSeS als Leitlinie Sozialer Diagnostik und                 • Ermöglichen Sie den Häftlingen den Kontakt zu Seel-
    Hilfe­planung                                                sorgern und Imamen, die ihre Sprache sprechen und mit
    Kurt Möller, Marion Lempp, Hochschule Esslingen              ihrer Lebenssituation vertraut sind. Ein Praktiker sagte, er
                                                                 habe gute Erfahrungen mit Imamen, die mit der deutschen
    Die Arbeit mit Tätern, die ihre Straftaten mit einer         Sprache und dem Leben in Deutschland vertraut seien, ge-
    spezifischen Auslegung des Islams begründen und              macht. Allerdings stellten sie noch immer eine Ausnah-
    eine undemokratische oder antidemokratische Hal-             me dar. Solche Imame seien entweder in einer Moschee-
    tung zeigen, ist eine besondere Herausforderung.             gemeinde tätig, die mit der Regierung kooperiere, oder sie
    Um nachhaltige Ergebnisse in der Präventions- und            hätten einen guten Ruf als Selbstständige. In diesem Zu-
    Deradikalisierungsarbeit zu erzielen, bedarf es einer        sammenhang verwiesen Workshop-Teilnehmende auf das
    fachlichen Expertise, die gezielt Angebote und Inter-        Institut für Islamische Theologie an der Universität Osna-
    ventionen auf eine Soziale Diagnostik beziehen kann.         brück. Imame, die dort studiert hätten, würden eine gute
    Im Vordergrund steht dabei das Verstehen der Le-             Unterstützung leisten. Zudem berichteten Teilnehmende
    bensbezüge der Person und der Interpretationen, die          von einer guten Praxis aus dem Südwesten Deutschlands.
    diese ihnen gibt. Eine solche Vorgehensweise kann            Dort seien sogenannte Religionsbegleiter tätig, die im
    theoretisch und empirisch durch das KISSeS-Kon-              Gegensatz zu Seelsorgern kein Zeugnisverweigerungsrecht
    zept (z.B. Möller et al 2016; 2019) fundiert werden.         hätten.

    Das Akronym KISSeS steht für sechs legitime Be-              • Das Personal im Strafvollzug sollte gezielt geschult und
    dürfnisse nach Lebensgestaltung: 1. eine weitgehen-          gecoacht werden, um auf beiden Seiten die interkulturel-
    de Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen zu           le Kompetenz zu verbessern und Vorurteile abzubauen. Die
    haben, die Selbstwirksamkeit erfahrbar macht, 2. ge-         Teilnehmenden sagten, dass Präventionsmitarbeitende als
    meinschaftliche und gesellschaftliche Integration (v.a.      externe Akteure es als ihr Ziel ansähen, Brücken zwischen
    Zugehörigkeit, Anerkennung, Teilhabe und Identifika-         ihren Klienten und dem Gefängnispersonal zu bauen. Dies
    tionsmöglichkeiten) verspüren zu können, 3. subjek-          könnte noch besser gelingen, wenn die Angestellten der
    tiv positiv bewertete Sinnlichkeit zu erleben, 4. dem        Justizvollzugsanstalten die Präventionsmitarbeitende stär-
    eigenen Leben und als relevant erachteten Sachver-           ker in die Prozesse in den Gefängnissen einbinden würden,
    halten Sinn zuschreiben zu können, dabei 5. erfah-           zum Beispiel in Bezug auf Entlassungstermine.
    rungsstrukturierende Repräsentationen als innere Ab-
    bilder der Selbst- und Welterfahrung entwerfen sowie
    6. über diesen Komplex von Erfahrungen Selbst- und
    Sozialkompetenzen entfalten zu können.

    Wer nicht glaubt, diese Bedürfnisse über gesell-
    schaftlich akzeptierte Wege befriedigen zu kön-
    nen, wird sich eher un- und antidemokratischen
    Erfüllungsversprechen zuwenden. Soziale Diagnos-
    tik sollte daher individuell empfundene KISSeS-De-
    fizite identifizieren. Zugleich sollte sie persönliche
    und (infra-)strukturelle Ressourcen aufspüren, die
    Gleichwürdigkeit wahrende und demokratisch ver-
    antwortbare Formen der Befriedigung ermöglichen.
    Daraus ergibt sich die Möglichkeit, funktionale Äqui-
    valente (Böhnisch 2018) für ‚islamistisch‘ konturierte
    Befriedigungsversuche von KISSeS-Bedürfnissen an-
    bieten zu können. Auf diese Weise kann die Hilfepla-
    nung ursachenbezogen angelegt werden.

    Das KISSeS-Konzept findet als theoretische Grund-
    lage auch in einer Reihe anderer Arbeitszusammen-
    hänge von Sozial- und Bildungsarbeit Anwendung,
    z.B. bei der Evaluation von Angeboten der Jugend-
    arbeit (Lempp et al 2017) oder in der demokratischen
    Bildung (Erfahrungsräume 2021).
10                                                                                                          Nr. 11 | Juni 2021

Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                             REPORT

RÜCKFALLPRÄVENTION NACH                                         • Stellen Sie Kontakt zum Häftling während der Haft-
DER HAFTENTLASSUNG                                              zeit her. In einigen Ländern ist die Teilnahme an Deradi-
                                                                kalisierungsprogrammen verpflichtend, andere bestehen
                                                                darauf, dass die Teilnahme freiwillig sein muss. Falls letz-
Die Zeit unmittelbar nach der Haftentlassung wurde als die      teres zutrifft, sollten die Häftlinge aber ermutigt wer-
heikelste Phase angesehen – ein kritischer Moment, was die      den, an Deradikalisierungsprogrammen teilzunehmen. Ein
Verhinderung von Rückfällen anbelangt. Dies wird durch          deutscher Praktiker aus der Präventionsarbeit argumen-
eine aktuelle Untersuchung bestätigt, die Renard (2020)         tierte, zwar ermögliche das Umfeld im Gefängnis die Kon-
über die Rückfallquoten bei terroristischen Häftlingen in       taktaufnahme und den Auf bau von Vertrauen. Wie sich der
Belgien seit 1990 durchgeführt hat. Demnach ist das Risi-       Klient aber tatsächlich entwickele, zeige sich erst nach der
ko für Rückfälle in den ersten Monaten nach der Entlassung      Entlassung.
am akutesten. Wenn Häftlinge die durchstrukturierte Rou-
tine des Gefängnisses verlassen, kann der Alltag für sie auf    • Seien Sie sich des Entlassungsdatums bewusst und
einmal sehr schwer zu bewältigen sein. Mehrere deutsche         organisieren Sie ein effektives Übergangsmanagement.
Praktiker bestätigten, eine der größten Herausforderungen       Deutsche Praktiker betonten, wie wichtig es ist, Häftlin-
in der Ausstiegsarbeit mit kürzlich entlassenen Häftlingen      ge von Anfang an auf einen reibungslosen Übergang zwi-
bestehe in der Bewältigung des Übergangs zwischen dem           schen dem Gefängnisalltag und dem Leben nach der Ent-
Gefängnisumfeld und dem Leben ‚draußen‘. In einem deut-         lassung vorzubereiten. Andere Teilnehmende sagten, zwar
schen Bundesland begleite ein und dieselbe Institution den      bringe jeder Fall individuelle Herausforderungen mit sich
gesamten Prozess, wodurch das Übergangsmanagement               und erfordere individuelle Maßnahmen. Das Übergangsma-
deutlich erleichtert werde. Dort war es die größte Heraus-      nagement solle aber auf einem allgemeinen institutionellen
forderung, genügend Informationen über salafistische ‚Hot       Rahmen und einem Netzwerk basieren, das alle relevanten
Spots‘ zu bekommen. In anderen Bundesländern ergaben            Ansprechpartner zusammenbringt. Um Kontinuität zu ge-
sich nach Angaben von behördlichen Teilnehmenden häu-           währleisten, solle ein einziger Akteur für den Umgang mit
fig Schwierigkeiten, weil es keine Rechtsgrundlage für den      Straftätern innerhalb und außerhalb des Strafvollzugs zu-
Informationsaustausch zwischen den im Strafvollzug täti-        ständig sein. Dieser Akteur müsse frühzeitig über den Ent-
gen Fachkräften und Präventionsmitarbeitern draußen ge-         lassungstermin des Häftlings informiert werden. Er oder
be. Andere Beratende bestätigten, dass es schwierig sein        sie sollte sich dann auf die Entlassung vorbereiten. Dazu
könne, den Zugang zum Klienten nach der Entlassung              gehöre der Auf bau eines Netzwerks mit Akteuren vor Ort
aufrechtzuerhalten.                                             und die Entwicklung eines Hilfeplans. Ein dänischer Prak-
                                                                tiker unterstrich die Bedeutung von Vertrauensbildung: In
In einem weiteren Beitrag beschrieb ein deutscher Prak-         Dänemark gebe es seit Jahrzehnten das kriminalpräventive
tiker die besonderen Herausforderungen in der Arbeit mit        Netzwerk (SSP), das in dieser Zeit gute Verbindungen und
Geflüchteten, Asylbewerbern und Vertriebenen. Manche            Praktiken für den Informationsaustausch geschaffen habe.
dieser Klienten hätten kein ausreichendes soziales Netz-        Deutsche Teilnehmende fügten hinzu, wie wichtig es sei,
werk, das sie nach der Entlassung auffangen könne. Außer-       klare Regeln für den Austausch von sensiblen Informatio-
dem würden für diese Klienten zusätzliche Restriktionen         nen zwischen den Behörden zu haben.
gelten, zum Beispiel, wenn sie eine Aufenthaltsgenehmi-
gung benötigten. Dies könne die Stabilisierung und Reinte-      • Tragen Sie zur Stabilisierung des Klienten nach seiner
gration erschweren. Wenn Klienten wüssten, dass sie nach        Entlassung bei und unterstützen Sie seine Bemühungen,
ihrer Entlassung aus dem Gefängnis abgeschoben werden           ein neues soziales Netzwerk aufzubauen. Teilnehmende
sollten, hätten sie keine Perspektive für die Integration in    sagten, dazu gehöre auch, dem Klienten zu helfen, Zugang
die Gesellschaft, was jegliche Beratung sehr erschwere.         zu Beschäftigung und z.B. Sport zu bekommen. Die Familien
                                                                sollten nach Möglichkeit in die Vorbereitung auf die Entlas-
Schließlich spielten auch Wahrnehmungen eine große Rol-         sung einbezogen werden. Positive Erfahrungen wurden aus
le, wie ein Praktiker berichtete: Die Einschätzung, dass eine   einem Bundesland in Deutschland berichtet, wo mehrere
Person radikalisiert sei und ein Sicherheitsrisiko darstelle,   örtliche muslimische Gemeinden Präventionsprojekte ein-
werde nur widerwillig revidiert. Klienten erlebten die Er-      gerichtet hatten, um entlassenen Häftlingen zu helfen, sich
gebnisse einer solchen Risikoeinschätzung teilweise jedoch      von ihrem ursprünglichen Umfeld fernzuhalten. Ein däni-
als stigmatisierend und hinderlich für die Reintegration.       scher Experte berichtete, er habe die Erfahrung gemacht,
                                                                dass „diejenigen, die positive Beziehungen zu Familienmit-
Workshop-Teilnehmende berichteten von den folgenden             gliedern haben, die auf sie warten und bereit sind, mit den
bewährten Praktiken, um Rückfälle nach der Haftentlassung       Betreuern im Gefängnis zu arbeiten, am ehesten erfolgreich
zu verhindern:                                                  sind. Diejenigen, die im Gefängnis noch religiöser oder ra-
Nr. 11 | Juni 2021                                                                                                         11

            REPORT                                     Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern

dikaler werden, kehren mit größerer Wahrscheinlichkeit in       • Stellen Sie reibungslose Verbindungen zu den Sicher-
ihr früheres Umfeld zurück.“ Ein schwedischer Praktiker ar-     heitsbehörden sicher. Bei einem der Anschläge, die in
gumentierte, am wichtigsten sei es, entlassenen Häftlingen      jüngster Zeit in London verübt wurden, konnte die Poli-
zu helfen, ein neues Netzwerk aufzubauen, da sie sonst fast     zei so schnell reagieren, weil es einen Austausch über die
automatisch in ihr früheres soziales Umfeld zurückkehren        wesentlichen Informationen gegeben hatte, wie ein Exper-
würden.                                                         te erläuterte. Der Angreifer habe nach seiner Entlassung
                                                                eine Fußfessel getragen und sei rund um die Uhr über-
• Ermöglichen Sie Zugang zu Mentoren. Teilnehmende              wacht worden. Eine weitere bewährte Praxis aus Großbri-
berichteten, dass Dänemark gute Ergebnisse mit Mento-           tannien betraf das MAPPA (Multi-Agency Public Protection
renkursen erzielt habe, die den Wiedereinstieg in die ex-       Arrangement), bei dem die Polizei und der National Proba-
tremistische Szene verhindern sollen. Solche Kurse wür-         tion Service (nationale Bewährungshilfe) gemeinsam han-
den oft im Gefängnis beginnen und nach der Entlassung           deln, „um Vorkehrungen für die Bewertung und das Ma-
mit demselben Mentor fortgesetzt. Die Mentoren würden           nagement von Risiken zu treffen, die von Sexual- oder
ihren Klienten durch die Stärkung ihrer individuellen Fähig-    Gewaltstraftätern und anderen Personen ausgehen, die der
keiten helfen, zum Beispiel um eine Wohnung oder einen          Öffentlichkeit ernsthaften Schaden zufügen können“. Die-
Arbeitsplatz zu finden oder Zugang zu medizinischer Ver-        ses gemeinsame Handeln kann zum Beispiel im Austausch
sorgung und/oder Therapie zu bekommen. Im Gefängnis             entsprechender Informationen bestehen (UK Home Office
würden diese Aufgaben von der Bewährungshilfe koordi-           2005, S.2). In England und Wales werden auch terroristi-
niert. Nach der Entlassung sei dann das sogenannte Info-        sche Straftäter im Rahmen von MAPPA-Regelungen beob-
house zuständig, das in enger Abstimmung mit der Polizei        achtet. Dabei geht es um Überwachung und um spezifische
in den zwölf dänischen Polizeibezirken arbeitet. Wenn ein       Beschränkungen beispielsweise für persönliche Begeg-
Häftling entlassen werde, informiere das Gefängnis die ört-     nungen, Internetzugang oder Telefonkontakte. Nach An-
liche Polizei, die wiederum den Leiter des örtlichen Info-      gaben des Experten haben Evaluierungen ergeben, dass
house anspreche. Der Infohouse-Vertreter und die örtliche       MAPPA die Rückfallquoten positiv beeinflusst. Sie liefern
Polizei würden die entlassene Person zu einem Treffen ein-      aber keine Erklärung dafür, warum terroristische Straf-
laden, entweder bei der Person zu Hause, auf der Polizeiwa-     täter so viel seltener rückfällig werden als die allgemeine
che oder an einem anderen Ort. Ziel sei es, einen positiven     Gefängnispopulation.
Dialog zu etablieren, dem ehemaligen Sträfling Unterstüt-
zung anzubieten und sich ein vollständiges Bild des Falles      • Machen Sie sich klar, welche Informationen hilfreich
zu machen. Bis das erreicht sei, könnten drei oder vier Tref-   sind und welche den Beratungsprozess stören können. Ein
fen erforderlich sein. Die Workshop-Teilnehmenden räum-         deutscher Praktiker argumentierte, dass es wichtig sei, die
ten ein, dass eine so enge Zusammenarbeit als „überfreund-      Relevanz von Informationen zu verstehen und zu entschei-
lich“ empfunden werden könne. Doch könnten durchaus             den, ob sie für den Beratungsprozess hilfreich seien oder
verschiedene Arten der Unterstützung angeboten werden,          nicht.
um auf die spezifischen Bedürfnisse des Klienten einzuge-
hen. Je nachdem, wie sehr der Häftling Anlass zur Besorgnis     • Informieren Sie sich über aktuelle Trends und „Hot
gebe, könne auch ein individuelles Ausstiegsprogramm an-        Spots“, wie zum Beispiel salafistische Moscheen oder Pri-
geboten werden.                                                 vatwohnungen. Ein deutscher Praktiker berichtete, dass
                                                                jeder Häftling, mit dem er gesprochen hatte, eine be-
• Holen Sie verschiedene Institutionen ins Boot. In             stimmte Moschee in der Region kannte – nicht als Gottes-
Großbritannien arbeiten Psychologen, Mitarbeiter von Si-        haus, sondern als Ort, wo ehemalige Häftlinge Unterstüt-
cherheitsdiensten, Sozialarbeiter und Vertreter weiterer        zung erhalten könnten. Da die meisten Klienten sich nach
Institutionen eng zusammen, um neuerliche Straftaten zu         ihrer Entlassung vom Alltag komplett überfordert fühlten,
verhindern, wie ein Experte berichtete. Strafvollzugsbeam-      sei die Versuchung groß, sich an solche Orte zu wenden,
te überwachten, mit wem Häftlinge in Kontakt stünden und        um Unterstützung zu erlangen. Seelsorger sollten daher
gäben diese Informationen an die Sicherheitsdienste wei-        nach der Entlassung in engem Kontakt mit den Klienten
ter. Beide kooperierten im Vorfeld der Entlassung eines In-     bleiben und ihnen zur Verfügung stehen, um zu verhin-
sassen. Aber auch nach ihrer Entlassung gälten zahlreiche       dern, dass sie aus der Not heraus extremistische Akteu-
Einschränkungen für Straftäter; es werde kontrolliert, was      re aufsuchten.
sie tun dürfen, wohin sie gehen können, und mit wem sie
Kontakt haben. Der Experte betonte jedoch, dass es ange-
sichts der vielen verschiedenen Maßnahmen schwierig sei,
festzustellen, welche davon tatsächlich wirkten und welche
nicht.
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Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                                                                      REPORT

• Bauen Sie ein Vertrauensverhältnis auf, indem Sie auf                               DE-DERADIKALISIERUNGS­
die Person des Straftäters zugeschnittene Gegennarrative                              BEMÜHUNGEN DURCH
und Aktivitäten entwickeln. Beispielsweise wählen einige                              EXTREMISTISCHE AKTEURE
deutschen Praktiker für „Biografiearbeit“ gezielt Aktivitäten
aus, die der Persönlichkeit ihres Klienten entsprechen. Mit
einigen gehe man ins Café oder in eine Bar, während für an-                           Extremistische Akteure können versuchen, den Deradika-
dere Aktivitäten im Freien besser passten. Hier die richtige                          lisierungsprozess bei (ehemaligen) Häftlingen negativ zu
Wahl zu treffen, helfe Beratern und Klienten, ins Gespräch                            beeinflussen, auch wenn das offenbar nicht die Regel ist.
zu kommen und Vertrauen aufzubauen. Den Klienten wer-                                 Ein Praktiker aus Dänemark berichtete, er könne kein be-
de auf diese Weise die Möglichkeit gegeben, über ihre per-                            stimmtes Muster für die Re-Rekrutierung durch frühere
sönlichen Erfahrungen zu sprechen, auch wenn der Weg                                  Weggefährten erkennen. Dass Extremisten aus dem frühe-
dahin Monate oder sogar Jahre dauern könne. In der Bio-                               ren sozialen Umfeld der Insassen den Kontakt zu ehemali-
grafiearbeit gehe es anfangs nicht darum, Fragen zu stellen.                          gen Mitgliedern ihrer Gruppe suchten, komme aber häufig
Die eigentliche Ausstiegsarbeit könne erst beginnen, wenn                             vor. Bei Personen, die im Gefängnis eine neue, nicht-ext-
der Klient Vertrauen gefasst habe. Andere Praktiker aus                               remistische Identität aufgebaut hätten, würden sich Extre-
Deutschland ergänzten, sie seien in ihren Gesprächen mit                              misten oftmals besonders anstrengen, sie zu re-radikalisie-
Klienten zu der Erkenntnis gelangt, dass die meisten von                              ren. Praktiker aus Schweden und Süddeutschland beriefen
ihnen nicht persönlich Diskriminierung erlebten, sondern                              sich auf ähnliche Erfahrungen. Praktiker aus anderen Bun-
das Gefühl hätten, es gebe eine kollektive Diskriminierung                            desländern berichteten, weibliche Häftlinge erhielten häu-
der Ummah (der islamischen Gemeinschaft). In der Gefäng-                              fig Briefe von männlichen Salafisten, in denen ihnen eine
nisumgebung könnten Insassen zusätzlich Stigmatisierung,                              Heirat in Aussicht gestellt werde. Von „Schwestern“ kä-
Diskriminierung und Isolation erfahren, die alle als Risiko-                          men Worte der Ermutigung. Auch über Telegram und ande-
faktoren für die De-Deradikalisierung gelten. Entscheidend                            re Messaging-Apps erhielten die Insassinnen Nachrichten,
sei daher, das richtige Umfeld zu schaffen, um eine Vertrau-                          in denen es zumindest implizit um (Re-)Rekrutierung ge-
ensbeziehung aufzubauen. Praktiker hielten es außerdem                                he. Dieser Ansatz ähnele dem „Love-Bombing“: Wenn Men-
für wichtig, Klienten das Gefühl zu vermitteln, dass ihr Be-                          schen sich einer extremistischen Gruppe näherten, erhiel-
rater authentisch ist, sich für sie als Individuen interessiert                       ten sie anfangs besonders viel Aufmerksamkeit, auch per
und nicht nur versucht, sie zu deradikalisieren.5                                     Brief, Nachricht oder Anruf. Praktiker wiesen darauf hin,
                                                                                      dass gerade Menschen, die sich einsam und isoliert füh-
• Seien Sie erreichbar und verfügbar – besonders wäh-                                 len, dieser Form der Aufmerksamkeit und Zuneigung nur
ren der ersten Wochen und Monaten. Ehemalige Häftlinge                                schwer widerstehen können.
haben unmittelbar nach der Entlassung oft Schwierigkei-
ten, sich an die „Außenwelt“ anzupassen. Ein Praktiker be-                            Im Gefängnis könnten Häftlinge von Gruppen extremis-
richtete, ein Klient habe ihn mitten in der Nacht angerufen,                          tischer Insassen unter Druck gesetzt werden, sich ih-
weil er von der Polizei angehalten worden war. Von diesem                             nen anzuschließen. Gefängnispersonal und Ausstiegsbera-
recht normalen Ereignis habe sich der Klient überfordert                              ter müssten entscheiden, ob und wie sie Insassen, die im
gefühlt. In den meisten Fällen würden die Klienten mit der                            Prozess der Loslösung von einer extremistischen Ideologie
Zeit unabhängiger. Praktiker warnten aber davor, dass sich                            sind, von ihren ehemaligen Glaubensgenossen fernhalten.
bei den Klienten Abhängigkeiten entwickeln könnten. Bera-
ter müssten deshalb eine klare Grenze zwischen ihren be-
ruflichen und persönlichen Kontakten ziehen.

• Bleiben Sie auf dem Laufenden, was Trends im Inter-
net betrifft. Praktiker betonten, wie wichtig es sei, über
Entwicklungen in den sozialen Medien und aktuelle Trends
im Internet informiert zu bleiben. Häftlinge sollten ermu-
tigt werden, Kompetenzen wie kritisches Denken zu ent-
wickeln, wenn sie sich mit Online-Inhalten beschäftigten.

5 Teilnehmende verwiesen auf den Ansatz der Verantwortungspädagogik®, der sich in Deutschland in der Präventionsarbeit bewährt habe. Das Violence Prevention Network
(VPN) in Deutschland nutze diesen Ansatz in der Arbeit mit Rechtsextremisten in Justizvollzugsanstalten. Für weitere Informationen siehe u. a. VPN 2021.
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            REPORT                                      Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern

Praktiker wiesen auch auf andere Faktoren hin, die eine          • Sagen Sie Ihren Klienten offen, dass Extremisten ver-
De-Deradikalisierung begünstigen können: Sowohl inner-           suchen werden, sie erneut anzuwerben. Ausstiegsbera-
halb als auch außerhalb des Gefängnisses stießen ausge-          ter sollten gemeinsam mit den Klienten Strategien entwi-
stiegene Extremisten auf große Schwierigkeiten, wenn sie         ckeln, um mit dieser Situation und den damit verbundenen
versuchten, eine neue soziale Identität aufzubauen und           Emotionen umzugehen. Ein effektiver Ansatz sei der Ein-
ihr Leben neu zu gestalten. Probleme könne es beim Zu-           satz von Rollenspielen, um verschiedene mögliche Szena-
gang zu Wohnraum, Arbeit oder Bildung geben. Entlasse-           rien durchzuspielen.
ne Häftlinge könnten zudem unter der Stigmatisierung in
gemäßigten muslimische Gemeinden leiden, die ehemali-            • Geben Sie ehemaligen Extremisten Polizeischutz, falls
ge Straftäter möglicherweise nur ungern aufnähmen. Wenn          erforderlich. Ein Teilnehmer berichtete von einem erfolg-
ehemalige Extremisten nicht willens oder fähig seien, sich       reichen schwedischen Modell, das darauf zielt, ehemalige
Konfliktstrukturen zu stellen, könnten sie so tief in die Iso-   Rechtsextremisten vor De-Deradikalisierung und erneuter
lation geraten, dass sie versucht sein könnten, zu ihren frü-    Rekrutierung zu bewahren, indem ihnen bei Bedarf Polizei-
heren extremistischen Unterstützungssystemen zurückzu-           schutz angeboten wird. Ähnliche Maßnahmen könnten bei
kehren. Insbesondere Online-Angebote könnten sich dann           Bedarf genutzt werden, um ehemalige islamistische Extre-
als sehr attraktiv erweisen. Praktiker rieten dazu, in diesem    misten vor Mitgliedern ihrer früheren Gruppe zu schützen.
Zusammenhang die psychischen Faktoren bzw. Symptome
und Verwundbarkeiten zu berücksichtigen. Das gelte zum           • Verfolgen Sie einen ganzheitlichen Ansatz und bauen
Beispiel, wenn extremistische Akteure Menschen mit psy-          Sie ein breites Netzwerk auf, um so vielen Herausforde-
chischen Erkrankungen wie dem Asperger-Syndrom ins Vi-           rungen und Bedürfnissen wie möglich gerecht zu werden.
sier nähmen. Schließlich komme es auch vor, dass ehema-          Beziehen Sie zum Beispiel die Familie des Klienten und so-
lige Extremisten nur vorgäben, sich zu lösen, derweil aber       ziale Einrichtungen in seinem Umfeld ein, denn sie können
wieder in ihre früheren Kreise abrutschten.                      zur Stabilisierung des Einzelnen beitragen und Gefühlen
                                                                 von Isolation, Einsamkeit und Angst nach der Entlassung
Angesichts der Tatsache, dass sich vermutlich jeder ehe-         entgegenwirken.
malige Extremist früher oder später einem erneuten Rek-
rutierungsversuch durch extremistische Akteure ausgesetzt        • Schaffen Sie Situationen im wirklichen Leben, die fle-
sieht, empfahlen die Ausstiegsberater folgende bewährte          xiblere Wahrnehmungen fördern. Dazu gehört, dem Klien-
Praktiken:                                                       ten neue Erfahrungen zu ermöglichen, beispielsweise durch
                                                                 positive Begegnungen mit staatlichen Strukturen, die zei-
• Bei Bedarf sollten Sie Klienten aus ihrem bisherigen           gen, in welcher Weise der Staat dem Klienten Unterstüt-
Umfeld entfernen. In der Haftanstalt könnte dies bedeu-          zung bieten kann.
ten, sie in eine andere Zelle, einen anderen Trakt oder so-
gar eine andere Strafvollzugsanstalt zu verlegen. Außerhalb      • Bieten Sie dem Klienten langfristige Unterstützung an.
des Gefängnisses könnten die Betreuer den Klienten helfen,       Die Teilnehmenden betonten, Loslösung sei ein langwieri-
Abstand von ihrem früheren sozialen Umfeld und von sala-         ger Prozess. Daher müssten Einrichtungen der Zivilgesell-
fistischen Brennpunkten zu halten.                               schaft und staatliche Partner zusammenarbeiten, um lang-
                                                                 fristige Strategien zu entwickeln und zum Beispiel auch
• Beobachten Sie die Entwicklung des Klienten und bie-           Unterstützung über das Internet zu leisten.
ten Sie Unterstützung an, bevor andere es tun. Wenn ein
Klient aktiv an einem Deradikalisierungsprogramm teilge-
nommen hat, könne der Berater seine Entwicklung über-
wachen und mit den beteiligten Behörden Informationen
austauschen, sagte ein Workshop-Teilnehmer. Dies könn-
te beispielsweise bedeuten, den örtlichen Imam einzube-
ziehen oder den Kinderschutzbund um Hilfe zu bitten. Wie
im vorigen Kapitel erwähnt, könnten entlassene Häftlinge
andernfalls versucht sein, sich an salafistische Hotspots zu
wenden, die nicht nur Unterstützung, sondern auch soziale
Kontakte zu Menschen mit ähnlichen Interessen, zum Bei-
spiel im Fußball, bieten. Auch manche Moscheen verfolgen
einen solchen personalisierten Ansatz. Ausstiegsberater in
Deutschland versuchen Ähnliches in der Biografiearbeit.
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Themenpapier: Rückfälligkeit bei islamistischen Extremisten verhindern                                             REPORT

PSYCHOSOZIALE UND ANDERE                                        • Wirken Sie in mehreren Bereichen auf Stabilisierung
ASPEKTE VON RÜCKFÄLLIGKEIT                                      hin. Erfahrungen mit Rechtsextremisten und islamistischen
                                                                Extremisten zeigten, dass eine Stabilisierung erreicht wer-
                                                                den kann, wenn der Klient Erfahrungen in mehreren Berei-
Neben den allgemeinen Schwierigkeiten bei der Rückfall-         chen machen kann. Dazu gehört, dass er oder sie die Er-
prävention gibt es bei terroristischen Straftätern spezifi-     fahrung macht, dass es (in einem demokratischen Umfeld)
sche Herausforderungen. Praktiker berichteten zum Bei-          möglich ist, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben;
spiel, dass manche Täter glauben, dass Gott ihnen ihre          dass er oder sie Hilfe erhält, um Interpretationen und Wer-
Mission gegeben hat und dass es ihnen vorbestimmt war,          te zu überdenken; und dass er oder sie ein Gefühl der Zu-
bei der Durchführung eines Anschlags zu scheitern und           gehörigkeit entwickeln und stabile soziale Beziehungen ge-
ins Gefängnis zu gehen. Unter Umständen könnten solche          nießen kann.
Überzeugungen zu Rückfälligkeit beitragen.
                                                                • Sprechen Sie mit dem Häftling bei Bedarf über seine
Ein Experte betonte außerdem, dass jeder dritte oder vier-      „gottgegebene Mission“, um herauszufinden, welche Be-
te Insasse psychologisch auffällig sei und eine entsprechen-    dürfnisse dahinterstehen. Praktiker wiesen auch darauf
de Beratung erhalten sollte. Präventionsmitarbeiter, so ein     hin, bei manchen Häftlingen sei es ein guter Einstieg, über
Praktiker, hätten meist nicht das Fachwissen und die Be-        Gefühle der Desillusionierung oder des Scheiterns zu spre-
fugnis, psychische Probleme zu diagnostizieren. Die Klien-      chen, weil sie ihre „Mission“ nicht erfüllt hatten, wie zum
ten benötigten einen regelmäßigen Zugang zu Psychologen         Beispiel die Durchführung eines Attentats.
oder anderen Experten. In manchen Fällen könnten die Tä-
ter zugleich auch Opfer von physischer oder psychischer
Gewalt sein und traumatisiert sein. Psychiater oder Psycho-
therapeuten müssten dann an mehreren Dimensionen von
Trauma arbeiten.

Ein weiteres Problem sei, dass Berater nicht genug Zeit hät-
ten, um mit einem Klienten so intensiv zu arbeiten, dass sie
irreführendes Verhalten erkennen könnten, zum Beispiel
bei Klienten, die nur vorgäben, sich von Extremismus zu
distanzieren. Als problematisch sahen einige Teilnehmen-
de auch die Instrumente zur Risikobewertung an, die keine
hinreichend sicheren Voraussagen erlaubten. Ebenso könn-
ten sich Probleme durch die Fokussierung auf Risiken statt
auf Bedürfnisse und Potenziale ergeben. Schließlich sprach
sich ein Teilnehmer dagegen aus, dass die Person, die die
psychosoziale Störung eines Klienten behandele, auch die
Risikobewertung durchführe.

Workshop-Teilnehmende berichteten von den folgenden
bewährten Praktiken, um diesen und anderen Schwierig-
keiten zu begegnen:

• Organisieren Sie ein effektives Übergangsmanagement
und etablieren Sie ein engmaschiges Unterstützungssys-
tem seitens der beteiligten Einrichtungen. Dies wurde als
hilfreich erachtet, um angemessen Unterstützung zu leisten
und ein gemeinsames Verständnis der psychologischen Be-
handlung zu entwickeln.
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