ZU TUN IST. Für uns. Für alle. Für eine gute Zukunft - Erwartungen des Handwerks zur Bundestagswahl 2021 - Handwerkskammer Dresden
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Erwartungen des Handwerks zur Bundestagswahl 2021 WISSEN, WAS ZU TUN IST. Für uns. Für alle. Für eine gute Zukunft.
V orwort 4 12 Betriebe stärken 6 Inhalt 3 Fachkräfte qualifizieren 10 4 Digitalisierung vorantreiben 14 Nachhaltigkeit gestalten 18
WISSEN, WAS ZU TUN IST. Für uns. Für alle. Für eine gute Zukunft. 4 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 VORWORT
Lockdown und Kontaktbeschränkungen. Geschlos- Diese Herausforderung ist eine Chance, vieles sene Betriebe und Schulen. Eine Welt, die plötzlich besser zu machen und langjährige Versäumnisse stillsteht. In den vergangenen Monaten haben wir endlich aufzuholen. Vor allem bei Digitalisierung zu spüren bekommen, wie schnell und dramatisch und Nachhaltigkeit müssen wir die großen Poten- sich unsere Lebensumstände ändern können. ziale entschiedener nutzen. Die Corona-Pandemie ist ein disruptives Ereig- Das deutsche Handwerk wird seinen Teil dazu bei- nis, das viele Gewissheiten grundsätzlich in Frage tragen, dass unser Land gut aus dieser Lage her- stellt. Wohlstand, Stabilität und Sicherheit spielen vorgeht. Mit Innovationskraft, nachhaltigem Han- dabei eine entscheidende Rolle. Viele Menschen deln und seinem großem Ausbildungsengagement fragen sich in diesen Tagen besorgt: Hat mein Be- schafft das Handwerk seit jeher Perspektiven. Und trieb eine Zukunft? Ist mein Arbeitsplatz sicher? darauf kommt es jetzt mehr denn je an. Bekommen meine Kinder eine gute Ausbildung? Wie sieht unser Land künftig aus? Schaffen wir Wir alle haben uns diese Lage nicht ausgesucht. das – gesellschaftlich, wirtschaftlich und finanziell? Aber wir können entscheiden, wie wir mit ihr um- gehen. In den letzten Monaten haben wir im Hand- Es braucht jetzt eine Politik, die unsere Betrie- werk viel gelernt - auch über uns selbst. Über Zu- be, Beschäftigten und Auszubildenden in dieser versicht, Kreativität und Verantwortung. Und über schwierigen Phase unterstützt. Doch so wichtig das, was zu tun ist. Dieses Wissen wollen wir ein- die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen bringen. Für uns. Für alle. Für eine gute Zukunft. auch ist: Das allein reicht nicht aus. Auch ohne Corona sind die Herausforderungen enorm, die globalen Dynamiken gewaltig. Wer Verantwortung übernehmen will, braucht einen positiven Entwurf für die Zukunft. Einen Gestaltungsplan für unser Land, mit dem Ziel, Wohlstand und Beschäftigung langfristig zu sichern. Natürlich auf der Grundlage unserer Sozialen Markwirtschaft. 5
1 Betriebe stärken 6 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 B E T R I E B E S TÄ R K E N
Wo wir stehen: Mit einer Million Betrieben, 5,5 Millionen Beschäf- men von Schwarzarbeit und illegaler Beschäfti- tigten und 369.000 Auszubildenden gehört das gung. Im Zentrum der Arbeitsmarktpolitik müssen Handwerk zum Rückgrat der deutschen Wirt- die Sicherung und der Aufbau von Beschäftigung schaft. Die Corona-Pandemie hat eine langan- stehen. haltende Wachstumsphase im Handwerk vorerst gestoppt und zahlreiche Betriebe hart getroffen. Erfolgreiche und nachhaltige Betriebsstrukturen, Damit das Handwerk auch in Zukunft leistungs- wie sie im Handwerk üblich sind, brauchen ei- stark und wettbewerbsfähig bleiben kann, be- nen rechtlichen Rahmen, der Rechtssicherheit und nötigt es gezielte Wachstumsimpulse, faire Rah- Fairness bietet, bürokratische Belastungen grund- menbedingungen und spürbare Entlastung von sätzlich auf ein notwendiges Maß beschränkt und bürokratischen Pflichten. Freiräume zur Ausschöpfung wirtschaftlicher und innovativer Potentiale unter Wahrung von Arbeit- Ein wesentlicher Belastungsfaktor für das perso- nehmerrechten gewährleistet. Eine passgenaue, nalintensive Handwerk sind die Lohnzusatzkos- auf die überwiegend kleinbetrieblichen Struktu- ten. Bis 2040 droht ein Beitragsanstieg in den So- ren der Handwerksbetriebe und ihrer Beschäftig- zialversicherungen auf 50 Prozent. Daher müssen ten ausgerichtete Rechtsetzung ist hierfür ebenso die Beiträge zu den Sozialversicherungen auch unerlässlich wie mehr Vertrauen in die Rechtstreue über 2021 hinaus dauerhaft auf unter 40 Prozent der Betriebe. begrenzt und Betriebe mit ihren Beschäftigten stärker entlastet werden. Belastbarkeit und sozi- Damit die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt, ale Absicherung müssen für heutige und künftige müssen wirksame Impulse gesetzt werden. Nur Generationen in Einklang gebracht werden. wenn es gelingt, den Wirtschaftsstandort Deutsch- land durch ein zeitgemäßes und international kon- Das Handwerk setzt auf eine lebendige und kurrenzfähiges Steuerrecht attraktiv zu gestalten, starke Sozialpartnerschaft, die Arbeitgeber- und wird gesundes Wachstum für Handwerksbetriebe Arbeitnehmerinteressen widerspiegelt und mit möglich sein. passgenauen Lösungen die Tarifautonomie und Tarifbindung stärkt. Die personalintensiven Be- triebe brauchen und erwarten eine Arbeitsmarkt- verfassung, die hinreichend Flexibilität ermöglicht, sowie eine entschlossene Bekämpfung aller For- 7
Was deshalb zu tun ist: Sozialversicherungen zukunftsfähig gestalten: Ziel muss sein, die Sozialbeiträge und damit die Kostenbelastung der personalintensiven Betriebe des Handwerks nicht weiter steigen Bürokratieentlastung vorantreiben: zu lassen. Dauerhafte Beitragsstabilität si- Handwerksbetriebe haben zahlreiche Bürokratiepflichten zu erfüllen. Ein chert die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, durchschnittlicher Betrieb mit fünf bis zehn Beschäftigten kann dies vielfach ermöglicht ihren Beschäftigten ein auskömm- nicht leisten. Besonders belastend sind dabei insbesondere solche Pflichten, liches Netto-Einkommen, reduziert Schwarz- deren Nutzen nicht nachvollziehbar zu erkennen ist. Es bedarf einer konse- arbeit, schafft Impulse für mehr Beschäfti- quenten Fortsetzung des bisherigen Abbaus unnötiger Bürokratie. Notwen- gung und trägt zur Generationengerechtigkeit dig sind dazu die Identifizierung vorhandener Entlastungspotenziale sowie die bei. Die Altersvorsorge muss stabilisiert und spürbare Reduzierung vorhandener und die strikte Vermei- gesichert werden. Die Finanzierbarkeit der dung neuer bürokratischer Belastungen. Das Handwerk hat gesetzlichen Rentenversicherung ist in Anbetracht des demo- zahlreiche Entlastungsvorschläge vorgelegt. Diese sind um- grafischen Wandels und der wirtschaftlichen Transformations- zusetzen. Um die Folgen der Corona-Pandemie besser zu prozesse zukunftssicher auszugestalten. Auch in der gesetz- bewältigen und eine Erholung zu ermöglichen, braucht es u. lichen Kranken- und Pflegeversicherung sind angesichts der a. ein Belastungsmoratorium. Auf europäischer Ebene gehört aktuellen Kostensteigerungen sowie der Alterung der Bevölke- dazu, Gesetzesvorhaben mit Hilfe des verpflichtenden KMU- rung nachhaltigere Strukturen notwendig, um Arbeitgeber und Tests lückenlos auf Probleme für das Handwerk abzuklopfen, Arbeitnehmer im lohnintensiven Handwerk zu entlasten. Aus Verfahren transparent zu machen und das Prinzip „Vorfahrt für Arbeitgebersicht gehört hierzu etwa die Einführung einer er- KMU“ umzusetzen. Ziel muss sein, die Gesetzgebung von den gänzenden obligatorischen privaten Pflegevorsorge mit staatli- kleinen und mittleren Handwerksbetrieben und ihren Beschäf- cher Förderung der Arbeitnehmer. Statt einmaliger Liquiditäts- tigten aus zu denken. hilfen des Bundes sollte in allen Sozialversicherungszweigen ein Bundeszuschuss gezahlt werden, der versicherungsfrem- Vertrauen stärken: de Leistungen, die im Allgemeininteresse liegen, in voller Höhe Die allermeisten Handwerksbetriebe verhalten sich rechtstreu. aus Steuermitteln finanziert. Dennoch müssen sie umfassende Dokumentationspflichten erfüllen, die allein darauf abzielen, das rechtmäßige Verhalten Vorfälligkeit zurücknehmen: im Fall staatlicher Prüfungen präventiv darlegen zu können. Die Die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge muss wieder Beweislast, ob ein Betrieb einen Rechtsverstoß begangen hat, auf den Folgemonat verschoben werden, wie es vor 2006 ge- muss ausschließlich der Verwaltung oder Verfolgungsbehörde regelt war. Der vorgezogene Fälligkeitstermin belastet Hand- und nicht dem jeweiligen Betrieb obliegen. Handwerksbetrie- werksbetriebe durch den monatlichen Liquiditätsentzug in der ben muss wieder mehr Vertrauen entgegengebracht werden. Corona-bedingten Krise noch mehr als zuvor. Zu finanzieren Der Staat darf seine Kontrollaufgaben nicht privatisieren. In be- ist die Rücknahme der Vorfälligkeit etwa über ein langfristiges stimmten Bereichen ist die Kontrolle auszubauen, wie etwa bei Darlehen des Bundes. Höhere Sozialversicherungsbeiträge der Schwarzarbeitsbekämpfung. dürfen keine Option sein. Rechtsetzung lebensnaher gestalten: Flexibilisierungsspielräume nutzen: Die Vorbereitung von handwerksrelevanten Gesetzentwürfen Die zunehmende Verrechtlichung der Arbeitswelt belastet ist um einen Praxischeck zu ergänzen, um die Erfahrung und gerade die kleinen Betriebe des Handwerks. Nötig sind statt- das Know-How von Betriebsinhabern und ihren Beschäftigten dessen ausgewogene Handlungsspielräume für Betriebe und zielgerichtet einzubringen. Zudem sind Evaluierungen beste- Tarifpartner, eine Reduzierung von Dokumentations- und hender, das Handwerk betreffender Gesetze durch die obli- Aufzeichnungspflichten auf das notwendige Maß sowie ins- gatorische Einbeziehung von Handwerksbetrieben und Hand- gesamt weniger Bürokratie. Die Betriebe brauchen flexiblere werksorganisationen zu stärken. Regelungen etwa im Arbeitszeitgesetz, die den Schutz der Beschäftigten jedoch ausdrücklich nicht einschränken. Not- wendig ist die Möglichkeit zum Übergang von der Tages- zur Wochenhöchstarbeitszeit, damit die Betriebe ihre Beschäftig- ten ohne eine Erhöhung der Arbeitszeit über die Woche ver- teilt auftragsabhängig besser einsetzen können und so auch die für die Beschäftigten wichtige Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert wird. Zudem bedarf es neuer Tariföffnungs- klauseln, um passgenaue Regelungen vor allem für die Gestal- tung von Ruhezeiten zu ermöglichen. 8 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 B E T R I E B E S TÄ R K E N
Gezielte Steuerimpulse setzen: Notwendig ist weiterhin eine Unternehmenssteuerreform, die die steuerliche Belastung auf ein international konkurrenzfähiges Niveau von 25 Prozent senkt. Die ertragsunabhängigen Hinzurechnungstatbestände in der Gewerbesteuer müssen zurückgeführt werden. Auch die Innenfinanzierung der im Handwerk typischen Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist durch eine mittelstandsfreundliche und praxistaugliche Minijobs anpassen: Fortentwicklung der Thesaurierungsrücklage zu stärken. Be- Minijobs sind in einer Reihe von Handwerksbetrieben anzutref- triebliche Investitionen müssen durch verbesserte Abschrei- fen, insbesondere den Lebensmittel- und Dienstleistungsge- bungsbedingungen gefördert und die Grenze für die Sofort- werken. Minijobs sichern in den betroffenen Gewerken durch abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter auf mindestens ihre flexibleren Einsatzmöglichkeiten den Bestand von Unter- 1.000 Euro angehoben werden. Steuererhöhungen und die nehmen und damit Beschäftigung. Die Minijobgrenze wurde Wiedereinführung der Vermögensteuer würden den Erho- zuletzt 2013 auf 450 Euro erhöht. Gleichzeitig steigt der 2015 lungsprozess der Handwerksbetriebe erheblich erschweren eingeführte gesetzliche Mindestlohn in Stufen bis Mitte 2022 und müssen unterbleiben. auf 10,45 Euro. Viele Minijobber an der 450-Euro-Grenze profi- tieren finanziell nicht von diesen Steigerungen. Für sie verkürzt Verlustrücktrag ausweiten: sich mit jeder Anhebung die Arbeitszeit. Für Arbeitgeber wird Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die geltenden Regeln es immer schwieriger, die wegfallenden Arbeitsstunden aufzu- des § 10d Einkommensteuergesetz mit ihren zeitlichen und fangen. Es ist vielfach auch nicht möglich, eine ausreichende betragsmäßigen engen Begrenzungen des Verlustrücktrages Zahl von Beschäftigten zu finden. Vor diesem Hintergrund soll- und der Mindestbesteuerung beim Verlustvortrag dem Leis- te aus Arbeitgebersicht eine Anhebung der 450-Euro-Grenze tungsfähigkeitsprinzip widersprechen. Soweit für das Jahr auf 600 Euro erfolgen. Damit könnten auch geringfügig Be- 2020 insgesamt mit einem Verlust zu rechnen ist, ist nur ein schäftigte im Handwerk wieder von tariflichen Lohnerhöhun- Rücktrag in das Jahr 2019 erlaubt. Die Möglichkeit des Ver- gen profitieren. Die Arbeitnehmervertreter lehnen eine Anhe- lustrücktrages ist deutlich auszubauen. Nur so können die von bung der Minijobgrenze ab. Sie sind der Auffassung, Minijobs der Corona-Pandemie besonders schwer getroffenen Hand- verschleiern undokumentiertes Arbeiten und sollten deshalb in werksbetriebe dringend benötigte Liquidität zur Existenz- und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse um- Beschäftigungssicherung erhalten. gewandelt werden. Minijobs schaffen Fehlanreize und würden den Fachkräftemangel verschärfen. Soli prüfen: Die teilweise Weitererhebung des Solidaritätszuschlags belas- Öffentliche Auftragsvergabe an tet die Inhaber und Gesellschafter etablierter Handwerksun- Handwerksbetriebe sicherstellen: ternehmen und ist verfassungsrechtlich zweifelhaft. Die Beteiligungsmöglichkeiten von Handwerksbetrieben an Vergabeverfahren müssen weiterhin durch das Primat der Finanzierung der Handwerksbetriebe sichern: Fach- und Teillosvergabe gestärkt werden. Zudem sind die Ver- Bei der Umsetzung von Basel III in EU-Recht dürfen keine gaberegelungen der Länder stärker anzugleichen, um grenz- neuen Hürden für die handwerkstypische Kreditfinanzierung überschreitende Teilnahmen an Ausschreibungen zu erleichtern. entstehen. Deshalb ist der KMU-Korrekturfaktor ebenso zu er- Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter sollten öffentliche Aufträge halten wie der qualitative Granularitätsnachweis in Retailport- nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Dabei folios. Risikogewichte für Leasinggeschäfte bzw. für Immobi- ist für den Baubereich weiterhin die VOB beizubehalten. ÖPP- lien-besicherte Darlehen dürfen nicht erhöht werden, um die Modelle sollten begrenzt werden, da sie Handwerksbetriebe Finanzierungsmöglichkeiten von Handwerksbetrieben nicht vielfach aus den jeweiligen Märkten verdrängen. weiter zu belasten. Bürgschaftsbanken und Mittelständische Beteiligungsgesellschaften als zentrale Finanzierungspartner AGB-Schutz ausbauen: des Handwerks müssen gestärkt werden. Der Schutz von kleinen Handwerksbetrieben vor missbräuch- lichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist zu stärken. Um Handwerkliche Zulieferer stärken: ungleiche Marktmachtverhältnisse auszugleichen und be- Die hochinnovativen handwerklichen Zulieferer sind ange- nachteiligenden Vertragsbedingungen präventiv zu begegnen, sichts der Gleichzeitigkeit von gravierenden globalen Struk- ist die unmittelbare Anwendung der Kataloge unzulässiger turveränderungen einerseits und der aktuellen Corona-Pan- Klauseln des AGB-Rechts auf Kleinstbetriebe zu erweitern, demie andererseits auf zielführende wirtschaftspolitische so dass eine Vielzahl von Handwerksbetrieben von diesem Unterstützung angewiesen. Die Leistungs-, Innovations- und Schutz profitiert. Wettbewerbsfähigkeit dieser Betriebe ist ein unverzichtbarer Standortvorteil Deutschlands. Nationale Normungsstrategie Handwerk umsetzen: Normung ist für viele kleine und mittlere Betriebe des Hand- werks unüberschaubar geworden. Es braucht eine Rückfüh- rung auf unverzichtbare Normen, mehr Transparenz und mehr Mitwirkung der Handwerks- und KMU-Vertreter. 9
2 Fach- kräfte qualifizieren 10 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 FACHK R ÄF TE QUALIFIZIEREN
Wo wir stehen: Der demografische Wandel stellt auch das deut- Die Corona-Pandemie hat auch die Ausbildungs- sche Handwerk vor große Herausforderungen. situation in Deutschland beeinträchtigt. Aber viele Dazu zählt insbesondere die Fachkräftesiche- Betriebe haben in dieser Phase trotz der hohen rung. Um den Bedarf zu decken, ist die Ausbil- Belastung an der Ausbildung festgehalten und dungsleistung von überragender Bedeutung. jungen Menschen eine Perspektive geboten. Das Unverzichtbar ist darüber hinaus eine handwerks- Ausbildungsengagement des deutschen Hand- und mittelstandsgerechte Zuwanderungs- und In- werks und seiner Betriebe muss stärker gewür- tegrationspolitik. digt und die Ausbildungsstrukturen fair und an- gemessen finanziert werden. Für eine nachhaltige Das Handwerk prägt mit seinen system- und infra- Fachkräfteversorgung braucht es zudem mehr strukturrelevanten Berufen den Wirtschaftsstand- Wertschätzung für die berufliche Bildung und eine ort Deutschland. Die berufliche Bildung gehört zu Gleichwertigkeit mit der akademischen Bildung. seinem Markenkern. Die Betriebe übernehmen Verantwortung, bilden für den eigenen Fachkräf- Für eine zukunftsorientierte Ausgestaltung der be- tebedarf und weit darüber hinaus aus. Handwerk ruflichen Bildung zur Sicherung des Wirtschafts- bietet attraktive Entwicklungsmöglichkeiten in standortes Deutschland gilt es, die Attraktivität der Aus- und Weiterbildung. Für den Qualitätsan- der Höheren Berufsbildung auszubauen, die Di- spruch steht vor allem der Meistertitel, der durch gitalisierung der Berufsbildungsinfrastruktur in die Wiedereinführung der Meisterpflicht in zwölf den Bildungszentren des Handwerks zu fördern Gewerken Anfang 2020 gestärkt werden konnte. und die Beteiligten am Ausbildungsmarkt zu ent- lasten. Klein- und Kleinstbetriebe im Handwerk sind dabei als Träger der Dualen Ausbildung in Deutschland in den Fokus politischen Handelns zu rücken und in ihrer Ausbildungsleistung zu un- terstützen. 11
Was deshalb zu tun ist: Ausbildung für Betriebe und junge Menschen Betriebe bei der Fachkräfte- attraktiver machen: sicherung entlasten und Handwerksbetriebe leisten einen wichtigen Beitrag zur Qualifizierung junger unterstützen: Menschen und tragen damit wesentlich zur Fachkräftesicherung für sich Zur Beratung von Kleinst- und Kleinbetrie- und den Standort Deutschland bei. Die Politik ist daher gefordert, das Aus- ben im Handwerk bei der Ausbildung sollen bildungsengagement der Betriebe anzuerkennen und Ausbildungsbetriebe an den Handwerkskammern Qualitätsberater und Auszubildende im Sinne der Gleichwertigkeit beruflicher und akade- und das ehrenamtliche Mentorenprogramm mischer Bildung auf der Kostenseite zu entlasten, wo immer dies möglich VerA unbefristet gefördert werden. Auch in ist – beispielsweise durch eine bundesweite Ausweitung des Azubitickets strukturschwachen ländlichen Räumen ist ein oder einen Ausbau von Azubi-Wohnangeboten. Die Einführung eines bun- erreichbares, qualitativ hochwertiges Angebot desweiten Azubitickets und ein qualitativer und quantitativer Ausbau von an ausbildungsbegleitenden Hilfen, an Bera- Azubiwohnangeboten fördert die überregionale Vermittlung auf dem Aus- tern des Programms Passgenaue Besetzung bildungsmarkt und erleichtert den Handwerksbetrieben die Sicherung des und Assistierter Ausbildung sicherzustellen, Fachkräftenachwuchses. um Handwerksbetriebe bei der Ausbildung leistungsschwacher Jugendlicher zu unter- Das Aufstiegs-BAföG ist auch mit Blick auf Teilzeitmaßnahmen auszubauen. stützen. Klein- und Kleinstbetriebe sind da- Bund, Länder und Schulträger sind aufgefordert, zusammen mit den Sozial- her insbesondere auch bei der Qualität der partnern einen Pakt für Überbetriebliche Ausbildungsstätten und berufsbil- betrieblichen Erstausbildung ausreichend zu dende Schulen zu entwickeln, um insbesondere die technische Ausstattung fördern und zu unterstützen. dieser Einrichtungen zu modernisieren, die regionale Versorgung zu sichern und gleichzeitig die Rahmenbedingungen für die Sicherung des Lehrkräf- Ausbildungsbetriebe entlasten – tenachwuchses zu verbessern und weiterzuentwickeln. Die Begabtenförde- Finanzierung der ÜLU sicherstellen: rung in der beruflichen Bildung ist vom Fördervolumen her auszubauen und Die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung eine mit den akademischen Stiftungen gleichwertige Förderinfrastruktur zu (ÜLU) ist der Garant, dass Auszubildende errichten, um leistungsstarke Fachkräfte im Handwerk zu fördern. unabhängig von Betrieb und Ort auf gleich hohem Niveau qualifiziert werden und ent- Erwerbstätige im Handwerk stehen vor immer größeren Schwierigkeiten, sprechend einsetzbar sind. Deshalb ist vorge- wie sie ihre Arbeit und ihre familiären Verpflichtungen mit einer Fortbildung in sehen, dass Bund und Länder die ÜLU jeweils Einklang bringen sollen. Deshalb sollte die AFBG-Förderung bis zu einem Drittel mitfinanzieren. Tatsächlich des Unterhalts bei Teilzeitmaßnahmen verbessert werden. ist die Zuschusshöhe trotz jüngster Fortschritte noch deutlich von diesem Ziel entfernt. Betriebe tragen nach wie vor die Attraktivität und Gleichwertigkeit der Hauptlast. Die Zuschusspauschalen von Bund und Ländern beruflichen Bildung sichtbar machen müssen dauerhaft auf je ein Drittel der tatsächlichen Kosten und steigern: angehoben und regelmäßig angepasst werden, um die Betrie- Durch ein DQR-Gesetz ist die Gleichwertigkeit der Bildungs- be zu entlasten und Ausbildung wieder attraktiver zu machen. systeme rechtsverbindlich zu regeln und qualitativ zu sichern, damit eine Karriere im Handwerk als adäquate Alternative zum Modernisierungsoffensive der Studium sichtbar wird. Exzellenz in der beruflichen Bildung beruflichen Bildungsstätten muss durch eine Exzellenzstrategie im Handwerk und den starten: Ausbau der Aufstiegsfortbildungsförderung gefördert werden. Berufsbildungsstätten sind die Hochschulen des Handwerks. Durch eine Kampagne der Bundesregierung für die Höhere Sie sorgen für den Transfer von innovativem technischem Berufsbildung sowie eine konsequente frühzeitig ansetzende Wissen zu Handwerksbetrieben und unterstützen damit auch bundesweite Berufsorientierung an allen Schulformen, insbe- wichtige politische Zielsetzungen wie die Energiewende mit sondere den Gymnasien, ist Transparenz über die Gleichwer- fachlicher Know-How-Vermittlung. Um diese entscheidende tigkeit der Bildungssysteme herzustellen. Dabei müssen die Funktion aufrechtzuerhalten, müssen die notwendigen Inves- umfassenden Aufstiegs- und Karrierewege der dualen Ausbil- titionen in Werkstätten, Theorieräume sowie Unterbringungs- dung aufgezeigt und individuelle Entwicklungspotenziale der kapazitäten spürbar erhöht und zukunftsweisende Innovation Ausbildungsberufe stärker bekannt gemacht werden, etwa im Labs gefördert werden. Bereich der Digitalisierung oder der Energiewende. 12 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 FACHK R ÄF TE QUALIFIZIEREN
Beruflichen Fachkräftebedarf gezielt sichern: Fachkräftesicherung ist eine zentrale Herausforderung Deutschlands. Neben der Stärkung des Ansehens der dualen Berufsausbildung müssen die Betriebe durch Förderprogramme der Bundesregierung wie der Passgenauen Beset- zung oder der Willkommenslotsenförderung unterstützt werden, Ausbildung weiterhin anzubieten und potenzielle Auszubildende zu finden. EU-Förderprogramme fortsetzen: Auszubildende international mobil machen: Erfolgreiche EU-Förderprogramme müssen Durch die weitere finanzielle Förderung des Mobilitätsberatungsprogramms zur Stärkung der wirtschaftlichen und ge- „Berufsbildung ohne Grenzen“ ist die grenzüberschreitende Mobilität von Aus- sellschaftlichen Stabilität vor Ort weiterhin für zubildenden, Fachkräften und Ausbildern im Handwerk auszubauen, um die Handwerk und KMU verlässlich nutzbar sein. Attraktivität einer handwerklichen Ausbildung zu erhöhen und interkulturelle Fördermittel aus dem ESF und EFRE etwa Kompetenz in den Handwerksbetrieben zu unterstützen. Die internationale sind die Garantie für eine exzellente berufliche Mobilität von Auszubildenden ist durch die Schaffung eines „Deutschen Aus- und Weiterbildung und sichern die Aus- Beruflichen Austauschdienstes“ in der Beratung, Vernetzung und Förderung stattung der Berufsbildungs- und Technolo- zu stärken, um regional verankerte Handwerksbetriebe zu unterstützen, die auf giezentren mit modernster Technik. dem Ausbildungsmarkt im Wettbewerb mit internationalen Unternehmen stehen. Weiterbildung handwerkstauglich Fachkräftebasis stärken: weiterentwickeln: Primäre Aufgabe bleibt die Förderung von inländischem Beschäftigungspoten- Kontinuierliche Weiterbildung der Fachkräfte zial. Daneben wird die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte eine wachsen- wird immer wichtiger, damit Handwerksbe- de Bedeutung für das Handwerk haben. Die sich aus dem Fachkräfteeinwan- triebe ihre Leistungen auf dem stets neuesten derungsgesetz ergebenden Potenziale müssen noch besser nutzbar gemacht Stand der Technik erbringen können. Rege- werden. So ist zukünftig ein Schwerpunkt auf eine praxistaugliche, gesteuerte lungen zur Förderung von Weiterbildungen – Zuwanderung beruflich qualifizierter Fachkräfte zu legen. Zudem sollten kon- insbesondere im SGB III – müssen deshalb krete Maßnahmen wie Stipendienprogramme zur Unterstüt- praxistauglich auf die Bedürfnisse von kleinbetrieblich struk- zung der Aufnahme einer beruflichen Ausbildung durch junge turierten Unternehmen und deren Beschäftigte zugeschnitten Zuwanderer konzipiert werden. sein. Geförderte Weiterbildungsmaßnahmen müssen auch für kurze Zeiträume angeboten werden, abhängig von der jeweili- Westbalkanregelung zuwanderungsfreundlich gen betrieblichen Auftragslage. entfristen: Die sog. Westbalkanregelung in § 26 Beschäftigungsverord- Digitalisierung in und mit nung spielt für die Versorgung vor allem des Baugewerbes mit beruflicher Bildung voranbringen: Arbeitskräften eine zentrale Rolle. Die jüngst beschlossene, bis Die Erschließung von Digitalisierungspotenzialen bei der Ende 2023 befristete Neufassung dieser Regelung ist frühzei- Durchführung von Prüfungen, Lehrgängen und der Lernort- tig zu verlängern und weiterzuentwickeln. Statt der Begren- kooperation ist zu fördern, um Prüfungskosten zu reduzieren zung auf starre Kontingente ist diese Zuwanderungsregelung und den Austausch zwischen Betrieb, Auszubildenden, Be- zukünftig flexibel an den Arbeitskräftebedarfen der Betriebe rufsschule und überbetrieblichen Bildungszentren zu erleich- auszurichten. tern. Eine Voraussetzung hierfür ist auch die Förderung des Ausbaus der digitalen Infrastruktur in den Bildungszentren des Fachkräftesicherung und Freizügigkeit Handwerks. Digitale Formen der Berufsorientierung gilt es ziel- in Europa stärken: gruppenspezifisch weiterzuentwickeln und zu fördern. Die berufliche Ausbildung muss europaweit gestärkt und le- benslanges Lernen und Weiterbildung müssen besser veran- kert werden. Handwerksbetriebe brauchen Talente und Fach- kräfte aus Drittstaaten, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Die Auftragserledigung in europäischen Nachbar- ländern muss praxistauglich und unkompliziert möglich sein, damit Handwerker grenzüberschreitend Aufträge wahrneh- men können. Ein Missbrauch der Regelungen zur Freizügigkeit muss verhindert werden. 13
3 Digitali- sierung vorantreiben 14 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 D I G I TA L I S I E R U N G V O R A N T R E I B E N
Wo wir stehen: Die Digitalisierung führt zu erheblichen techno- Öffentliche und private Investitionen sind für die logischen wie auch wirtschaftlichen Strukturum- Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit und Wohl- brüchen und verändert betriebliches Agieren stand in Deutschland unverzichtbar und für das erheblich. Der sich beschleunigende Struktur- Handwerk ein zentrales Element seiner Stand- wandel bedeutet für viele Handwerksbetriebe ortqualitäten. Demografischer Wandel und tech- eine Überprüfung und Neuausrichtung ihrer Ge- nologischer Fortschritt erfordern zusätzlich eine schäftsmodelle samt neuer Produkte, Dienstleis- deutliche Zunahme der Zukunftsinvestitionen. Die tungen und Verfahren. Zunehmende Vernetzung Investitionsdynamik des Staates wie der Unter- und Digitalisierungsdruck sind dabei keine neuen nehmen und Betriebe muss sich nachhaltig er- Entwicklungen. Allerdings hat die Corona-Pande- höhen – auch um die Corona-bedingten volks- mie diese Entwicklung und deren Konsequenzen wirtschaftlichen Lasten möglichst zeitnah wieder für Wirtschaft und Gesellschaft nochmals be- auszugleichen. Investitionen der Handwerksbe- schleunigt. triebe setzen dabei ihre gesicherte Finanzierung voraus. Das Handwerk ergreift die aus der Digitalisierung erwachsenen Chancen, integriert digitale Tech- Handwerksbetriebe sind auf moderne und leis- nologien und Prozesse und stellt sich den damit tungsfähige öffentliche Verwaltungen angewie- verbundenen Herausforderungen. Das Kompe- sen. In der Praxis dauern die Bearbeitung und tenzzentrum Digitales Handwerk bietet den Be- Genehmigung von Anträgen häufig noch viel zu trieben ein umfassendes Beratungsangebot an, lange. Viele Anträge können nicht digital gestellt damit sie erfolgreich den technologischen Wan- und bearbeitet werden. Hier muss schnell nach- del und die damit verbundenen Chancen gestal- gebessert werden, indem die Digitalisierung der ten können. Dabei kann das Handwerk nur so Verwaltung vorangetrieben wird und entspre- erfolgreich sein, wie es die Rahmenbedingungen chende digitale Angebote für Unternehmen be- erlauben: eine flächendeckende Versorgung mit reitgestellt werden. digitaler Infrastruktur, digitale Kompetenzen und faire Datenzugänge. In allen Bereichen besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf. 15
Was deshalb zu tun ist: Breitbandzugang ausweiten: Die weiterhin zahlreichen „weißen Flecken“, vornehmlich in ländlichen Räumen, werden für die dort tätigen Handwerks- betriebe zu einem immer gravierenderen Standorthandicap. Die Telekommunikationsunternehmen müssen ihren Verpflich- tungen aus bisherigen Frequenzauktionen zu einer tatsäch- lich flächendeckenden Breitbandversorgung im Funkbereich nachkommen. Notfalls müssen gesetzliche Vorgaben für regi- onales Roaming eingeführt werden. Beim weiteren Ausbau der Faire Wettbewerbsordnung in der Breitbandverkabelung müssen die entsprechenden Unterstüt- Datenökonomie schaffen: zungsprogramme des Bundes noch handhabbarer und ggf. Der Zugang zu Daten wird für viele Geschäftsmodelle im verstärkt werden, wobei lokale Initiativen unter Einbindung der Handwerk – z.B. in den Bereichen Kfz, Landmaschinen oder örtlichen Wirtschaft einschließlich des Handwerks besonderes Gebäudeinfrastruktur/Smart-Home wie auch bei der Nutzung Augenmerk verdienen. von Plattformen insgesamt – immer wichtiger. Auf deutscher wie europäischer Ebene erfordert dies einen Rechtsrahmen, Digitalisierungsprozesse im Mittelstand der den Betrieben einen fairen Datennutzungszugang gewähr- intensivieren: leistet. Neben der bereits umgesetzten zielführenden GWB- Gerade die kleinen und mittleren Betriebe des Handwerks Novelle in Deutschland muss nun insbesondere die Daten- brauchen Unterstützung beim Aufbau digitaler Kompetenzen strategie der EU hierfür passfähig ausgestaltet werden. Dies sowie bei der technischen und finanziellen Umsetzung der betrifft den „Digital Service Act“ im Plattformbereich und die für sie passfähigen Digitalisierungsstrategien. Notwendig ist Gewährleistung offener und standardisierter Schnittstellen, die daher eine Verstetigung des erfolgreichen Unterstützungsan- Handwerksbetrieben für ihre Dienstleistungsangebote auch gebots des Kompetenzzentrums Digitales Handwerk (KDH) die Nutzung von Daten „smarter Geräte“ durch Privatpersonen über die laufende Förderperiode hinaus. Das Instrumentarium grundsätzlich ermöglichen. finanzieller Zuschüsse zur Stärkung der Digitalisierungspro- zesse sollte im Hinblick auf Mindestvolumina der Projekte und E-Government ausbauen: Mitarbeiterzahl angepasst werden, damit es für die Breite der Die schnelle und alle Ebenen erfassende Digitalisierung der Handwerksbetriebe überhaupt nutzbar wird. Die zunehmen- öffentlichen Verwaltung unter gleichzeitiger Verbesserung und de Verbreitung digitaler Bezahlung darf nicht dazu führen, die Verschlankung von Verwaltungsverfahren hat pandemiebe- Nutzung von Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel zu dis- dingt an Bedeutung gewonnen. Das „Einer für Alle“-Architek- kriminieren. turkonzept, wonach ein Bundesland bestimmte Leistungen so digitalisiert, dass sie von anderen Bundesländern nachgenutzt werden kön- nen, muss konsequent umgesetzt werden. Gleiches gilt für den Grundsatz der einmaligen Datenerfassung, sodass Handwerksunternehmen nur noch dann Unterlagen beibringen müssen, wenn die entsprechenden Daten nicht in der Verwaltung vorhanden sind. Dies würde zu einer deutlichen Kostenentlastung und Zeitersparnis der Betriebe durch Bürokratieabbau führen, setzt allerdings eine konsequente Registermodernisierung sowie die Einführung eines bundes- weit einheitlichen Unternehmenskontos voraus. 16 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 D I G I TA L I S I E R U N G V O R A N T R E I B E N
Betriebsberatung sichern, ausbauen und vereinfachen: Viele Handwerksbetriebe sind allein nicht in der Lage, die Viel- zahl der wirtschaftlichen und technologischen Herausforde- rungen zu bewerten und sich zukunftsorientiert aufzustellen. Sie brauchen einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu neutralen und passgenauen Informations- und Beratungs- Digitale Verwaltung ausbauen: leistungen. Bund und Länder müssen das Gerade angesichts der Corona-Pandemie zeigt sich, dass der bestehende Informations-, Beratungs- und Digitalisierungsgrad in den öffentlichen Verwaltungen noch Technologietransfernetzwerk des Handwerks immer nicht den Erfordernissen entspricht, etwa bei der Bear- stärken, ausbauen und die beihilferechtlichen beitung von Bauanträgen, Kfz-Zulassungen oder Sterbeurkun- Anforderungen vereinfachen. den. Dies beeinträchtigt vielfach die Leistungserbringung von Handwerkbetrieben. Die Digitalisierung des Verwaltungshan- Betriebsstrukturen besser delns muss dringend ausgebaut und verstärkt werden. berücksichtigen: Die Arbeitswelt in den zumeist kleinen Be- Digitale Steuerverwaltung ausbauen: trieben des Handwerks zeichnet sich durch Die zurückliegenden Monate haben deutlich gemacht, welche ein enges, oft familiäres Verhältnis zwischen Chancen und Möglichkeiten die Digitalisierung bietet. Auch Betriebsinhaber und Beschäftigten aus. Re- im Besteuerungsverfahren muss auf innovative Lösungen ge- gelungen zu Teilzeit, zu mobilem Arbeiten setzt und damit ein Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet oder Homeoffice dürfen gerade in den klei- werden. Hierbei sollte ein Schwerpunkt im Ausbau der elek- nen Betrieben des Handwerks nicht zu Per- tronischen Kommunikation mit der Finanzverwaltung gesetzt sonalengpässen und Konflikten innerhalb der werden. Dies wäre ein deutlicher Beitrag zur Entlastung der Belegschaft führen. Der Gesetzgeber ist auf- Handwerksbetriebe. gefordert, diesen kleinbetrieblichen Struktu- ren und ihre jeweiligen Bedarfe bei der recht- Digitalwirtschaft fair besteuern: lichen Arbeitsgestaltung durch die Stärkung Deutschland ist ein Staat mit einer leistungsfähigen Infrastruk- betrieblicher Gestaltungsspielräume beson- tur und umfassender sozialer Absicherung. Zur Finanzierung ders Rechnung zu tragen. dieser Errungenschaften müssen alle Wirtschaftsteilnehmer ihren leistungsgerechten Beitrag erbringen. Neben den etab- lierten Unternehmen im Handwerk und in anderen Bereichen müssen auch neue digitale Geschäftsmodelle angemessen in Deutschland besteuert werden. Notwendig sind dabei mög- lichst weltweit abgestimmte Regeln, die sowohl schädliche Doppelbesteuerung als auch Nichtbesteuerung vermeiden. Ziel muss sein, dass sowohl traditionelle als auch neuartige Geschäftsmodelle einen Beitrag zur Finanzierung des Ge- meinwesens leisten. Ansonsten würden auf Grund überholter Anknüpfungspunkte für die Besteuerung diejenigen Markt- teilnehmer, die aufgrund ihres physischen Präsenz ohnehin in Deutschland steuerpflichtig sind, wie typischerweise Hand- werksbetriebe, diese Lasten weitestgehend allein tragen. 17
4 Nach- haltigkeit gestalten 18 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 N A C H H A LT I G K E I T G E S TA LT E N
Wo wir stehen: Nachhaltigkeit ist für das Handwerk ein über Jahr- Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit müssen gleichge- hunderte gewachsener und bestimmender Teil sei- wichtige Ziele der Energiepolitik darstellen. Stärkere ner Identität und Werte. Nachhaltigkeit im Handwerk internationale Abstimmung ist für den Erfolg einer hat viele Dimensionen: generationenübergreifende tatsächlich erfolgreichen Klimapolitik einschließlich Betriebsführung, Fachkräfteausbildung und Wis- des Europäischen „Green Deals“ unerlässlich. senstransfer. Handwerkerinnen und Handwerker nehmen eine Schlüsselrolle bei der Ressourcen- Zur nachhaltigen Entwicklung gehören für das schonung und in der Kreislaufwirtschaft ein. Hand- Handwerk auch lebenswerte und wirtschaftlich werksbetriebe sind Innovationstreiber und Um- attraktive Regionen. Handwerksbetriebe stärken setzer der Energiewende, etwa bei den Themen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, schaffen Energieversorgung und Energieeffizienz, Smart Beschäftigungs- und Zukunftsperspektiven und Home, Elektromobilität. Dieses Engagement muss gewährleisten die Nahversorgung auf dem Land bei der Debatte über die nachhaltige Entwicklung – genauso prägen sie auch attraktive städtische Deutschlands stärker einbezogen werden. Quartiere. Im Handwerk findet das Ziel der deutschen und eu- Die Corona-Pandemie hat die Bedeutung einer ropäischen Klimapolitik, die Erderwärmung deutlich funktionierenden Nahversorgung und die zentrale zu begrenzen, breite Zustimmung. Die bisherige Rolle des Ladenhandwerks unterstrichen und vor Klimapolitik beruht jedoch auf einem markt- und Augen geführt, wie wichtig regionale Wertschöp- praxisfernen Instrumentarium, das in den Betrieben fung und Fertigung sind. Lebendige Innenstädte, zu steigenden Energie- und Bürokratiekosten führt. starke Ballungszentren und ländliche Räume sowie Notwendig ist daher ein substanzieller Kurswech- eine leistungsfähige Infrastruktur sind für das Hand- sel, der auf wettbewerblichen Ansätzen, Anbieter- werk wichtige Voraussetzungen für ein wirtschaft- vielfalt und dezentralen Lösungen beruht. Nur in ei- lich erfolgreiches und lebenswertes Deutschland. nem solchen Marktrahmen kann das breit verteilte Wissen von Handwerksbetrieben und ihren Kunden vor Ort gebündelt und in sinnvolle, passfähige, ef- fektive und insbesondere auch wirtschaftlich effizi- ente Maßnahmen einfließen. Versorgungssicherheit, 19
Was deshalb zu tun ist: EEG neu justieren: Die deutlichen Kostenbelastungen von Handwerksbetrieben, die die Haushalte der Beschäftigten gleichermaßen treffen, müssen reduziert werden. Ansatzpunkt hierfür ist – begin- nend mit der besonderen Ausgleichsregelung – die stufen- Handwerk bei der Nachhaltigkeitswende weise Umstellung der Finanzierung des EE-Ausbaus von der stärker einbeziehen: bisherigen EEG-Umlage auf eine Finanzierung aus dem Bun- Nachhaltiges Unternehmertum ist in den Handwerksbetrieben deshaushalt. Das beendet zugleich Wettbewerbsverzerrungen gelebte Realität. Dass die Bundesregierung ihre Nachhaltig- für energieintensive Handwerksbetriebe, die die Ausgleichsre- keitsstrategie fortentwickelt, wird seitens des Handwerks da- gelung nicht in Anspruch nehmen können. Die EEG-Umlage her grundsätzlich begrüßt. Leider bleiben die großen Nach- auf Eigenstromverbrauch muss zügig abgeschafft werden. Die haltigkeitspotenziale der Handwerksbetriebe dabei jedoch Stromsteuer ist zwecks weiterer Kostenentlastungen auch für faktisch unberücksichtigt. Die anspruchsvollen Nachhaltig- die Handwerksbetriebe und ihre Beschäftigten auf ihren euro- keitsziele in Deutschland können nur erreicht werden, wenn parechtlichen Mindestsatz zu reduzieren. die Wirtschafts- und Gesellschaftsgruppe Handwerk als origi- närer Nachhaltigkeitstreiber integraler Strategiepartner ist. Kreislaufwirtschaft handwerkstauglich gestalten: Grundsätzliche Technologieoffenheit Ein Kreislaufwirtschaftssystem kann nur funktionieren, wenn sicherstellen: die Bedürfnisse aller Unternehmensgrößenklassen – und da- Für Handwerksbetriebe ist es eine Selbstverständlichkeit, mit auch der kleinen Handwerksbetriebe – bedacht werden. dass sie als Umsetzer der Energie- und Klimawende ihren Handwerksbetriebe sind darauf angewiesen, dass es weniger Kunden die für diese jeweils passfähigsten und effizientesten Bürokratielast etwa in Form von Berichtspflichten gibt, dass Problemlösungen anbieten und diese realisieren. Das ist nur der Zugang zu Entsorgungsmöglichkeiten einfach gestaltet in einem grundsätzlich technologieoffenen Marktrahmen mög- wird und dass Sicherheitsrisiken bei der Sammlung von Abfall lich. Unvereinbar sind damit politische Ansätze, die sich z.B. vermieden werden. Nur so können gerade auch durch das En- regulatorisch oder fördertechnisch ausschließlich auf einzelne gagement von Handwerksbetrieben Recyclingquoten erhöht Technologien fokussieren. Darüber hinaus sind die bestehen- und die Kreislaufwirtschaft gestärkt werden. den steuerlichen und nicht-steuerlichen Anreize laufend zu überprüfen und, wo nötig, zu optimieren. Nachhaltigkeitsnachweise für Handwerksbetriebe praktikabel gestalten: Emissionshandel auf den handwerklichen Eine generelle Erhebung umfassender Nachhaltigkeitsdaten Mittelstand ausrichten: im Rahmen der Kreditvergabe an Handwerksbetriebe wäre für Die mit der neuen CO2-Bepreisung intendierten Lenkungs- diese mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden bzw. oft- effekte dürfen die Leistungs- und Finanzierungskraft von mals gar nicht möglich. Solche Nachweise dürfen keine weite- Handwerksbetrieben nicht überfordern. Gleiches gilt bei der ren Bürokratielasten für die Betriebe darstellen. Erhöhung von Emissionsminderungszielen auf deutscher und europäischer Ebene. Das mittelständische Handwerk muss Handwerk und Mittelstand in EU-Klimapolitik in seinen klimapolitisch gewollten betrieblichen Anpassungs- integrieren: maßnahmen unterstützt werden. Außerdem müssen Hand- Das Handwerk ist Mitgestalter der Nachhaltigkeitswende. werksbetriebe auf die Verlässlichkeit und Planbarkeit der Rah- Europäische Vorgaben, Strategien und Fördermittel müssen menbedingungen vertrauen können. Unvereinbar damit ist dazu beitragen, dieses Potenzial weiter zu heben, etwa bei eine jährliche Überprüfung politisch gesetzter Reduzierungs- der Umsetzung der Renovierungswelle oder auch beim Ge- ziele, die zu Aktionismus bei Zielabweichungen führt. setzespaket „Fit für 55“. Für europäische Klimaziele braucht es ambitionierte, aber realistische Vorgaben. Dabei müssen die Auswirkungen auf die Betriebe des Handwerks umfassend geprüft werden, um sicherzustellen, dass betriebsgefährdende Auflagen frühzeitig erkannt werden. Überzogene Effizienzanforderungen im Bereich der energetischen Gebäudes- anierungen können die Nachfrage nach Modernisierungsleistungen hemmen. 20 Z D H I E R W A R T U N G E N D E S H A N D W E R K S Z U R B U N D E S TA G S W A H L 2 0 2 1 N A C H H A LT I G K E I T G E S TA LT E N
Finanzierung der Handwerksbetriebe nachhaltig gestalten: Die Transformation der Realwirtschaft erfordert erhebliche In- vestitionsmittel sowie einen langen Zeithorizont. Maßnahmen zur nachhaltigen Finanzierung sollten daher so ausgestaltet sein, dass sie Handwerksbetriebe den Zugang zu Finanzie- rungen für Investitionen in Klimaschutz und Energiewende er- leichtern. Öffentliche Infrastruktur ausbauen: Verkehrsinfrastruktur ist für das Handwerk vor Ort ein zen- traler Standortfaktor. Die Erhöhung der Investitionen für Er- haltung und Ausbau der Verkehrswege des Bundes ist fort- zuführen. Notwendig sind zudem flankierende und langfristig angelegte Finanzierungen des Bundes für den öffentlichen Verkehr in Städten und Regionen. Für Handwerksverkehre muss der Innenstadtzugang gesichert bleiben. Die Straßen- verkehrsordnung sollte verstärkt die Bedürfnisse der Hand- werksbetriebe berücksichtigen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken: EU-Erholungsinstrumente wirksam Viele Handwerksbetriebe bieten ihren Beschäftigten familienfreundliche Ar- einsetzen: beitsbedingungen. Jedoch gewährleisten die staatlichen Kinderbetreuungs- Gefragt sind gezielte Investitionen in die Infra- möglichkeiten nicht immer eine ausreichende Vereinbarkeit von Familie und struktur, sowie Unterstützung der Handwerks- Beruf. So fehlen noch immer laut einer Untersuchung des Instituts der deut- betriebe, um den Strukturwandel umzuset- schen Wirtschaft 342.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Auch zen. Die zum Wiederaufbau aufgenommenen personell sind die Kindertagesstätten häufig nicht optimal aufgestellt und Schulden müssen sukzessive zurückgeführt Randzeiten werden nicht abgedeckt. Das Angebot an staatlicher Kinderbe- werden, um ein stabiles Wirtschaftsumfeld treuung muss daher weiter ausgebaut werden. Es müssen mehr hochwertige und damit Planungssicherheit für Handwerks- und bezahlbare Ganztagsbetreuungseinrichtungen und -schulen für Kinder betriebe zu gewährleisten. eingerichtet werden. Regionen stärken: Qualität der medizinischen Versorgung sicherstellen: Regional tätige Handwerksbetriebe sollten bei Im Gesundheitswesen soll das auf starken Verbandsstrukturen basierende Investitionen und Überwindung von Innovati- Kollektivvertragssystem nicht durch andere Vertragsformen ausgehöhlt werden, onshürden gezielter flankiert werden. Insbe- um zwischen den Gesundheitshandwerken und den Krankenkassen weiterhin sondere in der Gemeinschaftsaufgabe „Ver- Verhandlungen auf Augenhöhe zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sollte besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ auch die Vielfalt der Krankenkassenlandschaft bewahrt bleiben. (GRW) sollte die 50 km-Begrenzung abge- schafft werden, um Wettbewerbsverzerrun- EU-Binnenmarkt vertiefen und EU-Grundfreiheiten sichern: gen zu beseitigen und die wichtige Funktion Gerade beim grenzüberschreitenden Arbeiten sind für die Handwerksbetriebe der Handwerksbetriebe für die Sicherung und klare Regeln und pragmatische Verfahren wichtig. Anzeige-, Melde- und Entwicklung der Wirtschaftskraft und Nahver- Nachweispflichten müssen auf ein notwendiges Maß reduziert und verein- sorgung in den Regionen zu unterstützen. facht werden sowie transparent und nachvollziehbar sein. Betriebe brauchen Hilfsinstrumente, um Entsende-Formalien schnell und unbürokratisch bewäl- Gute Betriebsstandorte und tigen zu können. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass ein gemeinsames bezahlbares Wohnen sicherstellen: europäisches Vorgehen notwendig ist, um Grenzschließungen zu vermeiden. Handwerksbeschäftigte sind auf bezahlbaren Die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts, insbesondere die Frei- Wohnraum in Ballungsgebieten angewiesen. heiten des Personen- und Dienstleistungsverkehrs, müssen gewährleistet Dieser ist sicherzustellen. Städte und Dörfer sein, auch in Krisenzeiten. sind als Standorte von Handwerksbetrieben zu stärken. Baurecht und Städtebauförderung sind weiterzu- entwickeln, um eine verträgliche Nutzungsmischung gezielter zu unterstützen und die Weiterentwicklung brachfallender Han- delsflächen für handwerkliche Aktivitäten zu flankieren. 21
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