Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
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Büchergilde 2 | 20 B U C H G E M E I N S C H A F T S E I T 19 2 4 ENGAGIERT, POLITISCH, UND WAS ARBEITEST DU? SCHEIN UND SEIN: DIREKT: DIE NEUE 158 BERUFE IN DOLLEN BARON MÜNCHHAUSEN IN EDITION ZEITKRITIK BILDERN VON FELIX BORK ZEITEN VON FAKE NEWS
Machen Sie mehr aus uns. Wir freuen uns, dass Sie Mitglied der Büchergilde sind – manche von Ihnen sind schon seit langem dabei. Im vergangenen Jahr haben wir weitere 4.934 Menschen für diese ungewöhnliche Buchgemeinschaft begeis- tern können. Eine Zahl, die zeigt, dass wir als eine der ältesten »Kultur-Communities« in Europa – immerhin gegründet 1924 – attraktiv und aktuell sind. Die Genossinnen und Genossen der Büchergilde Verlagsgenossenschaft eG Viermal im Jahr bekommen Sie unser Magazin, vier- fördern mal im Jahr wollen wir Sie mit der Qualität unseres • sorgfältig ausgesuchte Inhalte in Programms aufs Neue überzeugen: Bei uns finden Sie schönen Formen, mit Liebe und Herz- die ungewöhnlichen Bücher, die schönen Bücher. Eine blut, mit Hingabe zum Detail gestaltete Bücher, die oft in Zusammenarbeit mit Auswahl aus Kunst und Musik und manches mehr der Künstlerinnen und Künstlern entstehen, schönen Dinge. Sie kennen uns, und wir sind dann zu- • die Kunst der Illustration, • die Unabhängigkeit der Büchergilde frieden, wenn Sie sich in Ihrer Büchergilde kulturell und ihres Programms im allgemeinen, gut aufgehoben fühlen. • eine kulturelle Instanz, die ihrerseits fördert: mit dem Büchergilde Gestalter- Sie wissen, die Büchergilde ist eine Verlagsgenossen- preis, dem Förderverein Die Welt des Lesens e.V., dem Büchergilde artclub. schaft – also eine Gemeinschaft von Menschen, die sich • Genossinnen und Genossen gehören zu einer einmaligen Gemeinschaft und tau- zusammenfindet, um gemeinsame Ziele zu erreichen. schen sich bei exklusiven Veranstaltungen Frei nach den Drei Musketieren – Einer für alle, alle für mit Menschen verwandten Geistes aus. einen. Ein zentrales Ziel dieser Genossenschaft: Wir Die Investition in einen Anteil an dieser besonderen Kulturgenossenschaft beläuft tragen bei zur Kultur einer kritischen und heiteren, sich auf 500,– Euro. (Diese Einlage ver- einer gesprächsoffenen und liberalen Öffentlichkeit – pflichtet Sie übrigens nicht zum »Nach- wir halten fest an unseren Idealen und an unserem schießen« – im Gegenteil: Sie können sie auch wieder kündigen.) Engagement, das sich im Programm ausdrückt: Denn Geben Sie doch 500,– Euro einen schönen Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit sind nicht Sinn: Machen Sie aus ihnen eine sichere kulturelle Investition. mehr selbstverständlich. Mit Ihrem Anteil erwerben Sie auch Deshalb laden wir Sie herzlich ein: Werden Sie auch DAS GUTE BLEIBT eine Stimme auf der jährlichen General versammlung, zu der wir Sie herzlich begrüßen möchten. Hier begegnen sich Genossin oder Genosse der Büchergilde Verlagsge- Genossinnen und Genossen und tauschen nossenschaft, stärken Sie Ihre Buchgemeinschaft. sich aus über das, was ihnen an ihrem Machen Sie mehr aus uns. Je mehr wir sind, desto un- Büchergilde-Herzen liegt. © GROOTHUIS.DE Die Satzung und weitere Informationen abhängiger sind wir, und können daran festhalten, zur Genossenschaft finden Sie unter Ihnen das zu bieten, was Sie so kein zweites Mal finden: www.buechergilde.de/genossenschaft Die Kultur des besonderen Buches. Ihre spontanen Fragen beantworten wir gern auch telefonisch oder per Mail: geno@buechergilde.de Übrigens: Sie können auch als »juristische Person« Genosse werden, also als Unter- nehmen, Stiftung, Organisation.
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, froh zu sein bedarf es wenig, heißt es in dem von August des großen Dichters. Wir empfehlen Ihnen Rüdiger Saf- Mühling geschriebenen Lied. Bücher werden bei vielen ranskis Hölderlin-Biografie ganz besonders und haben ex- zur Freude dazugehören, so hoffe ich zumindest. Das Ad- klusiv für unsere Mitglieder ausgewählte Aphorismen im jektiv „froh“ verbindet sich in der deutschen Sprache so feinen Bändchen Im Kleinsten offenbart das Größte sich fest wie beschwingt nur mit wenigen ausgewählten Anläs- zusammengestellt. sen: Weihnachten, Ostern, dem neuen Jahr. Und erstaun- licherweise: mit der Arbeit, der Produktion, dem Schaffen! Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen unsere Suggeriert doch „Frohes Schaffen“ die Freude am Werk, neue Edition Zeitkritik! Streitschriften und Essays zu The- Alexander Elspas den munter Schaffenden mit einem Lächeln auf den Lip- men und Herausforderungen unserer Zeit, diskursiv und Verleger und pen, auch wenn diese Aufforderung heute eher mit iro- engagiert geschrieben von jungen AutorInnen. Unser Ziel Geschäftsführer nischem Unterton ausgesprochen wird. In unserer Origi- ist es, einen lebendigen Diskurs über den Zustand unserer nalausgabe Frohes Schaffen! ist der Name in mehrfachem Kultur, ihr Menschenbild, ihre Zivilcourage und ihre Wer- Sinne Programm: Felix Bork beweist erneut Spaß an der te anzustoßen und zu befördern. Wir wollen – angesichts Arbeit und Freude am (Kunst)Werk – sein (Lehr-)Buch der derzeitigen Umbrüche und Verschärfungen im politi- macht einfach gute Laune. Nach Pflanzen, Tieren und Le- schen Klima – der Vernunft und Humanität, der Wahrneh- bensmitteln nimmt sich der eigenwillige Illustrator und mung und Erfahrung dessen, was geschieht, eine Stimme Geschichtenerzähler die Welt der Berufe vor – Frohes geben. Den ersten Band der neuen Edition Zeitkritik stel- Schaffen! zeigt mit viel Sprachwitz die vielfältige Arbeits- len wir Ihnen auf Seite 6 vor. Weitere drei Bände werden welt – ganze158 Berufe – gewohnt unverblümt illustriert im Laufe des Jahres erscheinen. und erklärt vom Künstler selbst. Herzlich, Den Beruf des Lügenbarons füllte wohl nur einer Ihr aus: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhau- sen (1720–1797), heute als Erzähler fantastischer und unglaublicher Geschichten bekannt. Auch im Jahr des 300. Geburtstags des Freiherrn begeistern und erheitern Alexander Elspas dessen wunderbare Reisen und Abenteuer, besonders wenn sie wie in unserer aktuellen Ausgabe (erstmals er- Haben Sie Fragen, Anregungen, Kritik? Schreiben Sie mir schienen 1954) von Gustave Doré mit zahlreichen Illust- an elspas@buechergilde.de. Ich freue mich darauf! rationen lustvoll bebildert sind. PS: Umweltbewusstsein hat in der Büchergilde nicht nur Einen weiteren Geburtstag feiert die literarische Welt in der Produktion einen hohen Stellenwert, deshalb ist 2020: Friedrich Hölderlins 250. Große Ausstellungen an es auch nur konsequent, dass wir jetzt mit Greenpeace seinen Lebensorten sowie eine Vielzahl von Veranstaltun- Energy auch einen entsprechenden Energieversoger ha- gen in Theatern, Konzert- und Kinosälen, Literaturhäu- ben. Den Bericht zur grünen Genossenschaft lesen Sie sern, Universitäten und Schulen würdigen das Schaffen auf Seite 31. 3
Schaffen! Frohes Sch NEUERSCHEINUNGEN INHALTSVERZEICHNIS Seite 8 Seite 20 Seite 40 Norbert Scheuer 42 Winterbienen Upsi. Thomas Mullen 44 illustriert und erklärt Weißes Feuer von Felix Bork 158 Berufe Ford Madox Ford 46 Wissen Sie wer Kunstfedern Die allertraurigste Geschichte herstellt oder wie „Influencen“ geht? Lassen Sie sich von Seite 10 Seite 22 Seite 42 Peter Wohlleben 48 Felix Bork in die dolle Welt der Berufe einführen mit Frohes Das geheime Band zwischen Schaffen!, ab Seite 10 Mensch und Natur Büchergilde Gutenberg JOURNAL UNSER WEITERES PROGRAMM Edition Zeitkritik: Reihen-Relaunch 6 Simone Lappert 24 Im Interview: Die neue Herausgeberin Der Sprung 75 Jahre Kriegsende 50 Karin Hutflötz Deutschsprachige Literatur 52 Dystopie und Gartenidylle 26 Internationale Literatur 55 Seite 14 Seite 24 Seite 44 Edition Zeitkritik: Echte Integration 8 Lappert, Glanz, Randl, Bukowski, Raich, Krimi 60 statt Dekorationsmigranten Torkler – was bewegt die jungen Stimmen? Klassiker 62 Assya Markova zur deutschen Illustriertes Buch 66 Integrationspolitik Erstveröffentlichung: Tauchgänge 28 Golden Twenties 69 Eine Kurzgeschichte von Anna Herzig Englischsprachige Literatur 70 Von Kunstblumenherstellenden und 10 Sachbuch 72 Weltraumraumschrottwerkenden Von Genossenschaft zu 31 Kochbuch 78 Felix Bork zeichnet 158 dolle Berufe Genossenschaft: 100 % Ökostrom Kinderbuch 80 Kooperation mit Greenpeace Energy Die Welt des Lesens e.V. 13 DIE SCHÖNEN DINGE 86 Vorlesen für die Zukunft der Kinder Die Büchergilde ist eine Genossenschaft 32 Seite 16 Seite 36 Seite 46 Machen Sie mehr aus uns! HÖREN UND SEHEN Wie wollen wir wohnen? – 14 Film 94 BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3 Büchergilde-Reisen 34 Musik 100 Mieten, Gentrifizierung, Tiny Houses illustriert von Thomas M. Müller Veranstaltungen im 2. Quartal 35 ARTCLUB 106 Dichtung und Lüge 16 SERVICE Münchhausen in Zeiten von Fake-News NEUERSCHEINUNGEN Register / Impressum 110 Buchhandlungen 112 Das illustrative Interview mit 18 Eugen Ruge 36 Vorschau auf das 3. Quartal 114 Henning Wagenbreth Metropol IHR QUARTALSKAUF Seite 38 Seite 48 zu Des Freiherrn von Münchhausen BEI DER BÜCHERGILDE wunderbare Reisen und Abenteuer Nora Bossong 38 Schutzzone Der letzte Bestelltermin im 1. Quartal 2020 ist Göttliches Feuer als Geheimtipp 20 Dienstag, der 31. März 2020. Hölderlin im Doppelpack: John le Carré 40 Biografie und Aphorismen Federball Für das 2. Quartal 2020 werden Käufe bis Dienstag, den 30. Juni 2020, berücksichtigt. Possen, Lügen, Spaßgeschichten: Die Abenteuer des Baron Münchhausen, Seite 16 4
JOURNAL JOURNAL immer wieder aktuelle, dabei aber auch aus- soziale Transformation ihren Anfang nimmt und implizit: in der reaktiven Abwehr des gefühlt Fal- ladend geführte Debatte. Was steuert diese innovative Problemlösungen beginnen, wo ge- schen zeigt sich das Richtige als Richtung. Das Publikation Neues zur Thematik bei? waltloser Protest geübt wird und ziviler Unge- gibt Orientierung im Denken, motiviert und CH: Assya Markova greift das Thema auf ganz horsam möglich ist – und dann politisch und ge- stärkt den Kompass innerer Urteilskraft, ohne unverstellte, authentische Art auf. Sie hat selbst sellschaftlich wirkmächtig werden kann. fertige Zielvorgabe und Rezepte an die Hand erlebt, was es bedeutet, in Deutschland anzu- Ein gutes Beispiel dafür ist die „Fridays for zu geben. Idealerweise eröffnet ein engagier- kommen und dem hiesigen Integrationsproze- Future“-Bewegung, die aktuell das einzige Ge- ter Essay eine Debatte, die vielen zu kritischer dere – mit allen Vor- und Nachteilen – ausgesetzt gengewicht bildet zur Stagnation des Handelns Klarsicht verhilft und ihnen dadurch Mut macht, zu sein. Mit ihrem gleichzeitig beeindruckenden in Politik und Wirtschaft hinsichtlich der Klima- gemäß dem Leitsatz der Aufklärung „Sapere Wissen um die deutsche Kultur und ihrem philo- krise. Oder die sogenannte Flüchtlingskrise, die aude!“ sich ihres eigenen Verstandes zu bedie- sophisch-distanzierten Blick auf das Offensichtli- gerade von der Zivilgesellschaft rasch und lö- nen. Sobald das geschieht, können wir wieder che führt sie uns gleichzeitig Paradoxien und Ab- sungsorientiert angenommen und in bemer- gemeinsam Visionen entwickeln und Welt sach- surditäten frappierend vor Augen. kenswerter Weise bewältigt wurde. Im Grun- gerecht gestalten. KH: So exzessiv das Integrationsthema noch de war das praktizierte Zeitkritik, die sich als Damit einhergehend stellt sich die Frage: vor wenigen Jahren und heute unterschwel- öffentlicher Vernunftgebrauch versteht: genau Wie lässt sich Theorie in Praxis umsetzen? lig diskutiert wird, so wenig differenziert ist die das ist die Geisteshaltung einer zivilisierten Wie können Synergien entstehen, die zu ak- Debatte aber bislang geführt worden – z. B. hin- Gesellschaft. tivem Handeln motivieren? sichtlich der Herkunft und Zukunft ihrer Grund- In Zeiten der Digitalisierung und einer KH: Das ist bei vielen der genannten The- begriffe. Assya Markova analysiert diesen äu- Beschleunigung der Diskurse – was kann men die große Frage! Ich denke, es ist entschei- Hin zu einer offenen Gesellschaft ßerst wandelbaren Begriff und seine jeweilige eine Buchreihe unter diesen Umständen leis- dend, welche Art Theorie und wie diese betrie- Umsetzung in Praxis und Politik. Sie bezieht per- ten? Welchen Anspruch stellen Sie daran? ben wird: Wenn wir uns nur im bezugslosen sönlich wie politisch deutlich Position für Plurali- CH: Wir sehen einen großen Bedarf an Ver- Denken und Debattieren „über“ Probleme hal- tät und die realen Möglichkeiten einer offenen tiefung der Argumente, an wirklicher Auseinan- ten, bleibt es oft fruchtlose Theorie. Gesellschaft. dersetzung mit verschiedenen Positionen. Das Etwas ganz anderes ist das theoretische Re- Die Reihe Edition Zeitkritik erfährt einen Relaunch: Mit jungen, engagierten Stimmen mischen sich die zukünftigen flektieren über ein Thema oder Problem, in dem Welche Themenfelder identifizieren Sie, können Bücher hervorragend leisten. Fragen Beiträge der Reihe in gesellschaftliche Diskussionen ein und beziehen deutlich Position. Die neue Herausgeberin die aktuell von besonderem Interesse sind – aufwerfen, auch provozieren, Stellung bezie- es darum geht, so genau wie möglich zu fragen Karin Hutflötz und Büchergilde-Programmleiterin Corinna Huffman sprechen über die Neuausrichtung. in öffentlichen Diskursen oder im Privaten? hen. Und dies ist auch der Anspruch der Reihe: und dann eigens zu sagen, was man erkennt KH: Seit Jahren ist die gewollte und unge- Sie bringt neue Perspektiven von jungen Men- und worum es bei einer Sache, die einen bewegt Die Fragen stellte Marlen Heislitz. und umtreibt, anscheinend geht. Daraus entste- wollte Migration und damit die sogenannte In- schen in aktuelle und wichtige Themen ein und tegrationspolitik ein zentrales Thema. Aktuell ist konfrontiert die LeserInnen ebenso mit span- hen neue Perspektiven, innovatives Denken und Frau Dr. Hutflötz, gehen wir dem Namen CH: Die Idee ist aus der Beobachtung ge- gesamtgesellschaftlichen Debatte. Diese wer- auch der Hype um Künstliche Intelligenz oder nenden Aspekten unserer Gegenwart, die nicht Motivation zum synergetischen Handeln. der Edition doch einmal auf den Grund: Zeit- boren, dass allzu oft wichtige und aktuelle The- den aber oft abgehoben in intellektuellen Zir- der Klimawandel. Die inflationäre Berichterstat- allerorts besprochen werden. Und als Buchge- Was kann man tun, um in heutigen Zei- kritik – was heißt das heute? men in der Öffentlichkeit vornehmlich von eta- keln und exkludierenden Sprachspielen im Ei- tung und die vielfältigen Debatten laufen inte- meinschaft liegt unser Fokus natürlich auf dem ten Überforderung oder Pessimismus nicht KH: Zeitkritik heißt, die zentral verhandel- blierten Intellektuellen geführt werden. Allzu gentlichkeitsjargon der Experten verhandelt. ressanterweise aber parallel zu einer Stagnati- gedruckten Buch. dominieren zu lassen? ten Fragen einer Zeit aufzunehmen und an den wenige junge Menschen kommen zu Wort, die Benötigt werden daher Räume sowie Praktiken on im politischen Handeln. Wir müssen uns mit KH: Im Gegensatz zum Lesen und Surfen KH: Ich denke, unsere Zeit gibt nicht weni- derzeit gängigen und scheinbar selbstverständ- ja doch von den Entwicklungen zuallererst be- des Zuhören-Könnens und -Wollens. existenziellen Fragen und sozial grundlegenden in digitalen Medien verlangsamt das Lesen in ger, aber auch nicht mehr Anlass zu Überforde- lichen Antworten denkscharf und fundiert Kritik troffen sind. Und es gibt viele engagierte, wort- Aus welchen Bereichen kommen die Au- Minenfeldern der Zeit beschäftigen: Wie gehen einem Buch erst einmal den Blick. Der digital rung und Pessimismus als frühere Zeiten. Wider zu üben. „Kritik“ heißt hier aber nicht Verriss und und meinungsstarke junge Leute, die sich am torinnen und Autoren, die Sie für die Edition wir miteinander um? Was heißt „Zuhören“, und verfügbaren Fülle tendenziell unzusammen- das Diktum von den uns allen überfordernden Diffamierung, sondern der Wortherkunft nach: Diskurs beteiligen wollen, die an hoch brisan- Zeitkritik auswählen? Welchen Hintergrund was wäre das Gegenteil einer „Verrohung“ von hängender Informationen setzt das Lesen ei- Datenmengen und der unfassbaren Komple- unterscheiden zu können, mit differenzierten ten und originellen Themen arbeiten, leiden- haben sie? Sprache? Das spielt derzeit nicht nur eine zentra- nes Essays einen gemeinsamen Fokus und per- xität der globalisierten Welt setze ich eine Be- Nachfragen und genauem Blick. Auf diese Wei- schaftlich und ohne Scheu vor der Kontrover- KH: Für die Edition Zeitkritik konnten wir le Rolle in der globalen Politik (und ihren neuen sönliche Positionierung entgegen. Durch den sinnung auf die existenziellen, personalen und se versucht die Edition Zeitkritik neue Denk- und se. Ihre Perspektiven wollen wir in dieser neuen meist junge AutorInnen mit einem fachlich und Demagogen und Diktatoren), sondern auch tag- Stil und den je eigenen Gedankengang der Es- sozialen Erfordernisse des Hier und Jetzt, die Be- Deutungsperspektiven zu eröffnen, mit dem Form der Edition Zeitkritik unseren Mitgliedern biografisch vielfältigen Hintergrund gewinnen. täglich mit Mobbing und Hate Speech oder der says kann die LeserIn bestenfalls Mut zum selber zugnahme auf die jeweilige Situation und den Ziel, den LeserInnen Mut machen, sich selbst die bekannt machen und vielleicht sogar Debatten Gemeinsam ist ihnen, dass sie BrückenbauerIn- zunehmenden Bedrohung von Kommunalpoli- Denken und Antworten gewinnen. So gelingt gemeinsam gelebten Kontext. Es führt kein Weg heute mehr denn je offenen Fragen gemeinsa- anregen. Klassische und wichtige Texte werden nen und hybride Figuren in ihrem Fach und in tikern zum Beispiel. vielleicht zeitweilig der Ausstieg aus dem virtu- vorbei an dem gemeinsamen Finden von Lösun- mer Weltgestaltung neu zu stellen: Wie wollen weiterhin im Büchergilde-Programm zu finden dem Thema sind. Wichtig ist uns einerseits die Zeitkritik bewegt sich im Spannungsfeld ellen Karussell der Zeit und ihrer vermeintlich gen, an Austausch und Vernetzung, an Koopera- wir leben? Wie können wir zusammenleben? sein, aber diese Reihe gehört jetzt den Erstveröf- fachliche Expertise auf dem Gebiet, gleichzeitig zwischen Politik und Gesellschaft. Welche beschleunigten Diskurse. tion und Vertrauen auf andere. In dem dadurch Die Edition Zeitkritik in ihrer bisherigen fentlichungen junger Stimmen. eine individuelle Auseinandersetzung mit all- Rolle nimmt die Zivilgesellschaft hierbei ein Wie schaffen engagierte Essays den erst möglichen Entsprechen zu dem jeweili- Form versammelte etablierte AutorInnen, er- KH: Gerade für die Zukunft der Demokra- gemeinen Fragen in dem Feld, sowie eine je ei- bzw. was bedeutet dies für jeden Einzelnen? schwierigen Spagat zwischen Bestandsauf- gen Anspruch von Person, Situation und Kon- schienen sind darin Schriften von Max We- tie halte ich es für ganz entscheidend, dass The- gene Sprache, ein vertiefter Zugang und die (ge- KH: Die Zivilgesellschaft ist genau der Be- nahme und Reaktion hin zu einer Vision – text werden Schritte getan, wird Hoffnung gene- ber, Hannah Arendt oder Carolin Emcke. Mit men der jungen Generation wie die Problematik sellschafts-)politische Positionierung. reich, wo die Einzelnen in ihrem Denken und Ur- und müssen oder können Texte so etwas riert und Zuversicht erfahren. Wenn den Essays dem Neustart der Reihe sollen nun Perspek- der „sozialen Schere“ oder des politischen Aus- Der erste Band Zuckerbrot und Peitsche teilen am meisten gefragt sind und große Frei- überhaupt leisten? unserer Reihe dieser Spagat gelingt, wäre viel tiven junger Stimmen veröffentlicht werden. einanderdriftens der Gesellschaft im Dispositiv von Assya Markova beschäftigt sich mit Inte- heitsräume haben, politisch und gesellschaftlich KH: Eine Vision und Ideen zu entwickeln, wie gewonnen. Warum dieser Relaunch? des Digitalen viel mehr Raum gewinnen in der gration und dem Begriff der Leitkultur – eine mitzugestalten. Zivilgesellschaft ist der Ort, wo es positiv ginge, erfolgt im Essay am ehesten 6 JOURNAL JOURNAL 7
JOURNAL Assya Markova Zuckerbrot und Peitsche Integration zwischen Anpassung und Ausgrenzung Edition Zeitkritik, Bd. 1 Echte Integration statt Denkscharf und ironisch zeigt Assya Markovas Essay, was der Leitsatz der Aufklärung „Sapere aude!“ heute in Bezug auf Begriff und Problematik der Integrati- Dekorationsmigranten on bedeuten kann. Mit dem Mut zu einem genauen Blick und mit analytisch klarem Denken vergleicht sie aktuelle und vergangene Integrationsdebatten sowie vorgebliche und praktizierte Integrationsmaß- nahmen auf deren Absichten, Widersprüche und Gut gemeintes Fördern und Fordern verhindert echte Integration und macht Migranten zu Ambivalenzen hin. Spannend, lehrreich und trotz Bittstellern statt Mitbürgern, meint die Philosophin Assya Markova. In Zuckerbrot und Peitsche allem Mut machend, wendet sie sich entschieden ge- analysiert sie die falschen Weichenstellungen der deutschen Politik mit schonungsloser Klarheit. gen politische Ausgrenzung und ideologische Enge – und bezieht deutlich Position für Pluralität und die reale Möglichkeit einer offenen Gesellschaft. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 den Deutschen ein nach- durchzuhalten. Markova brennt für ihr Thema, sie schaut nicht nur von drückliches „Wir schaffen das!“ ins Stammbuch schrieb, drohte die Migra- oben darauf, sondern ist mittendrin, und so gehen ihr an einigen weni- tionsdebatte angesichts des stark ansteigenden Zustroms von Flüchtlin- gen Stellen auch mal sprachlich die Pferde durch – eine starke Stimme, BUCHVORSTELLUNG gen aus dem Ruder zu laufen. Schwelte die Debatte um Migration und die dabei aber nicht einfach in Parolen abrutscht. Gerade das macht die- Assya Markova, Zuckerbrot und Peitsche Integration vorher eher vor sich hin, ist sie seitdem öffentlich heiß gelau- ses Buch so authentisch. Buchmesse Leipzig 13. März, 19.30 Uhr fen und bedarf pointierter Stellungnahmen und Ideen, wie das Zusam- Die Autorin zeigt auf, wie die Würde des Menschen, die das deutsche Ein Plädoyer für Vielfalt in einer offenen Gesell- menleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in diesem Land bes- Grundgesetz so explizit schützt, im offiziellen Integrationsprozess verlo- schaft. Auftakt der Reihe Edition Zeitkritik ser gelingen kann. ren zu gehen droht und an ihre Stelle Demütigung und sinnlose Repressi- Diskothek des Schauspiels Leipzig, Der Essay Zuckerbrot und Peitsche der bulgarischen Autorin Assya Mar- on tritt. Dabei spricht aus den Worten Markovas jedoch nie Verachtung für Bosestraße 1 (Ecke Dittrichring), Leipzig kova, die in Deutschland lebt und sich vor allem als Europäerin fühlt, ist das Land, in dem sie (gerne) lebt, sondern der Leser spürt die ehrliche Be- solch eine Stellungnahme und besticht durch seine schonungslose Dar- mühung, eingefahrene und vorurteilsbehaftete Prozesse aufzubrechen, Frankfurt am Main 22. April stellung der Mythen und Lügen, mit denen Deutschland sich seine In- um letztlich das Zusammenleben aller besser zu machen. basis e.v., Gutleutstraße 8–12 tegrationsbemühungen häufig genug schönredet. Markova seziert das Dazu muss der Finger bisweilen in die Wunden, die diese Prozesse Gerede von der deutschen Leitkultur, die sich scheinbar in Dingen wie ri- schlagen, gelegt werden, und das gelingt der Autorin mit bemerkenswer- tualisiertem Händeschütteln äußert, genauso, wie sie die Verschränkung ter Klarheit. Sie plädiert dafür, Migranten nicht nur zu tolerieren, sondern von Vermummungsverbot auf Demonstrationen und das Tragen einer sie einzubinden in die demokratischen Prozesse im Land: „Das dominie- Burka als Unsinn entlarvt. rende Integrationsparadigma ist viel zu misstrauisch gegenüber mensch- Wenn dann Sätze fallen wie „Diese Art der Argumentation ist natür- lichen Fähigkeiten, menschlicher Intelligenz, menschlicher Sensibilität, lich kompletter Bullshit …“, merkt man Assya Markova an, dass es ihr nicht menschlichen Plänen.“ Nicht umsonst nutzt Markova hier die viermalige darum geht, den analytischen Duktus einer promovierten Philosophin Wiederholung des Wortes „menschlich“ als rhetorisches Mittel. Denn das Menschliche ist es, das sie in der Integrationsindustrie, wie sie sich etab- liert hat, eliminiert sieht. Das Menschliche jedoch, so das Plädoyer des Bu- © Henriette Hufgard © Henriette Hufgard „Das dominierende Integrations- ches, ist das, was im Integrationsprozess eigentlich im Vordergrund ste- hen sollte. AUTORIN Assya Markova, geboren 1979 in Sofia, studierte Philosophie an paradigma ist viel zu misstrauisch So ist letztlich die eine oder andere starke oder sarkastisch angehauch- der Neuen Bulgarischen Universität in Sofia, wo sie auch promo- vierte. Sie publiziert in englischer, deutscher und bulgarischer Spra- gegenüber menschlichen Fähigkeiten, te Formulierung im Text letztlich nur Assya Markovas unbedingtem Willen che zu Themen wie Würde und Integration. Sie lebt in München. geschuldet, durch klare Benennung der Probleme die Suche nach Lösun- menschlicher Intelligenz, menschlicher gen zu beschleunigen. Diese Lösungen, so ist die Botschaft der Philoso- HERAUSGEBERIN phin, liegen in einer Abkehr vom aufgezwungenen Deutschsein und der Karin Hutflötz, geboren in Reschitz/Rumänien, studierte Chemie, Sensibilität, menschlichen Plänen.“ Betonung der individuellen Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen, der Mathematik und Philosophie und promovierte zur Existenzphilo- sophie. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Aus: Zuckerbrot und Peitsche sich für Deutschland gerade deshalb entschieden hat, weil es sich nach Universität Eichstätt, Gastprofessorin an der Akademie der Bilden- außen als offenes und demokratisches Land präsentiert. den Künste in München. Sie lebt in München. Klappenbroschur, Kopffarbschnitt, zweifarbiger Druck,160 Seiten, Carsten Tergast Buchgestaltung von GROOTHUIS arbeitet in seiner Heimatstadt Leer / Ostfriesland als freier Journalist und Buchautor. € 20,— | SFR 23,90 | NR 171570 Vorschau auf die kommenden Bände der Reihe In den letzten zehn Jahren hat er mehr als 30 Bücher begleitet, viele davon als Ghostwriter. 8 JOURNAL JOURNAL 9
JOURNAL JOURNAL Felix Bork Von Kunstblumen- Frohes Schaffen! 158 Berufe erklärt und illustriert von Felix Bork herstellenden und In diesem Buch erzählt Felix Bork in Wort und Bild von Berufen. Und auch von Berufungen, Weltraumschrott- Jobs und Beschäftigungen. Vom Schaffen und Schuften, vom Rabotten und der Maloche. Dinge, die Menschen machen, um Geld zu verdienen. Mal mehr, mal weniger. Manchmal werkenden geht auch was schief im Beruf. Oder bei der Berufswahl. Upsi. AUTOR / ILLUSTRATOR Felix Bork, geboren in Berlin, studierte in Halle an der Saale Illustration. Seine Hobbys sind: Spazieren gehen, Bauchweh haben und Preise bekommen für die schönsten Bücher des Jahres (Oh, ein Tier!, 2017 und Oh, eine Pflanze!, 2019). Durchgehend farbig illustriert und mit einem Vorwort von Felix Bork, Flexcover, Format 19,5 x 25,5 cm, 216 Seiten, Buchgestaltung von Büro Bum Bum € 28,— | SFR 33,50 | NR 171414 W as Polizei, Feuerwehr, Lehrpersonal und Baristas arbei- Spiel mit Klischees D ten, ist bekannt. Doch wie sieht es aus mit Plakatierenden, Waldfacharbeitenden, Erfindenden, Sägewerkmitarbei- a überrascht wenig, dass sein neues Werk Frohes Schaffen! auf tenden oder, Obacht!: Personaldienstleistungskaufmenschen? All diese Initiative der Büchergilde Gutenberg entstand. „Sie wollten ein Jobs und Berufe – samt ihren kreativen Bezeichnungen – vereint Illustra- Felix-Bork-Buch“, sagt der Illustrator mit einem Schmunzeln. „Es tor Felix Bork in seinem neuen Buch Frohes Schaffen!, das es exklusiv nur sollte ein humorvolles Buch über Berufe sein. Die Grenzen waren sehr für Mitglieder der Büchergilde Gutenberg zu erwerben gibt. weit gesteckt, wenn es sie überhaupt gab. Der Wunsch war, dass ich sie Gemeinsam mit drei anderen Illustratorinnen und Illustratoren sitzt interpretiere.“ Ein Buch über Berufe also. Wie geht man das an, welche Bork im Berliner Wedding im Studio Coolio, einem schlauchartigem Berufe nimmt man auf? Was zunächst einfach und naheliegend klingt, Raum mit vier Schreibtischen, dahinter eine Küche und ein Bespre- bedeutete viel Recherche für Bork. „Ich habe ein Archiv angelegt“, sagt chungsraum, den sie sich mit dem Verein Mensch Mensch Mensch tei- er. Dabei bekam er Hilfe von der befreundeten Künstlerin Shenja Schitt- len. Manchmal feiern sie hier kleine Partys, zumeist aber arbeiten sie an kowski, die gemeinsam mit ihm brainstormte. Sie konsultierten ganz un- ihrer Kunst. Und in der hat sich Felix Bork bereits einen Namen gemacht. terschiedliche Quellen: Vom Verzeichnis des Jobcenters zu verschiede- Oh, ein Tier!, erschienen im Eichborn Verlag, war seine Masterarbeit des nen Studiengängen bis hin zu Auflistungen mit den verrücktesten Jobs Studiums Editorial Design an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein der Welt war alles dabei. „Das war interessant, weil so viele Berufe zu- in Halle/Saale – und wurde 2017 von der Stiftung Buchkunst als eins sammenkamen, an die man nicht sofort denkt.“ Etwa Menschen, die Gur- der 25 „schönsten deutschen Bücher“ ausgezeichnet. „Fesselnd“ sei es, te oder Kunstblumen fabrizieren. „Mir wurde erst dadurch klar, dass es heißt es in der Jurybegründung, weil der „freche Künstler“ sich in „kindi- natürlich jemanden geben muss, der Kunstblumen herstellt“, so Felix sche Malweisen einfühlt“ und „treffsicher das Markante der Formen und Bork. Ein neu erwachtes Bewusstsein, das seinen Blick auf Alltagsgegen- Zwischen konventionell und ausgefallen – 158 ganz unterschiedliche Jobs und Berufe hat Künstler Felix Bork in seinem Farben wiedergibt“. Zwei Jahre später wurde auch der Nachfolgeband, stände änderte und schärfte. liebevoll und exklusiv für die Büchergilde illustrierten Buch mit dem prägnanten Titel Frohes Schaffen! gesammelt. Oh, eine Pflanze!, von der Stiftung Buchkunst prämiert und der „kecke Die „unverblümte Malweise“, die die Stiftung Buchkunst so lob- Von Isabella Caldart Pinselstrich“ sowie die „unverblümte Malweise“ des Künstlers gelobt. te, ist auch in Frohes Schaffen! charakteristisch. Eine fotorealistische → 10 JOURNAL JOURNAL 11
JOURNAL JOURNAL Beziehung zu setzen, die es auf den ersten Blick nicht gibt. Zum Beispiel Vorlesen für die Zukunft die Gebäudereinigung und die Pantomime, beide mit der gleichen Ges- tik gezeigt. Oder Polizeikräfte auf der einen, Tiertrainierende auf der an- deren Seite, die durch ein Schweinchen mit Polizeimütze dargestellt der Kinder sind. „Diese Jobs haben nichts miteinander zu tun, werden durch die Äs- thetik aber miteinander verbunden“, sagt Bork. „Damit zu spielen und diese Verbindungen zu ziehen hat mir total Spaß gemacht.“ Humorvoll und politisch Unsere Medienwelt ändert sich rasant. In- N mitten der zahlreichen digitalen Entwick- eben der humorvollen Komponente hat der Illustrator in Frohes lungen gibt es deshalb viele gute Gründe, Schaffen! aber auch ein gesellschaftliches, ein politisches Anlie- gen: die Sichtbarmachung. „Bestimmte Berufe wollte ich unbe- die für das klassische Vorlesen sprechen. dingt aufzeigen, beispielsweise die in der sozialen Arbeit“, und verdeutli- chen, dass Hierarchisierung und monetäre Auslegung von Berechtigung Vorlesen heißt, gemeinsam etwas zu erleben. Die jungen Kommunizieren nimmt ab und die menschliche Aufnahme- VORLESESTUNDE Darstellung interessiert Bork wenig. „Mein Stil ist auf den ersten Ein- und Wertigkeit „totaler Quatsch“ seien. „Pflegende Menschen etwa sind Zuhörer können sich dabei gemütlich einkuscheln oder bei fähigkeit verändert sich. Umso wichtiger ist es, sich mit di- An jedem ersten Mitt- druck etwas naiver, in vereinfachten Formen, zeitlos also“, sagt der Künst- doch viel wichtiger als der Beruf, den ich ausübe.“ Teilweise griff Bork spannenden Stellen den Kopf unter die Decke stecken. Und gitalen Medien auseinanderzusetzen und sie verstehen zu woch eines Monats ler. Gerade in diesem Buch aber hat er darauf geachtet, bestimmte Be- dabei auch auf eigene Erfahrungen zurück. So bei seiner Aufforderung, die Vorlesenden können sich so richtig ausleben, Stimmen lernen, aber auch, dass aktiv Raum dafür geschaffen wird, (ausgenommen in rufe nicht allzu abstrakt darzustellen – oder den Leserinnen und Lesern Kellnernden 10 Prozent Trinkgeld zu geben – Felix Bork betreibt gemein- erfinden, übertreiben, flüstern und mitlachen. Oft bleiben direkte menschliche Kontakte zu pflegen. den Schulferien) um eine Hilfestellung zu leisten. „Die Kläranlage beispielsweise sieht eher sam mit Freundinnen und Freunden die Kunst- und Kulturkneipe Mas- genau diese Bücher aus gemeinsamen Vorlesestunden ein Autorin Meghan Cox Gurdon sieht das Vorlesen als gegen- 16 Uhr wird in der wie ein Schwimmbecken aus, dafür gibt es wörtliche Rede im Bild.“ Sei- tul im Wedding, ein „Kieztreff“, wie er beschreibt, mit Lesungen, Theater Leben lang in Erinnerung. kulturellen Akt. Es fördert die Konzentrationsfähigkeit, sti- Buchhandlung am ne Kompositionen sind mit der gesamten Farbpalette und aus Acryl ent- und Konzerten. Neben den analogen Medien wie dem Buch entwickelt sich muliert die Hirnnetzwerke, Kinder werden emotional be- Wittenbergplatz, standen, viele als Einzelbilder, andere als comicartige Sequenzen. Unter- Und was hat es auf sich mit ungewöhnlichen Formulierungen wie die digitale Technik und nimmt an Bedeutung im Alltag zu. lastbarer, der Spracherwerb wird drastisch beschleunigt, Berlin vorgelesen! stützung beim Layout bekam er durch den Grafiker Eric Dannebaum vom Kellnernde, Kunstblumenherstellende oder Plakatierende? Auch das Unsere Kultur vollziehe zurzeit die „Große Isolierung“, wie Empathie wird gefördert und vieles mehr. Das Vorlesen gibt Willkommen sind alle Büro Bum Bum, mit dem Felix Bork schon bei Oh, eine Pflanze! und Oh, eine Sichtbarmachung; es ist Felix Borks Art des Genderns. „Es wäre nicht es – stark ausgedrückt – die Psychologin Dr. Catherine Stei- Kindern Fähigkeiten und Möglichkeiten mit auf den Weg, Kinder von 3 bis 7 Jah- ein Tier! zusammenarbeitete. „Er rettet mir öfter den Hintern“, sagt Bork richtig, nicht zu gendern“, sagt er mit Nachdruck, „denn das wird den ner-Adair formuliert. Mit dem Begriff benennt sie einen die ihr Leben verbessern. ren, mit erwachsener mit einem Lachen. „Er weiß, welche Regeln es gibt und wie man sie bre- Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, nicht gerecht. Es herrscht so Wandel im familiären Alltagsleben, bei dem technische Ge- Sozialforscher bezeichnen nach umfangreichen Untersu- Begleitung. chen kann. Wir sind ein gutes Team.“ viel Ungerechtigkeit, deswegen ist es wichtig, darauf zu achten.“ Darauf räte immer mehr Einfluss nehmen und zwischenmenschli- chungen das Vorlesen als einen der wichtigsten Faktoren In vielen der Illustrationen greift er auf Klischees zurück, wie bei den zu achten war nicht immer einfach, im Gegenteil: „Es war schwierig, Be- che Beziehungen verändern. für die Zukunftsperspektiven eines Kindes. Je mehr wir – Moderierenden im Funk, die nackt dargestellt sind. „Ich hatte Vergnü- griffe zu finden, wenn es keine allgemeingültige Bezeichnung gibt. Mich Und es stimmt, Bildschirme sind allgegenwärtig. Im öf- der Leseförderverein Die Welt des Lesens – uns mit dem gen dabei, das zu visualisieren.“ Bei anderen Berufen bricht er diese Kli- hat irritiert, dass das so oft nicht existierte.“ Nach bestem Wissen und Ge- fentlichen Raum fallen mehr und mehr Menschen auf, Thema befassen, umso mehr lernen auch wir. Und umso schees, zeigt das Scheitern. Es gibt auch Seiten, auf denen der Beruf im wissen hat er in den Fällen versucht, Wörter zu finden. „Manchmal ha- die in ihr Smartphone oder andere Geräte vertieft sind. mehr stehen wir hinter der Entscheidung, das Fördern des Bild gar nicht zu sehen ist. Etwa bei den Waldfacharbeitenden, also Men- ben meine Lektorin und ich uns auf Neologismen geeinigt, manchmal Man fragt sich, wie viel sie währenddessen wohl von ih- Vorlesens als Schwerpunkt unserer Arbeit zu setzen. schen, die im Forst arbeiten. Die gehen im „grünen Gewirr“ unter, weil auf den Plural – oder aber es bleibt bei ‚Archäologie‘ oder ‚Statistik‘.“ Vie- rer Umwelt wahrnehmen. Allmählich fangen wir an, darü- Machen Sie mit. Werden Sie aktiv und selbst zum Vorleser sie so gut getarnt sind. Oder die Berufstauchenden, die untergetaucht le dieser Neuschöpfungen sind kurios. „Ich wollte umständliche Wörter ber nachzudenken und zu untersuchen, welchen Einfluss oder zur Vorleserin. Was kann es Besseres und Sinnvolleres sind. finden, die die Lesenden aus dem Konzept bringen, damit man sich da- dies auf unser Leben hat. Wir stellen fest, dass digitale Me- geben, als für die jetzige und die folgenden Generationen Besonders interessant war für Felix Bork, bestimmte Berufe auf den mit beschäftigen muss und das Fehlen von Begriffen dadurch verdeut- dien Verbesserungen bringen können, doch das direkte eine gute Basis zu legen? Doppelseiten gegenüberzustellen und durch die Visualisierung in eine licht wird.“ 158 Berufe haben es in das Buch geschafft. Ein halbes Jahr lang mal- Spenden Sie für Die Welt des Lesens! te Bork nahezu jeden Tag einen Beruf. „Das Zeichnen war nicht das Prob- Wir freuen uns, wenn Sie den Verein mit einem jährlichen lem, sondern eher die Frage: Wo ist bei jedem Beruf der Witz, die Story, Mitgliedsbeitrag von € 25,– oder einer einmaligen Spende das Besondere? Wenn man sich näher damit beschäftigt sind die meis- unterstützen. Die Anmeldung zur Fördermitgliedschaft und ten Berufe vielschichtiger, als man zunächst annimmt.“ Eine Herausfor- weitere Informationen finden Sie unter welt-des-lesens.de. derung, die er mit Bravour gemeistert hat. Spendenkonto Die Welt des Lesens e. V. Frankfurter Volksbank eG BIC: FFVBDEFF IBAN: DE69 5019 0000 7000 0159 16 Sind Sie an einer Vorleseveranstaltung interessiert Verwendungszweck: Einmalige Spende oder haben Sie Ideen für Vorleseprojekte? Fragen Sie in Ihrer Büchergilde-Buchhandlung nach oder kontak- Alle Beiträge und Spenden fließen zu 100 % in die Leseför- tieren Sie uns telefonisch unter (069) 27 39 08 55 oder derung. Falls Sie eine Spendenquittung benötigen, bitten per E-Mail unter welt-des-lesens-ev@buechergilde.de. wir Sie, auch Ihren Namen und Ihre Adresse mit anzugeben. 12 JOURNAL JOURNAL 13
JOURNAL Thomas M. Müller NEUE AUSSTATTUNG Wie wollen wir wohnen? Umweltschonende BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3 Wellpappe im Zitrone oder Zitronenpresse? Schuber ersetzt den Verschlussaufkleber Wie viele Waschbecken braucht ein Bad? Wieviel Platz benötigen wir wirklich? Darf Wohnen so ein Rie- sengeschäft sein? Muss man vom Wohnzimmer aufs Meer schauen können? Können wir uns das Viertel überhaupt noch leisten? Ist unsere Wohnung klüger Im BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3 geht Illustrator Thomas M. so ein Riesengeschäft sein? Wie viel Platz benötigen wir wirklich? „Wir als wir? Wie weit darf der Weg zur Arbeit sein? Welche Müller der Frage nach, wie wir künftig wohnen wollen. Dabei regt sind anspruchsvoller geworden“, sagt Müller. Er fragt: Wie viele Wasch- Nachbarn wollen wir haben? Wie viele Tage arbeiten er mit lakonischen Bildern die Leserinnen und Leser an, sich die becken braucht ein Bad? Muss man vom Wohnzimmer aufs Meer schau- wir monatlich nur fürs Wohnen? Gehören Mieter und Antworten selbst zu geben. en können? Wie weit darf der Weg zur Arbeit sein? Welche Nachbarn Vermieter derselben Spezies an? Diesen und ande- Bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland nach Schätzungen etwa wollen wir haben? ren Fragen zum Wohnen widmet sich dieser Bilder- eine Million Wohnungen fehlen. Ein Drittel davon in den sieben größten Müller veranschaulicht diese Fragen mit Bildern, die die jeweiligen bogen. Die Antworten werden so individuell sein wie Städten. Den Mangel spüren die Städte bereits seit Jahren immer deutli- Probleme auf den Punkt bringen: Die Frage, ob Mieter oder Vermieter, unsere Wünsche, Ansprüche und Erwartungen. Aber cher. Die Mietpreise steigen rasant: durchschnittlich 17,50 Euro pro Qua- illustriert er mit Zitrone und Zitronenpresse. Und wenn wir drei Wochen müssen wir bei diesem Thema nicht viel mehr über dratmeter muss man in München zahlen – das ist der Spitzenreiter, ge- im Monat für die Miete arbeiten, müssen wir dann so lange auf Geträn- uns hinausdenken? folgt von Frankfurt am Main und Stuttgart mit jeweils über 14 Euro. kekisten sitzen, bis wir uns Möbel leisten können? Während die Bundesregierung mit einer Mietpreisbremse Abhil- „Der Bilderbogen soll kein Manifest oder eine Streitschrift werden, fe zu schaffen versucht, die sich in der Praxis aber als wenig hilfreich sondern unterhaltsam sein und nachdenklich stimmen“, sagt Müller. Er erweist, hat Berlin für die nächsten fünf Jahre einen Mietendeckel be- habe nicht die eine Lösung parat. Je nach Wunsch, Anspruch und Erwar- schlossen. Aber es ist noch offen, ob dieses Gesetz vor Gericht Bestand tung gebe es auch verschiedene Antworten. Er selbst wünscht sich ne- haben wird. Ein bundesweiter Mietendeckel, wie ihn die SPD will, wird ben genug Raum für seine Familie und Gäste eine bunte Nachbarschaft. sich mit dem Koalitionspartner CDU nicht machen lassen. Die will statt- Auch wenn Müller keine Antwort für alle gibt, führt er in seinen lako- dessen mehr in den sozialen Wohnungsbau investieren, dazu auch nischen Zeichnungen indirekt vor, wie es auch mit der Zukunft des Woh- mehr für Wohngeld, Baukindergeld und Städtebauförderung ausge- nens klappen könnte. Er selbst reduziert sich auf wenige Striche und die ben. Was davon wirklich nützt, ist umstritten. Denn oft fehlt es in den Farben Blau, Gelb und Orange. Allein dieser Stil drückt aus: Weniger ist Städten einfach an Baufläche. mehr. Das dürfte gleichermaßen für Mieter und Vermieter gelten. Der Illustrator Thomas M. Müller beobachtet in seiner Stadt Leipzig seit Jahren, wie Wohnen immer mehr zum Luxus wird. Er stellt sich die Lukas Gedziorowski arbeitet als freier Journalist und Autor in Berlin, unter anderem als Online-Redakteur für Deutschlandfunk Kultur. Außerdem betreibt er das Weblog grundsätzliche Frage: „Wie wollen wir wohnen?“ Seine Gedanken dazu batmanprojekt.com. hat er im BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3 festgehalten. Der Illustrator kennt selbst beide Perspektiven: Er ist sowohl Mieter als auch Vermie- ter. Daher zielen seine Fragen auch auf beide Seiten ab. Darf Wohnen BÜCHERGILDE BILDERBOGEN Nicht verpassen – abonnieren! © Privat JETZT ABONNIEREN UND DEN LIMITIERTEN BILDERBOGEN № 0 Sammler und Abonnenten aufgepasst! ALS GESCHENK ERHALTEN ILLUSTRATOR Thomas M. Müller, geboren 1966 in Gera, studierte an der Hoch- schule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und lehrt dort als Professor Inszenieren Sie Ihre wachsende Sammlung der Bilderbogen. Speziell für Illustration. Er arbeitet als freiberuflicher Grafiker und Illustrator in für Sammler der BÜCHERGILDE BILDERBOGEN haben wir einen Auf- Leipzig und illustrierte bereits zahlreiche Büchergilde-Publikationen. MUSTER steller entwickelt. Gefertigt aus MDF (Faserplatte aus Restholz) HERAUSGEBERIN ERSCHEINT und dadurch nachhaltig. Durch das einzigartige Stecksystem lässt sich Cosima Schneider, geboren 1966 in Marburg an der Lahn, ist IN SCHWARZ der Aufsteller jederzeit platzsparend verräumen. Der Sammler bietet Diplom-Designerin und seit 2012 Herstellungsleiterin der Büchergilde ENDE MAI Platz für bis zu 12 Bilderbogen. Gutenberg. NEU Illustration von Thomas M. Müller, einseitig vierfarbig bedruckter BEREITS ERSCHIENEN PORTOFREIER VERSAND BEREITS ERSCHIENEN BÜCHERGILDE BILDERBOGEN Sammler Bilderbogen, Format 72 x 67 cm, im Schuber (Format 34 x 24 cm) Gustave Doré € 18,— | SFR 21,50 | NR 19239X Hans Traxler MDF, Farbe schwarz € 18,— | SFR 21,50 | NR 304490 Münchhausen Drama am Jang tse Kiang € 24,— | SFR 29,90 | NR 304830 BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2 BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 1 € 18,— | SFR 21,50 | NR 304482 € 18,— | SFR 21,50 | NR 304466 14 JOURNAL Journal 15
JOURNAL Gottfried August Bürger / Gustave Doré (Ill.) Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer Dichtung und Lüge „Manche Reisende sind bisweilen imstande, mehr zu Die Lügengeschichten von Baron Münchhausen erscheinen bei der Büchergilde in einer behaupten, als genau genommen wahr sein mag. Da- Neuauflage. Der von Gustave Doré illustrierte Klassiker wird durch das Nachwort des her ist es denn kein Wunder, wenn Leser oder Zuhörer Kabarettisten und Theatermanns Rainald Grebe in ein neues Licht gerückt. ein wenig zum Unglauben geneigt werden. Sollten indessen einige von der Gesellschaft an meiner Wahr- D haftigkeit zweifeln, so muß ich sie wegen ihrer Un- es Freiherrn von Münchhausen In Frankreich zählte Doré zu den Haupt- gläubigkeit herzlich bemitleiden …“ Wahr ist: Vor 300 wunderbare Reisen und Aben- meistern der Drucktechnik des Holzstichs, Jahren, im Mai 1720, wurde Hieronymus Carl Friedrich teuer sind so sehr in unser kol- mit dem auch die Münchhausen-Grafiken Freiherr von Münchhausen geboren. In Zeiten von Fake lektives Gedächtnis übergegangen, dass entstanden sind. Wie der Holzschnitt ist News kommt der Lügenbaron fast harmlos daher. Aber wir selbst kaum mit Sicherheit sagen kön- auch der Holzstich ein Hochdruckverfah- deswegen nicht weniger vergnüglich, auch dank der nen, ob wir sie schon einmal gelesen ha- ren, bei dem die erhabenen Bereiche ein- lustvollen Illustrationen von Gustave Doré. ben oder nicht. Ich würde behaupten wol- gefärbt und gedruckt werden. Mit komple- len, dass nicht nur die Geschichte vom xen Schraffuren können Grauwerte und fliegenden Baron auf der Kanonenkugel Lichteffekte wie bei einem Gemälde er- jedem ein Begriff ist, sondern dass vie- zeugt werden. Der Bildcharakter der Tech- le dabei auch den vom Künstler Gustave nik ist eher dem Kupferstich verwandt, als Doré illustrierten Münchhausen vor Au- Hochdruck aber mit dem Schriftsatz kom- gen haben. Mindestens haben aber die patibel und daher für die Buchillustration Bildideen des französischen Künstlers in von großer Bedeutung gewesen. Zu den den Interpretationen späterer Illustratoren Münchhausen-Bildern lieferte Doré die weitergelebt. Entwürfe, zeichnete zum Teil direkt auf den Dorés Münchhausen ist ein langer Lu- Druckstock und beauftragte u. a. die Holz- latsch, der sich und sein Pferd an den eige- schneider Pisan und Pannemaker mit der nen Haaren aus dem Sumpf zieht, der im Umsetzung als Holzstich. Die Abbildungen Bauch eines Riesenfisches überlebt oder reichen von kleinen Vignetten bis hin zu im Erdinnern mit Venus persönlich flirtet, ganzseitigen Grafiken, wobei insbesonde- um vom eifersüchtigen Vulkan hochkant re bei den Vignetten der lockere Schwung © Gleimhaus Halberstadt © The Los ANgeles County Musem of Art hinaus- und auf die andere Seite der Erde „Da wir noch Zeit haben, der Handzeichnung erhalten ist. AUTOR befördert zu werden. Der lockere Charakter meine Herren, eine frische Auch die Entstehungsgeschichte des Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen der Illustrationen unterstützt den Charme Buches ist spektakulär und bei den heuti- (1720–1797) wusste als weit gereister Mann viel zu berichten; ab des Barons, der bei seinen Heldentaten Flasche auszutrinken, gen Urheberrechtsbestimmungen kaum und zu liebte er es, ein wenig aufzuschneiden. Seine Späße hat der Lügenbaron freilich nicht selbst erfunden. Sie lebten im Volk, zum Teil wenig herrschaftlich daherkommt, son- so will ich Ihnen noch mehr denkbar: Des Freiherrn von Münch- in Büchern und Schriften. Dem Freiherrn war die Gabe zu eigen, die dern sich am liebsten in der Rolle des hausen wunderbare Reisen und Abenteu- Geschichten zum Besten zu geben. Abenteurers und Draufgängers sieht. Dem eine andere sehr seltsame er ist 1786 auf Deutsch durch Gottfried Au- Gottfried August Bürger (1747–1794) war Verfasser zahlreicher schlaksigen Kerl mit seinen flatternden gust Bürger veröffentlicht worden, der die Gedichte. Bekannt wurde er vor allem durch seine Übertragung der Rockschößen und dem dünnen Zopf traut Begebenheit erzählen ...“ Geschichten nicht nur aus dem Englischen englischen Fassung von Münchhausens Geschichten ins Deutsche. man keine Heldentaten zu – umso komi- Aus: Münchhausen übertragen, sondern auch inhaltlich verän- ILLUSTRATOR scher wirken seine Geschichten. dert und erweitert hatte. Zuvor waren sie Gustave Doré (1832–1883) war der erfolgreichste französische Buch- illustrator des 19. Jahrhunderts. Er hat zahlreiche Bücher der Weltliteratur Gustave Doré (1832–1883) hat als auf Englisch von Rudolf Erich Raspe aufge- gestaltet, darunter Rabelais’ Gargantua und Pantagruel, Balzacs Tolldreiste Buchillustrator viele namhafte Werke illustriert und ist besonders be- schrieben und 1785 in England veröffentlicht worden. Aber auch Raspe Geschichten, Cervantes’ Don Quijote und Dantes Göttliche Komödie. rühmt für seine Grafiken in der bekanntesten Bibelausgabe des 19. Jahr- hat sie nicht erfunden, sondern war Gast bei dem adligen Karl Friedrich hunderts. So detailreich, dramatisch und – in ihrer Ernsthaftigkeit – steif Hieronymus von Münchhausen, hatte ihm bei Jagdgesellschaften an Nacherzählt von Gottfried August Bürger, mit Holzstichen von die Bibelillustrationen sind, so komisch, karikaturhaft und leicht sind heiteren Abenden zugehört und dessen Anekdoten aus der Erinnerung Gustave Doré, mit einem Nachwort von Rainald Grebe, geprägtes die Illustrationen zu Münchhausen. Allein diese Bandbreite lässt keinen heraus niedergeschrieben. Karl Friedrich Hieronymus von Münchhau- Leinen, 208 Seiten, Buchgestaltung von Cosima Schneider Zweifel daran, welch ein Virtuose Doré in seinem Fach gewesen ist. sen wiederum hatte sich ebenfalls der Erzählungen anderer bedient, → € 26,— | SFR 30,90 | NR 171074 BEREITS ERSCHIENEN Gustave Doré Limitierte Vorzugsausgabe mit einer Grafik und Text von Henning Münchhausen Wagenbreth, signiert und nummeriert, im Schuber, Auflage: 120 Ex. BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2 Hendrikje Hüneke € 128,— | SFR 153,– | NR 171082 € 18,— | SFR 21,50 | NR 304482 ist Kunsthistorikerin mit einer besonderen Vorliebe für Kunstbücher, Kunst im Buch und Buchkunst. 16 JOURNAL Journal 17
JOURNAL → denn er verstand es, Geschichten aus dem Volksmund in seine eige- nen Jagd- und Reiseerlebnisse einzubinden, sodass die Grenze zwischen Wahrheit und Dichtung für seine Zuhörer kaum zu erkennen war. Das 1866 erschien die von Gustave Doré illustrierte französische Ver- öffentlichung von Münchhausens Lügengeschichten. Viele Ausgaben illustrative Interview folgten, und nicht immer waren alle Grafiken der Erstausgabe enthal- ten. So auch bei der 1954 erschienenen Variante des Buches in der Büchergilde Gutenberg, die nun neu aufgelegt wird. Jene Illustrati- onen Dorés, die nicht in dieser Ausgabe enthalten sind, haben einen anderen Platz im aktuellen Programm der Büchergilde gefunden: im Welche Posse fehlt im offiziellen Münchhausen-Kanon? mit Wer war dieser Lügenbaron eigentlich? Wie sollte ich die Vorzugsgrafik für diese Ausgabe konzipieren? Ich Die literarische Figur auf den Freiherrn und Baron Hieronymus Carl BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2. Mit dem Bilderbogen wird ein For- Henning Wagenbreth, hätte ein Abenteuer aus dem Kanon illustrieren können, fand dann Friedrich von Münchhausen zurück. Zu Literatur wurden sie aber erst mat wiederbelebt, das im 18. und 19. Jahrhundert der Verbreitung von aber, dass die schon oft und hervorragend illustriert wurden. Die Illustrator der Vorzugsgrafik durch Rudolf Erich Raspe, der aus Geldnot Münchhausens Geschichten informativen oder auch unterhaltsamen Nachrichten diente, eine Art Illustrationen von Gustave Doré und Theodor Hosemann sind iko- zu Münchhausen. auf Englisch veröffentlichte. Das Buch war ein großer Erfolg und wurde nisch. Wegen dieser ersten Interviewfrage fand ich es dann heraus- Die Fragen stellte in mehrere Sprachen übersetzt. Allerdings schien es zu dieser Zeit sehr fordernd, dem siebzehnten Kapitel noch ein achtzehntes anzufügen wichtig zu sein, dass literarische Erzählungen doch der Wahrheit ent- und dieses für die Vorzugsausgabe zu illustrieren. Es handelt sich Marlen Heislitz. sprechen sollten. Diese Erwartungshaltung brachte dem Freiherrn von dabei um einen extrem langen Tiefschlaf des Barons und eine damit Münchhausen den Ruf des „Lügenbarons“ ein, was ihn bis zu seinem verbundene Zeitreise in unsere Gegenwart. Lebensende sehr ärgerte. Das ist angesichts der fantastischen Münch- hausiaden doppelt komisch. Abendgesellschaften nach der Jagd oder auf die Bühne. Es gehört auch zu manch einem Streitgespräch am Kneipentresen – schon da kann es auch mal politisch werden – und leider sogar zu ernsthaften Auseinan- dersetzungen in der Politik. Wie Rainald Grebe bedauernd feststellt, ist dem historischen Baron Münchhausen seine Neigung zum Fabulieren auf die Füße gefallen, als seine zweite Frau sich von ihm scheiden lassen wollte und der Anwalt das Würde Münchhausen Spam-Mails schreiben? Wie viel Wahrheit liegt in Bildern? Kannst du eigentlich auch schwarz-weiß? Wie siehst du dich selbst? Spam-Mails werden aus der kriminellen Absicht Das Verhältnis zwischen Bildern und Wahr- Als ich vor ein paar Jahren in Taiwan als Wie soll ich diese Frage ehrlich und offen inzwischen veröffentlichte Buch mit seinen Lügengeschichten als Nach- geschrieben, sich durch ein gezieltes Konstrukt heit ist ein großes Thema. Im Zeichenprozess Gastprofessor arbeiten durfte, habe ich die beantworten? Meistens arbeite ich an weis für seine mangelnde Vertrauenswürdigkeit heranzog. Hier bedau- an Lügen Geld zu ergaunern. Münchhausen sind Manipulationen am Abbild der Wirklich- asiatische Tradition der Tuschemalerei ent- Illustrationen, Grafikdesign und Schrift. ert man den armen Tor. Wären doch alle Lügen so leicht als solche zu er- erzählte seine Abenteuer nicht aus finanziel- keit geradezu gefordert. Durch Übertreibun- deckt. Während eines zweitägigen Taifuns Jede neue Gestaltungsaufgabe bringt eine len Gründen, sondern zur Belustigung seiner gen, Deformationen, Verzerrung der Perspek- lief das Wasser in Bächen durch mein Trep- Kette interessanter Themen mit sich, über kennen wie die fantastischen Flunkereien des Barons! abendlichen Gäste. Finanzielle Sorgen hatte er da tive, Weglassen, Hinzufügen und temporäre penhaus. Eingeschlossen in meiner Woh- die ich dann hinterher ganz gut Bescheid schon, aber Betrug wäre ihm sicher gegen seine Brüche lässt sich die Wahrheit meist erst auf nung, habe ich nonstop mit chinesischer weiß. Geschichte, Politik, Naturwissen- Ehre gegangen. Rudolf Erich Raspe, der Münch- den Punkt bringen. Tusche gezeichnet. schaft, Theater, Musik und Kunst kommen hausens Erzählungen zu Geld gemacht hatte, da gleichermaßen vor. Ich probiere gerne hätte sicher eher Spam-Mails geschrieben. neue Techniken aus. Vorläufer der Illustrierten, von fahrenden Händlern präsentiert und ver- kauft. Der BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2 setzt die Tradition des Fa- bulierens, die im Münchhausen angelegt ist, mit einem Text von Lukas Gedziorowski weiter fort. Der Illustrator Henning Wagenbreth hat nun in der Vorzugsausgabe dieses Buches das 18. Kapitel zum Münchhau- sen-Kanon ergänzt – mit viel Spaß am Erdichten und Fabulieren. „Ein Freibrief fürs Dazuerfinden“ sei das Thema, schreibt auch der Kabarettist, Liedermacher und Theatermann Rainald Grebe in seinem pfiffigen, aber auch durchaus nachdenklich gestimmten Nachwort zur Neuauflage. Nicht ohne Grund hat er sich den Baron Münchhausen Wovon träumst du? Wie sieht die Zukunft aus? Was empfindest du für Berlin? Gestern habe ich geträumt, dass auf der Dachkante Zeitreisen in die Zukunft sind schwieriger. Alles ist möglich. Wir wer- Berlin ist die Stadt, die ich am besten kenne. Man als Schlüsselfigur für sein neues Bühnenprogramm gewählt. Die epi- des Hauses gegenüber ungefähr zwanzig große, bun- fen unsere Telefone weg, schauen uns an, staunen, dass da ja jemand kann in einer Stadt lesen wie in einem Buch. So sodenhaften Geschichten laden geradezu zum Weiterspinnen, Neu- te Vögel saßen. Die sind nach und nach auf ein tie- ist, reden, singen und tanzen miteinander. Wir wählen Parteien, die versteht man nicht nur die Lokalgeschichte, sondern feres Garagendach gesegelt und haben sich dabei in Freiheit und Verantwortung miteinander verbinden. Mieten werden darüber hinaus generell, wie und warum Menschen erfinden und Ergänzen ein. Münchhausen als Thema anzugehen ist Männer verwandelt, saßen dann dort und haben sich gesenkt, wir essen vegetarisch oder Insekten, interkontinentale Reisen so oder so zusammengelebt haben. Vor zwanzig- aber auch ein Weg, zu thematisieren, was uns aktuell am meisten auf angeregt unterhalten. Ich habe auch schon geträumt, machen wir mit dem Wasserstoffflugzeug. Wir kaufen nur noch, was tausend Jahren war die Gegend noch von sechzig den Nägeln brennt: der Umgang mit der Lüge. Denn wo Dichtung ih- dass ich mehrere Wochen weggefahren war und ver- wir wirklich brauchen. E-Autos brauchen wir nicht. Wir fahren mit der Metern Eis bedeckt. Die Zeit der Berliner Mauer, gaß, Futter für mein Pferd in der Wohnung zu lassen. Bahn und dem Bus und die letzten Meter, wenn wir nicht mehr lau- nach der heute meist zuerst gefragt wird, war ver- ren naiven Rahmen verlässt, wird sie zur Lüge. Das Fabulieren, das Prah- Als ich wiederkam, lag das Pferd halb verhungert in fen können, mit dem autonomen Rollstuhl. Jede und jeder hat eine gleichsweise kurz. Je mehr man weiß, umso besser len, Übertreiben und Erfinden gehört bekanntermaßen nicht nur zu meinem Bett und schaute mich an. interessante Lebensaufgabe. Der neue Bundeskanzler wird als afrika- lässt sich in der Zeit reisen. nischer Flüchtling nach Deutschland gekommen sein. 18 JOURNAL JOURNAL 19
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