Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde

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Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
Büchergilde
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      B U C H G E M E I N S C H A F T S E I T 19 2 4

ENGAGIERT, POLITISCH,            UND WAS ARBEITEST DU?        SCHEIN UND SEIN:
   DIREKT: DIE NEUE               158 BERUFE IN DOLLEN    BARON MÜNCHHAUSEN IN
  EDITION ZEITKRITIK             BILDERN VON FELIX BORK    ZEITEN VON FAKE NEWS
Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
Machen Sie mehr aus uns.
Wir freuen uns, dass Sie Mitglied der Büchergilde
sind – manche von Ihnen sind schon seit langem dabei.
Im vergangenen Jahr haben wir weitere 4.934 Menschen
für diese ungewöhnliche Buchgemeinschaft begeis-
tern können. Eine Zahl, die zeigt, dass wir als eine der
ältesten »Kultur-Communities« in Europa – immerhin
gegründet 1924 – attraktiv und aktuell sind.                Die Genossinnen und Genossen der
                                                            Büchergilde Verlagsgenossenschaft eG
Viermal im Jahr bekommen Sie unser Magazin, vier-           fördern
mal im Jahr wollen wir Sie mit der Qualität unseres
                                                            • sorgfältig ausgesuchte Inhalte in
Programms aufs Neue überzeugen: Bei uns finden Sie          schönen Formen, mit Liebe und Herz-
die ungewöhnlichen Bücher, die schönen Bücher. Eine         blut, mit Hingabe zum Detail gestaltete
                                                            Bücher, die oft in Zusammenarbeit mit
Auswahl aus Kunst und Musik und manches mehr der            Künstlerinnen und Künstlern entstehen,
schönen Dinge. Sie kennen uns, und wir sind dann zu-        • die Kunst der Illustration,
                                                            • die Unabhängigkeit der Büchergilde
frieden, wenn Sie sich in Ihrer Büchergilde kulturell       und ihres Programms im allgemeinen,
gut aufgehoben fühlen.                                      • eine kulturelle Instanz, die ihrerseits
                                                            fördert: mit dem Büchergilde Gestalter-

Sie wissen, die Büchergilde ist eine Verlagsgenossen-       preis, dem Förderverein Die Welt des
                                                            Lesens e.V., dem Büchergilde artclub.
schaft – also eine Gemeinschaft von Menschen, die sich      • Genossinnen und Genossen gehören zu
                                                            einer einmaligen Gemeinschaft und tau-
zusammenfindet, um gemeinsame Ziele zu erreichen.           schen sich bei exklusiven Veranstaltungen
Frei nach den Drei Musketieren – Einer für alle, alle für   mit Menschen verwandten Geistes aus.

einen. Ein zentrales Ziel dieser Genossenschaft: Wir        Die Investition in einen Anteil an dieser
                                                            besonderen Kulturgenossenschaft beläuft
tragen bei zur Kultur einer kritischen und heiteren,        sich auf 500,– Euro. (Diese Einlage ver-
einer gesprächsoffenen und liberalen Öffentlichkeit –       pflichtet Sie übrigens nicht zum »Nach-
wir halten fest an unseren Idealen und an unserem           schießen« – im Gegenteil: Sie können sie
                                                            auch wieder kündigen.)
Engagement, das sich im Programm ausdrückt: Denn            Geben Sie doch 500,– Euro einen schönen
Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit sind nicht         Sinn: Machen Sie aus ihnen eine sichere
                                                            kulturelle Investition.
mehr selbstverständlich.
                                                            Mit Ihrem Anteil erwerben Sie auch

Deshalb laden wir Sie herzlich ein: Werden Sie auch
                                                                                                         DAS GUTE BLEIBT

                                                            eine Stimme auf der jährlichen General­
                                                            versammlung, zu der wir Sie herzlich
                                                            begrüßen möchten. Hier begegnen sich
Genossin oder Genosse der Büchergilde Verlagsge-            Genossinnen und Genossen und tauschen
nossenschaft, stärken Sie Ihre Buchgemeinschaft.            sich aus über das, was ihnen an ihrem
Machen Sie mehr aus uns. Je mehr wir sind, desto un-        Büchergilde-Herzen liegt.
                                                                                                         © GROOTHUIS.DE

                                                            Die Satzung und weitere Informationen
abhängiger sind wir, und können daran festhalten,           zur Genossenschaft finden Sie unter
Ihnen das zu bieten, was Sie so kein zweites Mal finden:    www.buechergilde.de/genossenschaft

Die Kultur des besonderen Buches.                           Ihre spontanen Fragen beantworten
                                                            wir gern auch telefonisch oder per Mail:
                                                            geno@buechergilde.de
                                                            Übrigens: Sie können auch als »juristische
                                                            Person« Genosse werden, also als Unter-
                                                            nehmen, Stiftung, Organisation.
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EDITORIAL

                    Liebe Leserin,
                    lieber Leser,
                    froh zu sein bedarf es wenig, heißt es in dem von August       des großen Dichters. Wir empfehlen Ihnen Rüdiger Saf-
                    Mühling geschriebenen Lied. Bücher werden bei vielen           ranskis Hölderlin-Biografie ganz besonders und haben ex-
                    zur Freude dazugehören, so hoffe ich zumindest. Das Ad-        klusiv für unsere Mitglieder ausgewählte Aphorismen im
                    jektiv „froh“ verbindet sich in der deutschen Sprache so       feinen Bändchen Im Kleinsten offenbart das Größte sich
                    fest wie beschwingt nur mit wenigen ausgewählten Anläs-        zusammengestellt.
                    sen: Weihnachten, Ostern, dem neuen Jahr. Und erstaun-
                    licherweise: mit der Arbeit, der Produktion, dem Schaffen!           Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen unsere
                    Suggeriert doch „Frohes Schaffen“ die Freude am Werk,          neue Edition Zeitkritik! Streitschriften und Essays zu The-
Alexander Elspas    den munter Schaffenden mit einem Lächeln auf den Lip-          men und Herausforderungen unserer Zeit, diskursiv und
     Verleger und   pen, auch wenn diese Aufforderung heute eher mit iro-          engagiert geschrieben von jungen AutorInnen. Unser Ziel
  Geschäftsführer   nischem Unterton ausgesprochen wird. In unserer Origi-         ist es, einen lebendigen Diskurs über den Zustand unserer
                    nalausgabe Frohes Schaffen! ist der Name in mehrfachem         Kultur, ihr Menschenbild, ihre Zivilcourage und ihre Wer-
                    Sinne Programm: Felix Bork beweist erneut Spaß an der          te anzustoßen und zu befördern. Wir wollen – angesichts
                    Arbeit und Freude am (Kunst)Werk – sein (Lehr-)Buch            der derzeitigen Umbrüche und Verschärfungen im politi-
                    macht einfach gute Laune. Nach Pflanzen, Tieren und Le-        schen Klima – der Vernunft und Humanität, der Wahrneh-
                    bensmitteln nimmt sich der eigenwillige Illustrator und        mung und Erfahrung dessen, was geschieht, eine Stimme
                    Geschichtenerzähler die Welt der Berufe vor – Frohes           geben. Den ersten Band der neuen Edition Zeitkritik stel-
                    Schaffen! zeigt mit viel Sprachwitz die vielfältige Arbeits-   len wir Ihnen auf Seite 6 vor. Weitere drei Bände werden
                    welt – ganze158 Berufe – gewohnt unverblümt illustriert        im Laufe des Jahres erscheinen.
                    und erklärt vom Künstler selbst.
                                                                                   Herzlich,
                         Den Beruf des Lügenbarons füllte wohl nur einer           Ihr
                    aus: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhau-
                    sen (1720–1797), heute als Erzähler fantastischer und
                    unglaublicher Geschichten bekannt. Auch im Jahr des
                    300. Geburtstags des Freiherrn begeistern und erheitern        Alexander Elspas
                    dessen wunderbare Reisen und Abenteuer, besonders
                    wenn sie wie in unserer aktuellen Ausgabe (erstmals er-        Haben Sie Fragen, Anregungen, Kritik? Schreiben Sie mir
                    schienen 1954) von Gustave Doré mit zahlreichen Illust-        an elspas@buechergilde.de. Ich freue mich darauf!
                    rationen lustvoll bebildert sind.
                                                                                   PS: Umweltbewusstsein hat in der Büchergilde nicht nur
                         Einen weiteren Geburtstag feiert die literarische Welt    in der Produktion einen hohen Stellenwert, deshalb ist
                    2020: Friedrich Hölderlins 250. Große Ausstellungen an         es auch nur konsequent, dass wir jetzt mit Greenpeace
                    seinen Lebensorten sowie eine Vielzahl von Veranstaltun-       Energy auch einen entsprechenden Energieversoger ha-
                    gen in Theatern, Konzert- und Kinosälen, Literaturhäu-         ben. Den Bericht zur grünen Genossenschaft lesen Sie
                    sern, Universitäten und Schulen würdigen das Schaffen          auf Seite 31.

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Schaffen!

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                                                   NEUERSCHEINUNGEN                                                                                                                          INHALTSVERZEICHNIS

                                        Seite 8                       Seite 20   Seite 40

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                                                                                                                                                                                                                                     Winterbienen
                                                                                                                                                                                 Upsi.
                                                                                                                                                                                                                                     Thomas Mullen                     44

                                                                                             illustriert und erklärt
                                                                                                                                                                                                                                     Weißes Feuer

                                                                                             von Felix Bork
                                                                                             158 Berufe
                                                                                                                                                                                                                                     Ford Madox Ford                   46
                                                                                                                                                                                            Wissen Sie wer Kunstfedern               Die allertraurigste Geschichte
                                                                                                                                                                                            herstellt oder wie „Influencen“
                                                                                                                                                                                            geht? Lassen Sie sich von
                                        Seite 10                      Seite 22   Seite 42                                                                                                                                            Peter Wohlleben                   48
                                                                                                                                                                                            Felix Bork in die dolle Welt der
                                                                                                                                                                                            Berufe einführen mit Frohes              Das geheime Band zwischen
                                                                                                                                                                                            Schaffen!, ab Seite 10                   Mensch und Natur
                                                                                                                                                                    Büchergilde Gutenberg

                                                                                                                       JOURNAL                                                                                                       UNSER WEITERES
                                                                                                                                                                                                                                     PROGRAMM
                                                                                                                       Edition Zeitkritik: Reihen-Relaunch           6      Simone Lappert                                     24
                                                                                                                       Im Interview: Die neue Herausgeberin                 Der Sprung                                               75 Jahre Kriegsende               50
                                                                                                                       Karin Hutflötz                                                                                                Deutschsprachige Literatur        52
                                                                                                                                                                            Dystopie und Gartenidylle                          26    Internationale Literatur          55
                                        Seite 14                      Seite 24   Seite 44                              Edition Zeitkritik: Echte Integration         8      Lappert, Glanz, Randl, Bukowski, Raich,                  Krimi                             60
                                                                                                                       statt Dekorationsmigranten                           Torkler – was bewegt die jungen Stimmen?                 Klassiker                         62
                                                                                                                       Assya Markova zur deutschen                                                                                   Illustriertes Buch                66
                                                                                                                       Integrationspolitik                                  Erstveröffentlichung: Tauchgänge                   28    Golden Twenties                   69
                                                                                                                                                                            Eine Kurzgeschichte von Anna Herzig                      Englischsprachige Literatur       70
                                                                                                                       Von Kunstblumenherstellenden und            10                                                                Sachbuch                          72
                                                                                                                       Weltraumraumschrottwerkenden                         Von Genossenschaft zu                              31    Kochbuch                          78
                                                                                                                       Felix Bork zeichnet 158 dolle Berufe                 Genossenschaft: 100 % Ökostrom                           Kinderbuch                        80
                                                                                                                                                                            Kooperation mit Greenpeace Energy
                                                                                                                       Die Welt des Lesens e.V.                    13                                                                DIE SCHÖNEN DINGE                 86
                                                                                                                       Vorlesen für die Zukunft der Kinder                  Die Büchergilde ist eine Genossenschaft            32
                                        Seite 16                      Seite 36   Seite 46                                                                                   Machen Sie mehr aus uns!                                 HÖREN UND SEHEN
                                                                                                                       Wie wollen wir wohnen? –                    14                                                                Film                              94
                                                                                                                       BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3                          Büchergilde-Reisen                                 34    Musik                            100
                                                                                                                       Mieten, Gentrifizierung, Tiny Houses
                                                                                                                       illustriert von Thomas M. Müller                     Veranstaltungen im 2. Quartal                      35    ARTCLUB                          106

                                                                                                                       Dichtung und Lüge                           16                                                                SERVICE
                                                                                                                       Münchhausen in Zeiten von Fake-News                  NEUERSCHEINUNGEN                                         Register / Impressum             110
                                                                                                                                                                                                                                     Buchhandlungen                   112
                                                                                                                       Das illustrative Interview mit              18       Eugen Ruge                                         36    Vorschau auf das 3. Quartal      114
                                                                                                                       Henning Wagenbreth                                   Metropol
IHR QUARTALSKAUF                                                      Seite 38   Seite 48                              zu Des Freiherrn von Münchhausen
BEI DER BÜCHERGILDE                                                                                                    wunderbare Reisen und Abenteuer                      Nora Bossong                                       38
                                                                                                                                                                            Schutzzone
Der letzte Bestelltermin im 1. Quartal 2020 ist                                                                        Göttliches Feuer als Geheimtipp             20
Dienstag, der 31. März 2020.                                                                                           Hölderlin im Doppelpack:                             John le Carré                                      40
                                                                                                                       Biografie und Aphorismen                             Federball
Für das 2. Quartal 2020 werden Käufe bis
Dienstag, den 30. Juni 2020, berücksichtigt.

                                                                                                                                                               Possen, Lügen, Spaßgeschichten: Die Abenteuer des Baron Münchhausen, Seite 16

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Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
JOURNAL                                                                                                                                                        JOURNAL

                                                                                                                                                              immer wieder aktuelle, dabei aber auch aus-            soziale Transformation ihren Anfang nimmt und       implizit: in der reaktiven Abwehr des gefühlt Fal-
                                                                                                                                                              ladend geführte Debatte. Was steuert diese             innovative Problemlösungen beginnen, wo ge-         schen zeigt sich das Richtige als Richtung. Das
                                                                                                                                                              Publikation Neues zur Thematik bei?                    waltloser Protest geübt wird und ziviler Unge-      gibt Orientierung im Denken, motiviert und
                                                                                                                                                                  CH: Assya Markova greift das Thema auf ganz        horsam möglich ist – und dann politisch und ge-     stärkt den Kompass innerer Urteilskraft, ohne
                                                                                                                                                              unverstellte, authentische Art auf. Sie hat selbst     sellschaftlich wirkmächtig werden kann.             fertige Zielvorgabe und Rezepte an die Hand
                                                                                                                                                              erlebt, was es bedeutet, in Deutschland anzu-              Ein gutes Beispiel dafür ist die „Fridays for   zu geben. Idealerweise eröffnet ein engagier-
                                                                                                                                                              kommen und dem hiesigen Integrationsproze-             Future“-Bewegung, die aktuell das einzige Ge-       ter Essay eine Debatte, die vielen zu kritischer
                                                                                                                                                              dere – mit allen Vor- und Nachteilen – ausgesetzt      gengewicht bildet zur Stagnation des Handelns       Klarsicht verhilft und ihnen dadurch Mut macht,
                                                                                                                                                              zu sein. Mit ihrem gleichzeitig beeindruckenden        in Politik und Wirtschaft hinsichtlich der Klima-   gemäß dem Leitsatz der Aufklärung „Sapere
                                                                                                                                                              Wissen um die deutsche Kultur und ihrem philo-         krise. Oder die sogenannte Flüchtlingskrise, die    aude!“ sich ihres eigenen Verstandes zu bedie-
                                                                                                                                                              sophisch-distanzierten Blick auf das Offensichtli-     gerade von der Zivilgesellschaft rasch und lö-      nen. Sobald das geschieht, können wir wieder
                                                                                                                                                              che führt sie uns gleichzeitig Paradoxien und Ab-      sungsorientiert angenommen und in bemer-            gemeinsam Visionen entwickeln und Welt sach-
                                                                                                                                                              surditäten frappierend vor Augen.                      kenswerter Weise bewältigt wurde. Im Grun-          gerecht gestalten.
                                                                                                                                                                  KH: So exzessiv das Integrationsthema noch         de war das praktizierte Zeitkritik, die sich als        Damit einhergehend stellt sich die Frage:
                                                                                                                                                              vor wenigen Jahren und heute unterschwel-              öffentlicher Vernunftgebrauch versteht: genau       Wie lässt sich Theorie in Praxis umsetzen?
                                                                                                                                                              lig diskutiert wird, so wenig differenziert ist die    das ist die Geisteshaltung einer zivilisierten      Wie können Synergien entstehen, die zu ak-
                                                                                                                                                              Debatte aber bislang geführt worden – z. B. hin-       Gesellschaft.                                       tivem Handeln motivieren?
                                                                                                                                                              sichtlich der Herkunft und Zukunft ihrer Grund-            In Zeiten der Digitalisierung und einer             KH: Das ist bei vielen der genannten The-
                                                                                                                                                              begriffe. Assya Markova analysiert diesen äu-          Beschleunigung der Diskurse – was kann              men die große Frage! Ich denke, es ist entschei-

Hin zu einer offenen Gesellschaft
                                                                                                                                                              ßerst wandelbaren Begriff und seine jeweilige          eine Buchreihe unter diesen Umständen leis-         dend, welche Art Theorie und wie diese betrie-
                                                                                                                                                              Umsetzung in Praxis und Politik. Sie bezieht per-      ten? Welchen Anspruch stellen Sie daran?            ben wird: Wenn wir uns nur im bezugslosen
                                                                                                                                                              sönlich wie politisch deutlich Position für Plurali-       CH: Wir sehen einen großen Bedarf an Ver-       Denken und Debattieren „über“ Probleme hal-
                                                                                                                                                              tät und die realen Möglichkeiten einer offenen         tiefung der Argumente, an wirklicher Auseinan-      ten, bleibt es oft fruchtlose Theorie.
                                                                                                                                                              Gesellschaft.                                          dersetzung mit verschiedenen Positionen. Das            Etwas ganz anderes ist das theoretische Re-
    Die Reihe Edition Zeitkritik erfährt einen Relaunch: Mit jungen, engagierten Stimmen mischen sich die zukünftigen                                                                                                                                                    flektieren über ein Thema oder Problem, in dem
                                                                                                                                                                  Welche Themenfelder identifizieren Sie,            können Bücher hervorragend leisten. Fragen
     Beiträge der Reihe in gesellschaftliche Diskussionen ein und beziehen deutlich Position. Die neue Herausgeberin                                          die aktuell von besonderem Interesse sind –            aufwerfen, auch provozieren, Stellung bezie-        es darum geht, so genau wie möglich zu fragen
          Karin Hutflötz und Büchergilde-Programmleiterin Corinna Huffman sprechen über die Neuausrichtung.                                                   in öffentlichen Diskursen oder im Privaten?            hen. Und dies ist auch der Anspruch der Reihe:      und dann eigens zu sagen, was man erkennt
                                                                                                                                                                  KH: Seit Jahren ist die gewollte und unge-         Sie bringt neue Perspektiven von jungen Men-        und worum es bei einer Sache, die einen bewegt
                                                      Die Fragen stellte Marlen Heislitz.                                                                                                                                                                                und umtreibt, anscheinend geht. Daraus entste-
                                                                                                                                                              wollte Migration und damit die sogenannte In-          schen in aktuelle und wichtige Themen ein und
                                                                                                                                                              tegrationspolitik ein zentrales Thema. Aktuell ist     konfrontiert die LeserInnen ebenso mit span-        hen neue Perspektiven, innovatives Denken und
    Frau Dr. Hutflötz, gehen wir dem Namen                CH: Die Idee ist aus der Beobachtung ge-         gesamtgesellschaftlichen Debatte. Diese wer-       auch der Hype um Künstliche Intelligenz oder           nenden Aspekten unserer Gegenwart, die nicht        Motivation zum synergetischen Handeln.
der Edition doch einmal auf den Grund: Zeit-          boren, dass allzu oft wichtige und aktuelle The-     den aber oft abgehoben in intellektuellen Zir-     der Klimawandel. Die inflationäre Berichterstat-       allerorts besprochen werden. Und als Buchge-            Was kann man tun, um in heutigen Zei-
kritik – was heißt das heute?                         men in der Öffentlichkeit vornehmlich von eta-       keln und exkludierenden Sprachspielen im Ei-       tung und die vielfältigen Debatten laufen inte-        meinschaft liegt unser Fokus natürlich auf dem      ten Überforderung oder Pessimismus nicht
    KH: Zeitkritik heißt, die zentral verhandel-      blierten Intellektuellen geführt werden. Allzu       gentlichkeitsjargon der Experten verhandelt.       ressanterweise aber parallel zu einer Stagnati-        gedruckten Buch.                                    dominieren zu lassen?
ten Fragen einer Zeit aufzunehmen und an den          wenige junge Menschen kommen zu Wort, die            Benötigt werden daher Räume sowie Praktiken        on im politischen Handeln. Wir müssen uns mit              KH: Im Gegensatz zum Lesen und Surfen               KH: Ich denke, unsere Zeit gibt nicht weni-
derzeit gängigen und scheinbar selbstverständ-        ja doch von den Entwicklungen zuallererst be-        des Zuhören-Könnens und -Wollens.                  existenziellen Fragen und sozial grundlegenden         in digitalen Medien verlangsamt das Lesen in        ger, aber auch nicht mehr Anlass zu Überforde-
lichen Antworten denkscharf und fundiert Kritik       troffen sind. Und es gibt viele engagierte, wort-        Aus welchen Bereichen kommen die Au-           Minenfeldern der Zeit beschäftigen: Wie gehen          einem Buch erst einmal den Blick. Der digital       rung und Pessimismus als frühere Zeiten. Wider
zu üben. „Kritik“ heißt hier aber nicht Verriss und   und meinungsstarke junge Leute, die sich am          torinnen und Autoren, die Sie für die Edition      wir miteinander um? Was heißt „Zuhören“, und           verfügbaren Fülle tendenziell unzusammen-           das Diktum von den uns allen überfordernden
Diffamierung, sondern der Wortherkunft nach:          Diskurs beteiligen wollen, die an hoch brisan-       Zeitkritik auswählen? Welchen Hintergrund          was wäre das Gegenteil einer „Verrohung“ von           hängender Informationen setzt das Lesen ei-         Datenmengen und der unfassbaren Komple-
unterscheiden zu können, mit differenzierten          ten und originellen Themen arbeiten, leiden-         haben sie?                                         Sprache? Das spielt derzeit nicht nur eine zentra-     nes Essays einen gemeinsamen Fokus und per-         xität der globalisierten Welt setze ich eine Be-
Nachfragen und genauem Blick. Auf diese Wei-          schaftlich und ohne Scheu vor der Kontrover-             KH: Für die Edition Zeitkritik konnten wir     le Rolle in der globalen Politik (und ihren neuen      sönliche Positionierung entgegen. Durch den         sinnung auf die existenziellen, personalen und
se versucht die Edition Zeitkritik neue Denk- und     se. Ihre Perspektiven wollen wir in dieser neuen     meist junge AutorInnen mit einem fachlich und      Demagogen und Diktatoren), sondern auch tag-           Stil und den je eigenen Gedankengang der Es-        sozialen Erfordernisse des Hier und Jetzt, die Be-
Deutungsperspektiven zu eröffnen, mit dem             Form der Edition Zeitkritik unseren Mitgliedern      biografisch vielfältigen Hintergrund gewinnen.     täglich mit Mobbing und Hate Speech oder der           says kann die LeserIn bestenfalls Mut zum selber    zugnahme auf die jeweilige Situation und den
Ziel, den LeserInnen Mut machen, sich selbst die      bekannt machen und vielleicht sogar Debatten         Gemeinsam ist ihnen, dass sie BrückenbauerIn-      zunehmenden Bedrohung von Kommunalpoli-                Denken und Antworten gewinnen. So gelingt           gemeinsam gelebten Kontext. Es führt kein Weg
heute mehr denn je offenen Fragen gemeinsa-           anregen. Klassische und wichtige Texte werden        nen und hybride Figuren in ihrem Fach und in       tikern zum Beispiel.                                   vielleicht zeitweilig der Ausstieg aus dem virtu-   vorbei an dem gemeinsamen Finden von Lösun-
mer Weltgestaltung neu zu stellen: Wie wollen         weiterhin im Büchergilde-Programm zu finden          dem Thema sind. Wichtig ist uns einerseits die         Zeitkritik bewegt sich im Spannungsfeld            ellen Karussell der Zeit und ihrer vermeintlich     gen, an Austausch und Vernetzung, an Koopera-
wir leben? Wie können wir zusammenleben?              sein, aber diese Reihe gehört jetzt den Erstveröf-   fachliche Expertise auf dem Gebiet, gleichzeitig   zwischen Politik und Gesellschaft. Welche              beschleunigten Diskurse.                            tion und Vertrauen auf andere. In dem dadurch
    Die Edition Zeitkritik in ihrer bisherigen        fentlichungen junger Stimmen.                        eine individuelle Auseinandersetzung mit all-      Rolle nimmt die Zivilgesellschaft hierbei ein              Wie schaffen engagierte Essays den              erst möglichen Entsprechen zu dem jeweili-
Form versammelte etablierte AutorInnen, er-               KH: Gerade für die Zukunft der Demokra-          gemeinen Fragen in dem Feld, sowie eine je ei-     bzw. was bedeutet dies für jeden Einzelnen?            schwierigen Spagat zwischen Bestandsauf-            gen Anspruch von Person, Situation und Kon-
schienen sind darin Schriften von Max We-             tie halte ich es für ganz entscheidend, dass The-    gene Sprache, ein vertiefter Zugang und die (ge-       KH: Die Zivilgesellschaft ist genau der Be-        nahme und Reaktion hin zu einer Vision –            text werden Schritte getan, wird Hoffnung gene-
ber, Hannah Arendt oder Carolin Emcke. Mit            men der jungen Generation wie die Problematik        sellschafts-)politische Positionierung.            reich, wo die Einzelnen in ihrem Denken und Ur-        und müssen oder können Texte so etwas               riert und Zuversicht erfahren. Wenn den Essays
dem Neustart der Reihe sollen nun Perspek-            der „sozialen Schere“ oder des politischen Aus-          Der erste Band Zuckerbrot und Peitsche         teilen am meisten gefragt sind und große Frei-         überhaupt leisten?                                  unserer Reihe dieser Spagat gelingt, wäre viel
tiven junger Stimmen veröffentlicht werden.           einanderdriftens der Gesellschaft im Dispositiv      von Assya Markova beschäftigt sich mit Inte-       heitsräume haben, politisch und gesellschaftlich           KH: Eine Vision und Ideen zu entwickeln, wie    gewonnen.
Warum dieser Relaunch?                                des Digitalen viel mehr Raum gewinnen in der         gration und dem Begriff der Leitkultur – eine      mitzugestalten. Zivilgesellschaft ist der Ort, wo      es positiv ginge, erfolgt im Essay am ehesten

6      JOURNAL                                                                                                                                                                                                                                                                                          JOURNAL          7
Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
JOURNAL

Assya Markova
Zuckerbrot und Peitsche
Integration zwischen Anpassung und Ausgrenzung
Edition Zeitkritik, Bd. 1

                                                                                                                                                  Echte Integration statt
Denkscharf und ironisch zeigt Assya Markovas Essay,
was der Leitsatz der Aufklärung „Sapere aude!“ heute
in Bezug auf Begriff und Problematik der Integrati-

                                                                                                                                                  Dekorationsmigranten
on bedeuten kann. Mit dem Mut zu einem genauen
Blick und mit analytisch klarem Denken vergleicht
sie aktuelle und vergangene Integrationsdebatten
sowie vorgebliche und praktizierte Integrationsmaß-
nahmen auf deren Absichten, Widersprüche und                                                                                            Gut gemeintes Fördern und Fordern verhindert echte Integration und macht Migranten zu
Ambivalenzen hin. Spannend, lehrreich und trotz                                                                                      Bittstellern statt Mitbürgern, meint die Philosophin Assya Markova. In Zuckerbrot und Peitsche
allem Mut machend, wendet sie sich entschieden ge-
                                                                                                                                     analysiert sie die falschen Weichenstellungen der deutschen Politik mit schonungsloser Klarheit.
gen politische Ausgrenzung und ideologische Enge –
und bezieht deutlich Position für Pluralität und die
reale Möglichkeit einer offenen Gesellschaft.
                                                                                                                          Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 den Deutschen ein nach-                      durchzuhalten. Markova brennt für ihr Thema, sie schaut nicht nur von
                                                                                                                      drückliches „Wir schaffen das!“ ins Stammbuch schrieb, drohte die Migra-                oben darauf, sondern ist mittendrin, und so gehen ihr an einigen weni-
                                                                                                                      tionsdebatte angesichts des stark ansteigenden Zustroms von Flüchtlin-                  gen Stellen auch mal sprachlich die Pferde durch – eine starke Stimme,
BUCHVORSTELLUNG
                                                                                                                      gen aus dem Ruder zu laufen. Schwelte die Debatte um Migration und                      die dabei aber nicht einfach in Parolen abrutscht. Gerade das macht die-
Assya Markova, Zuckerbrot und Peitsche
                                                                                                                      Integration vorher eher vor sich hin, ist sie seitdem öffentlich heiß gelau-            ses Buch so authentisch.
Buchmesse Leipzig           13. März, 19.30 Uhr                                                                       fen und bedarf pointierter Stellungnahmen und Ideen, wie das Zusam-                         Die Autorin zeigt auf, wie die Würde des Menschen, die das deutsche
Ein Plädoyer für Vielfalt in einer offenen Gesell-                                                                    menleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in diesem Land bes-                    Grundgesetz so explizit schützt, im offiziellen Integrationsprozess verlo-
schaft. Auftakt der Reihe Edition Zeitkritik                                                                          ser gelingen kann.                                                                      ren zu gehen droht und an ihre Stelle Demütigung und sinnlose Repressi-
Diskothek des Schauspiels Leipzig,                                                                                        Der Essay Zuckerbrot und Peitsche der bulgarischen Autorin Assya Mar-               on tritt. Dabei spricht aus den Worten Markovas jedoch nie Verachtung für
Bosestraße 1 (Ecke Dittrichring), Leipzig                                                                             kova, die in Deutschland lebt und sich vor allem als Europäerin fühlt, ist              das Land, in dem sie (gerne) lebt, sondern der Leser spürt die ehrliche Be-
                                                                                                                      solch eine Stellungnahme und besticht durch seine schonungslose Dar-                    mühung, eingefahrene und vorurteilsbehaftete Prozesse aufzubrechen,
Frankfurt am Main                                    22. April
                                                                                                                      stellung der Mythen und Lügen, mit denen Deutschland sich seine In-                     um letztlich das Zusammenleben aller besser zu machen.
basis e.v., Gutleutstraße 8–12
                                                                                                                      tegrationsbemühungen häufig genug schönredet. Markova seziert das                           Dazu muss der Finger bisweilen in die Wunden, die diese Prozesse
                                                                                                                      Gerede von der deutschen Leitkultur, die sich scheinbar in Dingen wie ri-               schlagen, gelegt werden, und das gelingt der Autorin mit bemerkenswer-
                                                                                                                      tualisiertem Händeschütteln äußert, genauso, wie sie die Verschränkung                  ter Klarheit. Sie plädiert dafür, Migranten nicht nur zu tolerieren, sondern
                                                                                                                      von Vermummungsverbot auf Demonstrationen und das Tragen einer                          sie einzubinden in die demokratischen Prozesse im Land: „Das dominie-
                                                                                                                      Burka als Unsinn entlarvt.                                                              rende Integrationsparadigma ist viel zu misstrauisch gegenüber mensch-
                                                                                                                          Wenn dann Sätze fallen wie „Diese Art der Argumentation ist natür-                  lichen Fähigkeiten, menschlicher Intelligenz, menschlicher Sensibilität,
                                                                                                                      lich kompletter Bullshit …“, merkt man Assya Markova an, dass es ihr nicht              menschlichen Plänen.“ Nicht umsonst nutzt Markova hier die viermalige
                                                                                                                      darum geht, den analytischen Duktus einer promovierten Philosophin                      Wiederholung des Wortes „menschlich“ als rhetorisches Mittel. Denn das
                                                                                                                                                                                                              Menschliche ist es, das sie in der Integrationsindustrie, wie sie sich etab-
                                                                                                                                                                                                              liert hat, eliminiert sieht. Das Menschliche jedoch, so das Plädoyer des Bu-
© Henriette Hufgard            © Henriette Hufgard
                                                                                                                          „Das dominierende Integrations-                                                     ches, ist das, was im Integrationsprozess eigentlich im Vordergrund ste-
                                                                                                                                                                                                              hen sollte.
AUTORIN
Assya Markova, geboren 1979 in Sofia, studierte Philosophie an                                                            paradigma ist viel zu misstrauisch                                                      So ist letztlich die eine oder andere starke oder sarkastisch angehauch-
der Neuen Bulgarischen Universität in Sofia, wo sie auch promo-
vierte. Sie publiziert in englischer, deutscher und bulgarischer Spra-                                                    gegenüber menschlichen Fähigkeiten,                                                 te Formulierung im Text letztlich nur Assya Markovas unbedingtem Willen
che zu Themen wie Würde und Integration. Sie lebt in München.                                                                                                                                                 geschuldet, durch klare Benennung der Probleme die Suche nach Lösun-
                                                                                                                          menschlicher Intelligenz, menschlicher                                              gen zu beschleunigen. Diese Lösungen, so ist die Botschaft der Philoso-
HERAUSGEBERIN                                                                                                                                                                                                 phin, liegen in einer Abkehr vom aufgezwungenen Deutschsein und der
Karin Hutflötz, geboren in Reschitz/Rumänien, studierte Chemie,                                                           Sensibilität, menschlichen Plänen.“                                                 Betonung der individuellen Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen, der
Mathematik und Philosophie und promovierte zur Existenzphilo-
sophie. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen                                                        Aus: Zuckerbrot und Peitsche                                                       sich für Deutschland gerade deshalb entschieden hat, weil es sich nach
Universität Eichstätt, Gastprofessorin an der Akademie der Bilden-                                                                                                                                            außen als offenes und demokratisches Land präsentiert.
den Künste in München. Sie lebt in München.

Klappenbroschur, Kopffarbschnitt, zweifarbiger Druck,160 Seiten,                                                                                                                                    Carsten Tergast
Buchgestaltung von GROOTHUIS                                                                                                                                      arbeitet in seiner Heimatstadt Leer / Ostfriesland als freier Journalist und Buchautor.
€ 20,— | SFR 23,90 | NR 171570                                           Vorschau auf die kommenden Bände der Reihe                                           In den letzten zehn Jahren hat er mehr als 30 Bücher begleitet, viele davon als Ghostwriter.

8          JOURNAL                                                                                                                                                                                                                                                     JOURNAL          9
Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
JOURNAL                                                                                                                                JOURNAL

                                                                                                                                                                                                                              Felix Bork

Von Kunstblumen-                                                                                                                                                                                                              Frohes Schaffen!
                                                                                                                                                                                                                              158 Berufe erklärt und
                                                                                                                                                                                                                              illustriert von Felix Bork

herstellenden und                                                                                                                                                                                                             In diesem Buch erzählt Felix Bork in Wort und
                                                                                                                                                                                                                              Bild von Berufen. Und auch von Berufungen,

Weltraumschrott-
                                                                                                                                                                                                                              Jobs und Beschäftigungen. Vom Schaffen und
                                                                                                                                                                                                                              Schuften, vom Rabotten und der Maloche.
                                                                                                                                                                                                                              Dinge, die Menschen machen, um Geld zu
                                                                                                                                                                                                                              verdienen. Mal mehr, mal weniger. Manchmal

werkenden
                                                                                                                                                                                                                              geht auch was schief im Beruf. Oder bei der
                                                                                                                                                                                                                              Berufswahl. Upsi.

                                                                                                                                                                                                                              AUTOR / ILLUSTRATOR
                                                                                                                                                                                                                              Felix Bork, geboren in Berlin, studierte in Halle an der
                                                                                                                                                                                                                              Saale Illustration. Seine Hobbys sind: Spazieren gehen,
                                                                                                                                                                                                                              Bauchweh haben und Preise bekommen für die
                                                                                                                                                                                                                              schönsten Bücher des Jahres (Oh, ein Tier!, 2017
                                                                                                                                                                                                                              und Oh, eine Pflanze!, 2019).

                                                                                                                                                                                                                              Durchgehend farbig illustriert und mit einem Vorwort von
                                                                                                                                                                                                                              Felix Bork, Flexcover, Format 19,5 x 25,5 cm, 216 Seiten,
                                                                                                                                                                                                                              Buchgestaltung von Büro Bum Bum
                                                                                                                                                                                                                              € 28,— | SFR 33,50 | NR 171414

                                                                                                                       W
                                                                                                                                       as Polizei, Feuerwehr, Lehrpersonal und Baristas arbei-       Spiel mit Klischees

                                                                                                                                                                                                     D
                                                                                                                                       ten, ist bekannt. Doch wie sieht es aus mit Plakatierenden,
                                                                                                                                       Waldfacharbeitenden, Erfindenden, Sägewerkmitarbei-                     a überrascht wenig, dass sein neues Werk Frohes Schaffen! auf
                                                                                                                       tenden oder, Obacht!: Personaldienstleistungskaufmenschen? All diese                    Initiative der Büchergilde Gutenberg entstand. „Sie wollten ein
                                                                                                                       Jobs und Berufe – samt ihren kreativen Bezeichnungen – vereint Illustra-                Felix-Bork-Buch“, sagt der Illustrator mit einem Schmunzeln. „Es
                                                                                                                       tor Felix Bork in seinem neuen Buch Frohes Schaffen!, das es exklusiv nur     sollte ein humorvolles Buch über Berufe sein. Die Grenzen waren sehr
                                                                                                                       für Mitglieder der Büchergilde Gutenberg zu erwerben gibt.                    weit gesteckt, wenn es sie überhaupt gab. Der Wunsch war, dass ich sie
                                                                                                                           Gemeinsam mit drei anderen Illustratorinnen und Illustratoren sitzt       interpretiere.“ Ein Buch über Berufe also. Wie geht man das an, welche
                                                                                                                       Bork im Berliner Wedding im Studio Coolio, einem schlauchartigem              Berufe nimmt man auf? Was zunächst einfach und naheliegend klingt,
                                                                                                                       Raum mit vier Schreibtischen, dahinter eine Küche und ein Bespre-             bedeutete viel Recherche für Bork. „Ich habe ein Archiv angelegt“, sagt
                                                                                                                       chungsraum, den sie sich mit dem Verein Mensch Mensch Mensch tei-             er. Dabei bekam er Hilfe von der befreundeten Künstlerin Shenja Schitt-
                                                                                                                       len. Manchmal feiern sie hier kleine Partys, zumeist aber arbeiten sie an     kowski, die gemeinsam mit ihm brainstormte. Sie konsultierten ganz un-
                                                                                                                       ihrer Kunst. Und in der hat sich Felix Bork bereits einen Namen gemacht.      terschiedliche Quellen: Vom Verzeichnis des Jobcenters zu verschiede-
                                                                                                                       Oh, ein Tier!, erschienen im Eichborn Verlag, war seine Masterarbeit des      nen Studiengängen bis hin zu Auflistungen mit den verrücktesten Jobs
                                                                                                                       Studiums Editorial Design an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein          der Welt war alles dabei. „Das war interessant, weil so viele Berufe zu-
                                                                                                                       in Halle/Saale – und wurde 2017 von der Stiftung Buchkunst als eins           sammenkamen, an die man nicht sofort denkt.“ Etwa Menschen, die Gur-
                                                                                                                       der 25 „schönsten deutschen Bücher“ ausgezeichnet. „Fesselnd“ sei es,         te oder Kunstblumen fabrizieren. „Mir wurde erst dadurch klar, dass es
                                                                                                                       heißt es in der Jurybegründung, weil der „freche Künstler“ sich in „kindi-    natürlich jemanden geben muss, der Kunstblumen herstellt“, so Felix
                                                                                                                       sche Malweisen einfühlt“ und „treffsicher das Markante der Formen und         Bork. Ein neu erwachtes Bewusstsein, das seinen Blick auf Alltagsgegen-
Zwischen konventionell und ausgefallen – 158 ganz unterschiedliche Jobs und Berufe hat Künstler Felix Bork in seinem
                                                                                                                       Farben wiedergibt“. Zwei Jahre später wurde auch der Nachfolgeband,           stände änderte und schärfte.
liebevoll und exklusiv für die Büchergilde illustrierten Buch mit dem prägnanten Titel Frohes Schaffen! gesammelt.     Oh, eine Pflanze!, von der Stiftung Buchkunst prämiert und der „kecke             Die „unverblümte Malweise“, die die Stiftung Buchkunst so lob-
Von Isabella Caldart                                                                                                   Pinselstrich“ sowie die „unverblümte Malweise“ des Künstlers gelobt.          te, ist auch in Frohes Schaffen! charakteristisch. Eine fotorealistische →

10   JOURNAL                                                                                                                                                                                                                                                        JOURNAL              11
Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
JOURNAL                                                                                                                                                      JOURNAL

                                                                               Beziehung zu setzen, die es auf den ersten Blick nicht gibt. Zum Beispiel
                                                                                                                                                                Vorlesen für
                                                                                                                                                                die Zukunft
                                                                               die Gebäudereinigung und die Pantomime, beide mit der gleichen Ges-
                                                                               tik gezeigt. Oder Polizeikräfte auf der einen, Tiertrainierende auf der an-
                                                                               deren Seite, die durch ein Schweinchen mit Polizeimütze dargestellt

                                                                                                                                                                der Kinder
                                                                               sind. „Diese Jobs haben nichts miteinander zu tun, werden durch die Äs-
                                                                               thetik aber miteinander verbunden“, sagt Bork. „Damit zu spielen und
                                                                               diese Verbindungen zu ziehen hat mir total Spaß gemacht.“

                                                                               Humorvoll und politisch                                                          Unsere Medienwelt ändert sich rasant. In-

                                                                               N
                                                                                                                                                                mitten der zahlreichen digitalen Entwick-
                                                                                          eben der humorvollen Komponente hat der Illustrator in Frohes
                                                                                                                                                                lungen gibt es deshalb viele gute Gründe,
                                                                                          Schaffen! aber auch ein gesellschaftliches, ein politisches Anlie-
                                                                                          gen: die Sichtbarmachung. „Bestimmte Berufe wollte ich unbe-          die für das klassische Vorlesen sprechen.
                                                                               dingt aufzeigen, beispielsweise die in der sozialen Arbeit“, und verdeutli-
                                                                               chen, dass Hierarchisierung und monetäre Auslegung von Berechtigung              Vorlesen heißt, gemeinsam etwas zu erleben. Die jungen          Kommunizieren nimmt ab und die menschliche Aufnahme-            VORLESESTUNDE
Darstellung interessiert Bork wenig. „Mein Stil ist auf den ersten Ein-
                                                                               und Wertigkeit „totaler Quatsch“ seien. „Pflegende Menschen etwa sind            Zuhörer können sich dabei gemütlich einkuscheln oder bei        fähigkeit verändert sich. Umso wichtiger ist es, sich mit di-   An jedem ersten Mitt-
druck etwas naiver, in vereinfachten Formen, zeitlos also“, sagt der Künst-
                                                                               doch viel wichtiger als der Beruf, den ich ausübe.“ Teilweise griff Bork         spannenden Stellen den Kopf unter die Decke stecken. Und        gitalen Medien auseinanderzusetzen und sie verstehen zu         woch eines Monats
ler. Gerade in diesem Buch aber hat er darauf geachtet, bestimmte Be-
                                                                               dabei auch auf eigene Erfahrungen zurück. So bei seiner Aufforderung,            die Vorlesenden können sich so richtig ausleben, Stimmen        lernen, aber auch, dass aktiv Raum dafür geschaffen wird,       (ausgenommen in
rufe nicht allzu abstrakt darzustellen – oder den Leserinnen und Lesern
                                                                               Kellnernden 10 Prozent Trinkgeld zu geben – Felix Bork betreibt gemein-          erfinden, übertreiben, flüstern und mitlachen. Oft bleiben      direkte menschliche Kontakte zu pflegen.                        den Schulferien) um
eine Hilfestellung zu leisten. „Die Kläranlage beispielsweise sieht eher
                                                                               sam mit Freundinnen und Freunden die Kunst- und Kulturkneipe Mas-                genau diese Bücher aus gemeinsamen Vorlesestunden ein           Autorin Meghan Cox Gurdon sieht das Vorlesen als gegen-         16 Uhr wird in der
wie ein Schwimmbecken aus, dafür gibt es wörtliche Rede im Bild.“ Sei-
                                                                               tul im Wedding, ein „Kieztreff“, wie er beschreibt, mit Lesungen, Theater        Leben lang in Erinnerung.                                       kulturellen Akt. Es fördert die Konzentrationsfähigkeit, sti-   Buchhandlung am
ne Kompositionen sind mit der gesamten Farbpalette und aus Acryl ent-
                                                                               und Konzerten.                                                                   Neben den analogen Medien wie dem Buch entwickelt sich          muliert die Hirnnetzwerke, Kinder werden emotional be-          Wittenbergplatz,
standen, viele als Einzelbilder, andere als comicartige Sequenzen. Unter-
                                                                                   Und was hat es auf sich mit ungewöhnlichen Formulierungen wie                die digitale Technik und nimmt an Bedeutung im Alltag zu.       lastbarer, der Spracherwerb wird drastisch beschleunigt,        Berlin vorgelesen!
stützung beim Layout bekam er durch den Grafiker Eric Dannebaum vom
                                                                               Kellnernde, Kunstblumenherstellende oder Plakatierende? Auch das                 Unsere Kultur vollziehe zurzeit die „Große Isolierung“, wie     Empathie wird gefördert und vieles mehr. Das Vorlesen gibt      Willkommen sind alle
Büro Bum Bum, mit dem Felix Bork schon bei Oh, eine Pflanze! und Oh,
                                                                               eine Sichtbarmachung; es ist Felix Borks Art des Genderns. „Es wäre nicht        es – stark ausgedrückt – die Psychologin Dr. Catherine Stei-    Kindern Fähigkeiten und Möglichkeiten mit auf den Weg,          Kinder von 3 bis 7 Jah-
ein Tier! zusammenarbeitete. „Er rettet mir öfter den Hintern“, sagt Bork
                                                                               richtig, nicht zu gendern“, sagt er mit Nachdruck, „denn das wird den            ner-Adair formuliert. Mit dem Begriff benennt sie einen         die ihr Leben verbessern.                                       ren, mit erwachsener
mit einem Lachen. „Er weiß, welche Regeln es gibt und wie man sie bre-
                                                                               Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, nicht gerecht. Es herrscht so          Wandel im familiären Alltagsleben, bei dem technische Ge-       Sozialforscher bezeichnen nach umfangreichen Untersu-           Begleitung.
chen kann. Wir sind ein gutes Team.“
                                                                               viel Ungerechtigkeit, deswegen ist es wichtig, darauf zu achten.“ Darauf         räte immer mehr Einfluss nehmen und zwischenmenschli-           chungen das Vorlesen als einen der wichtigsten Faktoren
    In vielen der Illustrationen greift er auf Klischees zurück, wie bei den
                                                                               zu achten war nicht immer einfach, im Gegenteil: „Es war schwierig, Be-          che Beziehungen verändern.                                      für die Zukunftsperspektiven eines Kindes. Je mehr wir –
Moderierenden im Funk, die nackt dargestellt sind. „Ich hatte Vergnü-
                                                                               griffe zu finden, wenn es keine allgemeingültige Bezeichnung gibt. Mich          Und es stimmt, Bildschirme sind allgegenwärtig. Im öf-          der Leseförderverein Die Welt des Lesens – uns mit dem
gen dabei, das zu visualisieren.“ Bei anderen Berufen bricht er diese Kli-
                                                                               hat irritiert, dass das so oft nicht existierte.“ Nach bestem Wissen und Ge-     fentlichen Raum fallen mehr und mehr Menschen auf,              Thema befassen, umso mehr lernen auch wir. Und umso
schees, zeigt das Scheitern. Es gibt auch Seiten, auf denen der Beruf im
                                                                               wissen hat er in den Fällen versucht, Wörter zu finden. „Manchmal ha-            die in ihr Smartphone oder andere Geräte vertieft sind.         mehr stehen wir hinter der Entscheidung, das Fördern des
Bild gar nicht zu sehen ist. Etwa bei den Waldfacharbeitenden, also Men-
                                                                               ben meine Lektorin und ich uns auf Neologismen geeinigt, manchmal                Man fragt sich, wie viel sie währenddessen wohl von ih-         Vorlesens als Schwerpunkt unserer Arbeit zu setzen.
schen, die im Forst arbeiten. Die gehen im „grünen Gewirr“ unter, weil
                                                                               auf den Plural – oder aber es bleibt bei ‚Archäologie‘ oder ‚Statistik‘.“ Vie-   rer Umwelt wahrnehmen. Allmählich fangen wir an, darü-          Machen Sie mit. Werden Sie aktiv und selbst zum Vorleser
sie so gut getarnt sind. Oder die Berufstauchenden, die untergetaucht
                                                                               le dieser Neuschöpfungen sind kurios. „Ich wollte umständliche Wörter            ber nachzudenken und zu untersuchen, welchen Einfluss           oder zur Vorleserin. Was kann es Besseres und Sinnvolleres
sind.
                                                                               finden, die die Lesenden aus dem Konzept bringen, damit man sich da-             dies auf unser Leben hat. Wir stellen fest, dass digitale Me-   geben, als für die jetzige und die folgenden Generationen
    Besonders interessant war für Felix Bork, bestimmte Berufe auf den
                                                                               mit beschäftigen muss und das Fehlen von Begriffen dadurch verdeut-              dien Verbesserungen bringen können, doch das direkte            eine gute Basis zu legen?
Doppelseiten gegenüberzustellen und durch die Visualisierung in eine
                                                                               licht wird.“
                                                                                   158 Berufe haben es in das Buch geschafft. Ein halbes Jahr lang mal-
                                                                                                                                                                                                                                Spenden Sie für Die Welt des Lesens!
                                                                               te Bork nahezu jeden Tag einen Beruf. „Das Zeichnen war nicht das Prob-
                                                                                                                                                                                                                                Wir freuen uns, wenn Sie den Verein mit einem jährlichen
                                                                               lem, sondern eher die Frage: Wo ist bei jedem Beruf der Witz, die Story,
                                                                                                                                                                                                                                Mitgliedsbeitrag von € 25,– oder einer einmaligen Spende
                                                                               das Besondere? Wenn man sich näher damit beschäftigt sind die meis-
                                                                                                                                                                                                                                unterstützen. Die Anmeldung zur Fördermitgliedschaft und
                                                                               ten Berufe vielschichtiger, als man zunächst annimmt.“ Eine Herausfor-
                                                                                                                                                                                                                                weitere Informationen finden Sie unter welt-des-lesens.de.
                                                                               derung, die er mit Bravour gemeistert hat.

                                                                                                                                                                                                                                Spendenkonto Die Welt des Lesens e. V.
                                                                                                                                                                                                                                Frankfurter Volksbank eG
                                                                                                                                                                                                                                BIC: FFVBDEFF
                                                                                                                                                                                                                                IBAN: DE69 5019 0000 7000 0159 16
                                                                                                                                                                Sind Sie an einer Vorleseveranstaltung interessiert             Verwendungszweck: Einmalige Spende
                                                                                                                                                                oder haben Sie Ideen für Vorleseprojekte? Fragen Sie
                                                                                                                                                                in Ihrer Büchergilde-Buchhandlung nach oder kontak-             Alle Beiträge und Spenden fließen zu 100 % in die Leseför-
                                                                                                                                                                tieren Sie uns telefonisch unter (069) 27 39 08 55 oder         derung. Falls Sie eine Spendenquittung benötigen, bitten
                                                                                                                                                                per E-Mail unter welt-des-lesens-ev@buechergilde.de.            wir Sie, auch Ihren Namen und Ihre Adresse mit anzugeben.

12     JOURNAL                                                                                                                                                                                                                                                                                      JOURNAL        13
Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
JOURNAL

Thomas M. Müller                                                                            NEUE AUSSTATTUNG
Wie wollen wir wohnen?                                                                      Umweltschonende
BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3                                                                 Wellpappe im

                                                                                                                                                                                         Zitrone oder Zitronenpresse?
                                                                                            Schuber ersetzt den
                                                                                            Verschlussaufkleber
Wie viele Waschbecken braucht ein Bad? Wieviel
Platz benötigen wir wirklich? Darf Wohnen so ein Rie-
sengeschäft sein? Muss man vom Wohnzimmer aufs
Meer schauen können? Können wir uns das Viertel
überhaupt noch leisten? Ist unsere Wohnung klüger
                                                                                                                                                                                   Im BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3 geht Illustrator Thomas M.               so ein Riesengeschäft sein? Wie viel Platz benötigen wir wirklich? „Wir
als wir? Wie weit darf der Weg zur Arbeit sein? Welche
                                                                                                                                                                               Müller der Frage nach, wie wir künftig wohnen wollen. Dabei regt            sind anspruchsvoller geworden“, sagt Müller. Er fragt: Wie viele Wasch-
Nachbarn wollen wir haben? Wie viele Tage arbeiten
                                                                                                                                                                               er mit lakonischen Bildern die Leserinnen und Leser an, sich die            becken braucht ein Bad? Muss man vom Wohnzimmer aufs Meer schau-
wir monatlich nur fürs Wohnen? Gehören Mieter und
                                                                                                                                                                               Antworten selbst zu geben.                                                  en können? Wie weit darf der Weg zur Arbeit sein? Welche Nachbarn
Vermieter derselben Spezies an? Diesen und ande-
                                                                                                                                                                                   Bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland nach Schätzungen etwa           wollen wir haben?
ren Fragen zum Wohnen widmet sich dieser Bilder-
                                                                                                                                                                               eine Million Wohnungen fehlen. Ein Drittel davon in den sieben größten          Müller veranschaulicht diese Fragen mit Bildern, die die jeweiligen
bogen. Die Antworten werden so individuell sein wie
                                                                                                                                                                               Städten. Den Mangel spüren die Städte bereits seit Jahren immer deutli-     Probleme auf den Punkt bringen: Die Frage, ob Mieter oder Vermieter,
unsere Wünsche, Ansprüche und Erwartungen. Aber
                                                                                                                                                                               cher. Die Mietpreise steigen rasant: durchschnittlich 17,50 Euro pro Qua-   illustriert er mit Zitrone und Zitronenpresse. Und wenn wir drei Wochen
müssen wir bei diesem Thema nicht viel mehr über
                                                                                                                                                                               dratmeter muss man in München zahlen – das ist der Spitzenreiter, ge-       im Monat für die Miete arbeiten, müssen wir dann so lange auf Geträn-
uns hinausdenken?
                                                                                                                                                                               folgt von Frankfurt am Main und Stuttgart mit jeweils über 14 Euro.         kekisten sitzen, bis wir uns Möbel leisten können?
                                                                                                                                                                                   Während die Bundesregierung mit einer Mietpreisbremse Abhil-                „Der Bilderbogen soll kein Manifest oder eine Streitschrift werden,
                                                                                                                                                                               fe zu schaffen versucht, die sich in der Praxis aber als wenig hilfreich    sondern unterhaltsam sein und nachdenklich stimmen“, sagt Müller. Er
                                                                                                                                                                               erweist, hat Berlin für die nächsten fünf Jahre einen Mietendeckel be-      habe nicht die eine Lösung parat. Je nach Wunsch, Anspruch und Erwar-
                                                                                                                                                                               schlossen. Aber es ist noch offen, ob dieses Gesetz vor Gericht Bestand     tung gebe es auch verschiedene Antworten. Er selbst wünscht sich ne-
                                                                                                                                                                               haben wird. Ein bundesweiter Mietendeckel, wie ihn die SPD will, wird       ben genug Raum für seine Familie und Gäste eine bunte Nachbarschaft.
                                                                                                                                                                               sich mit dem Koalitionspartner CDU nicht machen lassen. Die will statt-         Auch wenn Müller keine Antwort für alle gibt, führt er in seinen lako-
                                                                                                                                                                               dessen mehr in den sozialen Wohnungsbau investieren, dazu auch              nischen Zeichnungen indirekt vor, wie es auch mit der Zukunft des Woh-
                                                                                                                                                                               mehr für Wohngeld, Baukindergeld und Städtebauförderung ausge-              nens klappen könnte. Er selbst reduziert sich auf wenige Striche und die
                                                                                                                                                                               ben. Was davon wirklich nützt, ist umstritten. Denn oft fehlt es in den     Farben Blau, Gelb und Orange. Allein dieser Stil drückt aus: Weniger ist
                                                                                                                                                                               Städten einfach an Baufläche.                                               mehr. Das dürfte gleichermaßen für Mieter und Vermieter gelten.
                                                                                                                                                                                   Der Illustrator Thomas M. Müller beobachtet in seiner Stadt Leipzig
                                                                                                                                                                               seit Jahren, wie Wohnen immer mehr zum Luxus wird. Er stellt sich die       Lukas Gedziorowski arbeitet als freier Journalist und Autor in Berlin, unter anderem
                                                                                                                                                                                                                                                           als Online-Redakteur für Deutschlandfunk Kultur. Außerdem betreibt er das Weblog
                                                                                                                                                                               grundsätzliche Frage: „Wie wollen wir wohnen?“ Seine Gedanken dazu          batmanprojekt.com.
                                                                                                                                                                               hat er im BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 3 festgehalten. Der Illustrator
                                                                                                                                                                               kennt selbst beide Perspektiven: Er ist sowohl Mieter als auch Vermie-
                                                                                                                                                                               ter. Daher zielen seine Fragen auch auf beide Seiten ab. Darf Wohnen

                                                                                       BÜCHERGILDE BILDERBOGEN
                                                                                          Nicht verpassen – abonnieren!
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                                                                                                                     ALS GESCHENK ERHALTEN
ILLUSTRATOR
Thomas M. Müller, geboren 1966 in Gera, studierte an der Hoch-
schule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und lehrt dort als Professor                                                                                                                                                                          Inszenieren Sie Ihre wachsende Sammlung der Bilderbogen. Speziell
für Illustration. Er arbeitet als freiberuflicher Grafiker und Illustrator in                                                                                                                                                                    für Sammler der BÜCHERGILDE BILDERBOGEN haben wir einen Auf-
Leipzig und illustrierte bereits zahlreiche Büchergilde-Publikationen.                                                                                                               MUSTER                                                      steller entwickelt. Gefertigt aus MDF (Faserplatte aus Restholz)
HERAUSGEBERIN                                                                                                                                                                      ERSCHEINT                                                     und dadurch nachhaltig. Durch das einzigartige Stecksystem lässt sich
Cosima Schneider, geboren 1966 in Marburg an der Lahn, ist                                                                                                                        IN SCHWARZ                                                     der Aufsteller jederzeit platzsparend verräumen. Der Sammler bietet
Diplom-Designerin und seit 2012 Herstellungsleiterin der Büchergilde                                                                                                                ENDE MAI                                                     Platz für bis zu 12 Bilderbogen.
Gutenberg.

                                                                                                                                                                                                                                                 NEU
Illustration von Thomas M. Müller, einseitig vierfarbig bedruckter                    BEREITS ERSCHIENEN            PORTOFREIER VERSAND             BEREITS ERSCHIENEN                                                                           BÜCHERGILDE BILDERBOGEN Sammler
Bilderbogen, Format 72 x 67 cm, im Schuber (Format 34 x 24 cm)                            Gustave Doré         € 18,— | SFR 21,50 | NR 19239X           Hans Traxler                                                                             MDF, Farbe schwarz
€ 18,— | SFR 21,50 | NR 304490                                                            Münchhausen                                              Drama am Jang tse Kiang                                                                       € 24,— | SFR 29,90 | NR 304830
                                                                                 BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2                                   BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 1
                                                                                € 18,— | SFR 21,50 | NR 304482                                € 18,— | SFR 21,50 | NR 304466
14         JOURNAL                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Journal 15
Büchergilde BUCHGEMEINSCHAFT SEIT 1924 - ENGAGIERT, POLITISCH, Büchergilde
JOURNAL

Gottfried August Bürger /
Gustave Doré (Ill.)
Des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reisen und Abenteuer
                                                                                                                                              Dichtung und Lüge
„Manche Reisende sind bisweilen imstande, mehr zu
                                                                                                                                   Die Lügengeschichten von Baron Münchhausen erscheinen bei der Büchergilde in einer
behaupten, als genau genommen wahr sein mag. Da-                                                                                    Neuauflage. Der von Gustave Doré illustrierte Klassiker wird durch das Nachwort des
her ist es denn kein Wunder, wenn Leser oder Zuhörer                                                                                     Kabarettisten und Theatermanns Rainald Grebe in ein neues Licht gerückt.
ein wenig zum Unglauben geneigt werden. Sollten
indessen einige von der Gesellschaft an meiner Wahr-

                                                                                                                D
haftigkeit zweifeln, so muß ich sie wegen ihrer Un-                                                                         es Freiherrn von Münchhausen                                                                      In Frankreich zählte Doré zu den Haupt-
gläubigkeit herzlich bemitleiden …“ Wahr ist: Vor 300                                                                       wunderbare Reisen und Aben-                                                                   meistern der Drucktechnik des Holzstichs,
Jahren, im Mai 1720, wurde Hieronymus Carl Friedrich                                                                        teuer sind so sehr in unser kol-                                                              mit dem auch die Münchhausen-Grafiken
Freiherr von Münchhausen geboren. In Zeiten von Fake                                                            lektives Gedächtnis übergegangen, dass                                                                    entstanden sind. Wie der Holzschnitt ist
News kommt der Lügenbaron fast harmlos daher. Aber                                                              wir selbst kaum mit Sicherheit sagen kön-                                                                 auch der Holzstich ein Hochdruckverfah-
deswegen nicht weniger vergnüglich, auch dank der                                                               nen, ob wir sie schon einmal gelesen ha-                                                                  ren, bei dem die erhabenen Bereiche ein-
lustvollen Illustrationen von Gustave Doré.                                                                     ben oder nicht. Ich würde behaupten wol-                                                                  gefärbt und gedruckt werden. Mit komple-
                                                                                                                len, dass nicht nur die Geschichte vom                                                                    xen Schraffuren können Grauwerte und
                                                                                                                fliegenden Baron auf der Kanonenkugel                                                                     Lichteffekte wie bei einem Gemälde er-
                                                                                                                jedem ein Begriff ist, sondern dass vie-                                                                  zeugt werden. Der Bildcharakter der Tech-
                                                                                                                le dabei auch den vom Künstler Gustave                                                                    nik ist eher dem Kupferstich verwandt, als
                                                                                                                Doré illustrierten Münchhausen vor Au-                                                                    Hochdruck aber mit dem Schriftsatz kom-
                                                                                                                gen haben. Mindestens haben aber die                                                                      patibel und daher für die Buchillustration
                                                                                                                Bildideen des französischen Künstlers in                                                                  von großer Bedeutung gewesen. Zu den
                                                                                                                den Interpretationen späterer Illustratoren                                                               Münchhausen-Bildern lieferte Doré die
                                                                                                                weitergelebt.                                                                                             Entwürfe, zeichnete zum Teil direkt auf den
                                                                                                                    Dorés Münchhausen ist ein langer Lu-                                                                  Druckstock und beauftragte u. a. die Holz-
                                                                                                                latsch, der sich und sein Pferd an den eige-                                                              schneider Pisan und Pannemaker mit der
                                                                                                                nen Haaren aus dem Sumpf zieht, der im                                                                    Umsetzung als Holzstich. Die Abbildungen
                                                                                                                Bauch eines Riesenfisches überlebt oder                                                                   reichen von kleinen Vignetten bis hin zu
                                                                                                                im Erdinnern mit Venus persönlich flirtet,                                                                ganzseitigen Grafiken, wobei insbesonde-
                                                                                                                um vom eifersüchtigen Vulkan hochkant                                                                     re bei den Vignetten der lockere Schwung
© Gleimhaus Halberstadt           © The Los ANgeles County Musem of Art

                                                                                                                hinaus- und auf die andere Seite der Erde
                                                                                                                                                                     „Da wir noch Zeit haben,                             der Handzeichnung erhalten ist.
AUTOR                                                                                                           befördert zu werden. Der lockere Charakter           meine Herren, eine frische                               Auch die Entstehungsgeschichte des
Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen                                                              der Illustrationen unterstützt den Charme                                                                 Buches ist spektakulär und bei den heuti-
(1720–1797) wusste als weit gereister Mann viel zu berichten; ab                                                des Barons, der bei seinen Heldentaten                  Flasche auszutrinken,                             gen Urheberrechtsbestimmungen kaum
und zu liebte er es, ein wenig aufzuschneiden. Seine Späße hat der
Lügenbaron freilich nicht selbst erfunden. Sie lebten im Volk, zum Teil
                                                                                                                wenig herrschaftlich daherkommt, son-                    so will ich Ihnen noch                           mehr denkbar: Des Freiherrn von Münch-
in Büchern und Schriften. Dem Freiherrn war die Gabe zu eigen, die                                              dern sich am liebsten in der Rolle des                                                                    hausen wunderbare Reisen und Abenteu-
Geschichten zum Besten zu geben.                                                                                Abenteurers und Draufgängers sieht. Dem               eine andere sehr seltsame                           er ist 1786 auf Deutsch durch Gottfried Au-
Gottfried August Bürger (1747–1794) war Verfasser zahlreicher
                                                                                                                schlaksigen Kerl mit seinen flatternden                                                                   gust Bürger veröffentlicht worden, der die
Gedichte. Bekannt wurde er vor allem durch seine Übertragung der
                                                                                                                Rockschößen und dem dünnen Zopf traut
                                                                                                                                                                      Begebenheit erzählen ...“                           Geschichten nicht nur aus dem Englischen
englischen Fassung von Münchhausens Geschichten ins Deutsche.
                                                                                                                man keine Heldentaten zu – umso komi-                               Aus: Münchhausen                      übertragen, sondern auch inhaltlich verän-
ILLUSTRATOR                                                                                                     scher wirken seine Geschichten.                                                                           dert und erweitert hatte. Zuvor waren sie
Gustave Doré (1832–1883) war der erfolgreichste französische Buch-
illustrator des 19. Jahrhunderts. Er hat zahlreiche Bücher der Weltliteratur                                        Gustave Doré (1832–1883) hat als                                                                      auf Englisch von Rudolf Erich Raspe aufge-
gestaltet, darunter Rabelais’ Gargantua und Pantagruel, Balzacs Tolldreiste                                     Buchillustrator viele namhafte Werke illustriert und ist besonders be- schrieben und 1785 in England veröffentlicht worden. Aber auch Raspe
Geschichten, Cervantes’ Don Quijote und Dantes Göttliche Komödie.                                               rühmt für seine Grafiken in der bekanntesten Bibelausgabe des 19. Jahr- hat sie nicht erfunden, sondern war Gast bei dem adligen Karl Friedrich
                                                                                                                hunderts. So detailreich, dramatisch und – in ihrer Ernsthaftigkeit – steif Hieronymus von Münchhausen, hatte ihm bei Jagdgesellschaften an
Nacherzählt von Gottfried August Bürger, mit Holzstichen von                                                    die Bibelillustrationen sind, so komisch, karikaturhaft und leicht sind heiteren Abenden zugehört und dessen Anekdoten aus der Erinnerung
Gustave Doré, mit einem Nachwort von Rainald Grebe, geprägtes                                                   die Illustrationen zu Münchhausen. Allein diese Bandbreite lässt keinen heraus niedergeschrieben. Karl Friedrich Hieronymus von Münchhau-
Leinen, 208 Seiten, Buchgestaltung von Cosima Schneider
                                                                                                                Zweifel daran, welch ein Virtuose Doré in seinem Fach gewesen ist.            sen wiederum hatte sich ebenfalls der Erzählungen anderer bedient, →
€ 26,— | SFR 30,90 | NR 171074                                                 BEREITS ERSCHIENEN
                                                                               Gustave Doré
Limitierte Vorzugsausgabe mit einer Grafik und Text von Henning                Münchhausen
Wagenbreth, signiert und nummeriert, im Schuber, Auflage: 120 Ex.              BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2                                                                                 Hendrikje Hüneke
€ 128,— | SFR 153,– | NR 171082                                                € 18,— | SFR 21,50 | NR 304482                                      ist Kunsthistorikerin mit einer besonderen Vorliebe für Kunstbücher, Kunst im Buch und Buchkunst.

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JOURNAL

→ denn er verstand es, Geschichten aus dem Volksmund in seine eige-
nen Jagd- und Reiseerlebnisse einzubinden, sodass die Grenze zwischen
Wahrheit und Dichtung für seine Zuhörer kaum zu erkennen war.
                                                                                                                                                                                                                                       Das
    1866 erschien die von Gustave Doré illustrierte französische Ver-
öffentlichung von Münchhausens Lügengeschichten. Viele Ausgaben                                                                                                                                                                    illustrative
                                                                                                                                                                                                                                    Interview
folgten, und nicht immer waren alle Grafiken der Erstausgabe enthal-
ten. So auch bei der 1954 erschienenen Variante des Buches in der
Büchergilde Gutenberg, die nun neu aufgelegt wird. Jene Illustrati-
onen Dorés, die nicht in dieser Ausgabe enthalten sind, haben einen
anderen Platz im aktuellen Programm der Büchergilde gefunden: im                                                                                            Welche Posse fehlt im offiziellen Münchhausen-Kanon?                                    mit                                            Wer war dieser Lügenbaron eigentlich?
                                                                                                                                                       Wie sollte ich die Vorzugsgrafik für diese Ausgabe konzipieren? Ich                                                          Die literarische Figur auf den Freiherrn und Baron Hieronymus Carl
BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2. Mit dem Bilderbogen wird ein For-                                                                                                                                                                            Henning Wagenbreth,
                                                                                                                                                       hätte ein Abenteuer aus dem Kanon illustrieren können, fand dann                                                             Friedrich von Münchhausen zurück. Zu Literatur wurden sie aber erst
mat wiederbelebt, das im 18. und 19. Jahrhundert der Verbreitung von                                                                                   aber, dass die schon oft und hervorragend illustriert wurden. Die               Illustrator der Vorzugsgrafik                durch Rudolf Erich Raspe, der aus Geldnot Münchhausens Geschichten
informativen oder auch unterhaltsamen Nachrichten diente, eine Art                                                                                     Illustrationen von Gustave Doré und Theodor Hosemann sind iko-                        zu Münchhausen.                        auf Englisch veröffentlichte. Das Buch war ein großer Erfolg und wurde
                                                                                                                                                       nisch. Wegen dieser ersten Interviewfrage fand ich es dann heraus-                    Die Fragen stellte                     in mehrere Sprachen übersetzt. Allerdings schien es zu dieser Zeit sehr
                                                                                                                                                       fordernd, dem siebzehnten Kapitel noch ein achtzehntes anzufügen                                                             wichtig zu sein, dass literarische Erzählungen doch der Wahrheit ent-
                                                                                                                                                       und dieses für die Vorzugsausgabe zu illustrieren. Es handelt sich
                                                                                                                                                                                                                                              Marlen Heislitz.                      sprechen sollten. Diese Erwartungshaltung brachte dem Freiherrn von
                                                                                                                                                       dabei um einen extrem langen Tiefschlaf des Barons und eine damit                                                            Münchhausen den Ruf des „Lügenbarons“ ein, was ihn bis zu seinem
                                                                                                                                                                     verbundene Zeitreise in unsere Gegenwart.                                                                      Lebensende sehr ärgerte. Das ist angesichts der fantastischen Münch-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                          hausiaden doppelt komisch.

                                                                           Abendgesellschaften nach der Jagd oder auf die Bühne. Es gehört auch
                                                                           zu manch einem Streitgespräch am Kneipentresen – schon da kann es
                                                                           auch mal politisch werden – und leider sogar zu ernsthaften Auseinan-
                                                                           dersetzungen in der Politik.
                                                                               Wie Rainald Grebe bedauernd feststellt, ist dem historischen Baron
                                                                           Münchhausen seine Neigung zum Fabulieren auf die Füße gefallen, als
                                                                           seine zweite Frau sich von ihm scheiden lassen wollte und der Anwalt das   Würde Münchhausen Spam-Mails schreiben?                 Wie viel Wahrheit liegt in Bildern?          Kannst du eigentlich auch schwarz-weiß?                    Wie siehst du dich selbst?
                                                                                                                                                      Spam-Mails werden aus der kriminellen Absicht       Das Verhältnis zwischen Bildern und Wahr-        Als ich vor ein paar Jahren in Taiwan als         Wie soll ich diese Frage ehrlich und offen
                                                                           inzwischen veröffentlichte Buch mit seinen Lügengeschichten als Nach-      geschrieben, sich durch ein gezieltes Konstrukt     heit ist ein großes Thema. Im Zeichenprozess     Gastprofessor arbeiten durfte, habe ich die       beantworten? Meistens arbeite ich an
                                                                           weis für seine mangelnde Vertrauenswürdigkeit heranzog. Hier bedau-        an Lügen Geld zu ergaunern. Münchhausen             sind Manipulationen am Abbild der Wirklich-      asiatische Tradition der Tuschemalerei ent-       Illustrationen, Grafikdesign und Schrift.
                                                                           ert man den armen Tor. Wären doch alle Lügen so leicht als solche zu er-   erzählte seine Abenteuer nicht aus finanziel-       keit geradezu gefordert. Durch Übertreibun-      deckt. Während eines zweitägigen Taifuns          Jede neue Gestaltungsaufgabe bringt eine
                                                                                                                                                      len Gründen, sondern zur Belustigung seiner         gen, Deformationen, Verzerrung der Perspek-      lief das Wasser in Bächen durch mein Trep-        Kette interessanter Themen mit sich, über
                                                                           kennen wie die fantastischen Flunkereien des Barons!                       abendlichen Gäste. Finanzielle Sorgen hatte er da   tive, Weglassen, Hinzufügen und temporäre        penhaus. Eingeschlossen in meiner Woh-            die ich dann hinterher ganz gut Bescheid
                                                                                                                                                      schon, aber Betrug wäre ihm sicher gegen seine      Brüche lässt sich die Wahrheit meist erst auf    nung, habe ich nonstop mit chinesischer           weiß. Geschichte, Politik, Naturwissen-
                                                                                                                                                      Ehre gegangen. Rudolf Erich Raspe, der Münch-                     den Punkt bringen.                              Tusche gezeichnet.                   schaft, Theater, Musik und Kunst kommen
                                                                                                                                                      hausens Erzählungen zu Geld gemacht hatte,                                                                                                             da gleichermaßen vor. Ich probiere gerne
                                                                                                                                                         hätte sicher eher Spam-Mails geschrieben.                                                                                                                       neue Techniken aus.

Vorläufer der Illustrierten, von fahrenden Händlern präsentiert und ver-
kauft. Der BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 2 setzt die Tradition des Fa-
bulierens, die im Münchhausen angelegt ist, mit einem Text von Lukas
Gedziorowski weiter fort. Der Illustrator Henning Wagenbreth hat nun
in der Vorzugsausgabe dieses Buches das 18. Kapitel zum Münchhau-
sen-Kanon ergänzt – mit viel Spaß am Erdichten und Fabulieren.
    „Ein Freibrief fürs Dazuerfinden“ sei das Thema, schreibt auch der
Kabarettist, Liedermacher und Theatermann Rainald Grebe in seinem
pfiffigen, aber auch durchaus nachdenklich gestimmten Nachwort zur
Neuauflage. Nicht ohne Grund hat er sich den Baron Münchhausen                                                                                                          Wovon träumst du?                                                  Wie sieht die Zukunft aus?                                          Was empfindest du für Berlin?
                                                                                                                                                       Gestern habe ich geträumt, dass auf der Dachkante              Zeitreisen in die Zukunft sind schwieriger. Alles ist möglich. Wir wer-       Berlin ist die Stadt, die ich am besten kenne. Man
als Schlüsselfigur für sein neues Bühnenprogramm gewählt. Die epi-                                                                                     des Hauses gegenüber ungefähr zwanzig große, bun-              fen unsere Telefone weg, schauen uns an, staunen, dass da ja jemand           kann in einer Stadt lesen wie in einem Buch. So
sodenhaften Geschichten laden geradezu zum Weiterspinnen, Neu-                                                                                         te Vögel saßen. Die sind nach und nach auf ein tie-            ist, reden, singen und tanzen miteinander. Wir wählen Parteien, die           versteht man nicht nur die Lokalgeschichte, sondern
                                                                                                                                                       feres Garagendach gesegelt und haben sich dabei in             Freiheit und Verantwortung miteinander verbinden. Mieten werden               darüber hinaus generell, wie und warum Menschen
erfinden und Ergänzen ein. Münchhausen als Thema anzugehen ist
                                                                                                                                                       Männer verwandelt, saßen dann dort und haben sich              gesenkt, wir essen vegetarisch oder Insekten, interkontinentale Reisen        so oder so zusammengelebt haben. Vor zwanzig-
aber auch ein Weg, zu thematisieren, was uns aktuell am meisten auf                                                                                    angeregt unterhalten. Ich habe auch schon geträumt,            machen wir mit dem Wasserstoffflugzeug. Wir kaufen nur noch, was              tausend Jahren war die Gegend noch von sechzig
den Nägeln brennt: der Umgang mit der Lüge. Denn wo Dichtung ih-                                                                                       dass ich mehrere Wochen weggefahren war und ver-               wir wirklich brauchen. E-Autos brauchen wir nicht. Wir fahren mit der         Metern Eis bedeckt. Die Zeit der Berliner Mauer,
                                                                                                                                                       gaß, Futter für mein Pferd in der Wohnung zu lassen.           Bahn und dem Bus und die letzten Meter, wenn wir nicht mehr lau-              nach der heute meist zuerst gefragt wird, war ver-
ren naiven Rahmen verlässt, wird sie zur Lüge. Das Fabulieren, das Prah-                                                                               Als ich wiederkam, lag das Pferd halb verhungert in            fen können, mit dem autonomen Rollstuhl. Jede und jeder hat eine              gleichsweise kurz. Je mehr man weiß, umso besser
len, Übertreiben und Erfinden gehört bekanntermaßen nicht nur zu                                                                                                meinem Bett und schaute mich an.                      interessante Lebensaufgabe. Der neue Bundeskanzler wird als afrika-                        lässt sich in der Zeit reisen.
                                                                                                                                                                                                                               nischer Flüchtling nach Deutschland gekommen sein.

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