Zum Schwanzabriss bei der Katze

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Aus der Chirurgischen Veterinärklinik -Kleintierchirurgie- (Prof. Dr. E. Schimke)1 und dem Institut
      für Veterinär-Pathologie (Prof. Dr. M. Reinacher)2 der Justus-Liebig-Universität Gießen

                   Zum Schwanzabriss bei der Katze
                O. LAUTERSACK1, A. HOLTHAUSEN1, M. KRAMER1, E. SCHIMKE1,
                    S. SCHLEICHER1, W. BAUMGÄRTNER2 und B. TELLHELM1

Zusammenfassung
Zum Schwanzabriss der Katze

Der sogenannte Schwanzabriss der Katze führt in den meisten Fällen zu gestörtem Urinabsatz
und Lähmung des Schwanzes. Bei 53 Katzen wurde die Erkrankung retrospektiv untersucht,
um eine Korrelation zwischen klinisch-neurologischen, sowie radiologischen Befunden und
der Prognose zu ermitteln. 62,3% konnten nach dem Trauma sofort oder im Laufe der
Therapie wieder Urin absetzten, wobei kein Zusammenhang zwischen den neurologischen
Ausfällen und der Prognose zu erkennen war. Die Lokalisation der Verletzung ist ohne
Einfluss auf die Prognose, während die radiologisch erkennbare Dislokation des Schwanzes
bei Verschiebung nach kranial in der untersuchten Patientengruppe mit einer besseren
Prognose verbunden war. Ob Operation oder konservative Therapie die Behandlung der Wahl
darstellt, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Schlüsselwörter: Schwanzabriss - Katze - Miktionsstörung - Schwanzlähmung -
Therapie – Prognose

Summary
About the avulsion of the tail in the cat

Avulsion of the tail in the cat mostly leads to impaired micturition and paralysis of the tail.
The histories of 53 cats were studied to find correlations between neurological and
radiological findings and prognosis. 62,3% of the cats showed normal micturition
immediately after the trauma or during therapy without relations between neurological deficits
and prognosis. The location of the fracture or luxation has no influence on the prognosis,
whereas patients with cranial dislocation of the tail seemd to have a better prognosis. There
was no definite conclusion, if operation or conservative management is the therapy of choise.

Keywords: Avulsion of the tail - cat - impaired micturition - paralysis of the tail -
therapy - prognosis

Einleitung
Durch Fraktur oder Luxation von Kreuzbein- oder proximalen Schwanzwirbeln wird der
kaudale Rückenmarksbereich, die Cauda equina oder der Plexus pelvinus geschädigt.
Dadurch entsteht das klinische Bild des sogenannten Schwanzabrisses der Katze, das durch
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Symptome wie Schmerzhaftigkeit, Lähmung des Schwanzes oder der Hintergliedmaßen und
Urinabsatzprobleme geprägt sein kann (Abbildung 1). In seltenen Fällen kommt es zu klinisch
relevanter Koprostase oder Kotinkontinenz (DeLahunta, 1983).
Das Trauma entsteht in den meisten Fällen bei Autounfällen durch Fixation des Schwanzes
und gleichzeitiges Wegrennen der Katze (Anderson und Coughlan, 1997). Im proximalen und
distalen Schwanzbereich treten Hämatome auf und an der Abrissstelle wird Krepitation mit
abnormer Beweglichkeit palpiert. Zusätzliche Verletzungen wie Frakturen der Gliedmassen
oder abdominale und thorakale Traumata können das klinische Bild des Schwanzabrisses
überlagern.

Anatomische und physiologische Grundlagen

Das Os sacrum besteht bei der Katze aus drei Wirbeln, die meist bis zum Alter von etwa 1 ½
Jahren verwachsen. Es umschließt die Cauda equina, die den Conus medullaris bei der Katze
meist zwischen siebtem Lenden- und kranialem Teil des 1. Sakralwirbels verlässt (Frewein
und Vollmerhaus, 1994) und sich aus dem 7. Lendennerven, drei Nervi sacrales und fünf
Nervi coccygeales zusammensetzt (Nickel et al., 1992). Von besonderer klinischer Bedeutung
sind die Sakralnerven, da ihre Funktion den Urin- und Kotabsatz gewährleistet. Ihre Kerne
liegen bei der Katze zwischen der Mitte des 7. Lendenwirbels und dem kranialen Drittel des
Os sacrum (Goller, 1959; Nickel et al., 1992; Frewein und Vollmerhaus, 1994). Nach Kot et
al. (1994) soll das Sakralmark der Katze im 5. und 6. Lendenwirbel liegen.
Die efferente Blasen- und Harnröhreninnervation erfolgt über sympathische,
parasympathische und somatische Nervenbahnen. Der Urinabsatz und die Speicherung setzten
das komplizierte Ineinandergreifen dieser Steuerungsbahnen voraus.
Der Musculus detrusor vesicae wird durch den hauptsächlich parasympathischen Nervus
pelvinus über cholinerge Muskarinrezeptoren innerviert. Er hat im sakralen Miktionszentrum
(S1-3) seinen Ursprung und zieht zur Harnblasenwand, wo er an der Bildung der intramuralen
Plexus vesicales craniales und caudales beteiligt ist (DeLahunta, 1983; Nickel et al., 1992).
Die sympathische Steuerung der Blase und Harnröhre erfolgt durch das Miktionszentrum im
Lendenmark (L2-5, Oliver et al., 1969; L1-2, Moreau, 1982). Über den sympathischen
Grenzstrang ziehen Fasern ins Ganglion mesentericum caudale. Im Nervus hypogastricus
verlaufen die postganglionären Fasern zum Plexus pelvinus in der dorsalen Beckenhöhle, um
von dort an die α- und β-Rezeptoren der intramuralen Plexus vesicales zu ziehen (Nickel et
al., 1992).
Die sympathischen Nervi splanchnici sacrales des Plexus pelvinus bewirken zusätzlich die
Kontraktion der Harnröhrenmuskulatur (DeLahunta, 1983; Nickel et al., 1992).
An Blase und Urethra finden sich alle vier Untergruppen von sympathischen Rezeptoren (α1,
α2, β1 und β2). Die Erregung von α-Rezeptoren führt zur Verengung von Blasenhalsbasis und
Urethra, während β-Rezeptoren vor allem die Erschlaffung des Musculus detrusor bewirken.
Die Kombination beider Funktionen ermöglicht die Urinretention (Moneau und Lees, 1989).
Die somatische Innervation der Blasen- und Harnröhrenmuskulatur erfolgt durch den Nervus
pudendus, dessen Kerne im sakralen Miktionszentrum (S1-3) liegen. Die somatischen Stränge
ziehen in den Plexus sacralis, aus dem sich der Nervus pudendus isoliert und im weiteren
Verlauf den Nervus perinealis profundus abgibt, der den quergestreiften Teil des Musculus
urethralis über cholinerge Nikotinrezeptoren innerviert (DeLahunta, 1983; Nickel et al.,
1992).
Der Steuerung auf Reflexebene sind supraspinale Zentren übergeordnet. Die willkürliche
Kontrolle wird durch das Cortex cerebri vermittelt, während die unbewusste Koordination
durch Basalganglien, den Thalamus und den Vermis cerebelli erfolgt. Sie kontrollieren über

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efferente Bahnen das Harnblasenzentrum in der Pons, das dem sakralen Miktionszentrum
übergeordnet ist (Kuru, 1965; DeLahunta, 1983; O´Brien, 1988).
Die afferente Innervation der Blase erfolgt von Mechanorezeptoren über die Nervi pelvini und
den Plexus pelvinus zum sakralen Miktionszentrum. Zusätzlich befinden sich in der
Blasenwand Nozizeptoren, die Reize über die Nervi pelvini und die Nervi hypogastrici ins
Rückenmark vermitteln. Schmerzhafte Überdehnung der Blasenwand kann daher über die
Nervi hypogastrici auch bei starker Traumatisierung des Sakralmarks wahrgenommen
werden. Der Harnfluss, Dehnungszustand und schmerzhafte Reize in der Urethra werden über
den Nervus pudendus ins Rückenmark geleitet (Fletcher und Bradley, 1978; DeLahunta,
1983; O´Brien, 1988; Nickel et al., 1992).

Die Innervation von Mastdarm und Rektum erfolgt über entsprechende Bahnen. Zusätzlich
besteht jedoch eine autonome Steuerung über das intramurale Nervensystem. Der Musculus
sphincter ani externus wird über den Nervus perinealis profundus und rectalis caudalis
innerviert, der aus dem Nervus pudendus hervorgeht (DeLahunta, 1983; Nickel et al., 1992).

Material und Methoden
Von 1992 bis Januar 2001 wurden an der Chirurgischen Veterinärklinik, Kleintierchirurgie,
der Justus-Liebig-Universität Gießen 53 Katzen mit Schwanzabriss vorgestellt. Der
Heilungsverlauf der entlassenen Patienten wurde durch telefonische Befragung (n=32) und
klinische Nachuntersuchung (n=5) ermittelt. 16 Katzen wurden in der Chirurgischen
Veterinärklinik der Universität Gießen euthanasiert.
47 europäische Kurzhaarkatzen (EKH), drei Perserkatzen, zwei Siamkatzen und eine
Norwegische Waldkatze waren betroffen. Das Alter der Patienten lag zwischen 6 Monaten
und 13 Jahren (Ø 3,4 Jahre, Median: 2,0 Jahre). 13 Tiere waren männlich (24,5%), 19
männlich kastriert (35,8%), 11 weiblich (20,8%) und 10 weiblich kastriert (18,9%). Alle
vorgestellten Tiere wurden klinisch-orthopädisch und klinisch–neurologisch untersucht.
Anschließend wurden bei allen Tieren Röntgenaufnahmen der kaudalen Wirbelsäulen- und
proximalen Schwanzabschnitte im latero-lateralen und bei 24 Katzen zusätzlich im ventro-
dorsalen Strahlengang angefertigt.
43 Patienten (81,1%) wurden konservativ behandelt, während 10 Katzen (18,9%) chirurgisch
versorgt wurden. Alle 53 Tiere erhielten Boxenruhe und wurden je nach Befund antibiotisch
behandelt. Bei fehlendem Urinabsatz wurde die Blase zwei bis drei mal täglich manuell
entleert und die Patienten erhielten Phenoxybenzamin1 und Bethanechol2.
In 5 Fällen wurde die Amputation des Schwanzes vorgenommen, wobei zwei Katzen der
Schwanz zwischen dem vierten und fünften, sowie sechsten und siebten Schwanzwirbel
amputiert wurde. Bei zwei Tieren erfolgte die Amputation zwischen S3/Cy1 und bei einer im
zweiten Schwanzwirbel. Bei drei Tieren (S2/3-Fraktur: n= 2; S3/Cy1-Luxation: n=1) wurde
eine Hemilaminektomie mit zusätzlicher Fixation durch Drahtcerclagen durchgeführt. Bei
einer Katze mit S3-Fraktur und S3/Cy1-Luxation wurde eine Laminektomie mit
Weichteilnaht und bei einer weiteren mit S2/3-Fraktur nur eine Hemilaminektomie
angewandt.

1
       Dibenzyran ® 5/10mg, Kapseln; Procter & Gamble Pharmaceuticals, Dr.-Otto-Röhm-Str.2-4, 64331
       Weiterstadt, Deutschland
2
       Myocholine-Glenwood ® 10/25mg, Tabletten; Glenwood GmbH Pharmazeutische Erzeugnisse,
       Riedener Weg 23,82319 Starnberg, Deutschland

                                                                                       3
Der Beobachtungszeitraum bei gestörter Miktion lag bei erfolgreich behandelten Tieren im
Durchschnitt bei 33,1 Tagen (3 bis 201 Tage), während die behandelten, aber euthanasierten
Patienten über 22,9 Tage therapiert wurden (8 bis 108 Tage). 9 Patienten (17,0%) wurden auf
Wunsch des Besitzers oder wegen zusätzlicher Verletzungen ohne Therapie euthanasiert (0
bis 2 Tage).
Um objektivierbare Kriterien zur prognostischen Bewertung des sogenannten
Schwanzabrisses zu ermitteln, wurde die Dislokation des frakturierten oder abgerissenen Teils
des Kreuzbeins oder Schwanzes auf den Röntgenbildern ausgemessen.
Die Höhendislokation wurde in einer senkrechten Linie vom kaudalen Ende des
Spinalkanalbodens des kranialen Fragments zum kranialen Rand des Wirbelkanals des
kaudalen Fragments gemessen (Abbildung 2). Zwischen Dislokation nach dorsal oder ventral
wurde nicht differenziert Die Breitenverschiebung entsprach der Distanz des gleichseitigen
lateralen Wirbelrands am kranialen und kaudalen Fragment (Abbildung 3). Die Länge wurde
durch Subtraktion des Abstands der Mitte beider Wirbelkörper/Fragmente und dem
physiologischen Abstand errechnet. Dabei beschreibt ein positiver Wert die Dislokation nach
kaudal (Distraktion) und ein negativer Wert die Dislokation nach kranial (Abbildung 4).

Ergebnisse
Lokalisation der Verletzung

In unserem Patientengut trat der Schwanzabriss nach der Häufigkeit zwischen dem Os sacrum
und dem ersten Schwanzwirbel (S3-Cy1: n=24), zwischen dem zweiten und dritten
Kreuzwirbel (S2/3: n=12), als Fraktur des dritten Kreuzwirbels (S3: n=7) und zwischen dem
ersten und sechsten Schwanzwirbel (Cy1/2, Cy2/3, Cy 2-6: n=7) auf. Am seltensten kamen
Frakturen zwischen dem ersten und zweiten sowie des zweiten Kreuzwirbels (S1/2: n=2; S2:
n=1) vor (Diagramm 1).

                                                        24
        25

        20
                                         12
        15
                                               7
        10                                                          3           3
                         2
                  0           1                                                             1
         5

         0
             S1

                  S1/2

                         S2

                                  S2/3

                                          S3

                                                   S3/Cy1

                                                            Cy1/2

                                                                        Cy2/3

                                                                                    Cy2-6

Diagramm 1: Lokalisation des Schwanzabrisses (n= 53)

18 der 53 Katzen (34,0%) konnten nach dem Trauma selbständig Urin absetzen. Bei 10 dieser
Patienten (55,5%) lag ein Abriss zwischen dem dritten Kreuz- und ersten Schwanzwirbel, bei
drei (16,6%) eine Fraktur des dritten Kreuzwirbels, bei zwei (11,1%) ein Bruch zwischen dem
zweiten und dritten Kreuzwirbel und bei je einem (5,6%) eine Fraktur zwischen dem ersten
und zweiten Kreuzwirbel oder eine Luxation zwischen dem ersten und zweiten sowie zweiten
und dritten Schwanzwirbel vor.

                                                                                                4
9 Tiere (17,0%) wurden sofort wegen weiterer Verletzungen oder auf Wunsch des Besitzers
euthanasiert.
26 Katzen zeigten eine gestörte Miktion und wurden behandelt. 15 dieser Patienten (57,7%)
konnten nach durchschnittlich 30,9 Tagen (3 bis 201 Tage) wieder Urin absetzen, während 11
Katzen wegen fehlender Besserung nach 22,9 Tagen (8 bis 108 Tage) euthanasiert wurden
(Diagramm 2).

        10                    8
         9
         8     6
         7
         6
         5             3                                                                      Genesung
         4                                2 2          2                                      Euthanasie
         3                                                          1 1             1
         2         0               0               0       0 0                 0          0
         1
         0
             3-7

                       8-14

                                  15-30

                                           31-60

                                                   61-90

                                                           91-120

                                                                     121-150

                                                                                   >150

Diagramm 2: Behandlungsdauer bei gestörter Miktion in Tagen (n=26)

Vergleich von sakrokokzygealer Luxation und Kreuzbeinfraktur

22 der 53 Katzen (41,5%) wiesen Frakturen des Os sacrum auf. 6 Tiere zeigten nach dem
Trauma eine normale Miktion, während 7 Patienten zwischen 4 und 201 Tagen (Ø 53,3 Tage)
keinen Urin absetzen konnten. Drei Katzen wurden auf Wunsch des Besitzers sofort und 6
nach 10 bis 108 Tagen (Ø 30 Tage) wegen fehlender Besserung euthanasiert (Diagramm 3
und 4).

                 Sofort
               Euthanasie                                           Erhaltener
                 13,6%                                              Urinabsatz
                                                                      27,3%
      Euthanasie
         nach
       Therapie
        27,3%                                              Temporär
                                                            gestört
                                                             31,8%

Diagramm 3: Urinabsatzfähigkeit bei Kreuzbeinfrakturen (n=22)

                                                                                                           5
220                                            201
                  200
                  180
                  160                                                                              108
                  140                                                           21       77
                  120
                  100                                  34             14
                          42
                   80                                10              13
                   60                                5             10                4        14
                   40
                   20
                    0
                          S2

                                       Euthanasie

                                                      S2/3

                                                                   Euthanasie

                                                                                     S3

                                                                                              Euthanasie
                                                                      S2/3
                                           S2

                                                                                                  S3
Diagramm 4: Behandlungsdauer (in Tagen) bis zum selbständigen Urinabsatz oder zur Euthanasie (n=13)

31 von 53 Patienten (58,5%) wurden mit sakrokokzygealer oder kokzygealer Luxation
vorgestellt. 12 Katzen konnten nach dem Trauma Urin absetzten, während 8 Tiere zwischen 3
und 150 Tagen (Ø 34,1 Tage) eine temporäre Miktionsstörung zeigten. 6 Katzen wurden auf
Besitzerwunsch sofort und 5 nach 8 bis 25 Tagen (14,4 Tage) wegen fehlender Besserung
euthanasiert (Diagramm 5 und 6).

              Sofort
            Euthanasie
              19,4%                                 Erhaltener
                                                    Urinabsatz
        Euthanasie                                    38,7%
           nach
         Therapie
          16,1%
                          Temporär
                           gestört
                            25,8%

Diagramm 5: Urinabsatzfähigkeit bei sakrokokzygealen oder kokzygealen Luxationen (n=31)

                150
          160
          140
          120 90
          100
           80
                           25
           60 8         14      9
           40 4      11       3                                    45
                    8
           20
            0
                 S3/Cy1

                          Euthanasie

                                          Cy1/2

                                                    Euthanasie

                                                                   Cy2/3 &
                                                                                Euthanasie
                                                                   kaudal

                                                                                 Cy2/3 &
                            S3/Cy1

                                                                                  kaudal
                                                      Cy1/2

                                                                                                           6
Diagramm 6: Behandlungsdauer (in Tagen) bis zum selbständigen Urinabsatz oder zur Euthanasie (n=13)

Defäkationsstörungen

28 von 53 Katzen (52,8%) zeigten nach dem Trauma einen normalen Kotabsatz, während 15
Tiere (28,3%) Koprostase und zwei (3,8%) Kotinkontinenz zeigten. Bei 8 Patienten (15,1%)
konnte retrospektiv der Kotabsatz nicht beurteilt werden (Diagramm 7).

      4

      3
                                                  Geringgradig
      2                                           Mittelgradig
                                                  Hochgradig
      1

      0
          S1/2   S2/3   S3   S3/Cy1 Cy2/3

Diagramm 7: Häufigkeit von Koprostase in Bezug zur Traumalokalisation (n=15)

Eine Katze mit geringgradiger Koprostase (S3/Cy1-Luxation), drei mit mittelgradigen (S2/3-
Fraktur: n=2; S3-Fraktur: n=1) und zwei mit hochgradigen Kotabsatzproblemen wurden
wegen ausbleibender Besserung von Miktion und Defäkation nach 8 bis 108 Tagen (Ø 29,2
Tage) euthanasiert.

Klinisch-neurologische Befunde

9 Katzen hatten nach dem Trauma erhaltenes Schmerzempfinden im Schwanz. 7 dieser Tiere
hatten eine sakrokokzygeale Luxation, wobei 6 selbständig Urin absetzen konnten. Eine Katze
zeigte nach 4 Tagen wieder normale Miktion. Bei zwei Patienten war der dritte Kreuzwirbel
frakturiert, wobei eine keine Absatzstörung aufwies und die andere nach 77 Tagen wieder
Urin absetzen konnte. 23 Katzen zeigten kein Schmerzempfinden im Schwanz. 6 dieser Tiere
hatte keine Urinabsatzstörung (S1/2-Fraktur: n=1; S2/3-Fraktur: n= 1; S3-Fraktur: n=2;
S3/Cy1-Luxation: n=2) und bei 7 verschwanden die Miktionsprobleme während der Therapie
(S2/3-Fraktur: n=3; S3/Cy1-Luxation: n=1; Cy1/2-Luxation: n=1; Cy2/3-Luxation: n=2).
Zwei Patienten (S1/2-Fraktur: n=1; S3/Cy1-Luxation: n=1) wurden ohne Therapie auf
Wunsch des Besitzers und 8 im Laufe der Behandlung euthanasiert (S2/3-Fraktur: n=2; S3-
Fraktur: n= 2; S3/Cy1-Luxation: n=4). Bei 21 Tieren konnte das Schmerzempfinden
retrospektiv nicht mehr ermittelt werden.
4 Patienten zeigten eine Paraparese (S3-Fraktur: n=1; S3/Cy1-Luxation: n=3), wobei zwei
Katzen mit S3/Cy1-Luxation normal Urin absetzen konnten und die beiden anderen wegen
ausbleibender Besserung nach 8 und 108 Tagen euthanasiert wurden.

Vergleich radiologischer und klinischer Befunde

Die Dislokation der Fragmente wurde unabhängig von ihrer Lokalisation auf
Röntgenaufnahmen in latero-lateralem und ventro-dorsalem Strahlengang ausgemessen und

                                                                                       7
verglichen. Dabei zeigte sich, dass Frakturen oder Luxationen mit Dislokation nach kranial
(negative Längendislokation) eine deutlich günstigere Prognose zu haben scheinen als
vergleichbare Verletzungen mit Dislokation nach kaudal (positive Längendislokation). Von
12 Katzen mit einer Verschiebung des kaudalen Fragments nach kranial zeigten 6 keine
gestörte Miktion und drei konnten nach drei (n=1) und vier Tagen (n=2) wieder normal Urin
absetzen. Bei einer Katze musste die Blase über 60 Tage bis zum selbständigen Urinabsatz
manuell entleert werden. Zwei Tiere wurden sofort auf Wunsch des Besitzers euthanasiert.
Von 41 Tieren mit Dislokation des Fragments nach kaudal (positive Längendislokation)
konnten 12 nach dem Unfall sofort und drei innerhalb einer Woche normal Urin absetzen. 9
benötigten länger als eine Woche und 11 Tiere wurden innerhalb von drei bis 108 Tagen
eingeschläfert. 7 Katzen wurden sofort euthanasiert, so dass bei diesen keine Beurteilung
möglich war.

Therapie

10 Katzen (18,7%) wurden chirurgisch versorgt. Alle hatten im gesamten Schwanz distal der
Traumastelle kein Schmerzempfinden. Bei drei Patienten war vor der Operation der
Urinabsatz erhalten, 5 zeigten postoperativ nach 8 bis 201 Tagen (Ø 67,6 Tage) normale
Miktion. Zwei Katzen wurden nach 14 und 21 Tagen auf Wunsch des Besitzers euthanasiert.
Bei zwei Tieren mit Fraktur zwischen dem zweiten und dritten, beziehungsweise im dritten
Kreuzwirbel wurde eine Laminektomie mit Fixation des Fragments durch Weichteilnaht
durchgeführt. Dabei erholte sich die Katze mit S2/3-Fraktur innerhalb von 201 Tagen,
während die andere wegen schwerer Wundheilungsstörungen nach 6 Tagen euthanasiert
werden musste. Bei drei weiteren Patienten wurde das abgerissene Fragment durch
Verdrahtung des Prozessus spinosus des zweiten Kreuzwirbels mit den Prozessus artikulares
des dritten Kreuzwirbels fixiert. Durch die Fixation kam es zur Rotation des kaudalen Wirbels
nach ventral, die zu iatrogener Einengung des Wirbelkanals führte. Zwei der Katzen wurden
wegen unveränderter Urinabsatzstörungen nach zwei und sechs Wochen auf Besitzerwunsch
euthanasiert, während die dritte nach 90 Tagen begann, selbständig Urin abzusetzen.
Die Zeit bis zum selbständigen Urinabsatz (n=5) betrug nach der Operation durchschnittlich
135,2 Tage (8 bis 201 Tage), während die euthanasierten Katzen (n=2) im Schnitt nach 14 bis
21 Tagen (∅ 17,5 Tage) noch keine Erholung zeigten.

Pathologisch-histologische Ergebnisse

5 Katzen wurden nach der Euthanasie seziert und das kaudale Rückenmark histologisch
untersucht. Zwei Tiere wurden wegen einer Fraktur zwischen dem zweiten und dritten
Kreuzwirbel und drei nach sakrokokzygealer Luxation euthanasiert.
Eine Katze mit Luxation S3/Cy1 wies geringgradige histologische Veränderungen des
Myelons auf, während 4 Tiere Malazie des Sakral- und kaudalen Lendenmarks zeigten.
Eine der Katzen mit S2/3-Fraktur wies Malazien der grauen und weißen Substanz im Bereich
der kaudalen Lendensegmente mit Abräumreaktionen und herdförmiger Gliose auf. Bei der
zweiten wurden im kaudalen Lenden- und Sakralmark, der Cauda equina und beiden Nervi
ischiadici eine herdförmige, aber massive, degenerative Myelopathie gefunden, die von
ausgeprägtem Faseruntergang, herdförmiger Gliose, Dilatation der Myelinscheiden und
Lipophagenansammlung im Sinne einer Malazie begleitet war (Abbildung 5).
Bei zwei der drei sezierten Tiere mit Luxation S3/Cy1 zeigten sich ebenfalls ausgeprägte
Malazieherde im Sakral- und Lendenmark, die bei einer der Katzen bis zum ersten
Lendenmarksegment (L1) reichten. Dabei war bei einem der Tiere die graue und weiße

                                                                                  8
Substanz betroffen und wies einen breiten peripheren Gitterzellsaum im Sinne einer
demarkierenden Abräumreaktion auf. In den kaudalen Lendenmarkabschnitten waren
geschwollene Axone, Sphaeroide und Makrophagen innerhalb der Myelinscheiden erkennbar,
die als beginnende aufsteigende Malazie interpretiert werden können (Abbildung 6). Das
Rückenmark der zweiten Katze wies ausgeprägte subdurale Blutungen bis zum ersten
Lendenwirbelkörper und intramedulläre Blutungen bis in die Intumescentia lumbalis auf.
Histologisch lag eine vollständige Malazie von L1 bis zum Filum terminale vor. Die dritte
Katze mit sakrokokzygealer Luxation zeigte außer geringgradigen subduralen Blutungen
zwischen     dem     ersten    und   dritten   Lendenwirbelsegment    keine     weiteren
Rückenmarksveränderungen.

Diskussion
In der Literatur finden sich nur wenige Arbeiten über die Einteilung des Schwanzabrisses der
Katze. Nach den eigenen Untersuchungen ist vor allem der kaudale Bereich des Os sacrum
und der Schwanzansatz betroffen, während kraniale Kreuzbeinverletzungen seltener
vorkommen. Auch Sinzinger (1998) konnte unter 13 Katzen mit Schwanzabriss nur
Luxationen des dritten Kreuz- und ersten Schwanzwirbels feststellen. Im Gegensatz dazu fand
Dorn (1998) bei 276 Katzen in 73,6% der Patienten Kreuzbeinfrakturen und in nur 26,4%
sakrokokzygeale Luxationen.
Kuntz (1995) schlägt ein modifiziertes Schema für Frakturen des Os sacrum des Hundes vor,
wobei er zwischen axialer und abaxialer Fraktur unterscheidet. Anderson und Coughlan
(1997) modifizierten die Einteilung nach Bonnin (1945), indem sie 5 Frakturtypen des Os
sacrum unterschieden. Dorn (1998) unterscheidet in ihrer Untersuchung ebenfalls zwischen
abaxialen und axialen Kreuzbeinfrakturen. Von 70 Katzen mit abaxialer Kreuzbeinfraktur
hatten nur zwei (2,6%) zeitweise Urinabsatzprobleme, eine blieb dauerhaft inkontinent und 6
(7,7%) konnten wegen sofortiger Euthanasie nicht beurteilt werden. In unserem Patientengut
fanden sich nur Quer- und Schrägfrakturen des Kreuzbeins sowie sakrokokzygeale und
kokzygeale Luxationen, so dass diese differenzierte Untergliederung der anderen Autoren
nicht angewandt und Ergebnisse verglichen werden konnten. Die Miktionsstörung bei Katzen
mit abaxialen Frakturen könnte gegebenenfalls durch Schädigung des Plexus pelvinus
entstanden sein und würde damit eine Komplikation der meist begleitenden Beckenfraktur
statt des Wirbelsäulentraumas darstellen. Wir schlagen deshalb vor, abaxiale
Kreuzbeinfrakturen von der Definition des Schwanzabrisses der Katze auszuschließen, um
eine anatomisch orientierten Vermischung von verschiedenen Krankheitsbildern zu
vermeiden.
Die klinisch-neurologische Untersuchung unserer Patienten ergab eine unzureichende
Korrelation zur Prognose. Die Haltungs- und Stellreaktionen, sowie die spinalen Reflexe sind
beim Schwanzabriss nur in seltenen Fällen beeinträchtigt. Der Analreflex wird durch
Schmerzen im kaudalen Bereich häufig unterdrückt, während der Perinealreflex bei der Katze
nur schwierig auszulösen und damit ungeeignet ist. Lediglich erhaltenes Schmerzempfinden
im Schwanz ist mit einer guten Prognose verbunden. Alle Patienten konnten Urin absetzen
oder erlangten die Fähigkeit dazu innerhalb von 4, 10 und 77 Tagen wieder.
Die Auswertung der Röntgenaufnahmen zeigte eine deutlich günstigere Prognose bei
Dislokation des kaudalen Fragments nach kranial. Zwischen der Weite der Dislokation nach
kaudal, dorso-ventral und lateral konnte kein Zusammenhang zum weiteren Krankheitsverlauf
hergestellt werden. Die Entscheidung zur Therapie oder Euthanasie in Abhängigkeit von der
Länge des entstehenden Fraktur- oder Luxationsspalts scheint uns daher nicht sinnvoll.
Bislang können wir den günstigeren Verlauf bei kranialer Dislokation nicht erklären. Falls

                                                                                 9
sich der Befund jedoch durch größere Patientenzahlen bestätigen lässt, wäre damit eine
Möglichkeit zur prognostischen Bewertung gegeben.
34% unserer Patienten konnte nach dem Trauma Urin absetzen und 28,3% waren nach
Behandlung wieder dazu in der Lage. Damit überlebten 62,3% der Katzen den Schwanzabriss.
Dorn (1998) fand übereinstimmend mit den eigenen Ergebnissen bei 198 Katzen mit
vergleichbaren Verletzungen in 60,6% (n=120) erhaltenen Urinabsatz oder temporäre
Dysfunktion.
Wir konnten in Bezug auf die Fähigkeit zum selbständigen Urinabsatz keinen deutlichen
Unterschied innerhalb der Gruppe mit Fraktur des Os sacrum sowie zwischen dieser und
Patienten mit sakrokokzygealer Luxation feststellen. 59,1% der Tiere mit Kreuzbeinfraktur
und 64,5% der Katzen mit sakrokokzygealer oder kokzygealer Luxation zeigte nach dem
Trauma oder im Laufe der Behandlung wieder normale Miktion. Damit stimmen die
Ergebnisse mit denen von Dorn (1998) überein, die bei 62,4% der Katzen (n= 78) mit axialer
Kreuzbeinfraktur und 65,8% (n=48) der Patienten mit sakrokokzygealer oder kokzygealer
Luxation vorhandenen Urinabsatz oder Heilung feststellte.
Kotabsatzprobleme sind nach sakrokaudaler Verletzung selten zu beobachten (DeLahunta,
1983). 17 von 53 Patienten (32,1%) unserer Untersuchung zeigten nach dem Schwanzabriss
Kotabsatzprobleme, die bei 9 Patienten klinisch relevant waren. 7 dieser Tiere wurden trotz
Therapie euthanasiert. Dorn (1998) fand nur in 1,6% der Katzen mit Kreuzbeinfraktur und
8,2% mit sakrokokzygealer Luxation Koprostase oder Inkontinenz. Wir konnten keine
Korrelation zwischen dem Auftreten von Kotabsatzproblemen und der Traumalokalisation
herstellen.
Dorn (1998) vermutet, dass Frakturen kaudal des zweiten Kreuzwirbels zu einer isolierten,
mechanischen Schädigung des dritten Kreuznerven sowie der Schwanznerven führen könnten,
der für die Blaseninnervation wichtige erste und zweite Sakralnerv jedoch nicht beschädigt
wird. Diese Theorie konnte durch ihre Untersuchung jedoch nicht bestätigt werden. Im
Gegensatz dazu gehen wir auf Grund unserer klinischen und pathologisch-histologischen
Ergebnisse davon aus, dass die neurologischen Ausfälle nicht nur durch mechanisch-primäre
Traumatisierung, sondern vor allem auch durch sekundäre Schäden des Sakral- und kaudalen
Lendenmarks verursacht werden könnten. Die klinischen Symptome bei Kreuzbeinfrakturen
und sakrokokzygealen Luxationen sind in Art, Häufigkeit und Dauer ähnlich. Ebenso wurden
bei Verletzungen an beiden Lokalisationen malazische Veränderungen im Lendenmark
gefunden, die durch mechanische Traumata nicht zu erklären sind.
Bei S3/Cy1-Luxation sind die abgehenden Äste des Nervus pudendus und pelvinus in den
Foramina sacralia relativ geschützt und fixiert. Durch den Abriss des Filum terminale entsteht
jedoch am Conus medullaris ein schweres Trauma, das zu Ödematisierung und Ischämie,
Demyelinisierung, Radikalbildung, Calpainaktivierung (Ca+-abhängige, intrazelluläre
Enzyme) und Membrandegeneration führt. Die Vorgänge sind Teil der sekundären
Schädigungsmechanismen, wie sie allgemein bei Traumata des zentralen Nervensystems
auftreten und zum Untergang der Neuronen und Gliazellen führen. In der Folge dieser
Vorgänge ist damit zu rechnen, dass es auch beim Schwanzabriß zur Induktion von Apoptose
von Neuronen und Gliazellen kommt (Demopoulos et al., 1982; National Institute of
Neurological Disorders and Stroke, 1999). Durch aufsteigende Malazie des Rückenmarks sind
die Kerne des ersten bis dritten Sakralnerven und weiter proximal gelegene Gebiete betroffen.
Diese Theorie könnte malazische Herde bei drei Patienten mit sakrokokzygealer Luxation
erklären, die bis in die Lumbalsegmente reichten. Weitere pathologisch-histologische
Untersuchungen müssen folgen, um diese Theorie zu belegen.
Diese Theorie führt zu einem medikamentellen Therapieschema, das bei traumatischen
Schädigungen des Rückenmarks angewandt wird. Das Ziel ist die möglichst schnelle
Unterbindung der sekundären, das Rückenmark schädigenden Mechanismen. Durch die Gabe
von Methylprednisolon Sodium Succinate (MPSS) wird versucht, die Sekundärschäden zu

                                                                                   10
minimieren. Antioxidantien (Vitamin C, Vitamin E, Selen) sollen den schnellen Verbrauch
der im Plasma vorhandenen Radikalantagonisten abpuffern und so der Membranoxidation
entgegenwirken. Aus experimentellen Studien und empirischer Erfahrung ist bekannt, dass
die Applikation von MPSS nur im frühen Stadium effektiv ist. Bei Rückenmarkverletzungen,
die länger als 24 Stunden zurückliegen, sollten keine Kortikosteroide mehr angewandt werden
(Braughler und Hall, 1982; Demopoulos et al., 1982; Braughler und Hall, 1984; Anderson et
al., 1985; Holz et al., 1990; Bracken et al., 1992, 1997). Ein allgemeines Behandlungsschema
ist in Tabelle 6 wiedergegeben (Brown und Hall, 1992).

Methylprednisolon*                           Antioxidantien

Zeitpunkt           Dosierung                Wirkstoff       Dosierung            Dauer
Initial             30 mg/kg KM              Vitamin E       30 mg/kg KM          14-21 Tage
Nach 2 Stunden      15 mg/kg KM              Vitamin C       30 mg/kg KM          14-21 Tage
Nach 6 Stunden      15 mg/kg KM              Selen           0,2-0,4 mg/kg KM     3-4 Tage
Anschließend        2,5 mg/kg KM/Stunde
für 24 Stunden
* nur bei Traumata < 24 Stunden

Tabelle 1: Allgemeines Therapieschema bei akuten Traumata des zentralen Nervensystems

Bei 10 Katzen führten wir Operationen durch. Das Ziel dabei war, stark traumatisiertes und
nekrotisches Gewebe durch Wunddebridment zu entfernen, eventuell noch vorhandenem Zug
des Filum terminale am Conus medullaris vorzubeugen und Traumatisierung oder
Automutilation des abgerissenen Schwanzes zu verhindern. Der Eingriff ist einfach
durchführbar und hat gegenüber dem konservativen Vorgehen den Vorteil, endogener
Toxinbildung durch fortschreitende Nekrose im abgerissenen Schwanzteil vorzubeugen,
sowie das geschädigte Gebiet direkt beurteilen zu können. Zusätzlich wird durch weitere
Informationen die Möglichkeit der Prognosestellung verbessert (Abbildung 7). Ebenso kann
durch Adaptation entsprechender Gewebeschichten ein besserer Schutz umliegender
Strukturen (z.B. des Rektums) vor entzündlich-nekrotischen Prozessen gewährleistet werden
(Abbildung 8). Als Komplikation der Stabilisation kam es durch die Verdrahtung des
Processus spinosus von S2 mit den Processus articulares des dritten Kreuzwirbels bei zwei
Patienten (22,3%) zur Rotation des kaudalen Wirbelkörpers, der eventuell weitere Schäden
bewirkt hat (Abbildung 9 und 10). Sinzinger (1998) beschreibt die Fixation durch gekreuzte
und parallele Spickung der Wirbelkörper mit Kirschnerbohrdrähten, sowie die Stabilisation
durch Cerclagen an den Wirbelquerfortsätzen. Diese Methoden wurden von uns bisher nicht
angewandt.
Bei der konservativen Therapie oder zu weit kaudal durchgeführter Amputation können die
Fragmente in unphysiologischer Stellung verwachsen, wodurch der Kotabsatz beeinträchtigt
werden kann. Diese Fehlstellung trat bei einer Katze mit Fraktur zwischen dem zweiten und
dritten Kreuzwirbel auf, bei der das Schwanzfragment wegen Mumifikation im vitalen
Bereich zwischen dem sechsten und siebten Schwanzwirbel amputiert wurde (Abbildung 11).
Die nachträgliche Korrektur dieser Verwachsung ist schwierig, da es zu weiteren neurogenen
Schäden oder aszendierender Wundheilungsstörung kommen kann.

Schlussfolgerungen
Die Prognose beim Schwanzabriss der Katze muss vorsichtig gestellt werden. Ein großes
Problem stellt bei fehlendem Urinabsatz die mangelnde Korrelation klinischer und
                                                                                        11
radiologischer Befunde mit der Prognose dar. Über 60% der Patienten konnten nach dem
Trauma oder im Laufe der Behandlung selbständig Urin absetzen, wobei zwischen den
unterschiedlichen Lokalisationen keine deutlichen Unterschiede bestanden.
Wir haben bisher nur eine kleine Patientengruppe operativ versorgt. Wegen der geringen Zahl
ist noch keine Aussage über Vor- und Nachteile von verschiedenen Operationsverfahren
gegenüber konservativer Therapie möglich. Wir sehen jedoch angesichts der beschriebenen
Vorteile häufig die Indikation zur Operation gegeben.
Die Defäkation war nur in seltenen Fällen gestört. Somit scheint der Kotabsatz beim
Schwanzabriss der Katze nicht im Vordergrund der Problematik zu stehen. Dennoch ist die
Beurteilung des voraussichtlichen Heilungsverlaufs bei Koprostase oder Kotinkontinenz
ebenso schwierig wie bei Miktionsproblemen und darf nicht vernachlässigt werden.

Anschrift des Verfassers: Oliver Lautersack, Chirurgische Veterinärklinik (Kleintierchirurgie)
der Justus-Liebig-Universität Gießen, Frankfurter Str. 108, 35392 Gießen

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Anhang

Legende der Abbildungen

Abbildung 1: Gelähmter Schwanz und Parese der Hintergliedmaßen nach Schwanzabriss

Abbildung 2: Dislokationsgrad in der Höhe

Abbildung 3: Dislokationsgrad in der Breite

Abbildung 4: Dislokationsgrad in der Länge

Abbildung 5: Malazischer Herd mit herdförmiger Nekrose und ausgeprägter Infiltration von Gitterzellen

Abbildung 6: Herdförmig degenerative Myelopathie mit dilatierten Axonen, Sphaeroiden und einzelnen in
Myelinscheiden gelegenen Makrophagen

Abbildung 7: Intraoperativer Befund: Abgerissenes Schwanzfragment mit von dorsal sichtbarem,
freiliegendem Rektum und 4,8 cm im kranialen Bereich abgerissenes Filum terminale. Die Katze konnte
selbständig Urin absetzen.

Abbildung 8: Intraoperativer Befund: Abgerissener Schwanz mit starker Traumatisierung des
umliegenden Gewebes und Blick auf das freiliegende Rektum von dorsal.

Abbildung 9: Röntgenbild in latero-lateralem Strahlengang: Fraktur S2/3 mit Zustand nach
Laminektomie und Fixation durch chirurgischen Draht

Abbildung 10: entsprechend Abbildung 10, ventro-dorsaler Strahlengang

Abbildung 11: Verwachsung des abgerissenen Schwanzes in unphysiologischer Stellung mit sekundärer
Koprostase

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