Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit - Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit
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Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Studium und Gesundheit Die Ergebnisse aus dem Projekt zur »Gesundheit Studierender in Deutschland 2017« legen nahe, dass es Studierenden gesundheitlich schlechter geht als altersgleichen Nichtstudieren- den (Grützmacher et al., 2018). Zwar schreibt sich mit nahezu 82 % der überwiegende Teil der Studierenden eine gute oder sehr gute Gesundheit zu, dieser Wert liegt jedoch deutlich unter dem einer altersgleichen repräsentativen Stichprobe (Robert Koch-Institut, 2014). Insbesondere weibliche Studierende berichten vielfältige physische und psychische Beschwerden: 21,2 % von ihnen leiden unter Symptomen einer generalisierten Angststörung, mehr als drei Viertel haben mindestens ein paar Mal im Monat körperliche Beschwerden, wie z. B. Kopf-, Glieder- oder Rückenschmerzen, und mehr als ein Viertel klagt über ein hohes Maß an Erschöpfung (Grützmacher et al., 2018). Ihren männlichen Kommilitonen geht es zwar physisch und psy- chisch vergleichsweise besser, sie berichten allerdings anteilig seltener, mit ihrem Leben weni- ger zufrieden zu sein. Allerdings zeigt sich auch nahezu die Hälfte der Studierenden hoch en- gagiert im Studium – ein Ausdruck für psychisches Wohlbefinden (Grützmacher et al., 2018). Dennoch, wenn es Studierenden gesundheitlich schlechter geht als altersgleichen Nichtstudie- renden, liegt es nahe, dies auf Ursachen zurückzuführen, die mit dem Studium verbunden sind. Das können Freiräume bzw. Gestaltungsspielräume sein, die mit der spezifischen Le- benssituation Studierender verbunden sind. So lokalisieren verschiedene Autor:innen den (zu- nehmenden) Stress im Studium als Ursache für Gesundheitseinbußen (Cotton et al., 2002; Galbraith & Merrill, 2012; Lesener et al., 2020). Als stressauslösend werden in der Regel Belas- tungen im Studium angeführt. Diskutiert wird derzeit, ob die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen – die derzeit nur für Mitarbeitende an Hochschulen verpflichtend ist – auch auf Studierende auszudehnen ist, so wie es in der Unfallverhütungsvorschrift der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gefordert wird (Vorschrift 1, Grundsätze der Prävention). Instrumente zur Erhebung von Gefährdungen bei Studierenden sind aktuell in Erprobung. Gesundheit wird dabei zumeist negativ verstanden, der Blick richtet sich primär auf potenzielle Gefahren- und Gefährdungs- quellen und deren Vermeidung. Dies zeigt sich auch in den noch wenig vorliegenden verhält- nis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsförderung an Hoch- schulen, die insbesondere versuchen, Gefahren für die Gesundheit abzuwenden. Neben die- sem wichtigen Interventionsfeld zeigt sich, dass es Merkmale des Studiums bzw. der Hoch- schule gibt, die vor einer gesundheitsschädigenden Wirkung (studiumsbezogener) Belastun- gen schützen bzw. die Wirkung hoher Belastungen abpuffern können. Diese Merkmale haben zudem eine andere wichtige Funktion: Sie stärken die Gesundheit Studierender jenseits von Krankheit und tragen damit der Vision der Okanagan-Charta (International Conference on Health Promoting Universities & Colleges, 2015) Rechnung, in der Gesundheit als körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden und nicht nur als Abwesenheit von Krankheit verstanden wird. Gesundheitsbezogene Maßnahmen sollen durch eine positive und proaktive Herange- hensweise gekennzeichnet sein, die über individuelles Verhalten hinausreicht und ein breites Spektrum an sozialen und Umwelteinflüssen berücksichtigt. Dies schließt explizit salutogene Ansätze zur Stärkung der Gesundheit Studierender ein. Zitiervorschlag: Lesener, T., Blaszcyk, W., Dastan, B., Gusy, B., Juchem, C., Pleiss, L. S., & Wolter, C. (2022). Healthy Campus – Von der Bestandsaufnahme zur Intervention (Schriftenreihe des AB Public Health: Prävention und psycho- soziale Gesundheitsforschung: Nr. 01/P22). Berlin: Freie Universität Berlin. 1
Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Theoretische Modelle, die zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen Studium und Gesund- heit genutzt werden, sind z. B. das Demand-Control-(Support) Modell (Karasek, 1979), das Mo- dell beruflicher Gratifikationskrisen (Siegrist, 1996), das Job Characteristics Modell (Hackman & Oldham, 1976) oder das Study Demands-Resources Modell (Lesener et al., 2020). Allen Model- len gemein ist, dass sie Merkmale des Studiums als Auslöser für Veränderungen der Gesund- heit annehmen. Die meisten Modelle fokussieren Gesundheitseinbußen. Eine Ausnahme dabei bildet das Study Demands-Resources Modell. Mit diesem kann auch analysiert werden, wie sich günstige Studienbedingungen auf das Wohlbefinden von Studierenden positiv auswirken, im Sinne der oben beschriebenen salutogenen Wirkung von Merkmalen des Studiums auf die Gesundheit. Rahmenmodell zum Einfluss des Studiums auf die Gesundheit Dieses Rahmenmodell – das Study Demands-Resources (SD-R) Modell (Lesener et al., 2020) – hat in diesem Interventionsmanual vor allem einen didaktischen Nutzen: Es dient zur Struktu- rierung des Interventionsmanuals und zur Identifikation von möglichen Ursachen für gesund- heitliche (Fehl-) Entwicklungen. Das Rahmenmodell trägt aktuellen Erkenntnissen der arbeits- und organisationswissenschaftlichen Diskussion Rechnung und differenziert in potenziell schädigende (Belastungen) und förderliche Merkmale (Ressourcen) des Studiums wie auch bei den Outcomes in pathogene (Missbefinden) und salutogene (Wohlbefinden) Indikatoren. Mit diesem theoretischen Rahmen lassen sich sowohl positive als auch negative Wirkungen der Studiensituation auf die Gesundheit abbilden. Die zentralen Annahmen des Modells sind: (1) Als zu hoch empfundene studiumsbezogene Be- lastungen fördern psychisches Missbefinden und schädigen langfristig die Gesundheit sowie die Leistungsfähigkeit, während (2) studiumsbezogene und personale Ressourcen das psychi- sche Wohlbefinden und darüber hinaus die Gesundheit sowie die Leistungsfähigkeit stärken (siehe Abbildung 1). Zum besseren Verständnis werden die wesentlichen Begriffe des Rahmen- modells kurz erläutert. 2
Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Abbildung 1. Das Study Demands-Resources Modell Die wesentlichen Komponenten des Modells Als studiumsbezogene Belastungen – die schädigenden Merkmale des Studiums – werden alle potenziell erschwerenden physischen, psychischen, sozialen oder organisationalen Merkmale eines Studiums bezeichnet, die die Bewältigungsmöglichkeiten Studierender beanspruchen (Lesener et al., 2020). Dazu zählen z. B. eine hohe Arbeitsdichte und -menge, suboptimal ge- staltete Studiengänge und -umgebungen sowie der Umgang mit schwierigen Kommiliton:in- nen (Gusy et al., 2016). Mit studiumsbezogene Ressourcen – die förderlichen Merkmale des Studiums – werden nach Lesener et al. (2020) alle physischen, psychischen, sozialen oder organisationalen Merkmale ei- nes Studiums bezeichnet, die die Bewältigung der Belastungen bzw. der damit verbundenen Kosten erleichtern, studiumsbezogene Ziele erreichbar machen oder die Persönlichkeitsent- wicklung fördern. Als Beispiele für Ressourcen gelten u. a. Handlungsspielräume im Studium, soziale Unterstützung von (Mit-) Studierenden und Lehrenden, Entwicklungsmöglichkeiten und konstruktive Rückmeldung über Studienleistungen (Bakker et al., 2014). Personale Res- sourcen sind Merkmale der Studierenden, die die Ziele des Studiums sowie die persönliche Entwicklung bzw. das persönliche Wachstum stimulieren (Schaufeli & Taris, 2014), wie z. B. ein hohes Maß an Selbstwirksamkeitserleben. Studiumsbezogenes psychisches Missbefinden ist der zentrale pathogene Indikator. Insbeson- dere Erschöpfung ist Ausdruck psychischen Missbefindens und wird von Demerouti et al. (2003) verstanden als extreme Form der Müdigkeit, die aus anhaltenden und intensiven physi- schen, affektiven sowie kognitiven Belastungen im Kontext der Arbeit bzw. des Studiums resul- tiert. Weitere Beispiele für studiumsbezogenes psychisches Missbefinden sind das Stresserle- ben, die depressive Symptomatik sowie die generalisierte Angststörung. 3
Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Studiumsbezogenes psychisches Wohlbefinden ist der zentrale salutogene Indikator. Schaufeli et al. (2002) verstehen unter Wohlbefinden einen positiven und erfüllenden psychischen Zu- stand, der durch Vitalität, Hingabe sowie Vereinnahmung gekennzeichnet ist. Dieser Zustand wird mit Engagement bezeichnet und motiviert zum Studium. Weitere Indikatoren für psychi- sches Wohlbefinden sind die Lebens- sowie die Studienzufriedenheit. Gesundheit sowie Leistungsfähigkeit markieren die Endpunkte des Modells und sind zu ver- stehen als (langfristige) Folgen psychischen Miss- bzw. Wohlbefindens. Anhaltendes Missbefin- den führt zu körperlichen Beschwerden sowie psychischen Erkrankungen und zu Leistungsein- bußen, während anhaltendes Wohlbefinden das persönliche Wachstum sowie die Leistungsfä- higkeit im Studium und darüber hinaus begünstigt (Lesener et al., 2020). Außerdem wirken sich studiumsbezogene Belastungen auch direkt negativ und personale sowie studiumsbezo- gene Ressourcen direkt positiv auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit aus (Brauchli et al., 2015). Empirische Evidenz des Rahmenmodells Das Rahmenmodell mit seinen Annahmen wurde in diversen Studien empirisch untersucht. Mokgele und Rothmann (2014) konnten die essenziellen Wirkannahmen des Modells bestäti- gen. Demnach sind studiumsbezogene Belastungen (z. B. eine zu hohe Arbeitsbelastung bzw. Workload) mit einem hohen Maß an Erschöpfung und darüber hinaus mit physischen Be- schwerden assoziiert. Studiumsbezogene Ressourcen dagegen sind mit einem hohen Maß an Engagement im Studium sowie einem hohen Maß an Lebenszufriedenheit verknüpft (Mokgele & Rothmann, 2014). Robins et al. (2015) präzisieren diese Ergebnisse. Insbesondere die soziale Unterstützung durch Lehrende und Mitstudierende sowie Optimismus und Achtsamkeit als personale Ressourcen tragen zu erhöhtem psychischen Wohlbefinden bei. Eine zu hohe Ar- beitsbelastung sowie die Unsicherheit der eigenen (beruflichen) Kompetenzen dagegen führen zu psychischem Missbefinden. Lesener et al. (2020) konnten die Annahmen des Rahmenmo- dells ebenfalls bestätigen. Neben den genannten studiumsbezogenen Ressourcen tragen bei ihnen die Entwicklungsmöglichkeiten des Studiums maßgeblich zu psychischem Wohlbefin- den und besserer Gesundheit bei. Zeitdruck ist dagegen die primäre studiumsbezogene Belas- tung, die zu psychischem Missbefinden und schlechterer Gesundheit führt (Lesener et al., 2020). Hintergrundinformationen und Interventionen im Projekt »Healthy Campus – Von der Be- standsaufnahme zur Intervention« sind auf der Internetseite der Freien Universität Berlin unter www.fu-berlin.de/healthy-campus/interventionsmanual zu finden. Literatur Bakker, A. B., Demerouti, E. & Sanz-Vergel, A. I. (2014). Burnout and Work Engagement: The JD–R Approach. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 1(1), 389–411. https://doi.org/10.1146/annurev-orgpsych-031413-091235 Brauchli, R., Jenny, G. J., Füllemann, D. & Bauer, G. F. (2015). Towards a Job Demands-Re- sources Health Model: Empirical Testing with Generalizable Indicators of Job Demands, Job 4
Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Resources, and Comprehensive Health Outcomes. BioMed research international, 2015, 959621. https://doi.org/10.1155/2015/959621 Cotton, S. J., Dollard, M. F. & Jonge, J. de (2002). Stress and student job design: Satisfaction, well-being, and performance in university students. International Journal of Stress Manage- ment, 9(3), 147–162. https://doi.org/10.1023/A:1015515714410 Demerouti, E., Bakker, A. B., Vardakou, I. & Kantas, A. (2003). The convergent validity of two burnout instruments: A multitrait-multimethod analysis. European Journal of Psychological Assessment, 19(1), 12–23. https://doi.org/10.1027//1015-5759.19.1.12 Galbraith, C. S. & Merrill, G. B. (2012). Academic and Work-Related Burnout: A Longitudinal Study of Working Undergraduate University Business Students. Journal of College Student Development, 53(3), 453–463. https://doi.org/10.1353/csd.2012.0044 Grützmacher, J., Gusy, B., Lesener, T., Sudheimer, S. & Willige, J. (2018). Gesundheit Studie- render in Deutschland 2017 [Health of Students in Germany 2017]: Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, der Freien Universität Berlin und der Techniker Krankenkasse. https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/ein- richtungen/arbeitsbereiche/ppg/forschung/BwB/bwb-2017/index.html Gusy, B., Wörfel, F. & Lohmann, K. (2016). Erschöpfung und Engagement im Studium: Eine Anwendung des Job Demands-Resources Modells [Exhaustion and engagement in univer- sity students: An application of the Job Demands–Resources Model]. European Journal of Health Psychology, 24(1), 41–53. https://doi.org/10.1026/0943-8149/a000153 Hackman, J. R. & Oldham, G. R. (1976). Motivation through the Design of Work: Test of a The- ory. Organizational Behavior and Human Performance, 16(2), 250–279. International Conference on Health Promoting Universities & Colleges. (2015). Okanagan Charter: An international charter for health promoting universities & colleges. https://open.library.ubc.ca/collections/53926/items/1.0132754 Karasek, R. A. (1979). Job Demands, Job Decision Latitude, and Mental Strain: Implications for Job Redesign. Administrative Science Quarterly, 24(2), 285–308. https://doi.org/10.2307/2392498 Lesener, T., Pleiss, L. S., Gusy, B. & Wolter, C. (2020). The Study Demands-Resources Frame- work: An empirical introduction. International Journal of Environmental Research and Pub- lic Health, 17(14), 1–13. https://doi.org/10.3390/ijerph17145183 Mokgele, K. R. & Rothmann, S. (2014). A structural model of student well-being. South African Journal of Psychology, 44(4), 514–527. https://doi.org/10.1177/0081246314541589 Robert Koch-Institut. (2014). Subjektive Gesundheit. Faktenblatt zu GEDA 2012: Ergebnisse der Studie "Gesundheit in Deutschland aktuell 2012". Berlin. https://www.rki.de/DE/Con- tent/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDown- loadsF/Geda2012/subjektive_gesundheit.pdf;jsessio- nid=1848A7DCBB498EDBB4C8887E80D57D02.2_cid381?__blob=publicationFile Robins, T. G., Roberts, R. M. & Sarris, A. (2015). Burnout and Engagement in Health Profession Students: The Relationships Between Study Demands, Study Resources and Personal Re- sources. Australasian Journal of Organisational Psychology, 8, 115. https://doi.org/10.1017/orp.2014.7 Schaufeli, W. B., Salanova, M., Gonzalez-Roma, V. & Bakker, A. B. (2002). The measurement of engagement and burnout: A two sample confirmatory factor analytic approach. Journal of Happiness Studies, 3(1), 71–92. https://doi.org/10.1023/A:1015630930326 5
Von der Bestandsaufnahme zur Intervention Zum Zusammenhang zwischen Studium und Gesundheit Schaufeli, W. B. & Taris, T. W. (2014). A critical review of the Job Demands-Resources Model: Implications for improving work and health. In G. F. Bauer & O. Hämmig (Hrsg.), Bridging Occupational, Organizational and Public Health: A Transdisciplinary Approach (S. 43–68). Springer Netherlands. Siegrist, J. (1996). Adverse Health Effects of High-Effort/Low-Reward Conditions. Journal of Oc- cupational Health Psychology, 1(1), 27–41. https://doi.org/10.1037/1076-8998.1.1.27 6
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