Lesung Nachtragshaushalt 2020/2021 - Rede Dr. Kristin Brinker

 
WEITER LESEN
Rede Dr. Kristin Brinker

1. Lesung Nachtragshaushalt 2020/2021
   Corona-Haushalt

Berlin, 30. April 2020, 58. Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses
_____________________________________________________________________________________________________

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

seit März 2020 ist nichts mehr wie es war. Corona regiert
Berlin, Deutschland und die Welt. Niemand bleibt ver-
schont. In Berlin werden wichtige Entscheidungen zur Auf-
hebung von Kontaktverboten und Öffnungen von Gastrono-
mie- und Dienstleistungsbetrieben Woche für Woche aufge-
schoben, obwohl die Ansteckungsrate laut offizieller Statis-
tik seit 21. März, also zwei Tage vor Ausrufung des Lock-
downs, unter (R =) 1 liegt.1
Hätte sich der Senat, wie von uns gefordert2, einem „Wett-
bewerb kritischer Intelligenz“ geöffnet und sich von einem
interdisziplinären Expertengremium beraten lassen, wäre
den politischen Entscheidern dieser höchst kritische Um-
stand vermutlich früher aufgefallen. Leider fehlt es nach
1 https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-reproduktionszahl-101.html
https://www.welt.de/wissenschaft/article207456203/Coronavirus-Stefan-Homburg-und-die-Grafik-ueber-die-Deutschland-
spricht.html
https://www.achgut.com/artikel/der_lockdown_und_die_tagesschau
2 AfD-Fraktion Berlin, 09.04.2020, Corona-Krise - Positionspapier der Abgeordnetenhaus-Fraktion; https://www.afd-fraktion.ber-

lin/single-post/2020/04/09/Corona-Krise---Positionspapier-der-Abgeordnetenhaus-Fraktion

                                                                                                                                 1
wie vor an der nötigen „Transparenz, Verhältnismäßigkeit
und Weitsicht“. Wozu führt das?
Wir steuern geradewegs in eine Wirtschafts-und Finanz-
krise, deren Ausmaß sich heute noch gar nicht abschätzen
lässt. Eines ist aber jetzt schon sicher: Viele Betriebe und
Unternehmen branchenweit stehen bereits jetzt vor dem
Aus. Bild-Chef Julian Reichelt konstatiert dazu in einem
Kommentar - Zitat:

         „Unsere Wirtschaft ist schon jetzt so massiv und teilweise
         irreparabel geschädigt, dass unsere Regierung sich
         kaum noch erlauben kann, zuzugeben, in ihrer Schärfe
         überzogen zu haben. Die Experten müssen Recht behal-
         ten, weil sie nicht falsch liegen dürfen. […] Deswegen er-
         leben wir zunehmend Sturheit, Starrsinn und Rechtha-
         berei.“3

Zitat Ende. Dieser Kommentar drückt das ganze Dilemma
der politischen Entscheidungsträger aus. Je länger der Shut-
down anhält, umso gravierender werden die wirtschaftli-
chen und finanziellen Folgen sein. Umso entscheidender ist
aber auch ein sorgsamer Umgang mit Steuergeldern. Ins

3BILD, 30.04.2020, Kommentar zur Corona-Krise Schluss mit Starrsinn in der Corona-Politik!; https://www.bild.de/politik/kolum-
nen/kolumne/coronavirus-kommentar-von-julian-reichelt-schluss-mit-starrsinn-in-der-corona-politik-70279506.bild.html

                                                                                                                             2
nicht mehr Tragfähige ausufern würden die Schuldenlasten,
folgten wir der Forderung der Senatsmitglieder Dr. Lederer
und Dr. Kollatz, die die Einführung von „Eurobonds“ propa-
gieren. Mit Verlaub:

Wer sich für eine Europäische Transfer-, Haftungs- und
Schuldenunion einsetzt, setzt sich gegen ein stabiles Geld-
system und gegen die Achtung der Souveränität der EU-Mit-
gliedsstaaten ein. Er fordert letztlich die Missachtung des
Prinzips der Eigenverantwortlichkeit und der Subsidiari-
tät.4 Deutschland ist jetzt schon größter Nettozahler der EU
– reicht das nicht?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erleben ge-
rade eine beispiellose Einschränkung unserer Freiheits-
rechte. Seriöse Wissenschaftler und freiheitsorientierte Po-
litiker, die aktuelle Zahlen hinterfragen oder sich erlauben,
an den politischen Corona-Maßnahmen Kritik zu äußern,
werden als „enthemmt“ diffamiert 5 . Enthemmt sind aber
diejenigen, die unter dem Deckmantel der Corona-Krise die
Umsetzung ihrer sozialistischen Utopien vorantreiben. Und
die jeden, der noch den „Mut zur Wahrheit“ hat, als „Nazi“

4https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen//vorgang/d18-2614.pdf
5NTV, 24.04.2020, Die FDP enthemmt sich Lindner nimmt sich ein Beispiel - an der AfD; https://www.n-tv.de/politik/Lindner-
nimmt-sich-ein-Beispiel-an-der-AfD-article21737759.html

                                                                                                                             3
oder „Verschwörungstheoretiker“ verunglimpfen. Unsere
freiheitlich-demokratische Grundordnung ist nicht verhan-
delbar und dazu gehören auch eine stabile „Geldordnung“
sowie nachhaltig tragfähige Staatshaushalte. Nicht der
Steuerzahler, dem der wirtschaftliche Ruin droht und der
anfängt, kritische Fragen zu stellen, hat sich zu rechtferti-
gen. Sondern der Staat, die Politik hat eine Bringschuld zur
Rechtfertigung aktueller Entscheidungen.

All das spiegelt sich auch im vorliegenden Nachtragshaus-
halt wider. Wir wollen6 eine Transparenztabelle vom Senat
vorgelegt bekommen, aus der klare Zahlen, Daten und Fak-
ten herauszulesen sind.7
Im vorliegenden 1. Nachtragshaushalt sind im Wesentli-
chen die bereits im März beschlossenen Kosten für medizi-
nische Beschaffungen, das 1000-Betten-Corona-Behand-
lungszentrum und die ökonomischen Sofortmaßnahmen
zur Abfederung des Shutdowns abgebildet. Diesen Maßnah-
men hatten wir im Vorfeld im Grundsatz zugestimmt mit
der Maßgabe, jede Maßnahme regelmäßig zu überprüfen

6 AfD-Fraktion Berlin, 09.04.2020, Corona-Krise - Positionspapier der Abgeordnetenhaus-Fraktion; https://www.afd-fraktion.ber-
lin/single-post/2020/04/09/Corona-Krise---Positionspapier-der-Abgeordnetenhaus-Fraktion
7 https://www.parlament-berlin.de/adosservice/18/Haupt/vorgang/h18-2810.B-v.pdf

                                                                                                                                 4
und zeitlich zu begrenzen. Wir waren uns parteiübergrei-
fend einig: Soforthilfen mussten schnellstmöglich auf den
Weg gebracht und die vom Senat prognostizierten Versor-
gungsengpässe mit medizinisch-technischem Equipment
und Materialien mussten beseitigt werden. Es bleibt zu klä-
ren, warum so wenig Materialien überhaupt vorrätig waren
und wie sich die Vorratshaltung in Zukunft gestalten sollte.
Nun zu den Details des Nachtragshaushaltes:
• 1. Aus den ursprünglich 700 Millionen Euro für die So-
     forthilfe II sind mittlerweile laut Antwort auf meine
     schriftliche Anfrage 1,7 Milliarden Euro geworden. Insge-
     samt wurden 210.000 Anträge gestellt, davon 199.000
     bewilligt. Durchschnittlich bekam jeder Antragsteller
     8.560 Euro. Mittlerweile mehren sich leider die Informa-
     tionen zu erheblichem Missbrauch. Laut Tagesspiegel
     sollen mindestens 250 Anträge zu einschlägig bekannten
     Clan-Adressen geführt haben. Die Wahrscheinlichkeit ist
     mehr als groß, dass diese unberechtigt Soforthilfe kas-
     siert haben.8 Es ist davon auszugehen, dass die bisher be-
     kannten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Wie wir
     alle wissen, fanden keinerlei Plausibilitätsprüfungen

8https://www.tagesspiegel.de/berlin/angeblich-hunderte-betrugsfaelle-in-berlin-arabische-clans-sollen-corona-soforthilfen-kas-
siert-haben/25778724.html

                                                                                                                                 5
statt – nicht einmal stichprobenhaft. Das ist purer Leicht-
       sinn im Umgang mit Steuergeldern.
• 2. Für die Beschaffung von medizinischem Material sind
       bereits über 50 Mio. Euro bewilligt. Beim Einkauf scheint
       es zu erheblichen Problemen im Umgang mit Lieferanten
       gekommen zu sein, die von zuständigen Senatsstellen an
       den Bund verwiesen wurden und beim Bund wiederum
       zum Senat. Hier scheint die rechte Hand nicht zu wissen
       was die linke tut und umgekehrt. Kein Ruhmesblatt für
       den Senat.
• 3. Schon jetzt ist zweifelhaft, ob das 100 Millionen EUR
       teure Corona-Behandlungszentrum in der Jaffestraße tat-
       sächlich gebraucht wird. Offenbar ist nur ein Bruchteil
       der Intensivstationsbetten in Berlin mit Covid19-Patien-
       ten belegt. Es stehen jede Menge Krankenhauskapazitä-
       ten zur Verfügung, Krankenhausmitarbeitern droht mitt-
       lerweile sogar Kurzarbeit.9 Das ist ein völlig unverständ-
       licher Vorgang.
• 4. Dürfte das Geld zur Sicherung der Liquidität der lan-
       deseigenen Unternehmen bei weitem nicht reichen: 40
       Mio. Euro für die IBB, 25 Mio. Euro für die Messe und

9   https://www.pflegen-online.de/kurzarbeit-das-kann-auch-pflegekraeften-passieren

                                                                                      6
111 Mio. Euro für die Flughafengesellschaft. Allein die
     FBB wurde gestern mit einem Fehlbetrag bis zu 1,8 Mrd.
     EUR zum „akuten Sanierungsfall“ erklärt. Charité und Vi-
     vantes haben mit erheblichen Umsatzeinbußen zu
     kämpfen, ebenfalls die Bäderbetriebe, die Kultureinrich-
     tungen, usw. und schlussendlich
• 5. Fordert der Senat quasi einen Blankoscheck über 100
     Mio. Euro „für die Corona-Pandemie-Bekämpfung“ ohne
     nähere Spezifizierung.10

Die Gegenfinanzierung soll im wesentlichen über die Aus-
setzung der Schuldentilgung (mit 325 Mio. EUR) sowie mit
2,6 Mrd. Euro vom Bund kommen.

Aber, das dicke Ende kommt erst noch. Die Bundesregie-
rung prognostizierte gestern wie erwartet11 einen kata-
strophalen Wirtschaftseinbruch von 6,3 Prozent für dieses
Jahr.12
Um die erheblichen Steuereinnahmeausfälle und Ausga-
bensteigerungen ausgleichen zu können, dürfte der Senat
den Notfall-Modus der Berliner Schuldenbremse auslösen

10  Von 15 auf 100 Mio. Euro. “Vor diesem Hintergrund enthält der Senatsentwurf eine auf das Jahr 2020 und die Ausgaben und Ver-
   pflichtungsermächtigungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie begrenzte Anhebung der Betragsgrenze auf 100 Mio. €.“
   S.11, https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen//vorgang/d18-2609.pdf
11 https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/die-volkswirtschaftlichen-kosten-des-corona-shutdown
12 https://www.focus.de/finanzen/boerse/verheerender-shutdown-woche-der-wahrheit-neue-horrorzahlen-zeigen-ganzes-aus-

mass-der-wirtschaftskrise_id_11923947.html

                                                                                                                              7
und die zukünftigen Haushaltsdefizite durch neue Schul-
den finanzieren. Der Berliner Haushalt steht damit zukünf-
tig – wie von uns befürchtet – auf extrem wackligen Füßen.
Früher als gedacht bricht jetzt die rot-rot-grüne Mogelpa-
ckung in sich zusammen. Hätten Sie bei den Haushaltsbe-
ratungen der letzten Jahre auf die AfD gehört und in guten
Zeiten mehr Gelder zurückgelegt und die strukturellen
Ausgaben nicht für teure Wahlgeschenke um Milliarden
aufgebläht, stünde Berlin jetzt besser da.
Sehr geehrte Damen und Herren, es ist richtig, dass die
mittelständischen Unternehmen unsere Hilfe brauchen.
Wir stehen vor dem Dilemma massiv sinkender Steuerein-
nahmen und deutlich steigender Staatsverschuldung ei-
nerseits und dringender Hilfen für mittelständische Unter-
nehmen andererseits. Wo soll das Geld für weitere Zu-
schüsse und Förderungen herkommen? Wie viele Schulden
wollen wir unseren nachfolgenden Generationen hinterlas-
sen? Die beste Hilfe für Unternehmen ist es, den Shutdown
sofort zu beenden, anstatt die Wirtschaft vollends zu rui-
nieren und in Abhängigkeiten staatlicher Unterstützung zu

                                                             8
treiben (CDU-Antrag13). Die Verantwortlichen in den Be-
trieben sind in der Lage selbst zu entscheiden, wie sie un-
ter Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen
ihr Geschäft betreiben können. Was heute mehr denn je
zählt ist eigenverantwortliches Handeln. Das sollten Sie
den Bürgern Berlins, den klein-und mittelständischen Un-
ternehmern, den Gastronomen, Sportlern und den vielen
Menschen, deren wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel
steht, auch zutrauen. Diese Menschen brauchen kein politi-
sches Gängelband, sie brauchen eine Perspektive und Ver-
trauen in die Demokratie.

Hoffen wir, dass wir nicht aus Angst vor Corona an der Me-
dizin zugrunde gehen.

Vielen Dank!

13   https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen//vorgang/d18-2618.pdf

                                                                             9
Sie können auch lesen