11 Abnorme EEG-Befunde 11.1 Vorbemerkung

 
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Abnorme EEG-Befunde

           11 Abnorme EEG-Befunde
           11.1   Vorbemerkung                                    Ursprünglich wurde im Zusammenhang mit
                                                                umschriebenen Störungen die traditionell gepräg-
           Die Darstellung der abnormen EEG-Befunde er-         te Bezeichnung „Herd“ bzw. „Fokus“ benutzt. Die-
           folgt in gleicher Weise wie in den vorangegange-     ser Begriff wird weiterhin im klinischen Sprach-
           nen Kapiteln. Die hier gewählte Systematik bietet    gebrauch noch sehr häufig verwendet, vermutlich
           keine ganz verlässliche Bewertung des Schwere-       weil er besonders „griffig“ ist und eine Funktions-
           grades der jeweiligen Pathologie, orientiert sich    störung in Analogie zu den bildgebenden Verfah-
           aber in der Reihenfolge der Darstellung schon an     ren sozusagen „greifbar“ macht.

                                                                                                           ●
           der Ausprägung der Funktionsstörung – soweit
           möglich. Die eigentlich qualitative Bewertung des
           Befundes hinsichtlich der Schwere der jeweiligen          Merke
                                                                                                           H
           Pathologie erfolgt nach anderen Kriterien und
           wird in Kap. 16 für verschiedene Muster dar-              Die Bezeichnung „Herd“ bzw. „Herdbefund“
           gestellt. Des Weiteren wird – wie bisher – eine           wird nach den Empfehlungen der Deutschen
           kurze Einschätzung der klinischen Bedeutung am            Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie
           Ende des Abschnitts abgegeben, wobei diese nicht          (DGKN) nicht mehr empfohlen und sollte da-
           auf Evidenzen, sondern eher auf allgemeinen kli-          her nicht mehr verwendet werden.
           nischen Erfahrungen beruht und daher nur eine
           grobe Orientierung ermöglichen soll.
              Zunächst geht es um die umschriebenen Störun-     Der Hintergrund dieser Empfehlung ist, dass dieser
           gen, im darauffolgenden Abschnitt um diffuse bzw.      Begriff Erwartungen der Anwender an die Diag-
           generalisierte Störungen der regulären EEG-Akti-     nostik weckt, die aus methodischen Gründen nicht
           vität. Beide Konstellationen können über den zeit-   erfüllbar sind. Zur Darstellung von „Herdbefun-
           lichen Verlauf einer Ableitung jeweils sporadisch,   den“ im ZNS sind bildgebende Verfahren erforder-
           intermittierend, rhythmisch, periodisch oder kon-    lich.
           tinuierlich auftreten.                                  Eine weitere Begründung dafür, diesen Begriff
                                                                zu verlassen, ist die Tatsache, dass die toporegio-
11                                                              nale Auflösung des Oberflächen-EEGs nur sehr be-
           11.2Regionale (umschriebene)                         grenzt ist und daher keine ausreichend präzise
           Störungen                                            und verlässliche topografische Zuordnung der
                                                                EEG-Befunde erlaubt. Die höchste topografische
           Traditionell wird hier oft synonym auch der Begriff
                                                                „Auflösungsstufe“ des EEG erlaubt allenfalls eine
           „fokal“ verwendet. Auf die richtige Verwendung
                                                                grobe regionale bzw. weniger präzisierende Zu-
           der Begrifflichkeiten wird weiter unten eingegan-
                                                                ordnung als umschriebener Befund. Das Problem
           gen. Unter regionalen bzw. umschriebenen (herd-
                                                                wird allein schon dadurch deutlich, dass umschrie-
           förmigen) Störungen versteht man in der kli-
                                                                bene Störungen der neuronalen Aktivität fortgelei-
           nischen Elektroenzephalografie lokal begrenzte
                                                                tet bzw. projiziert werden können (s. a. Spiegelfo-
           Veränderungen, die auf eine strukturelle oder zu-
                                                                kus).
           mindest funktionelle umschriebene Störung des
                                                                   Im Gegensatz zur älteren EEG-Literatur, in der
           Gehirns hinweisen können. Die leichteste Form
                                                                häufig noch der Begriff „fokal“ (in Anlehnung an
           der umschriebenen Funktionsstörung ist der Ver-
                                                                klinische Gesichtspunkte) verwendet wurde, ist es
           lust bestimmter, im EEG sichtbarer physiologischer
                                                                heute üblich, in diesem Zusammenhang eher von
           Reaktionsweisen. Hier ist zunächst eine Alteration
                                                                regionalen, besser: umschriebenen Störungen zu
           der regionalen physiologischen Grundaktivität zu
                                                                sprechen. Die höher auflösende Darstellung foka-
           erwarten (d. h. des parietookzipitalen Grundrhyth-
                                                                ler Veränderungen ist eine Domäne der invasiven
           mus, der frontopräzentralen Betaaktivität, des
                                                                Ableitmethoden (z. B. mittels Stereo-EEG oder
           [prä-]zentralen µ-Rhythmus oder auch der vigi-
                                                                Elektrokortikogramm). Wenn es um strukturelle
           lanzabhängigen Muster in der Zentralregion). Die-
                                                                oder klinisch-pathologisch nachweisbare bzw.
           se Befunde werden in den folgenden Abschnitten
                                                                funktionell beeinträchtigende Störungen (fokal
           nach o. g. Vorgehen zuerst beschrieben.
                                                                eingeleitete Anfälle) des Gehirns geht (also nicht

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           aus: Wellach u.a., Praxisbuch EEG (ISBN 9783132422070) © 2021 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
11.2 Regionale Störung

primär in Bezug auf isolierte EEG-Veränderungen),      dass gerade bipolare Verschaltungen aufgrund der
wird der Begriff „fokal“ jedoch in gewohnter Weise      ableitungsbedingten Besonderheiten (Differenzbil-
weiterhin verwendet.                                   dung zweier „aktiver“ Elektroden) die Amplituden
                                                       verfälschen können, daher sollte zusätzlich eine
                                                       Referenzableitung zur Verifizierung gewählt wer-
     Flüchtige Veränderungen der
11.2.1
                                                       den. Hierbei sollte die Referenz nach Möglichkeit
physiologischen Grundaktivität                         außerhalb des betroffenen Bereichs liegen. Alter-
                                                       nativ eignet sich auch die Quellenableitung nach
Muster                                                 Laplace.
▶ Bezeichnung. Flüchtige Veränderungen          der
physiologischen Grundaktivität (GA).
                                                       Differenzialdiagnose
                                                       Erster Schritt bei der differenzialdiagnostischen
Definition                                             Abgrenzung der flüchtigen Veränderungen der
Ein äußerst diskreter Hinweis auf eine umschrie-       Grundaktivität ist die Unterscheidung zwischen
bene Funktionsstörung des Gehirns im EEG ist eine      physiologischen (oder artifiziellen) und abnormen
asymmetrisch ausgeprägte physiologische Grund-         Asymmetrien. Eine Verminderung der Amplitude
aktivität (z. B. der Alphagrundrhythmus). Diese        der Alphawellen < 30–50 % im Seitenvergleich ist
kann im Rahmen einer amplitudenbezogenen Ver-          noch physiologisch. Auch eine Differenz der
minderung oder gar Unterbrechung der Grund-            Grundfrequenz von bis zu 1 s im Seitenvergleich
tätigkeit auftreten (in Abgrenzung zur umschrie-       ist noch als Normalbefund einzuschätzen.
benen Verlangsamung). Da Asymmetrien auch bei
gesunden Individuen vorkommen, ist dieser Be-
                                                       Abnorme Asymmetrien
fund allerdings ein sehr unsicheres diagnostisches
Zeichen. Eine einseitige amplitudenbezogene Be-        Eine Verminderung der Amplitude der Alphawel-
tonung der Alphaaktivität in der bipolaren Reihen-     len > 50 % ist immer als pathologisch anzusehen.
montage kann z. B. auch auf ein darstellungs-          Frequenzunterschiede von mehr als 1/s im Ver-
bedingtes sog. „Resonanzphänomen“ zurück-              gleich zur Gegenseite sind ebenfalls als abnorm zu
zuführen sein. Auch können ableitungsbedingt           bewerten.
(unkorrektes Setzen der Haube) mit unterschiedli-         Asymmetrien können sich auch durch Knochen-
chen bzw. seitendifferenten Elektrodenabständen         defekte (Knochenlückenrhythmus, Kap. 11.3.2) er-            11
ursächlich für Asymmetrien verantwortlich sein.        geben. Zur Abgrenzung helfen die Anamnese und
Dies sollte vor einer vorzeitigen Überinterpretati-    der klinische Untersuchungsbefund (z. B. Hinweise
on ausgeschlossen sein.                                auf eine durchgeführte Trepanation durch Abtas-
                                                       ten des Schädels).
                                                          Im Falle einer abnormen Asymmetrie der Fre-
Lokalisation und geeignete                             quenz und Amplitude bei umschriebenen (struk-
Montagen                                               turellen oder funktionellen) zerebralen Störungen
Die Veränderung der Grundaktivität kann sich auf       sind meist zusätzliche Hinweise auf eine Funk-
jede hirnregionale physiologische Aktivität (z. B.     tionsstörung (wie z. B. intermittierende umschrie-
auch den µ-Rhythmus) beziehen. Die Lokalisation        bene Verlangsamungen) zu finden.
der Veränderung ist damit abhängig von der Loka-
lisation der jeweiligen physiologischen Aktivität      Interpretation und klinische
(Okzipitalregion bei Alphatätigkeit, Zentralregion
                                                       Bedeutung
bei µ-Rhythmus, Frontopräzentralregion bei Be-
taaktivität) etc.                                      Diskrete Asymmetrien der Amplitudenhöhe, je-
   Eine geeignete Übersicht ermöglichen Ableitun-      doch auch frequenzbezogene Asymmetrien sind
gen, die eine gute „räumliche Auflösung“ und so-       leicht zu übersehen und können – zumindest in
mit einen guten Überblick bezüglich hirnregiona-       einem definierten Rahmen (s. o.) – physiologisch
ler Besonderheiten erlauben, z. B. die bipolare Rei-   sein. Im Falle einer Überschreitung der o. g. Norm-
henableitung (Längs- oder Querreihe) oder auch         grenzen weist der Befund auf eine umschriebene
die Quellenableitung. Dabei ist jedoch zu beachten,    Funktionsstörung hin. Dabei ist diese Veränderung

                                                                                                             327
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Abnorme EEG-Befunde

           sehr unspezifisch, und ein Rückschluss auf die             11.2.2Einseitig fehlende
           Schwere bzw. Ursache der Funktionsstörung ist in           Blockierung bzw. paradoxe
           der Regel nicht möglich.

                                                        ●
                                                                      Aktivierung der Grundtätigkeit
              Klinische Relevanz
                                                        b             Muster/Befund
                                                                      ▶ Bezeichnung. Einseitig fehlende Blockierung
              Gering bis mäßig (+ bis + +). Da es sich meist          (einseitig fehlender Berger-Effekt) bzw. paradoxe
              um sehr diskrete Veränderungen außerhalb der            Aktivierung der Grundtätigkeit (▶ Abb. 11.1,
              normalen Variationsbreite handelt, sind Verän-          ▶ Abb. 11.2, ▶ Abb. 11.3).
              derungen auch aufgrund der physiologischen
              Varianz leicht zu übersehen. Es muss schon sehr
              bewusst auf Asymmetrien geachtet werden. Es
                                                                      Definition
              empfiehlt sich ein genaues Ausmessen von Fre-           Die fehlende Blockierung bzw. paradoxe Aktivie-
              quenz und Amplitude (hier kann ein Auswer-              rung drückt sich in einer fehlenden Reaktivität
              tungsschema helfen, s. ▶ Abb. 16.3).                    (z. B. Blockierung) des Grundrhythmus (durch Au-
                Aufgrund der geringen Spezifität und Aus-             genöffnen oder durch Ansprache) im Vergleich zur
              sagekraft der Veränderung ist der klinische Nut-        nicht funktionsgestörten Gegenseite aus. Meist ist
              zen begrenzt.                                           dieses Phänomen in Analogie zu dem in Kap.
                                                                      11.2.1 genannten Befund kombiniert mit einer

            FP2-F8

            F8-T4

            T4-T6

            T6-O2

            FP1-F7

            F7-T3

            T3-T5
11
            T5-O1

            FP2-F4

            F4-C4

            C4-P4

            P4-O2

            FP1-F3

            F3-C3

            C3-P3

            P3-O1

            EKG

            PHO
                                                                                                                     1 Sek.
            EOG

            Abb. 11.1 Asymmetrische Aktivierung des Grundrhythmus nach Augenschluss. EEG mit Blockierungsmanöver in der
            bipolaren Längsreihe, veränderte Filtereinstellung (15 Hz). Bereits vor dem Augenöffnen erscheint der okzipitale
            Alphagrundrhythmus der linken Seite deutlicher ausgeprägt als auf der Gegenseite. Nach dem Augenschluss kommt es
            zu einer verminderten Aktivierung des Alphagrundrhythmus auf der rechten Seite. Dies kann bei entsprechender
            Anamnese und klinischer Symptomatik als diskreter Hinweis auf eine umschriebene zerebrale Störung der rechten
            Hemisphäre gewertet werden. Beachte auch die Einlagerung der langsamen Deltawellen in P4 als zusätzlichen Hinweis
            auf eine umschriebene (herdförmige) Störung.

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           aus: Wellach u.a., Praxisbuch EEG (ISBN 9783132422070) © 2021 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
11.2 Regionale Störung

 FP2-F8    0 μV    0%

 F8-T4 –11 μV –92 %

 T4-T6     3 μV   25 %

 T6-O2    –1 μV   –8 %

 FP1-F7 –10 μV –83 %

 F7-T3    12 μV 100 %

 T3-T5    –5 μV –42 %

 T5-O1    –1 μV   –8 %

 FP2-F4    3 μV   25 %

 F4-C4    –6 μV –50 %

 C4-P4    –4 μV –33 %

 P4-O2    –1 μV   –8 %
                                                                       A = 15.75 μV; D = 2.00 s Freq = 2.50 Hz
 FP1-F3    8 μV   67 %

 F3-C3     3 μV   25 %

 C3-P3    –5 μV –42 %

 P3-O1 –10 μV –83 %

 EKG      64 μV

 PHO       0 μV
                                                                                                                  1 Sek.
 EOG      12 μV

  Abb. 11.2 Asymmetrie der Grundaktivität (EEG in der bipolaren Längsreihe) mit deutlich verminderter Amplitude
  über der rechten Hemisphäre. Eine Amplitudenminderung auf über 50 % gegenüber der kontralateralen Seite kann als
  abnorm bewertet werden. Dies könnte der Hinweis auf eine rechtszerebrale Funktionsstörung sein. Zu beachten ist,
  dass ein Amplitudenvergleich in der bipolaren Längsreihe gut dargestellt, aber aufgrund der Registrierbedingungen (z. B.
  durch ungleiche Elektrodenabstände) auch artifiziell bedingt sein kann. Ein Seitenvergleich der Amplituden sollte daher
  auch zusätzlich in einer referenziellen Montage vorgenommen werden.
                                                                                                                                   11

leichten Verlangsamung im Seitenvergleich und                   lung dieser Region wie z. B. die bipolare Längsreihe,
einer Asymmetrie der Amplituden.                                die Quellenableitung oder die Ohrreferenz.
   Paradoxe Alphaaktivierung hingegen bedeutet,
dass z. B. eine gering ausgeprägte Alphatätigkeit
                                                                Differenzialdiagnose
(entspannter Patient, geschlossene Augen) – häu-
fig von Betaaktivität überlagert – nach dem Augen-              Leichtgradige diffuse Störungen und
öffnen „paradoxerweise“ in gut ausgeprägte okzi-                 Müdigkeit
pitale Alphatätigkeit konvertiert. Dieses Phänomen
kann auch seitendifferent auftreten und kommt                    Ein fehlender Blockierungseffekt ist auch bei
oft bei Müdigkeit vor (s. u.).                                  leichtgradigen diffusen zerebralen Störungen
                                                                (leichte Allgemeinveränderung) zu finden. Hier ist
                                                                die Störung jedoch typischerweise bilateral und
Lokalisation und geeignete                                      nicht einseitig zu beobachten.
Montagen                                                           Ein paradoxer Blockierungseffekt ist häufig bei
                                                                Müdigkeit anzutreffen, dann aber in der Regel
Störungen in der Reaktivität des Grundrhythmus
                                                                auch beidseitig, nur gelegentlich lateralisiert. Bei
finden sich typischerweise posterior oder in der Ok-
                                                                der Abgrenzung helfen typische Zeichen der Mü-
zipitalregion lokalisiert bzw. haben dort in der Regel
                                                                digkeit (z. B. undulierende Abnahme der Alpha-
auch ihr Amplitudenmaximum. Daher eignet sich
                                                                tätigkeit, diffuse Verlangsamungen, Bulbuswan-
zur Beurteilung der Reaktivität eine Vielzahl von
                                                                dern).
Montagen mit einer guten und realistischen Darstel-

                                                                                                                             329
aus: Wellach u.a., Praxisbuch EEG (ISBN 9783132422070) © 2021 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Abnorme EEG-Befunde

           FP2-F8    8 μV   73 %

           F8-T4    –2 μV –18 %

           T4-T6     9 μV   82 %

           T6-O2     0 μV    0%

           FP1-F7 –4 μV –36 %

           F7-T3     3 μV   27 %

           T3-T5     1 μV    9%

           T5-O1     1 μV    9%
                                                                       A = 49.00 μV; D = 2.00 s Freq = 2.50 Hz
           FP2-F4 11 μV 100 %

           F4-C4     4 μV   36 %

           C4-P4     1 μV    9%

           P4-O2     0 μV    0%

           FP1-F3    6 μV   55 %

           F3-C3     4 μV   36 %

           C3-P3    –3 μV –27 %

           P3-O1    –6 μV –55 %

           EKG      –2 μV

           PHO       0 μV
                                                                                                                  1 Sek.
           EOG      27 μV

            Abb. 11.3 Asymmetrie der Grundtätigkeit. Gleiche Ableitung desselben Patienten (▶ Abb. 11.2). Dargestellt sind die
            Amplituden der kontralateralen Hemisphäre. Hier zeigt sich eine unauffällige Darstellung der Amplituden der links-
            okzipitalen Alphawellen um 50 µV im Vergleich zur deutlich amplitudengeminderten Darstellung kontralateral.

11         Interpretation und klinische                                11.2.3Abnorme Asymmetrie
           Bedeutung                                                   physiologischer Muster:
           Die Befunde eines einseitig fehlenden Blockie-              Schlafmuster
           rungs- bzw. Berger-Effektes und der paradoxen
                                                                       Muster/Befund
           Aktivierung ist etwas unterschiedlich, was sich
           auch in der klinischen Bedeutung widerspiegelt.             ▶ Bezeichnung. Abnorme Asymmetrie physiolo-
           Eine einseitig fehlende physiologische Reaktion             gischer Muster (z. B. schlafspezifischer Muster wie
           auf ein Blockierungsmanöver ist ein sehr diskreter          Vertexwellen oder K-Komplexe).
           Seitenhinweis, allerdings mit sehr geringer Spezifi-
           tät bezüglich der Ursache.                                  Definition
             Der Nachweis eines paradoxen Blockierungs-
           effektes spricht hingegen eher für eine abnehmen-            Ein sehr diskretes elekroenzephalografisches Zei-
           de Vigilanz.                                                chen umschriebener zerebraler Störungen (um-

                                                         ●
                                                                       schriebene Läsionen, z. B. Läsionen durch Infarkte,

             Klinische Relevanz
                                                         b             Tumoren etc.) kann eine deutlich seitendifferente
                                                                       Ausprägung physiologischer schlafspezifische
                                                                       Muster sein. Da Schlafmuster in der Regel in der
             Gering (+). Die Muster haben unterschiedliche             Vertex- oder Präzentralregion das Maximum der
             Bedeutung. Spezifität und Aussagekraft sind               Ausprägung und ein typischerweise symmetri-
             eher gering.                                              sches Potenzialfeld zeigen, deutet eine Asym-
                                                                       metrie auf eine einseitige Beeinträchtigung phy-
                                                                       siologischer Aktivitäten hin. Die abnorme Seite ist

     330
           aus: Wellach u.a., Praxisbuch EEG (ISBN 9783132422070) © 2021 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
11.3 Abnorme Ausprägung

dann in der Regel diejenige mit der verminderten        11.3Abnorme Ausprägung
Ausprägung oder gar dem Fehlen dieser Muster.
                                                        weiterer physiologischer Muster
                                                        und Rhythmen
Lokalisation und geeignete
Montagen                                                11.3.1   Abnorme Betaaktivität
Asymmetrien schlafspezifischer Muster zeigen            Muster/Befund
sich in der Regel im Vertexbereich bzw. in der Prä-
                                                        ▶ Bezeichnung. Abnorme Betaaktivität, sog. „ex-
zentral- oder Zentralregion. Zur Differenzierung
                                                        zessives Beta“.
der Aktivitäten in dieser Region eignen sich bei-
spielsweise Referenzableitungen gegen CZ bzw.
die Ohrreferenz (da hier die Referenzelektrode au-      Definition
ßerhalb der zu beurteilenden Region liegt, kommt        Abnorme Betaaktivität findet sich meist in unphy-
es zu einer realistischeren Darstellung der Mor-        siologischer Lokalisation (außerhalb der im Rah-
phologie und Amplituden) oder bipolare Ableitun-        men der physiologischen Aktivität bevorzugten
gen.                                                    Frontopräzentralregion) und Konfiguration (phy-
                                                        siologisch häufig spindelförmig). Oft ist die exzes-
Differenzialdiagnose                                     sive Betaaktivität irregulär bzw. unregelmäßig
asymmetrischer Schlafmuster                             konfiguriert. Die Amplituden der abnormen Be-
                                                        taaktivität sind meist höhergespannt und liegen in
Asymmetrien schlafspezifischer Muster treten            einem Bereich von mehr als 25 µV. Regionale Ak-
auch bei gesunden Individuen auf. Amplituden-           zentuierungen und deutliche Asymmetrien der
minderungen um mehr als 50 % sind jedoch patho-         abnormen Betaaktivität, z. B. auch oft in Kombina-
logisch. Meist finden sich in diesen Fällen ebenfalls   tion mit intermittierenden Verlangsamungen, kön-
weitere Hinweise auf eine umschriebene zerebrale        nen ebenfalls wichtige Hinweise auf eine um-
Störung (regionale Verlangsamungen, kompromit-          schriebene zerebrale Störung darstellen.
tierter Grundrhythmus).

                                                        Lokalisation und geeignete
Interpretation und klinische Bedeu-                     Montagen
tung                                                                                                                 11
                                                        Physiologische Betaaktivität findet sich vor allem
Die asymmetrische Ausprägung physiologischer            in den frontalen und frontopräzentralen Ableit-
Schlafmuster ist ein sehr diskreter Hinweis auf         regionen. Seitendifferenzen sind nicht zwangsläu-
eine einseitige Funktionsstörung des Gehirns. Aus-      fig pathologisch. Die Lokalisation abnormer Be-
geschlossen sein sollten asymmetrische Elektro-         taaktivität ist abhängig von der Lokalisation der
denabstände als Ursache.

                                              ●
                                                        zugrunde liegenden Pathologie.

   Klinische Relevanz
                                              b            Es eignen sich zur Differenzierung prinzipiell
                                                        alle zur Verfügung stehenden Montagen, insbeson-
                                                        dere bipolare Ableitungen, Quellen- oder Referenz-
                                                        ableitungen. Überlagerungen durch rasche Fre-
   Gering (+). Die klinische Relevanz dieser Thema-
                                                        quenzen lassen sich gut in referenziellen Mon-
   tik ist gering, zumal schlafspezifische Muster oh-
                                                        tagen darstellen.
   nehin eher selten im Routine-EEG beobachtet
   werden und das Einschlafen des Patienten bzw.
   Müdigkeit zur Voraussetzung haben. Auch die-         Differenzialdiagnose abnorme
   ser Befund ist unspezifisch hinsichtlich mögli-      Betaaktivität
   cher Ursachen.
                                                        Der Nachweis von Betaaktivität weist nicht prinzi-
                                                        piell auf eine Pathologie hin. Bei niedrigamplitudi-
                                                        ger, spindelförmiger Betaaktivität in der Fronto-
                                                        präzentralregion ist in der Regel von einer physio-
                                                        logischen Aktivität auszugehen. Beträgt die Diffe-

                                                                                                               331
aus: Wellach u.a., Praxisbuch EEG (ISBN 9783132422070) © 2021 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Abnorme EEG-Befunde

           renz der Amplituden jedoch mehr als ⅓ im Seiten-         Zusammenfassung
           vergleich, so ist ein pathologischer Befund anzu-
                                                                    Siehe ▶ Tab. 11.1.
           nehmen, insbesondere, wenn zusätzliche Hinweise
           auf eine regionale Störung (z. B. eingelagerte Ver-
           langsamungen) vorliegen.                                 Interpretation und klinische
                                                                    Bedeutung
           Grundrhythmusvariante                                    Abnorm ausgeprägte Betaaktivität (exzessives Be-
           Atypisch lokalisierte Betaaktivität kann z. B. okzi-     ta) kann – je nach Lokalisation – auf eine um-
           pital im Rahmen einer Grundrhythmusvariante              schriebene Hirnfunktionsstörung hinweisen. Dies
           (Beta-EEG oder Fast-Alpha-EEG) anzutreffen sein.          trifft insbesondere bei Asymmetrien zu. Eine ande-
           Hier reagiert die Betaaktivität jedoch physiolo-         re Ursache sollte jedoch ausgeschlossen sein (z. B.
           gisch, d. h. es ist definitionsgemäß eine spezifische    ein Knochenlückenrhythmus).

                                                                                                                  ●
                                                                                                                  b
           Blockierungsreaktion nachweisbar.

                                                                      Klinische Relevanz
           Medikamenteneffekte
           Medikamenteneffekte (vor allem Hypnotika, z. B.             Gering bis mäßig (+ bis + +). Übermäßige Be-
           Benzodiazepine und Barbiturate) induzieren diffus           taaktivität im EEG ist relativ häufig und die Diffe-
           eingelagerte, meist höhergespannte Betaaktivität.          renzierung kann u. U. schwierig sein. Erster
                                                                      Schritt ist die Abgrenzung physiologischer von
                                                                      abnormer Aktivität. Auch dieser Befund ist nicht
           Knochenlückenrhythmus
                                                                      spezifisch. Man kann zusammenfassen, dass je
           Eine regional akzentuierte Betaaktivität in Kombi-         irregulärer, hochamplitudiger und asymmetri-
           nation mit schärfer konfigurierten Wellen anderer          scher sowie von der üblichen frontopräzentralen
           Frequenzbereiche ist besonders beim sog. Kno-              Betonung abweichend der Befund ist, umso
           chenlückenrhythmus zu finden und definitions-              wahrscheinlicher ist es, dass eine Funktionsstö-
           gemäß Ausdruck veränderter anatomischer Gege-              rung vorliegt.
           benheiten, die zu einer verminderten „Filterung“
           vor allem rascherer Frequenzen führt (Kap. 11.3.2).
11         Hier hilft in der Anamnese die Angabe einer ipsila-
           teralen Schädelverletzung bzw. Schädeltrepanati-
           on in der Vorgeschichte.

            Tab. 11.1 Zusammenfassung (Erläuterungen im Text).

            Abnormer Befund                 Abzugrenzender Befund           Abgrenzung

            Abnorme Betaaktivität           Grundrhythmusvariante           Reaktivität (Blockierungsreaktion), Amplituden,
                                                                            Feldverteilung (Asymmetrien, umschrieben/
                                                                            einseitig versus bilateral)

                                            Medikamenteneffekte             Feldverteilung, Medikamentenanamnese

                                            Knochenlückenrhythmus           Morphologie, Anamnese und klinischer Befund
                                                                            (Trepanation in der Vorgeschichte, Tastbefund
                                                                            im Bereich der betroffenen Kalottenregion)

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           aus: Wellach u.a., Praxisbuch EEG (ISBN 9783132422070) © 2021 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
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