Das Multimodale Interview
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Gliederung 1. Begriffsbestimmung Einstellungsinterview 2. Verbreitung und Akzeptanz 3. Funktionen des Einstellungsinterviews 4. Qualitätskriterien eignungsdiagnostischer Verfahren 5. Validität des Einstellungsinterviews 6. Exkurs: Soziale Urteilsbildung 7. Das Multimodale Interview 8. Ausgangspunkt 9. Theoretische Grundlagen 10. Aufbau des MMI 11. Konstruktionsabschnitte 12. Beispiele 13. Psychometrische Qualität
Begriffsbestimmung Einstellungsinterview ● Gesprächssituation zwischen zwei oder mehreren Personen – Repräsentanten der auswählenden Organisation einerseits – Stellenbewerbern andererseits ● Gelegenheit zum Austausch – bewerbungsrelevanter person-, arbeits- und organisationsbezogener Informationen ● Grundlage – Auswahlentscheidungen seitens der Organisation – Organisationswahl seitens der Bewerber
● Synonyme – Interview, Einstellungsinterview, Auswahl- und Vorstellungsgespräch – entspicht dem engl. employment interview ● Interview dient dem Stellenanbieter als Informationsquelle über – Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse – Interessen und andere personenbezogene Informationen des Kandidaten ● Fragen beziehen sich auf – Berufserfahrung, Berufsausbildung, Aspekte des Lebenslaufs und deren subjektive Verarbeitung, gelegentlich auch auf persönliche Bereiche – in erweiterten Gesprächsformen auch arbeitsprobenartige Komponenten (Rollenspiele, Präsentationen)
● Einsatz des Interviews – als einzige Methode zur Eindruckbildung und Entscheidungsfindung – als Teil eines umfangreichen Auswahlverfahrens -> dient dann meist der Vorselektion, später z.B. AC ● Durchführungsmodus – völlig freie Gesprächsform – teilstrukturiertes Interview – vollstrukturiertes Interview, mit standardisiertem Ablauf ● vertretene Zugangsweisen der Eignungsdiagnostik – eigenschaftsorientierte Ansätze – simulationsorientierte Ansätze – biografieorientierte Ansätze
Akzeptanz und Verbreitung ● Interview genießt hohe Wertschätzung seitens der Verwender und der Bewerber – valide Methode -> um sich Bild und Informationen vom Gegenüber zu verschaffen – Gesprächssituation mit direktem persönlichem Austausch -> größeres Vertrauen gegenüber mündl. Information – dient dem Unternehmen zur Öffentlichkeitsarbeit – dient dem Bewerber als Info über Tätigkeit und Anforderungen – bietet die Möglichkeit sich über weiteres Vorgehen auszutauschen (weitere Auswahlprozedur, Einstellung, etc.) – – telefonische Interviews oder Interviews per Videokonferenz eher unbeliebt
Anwendungshäufigkeit von eignungsdiagnostischen Verfahren in großen deut. Unternehmen zur externen Personalauswahl (aus Schuler, Frier & Kaufmann, 1993, S.34) N=105 Verfahren Anwendungshäufigkeit Analyse der Bewerbungsunterlagen 98% Zusätzlich eingeholte Referenzen 71% Strukturiertes Interview durch Personalabteilung 70% Unstrukturiertes Interview durch Fachabteilung 69% Arbeitsprobe 44% Assessment Center 39% Intelligenztest 34% Persönlichkeitstest 21% Graphologische Gutachten 9%
Funktionen des Einstellungsinterviews (aus Schuler, 2002, S. 3) Organisation Bewerber Sich vorstellen, darstellen, einen guten Eindruck machen Kontakt aufbauen (Vertrauen, Sympathie) Qualifizierten Bewerber gewinnen Stellenangebot erziehlen Angebot unterbreiten Qualifikation, Leistungsprognose Auswahl zw. Bewerbern Entscheidung zw. potentiellen Arbeitgebern Eindruck aus Bewerbungsunterlagen prüfen Selbstbeurteilung ermöglichen Information über Tätigkeit, Arbeitsplatz, Arbeitsanforderungen, Unternehmen Selbstselektion ermöglichen Arbeitsbedingungen abschätzen Unternehmenskultur vermitteln Stil des Unternehmens kennen lernen Commitment vorbereiten Als Mittel der Sozialisation nutzen Info über Arbeitsmarkt gewinnen Eigenen Marktwert eruieren Absprachen treffen, Bedingungen aushandeln Selbstwertdienliche Funktionen für Interviewer und Bewerber Symbolische Bedeutung
Qualitätskriterien eignungsdiagnostischer Verfahren (aus Schuler, 2002, S. 16) Psychometrische Organisationale Soziale Qualität Eth.-rechtl. Qualität Effizienz (Nutzen) (Akzeptabilität) Gesichtspunkte Anforderungsbezug Nutzen/Kosten Information Prozess/Verfahrens- qualität Objektivität Aufwand Transparenz Soziale Validität Reliabilität Kompetenz- Partizipation/ Allg. erfordernis Kontrolle Persönlichkeitsrecht Validität Verfügbarkeit Feedback Arbeitsrecht
Validität des Einstellungsinterviews ● Metaanalyse von Huffcutt und Arthur (1994) – unterscheiden 4 Stufen der Strukturierung – r=.20 niedrigste Strukturierung und r=.57 höchste Strukturierung ● Marchese und Muchinsky (1993) – Korrelation von r=.45 zwischen Strukturierung und Validität von Auswahlgesprächen – keine Effekte auf Validität: Zahl der Interviewer, Länge des Interviews, Geschlecht und Beruf der Bewerber ● Schuler und Moser (1995) – prädiktive Validität des Gesamtwertes des MMI, bezogen auf Kriterien des Ausbildungs- und Berufserfolges zw. r=.30 und r=.50 (unkorrigiert)
● Schuler, Moser, Diemand & Funke (1995) – MMI hat inkrementelle Validität über Intelligenztest hinaus, im Bezug auf Kriterien des Ausbildungs- und Berufserfolges ● Schuler und Funke (1989) – konventionelle Interviews messen: Intelligenz, globale Persönlichkeitsmerkmale, soziale Kompetenz – strukturierte Interviews messen: Fachkenntnisse, Berufserfahrung, soziale Kompetenz ● Schuler und Funke (1989) – Multimodales Interview misst mehrere psychologische Konstrukte u.a. soz.Kompetenz, psychische Stabilität, Leistungsmotivation
Exkurs: Soziale Urteilsbildung ● Diagnosebedingungen ● Stark von der Verantwortung des Einstellungsinterviews abhängig ->einziges Verfahren zur Auswahl oder Bestandteil einer multimethodalen Diagnosestrategie ● Basisrate (Prozentsatz der Geeigneten unter den Bewerbern) ->wenn Basisrate gering, Validität des Interviews sehr bedeutsam ● Selektionsquote (Anteil der Auszuwählenden) ->Senkung steigert den Anteil erfolgreich ausgewählter ● Kosten- und Zeitvorgaben -> Bestimmen den Aufwand des Auswahlverfahrens
● entscheidendste Diagnosebedingung ist welches Interviewverfahren zur Auswahl eingesetzt wird – strukturiert oder unstrukturiert – Einfluss auf Validität und somit Fehlerquote und nötige Anwendung von anderen Verfahren ● Vorinformation – Interviewer ist nicht mehr frei bei der Urteilsbildung, da ihm Vorinformation über die Kandidaten vorliegen – Interviewer ist nicht in der Lage Vorinformationen bei der Auswahl zu ignorieren – z.B. Intelligenzeindruck aufgrund der Schulnoten – Bewerbungsunterlagen, Ergebnisse von Tests od. Assessment Center od. Informationen von Dritten
● Die Person des Interviewers ● Interviews hängen in Gegensatz zu Tests immer von der durchführenden Person ab • Eigenschaften qualifizierter Interviewer • Erfahrung (mit Menschen, Lebenserfahrung) • Ähnlichkeit mit dem Beurteiltem • Intelligenz • Selbsterkenntnis • Komplexität • Distanz • Ästhetische Orientierung • Soziale Intelligenz • herzliches, engagiertes Wesen • Anpassungsfähigkeit
● alle Interviewercharakteristika sind plausibel, manche sind verschiedentlich belegt wurden ● Schuh (1979) ->Zuhören von Interviewern hat motivationale Komponenten ● Ähnlichkeit zwischen Interviewer und Bewerber ist positiver Prädiktor der Urteilsqualität ->Diagnosen werden durch die Möglichkeit erleichtert von sich auf andere zu schließen ● erfahrene Beurteiler geben strengere Urteile ab, als unerfahrene Beurteiler ● keine Verbesserung der Interviewvalidität durch erfahrene Interviewer
Verhaltenstendenzen des Interviewers ● Asymmetrie der Auswahlsituation – Bewerber bemüht sich um ein Einstellungangebot – Interviewer ist darauf aus den „Pferdefuß“ am Bewerber zuerkennen ● Interviewer überschätzt die Attraktivität seiner Organisation ● Redezeit von Interviewern ist im Schnitt doppelt so hoch, wie die des Bewerbers ● Interviewer führen strukturierte Interviews oft nicht sachgemäß durch, weil Bewerber unstrukturierte Interviews vorziehen ● große Anzahl von Fehlern die Interviewer begehen
Mechanismen der Informationsverarbeitung ● Erster Eindruck – Eindrücke in den ersten Minuten eines Gesprächs werden stärker gewichtet als spätere (aber, nicht jeder erste Eindruck ist voreilig) ● Übergewichtung negativer Information ● Bestätigungstendenz – Interviewer wollen ihre Hypothesen über den Bewerber aufgrund der Vorinformation bestätigen – mehr Zuwendung bei positivem Eindruck über den Bewerber, weniger Infosammeln, mehr Organisation anpreisen ● Sympathieeffekte – Korrelation zwischen Sympathie und allgemeiner Bewertung r=.49 – bei erwarteter späterer Zusammenarbeit r=.80 – Sympathieeinschätzung enthält auch Leistungsbeurteilung, deshalb gar nicht so schlecht
● Überstrahlung (Halo) – emotionale Bewertungen strahlen auf andere Urteilsaspekte aus – keine stat. sustantielle Beziehung zw. Halo und Akkuratheit von Beurteilungen (Murphy und Balzer, 1989) ● Maßstabseffekte – Personen werden immer im Vgl. zu anderen beurteilt – -> Problem wenn Vergleichsstichprobe zu klein – Adaptationsniveau des Beurteilers – -> wahrnehmbares Verhalten wird an verschiedenen Ankern gemessen – Spezialfall: Interviewer misst Bewerber am eigenen Selbstbild ● Stress – beeinflusst die Qualität der Urteilsbildung ● Beschränkte Kenntnis eigener Informationsverarbeitung
Strategien der Komplexitätsreduktion ● sehr komplexe Aufgabe sich ein zutreffendes Bild von einen Bewerber zu machen -> Strategien um auf einfache Weise Entscheidung zu treffen ● Überstrahlung durch einzelne Merkmale oder durch den Sympathiegrad ● Bemühung ein konsistentes, abgerundetes Bild zu gewinnen – Teilelemente werden im Sinne des Gesamteindrucks interpretiert ● Konzentration auf „Schlüsselereignisse“ oder Einzelbeobachtung, denen überragende Aussagekraft zugeschrieben wird – Extremfall: magic items -> quasi abergläubische Annahmen
Wirkung des Interviewers ● Positiv ● verbal geschickt ● gewährleisten eines kontinuierlichen Interviewverlaufs ● angenehme Persönlichkeit ● Freundlichkeit ● non direktives Vorgehen -> erscheint beeinflussbar ● Bemühung um Fairness ● ältere/Status höhere Interviewer werden besser beurteilt ● Negativ ● Dominanz -> Stress ● Ausspielen von Macht ● Fragen zum persönlichen Bereich die Bewerber irrelevant findet
Das Multimodale Interview
Ausgangspunkt ● Das Multimodales Interview wurde in Konsequenz der Defizite herkömmlicher Auswahlverfahren entwickelt. ● aus Defiziten erfolgte Ableitung von Verbesserungsvorschlägen 1. anforderungsbezogene Gestaltung von Interviews 2. Beschränkung auf Merkmale die nicht andersweitig zuverlässiger erfasst werden können 3. Durchführung in strukturierter bzw. teilstandardisierter Form 4. Prüfung der Fragen u. Dimensionen nach psychometr. Prinzipien 5. Übernahme validierter Fragen aus Tests u. biogr. Fragebogen 6. Anreicherung durch Komponenten aus simulationsbezogenen Verfahren
7. Verwendung geprüfter und verankerter Skalen zur Eindrucksbildung und Antwortbewertung 8. Trennung von Informationssammlung und Entscheidung 9. bei geringer Objektivität Einsatz mehrerer Beurteiler 10. Gestaltung der Gewichtungs- und Entscheidungsprozedur nach psychometrischen Prinzipien 11. Vorbereitung der Interviewer durch Training 12. Validierung des Interviewverfahrens -> Inhaltsvalidierung, Konstruktvalidierung, prognostische Validierung an Außenkriterien
Theoretische Grundlagen ● wichtigste Grundlage des MMI ist der trimodale Ansatz der Berufseignungsdiagnostik – mit verschiedenen eignungsdiagnostischen Methoden wird systematisch anderes erfasst – verschiedenen eignungsdiagnostischen Methoden liegt unterschiedliche Logik in der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem zugrunde ● MMI wurde als Versuch konzipiert alle 3 diagnostischen Ansätze zu intigrieren – Anreicherung des Interviews durch Komponenten aus anderen diagnostischen Verfahren z.B. aus Tests, Fragebögen, Assessment Center -> Alternative zu aufwendigen Potentialanalyseverfahren
Theoretische Gesichtspunkte der Einzelkomponenten ● biografische Fragen – vergangenes Verhalten ist ein guter Prädiktor zukünftigen Verhaltens ● situative Fragen – Verhaltensintentionen sind Wegbereiter realen Verhaltens (Zielsetzungstheorie, Locke & Latham, 1990) ● realistische Tätigkeitsinformation – Anspruchsniveausenkung – ● Person-Organisations-Fit-Hypothese (Bestandteil der Hollandschen Berufsinteressentheorie) – höhere Berufszufriedenheit, wenn Berufswahl individuellen Interessenausprägungen entspricht
Der Aufbau des Multimodalen Interviews ● umfasst im Regelfall 8 Komponenten ● Reihenfolge der Komponenten ist weitestgehend festgelegt ● für die meisten Beurteilungen liegen 5-stufige verhaltensverankerte Einstufungsskalen vor ● Wechsel von standardisierten und freien Gesprächsteilen – angenehme Gesprächsatmosphäre ● Dauer des Gesprächs ca. 30 Minuten, selten länger als 1 Stunde ● teilweise nach 10 – 15 min Zwischenbilanz – Abbruch in eindeutig negativen Fällen – v.a. wenn keine ausreichende Vorselektion
Komponenten des Multimodalen Interviews (aus Schuler, 2002, S. 191-193) Komponenten Inhalt 1. Gesprächsbeginn • Begrüßung • kurzes informelles Gespräch • Hauptaufgabe: freundliche, offene Gesprächsatmosphäre schaffen • Beurteilung: • ->keine 2. Selbstvorstellung des • Bewerber berichtet in freier Form über seinen Bewerbers Werdegang • Themen: Berufserfahrung bzw. Ausbildung, Berufswahl, berufsbezogene Erwartungen • Beurteilung: • -> hinsichtlich der Dimensionen, die Anforderung der Position entsprechen (summarische Beurteilung der Äußerungen) • -> beobachtbares Verhalten in der Situation
3. Freier Gesprächsteil • Fragen die sich auf vorangegangene Selbstvorstellung beziehen oder sich aus der Auswertung der Bewerbungsunterlagen ergeben • keine Standardisierung der Fragen (Anzahl, Inhalt) • Beurteilung: • -> Bewertung erfolgt in summarischer Form 4. Berufsinteressen, • Fragen zu berufsbezogenen Interessen Berufs-und • Fragen zu Motiven und Hintergründen der Berufswahl Organisationswahl • Fragen zu Beweggründen der Bewerbung und des Arbeitgeberwechsels • Fragen zur Selbsteinschätzung (Vgl. Selbstbild und vermuteten Tätigkeitsanforderungen) • Beurteilung: • -> verhaltensverankerte Einstufungsskalen • bei berufserfahrenen Bewerbern • -> Ersatz der Berufswahlfragen durch Fragen zu Handlungswissen • -> z.B. praxisbezogene Kenntnisfragen • Beurteilung: • -> Richtig oder Falsch
5. Biografiebezogene • Fragen die sich an Eigenschaftskonstrukten Fragen orientieren • Fragen zu Verhalten in eng umrissenen beruflichen Situationen • alle festgestellten Anforderungsdimensionen werden mit biografischen Fragen abgedeckt • es ist wichtig, dass von konkreten Bespielen berichtet wird, um typische Handlungsweisen des Bewerber zu gewinnen • Beurteilung: • -> verhaltensverankerte Einstufungsskalen 6. Realistische • Informationen über Tätigkeit (oder Ausbildung), Tätigkeitsinformation Anforderungen und Unternehmen • Gesichtspunkte die sich auf Interessen des Bewerbers beziehen und zur Selbstselektion und Entscheidungsfindung beitragen • positive und negative Aspekte sollten enthalten sein • Nachfragen des Bewerbers werden Platz gegeben • Beurteilung: • -> keine
7. Situative Fragen • Knappe Schilderung einer erfolgskritischen Situation • -> Frage nach dem Verhalten des Kandidaten in dieser Situation • Fragen beziehen sich auf organisationsspeziefische und generelle Problemsituationen • Fragen repräsentieren breites Tätigkeitsspektrum • Beurteilung: • -> verhaltensverankerte Einstufungsskalen 8. Gesprächsabschluss • Nachfragen des Bewerbers • Informationen über das weitere Vorgehen • Beurteilung: • -> keine
Konstruktionsabschnitte 1. Festlegung der Zielsetzung und der Zielgruppe 2. Auswertung vorliegenden anforderungsbezogenen Materials 3. Interviews mit Führungskräften 4. Durchführung einer Anforderungsanalyse auf Critical Incident- Basis 5. Durchführung einer Anforderungsanalyse mit dem standardisiertem Verfahren „Bedeutsamkeit und Erfüllungsgrad“ 6. Festlegung der Anforderungsdimensionen 7. Auswahl und Überarbeitung vorhandener Interviewfragen nach Kompatibilität mit den Anforderungsdimensionen 8. Formulierung neuer tätigkeitsspezifischer Interviewfragen entsprechend den Anforderungsdimensionen 9. Ausarbeitung einer vollständigen Fassung des Multimodalen Interviews für die Zielgruppe 10. Durchführung eines Interviewtrainings für die Anwender inklusive Feinabstimmung des Interviews
Beispiele ● Beispiele für Unternehmen Schankwirtschaft, Speisegastronomie und Großgastronomie ● faktoranalytische Datenanalyse ergab 5 Anforderungsdimensionen – Organisation, Motivation, Selbstkontrolle, Serviceorientierung, Führung – Anforderungsdimensionen werden in den Fragen umgesetzt – bestimmte Art von Fragen eignen sich für bestimmte Anforderungsdimensionen
● Frage zum Handlungswissen in der Schankwirtschaft „Laut Schankverordnung sind Sie verantwortlich für die Sauberkeit ihrer Bierleitungen. Wie oft müssen sie spätestens die Leitungen reinigen oder reinigen lassen?“ Richtige Antwort: alle 14 Tage ● Fragen zum Handungswissen sind weitestgehend unabhängig von den Anforderungsdimensionen
● Biografiebezogene Frage , Anforderungsdimension „Selbstkontrolle“ „Viele sagen, sie könnten mehr schaffen, wenn der Stress weniger wäre. Ist das bei ihnen auch so?“ 3 Punkte: Nein, Anstrengung/Leistung wächst mit den Anforderungen wichtig: Beantwortung durch Verhaltensschilderungen, eigene Beispiele ● biografiebezogene Fragen haben engsten Bezug zu Anforderungsdimensionen
● Biografiebezogene Frage, Anforderungsdimension Teamfähigkeit ● sequentieller Aufbau ● Eingangsfrage ist offen gestellt, weitere Fragen konkreter “Welche Erfahrungen haben sie mit der Gruppenarbeit gemacht? Nennen sie bitte ein Beispiel.“ “Sind in der Gruppenarbeit auch mal Probleme und Meinungsverschiedenheiten aufgetreten?“ “Was haben sie unternommen, um die Probleme zu lösen?“ “Was ist dabei herausgekommen?“ 1 – Arbeitet weniger gerne im Team, empfindet Probleme und Meinungsverschiedenheiten als unangenehm und hält sich deshalb aus dem Problemlösungsprozess lieber heraus 5 – Bewertet Teamarbeit als sehr produktiv, erkennt rasch Probleme in der Gruppe, steuert kreative Vorschläge zur Problemlösung bei und ist bei der Durchführung der Problemlösung engagiert dabei.
Situative Frage aus der Schankgastronomie “Ein Gast sitzt seit längerer Zeit still an der Theke. Unternehmen sie etwas oder lassen Sie ihn in Ruhe?“ 1 – Ich lasse ihn in Ruhe. 3 - Ich spreche ihn an/beginne ein Gespräch mit ihm. 5 – Ich versuche, ihn in ein Gespräch zu ziehen und ihn dabei mit seinem Nachbarn bekannt zu machen, so dass sie sich weiter unterhalten können. ● situative Fragen können Anforderungsdimensionen zugeordnet werden -> (können mehrere Anforderungsdimensionen abdecken) ● im Beispiel z.B. Serviceorientierung ● Situative Fragen eignen sich gut um den Bewerber über zu erwartende Anforderungen zu informieren
● bei positiver Beantwortung der Frage gehen Bewerber Commitment ein, sich in späteren Situationen auch so zu verhalten ● Kenntnis der Tätigkeit und ihrer erfolgskritischen Momente notwendig, um gute Fragen formulieren zu können ● situative Fragen und Fragen zum Handlungswissen sind um so tauglicher, je spezifischer sie auf die fragliche Tätigkeit bezogen sind -> „mentale Tätigkeitssimulation“ ● Fragen die beschönigtes Antwortverhalten provozieren, sollten im Vorversuch aussortiert werden
Frage zur Berufs- und Organisationswahl ● Können spezifisch oder allgemein formuliert sein “Was erwarten sie sich von ihrer künftigen Tätigkeit bei XX?“ “Haben sie schon Vorstellungen über ihre berufliche Entwicklung?“ 1 – Wenig konkrete Erwartungen; möchte berufliche Entwicklung auf sich zukommen lassen. Oder: weit überzogene Erwartungen 3 – Anspruchsvolle Erwartungen; ansatzweise Vorstellungen über künftige Entwicklung 5 – Realistische und differenzierte Erwartungen. Anspruchsvolle Erwartungen bezüglich der eigenen beruflichen Entwicklung, die in Abhängigkeit von eigener Anstrengung und Leistung gesehen wird.
Psychometrische Qualität des MMI Objektivität ● MMI besteht aus mehreren unabhängigen Einzelkomponenten – Bestimmung der Objektivität oder Beurteilerübereinstimmung für Einzelkomponenten möglich ● Studie von Schuler und Funke (1989) Multimodales Interview bei der Einstellung von Auszubildenden ● Selbstvorstellung r = .32 ● Berufswahlfragen r = .90 ● biografische Fragen r = .83 ● situative Fragen r = .71 ● Objektivität des gesamten MMI liegt in versch. Datensätzen zw. r = .71 und r = .92 – bei tainierten Interviewern r = .10 höher als bei untrainierten Interviewern
Reliabilität ● Kennwerte der internen Konsistenz (Cronbachs Alpha) aus einer Studie von Schuler und Fruhner, 1993 ● Selbstvorstellung a=.72 ● biografische Fragen a=.68 ● situative Fragen a=.58 und a=.70 ● Gesamtinterview a=.82 ● F&E Studie -> Reliabilitäten von Anforderungsdimensionen -> Reliabilitäten einzelner Anforderungsdimensionen schwanken von a=.70 – a=.84
Validität ● wichtige Rolle beim MMI spielt der Anforderungsbezug -> sämtliche Fragenteile basieren auf empirisch ermittelten Tätigkeitsinhalten und können Inhaltsvalidität für sich reklamieren ● prognostische Validität der Summenwerte des Multimodalen Interviews in verschiedenen Studien zwischen r=.30 und r=.50 (unkorrigiert) ● Studie von Schuler, Fruhner, Karkoschka & Moser (1994) ● tätigkeitsunspez. Assessment Center, Teil davon MMI ● Teilnehmer: Studierende versch. Fachrichtungen im Hauptstudium ● Kriterium: Erfolgsindikatoren, 4 Jahre später erhoben – bemerkenswerte Beziehung zu objektiven Erfolgskriterien: – Arbeitsstunden pro Woche (r = .40) – Zahl der Stellenangebote (r = .34) – aber auch Work Involvement (r = .38) und organis. Commitment (r = .30) prognostizierbar – keine Vorhersage der Vorgesetztenbeurteilung (r = .05)
● Konstruktvalidität -> die zu erfassen angestrebten psychologischen Konstrukte sind ermittelbar ● MMI bei dem Leistungsmotivation erfasst werden sollte -> Korrelationen von r=.57 und r=.54 mit Faktoren des Leistungs Motivations -Test (LMT; Hermans; Petermann & Zielinski, 1978) Leistungsstreben und Ausdauer und Fleiß ● geringe Korrelation zu nichtsprachlichem Intelligenztest -> negative Abgrenzung -> konkurrente Validität
Quellen Schuler, H. (2002). Das Einstellungsinterview. Göttingen: Hogrefe. Schuler, H. & Marcus, B. (2001). Biografieorientierte Verfahren der Personalauswahl. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie (S.190-226). Göttingen: Hogrefe.
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