2019 ZAR-SeminAR RINDERZUCHT AUSTRIA
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RINDERZUCHT AUSTRIA ZAR – Zentrale Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter Zuchtdata edv-dienstleistungen gmbh ZAR-Seminar 2019 10 Jahre genomische Selektion Rückblick und Ausblick Zentrale Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter - ZAR ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH Dresdner Straße 89/19, 1200 Wien +43 1 334 17 21 11 www.rinderzucht-austria.at I www.zuchtdata.at www.rinderzucht-austria.at I www.zuchtdata.at
Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der ReferentInnen 2 Univ.-Prof. Dr. Johann Sölkner Genomische Selektion – Hintergrund und Geschichte 3 Dr. Hermann Schwarzenbacher Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 7 Dr. Christa Egger-Danner Aspekte zur Optimierung von genomischen Zuchtprogrammen 16 Dr. Christian Fürst Status quo und Analyse der genomischen Zuchtprogramme in Österreich und Deutschland 25 DI Peter Stückler Genomisches Zuchtprogramm – Herausforderungen der Umsetzung in der Praxis 39 Dr. Stefan Rensing Blick über die Grenzen – Genomische Selektion bei Holstein international 45 Dr. Jørn Rind Thomasen Genomic Selection in the Nordic Countries 46 Dr. Gábor Mészáros Genomische Selektion in kleinen Rassen: Erfahrungen aus drei Ländern 48 Dr. Kay-Uwe Götz Zukunftsperspektiven der Rinderzucht vor dem Hintergrund neuer züchterischer Entwicklungen 53 ZAR-Seminar 2019 – Inhaltsverzeichnis 1
Verzeichnis der ReferentInnen Dr. Christa Egger-Danner ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH Dresdner Straße 89/19, 1200 Wien egger-danner@zuchtdata.at www.zuchtdata.at Dr. Christian Fürst ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH Dresdner Straße 89/19, 1200 Wien fuerst@zuchtdata.at www.zuchtdata.at Prof. Dr. Kay-Uwe Götz Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft Institut für Tierzucht Prof.-Dürrwaechter-Platz 1, 85586 Poing Kay-Uwe.Goetz@lfl.bayern.de www.lfl.bayern.de Assoc.Prof. Dr. Gábor Mészáros Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) Institut für Nutztierwissenschaften (NUWI) Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien gabor.meszaros@boku.ac.at www.boku.ac.at Dr. Stefan Rensing Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w.V. (VIT) Heinrich-Schröder-Weg 1, 27283 Verden/Aller stefan.rensing@vit.de www.vit.de Dr. Hermann Schwarzenbacher ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH Dresdner Straße 89/19, 1200 Wien schwarzenbacher@zuchtdata.at www.zuchtdata.at Univ.-Prof. Dr. Johann Sölkner Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) Institut für Nutztierwissenschaften (NUWI) Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien johann.soelkner@boku.ac.at www.boku.ac.at DI Peter Stückler GENOSTAR Rinderbesamung GmbH Am Tieberhof 6, A-8200 Gleisdorf peter.stueckler@lk-stmk.at www.genostar.at Dr. Jørn Rind Thomasen VikingGenetics Ebeltoftvej 16, Assentoft, DK-8960 Randers SØ jotho@vikinggenetics.com www.vikinggenetics.com ZAR-Seminar 2019 – Verzeichnis der ReferentInnen 2
Genomische Selektion – Hintergrund und Geschichte Johann Sölkner Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Department für Nachhaltige Agrarsysteme, Institut für Nutztierwissenschaften (NUWI) und Wechselwirkung akkumuliert werden Einleitung könnte, um den Zuchtwert von Tieren ausrei- Die Rinderzucht hat eine lange Tradition von chend gut zu beschreiben. sehr systematischer Selektion und damit ver- bundenen Leistungssteigerungen. Nach dem Das Genom und molekulare Aufkommen der künstlichen Besamung in den 1950er Jahren, die eigentlich ein Mittel zur Marker Deckseuchenbekämpfung war, haben Rinder- Die genetische Information ist beim Rind in züchter rasch erkannt, dass die systematische den 30 Chromosomenpaaren jeder Zelle ge- Nutzung der Informationen vieler Töchtern speichert, der genetische Code ist simpel. Vier einzelner Stiere extrem nützlich für die Zucht Basen-Buchstaben (A, C, G, T) reichen aus, um ist. Die Nachkommenprüfung war geboren in Dreierkombinationen „Worte“ oder „An- und dominierte für die nächsten 60 Jahre das weisungen“ zur Bildung von Aminosäuren und Zuchtgeschehen. Leistungsprüfung und Pe- Start- und Stop-Codons zu bilden, die für die digree waren die zentralen Informationen im Bildung von Enzymen, Proteinen und letztlich System der Zuchtwertschätzung. In dieser Zeit allen anderen Bausteinen des Lebens verant- erkannte man, dass das Zuchtziel komplex wortlich sind. Das Genom besteht aus rund 3 sein muss und dass Informationen über sehr Milliarden solcher Buchstaben. Das Genom viele Merkmale erhoben und genutzt werden wurde im Jahr 2001 beim Menschen vollstän- müssen. Der ökonomische Gesamtzuchtwert dig gelesen (sequenziert), seit 2005 liegt die wurde Mitte der 1990er Jahre in Österreich Sequenz auch beim Rind vor. Die Molekular- entwickelt (Miesenberger, 1997) und ist mit genetik ist dabei zu lernen, die Sprache des Modifikationen nach wie vor die zentrale Zahl Genoms besser zu verstehen. Aktuell weiß bei der Zuchtwahl von Rindern. man, dass es rund 50.000 Gene gibt, die abge- lesen und in Aminosäureketten übersetzt Molekulargenetiker haben früh auf den po- werden. Proteine sind aneinander gereihte tentiellen Nutzen molekularer Marker hinge- Aminosäuren. Die regulatorischen Mechanis- wiesen. Prof. Martin Förster von der LMU men der DNA sind Gegenstand vieler Unter- München postulierte im Jahr 1995, dass In- suchungen. formationen zur Wirkung von Genen auf Leis- tungsmerkmale recht bald die Leistungsprü- Molekulare Marker sind einzelne Basen oder fung ersetzen würden. Die quantitativen Ge- kurze Basen-Ketten, die mit molekularen Me- netiker, zu denen auch ich mich zähle, hielten thoden eindeutig wiederzufinden und örtlich das für übertrieben. Mein Vorgänger Prof. zuzuordnen sind. Sie können als eine Art Mar- Alois Essl replizierte, dass, selbst wenn Gene kierung für das jeweils rundum liegende Stück mit großer Wirkung gefunden würden, nie- des Genoms dienen. Ein wesentlicher Faktor mals genug Information über deren Aktion für die genomische Revolution in der Rinder- zucht war die Entwicklung von Hochdurch- ZAR-Seminar 2019 – Sölkner – Genomische Selektion – Hintergrund und Geschichte 3
satz-Technologien für die Genotypisierung gemessen, weil es eben zu teuer war, ein von SNPs (gesprochen: „Snips“, single nucleo- dichtes Marker-Netz zu knüpfen. tide polymorphisms) bezeichnet. Ein SNP be- zeichnet die Position einer einzigen Base (von Meine Zeit an der University of rund 3 Milliarden!), die in einer Population in Sydney, 2006-2007 mehr als einer Variante vorliegt. Fast 99 % des Im Jahr 2006 war eine einjährige Gastprofes- Genoms sind für alle Individuen einer Art sur „Molecular Animal Breeding“ an der Uni- identisch, also nicht SNP. Die Technologie zur versity of Sydney in Australien ausgeschrie- Auffindung von SNP hat sich rasant entwi- ben. Weil ich zwar einen guten Ruf als quanti- ckelt, heute kann man beim Rind und anderen tativer Genetiker hatte, aber noch wenig er- Nutztieren rund 50.000 SNP um € 20-30 ge- fahren mit der Analyse molekularen Daten notypisieren lassen. war, bewarb ich mich und bekam diese Stelle. Im September 2006 übersiedelte ich mit mei- Genomische Selektion ner Familie nach Sydney und fand Daten von Der erste Ansatz, genomische Marker in der 15.000 SNP Markern von 1.500 sicher geprüf- Zucht zu verwenden, wurde „Marker- ten Holstein Friesian Stieren vor, die von ei- gestützte Selektion“ benannt. Man suchte nem Wissenschafter-Team unter Leitung von Marker in der Nähe von Genen, für welche Prof. Herman Raadsma bearbeitet wurden. eine große Wirkung auf ein Merkmal postu- Ich fügte mich in dieses Team ein und war liert wurde, schätzte den Effekt verschiedener dort so etwas wie die kreative Qualitäts- Allele und fügte diese Marker in die konventi- Kontrolle des Teams. Die Überprüfung der onelle BLUP-Schätzgleichung ein. Dies wurden von Meuwissen, Hayes und Goddard (2001) von manchen Zuchtorganisationen in den vorgeschlagenen Methoden und auch die 1990er und frühen 2000er Jahren implemen- Entwicklung alternativer statistischer Ansätze tiert, mit recht wenig Erfolg. Das lag wohl der genomischen Selektion waren zentrales auch daran, dass Marker teuer waren und das Thema. Die Ergebnisse waren hervorragend. Genom mit vergleichsweise wenigen Markern Im März 2007 kam ich für zwei Wochen nach sehr schlecht abgedeckt werden konnte. Österreich und präsentierte erste Ergebnisse im Rahmen des ZAR-Seminars. Die zentrale In einer Schlüssel-Publikation schlugen Meu- Folie dieser Präsentation ist in Tabelle 1 wie- wissen, Hayes und Goddard (2001) einen al- dergegeben. ternativen Weg zur Nutzung genetischer Mar- ker in der Selektion vor, und benannten diese Tabelle 1: Sicherheiten genomischer Zuchtwerte Gruppe von Methoden „Genomische Selekti- aus Tests beim australischen Holstein Friesian Rind on“. In einer Simulation zeigten sie, dass ein (Sölkner, 2007) dichtes Netz von Markern verteilt über das Genom effektiv für die Vorhersage von Zuchtwerten genutzt werden kann, ohne vor- her die Effekte der einzelnen Marker zu prü- fen und einen großen Teil wegen nicht gesi- cherter Effekte auszuschließen. Dieser Publi- kation wurde anfangs wenig Bedeutung zu- ZAR-Seminar 2019 – Sölkner – Genomische Selektion – Hintergrund und Geschichte 4
Die Vorstellung, Zuchtwerte mit solchen Si- nicht nur eine große Zahl genetischer Marker, cherheiten aus dem Blut (also der DNA) jun- sondern auch eine große Referenzpopulation ger männlicher Kälber lesen zu können, war für die Erstellung von Schätzformeln für die für die Verantwortlichen der österreichischen genomische Selektion erforderlich ist (z.B. Liu Rinderzucht, ganz besonders der Fleckvieh- et al., 2011). Bei Holstein Friesian bildeten zucht, faszinierend. Noch vor meiner Rückrei- sich zwei große Konsortien, die Länder über- se nach Australien setzten wir uns zusammen greifend genomische Selektion betrieben. Für und beschlossen gemeinsam, ein Projekt zur die Rasse Braunvieh bildete sich ein einziges genomischen Selektion für Fleckvieh in Öster- internationales Konsortium mit dem Namen reich zu entwickeln. Ich nahm Kontakt mit der „Intergenomics“, an dem alle führenden ZuchtData GmbH auf und Christa Egger- Braunvieh-Länder teilnehmen, darunter na- Danner war meine wichtigste Partnerin bei türlich auch Österreich. Für die lokalen Rassen der Projektentwicklung. Zurück in Sydney ar- Tiroler Grauvieh und Pinzgauer führten wir beitete ich wieder an verschiedenen Metho- gemeinsam mit den Zuchtverbänden ein vom den der genomischen Selektion, bis hin zu BMLFUW (jetzt BMNT) finanziertes Projekt Machine Learning, die Ergebnisse waren je- zur potentiellen Einführung der genomischen doch für viele verschiedene Ansätze ähnlich Selektion bei diesen Rassen durch. Die Ergeb- gut. Es gab keine Methode, die besser als alle nisse mit jeweils rund 220 sicher geprüften anderen war. Stieren zeigten keine sehr starke Verbesse- rung, weshalb zu dieser Zeit (2014) auf eine Anfänge der genomischen Implementierung verzichtet wurde. Selektion in Österreich Anfang 2008 konnten wir bereits mit einem Aktueller Stand zur genomischen von der Österreichischen Forschungsförde- Selektion rungsgemeinschaft (FFG) sowie der AGÖF und Zuchtwertschätzung ist traditionell ein übli- deren Mitgliedsverbänden finanzierten Pro- cherweise höchst komplexes statistisches Ver- jekt „Entwicklung einer genomischen Zucht- fahren, mit dem man die Effekte des Geno- wertschätzung für Fleckvieh“ beginnen. Birgt typs und verschiedener Umweltfaktoren mög- Gredler und Hermann Schwarzenbacher wa- lichst gut trennen will. Die Hinzufügung von ren durch dieses Projekt finanzierte hervorra- rund 50.000 SNP Markern pro genotypisier- gende Wissenschafter und wir konnten zei- tem Tier hat das Verfahren weiter kompli- gen, dass genomische Selektion auch bei ziert. Bis vor recht kurzer Zeit war es nicht Fleckvieh funktioniert und deshalb implemen- möglich, genotypisierte und nicht genotypi- tiert werden sollte. Zeitgleich gab es auch ein sierte Tiere in einem Rechengang gemeinsam Projekt zur genomischen Selektion bei Fleck- zu berücksichtigen. Mit genotypisierten Tiere vieh in Deutschland und die Vorbereitungen wurde eine genomische Zuchtwertschätzung zur Implementierung der genomischen Selek- durchgeführt und diese Zuchtwerte wurden tion liefen gemeinsam bei allen drei Zucht- mit konventionellen Zuchtwerten aus der tra- wertschätz-Partnern. Im Dezember 2010 ditionellen Pedigree-basierten Zuchtwert- wurde die erste genomische Zuchtwertschätz- schätzung zu so genannten genomisch opti- liste bei Fleckvieh veröffentlicht. Internationa- mierten Zuchtwerten verknüpft. Ein in den le Untersuchungen in dieser Zeit zeigten, dass USA lebender polnischer Wissenschafter, Ig- ZAR-Seminar 2019 – Sölkner – Genomische Selektion – Hintergrund und Geschichte 5
nacy Misztal, hat gemeinsam mit Kollegen ei- Ich denke auch, dass wir uns für die kleinen ne Methode entwickelt, eben diese Trennung Rassen überlegen müssen, ob der Zuchtfort- aufzuheben und die Zuchtwerte genotypisier- schritt genomisch zu verbessern ist. Meine ter und nicht genotypisierter Tiere in einem Meinung is „ja“ und ich verweise auf den Bei- Rechengang zu ermitteln, die Single-Step Me- trag von Gabor Meszaros. thode. Hermann Schwarzenbacher wird diese und auch andere technische Aspekte der ge- Literatur nomischen Zuchtwertschätzung in seinem Liu, Z., Seefried, F.R., Reinhardt, F., Rensing, S., Thaller, Beitrag erörtern. G., Reents, R. (2011). Impacts of both reference population size and inclusion of a residual polygenic effect on the accuracy of genomic predic- Schlussfolgerung tion. Genetics Selection Evolution, 43, 19. Die Technologie der genomischen Selektion Meuwissen, T.H.E., Hayes, B.J., Goddard, M. E. (2001). Prediction of total genetic value using genome-wide hat die bereits zuvor extrem effiziente Rin- dense marker maps. Genetics, 157, 1819-1829. derzucht noch einmal deutlich verbessert. Na- Miesenberger, J. (1997). Zuchtzieldefinition und In- türlich stellt sich wie immer im Zusammen- dexselektion für die österreichische Rinderzucht. hang mit verbesserten Züchtungstechniken Dissertation, Universität für Bodenkultur Wien. auch die Frage, ob denn die Richtung der Sölkner, J. (2007). Möglichkeiten der molekularen Rin- derzucht. ZAR-Seminar 2007, Heffterhof, Salzburg. Zucht stimmt. Das möchte ich aus meiner Sicht für die österreichische Rinderzucht be- jahen. ZAR-Seminar 2019 – Sölkner – Genomische Selektion – Hintergrund und Geschichte 6
Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung Hermann Schwarzenbacher1, Christian Edel2 1ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH, Wien 2Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Tierzucht lange Zeit völlig unklar wie verbreitet solche Einleitung Hauptgene bei züchterisch relevanten Merk- Wissenschaftler in der Nutztierzüchtung ar- malen sind. beiten schon viele Jahrzehnte an Methoden zur Einbeziehung von Information aus geneti- Zuchtprogramme mit markergestützter Selek- schen Markern in den Selektionsprozess (Sol- tion wurden in einigen Ländern eingeführt, ler at al. 1976). Dies ist vergleichsweise ein- konnten sich jedoch nicht durchsetzen, da die fach bei sogenannten „Mendelschen Merk- Kosten-Nutzen Relation meist ungünstig war malen“, da hier häufig nur ein Genort an der (Bennewitz et al., 2004; Boichard et al. 2006). Ausprägung des Erscheinungsbildes beteiligt Die Jahre 2001 mit den Schlüsselpublikatio- ist. Beispiele hierfür sind rezessive Erbfehler nen von Meuwissen et al. (2001) zur Metho- oder genetische Besonderheiten wie die dik der genomischen Selektion und 2008 mit Hornlosigkeit. der Einführung von SNP Chips (Van Tassel et., Viel schwieriger gestaltet sich dieses Vorha- 2008) haben dann aber der Molekulargenetik ben bei polygenen Merkmalen. Solche Merk- in der Tierzüchtung endgültig zum Durch- male werden durch eine Vielzahl von Genva- bruch verholfen. Was waren die entscheiden- rianten beeinflusst. Die weitaus größte Grup- den Faktoren, die dies möglich gemacht ha- pe der Phänotypen, die Tierzüchter interes- ben? sieren, fällt in diese Kategorie. Erschwerend kommt hinzu, dass hier Umwelteinflüsse Genomische Zuchtwertschätzung meist mehr zu den beobachtbaren Unter- Die Zuchtwertschätzung (ZWS) über das Tier- schieden am Tier beitragen als die Genetik. modell ermöglicht die Abschätzung der gene- tischen Veranlagung eines Tieres anhand ei- Da die Genotypisierung vor der Einführung gener Leistungen bzw. der Leistungen von der sog. SNP Chips ein kostspieliges und zeit- verwandten Tieren. Um einschätzen zu kön- aufwändiges Unterfangen war, war es damals nen welche Aussagekraft die Eigenleistung nicht leistbar Nutztiere mit 1000en von Mar- oder auch Verwandteninformation auf den kern zu untersuchen. Ausgangspunkt der Zuchtwert eines Tieres hat, braucht man die Hoffnungen lag deshalb in der Hauptgenhypo- Erblichkeit, auch Heritabilität genannt. Un- these, welche unterstellt, dass auch bei poly- glücklicher Weise können wir diese nicht mes- genen Merkmalen einzelne Genvarianten sen, sondern sind auf statistische Verfahren existieren, die einen relevanten Anteil der angewiesen, die uns einen Schätzwert liefern. Tierunterschiede erklären. Obwohl man ein- Dabei werden die Leistungen verwandter Tie- zelne solcher Varianten kannte (z.B. DGAT1, re miteinander verglichen und darüber ermit- Grisart et al. 2002, Winter et al. 2002) war ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 7
telt, welcher Anteil der beobachtbaren Unter- nomischen Selektion, da darüber der jährliche schiede auf genetische Einflüsse zurückzufüh- Zuchtfortschritt vor allem über die Verkür- ren ist. zung des Generationsintervalls erhöht wer- den kann. In der eigentlichen ZWS werden nun nicht nur die Leistungen des einzelnen Tieres betrach- Der Vollständigkeit halber darf nicht uner- tet sondern es werden Leistungsinformatio- wähnt bleiben, dass es mit dem SNP-BLUP nen von allen verwandten Tieren im Pedigree Modell („Markermodell“) eine alternative gleichzeitig herangezogen, um den Zuchtwert Formulierung zum G-BLUP gibt. Im Gegensatz eines Tieres zu schätzen. Je höher die Erblich- zum G-BLUP werden in diesem Modell Zucht- keit eines Merkmals dabei ist und umso enger werte für Markereffekte geschätzt. Der die Verwandtschaft, umso höher ist die Ge- Zuchtwert eines genotypisierten Tieres ergibt wichtung einer verwandten Leistungsinforma- sich durch simples Multiplizieren der Marker- tion. Die Verwandtschaft zwischen Tieren effekte mit dem jeweiligen Markergenotyp, entspricht jedoch nicht dem tatsächlichen An- und anschließendes Aufsummieren über alle teil herkunftsgleicher Gene, sondern dem Marker in der Schätzung. Obwohl intuitiv durchschnittlichen Wert aufgrund der Ab- überraschend, führt das SNP-BLUP Modell un- stammung. So teilen sich bei diesem Verfah- ter bestimmten Umständen zu identischen ren Enkel beispielsweise mit Großeltern im Genomzuchtwerten wie das G-BLUP Modell. Durchschnitt 25% gleiche Genvarianten (ohne Diese Modellformulierung hat in Schätzsys- Berücksichtigung von Inzucht), während der temen mit einer großen Anzahl von genotypi- tatsächliche Schwankungsbereich aber zwi- sierten Stieren rechentechnische Vorteile. schen 10 und 40% liegen kann. Die genomische ZWS als genomisches BLUP In zwei Schritten zum Modell (G-BLUP) kann nun als Erweiterung Genomzuchtwert dieser herkömmlichen ZWS verstanden wer- Obwohl durch die Einführung der SNP Chips den. Da über SNP Chips für jedes genotypi- die Preise für die Erzeugung eines Genotyps sierte Tier tausende Markergenotypen zur drastisch sanken und der Labordurchsatz ver- Verfügung stehen, ist es nun möglich die tat- vielfacht wurde, war die Genotypisierung in sächlichen Verwandtschaften zwischen Tieren den Anfangszeiten der genomischen Selektion mit extrem hoher Genauigkeit zu bestimmen, immer noch ein teures Unterfangen. Es war anstatt sich auf die aus der bekannten Ab- daher effizient nur Tiere mit genau geschätz- stammung ermittelten Durchschnittswerte zu ten Phänotypen zu genotypisieren – beim verlassen. Dadurch können Leistungsinforma- Rind sind das geprüfte Stiere mit hunderten tionen von verwandten genotypisierten Tie- bis tausenden von Nachkommenleistungen. ren nun wesentlich genauer gewichtet wer- Diese Gruppe bildet die sogenannte Lern- den. Erstmals war hierduch möglich bei Jung- stichprobe (LSP), die oft auch als Kalibrierung tieren ohne Eigen- und Nachkommenleistung bezeichnet wird. Die Übertragung der Leis- Zuchtwerte zu schätzen, die vom Mittelwert tungsinformation von den Nachkommen auf der Eltern abweichen (=Zufallshälfte). Die die Stiere der Lernstichprobe geschieht über frühzeitige Abschätzung der Zufallshälfte ist eine vorgeschaltete konventionelle Zucht- beim Rind der entscheidende Vorteil der ge- wertschätzung. Aus dieser Schätzung werden ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 8
dann sogenannte „Pseudo-Phänotypen“ für Phänotypen der LSP nicht repräsentiert ist. die Tiere der LSP abgeleitet. Diese Informati- Das betrifft beispielsweise Eigenleistungen onen sind die zusammengefassten und um von Kühen, deren Kälber als Kandidaten ge- systematische Umwelteinflüsse bereinigten schätzt werden. Der gdZW wird dadurch zum durchschnittlichen Leistungen der Töchter- offiziell anerkannten genomisch optimierten gruppen der Stiere. ZW (goZW). In der G-BLUP ZWS nach dem oben beschrie- benen Prinzip gehen daher zunächst nur Stie- re der LSP ein. Die Zuchtwerte aus diesem Schätzlauf werden als genomisch direkte Zuchtwerte (gdZW) bezeichnet. Der Vollstän- digkeit halber darf nicht unerwähnt bleiben, dass grundsätzlich auch genotypisierte Kühe mit Eigenleistung in die LSP aufgenommen werden könnten. Dass genotypisierte Kühe in der Anfangszeit kaum in nennenswertem Um- fang anfielen ist wohl der Grund dafür, dass sie in der Regel in der LSP bis heute nicht be- rücksichtigt werden. Wollte man dies ändern, müsste man im Hinblick auf eine zuverlässige Schätzung jedoch zusätzlich darauf zu achten, Abbildung 1: Schematischer Ablauf der zweistufi- ob die wenigen bisher sehr selektiv ausge- gen genomischen Zuchtwertschätzung (G-BLUP) wählten genotypisierten Kühe tatsächlich re- Aus dieser Ablaufbeschreibung wird klar, dass präsentativ für die zu schätzende Population das aktuelle zweistufige Schätzsystem aus vie- sind. len Arbeitsschritten besteht. Daraus ergeben Als Kandidaten werden alle genotypisierten sich neben organisatorischen Erfordernissen Tiere bezeichnet, die nicht in der Lernstich- auch methodische Schwächen: probe sind. Das können Kälber sein aber auch Keine Berücksichtigung der genomi- Kühe mit mehreren abgeschlossenen Laktati- schen Vorselektion: onen. Da wir keinen Informationsübertrag Die Genomzuchtwerte eines Kandidaten er- aus der Genomik haben, geht die kon- rechnen sich aus den genomischen Zuchtwer- ventionelle ZWS wie bisher davon aus, ten aller Stiere in der LSP sowie deren geno- dass Genomische Jungvererber (GJV) mischer Verwandtschaften zum jeweiligen zufällige Stichproben ihrer Eltern sind. Tier. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Leis- Der Durchschnitt der Elternzuchtwerte tungsinformationen aus Kandidaten nicht ist daher der vermeintlich beste zum Schätzwert aus der Lernstichprobe bei- Startwert und sobald verfügbar wird tragen. Ebenso beeinflussen sich Genom- Nachkommeninformation herangezo- zuchtwerte von Kandidaten nicht gegenseitig. gen um die tatsächliche Elternabwei- Im letzten Schritt wird schließlich die Leis- chung abzuschätzen. Tatsächlich wer- tungsinformation ergänzt, die in den Pseudo- den aber Kandidaten an den Genom- ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 9
zuchtwerten streng vorselektiert, was dazu führt, dass die wahren Zuchtwer- Lektionen aus 10 Jahren Genomik te von selektierten GJV im Durch- Hunderttausende, beim Holstein gar Millio- schnitt deutlich über dem wahren El- nen von Genotypen erlauben völlig neue Ein- ternmittel liegen. Es ist zu erwarten, sichten in die genetische Fundierung von po- dass konventionelle Zuchtwerte bei lygen bedingten Merkmalen. Diese Befunde Merkmalen, die unter strenger Selek- sind wichtig um Wege zu identifizieren, wie tion stehen, im weiteren Verlauf zu- die Leistungsfähigkeit der genomischen ZWS nehmend unterschätzt werden, vor al- zukünftig gesteigert werden kann. lem solange noch wenig Information Es gibt (fast) keine wichtigen Genvari- aus Nachkommen vorliegt. Es gibt in- anten! zwischen Hinweise aus vielen Ländern, Die Genomforschung hat gezeigt, dass dass dies zunehmend zum Problem in fast allen züchterisch interessanten werden dürfte (z.B. Masuda et al., Merkmalen tausende genetische Vari- 2018). Da konventionelle Zuchtwerte anten an der Merkmalsausprägung be- wiederum Grundlage der G-BLUP teiligt sein dürften. Einzelne Hauptge- Schätzung sind, ist mit einer Fehler- ne sind in den vielen Merkmalen von fortpflanzung in die Genomik zu rech- Bedeutung, erklären aber zusammen- nen. genommen selten mehr als 5 oder Kein Rückfluss von Information auf 10% der genetischen Variation (God- nicht genotypisierte Tiere: dard et al. 2016, Weller et al., 2017). Der SNP-Genotyp eines Kalbes bein- Sehr viele SNPs bringen keine Verbes- haltet Information zum Genotyp der serung! Mutter, auch wenn diese selbst nicht Dieser Befund ist auch in Zusammen- genotypisiert ist. Weist ein Kalb an ei- hang mit den weitgehend fehlenden nem Marker den Genotyp AC auf und Hauptgenen zu sehen. Vereinfacht ge- dessen Vater ist reinerbig AA, dann ist sagt ist es nicht entscheidend eine beispielsweise klar, dass die Mutter kausale Genvariante über dichte Ge- ein C Allel vererbt hat. Diese indirekte notypisierung zielgenau festzunageln, Herleitung von Genotypen wird als wenn diese nur 0,01% der genetischen Genotypen-Imputation bezeichnet Unterschiede erklärt. Zudem ist die und ist relevant, da hergeleitete Geno- genetische Variabilität unserer Nutz- typeninformation natürlich auch rinder aufgrund der strengen Selektion zuchtwertrelevante Informationen im Vergleich zur Tierzahl sehr klein darstellen. (die effektive Populationsgröße liegt Im aktuellen zweistufigen Schätzssys- meist zwischen 50 und 200). Das be- tem bleibt diese jedoch unberücksich- deutet, dass gleiche und vorteilhafte tigt. Chromosomenabschnitte bei sehr vie- len Zuchttieren zu finden sind. Es ist nachvollziehbar, dass es wenig bringt die Vererbung eines solchen Ab- schnitts mit hunderten Markern zu ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 10
verfolgen, da in der genomischen ZWS Die Wiedervereinigung: jeweils nur ein Effekt für den gesam- Single-Step ZWS ten Chromsomenabschnitt schätzbar Im Jahr 2009 haben Legarra und Misztal einen ist. Für das Fleckvieh wurden sowohl Vorschlag zur Zusammenführung von genomi- mit 780.000 HD Genotypen als auch scher und konventioneller ZWS in ein Verfah- mit ~12 Mio imputierten Sequenzvari- ren gemacht (Legarra at al. 2009, Misztal et anten nur marginale Anstiege der Si- al. 2009). Herzstück dieses Ansatzes ist die cherheiten von Genomzuchtwerten Berücksichtigung der Verwandtschaft aus Ge- gefunden (Ertl et. al. 2014, Erbe et al. nominformation nicht nur für Genotypisierte 2016). sondern für alle Tiere in der Zuchtwertschät- zung. Dies wird durch einen Informations- Teuer aber effektiv: Genotypen und übertrag erreicht, bei dem beobachtete Ge- Phänotypen in großer Zahl notypen und Abstammungsinformationen Plieschke et al. (2016) zeigen in einer miteinander kombiniert werden. Dabei wer- aufwändigen Simulationsstudie, dass den mit einer bestimmten Genauigkeit Geno- bei Merkmalen mit 40% Erblichkeit typen, ausgehend von genotypisierten Tieren, durch das gezielte Typisieren von bis ins Pedigree ‚hineingerechnet‘. Dieser Prozess zu 100 Töchtern pro GJV über mehrere wird als Genotypenimputation bezeichnet. Stierjahrgänge die Sicherheiten der Dadurch entfällt vom Prinzip her die Notwen- goZW auf 80% gesteigert werden kön- digkeit, genomische Zuchtwerte und nicht be- nen. Die große Zahl der Töchtergeno- rücksichtigte konventionelle Zuchtwerte typen mit den zugehörigen Leistungs- nachträglich miteinander zu kombinieren. informationen erlauben eine wesent- lich genauere Abschätzung der Unter- Analog zum zweistufigen SNP-BLUP Verfahren schiede zwischen den einzelnen alter- gibt es auch im Single-Step eine äquivalente nativen Chromosomenabschnitten die Modellformulierung über die Zuchtwerte zu- dieser Vater an seine Töchter weiter- nächst für SNP Marker geschätzt werden. gegeben hat. Dies gilt aber auch für Tierzuchtwerte können dann wie oben be- die Zuchtwerte einzelner Chromoso- schrieben aus Markereffekten errechnet wer- menabschnitte dieses Stieres. Da diese den. Chromosomenabschnitte über zwei bis drei Generationen relativ stabil wei- Der Rechenaufwand für die Lösung einer Sin- tergegeben werden ist es dadurch gle-Step ZWS ist stark abhängig von der An- besser möglich einzuschätzen, wie sich zahl der Genotypen. Problematisch ist vor al- die Weitergabe von Chromosomen an lem, dass sich der Rechenaufwand sowie der die Nachkommen auf deren Zuchtwert Speicherbedarf nicht linear zur Anzahl der auswirkt. Die Autoren zeigen in ihrer Genotypen verhält. Anwendungen in großen Studie aber auch auf, dass es wichtig Populationen sind daher nur über leistungs- ist repräsentative Töchterinformatio- fähige Rechner und vor allem hochentwickel- nen zu bekommen. Bei vorselektierten te Software wie MiX99 (Lidauer et al. 2017) Töchtergruppen geht der Sicherheits- möglich. zugewinn fast vollständig verloren. ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 11
figen Verfahren bei Merkmalen unter starker genomischer Vorselektion eine Verzerrung konventioneller und in weiterer Folge auch genomischer Zuchtwerte zu erwarten. Im Single- Step Verfahren wird jedoch der geno- mischen Vorselektion Rechnung getra- gen, da in diesem Verfahren nicht der konventionelle sondern der genomi- sche Ahnenindex der beste Startwert eines vorselektierten Besamungsstie- res ist, bevor Töchterleistungen auf- laufen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es bisher noch keine langfristigen Abbildung 2: Schematischer Ablauf der Single- Erfahrungen aus Routineanwendun- Step Zuchtwertschätzung gen mit diesem Zuchtwertschätzver- fahren gibt. Vorteile des neuen Verfahrens Bereits in diesem Jahr wird es voraussichtlich Optimale Nutzung der verfügbaren In- zur Routineeinführung des neuen Verfahrens formation für die genomische Vorher- bei allen Exterieurmerkmalen in der Rasse sage Fleckvieh kommen. Auch bei den anderen Jedes Tier mit Leistungsinformation Merkmalen und beim Braunvieh ist in den trägt in diesem Verfahren zur Schät- nächsten Jahren mit einer stufenweise Um- zung bei. Dies betrifft vor allem geno- stellung auf das neue Verfahren zu rechnen. typisierte Stiere und Kühe, aber, auf- grund der Genotypenimputation, auch Herdentypisierung untypisierte Tiere unter Leistungsprü- Seit Einführung der Genomischen Selektion fung. Indirekt können sogar genotypi- (GS) vor 10 Jahren hat sich der Schwerpunkt sierte Tiere ohne Leistung zur Schät- der Genotypisierung zunehmend auf weibli- zung beitragen, indem sie helfen den che Tiere verlagert. Die Nutzung von GS zur Genotyp von verwandten Tieren mit genomischen Vorselektion von Stieren wurde Leistung zu imputieren. Ein Beispiel daher zusehends erweitert auf die Selektion wäre eine untypisierte Kuh mit mehre- interessanter Kalbinnen für die Hochzucht ren genotypisierten Nachkommen. (z.B. Embryotransfer) und in weiterer Folge Daher ist dieses Verfahren auch opti- auf die innerbetriebliche Selektion der Nach- mal um Informationen aus Herdenty- zucht. Die Frage ob und wie umfangreich pisierungsprojekten wie FoKUHs oder weibliche Tiere mit Phänotypendaten geno- Braunvieh Vision in die genomische typisiert werden, ist heute zu einem ent- ZWS zu integrieren. scheidenden Faktor im Wettbewerb der Rin- Berücksichtigung der genomischen derpopulationen geworden. Vorreiter dieser Vorselektion Entwicklung sind wie so oft die USA mit aktu- Wie oben beschrieben ist im zweistu- ell 2,43 Mio Genotypen, 91% davon weiblich ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 12
(https://queries.uscdcb.com/Genotype/cur_ctry.h tml). Auch in unserer genomischen ZWS ist diese Entwicklung in abgeschwächter Form zu beobachten (Abbildung 3). Abbildung 3: Entwicklung der Genotypisierungszahlen beim Fleckvieh (links) und Braunvieh (rechts) nach Geschlecht und Geburtsjahrgang in der gemeinsamen genomischen ZWS (Stand 03/19). Besonders wichtig wird die Genotypisierung verwundert daher nicht, dass in vielen Län- von weiblichen Tieren bei Merkmalen die erst dern Projekte zur systematischen Genotypi- seit kurzer Zeit erhoben werden. Ein Beispiel sierung von weiblichen Tieren initiiert wur- hierfür sind direkte Gesundheitsmerkmale auf den. Das Ziel dieser Programme ist der Auf- der Basis von tierärztlichen Diagnosen bau einer Kuh-Lernstichprobe, meist mit dem und/oder Beobachtungen durch den Tierhal- Schwerpunkt auf Gesundheitsmerkmalen. Die ter. Hier ist der Aufbau einer Kalibrierung Tabelle 1 gibt einen Überblick über laufende über geprüfte Stiere ein langwieriger Prozess Herdentypisierungsprojekte in Österreich und der mindestens 10 bis 15 Jahre in Anspruch Deutschland. Im Rahmen des Projektes nimmt. Über die direkte Einbeziehung von FoKUHs wurden bisher 13.500 FV, 1.400 BV genotypisierten Kühen, die für das Merkmal und 1.700 HF Typisierungen durchgeführt unter Leistungskontrolle stehen, kann hinge- (Stand März 2019). Die Vollständigkeit der gen innerhalb weniger Jahre eine genomische Phänotypenerfassung wird im Projekt laufend Zuchtwertschätzung etabliert werden. Es überprüft. ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 13
Tabelle 1: Übersicht über derzeit laufende Herdentypisierungsprojekte in Österreich und Deutschland (Stand 03/2019). Projekt FoKUHs Braunvieh Vision Fleckfficient KuhVision Land Österreich Bayern, Baden- Baden- Deutschland (incl. Württemberg Württemberg AT) Laufzeit 01.18-12.22 07.17-06.20 01.19-12.21 06.16-09.20 Anzahl 463 182 200 1.250 Betriebe 346-FV (Stand 02.19) (Stand 01.19, 57-BV inkl. 60-HF (Teiln. an Herdentypisierung Kuhvision) Rassen FV, BV, HF BV FV HF Anzahl Geno- 35.000 (FV) 38.000 20.000 Ziel 250.000 typisierungen 5.500 (BV) aktuell>300.000 5.500 (HF) (Stand 01.19) Erfasste Ein Programm für Ein Programm für Mehrere Mehrere Phänotypen alle alle Programme: Programme: Basis, Premium, Basis, Basis+, Premium+ Basis++ Standardmerkmale Standardmerkmale Standardmerkmale Standardmerkmale Gesundheitsdaten Gesundheitsdaten Gesundheitsdaten Gesundheitsdaten über GMON als über ProGesund über GMON; Kälbe- über GMON; tierärztl. Diagnosen und GMON als Di- rerkrankungen agnosen und Be- incl.Trinkschwäche obachtungen; Käl- bererkrankungen incl. Trinkschwäche Stoffwechsel Verhalten: (Saug- (Ketotests) verhalten, Melkver- halten, Kuhcharak- ter) Lebendgewichte und Körpermaße Klauenpflegedaten Klauenpflegedaten Klauenpflegedaten lineare lineare lineare lineare Beschreibung Beschreibung Beschreibung Beschreibung In Bayern ist der Start des Fleckviehprojekts „FleQS“ für den 1. Mai 2019 geplant. Die Herausforderungen die sich aus der Viel- Zum einen müssen weibliche Tiere mit Leis- zahl Projekte für die genomische Zuchtwert- tungsinformationen für bestehende Merkma- schätzung ergeben sind beträchtlich. le sukzessive in die Lernstichprobe integriert werden. Dies wird aus heutiger Sicht über die ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 14
Umstellung auf die Single-Step ZWS gesche- Grisart et al., (2002): Positional candidate cloning of a QTL in diry cattle. Identification of a missense muta- hen. Es gibt aber auch eine Reihe von Merk- tion in the bovine DGAT1 gene with major effect on malen aus dem Gesundheitsbereich, für die es milk yield and composition. Genome Ges. 12:222- entweder noch keine genomischen Zuchtwer- 231. te gibt (Mastitis, frühe Fruchtbarkeitsstörun- Legarra, A. et al. (2014): Single step, a general approach for genomic selection. Livest. Sci. 166:54-65. gen, Zysten, Milchfieber), oder für die völlig Legarra, A., et al. (2009): A relationship matrix including neue ZWS entwickelt werden müssen full pedigree and genomic information. J. Dairy Sci. (Klauenbereich, Kälbererkrankungen, Verhal- 92:4656-4663. tensmerkmale). Lidauer, M., K. Matilainen ,E. Mäntysaari, T. Pitkänen, M. Taskinen und I. Strandén. 2017 MiX99. General Entscheidend für den langfristigen Erfolg der program for solving large mixed model equations Projekte wird sein, ob es gelingt eine Verste- with preconditioned conjugate gradient method. Relase XI/2017, Jokioinen, Finland. tigung der Herdentypisierung in Österreich Masuda et al. (2017): Differing genetic trend estimates und Deutschland nach dem Auslaufen der from traditional and genomic evaluations of geno- Fördermittel zu erreichen. Betriebe werden typed animals as evidence of preselection bias in US nach nüchternen Kosten-Nutzen Überlegun- Holsteins. J. Dairy Sci. 101:5194-5206. gen entscheiden. Daher ist es wichtig einen Meuwissen THE. et al. (2001): Prediction of total genet- ic value using genome-wide dense marker maps. unmittelbaren Nutzen für den Betrieb zu ge- Genetics 157. 1819-1829. nerieren. Dafür sind neben aussagekräftigen Misztal, I., et al. (2009): Computing procedures for ge- Genomzuchtwerten, dem einfachen Zugang netic evaluation including phenotypic, full pedigree, zur genomischen Untersuchung und günsti- and genomic information. J. Dairy Sci. 92.4648- 4655. gen Typisierungspreisen auch Software Lö- Plieschke L. et al. (2016): Systematic genotyping of sungen im RDV notwendig, die die Nutzung groups of cows to improve genomic estimated von Genomik für die Zuchtarbeit am Betrieb breeding values of selection candidates. Genet. Sel. unterstützen. Evol. 48:73. Soller et al. (1976): On the power of experimental de- signs for the detection of linkage between marker Literatur: loci and quantitative loci in crosses between inbred Bennewitz J. et al. (2004): Top down preselection using lines. Theor. Appl. Genet. 47(1):35.9. marker assisted estimates of breeding values in VanTassel, C.P., et al. (2008): SNP discovery and allele dairy cattle. J. Anim. Breed. Genet. 121:307-318. frequendy estimation by deep sequencing of re- Boichard D. et al. (2006): Implementation of marker- duced representation libraries. Nat. Methods 5: assisted selection: Practical lesion from dairy cattle. 247.252. Proc. 8th World Cong. Genet. Appl. Livest. Prod., Be- Weller et al. (2017): Invited review: A perspective on lo Horizonte, MG Brazil. the future of genomic selection in dairy cattle. J. Erbe et al. (2016): Genomic prediction using imputed Dairy Sci. 100: 8633-8644. sequence data in dairy and dual purpose breeds. Winter et al. (2002): Association of a lysine-232/alanine Journal of Animal Science 94(supplement5):198. polymorphism in a bovine gene encoding acyl- Ertl et al. (2014): On the limited increase in validation CoA:diacylglycerol acyltransferase (DGAT1) with var- reliability using high-density genotypes in genomic iation at a quantitative trait locus for milk fat con- best linear unbiased prediction: observations from tent Proc. Natl. Acad. Sci. USA99: 9300-9305. Fleckvieh cattle. J Dairy Sci. 2014;97(1):487-96. doi: 10.3168/jds.2013-6855. Goddard et al. (2016): Genetics of complex traits: pre- diction of phenotype, identification of causal poly- morphisms and genetic architecture. Proc. Biol. Sci. 283:20160569. ZAR-Seminar 2019 – Schwarzenbacher – Genomische Zuchtwertschätzung und Herdentypisierung 15
Aspekte zur Optimierung von genomischen Zucht- programmen Egger-Danner1, Alfons Willam2 1ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH, Wien 2Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Institut für Nutztierwissenschaften (NUWI) teils auf Analysen im Rahmen des For- 1. Einleitung schungsprojektes OptiGene (Egger-Danner et Preisstürze bei Genomanalysen ermöglichten al., 2015a). Im Beitrag von (Fürst et al., 2019) die Entwicklung und Einführung der genomi- wird der aktuelle Stand der Umsetzung der schen Selektion in den Routinebetrieb inner- Zuchtprogramme evaluiert. halb weniger Jahre. Weltweit wurden die Zuchtprogramme aufbauend auf diesen Mög- 2. Evaluierung eines lichkeiten umstrukturiert. Durch die Möglich- keiten der genomischen Selektion liegen von Zuchtprogrammes Jungtieren ohne Eigenleistung oder Nach- 2.1 Methode kommenprüfung bereits Zuchtwerte mit Si- Die Analyse von Optimierungsschritten bzw. cherheiten von 50-70% vor. Große Steigerun- Auswirkungen von verschiedenen Strategien gen bei den Zuchtfortschritten von bis zu bei der Gestaltung von Zuchtprogrammen 100% wurden oftmals prognostiziert (u.a. wurde im Rahmen des Projekte OptiGene Schaffer, 2006). Zuchtziele, Möglichkeiten der (Egger-Danner et al. 2015a) mit dem Compu- Leistungsprüfung, Zuchtwertschätzung und terprogramm ZPLAN (Willam et al., 2008) Zuchtprogramme wurden überarbeitet und durchgeführt. ZPLAN optimiert Selektionsstra- werden laufend an die neuen Möglichkeiten tegien in der Tierzucht bei Verwendung eines angepasst. Um die laut Zuchtziel angestrebten deterministischen Ansatzes aufbauend auf Zuchtfortschritte zu realisieren, ist es wichtig, der Genflussmethode und einem Selektions- dass aussagekräftige Merkmale aus der Leis- index. Die genetische und ökonomische Effizi- tungsprüfung für die Zuchtwertschätzung zur enz von Zuchtprogrammen kann evaluiert Verfügung stehen. Im Gesamtzuchtwert sind werden. Selektionsgruppen mit unterschiedli- die Merkmale nach ihren Erheblichkeiten, ge- chen Selektionsintensitäten und individuellen netischen Beziehungen untereinander und Informationsquellen können im Index defi- den wirtschaftlichen Gewichten kombiniert niert werden. Zusätzlich müssen für alle Se- um die gewünschten Zuchtfortschritte zu er- lektionsgruppen verschiedene biologische zielen. Die Informationen aus der Zuchtwert- Kennzahlen, Populations- und Kostenparame- schätzung sind die Grundlage für die Auswahl ter definiert werden. Informationen zu den der interessantesten Zuchttiere gemäß verwendeten biologischen, genetischen und Zuchtprogramm. Im vorliegenden Beitrag ökonomischen Parametern sind in Egger- werden verschiedene Möglichkeiten zur Op- Danner et al. (2012b) dargestellt. Als Kriteri- timierung eines genomischen Zuchtprogram- um für die Evaluierung wird in diesem Beitrag mes am Beispiel Fleckvieh AUSTRIA aufge- der monetäre Zuchtfortschritt pro Jahr zeigt. Die Ausführungen beziehen sich groß- ZAR-Seminar 2019 – Egger-Danner – Aspekte zur Optimierung von genomischen Zuchtprogrammen 16
(monZF/J herangezogen. Dieser ist folgen- 2.3 Genomisches Zuchtprogramm dermaßen definiert: Fleckvieh AUSTRIA Monetärer Zuchtfortschritt (ZF): Der Zucht- Abbildung 2: Zuchtprogramm Fleckvieh AUSTRIA fortschritt ist die durchschnittliche monetäre 2012 bzw. naturale Überlegenheit der Nachkom- men der selektierten Tiere einer Selektions- runde gegenüber der Elterngeneration in der Zuchtstufe (pro Generation oder pro Zeitein- heit). 2.2 Faktoren (Hebel) im Zuchtprogramm für Zuchtfortschritt Die Formel zur Berechnung des Zuchtfort- schrittes ist in Abbildung 1 dargestellt. Abbildung 1: Mathematische Formulierung des Zuchtfortschrittes (ZF) pro Zeiteinheit (T) und Fak- toren für Zuchtfortschritt Das genomische Zucht- programm Fleckvieh AUSTRIA wurde 2012 von der Arbeitsgemein- schaft österreichischer Fleckviehzüchter mit ei- nem angestrebten Anteil an Jungstierbesamungen bei den Herdebuchkü- hen von 50% und von 75% in der gezielten Der Zuchtfortschritt pro Jahr wird durch die Paarung beschlossen. Als weiteres Ziel wurde Remontierung (Selektionsintensität (i)), die festgelegt, dass aus 20 Kandidaten jeweils ein genetische Streuung des Merkmals (sa), die Jungstier selektiert wird (1:20). Die 50% der Genauigkeit der Zuchtwertschätzung (rAgA) Jungstierbesamungen an den Herdebuchkü- und das Generationsintervall (T) bestimmt. hen sollen mit 60 jedes Jahr selektierten Der Zuchtfortschritt wird wiederum für die Jungstieren durchgeführt werden, die besten verschiedenen Selektionsgruppen berechnet. 10 Nachkommen geprüften Stiere sollen jähr- lich selektiert werden. Die Remontierungsrate wurde inzwischen angepasst und liegt aktuell bei 1:40. ZAR-Seminar 2019 – Egger-Danner – Aspekte zur Optimierung von genomischen Zuchtprogrammen 17
3. Optimierungsschritte im dargestellt. Bei GS50 werden 50 % aller Be- Zuchtprogramm samungen mit Jungstieren mit genomisch op- timierten Zuchtwerten durchgeführt, bei Im vorliegenden Kapitel wird auf die Möglich- GS100 werden nur mehr Jungstiere einge- keiten von Optimierungsschritten eingegan- setzt. gen. Die Diskussion orientiert sich an den all- gemeinen Stellschrauben in einem Zuchtpro- Tabelle 1: Monetärer Zuchtfortschritt pro Jahr in Abhängigkeit von der Sicherheit der genomisch gramm. optimierten Zuchtwerte für drei Varianten eines Begriffe bei den Darstellungen: genomischen Zuchtprogrammes (GS50, GS75, GS50: Genomisches Zuchtprogramm, bei dem GS100) 50% der Besamungen der Herdebuchkühe und GS50 GS75 GS100 Stiermütter mit Jungstieren durchgeführt wer- GZW-Si-49% 97,0 (-3,0) 101,8 (-4,3) 107,5 (-6,1) den. GZW-Si-58% 100,0 106,1 113,6 GS75: Genomisches Zuchtprogramm, bei dem 75% der Besamungen der Herdebuchkühe und GZW-Si-69% 103,0 (+3,0) 110,6 (+4,5) 120,0 (+6,4) Stiermütter mit Jungstieren durchgeführt wer- GZW-Si-80% 105,5 (+5,5) 114,3 (+8,2) 125,5 (+11,9) den. GI (Jahre) 4,69 4,13 3,57 GS100: Genomisches Zuchtprogramm, bei dem 100% der Besamungen der Herdebuch- kühe und Stiermütter mit Jungstieren durchge- Wie Tabelle 1 zeigt, erhöht sich der monetäre führt werden. Zuchtfortschritt pro Jahr bei einer Steigerung der Sicherheit der goGZW von 49% auf 58% 3.1 Genauigkeit und Zuverlässigkeit der um 3%, wenn 50% aller Kühe mit Jungstieren Zuchtwerte mit genomisch optimierten Zuchtwerten be- Durch die genomische Zuchtwertschätzung samt werden. Je höher der Anteil der Jung- liegen bereits von Jungstieren Zuchtwerte mit stierbesamungen ist, desto positiver wirkt Sicherheiten für den genomisch optimierten sich eine höhere Sicherheit aus. Bei GS100, Gesamtzuchtwert (goGZW) von 60-65% vor. einem rein genomischen Zuchtprogramm, Im Vergleich zum vorgeschätzten Zuchtwert bringt eine Steigerung der Sicherheit von ca. aus den Elternzuchtwerten (Pedigree-Index) 10- Prozentpunkten einen jeweils um ca. 6% wird hier ein Anstieg der Sicherheit um 20-30 höheren Zuchtfortschritt pro Jahr. Die Sicher- Prozentpunkte je nach Merkmal erzielt. Ist heit der genomisch optimierten Zuchtwerte der Vater von diesem Jungstier wiederum ein spielt allerdings auf Ebene der Gesamtpopula- Jungstier, so liegen die Sicherheiten ca. 7 Pro- tion eine geringere Rolle als z.B. die Effekte zentpunkte niedriger. der Reduktion des Generationsintervalls (Ab- In Tabelle 1 sind die Auswirkungen von höhe- bildung 3). ren Sicherheiten der genomisch optimierten Durch die Möglichkeiten der genomischen Se- Zuchtwerte auf den monetären Zuchtfort- lektion gewinnt die weibliche Seite im Zucht- schritt pro Jahr bei unterschiedlichen Anteilen programm stärker an Bedeutung. Durch die Jungstierbesamungen im Zuchtprogramm ZAR-Seminar 2019 – Egger-Danner – Aspekte zur Optimierung von genomischen Zuchtprogrammen 18
Genotypisierung kann auch auf der weibli- 3.2 Erblichkeit/Variabilität der chen Seite strenger selektiert werden. Die Merkmale Genotypisierung von Stiermüttern gewinnt Wesentlich für die Erzielung von Zuchtfort- deshalb an Interesse. Basierend auf den An- schritt für die gewünschten Merkmalsberei- nahmen im Zuchtprogramm Fleckvieh AUS- che sind aussagekräftige Parameter aus der TRIA wurden Berechnungen zur Genotypisie- Leistungsprüfung mit hohen Erblichkeiten. Die rung von Stiermüttern durchgeführt. Wenn Erblichkeiten für die Milch-, Fleisch- und Exte- Kalbinnen-Stiermütter genotypisiert werden, rieurmerkmale liegen üblicherweise im mitt- kann dadurch die Sicherheit deutlich gestei- leren bis hohem Bereich (20-50%), Merkmale gert werden (ohne Genotypisierung ca. 35% wie Zellzahl oder Nutzungsdauer liegen zwi- Si, mit Genotypisierung ca. 61% Si). Tabelle 2 schen 10 und 15% und Gesundheitsmerkmale zeigt, dass der Nutzen der alleinigen Genoty- weisen meist nur eine Erblichkeit von unter pisierung der Stiermütter sehr gering ist. Je 5% auf. Verschiedene Studien zeigen jedoch, nach Anteil Jungstierbesamungen ist mit einer dass es sehr wohl Unterschiede in den Er- Erhöhung von 1,8 bis 2,4% monetärer Zucht- blichkeiten bei einzelnen Merkmalen in Ab- fortschritt zu rechnen. Wenn die Genotypisie- hängigkeit von der Datenquelle und Datener- rung mit einer Verkürzung des Generationsin- fassung gibt, z.B. umfassend und standardi- tervalles verbunden ist, weil mehr Kalbinnen siert dokumentierte Klauenpflegedaten von bereits gezielt angepaart werden, steigt der ausgebildeten Klauenpflegern lassen höhere zu erzielende relative Zuchtfortschritt auf 4,5 Erblichkeiten erwarten. Die neuen Möglich- bzw. 6,5%. Ein weiterer positiver Effekt ist die keiten aus den Automatisierungen lassen Nutzung von Reproduktionstechnologien bei auch Fortschritte u.a. im Bereich der Gesund- den genetisch interessantesten weiblichen heit erwarten. Gelingt es nicht von Zielmerk- Tieren. malen eine umfangreiche Leistungsprüfung Tabelle 2: Auswirkungen der Genotypisierung von aufzubauen, sind Hilfsmerkmale das Mittel Stiermüttern auf den monetären Zuchtfortschritt der Wahl. pro Jahr GS50 GS75 GS100 3.3 Generationsintervall Ø GI Jahre 4,69 4,13 3,57 Die Verkürzung des Generationsintervalls ist die wirkungsvollste Maßnahme in einem ge- Basis 100,0 106,1 113,6 nomischen Zuchtprogramm (Schaeffer, 2006). Basis+STM 101,8 108,2 (+2,1) 116,0 In Abbildung 3 ist die Auswirkung der Reduk- (+1,8) (+2,4) tion des Generationsintervalls durch Erhö- Basis+STM-GI 104,5 111,5 (+5,4) 120,1 hung des Anteils an Jungstierbesamungen auf reduz. Ø GI (+4,5) 4,01 (+6,5) den monetären Zuchtfortschritt pro Jahr dar- Jahre 4,57 3,45 gestellt. Bei GS20 werden 20% der Besamun- gen mit Jungstieren durchgeführt, bei GS50 50% und bei GS100 werden nur mehr Jung- stiere eingesetzt. Dieser Prozentanteil bezieht sich auf die Herdebuchkühe als auch auf die Stiermütter. Durch die Steigerung des Anteils ZAR-Seminar 2019 – Egger-Danner – Aspekte zur Optimierung von genomischen Zuchtprogrammen 19
Jungstierbesamungen von 20 auf 100% wird Zuchtfortschritt haben die Pfade der Mütter der monetäre Zuchtfortschritt pro Jahr um und Väter der Stiere. Je strenger hier selek- 20,8% gesteigert werden. Das Generationsin- tiert wird, desto höher ist der zu erwartende tervall wird durch diese Maßnahme insgesamt Zuchtfortschritt. Wenn jedoch Tiergruppen um 1,8 Jahre reduziert. aufgrund von bestimmten Eigenschaften aus der Zucht ausgeschlossen werden, so redu- Abbildung 3: Monetärer Zuchtfortschritt pro Jahr ziert das den Zuchtfortschritt. Eine sehr und durchschnittliches Generationsintervall nach strenge Selektion auf bestimmte Linien er- Anteil Jungstier-Besamungen (Egger-Danner et al. 2015) höht die Inzucht. Die breite Genotypisierung von Kühen bietet auch die Chance, dass interessante Kühe gefunden werden, die bisher nicht aufgefallen sind. Die Selekti- onsintensität kann auch über die Vermehrungsrate gesteigert werden. Hier bieten Embry- otransfer und wei- Bei Fleckvieh AUSTRIA lag der Anteil an Jung- tere Reproduktionstechniken Möglichkeiten stierbesamungen im Kontrolljahr 2018 bei den Zuchtfortschritt über die Selektionsinten- 50%. Dies ist der Anteil, wie er im Jahr 2012 sität aber auch über das Generationsintervall beschlossenen Zuchtprogramm Fleckvieh zu steigern. AUSTRIA festgelegt wurde. Das Alter der Vä- Vorselektion der Jungstiere ter der genomischen Jungstiere hat sich bei Durch die genomische Selektion können die Fleckvieh in Österreich von 2010 von 7 Jahren zukünftigen Vererber bereits als Kalb selek- auf 3,4 Jahre 2018 reduziert; auf der weibli- tiert werden. Wurden früher Teststiere auf- chen Seite von 4,8 auf 3,2 Jahre. Um den grund des durchschnittlichen Elternzuchtwer- Zuchtfortschritt zu steigern, ist es empfeh- tes (Pedigree-Index) und Eigenleistungsinfor- lenswert den Anteil an Jungstierbesamungen mationen selektiert, so werden jetzt gene- zu erhöhen. tisch interessante Kälber genotypisiert und in erster Linie aufgrund des genomisch optimier- 3.4 Selektionsintensität ten Zuchtwertes für den Besamungseinsatz ausgewählt. Diese Möglichkeit der Vorselekti- 3.4.1 Allgemein on bietet die Chance den Zuchtfortschritt pro Um die Selektionsintensität zu steigern bzw. Jahr zu steigern. Tabelle 3 zeigt die Auswir- hoch zu halten, ist es wichtig, dass in allen Se- kungen auf den monetären Zuchtfortschritt lektionspfaden die besten Tiere für die Zucht pro Jahr in der Zuchtstufe in Euro für drei ver- selektiert werden. Den größten Anteil am ZAR-Seminar 2019 – Egger-Danner – Aspekte zur Optimierung von genomischen Zuchtprogrammen 20
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