25 Jahre Neugeborenenscreening in Sachsen

 
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25 Jahre Neugeborenenscreening
in Sachsen
U. Ceglarek1, W. Kiess2, R. Berner3,        ten 623 betroffene Kinder gefunden        Neugeborenenscreenings zwischen dem
J. Lemke4, M. Stopsack 5                    und im Anschluss einer frühzeitigen       Freistaat Sachsen, den Universitätskli-
                                            Therapie zugeführt werden. Die hohe       niken Leipzig und Dresden sowie den
Zusammenfassung                             Qualität des sächsischen Screening-       gesetzlichen Krankenkassen zu regeln.
Das Neugeborenenscreening (NGS) ist programms mit einer langfristigen spe-            Unabhängig vom Einsender der Probe
das erfolgreichste Programm zur Vor- zialärztlichen Betreuung der betroffe-           wurden damit bundesweit erstmalig
sorge vor elementaren gesundheitli- nen Kinder zeigt sich in exzellenten              alle Früherkennungsuntersuchungen
chen Schäden im frühen Kindesalter. In Ergebnissen der sächsischen Behand-            eines Neugeborenen direkt mit den
Sachsen wird das Neugeborenenscree- lungszentren innerhalb nationaler Qua-            gesetzlichen Krankenkassen abrechen-
ning seit 1991 in einer regionalen litätssicherungsregister.                          bar. Gleichzeitig verpflichteten sich die
Struktur an den Universitätskliniken                                                  Universitätskliniken zu einer umfang-
Dresden und Leipzig durchgeführt. Von Entwicklung des                                 reichen Qualitätssicherung, um die
1991 bis 2016 wurden über 980.000 Neugeborenenscreenings                              Vollständigkeit des Screenings sowie
Neugeborene auf angeborene Stoff- Das Neugeborenenscreening (NGS) ist                 die zeitnahe Therapieeinleitung betrof-
wechselerkrankungen und Endokrino- das erfolgreichste Programm zur Vor-               fener Kinder sicherzustellen.
pathien untersucht. Beginnend mit sorge vor elementaren gesundheitli-                 Die sächsischen Universitätskinderkli-
dem Neugeborenenscreening auf Phe- chen Schäden im frühen Kindesalter. Es             niken in Dresden und Leipzig haben
nylketonurie und Hypothyreose 1991 wurde, beginnend mit der Früherken-                zudem den wissenschaftlichen und
werden heute im bundeseinheitlichen nung der Phenylketonurie, bereits vor             technischen Fortschritt des Neugebo-
Neugeborenenscreeningprogramm in­­ über 50 Jahren eingeführt. 1968 wur-               renenscreenings entscheidend mitge-
zwischen 16 Zielkrankheiten erfasst. In den durch Wilson und Jungner die all-         prägt: In Dresden ist die Mukoviszidose
25 Jahren Neugeborenenscreening konn­ gemeinen Prinzipien für Screeningun-            langjähriger Schwerpunkt der pädiatri-
                                            tersuchungen definiert [1], die 2008      schen Forschung. Dort wurde seit 1996
1
  Institut für Laboratoriumsmedizin,        aktualisiert wurden [2]:                  ein zweistufiges Mukoviszidosescree-
  Klinische Chemie und Molekulare           • sehr schwere Erkrankung mit             ning im Rahmen eines Forschungspro-
  Diagnostik, Universitätsklinikum Leipzig;    be­­kannter Ursache, die klinisch zu   jektes als zusätzliche Früherkennungs-
  Co-Autoren: M. Heinemann,                    spät diagnostiziert wird,              untersuchung für alle Neugeborenen
  R. Burkhardt, J. Thiery                   • spezifisches, sensitives und ethisch    angeboten [3 – 5]. Am Leipziger Stand-
2
  Universitätsklinik und Poliklinik für       akzeptables Verfahren zur Früh­         ort hingegen stehen die Phenylketonu-
  Kinder und Jugendliche, Universitäts­        erken­nung,                            rie mit Diagnose-, Ernährungs- und
  klinikum Leipzig; Co-Autoren: M. Arelin,  • effektive Therapie für alle Betroffe-   Therapiestrategien [6 – 9] sowie wei-
  S. Beblo, C. Henn, A. Körner, R. Pfäffle,    nen muss zur Verfügung stehen,         tere, mit Tandem-Massenspektromet-
  F. Prenzel                                • Kosten von Früherkennung und            rie (LC-MS/MS) detektierbare Erkran-
3
  Klinik und Poliklinik für Kinder- und        Be­­handlung sind verhältnismäßig zu   kungen [10, 11] im Mittelpunkt. Das
  Jugendmedizin, Universitätsklinikum          den medizinischen Gesamtausgaben.      Universitätsklinikum Leipzig gehörte zu
  Carl Gustav Carus Dresden;                In Sachsen wird das Neugeborenen-         den ersten vier deutschen Screening-
  Co-Autoren: A. Hübner, M.-A. Lee-Kirsch, screening seit 1991 in einer regionalen    zentren, welche ab dem Jahr 2000 im
  J. Hammermann, A. Näke                    Struktur flächendeckend für alle hier     Rahmen eines Pilotprojektes ein erwei-
4
  Institut für Humangenetik, Universitäts- geborenen Kinder an den Universitäts-      tertes Screeningprogramm mit Tan-
  klinikum Leipzig, Co-Autor J. Henschel    kliniken Dresden und Leipzig durchge-     dem-Massenspektrometrie für alle
5
  Institut für Klinische Chemie und         führt. Nach langen Verhandlungen          Neugeborenen anboten [12].
  Laboratoriumsmedizin, Universitäts­       gelang es im Jahre 1998 bundesweit        Mit der Änderung der „Richtlinie über
  klinikum Carl Gustav Carus Dresden:       erstmalig, die Durchführung, den Um­­     die Früherkennung von Krankheiten
  Co-Autoren: M. Peitzsch, P. Mirtschink,   fang, Qualitätssicherungsaspekte des      bei Kindern bis zur Vollendung des
  O. Tiebel, G. Siegert, T. Chavakis        Trackings sowie die Abrechnung des        6. Le­­bensjahres“ (Kinderrichtlinie) hat

Ärzteblatt Sachsen 2|2019                                                                                                         25
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 der gemeinsame Bundesausschuss der
 Ärzte und Krankenkassen (G-BA) 2005
 die Durchführung und Finanzierung
 des Neugeborenenscreenings erstmals
 bundesweit einheitlich geregelt [13]. In
 diesem Zuge wurden Zielkrankheiten
 aus den Pilotprojekten zur Einfüh­      -
 rung der Tandem-Massenspektromet-
 rie deutschlandweit übernommen und
 als „erweitertes Neugeborenenscree-
 ning“ definiert.
 Mit der Gründung des Screeningzent-
 rums Sachsen mit den beiden universi-
 tären Standorten in Dresden und Leip-
 zig im Jahr 2005 wurden die formalen
 Voraussetzungen für eine weitere regi-
 onale Durchführung des Neugebore-
 nenscreenings gemäß der Kinderricht-
 linie geschaffen. Seit 2005 ist das Abb. 1: Screeningumfang im Screeningzentrum Sachsen
 Screeninglabor des Universitätsklini- (ab 2005 gemeinsam mit dem Vorsorgezentrum Thüringen)
 kums Leipzig außerdem Partner im
 Thüringer Vorsorgezentrum für die eine hohe klinische Expertise und wis- gramm wird in Sachsen deshalb als
 Durchführung des Thüringer Neugebo- senschaftliche Begleitung im Bereich zusätzliche Leistung des Screeningzen-
 renenscreenings.                          Stoffwechselerkrankungen, Endokrino- trums erbracht.
                                           logie und Mukoviszidose bis in das Viele der seltenen Zielkrankheiten er­­
 Struktur und Aufgaben des                 Erwachsenenalter hinein unverzichtbar. fordern gemäß der Leitlinie zum Neu­­­­
 Screeningzentrums Sachsen                 Häufig benötigen die Patienten neben geborenenscreening eine umgehende
 Ein Screening lässt sich nicht auf die der medizinischen Versorgung auch Kontaktaufnahme mit teilweise not-
 Untersuchung selbst reduzieren, son- eine intensive Betreuung durch Diätas- fallmäßiger Intervention [14]. Eine zeit-
 dern benötigt begleitende Strukturen, sistenten und Physiotherapeuten so­­ nahe Konfirmationsdiagnostik so­­wie
 die sowohl präanalytische Maßnahmen wie sozialmedizinische Unterstützung. die Initiierung einer adäquaten Spezial-
 als auch Einleitung und lebenslange Die universitären Behandlungszentren behandlung nach auffälligem Scree-
 Therapie für die Betroffenen umfassen in Leipzig und Dresden werden diesen ningbefund sind entscheidende Vor-
 [2]. Allerdings wird das Neugeborenen- interdisziplinären Anforderungen ge­­ aussetzungen einer hohen Ergebnis-
 screening in Deutschland bisher weder recht.                                           qualität und werden daher als zusätzli-
 auf Bundesebene noch auf Länder­ Ein zweites wichtiges Qualitätskrite- che Leistungen durch das Screening-
 ebene durch ein Qualitätssicherungs- rium ist die Definition von Zustän­ zentrum Sachsen sichergestellt.
 programm begleitet, mit Ausnahme digkeit und Verantwortlichkeit für
 des Freistaates Bayern.                   alle ­einzelnen Prozess-Abschnitte des Ergebnisse des Neugeborenen-
 Ein erfolgreiches Screening setzt eine Screenings (Prozessqualität). Die Kin- screenings in Sachsen
 etablierte Struktur voraus, in der das derrichtlinie definiert hier nur die im Untersuchungszahlen
 Screeningzentrum flächendeckend das Zusammenhang mit der Laboruntersu- Von 1991 bis 2016 wurden an den Uni-
 Zusammenwirken zwischen Hebam- chung stehenden Prozesse. Gleichbe- versitätskliniken Leipzig und Dresden
 men, Kinderärzten und einsendenden handlung und Verfügbarkeit für die über 940.000 Neugeborene auf ange-
 Kliniken mit den Laboren und den eta- gesamte Zielpopulation gehören neben borene Stoffwechselerkrankungen und
 blierten Behandlungszentren koordi- der medizinischen Behandlung jedoch Endokrinopathien untersucht (Abb. 2).
 niert (Strukturqualität, siehe Abb. 1).   zu den wichtigsten WHO-Kriterien des
 Für die Versorgung und nachhaltige Neugeborenenscreenings. Die Kontrolle In 25 Jahren Neugeborenenscreening
 Betreuung der identifizierten Patienten der möglichst vollständigen Teilnahme konnten 623 Patienten mit angebore-
 mit den seltenen Zielkrankheiten ist aller Neugeborenen am Screeningpro- nen Stoffwechselerkrankungen und

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                                                     2015
Endokrinopathien identifiziert und im                2014

Anschluss einer frühzeitigen Therapie                2013
                                                     2012
zugeführt werden (Tab. 1).                           2011
                                                     2010
                                                     2009

Zudem wurden seit 1996 im Rahmen                     2008
                                                     2007
der Dresdner Pilotstudie zum Mukovis-                2006
                                                     2005
zidosescreening 61 Kinder mit Muko-                  2004

viszidose frühzeitig identifiziert und

                                              Jahr
                                                     2003
                                                                                                                                                Leipzig
                                                     2002
behandelt. Die Häufigkeiten der einzel-              2001                                                                                       Dresden
                                                     2000
nen Zielkrankheiten entsprechen größ-                1999

tenteils den für das deutschlandweite                1998
                                                     1997
Screening publizierten Werten [15]. Die              1996
                                                     1995
höchste Prävalenz aller Zielkrankheiten              1994

zeigt die kongenitale Hypothyreose                   1993
                                                     1992
(1 : 3.474) mit 267 betroffenen Kindern.             1991

Weitere häufige Diagnosen betreffen                         0      10000          20000           30000            40000        50000   60000

                                                                                           Anzahl Erstscreenings
Mukoviszidose (1 : 4.739) und Phenyl-
                                                Abb. 2: Anzahl der Erstscreeninguntersuchungen im Screeningzentrum Sachsen
ketonurie (1 : 5.409). Seit Einführung          (ab 2005 gemeinsam mit dem Vorsorgezentrum Thüringen)
des erweiterten Neugeborenenscree-
nings ist eines von circa 1.300 Neuge-
borenen in Sachsen von einer der               zu rechnen, dass eines von circa 1.100                Vollständigkeitskontrolle
untersuchten angeborenen Erkrankun-            Neugeborenen in Sachsen von einer der                 und Tracking
gen betroffen. Durch die Hinzunahme            untersuchten Erkrankungen betroffen                   Während Qualitätsvorgaben für die
der Mukoviszidose ist in Zukunft damit         sein wird.                                             Blutentnahme und für die Labordiag-
                                                                                                      nostik des Neugeborenenscreenings in
                                                                                                      der Kinderrichtlinie definiert sind, wer-
Tab. 1: Ergebnisse des Neugeborenenscreenings im Screeningzentrum Sachsen 1991 bis
2015 (*seit 2005 mit Screeninguntersuchungen für das Vorsorgezentrum Thüringen)
                                                                                                      den die Vollständigkeitskontrolle und
                                                                                                      die Nachverfolgung (Tracking) als
                                                                    Nationale Prävalenz              zusätzliche Leistungen angesehen. In
                              Erst-
       Zielerkrankung                   Fälle        Prävalenz*      (Nennstiel-Ratzel               Sachsen wird die Vollständigkeit des
                            screening
                                                                        et al. 2015)
                                                                                                     Screenings der Zielpopulation nicht
 Hypothyreose               927.415     267           1 : 3.474             1 : 3.499                 durch Abgleich der standesamtlichen
 Phenylketonurie/HPA        935.919     173           1 : 5.409             1 : 5.316                Melderegister mit den Screeningdaten
                                                                                                      erfasst, wie dies beispielsweise in
 MCAD                       667.144      57           1 : 11.704           1 : 10.222
                                                                                                     ­Bayern durch das Landesamt für Ge­­
 Adrenogenitales Syndrom    862.877      67           1 : 12.878           1 : 13.676                 sundheit und Lebensmittelsicherheit
 Biotinidasemangel          935.919      24           1 : 38.996           1 : 22.895                 erfolgt. Die Grundlage für die Erfassung
 VLCAD                      667.144      9            1 : 74.127           1 : 84.903                 im Screeningzentrum Sachsen ist die
                                                                                                      jeweilige Geburtenbuch-Nummer des
 Galaktosämie, klassisch    935.919      12           1 : 77.993           1 : 69.466
                                                                                                      Kindes, die durch den Einsender regist-
 Isovalerianazidämie        667.144      6           1 : 111.191           1 : 97.032                 riert wird. Innerhalb der vom Scree-
 LCHAD                      667.144      4           1 : 166.786           1 : 169.805                ningzentrum etablierten Struktur des
 Glutarazidurie Typ I       667.144      2           1 : 333.572           1 : 132.891               Trackings werden vollständige Gebur-
                                                                                                      tenbuch-Nummern jedes Einsenders,
 MSUD                       935.919      1           1 : 935.919           1 : 152.825
                                                                                                      die Kontrollen auffälliger Befunde so­­
 CPT I, CPT II, CACT        667.144      1           1 : 667.144           1 : 509.416                wie notwendige Zweituntersuchungen
 Kumulativ                              623           1 : 1.408             1 : 1.339                 nach Frühabnahmen und unter Trans-
 Mukovizidose               289.103      61           1 : 4.739                                       fusion beziehungsweise Medikation
                                                                                                      regelmäßig und zeitnah abgeglichen.
 Kumulativ                              684           1 : 1.086
                                                                                                     Fehlende Einsendungen werden durch

Ärzteblatt Sachsen 2|2019                                                                                                                         27
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                                                                                                A              nisse besonders wichtig. „Screening-
                                    Blutentnahmezeiten                                                                         Transportzeiten
                                                                                                               versager“ (im Rahmen des Neugebore-
                100%                                                                                       100%
                                                                                                               nenscreenings nicht erfasste Fälle von
                                                                                                               Zielkrankheiten) traten in der Vergan-
                 80%                                                                                        80%genheit meistens dann auf, wenn auf-
                                                                                         >72h                  fällige Befunde nicht konsequent nach-
                 60%                                                                                        60%verfolgt wurden. Das Screeningzent-
                                                                                         48-72h
                                                                                                               rum übernimmt hier die Verantwortung
                 40%                                                                     36-48h             40%
                                                                                                               für die Nachverfolgung angeforderter
                 20%                                                                     72h                  bindungsklinik noch nicht durchgeführt
                 80%
                 60%                                                                                        60%worden. Durch Geburtenbuch-Kontrolle
>72h                                                                                      >72h
                 60%                                                                     48-72h
                                                                                         >72h                  wurde die zeitgerechte Untersuchung
48-72h           60%
                 40%                                                                      48-72h            40%
                                                                                         36-48h                auch für diese Neugeborenen erreicht.
                 40%                                                                     48-72h
36-48h                                                                                    24-48h               Bei fehlender Nachverfolgung wird die
                 40%
                 20%
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nie der Zeitraum zwischen der 48. und      Zeitraum zwischen Probeneingang im       des Screenings in Sachsen ist im Bun-
der 72. Lebensstunde definiert, ein        Labor und Befundübermittlung. Hier ist   desvergleich beispielhaft [17].
sicheres Screening ist jedoch bereits ab   eine Zeitspanne von 24 Stunden durch     Durch die regionale Struktur des Scree-
der 36. Lebensstunde möglich. Eine         die Kinderrichtlinie vorgegeben. Nach-   ningzentrums mit einer engmaschigen
vorzeitige Abnahme kann in begründe-       dem 2005 circa 70 Prozent aller Analy-   Zusammenarbeit zwischen Screening-
ten Einzelfällen erforderlich sein (zum    sen innerhalb von 24 Stunden durchge-    labor sowie primären und sekundären
Beispiel vor Transfusionen oder vor        führt wurden, konnte dieser Anteil bis   pädiatrischen Behandlungszentren kann
Medikation), erfordert jedoch ein Zweit­   2015 auf über 86 Prozent gesteigert      die Entwicklung der betroffenen Kinder
screening zu einem späteren Zeitpunkt.     werden [17].                             in Sachsen seit Beginn des Screening-
Um akut lebensbedrohliche Zielkrank-                                                programms verfolgt werden. Somit lie-
heiten wie beispielsweise die klassi-      Befundmitteilung, Erstbetreuung          gen für Sachsen einmalige Daten zur
sche Galaktosämie frühzeitig zu erfas-     und Nachsorge                            Entwicklung betroffener Kinder bis in
sen, sollte nach Erfahrung des Scree-      Für alle Einsender wurde eine qualifi- das Erwachsenenalter, zum Beispiel für
ningzentrums Sachsen die Blutent-          zierte Befundübermittlung an sieben Patienten mit PKU oder Mukoviszidose,
nahme zwischen der 36. und 48. Le­­        Tagen der Woche etabliert. Abgesehen vor [3, 8, 20, 21].
bensstunde erfolgen.                       von der Befunderstellung im Scree-
Der Anteil der zeitgerechten Blutent-      ninglabor stehen erfahrene Spezialis- Finanzierung des Neugeborenen-
nahmen stieg von 82 Prozent im Jahr        ten für die Diagnostik und Therapie der screenings in Sachsen
2005 auf 94 Prozent im Jahr 2015 (siehe    Screening-Zielkrankheiten an beiden Sachsen war 1998 das erste Bundes-
Abb. 3).                                   universitären Kinderkliniken des Scree- land in Deutschland, das die direkte
                                           ningzentrums Sachsen zwecks Bera- Vergütung des Neugeborenenscree-
Dieser Anstieg ist auf intensive Schu-     tung der einsendenden Geburtseinrich- nings an die Screeninglabore in Dres-
lung und Fortbildung der einsendenden      tungen und Arztpraxen rund um die den und Leipzig mit einem Kranken-
Kliniken und Kinderärzte im Rahmen         Uhr zur Verfügung. Somit wird gewähr- kassen-Vertrag regelte, unabhängig
regelmäßiger Einsendertreffen zurück-      leistet, dass die Einsender und Eltern davon, ob das Screening stationär oder
zuführen. Neben dem Zeitpunkt der          aller in Sachsen geborenen Kinder qua- ambulant erfolgte. Probeneinsendung
Blutentnahme ist die Transportdauer        lifiziert und sehr schnell über ein auf- an das Screeninglabor ist seither nicht
von großer Bedeutung für den Diagno-       fälliges Ergebnis mit möglichen thera- mit wirtschaftlichen Abwägungen der
sezeitpunkt. 2015 kamen nur knapp          peutischen Konsequenzen informiert Einsender verknüpft und der Weg zu
58 Prozent der Proben innerhalb von        werden können. Hierzu arbeiten pädia- flächendeckender Versorgung, Nachbe-
48 Stunden nach Blutentnahme im            trische Stoffwechselexperten, Endokri- treuung und zum erfolgreichen Tra-
Screeninglabor an – die Probenver-         nologen und Mukoviszidosespezialis- cking geebnet. Diese Form der Vergü-
sanddauer hat sich damit im Vergleich      ten der Universitätskinderkliniken Leip- tung wurde von den anderen Bundes-
zu den Vorjahren tendenziell eher ver-     zig und Dresden mit den Screeningla- ländern als beispielhaft anerkannt und
längert. Ursachen hierfür sind oftmals     boratorien eng zusammen. Bei Notfäl- auch in Sachsen-Anhalt übernommen.
organisatorische Abläufe in den ein-       len nimmt das Screeningzentrum den Nach Einführung des erweiterten Neu-
sendenden Kliniken (zum Beispiel Ver-      Kontakt auch direkt mit den Kindesel- geborenenscreenings im Jahr 2005
sand ausschließlich über Poststellen       tern auf, um die notwendigen Maßnah- blieb diese Fallpauschale für stationäre
oder private Postdienste). Aufgrund der    men bei betroffenen Neugeborenen Probeneinsendungen weiterhin direkt
regionalen Struktur des Screeningzen-      (zum Beispiel stationäre Aufnahme) zu mit den Krankenkassen abrechenbar,
trums Sachsen ist der Anteil der Pro-      organisieren. Internationale Studien während ambulante Screenings über
ben mit einer Versanddauer von drei        belegen, dass die Modalitäten der Erst- die Kassenärztliche Vereinigung abzu-
und mehr Tagen aber deutlich niedriger     information bei auffälligem Screening- rechnen waren.
als in Deutschland insgesamt (2015:        ergebnis entscheidend für die Patien-
17,8 Prozent in Sachsen gegenüber          ten-Arzt-Beziehung und die weitere Nun wurde dieser Vertrag trotz aller
26,5 Prozent insgesamt) [17].              Compliance für eine lebensbegleitend Bemühungen zum 1. Januar 2018 durch
Den geringsten Anteil an der Zeit-         notwendige Therapie sind [18, 19]. Pro die Krankenkassen gekündigt. Damit
spanne zwischen Blutentnahme und           Jahr betrifft dies etwa 500 Neugebo- gelten nun für Sachsen die in der Scree-
Befundübermittlung hat die Bearbei-        rene (0,93 Prozent der Ersteinsendun- ningrichtlinie festgelegten Finanzie-
tungsdauer im Labor. Sie ergibt sich als   gen). Diese hohe medizinische Effizienz rungsgrundlagen für ambulante (Ab­­

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 rechnung gemäß EBM-Katalog) und             Aktuelle Entwicklungen des                  rigen Untersuchungen eingeholt wer-
 stationäre Einsendungen (direkte Ab­­       Neugeborenenscreenings                      den, um das Screening nicht insgesamt
 rechnung mit Krankenhäusern, Finan-         Nachdem das Screening auf Mukoviszi- infrage zu stellen. Das Mukoviszidose-
 zierung über DRG). Auswirkungen zeig­       dose in Ostsachsen bereits seit 1996 Screening allein kann in diesem Fall bis
 t­e dieses ungleiche Finanzierungsmo-       mittels eines zweistufigen Screening- zum Ende der vierten Lebenswoche
  dell bei der bundesweiten Einführung       verfahrens erfolgte, wurde deren Früh- nachgeholt werden.
  des Mukoviszidosescreenings im Jahr        erkennung ab September 2016 bundes-
 2016: Während die Deutsche Kranken-         weit eingeführt. Der G-BA hat sich hier Durch den G-BA wurde 2017 die er­­
 hausgesellschaft die Untersuchung ab        für ein dreistufiges Screeningverfahren neute Ausweitung des Screeningpro-
 September 2016 für alle stationären         aus zwei aufeinander folgenden bio- gamms auf die Früherkennung der
 Screeningproben forderte, hat die Kas-      chemischen Untersuchungen und der hepatorenalen Tyrosinämie Typ I, be­­
 senärztliche Bundesvereinigung dies         Mutationsanalytik auf die in Deutsch- schlossen, deren kausale Behandlung
  für ambulante Proben erst nach Fest-       land 31 häufigsten CFTR-Genmutatio- inzwischen etabliert ist [24] (siehe Tab. 2).
  legung der Gebührenziffern ab Januar       nen entschieden [22]. Bei Mutations-
 2017 erlaubt. Durch diese Ungleichbe-       nachweis oder sehr hoher Konzentra- Zudem werden erneute Ergänzungen
 handlung wurde in Deutschland statis-       tion in der ersten Untersuchung ist das des erweiterten Neugeborenenscree-
 tisch gesehen fünf bis zehn ambulant        Screeningergebnis auffällig und muss nings auf zusätzliche Erkrankungen
  geborenen und an Mukoviszidose er­­        mittels Schweißtest in einer Mukovis- geprüft. Diesbezüglich gibt es in ande-
 krankten Neugeborenen die Früherken-        zidose-Spezialambulanz abgeklärt wer­ ren Ländern bereits Modellprojekte auf
 nung versagt.                               den. In Sachsen existieren aktuell zwei lysosomale und peroxisomale Speicher­
                                             zertifizierte Mukoviszidosezentren an erkrankungen oder auf den schweren
 Für das sächsische Neugeborenen-            den Universitäts-Kinderkliniken Dres- kombinierten Immundefekt (SCID).
 screening stellt eine Trennung der Ab­­     den und Leipzig sowie drei assoziierte
 rechnung für stationäre Proben über         CF-Ambulanzen in Zwickau, Aue und
 die einsendenden Kliniken und der           Chemnitz. Da das Mukoviszidose- Tab. 2: Aktuelle Zielkrankheiten im Neuge-
 ambulanten Proben über die Kassen-          Screening nach Inkrafttreten des Gen- borenenscreening in Deutschland gemäß
 ärztliche Vereinigung einen tiefgreifen-    diagnostikgesetzes (Gen-DG) einge- Kinderrichtlinie in der Fassung vom 18. Mai
 den Eingriff in die Strukturqualität dar,   führt wurde, müssen die Eltern zwin- 2016, zuletzt geändert am 19. Juli 2017
 da die Basis der flächendeckenden           gend durch einen Arzt über Sinn und          Zielkrankheiten im Neugeborenen­
 Untersuchung und Nachverfolgung             Zweck aufgeklärt werden und schrift- screening (gültig ab 16. März 2018)*
 aufgehoben wird. Es ist zu befürchten,      lich in das Screening einwilligen. Da­­ Adrenogenitales Syndrom
 dass, wie bereits bei Einführung des        durch hat die Anzahl der nicht durchge-
                                                                                          Ahornsirupkrankheit
 Hypothyreosescreenings geschehen,           führten Mukoviszidose-Screenings ten­
 die gesplittete Abrechnung zu einem         ­
                                             denziell leicht zugenommen. Dies             Biotinidasemangel
 territorialen Splitting der Screenings      wurde in den meisten Fällen jedoch           Carnitinstoffwechseldefekte
 führen wird. Künftig ist damit nicht        aufgrund fehlender ärztlicher Auf­ (CPT I, CPT II, CACT)
 mehr gesichert, dass alle stationären       klärung verursacht, selten aufgrund
                                                                                          Galaktosämie
 und ambulanten Erst-, Zweit- und Kon-       aktiver Ablehnung (unveröffentlichte
                                             ­
 trolluntersuchungen auch in Sachsen         Daten). Nach Ablauf des ersten Halb- Glutaracidurie Typ I
 erfolgen. Damit werden wichtige quali-      jahres hat die regionale sächsische          Hypothyreose
 tätssichernde Leistungen des gesam-         Screeningstruktur eine vollständige
                                                                                          Isovalerianacidämie
 ten Vorsorgeprogramms wie Vollstän-         Abklärung auffälliger Mukoviszidose-
 digkeitskontrolle, Tracking und Einlei-     Screeningbefunde ermöglicht, während         LCHAD-Mangel
 tung von Konfirmationsdiagnostik und        bundesweit in 36 Prozent der Fälle           VLCAD-Mangel
 Therapie infrage gestellt. Als Konse-       noch kein endgültiges Ergebnis erhal- MCAD-Mangel
 quenz ist zu befürchten, dass sich die      ten werden konnte [23].
 Versorgung der betroffenen Patienten        Im Falle einer Ablehnung des Mukovis- Mukoviszidose (Zystische Fibrose)
 mit den seltenen Zielkrankheiten des        zidosescreenings oder der Nichter- Phenylketonurie
 erweiterten Neugeborenenscreenings          reichbarkeit eines Arztes sollte aber Tyrosinämie Typ I
 verschlechtern wird.                        prinzipiell eine Einwilligung in die bishe-

30                                                                                                         Ärzteblatt Sachsen 2|2019
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Schlussfolgerung und Perspektive         zuletzt basiert dieser Erfolg auf der        und Verantwortlichkeit für alle einzel-
Das Neugeborenenscreening in Sach-       1998 vertraglich geregelten pauschali-       nen Prozess-Abschnitte des Scree-
sen hat sich durch eine regionale        sierten Abrechnung der Screeningun-          nings müssen dafür klar definiert blei-
Zusammenarbeit von Screeninglaboren,     tersuchung.                                  ben, um die Screeningeffizienz mit der
Spezialambulanzen sowie einsenden-       Bereits im Jahr 2009 wurde die Bun-          individuell abgestimmten Therapie­
den Kinderärzten und Geburtskliniken     desrepublik Deutschland vom Rat der          einleitung betroffener Kinder und der
zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt.   Europäischen Union beauftragt, eine          interdisziplinären Langzeitbetreuung in
Auffällige Befunde werden im Tracking-   bessere Patientenversorgung für Men-         der bisher erreichten hohen Qualität
system nachverfolgt und akute Ver-       schen mit seltenen Erkrankungen auf          fortführen zu können. 
dachtsfälle durch enge Zusammenar-       den Weg zu bringen. Dazu gehört nicht
beit im Screeningzentrum frühzeitig      nur die Früherkennung, sondern auch                                Literatur bei den Autoren

abgeklärt und hochspezialisiert behan-   eine koordinierte, interdisziplinäre Lang­                      Korrespondierende Autorin:
delt. Die hohe Qualität des Screenings   zeitbetreuung zur Sicherstellung einer                        Prof. Dr. rer. nat. Uta Ceglarek
                                                                                                    Universitätsklinikum Leipzig AöR
und insbesondere die hohe Kompetenz      adäquaten medizinischen Versorgung.
                                                                                                  Institut für Laboratoriumsmedizin,
in der langfristigen spezialärztlichen   Für eine Sicherstellung des sächsischen        Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik
Betreuung der betroffenen Kinder         Neugeborenenscreening-Programms                       Paul-List-Straße 13/15, 04103 Leipzig
                                                                                        E-Mail: Uta.Ceglarek@medizin.uni-leipzig.de
kommen in exzellenten Ergebnissen        müssen die in den letzten 25 Jahren
der sächsischen Behandlungszentren       gewachsenen regionalen Screening-
innerhalb nationaler Qualitätssiche-     Strukturen nachhaltig gesichert und
rungsregister zum Ausdruck. Nicht        finanziert werden. Die Zuständigkeit

Ärzteblatt Sachsen 2|2019                                                                                                                 31
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