Aktionsplan Resilienz und Demokratie - Wie Deutschland Angriffe auf Demokratie und Gesellschaft abwehren kann - DGAP Policy Brief

 
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Aktionsplan Resilienz und Demokratie - Wie Deutschland Angriffe auf Demokratie und Gesellschaft abwehren kann - DGAP Policy Brief
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

                                   BERICHT

              Aktionsplan Resilienz und
              Demokratie
              Wie Deutschland Angriffe auf Demokratie
              und Gesellschaft abwehren kann

                                 Prof. Dr. Christian Calliess, LL.M. Eur.
                                 Lehrstuhl für Öffentliches Recht und
                                 Europarecht, Freie Universität Berlin
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Aktionsplan Resilienz und Demokratie                                                                            BERICHT

Seit mehreren Jahren stehen die westlichen Demokratien         demokratischen Verfassungsstaat eine gemeinsame Ver-
in Europa ebenso wie in Amerika verstärkt unter „digita-       antwortung von Politik und Gesellschaft, EU und Mitglied-
lem Beschuss“. Inländische und ausländische Akteure ver-       staaten, Unternehmen und Verbrauchern, wobei kein Ak-
suchen mittels hybrider Methoden wie Cyberattacken die         teur imstande ist, die Probleme allein zu lösen.
öffentliche Meinungsbildung zu ihren Gunsten zu beein-
flussen und die Institutionen zu schwächen, um der De-         Der Themenkomplex Desinformation und Propaganda be-
mokratie nachhaltig Schaden zuzufügen. Vor allem die           trifft zudem eine Grauzone der für die Demokratie un-
Presse gerät aufgrund der Online-Angebote großer digi-         abdingbaren Informations- und Meinungsfreiheit. Zur
taler Anbieter immer mehr unter Druck und kann daher           Vermeidung ungerechtfertigter Eingriffe in diese Frei-
ihrem klassischen Auftrag immer weniger gerecht werden.        heitsrechte sowie des Vorwurfs staatlicher Zensur ist da-
Zugleich ist in einigen Teilen der Bevölkerung ein Vertrau-    her ein differenziertes und abgestuftes Vorgehen erfor-
ensverlust in Bezug auf die traditionellen Medien und eine     derlich. Gezielte staatliche Maßnahmen gegen einzelne
Zuwendung zu alternativen, onlinebasierten Medienan-           Inhalte kommen daher – wenn überhaupt – nur als Ultima
geboten (zum Beispiel Facebook, YouTube, Influencer) zu        Ratio in Betracht.
verzeichnen.
                                                               Inzwischen bezieht deutlich mehr als ein Drittel der Bür-
Die US-Präsidentschaftswahl 2016 und das Brexit-Refe-          ger politische Informationen aus sozialen Netzwerken. Seit
rendum haben als Schlüsselereignisse der letzten Jahre die     bekannt wurde, dass Drittstaaten oder von ihnen bezahl-
Verwundbarkeit demokratischer Gesellschaften gegen-            te private Akteure diese Plattformen zielgerichtet nutzen,
über gezielten Desinformations- und Propagandakampa-           um das Vertrauen der Bürger in die Demokratie durch Des-
gnen offengelegt. Die genannten Phänomene stellen sich         information und Propaganda zu erschüttern, sind diese
dabei als Bedrohung für den Prozess der demokratischen         Netzwerke allerdings zunehmend in den Fokus der Kritik
Willensbildung sowie für die Integrität von Wahlen und         geraten.
Abstimmungen dar.
                                                               Die Zahl alternativer Online-Medien, über die gezielt
Die massive Welle an Falschinformationen und Verschwö-         Falschinformationen und Propaganda oder zumindest
rungstheorien während der Corona-Pandemie hat gezeigt,         stark ideologisch eingefärbte Inhalte verbreitet werden,
dass Krisenzeiten mit unsicherer Informationslage eben-        wächst. Gesunkene Produktionskosten und verbesserte
falls bewusst ausgenutzt werden können, um Unsicher-           technische Möglichkeiten lassen diese Formate professio-
heit in der Bevölkerung zu verbreiten, die gesellschaftliche   nell erscheinen, wodurch es den Bürgern erschwert wird,
Spaltung voranzutreiben sowie das Vertrauen in staatli-        sie von seriösen Nachrichten zu unterscheiden. Zugleich
che Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu untergraben.            ist die Medienkompetenz vieler Nutzer bislang eher gering.
Neben dem Schutzgut Demokratie sind somit auch die in-         Hinzu kommen Nachrichtenangebote wie Russia Today
nere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik betroffen.       (RT) oder Sputnik, die von ausländischen Akteuren gesteu-
                                                               ert und ebenfalls als Mittel zur Verbreitung von Propagan-
Seit Jahren kommt es schließlich immer wieder zu Hacker-       da eingesetzt werden.
angriffen auf staatliche Institutionen (insbesondere den
Deutschen Bundestag), die deren Funktions- und Hand-
lungsfähigkeit und damit die Demokratie selbst gefährden.

HERAUSFORDERUNGEN

Gelingt es nicht, zeitnah eine Antwort auf die neuen Be-
drohungen zu finden, droht die Demokratie irreversiblen
Schaden zu nehmen. Ziel der Bemühungen muss es sein, die
digitale und demokratische Resilienz innerhalb Deutsch-
lands und der EU zu stärken und die Gesellschaften Europas
gegen Angriffe aus dem In- und Ausland zu immunisieren.

Als besondere Herausforderung stellen sich die Komplexi-
tät und Vielschichtigkeit der neuen Bedrohungslandschaft
dar, die ein Zusammenwirken verschiedenster Akteure auf
mehreren Ebenen erfordert und eine Vielzahl möglicher
Handlungs- und Aktionsfelder eröffnet. Demokratie ist im
September 2021                                                                                                            69

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Europäerinnen und Europäer kommen häufig mit schädlichen
oder illegalen Online-Praktiken in Berührung

                   EU-weit gaben befragte Internetnutzerinnen und Internetnutzerinnen
                   an, dass sie schädlichen illegalen Praktiken in der Online-Umgebung
                   ausgesetzt waren oder Zeugen davon geworden sind.

                      Desinformation                                           51 %

                      Spaltende Inhalte,
                      d. h. Inhalte, die geschaffen werden,
                      um die Gesellschaft in Bezug auf ein                     45 %
                      bestimmtes Thema zu spalten

                      Inhalte, bei denen man nicht ohne
                      Weiteres feststellen kann, ob es
                      sich um politische Werbung handelt                       37 %
                      oder nicht

                      Einschüchterung von Politikern
                      durch Drohungen oder                                     24 %
                      Hassbotschaften

Quelle: Special Eurobarometer 507, https://t1p.de/n4f29

      Empfehlungen                                                 der Bürgerinnen und Bürger zu stärken sowie ein Infor-
                                                                   mationsökosystem zu schaffen, in dem Desinformation
                                                                   und Propaganda leichter als solche identifiziert werden
                                                                   können.
      Schaffung einer resilienten Öffentlichkeit
                                                                   1. Presse und Rundfunk stärken
      Weder Desinformation noch Propaganda oder poli-
      tische Werbung sind gänzlich neue Phänomene des              Vor dem Hintergrund einer für den Einzelnen nicht mehr
      digitalen Zeitalters. Um den durch das Internet be-          zu bewältigenden Fülle an Nachrichten, die heutzutage
      dingten Veränderungen der Informationsvermittlung            über das Internet verfügbar sind, sind Menschen mehr
      und -wahrnehmung entgegenzuwirken, sollte in die             denn je auf die Auswahl und Aufbereitung von Infor-
      Schaffung und Aufrechterhaltung einer resilienten Öf-        mationen durch die Institutionen der Presse und des
      fentlichkeit investiert werden. Konkret sollte es darum      Rundfunks angewiesen. Dabei kommt vor allem dem
      gehen, den Zugang zu vertrauenswürdigen, gut recher-         öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Schlüsselrolle zu,
      chierten Inhalten zu erleichtern, die Medienkompetenz        die Grundversorgung der Bürger mit vertrauenswür-
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Aktionsplan Resilienz und Demokratie                                                                              BERICHT

     digen und faktengeprüften Inhalten zu gewährleisten.        Damit das Vertrauen der Bürger in die Demokratie nicht
     Um künftig die Versorgung mit qualitativ hochwertigen       durch Desinformation und Propaganda erschüttert
     Nachrichten sicherzustellen, bedarf es einer Stärkung       wird, bedarf es einer Plattformregulierung, die neue
     der freien Presse. Auch ein regulatorisches Eingreifen      – der Rolle als Gatekeeper entsprechende – Verant-
     mit dem Ziel, ein „level playing field“ zwischen Inter-     wortlichkeiten schafft und die Plattformen insgesamt
     netkonzernen und Medienanbietern zu schaffen, kann          stärker in die Pflicht nimmt.
     sinnvoll sein. Dies kann vor allem durch die Ausweitung
     des neuen Medienstaatsvertrages auf die Betreiber von       Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorschlag für ein Ge-
     sozialen Netzwerken geschehen, die auf diese Weise          setz über digitale Dienste (DSA) einen ersten wichtigen
     vergleichbare Verantwortlichkeiten und Pflichten hin-       Schritt in Richtung einer solchen Regulierung unter-
     sichtlich der Berichterstattung übernehmen müssen.          nommen, deren Ziel es ist – ähnlich wie bei der Daten-
                                                                 schutz-Grundverordnung – Standards für die sozialen
     Anders als in der rein privat ausgestalteten US-Me-         Medien und die Datenerhebung durch Plattformen zu
     dienlandschaft, deren Polarisierung einen erheblichen       setzen. Darüber hinaus hat die EU angekündigt, Ge-
     Beitrag zur gesellschaftlichen Spaltung der Vereinig-       setzgebungsvorhaben zur Regulierung der künstlichen
     ten Staaten leistet, existiert in Deutschland mit dem       Intelligenz sowie zur Transparenz gesponserter politi-
     öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Institution, de-       scher Inhalte im Internet auf den Weg zu bringen. Die
     ren Handeln auf gesellschaftliche Integration angelegt      künftige Bundesregierung sollte sich an diesen Vorha-
     ist. In Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk    ben – vermittelt über den Rat der EU – aktiv beteiligen
     kommt dessen Verpflichtung auf die Grundsätze der           und mit eigenen Initiativen einbringen.
     Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung
     eine besondere Bedeutung zu. Diesem Auftrag kann der        •   Ein Kernanliegen sollte die Herstellung von mehr
     öffentlich-rechtliche Rundfunk langfristig jedoch nur           Transparenz im Online-Kontext bilden. Die Öffent-
     durch eine strikte Beachtung seiner politischen Neutra-         lichkeit soll wissen können, wer der Auftraggeber
     lität gerecht werden.                                           einer Anzeige ist und mit wem oder was die Bür-
                                                                     ger über soziale Medien agieren. Es sollte erkenn-
     •    Vor dem Hintergrund einer sich stark wandelnden            bar sein, was ein Bot ist und was nicht, und ob eine
          Medienlandschaft muss über eine Neuausrichtung             „Nachricht“ aufgrund einer Interaktion mit dem Bot
          des verfassungsrechtlichen Auftrags des Rund-              nicht mehr „real“ ist.
          funks zur medialen Grundversorgung der Bürger
          nachgedacht werden, wobei künftig ein noch stär-       •   Ferner sollte bei Nachrichten mit politischem Inhalt
          kerer Fokus auf der Bereitstellung faktengeprüfter         für die Nutzer ersichtlich sein, ob es sich um bezahlte
          Inhalte liegen sollte.                                     Werbung oder journalistische Inhalte handelt.

     •    In Ergänzung des deutschen öffentlich-rechtlichen      •   Ebenso sollte die Verantwortung von Plattformen
          Rundfunks sollte zudem über einen Europäischen             hinsichtlich des Einsatzes von Algorithmen vergrö-
          Öffentlichen Rundfunk nachgedacht werden, der die          ßert und die Kriterien der algorithmischen Nach-
          Politiken der EU und die Entscheidungsprozesse in          richtenauswahl und -präsentation transparenter
          Brüssel, Straßburg und Luxemburg transparenter             gemacht werden.
          und verständlicher macht.
                                                                 •   Auch die bislang selbstverständliche Anonymität
     •    Ferner könnte eine nicht-staatliche Rating-Agentur         im Internet wird zunehmend zu einer Herausforde-
          geschaffen werden, die ausgerichtet an Kriterien wie       rung. Je mehr sich der Cyberraum zu einer zweiten
          etwa der „Faktentreue der Berichterstattung“ eine          (virtuellen) Lebenswelt der Menschen entwickelt,
          Bewertung der Medienangebote vornimmt. Eine                desto mehr sollte über Möglichkeiten nachgedacht
          solche Agentur müsste freilich staatsfern und un-          werden, Identitätsfeststellungen analog der klas-
          abhängig ausgestaltet sein und der Kontrolle durch         sischen (realen) Lebenswelt zu ermöglichen. Vor-
          Gerichte unterliegen, um den Eindruck eines „Wahr-         stellbar wäre, dass anonyme „Cyber-Identitäten“
          heitsministeriums“ zu vermeiden.                           (vermittelt über Internet-Avatare) in der analogen
                                                                     Lebenswelt zugeordnet werden können und auf die-
     2.    Plattformregulierung                                      sem Wege unter bestimmten Voraussetzungen für
                                                                     ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden
     Große Online-Plattformen spielen als Gatekeeper heu-            können.
     te eine zentrale Rolle bei der Informationsvermittlung.
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         BERICHT                                                                    Aktionsplan Resilienz und Demokratie

    3.   Öffentlichkeitsarbeit                                 Bedrohungen antizipieren, frühzeitig
                                                               erkennen und reagieren
    Obgleich die Bundesregierung nicht direkt in den Pro-
    zess der öffentlichen Meinungsbildung eingreifen darf,     Ein wichtiger Schlüssel zur Abwehr der neuen Bedro-
    ist es ihr unbenommen, Informations- und Öffentlich-       hungen besteht darin, sie frühzeitig zu erkennen, um
    keitsarbeit zu betreiben und die Bevölkerung über das      dann rechtzeitig auf sie reagieren zu können. Die bis-
    Regierungshandeln zu informieren. Die Bundesregie-         herige Erfahrung mit Desinformationskampagnen und
    rung sollte in Zukunft verstärkt die Möglichkeiten und     Cyberattacken hat gezeigt, dass ein beachtlicher Teil
    die Reichweite der sozialen Netzwerke nutzen, um die       dieser Angriffe orchestriert und anlassbezogen erfolgt
    Bürger mit vertrauenswürdigen Inhalten zu versorgen.       und daher unter Umständen antizipiert werden kann.
    Als Vorbild kann die Kampagne „Zusammen gegen
    Corona“ des Bundesgesundheitsministeriums auf In-          •   Kurzfristig sollten Detektions- und Frühwarnsyste-
    stagram dienen, in der mittels kurzer, einfach verständ-       me geschaffen werden, die eine frühzeitige Erken-
    licher Videoclips über die neuesten Erkenntnisse in der        nung und Abwehr solcher Angriffe erlauben. Die
    Pandemiebekämpfung sowie die Empfehlungen des RKI              Lagezentren der zuständigen Sicherheitsbehörden
    informiert wird. Auf Gegenpropaganda im eigentlichen           könnten mit speziell geschulten Mitarbeitern ver-
    Sinne sollte jedoch verzichtetet werden, da Gegendar-          stärkt werden.
    stellungen aus psychologischer Sicht den Effekt haben
    können, Menschen erst recht in ihren Vorstellungen zu      •   Mit dem nationalen Cyberabwehrzentrum besteht
    bestärken.                                                     bereits eine Kooperationsplattform der zuständigen
                                                                   Sicherheitsbehörden zur Identifikation und Abwehr
    4.   Medienkompetenz stärken                                   von Cyberangriffen. Deren bislang auf Cyberangriffe
                                                                   im engeren Sinne (IT-Systeme) beschränktes Port-
    Zwar nimmt die Nutzung sozialer Medien immer mehr              folio könnte um den Aspekt der Desinformationsbe-
    zu, die Medien- und Technikkompetenz vieler Nutzer             kämpfung erweitert werden.
    ist bislang jedoch gering ausgeprägt. So weiß etwa die
    Hälfte der Europäer nicht, was ein Algorithmus ist, ge-    •   Es könnte ebenfalls erwogen werden, eine der EU-
    schweige denn wie er funktioniert oder welchen Einfluss        East StratCom vergleichbare Struktur in Deutsch-
    Algorithmen auf die Auswahl und Darstellung von In-            land zu schaffen, die ausschließlich mit der
    formationen haben. Mittelfristig muss es darum gehen,          Aufdeckung und Bekämpfung ausländischer Des-
    die Medienkompetenz der Bürger, insbesondere der Ju-           information und Propaganda befasst wäre.
    gend im Rahmen der Schulbildung, zu erhöhen und sie
    für die Mechanismen und Gefahren von Desinformation        •   Auf europäischer Ebene könnte die EU-Agentur für
    und Propaganda im Internet zu sensibilisieren.                 Netz-und Informationssicherheit (ENISA) sodann
                                                                   ein Forum bilden, um den Austausch von Erfahrun-
    Hier könnte erneut die Idee einer unabhängigen Ra-             gen mit politischem Hacking und Desinformation im
    ting-Agentur fruchtbar gemacht werden. Denkbar wä-             Kontext von Wahlen und Krisensituationen zwischen
    re ein Zertifizierungsverfahren, durch das sich Anbieter       der EU und ihren Mitgliedstaaten zu erleichtern und
    von Online-Nachrichten die Einhaltung und Beach-               zu koordinieren. Auf dem Erfahrungsaustausch ba-
    tung journalistischer Standards nach dem Pressekodex           sierend könnten Leitlinien und Regelbücher für den
    bestätigen lassen könnten. Wie bereits bei Online-             Umgang mit diesen Herausforderungen formuliert
    Shops üblich, wären Betreiber von Online-Nachrich-             werden. Die Bundesregierung sollte auf eine enge
    tendiensten nach erfolgter Prüfung durch die Agentur           Einbindung der deutschen Sicherheitsbehörden in
    berechtigt, eine Art Gütesiegel auf ihrer Homepage zu          solche kooperativen Strukturen hinwirken.
    platzieren.
                                                               •   Als Konsequenz aus den Erfahrungen der Corona-
    Wenn es um Cybersicherheit geht, gehört das „mensch-           Pandemie sollte der Themenkomplex Desinforma-
    liche Element“ nachweisbar zu den größten Sicherheits-         tion und Propaganda in Zukunft fester Bestandteil
    risiken. So wurde der bisher größte Cyberangriff auf den       deutscher Krisenreaktionspolitik werden.
    Bundestag im Jahr 2015 erst durch das unbedachte Öff-
    nen von Phishing E-Mails ermöglicht. Dem Ausbau der        •   Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass sich Desinfor-
    Medienkompetenz der Bürgerinnen und Bürger kommt               mationskampagnen und Cyberattacken zu einem
    daher auch in diesem Bereich erhebliche Bedeutung zu.          dauerhaften Problem entwickeln, zu dessen Lö-
                                                                   sung es fester Strukturen bedarf, die einen engen
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Aktionsplan Resilienz und Demokratie                                                                            BERICHT

         Austausch zwischen Politik, Sicherheitsbehörden,        •   Zur wissenschaftlichen Erschließung des Phäno-
         Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen. Es ist             mens Desinformation sind Forscher auf Daten ange-
         notwendig, die Bekämpfung hybrider Bedrohun-                wiesen, die einen genauen Einblick in die Dynamiken
         gen weiter zu institutionalisieren. Insbesondere die        der Verbreitung von Falschnachrichten in sozialen
         Arbeit des nationalen Cybersicherheitsrats sowie            Netzwerken liefern können. Zurzeit besteht jedoch
         der daran angeschlossenen Arbeitsgruppen sollten            ein Informationsgefälle zugunsten der großen On-
         auf jeden Fall fortgesetzt und vertieft werden.             line-Plattformen, die über die relevanten Daten
                                                                     verfügen, sich jedoch häufig weigern, diese der Wis-
     •   Um künftigen Cyberangriffen auf staatliche Institu-         senschaft zu Forschungszwecken zugänglich zu
         tionen besser vorzubeugen und deren jederzeitige            machen. Im Zuge der anstehenden Plattformregu-
         Handlungsfähigkeit sicherzustellen, sollte in die IT-       lierung auf EU-Ebene sollte daher auch über eine
         Sicherheit kritischer Infrastrukturen, insbesondere         Verpflichtung der Online-Anbieter nachgedacht
         der Verfassungsorgane von Bund und Ländern, in-             werden, Wissenschaftlern datenschutzkonformen
         vestiert werden.                                            Zugriff auf diese Daten zu gewähren.

     Forschung fördern                                           Transatlantische Wirtschafts- und
                                                                 Wertegemeinschaft
     Neue hybride Bedrohungen wie Desinformation und Cy-
     berattacken weisen die Besonderheit auf, dass sie maß-      •   Als Mitgliedstaat ist Deutschland Teil des euro-
     geblich von der verstärkenden Wirkung bestimmter                päischen Staaten- und Verfassungsverbundes der
     Technologien (Algorithmen, Malicious Social Bots, etc.)         EU. Deutsches Handeln darf daher nicht isoliert,
     profitieren oder sogar deren Produkt sind (KI-gene-             sondern muss stets im Verbund, also kooperativ-
     rierte Deepfakes). Die Bekämpfung dieser Phänomene              arbeitsteilig gedacht werden. Dies gilt insbesondere
     setzt daher ein genaues Verständnis ihrer Funktions-            bei Herausforderungen wie den hier relevanten hyb-
     weise sowie der technologischen Zusammenhänge                   riden Bedrohungen, die alle Mitgliedstaaten und die
     voraus. Hinzu kommt, dass aufgrund des rasanten tech-           EU gleichermaßen betreffen und ein geschlossenes
     nologischen Fortschritts jederzeit neue Bedrohungen             Vorgehen erfordern. Die Bundesregierung sollte auf
     entstehen können und die Gegenmaßnahmen deshalb                 die Definition einer gemeinsamen Strategie von EU
     kontinuierlich angepasst werden müssen. Staatliche              und Mitgliedstaaten hinwirken.
     Stellen sind darauf angewiesen, stets ein aktuelles Bild
     der Bedrohungslandschaft zu haben.                          •   Zugleich sollten sich Deutschland und die EU auf
                                                                     der anderen Seite des Atlantiks (USA, Kanada) und
     •   Um mit künftigen Entwicklungen im Bereich Des-              in anderen Teilen der Welt (insbesondere der EU-
         information Schritt halten zu können, sollte die            Nachbarschaft sowie Australien und Neuseeland)
         Bundesregierung weiterhin interdisziplinäre For-            nach Partnern umsehen, die sich den Bemühungen
         schungsprojekte fördern. Mit dem vom BMBF                   um die Sicherung der Demokratie und der Stärkung
         unterstützen Projekt DORIAN (Desinformation auf-            der digitalen Resilienz anschließen wollen. Ein ge-
         decken und bekämpfen) existiert bereits eine viel-          meinsames Forum zum Austausch von Praktiken
         versprechende interdisziplinäre Plattform, die als          und neuen Anliegen könnte als Teil einer „Transat-
         Ausgangspunkt für weitere Arbeiten dienen kann.             lantischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft
                                                                     (TWW)“ bei der OECD, der NATO oder einer neuen
     •   Mit größter Aufmerksamkeit sollten dabei neue und           „Allianz für digitale Demokratie“ verankert werden.
         noch gefährlicherer Formen von Desinformation,
         insbesondere die sogenannten Deepfakes, in den
         Blick genommen werden. Dabei handelt es sich um
         Fotos oder Videos, die mittels KI derart manipuliert
         werden können, dass sie nicht mehr ohne Weiteres
         als „Fakes“ zu identifizieren sind. Experten befürch-
         ten, dass der absehbare großflächige Einsatz von
         Deepfakes in naher Zukunft das ohnehin schon an-
         geschlagene Vertrauen der Öffentlichkeit in Politik
         und Medien weiter erodieren lassen könnte. Umso
         wichtiger ist es daher, die Regulierung des Einsatzes
         von künstlicher Intelligenz voranzutreiben.
September 2021                                                                                73

          BERICHT                                            Aktionsplan Resilienz und Demokratie

ERGEBNIS

Verschiedene Schlüsselereignisse der letzten Jahre haben
die Verwundbarkeit westlicher Gesellschaften gegenüber
Desinformation, Propaganda und gezielter Wahlbeeinflus-
sung offengelegt und Handlungsbedarf erkennen lassen.
Angesichts dieser neuartigen Bedrohungen für die Demo-
kratie ist die deutsche Politik aufgerufen, aktiv Maßnah-
men zu ihrem Schutz zu ergreifen und ihre demokrati-
sche und digitale Resilienz zu stärken. Insoweit erfordert
die Komplexität der neuen Bedrohungslandschaft ein ge-
schlossenes Vorgehen der demokratischen Verfassungs-
staaten Europas unter Einbeziehung von Unternehmen
und Akteuren der Zivilgesellschaft sowie der Partner jen-
seits des Atlantiks. In diesem Rahmen sollte sich Deutsch-
land im Verbund mit der EU für die Entwicklung einer ge-
meinsamen Strategie einsetzen, die auf den Leitprinzipien
der Transparenz, Glaubwürdigkeit, Medienkompetenz und
geteilten Verantwortung basiert.
September 2021

         BERICHT                                                                                            Impressum

                                                                    Rauchstraße 17/18
                                                                    10787 Berlin

                                                                    Tel. +49 30 254231-0

                                                                    info@dgap.org
                                                                    www.dgap.org
                                                                      @dgapev

                                                                    Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige
                                                                    Politik e.V. (DGAP) forscht und berät zu
                                                                    aktuellen Themen der deutschen und euro-
                                                                    päischen Außenpolitik. Dieser Text spiegelt
                                                                    die Meinung der Autorinnen und Autoren
                                                                    wider, nicht die der DGAP.

                                                                    Herausgeber
                                                                    Deutsche Gesellschaft für
                                                                    Auswärtige Politik e.V.

                   Fotos Autorinnen und Autoren                     ISSN 1866-9182

                   Seite 19 (oben)    Unsplash, Massimo Virgilio    Redaktion Bettina Vestring
                   Seite 27 (oben)    IMAGO, Poolfoto
                   Seite 27 (unten)   Malene Lauritsen              Layout & Grafik
                   Seite 39 (oben)    Unsplash, Andrew Coop         Carl-Friedrich Richter
                   Seite 47 (oben)    REUTERS, Aly Song             Studio Friedrichter
                   Seite 57 (oben)    Unsplash, Alexandre Debieve
                   Seite 67 (oben)    Unsplash, Camilo Jimenez      Design Konzept:
                   Seite 75 (oben)    Unsplash, Gustavo Quepon      WeDo
                   Seite 75 (unten)   John Cairns
                   Seite 83 (oben)    Unsplash, Mikhail Serdyukov
                   Seite 89 (oben)    IMAGO, Jochen Tack
                   Seite 89 (unten)   Francesco Scarpa
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                   Seite 97 (unten)   Francesco Scarpa              Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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