Aktionsplan Resilienz und Demokratie - Wie Deutschland Angriffe auf Demokratie und Gesellschaft abwehren kann - DGAP Policy Brief
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik BERICHT Aktionsplan Resilienz und Demokratie Wie Deutschland Angriffe auf Demokratie und Gesellschaft abwehren kann Prof. Dr. Christian Calliess, LL.M. Eur. Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht, Freie Universität Berlin
68 September 2021 Aktionsplan Resilienz und Demokratie BERICHT Seit mehreren Jahren stehen die westlichen Demokratien demokratischen Verfassungsstaat eine gemeinsame Ver- in Europa ebenso wie in Amerika verstärkt unter „digita- antwortung von Politik und Gesellschaft, EU und Mitglied- lem Beschuss“. Inländische und ausländische Akteure ver- staaten, Unternehmen und Verbrauchern, wobei kein Ak- suchen mittels hybrider Methoden wie Cyberattacken die teur imstande ist, die Probleme allein zu lösen. öffentliche Meinungsbildung zu ihren Gunsten zu beein- flussen und die Institutionen zu schwächen, um der De- Der Themenkomplex Desinformation und Propaganda be- mokratie nachhaltig Schaden zuzufügen. Vor allem die trifft zudem eine Grauzone der für die Demokratie un- Presse gerät aufgrund der Online-Angebote großer digi- abdingbaren Informations- und Meinungsfreiheit. Zur taler Anbieter immer mehr unter Druck und kann daher Vermeidung ungerechtfertigter Eingriffe in diese Frei- ihrem klassischen Auftrag immer weniger gerecht werden. heitsrechte sowie des Vorwurfs staatlicher Zensur ist da- Zugleich ist in einigen Teilen der Bevölkerung ein Vertrau- her ein differenziertes und abgestuftes Vorgehen erfor- ensverlust in Bezug auf die traditionellen Medien und eine derlich. Gezielte staatliche Maßnahmen gegen einzelne Zuwendung zu alternativen, onlinebasierten Medienan- Inhalte kommen daher – wenn überhaupt – nur als Ultima geboten (zum Beispiel Facebook, YouTube, Influencer) zu Ratio in Betracht. verzeichnen. Inzwischen bezieht deutlich mehr als ein Drittel der Bür- Die US-Präsidentschaftswahl 2016 und das Brexit-Refe- ger politische Informationen aus sozialen Netzwerken. Seit rendum haben als Schlüsselereignisse der letzten Jahre die bekannt wurde, dass Drittstaaten oder von ihnen bezahl- Verwundbarkeit demokratischer Gesellschaften gegen- te private Akteure diese Plattformen zielgerichtet nutzen, über gezielten Desinformations- und Propagandakampa- um das Vertrauen der Bürger in die Demokratie durch Des- gnen offengelegt. Die genannten Phänomene stellen sich information und Propaganda zu erschüttern, sind diese dabei als Bedrohung für den Prozess der demokratischen Netzwerke allerdings zunehmend in den Fokus der Kritik Willensbildung sowie für die Integrität von Wahlen und geraten. Abstimmungen dar. Die Zahl alternativer Online-Medien, über die gezielt Die massive Welle an Falschinformationen und Verschwö- Falschinformationen und Propaganda oder zumindest rungstheorien während der Corona-Pandemie hat gezeigt, stark ideologisch eingefärbte Inhalte verbreitet werden, dass Krisenzeiten mit unsicherer Informationslage eben- wächst. Gesunkene Produktionskosten und verbesserte falls bewusst ausgenutzt werden können, um Unsicher- technische Möglichkeiten lassen diese Formate professio- heit in der Bevölkerung zu verbreiten, die gesellschaftliche nell erscheinen, wodurch es den Bürgern erschwert wird, Spaltung voranzutreiben sowie das Vertrauen in staatli- sie von seriösen Nachrichten zu unterscheiden. Zugleich che Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu untergraben. ist die Medienkompetenz vieler Nutzer bislang eher gering. Neben dem Schutzgut Demokratie sind somit auch die in- Hinzu kommen Nachrichtenangebote wie Russia Today nere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik betroffen. (RT) oder Sputnik, die von ausländischen Akteuren gesteu- ert und ebenfalls als Mittel zur Verbreitung von Propagan- Seit Jahren kommt es schließlich immer wieder zu Hacker- da eingesetzt werden. angriffen auf staatliche Institutionen (insbesondere den Deutschen Bundestag), die deren Funktions- und Hand- lungsfähigkeit und damit die Demokratie selbst gefährden. HERAUSFORDERUNGEN Gelingt es nicht, zeitnah eine Antwort auf die neuen Be- drohungen zu finden, droht die Demokratie irreversiblen Schaden zu nehmen. Ziel der Bemühungen muss es sein, die digitale und demokratische Resilienz innerhalb Deutsch- lands und der EU zu stärken und die Gesellschaften Europas gegen Angriffe aus dem In- und Ausland zu immunisieren. Als besondere Herausforderung stellen sich die Komplexi- tät und Vielschichtigkeit der neuen Bedrohungslandschaft dar, die ein Zusammenwirken verschiedenster Akteure auf mehreren Ebenen erfordert und eine Vielzahl möglicher Handlungs- und Aktionsfelder eröffnet. Demokratie ist im
September 2021 69 BERICHT Aktionsplan Resilienz und Demokratie Europäerinnen und Europäer kommen häufig mit schädlichen oder illegalen Online-Praktiken in Berührung EU-weit gaben befragte Internetnutzerinnen und Internetnutzerinnen an, dass sie schädlichen illegalen Praktiken in der Online-Umgebung ausgesetzt waren oder Zeugen davon geworden sind. Desinformation 51 % Spaltende Inhalte, d. h. Inhalte, die geschaffen werden, um die Gesellschaft in Bezug auf ein 45 % bestimmtes Thema zu spalten Inhalte, bei denen man nicht ohne Weiteres feststellen kann, ob es sich um politische Werbung handelt 37 % oder nicht Einschüchterung von Politikern durch Drohungen oder 24 % Hassbotschaften Quelle: Special Eurobarometer 507, https://t1p.de/n4f29 Empfehlungen der Bürgerinnen und Bürger zu stärken sowie ein Infor- mationsökosystem zu schaffen, in dem Desinformation und Propaganda leichter als solche identifiziert werden können. Schaffung einer resilienten Öffentlichkeit 1. Presse und Rundfunk stärken Weder Desinformation noch Propaganda oder poli- tische Werbung sind gänzlich neue Phänomene des Vor dem Hintergrund einer für den Einzelnen nicht mehr digitalen Zeitalters. Um den durch das Internet be- zu bewältigenden Fülle an Nachrichten, die heutzutage dingten Veränderungen der Informationsvermittlung über das Internet verfügbar sind, sind Menschen mehr und -wahrnehmung entgegenzuwirken, sollte in die denn je auf die Auswahl und Aufbereitung von Infor- Schaffung und Aufrechterhaltung einer resilienten Öf- mationen durch die Institutionen der Presse und des fentlichkeit investiert werden. Konkret sollte es darum Rundfunks angewiesen. Dabei kommt vor allem dem gehen, den Zugang zu vertrauenswürdigen, gut recher- öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Schlüsselrolle zu, chierten Inhalten zu erleichtern, die Medienkompetenz die Grundversorgung der Bürger mit vertrauenswür-
70 September 2021 Aktionsplan Resilienz und Demokratie BERICHT digen und faktengeprüften Inhalten zu gewährleisten. Damit das Vertrauen der Bürger in die Demokratie nicht Um künftig die Versorgung mit qualitativ hochwertigen durch Desinformation und Propaganda erschüttert Nachrichten sicherzustellen, bedarf es einer Stärkung wird, bedarf es einer Plattformregulierung, die neue der freien Presse. Auch ein regulatorisches Eingreifen – der Rolle als Gatekeeper entsprechende – Verant- mit dem Ziel, ein „level playing field“ zwischen Inter- wortlichkeiten schafft und die Plattformen insgesamt netkonzernen und Medienanbietern zu schaffen, kann stärker in die Pflicht nimmt. sinnvoll sein. Dies kann vor allem durch die Ausweitung des neuen Medienstaatsvertrages auf die Betreiber von Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorschlag für ein Ge- sozialen Netzwerken geschehen, die auf diese Weise setz über digitale Dienste (DSA) einen ersten wichtigen vergleichbare Verantwortlichkeiten und Pflichten hin- Schritt in Richtung einer solchen Regulierung unter- sichtlich der Berichterstattung übernehmen müssen. nommen, deren Ziel es ist – ähnlich wie bei der Daten- schutz-Grundverordnung – Standards für die sozialen Anders als in der rein privat ausgestalteten US-Me- Medien und die Datenerhebung durch Plattformen zu dienlandschaft, deren Polarisierung einen erheblichen setzen. Darüber hinaus hat die EU angekündigt, Ge- Beitrag zur gesellschaftlichen Spaltung der Vereinig- setzgebungsvorhaben zur Regulierung der künstlichen ten Staaten leistet, existiert in Deutschland mit dem Intelligenz sowie zur Transparenz gesponserter politi- öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Institution, de- scher Inhalte im Internet auf den Weg zu bringen. Die ren Handeln auf gesellschaftliche Integration angelegt künftige Bundesregierung sollte sich an diesen Vorha- ist. In Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ben – vermittelt über den Rat der EU – aktiv beteiligen kommt dessen Verpflichtung auf die Grundsätze der und mit eigenen Initiativen einbringen. Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung eine besondere Bedeutung zu. Diesem Auftrag kann der • Ein Kernanliegen sollte die Herstellung von mehr öffentlich-rechtliche Rundfunk langfristig jedoch nur Transparenz im Online-Kontext bilden. Die Öffent- durch eine strikte Beachtung seiner politischen Neutra- lichkeit soll wissen können, wer der Auftraggeber lität gerecht werden. einer Anzeige ist und mit wem oder was die Bür- ger über soziale Medien agieren. Es sollte erkenn- • Vor dem Hintergrund einer sich stark wandelnden bar sein, was ein Bot ist und was nicht, und ob eine Medienlandschaft muss über eine Neuausrichtung „Nachricht“ aufgrund einer Interaktion mit dem Bot des verfassungsrechtlichen Auftrags des Rund- nicht mehr „real“ ist. funks zur medialen Grundversorgung der Bürger nachgedacht werden, wobei künftig ein noch stär- • Ferner sollte bei Nachrichten mit politischem Inhalt kerer Fokus auf der Bereitstellung faktengeprüfter für die Nutzer ersichtlich sein, ob es sich um bezahlte Inhalte liegen sollte. Werbung oder journalistische Inhalte handelt. • In Ergänzung des deutschen öffentlich-rechtlichen • Ebenso sollte die Verantwortung von Plattformen Rundfunks sollte zudem über einen Europäischen hinsichtlich des Einsatzes von Algorithmen vergrö- Öffentlichen Rundfunk nachgedacht werden, der die ßert und die Kriterien der algorithmischen Nach- Politiken der EU und die Entscheidungsprozesse in richtenauswahl und -präsentation transparenter Brüssel, Straßburg und Luxemburg transparenter gemacht werden. und verständlicher macht. • Auch die bislang selbstverständliche Anonymität • Ferner könnte eine nicht-staatliche Rating-Agentur im Internet wird zunehmend zu einer Herausforde- geschaffen werden, die ausgerichtet an Kriterien wie rung. Je mehr sich der Cyberraum zu einer zweiten etwa der „Faktentreue der Berichterstattung“ eine (virtuellen) Lebenswelt der Menschen entwickelt, Bewertung der Medienangebote vornimmt. Eine desto mehr sollte über Möglichkeiten nachgedacht solche Agentur müsste freilich staatsfern und un- werden, Identitätsfeststellungen analog der klas- abhängig ausgestaltet sein und der Kontrolle durch sischen (realen) Lebenswelt zu ermöglichen. Vor- Gerichte unterliegen, um den Eindruck eines „Wahr- stellbar wäre, dass anonyme „Cyber-Identitäten“ heitsministeriums“ zu vermeiden. (vermittelt über Internet-Avatare) in der analogen Lebenswelt zugeordnet werden können und auf die- 2. Plattformregulierung sem Wege unter bestimmten Voraussetzungen für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden Große Online-Plattformen spielen als Gatekeeper heu- können. te eine zentrale Rolle bei der Informationsvermittlung.
September 2021 71 BERICHT Aktionsplan Resilienz und Demokratie 3. Öffentlichkeitsarbeit Bedrohungen antizipieren, frühzeitig erkennen und reagieren Obgleich die Bundesregierung nicht direkt in den Pro- zess der öffentlichen Meinungsbildung eingreifen darf, Ein wichtiger Schlüssel zur Abwehr der neuen Bedro- ist es ihr unbenommen, Informations- und Öffentlich- hungen besteht darin, sie frühzeitig zu erkennen, um keitsarbeit zu betreiben und die Bevölkerung über das dann rechtzeitig auf sie reagieren zu können. Die bis- Regierungshandeln zu informieren. Die Bundesregie- herige Erfahrung mit Desinformationskampagnen und rung sollte in Zukunft verstärkt die Möglichkeiten und Cyberattacken hat gezeigt, dass ein beachtlicher Teil die Reichweite der sozialen Netzwerke nutzen, um die dieser Angriffe orchestriert und anlassbezogen erfolgt Bürger mit vertrauenswürdigen Inhalten zu versorgen. und daher unter Umständen antizipiert werden kann. Als Vorbild kann die Kampagne „Zusammen gegen Corona“ des Bundesgesundheitsministeriums auf In- • Kurzfristig sollten Detektions- und Frühwarnsyste- stagram dienen, in der mittels kurzer, einfach verständ- me geschaffen werden, die eine frühzeitige Erken- licher Videoclips über die neuesten Erkenntnisse in der nung und Abwehr solcher Angriffe erlauben. Die Pandemiebekämpfung sowie die Empfehlungen des RKI Lagezentren der zuständigen Sicherheitsbehörden informiert wird. Auf Gegenpropaganda im eigentlichen könnten mit speziell geschulten Mitarbeitern ver- Sinne sollte jedoch verzichtetet werden, da Gegendar- stärkt werden. stellungen aus psychologischer Sicht den Effekt haben können, Menschen erst recht in ihren Vorstellungen zu • Mit dem nationalen Cyberabwehrzentrum besteht bestärken. bereits eine Kooperationsplattform der zuständigen Sicherheitsbehörden zur Identifikation und Abwehr 4. Medienkompetenz stärken von Cyberangriffen. Deren bislang auf Cyberangriffe im engeren Sinne (IT-Systeme) beschränktes Port- Zwar nimmt die Nutzung sozialer Medien immer mehr folio könnte um den Aspekt der Desinformationsbe- zu, die Medien- und Technikkompetenz vieler Nutzer kämpfung erweitert werden. ist bislang jedoch gering ausgeprägt. So weiß etwa die Hälfte der Europäer nicht, was ein Algorithmus ist, ge- • Es könnte ebenfalls erwogen werden, eine der EU- schweige denn wie er funktioniert oder welchen Einfluss East StratCom vergleichbare Struktur in Deutsch- Algorithmen auf die Auswahl und Darstellung von In- land zu schaffen, die ausschließlich mit der formationen haben. Mittelfristig muss es darum gehen, Aufdeckung und Bekämpfung ausländischer Des- die Medienkompetenz der Bürger, insbesondere der Ju- information und Propaganda befasst wäre. gend im Rahmen der Schulbildung, zu erhöhen und sie für die Mechanismen und Gefahren von Desinformation • Auf europäischer Ebene könnte die EU-Agentur für und Propaganda im Internet zu sensibilisieren. Netz-und Informationssicherheit (ENISA) sodann ein Forum bilden, um den Austausch von Erfahrun- Hier könnte erneut die Idee einer unabhängigen Ra- gen mit politischem Hacking und Desinformation im ting-Agentur fruchtbar gemacht werden. Denkbar wä- Kontext von Wahlen und Krisensituationen zwischen re ein Zertifizierungsverfahren, durch das sich Anbieter der EU und ihren Mitgliedstaaten zu erleichtern und von Online-Nachrichten die Einhaltung und Beach- zu koordinieren. Auf dem Erfahrungsaustausch ba- tung journalistischer Standards nach dem Pressekodex sierend könnten Leitlinien und Regelbücher für den bestätigen lassen könnten. Wie bereits bei Online- Umgang mit diesen Herausforderungen formuliert Shops üblich, wären Betreiber von Online-Nachrich- werden. Die Bundesregierung sollte auf eine enge tendiensten nach erfolgter Prüfung durch die Agentur Einbindung der deutschen Sicherheitsbehörden in berechtigt, eine Art Gütesiegel auf ihrer Homepage zu solche kooperativen Strukturen hinwirken. platzieren. • Als Konsequenz aus den Erfahrungen der Corona- Wenn es um Cybersicherheit geht, gehört das „mensch- Pandemie sollte der Themenkomplex Desinforma- liche Element“ nachweisbar zu den größten Sicherheits- tion und Propaganda in Zukunft fester Bestandteil risiken. So wurde der bisher größte Cyberangriff auf den deutscher Krisenreaktionspolitik werden. Bundestag im Jahr 2015 erst durch das unbedachte Öff- nen von Phishing E-Mails ermöglicht. Dem Ausbau der • Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass sich Desinfor- Medienkompetenz der Bürgerinnen und Bürger kommt mationskampagnen und Cyberattacken zu einem daher auch in diesem Bereich erhebliche Bedeutung zu. dauerhaften Problem entwickeln, zu dessen Lö- sung es fester Strukturen bedarf, die einen engen
72 September 2021 Aktionsplan Resilienz und Demokratie BERICHT Austausch zwischen Politik, Sicherheitsbehörden, • Zur wissenschaftlichen Erschließung des Phäno- Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen. Es ist mens Desinformation sind Forscher auf Daten ange- notwendig, die Bekämpfung hybrider Bedrohun- wiesen, die einen genauen Einblick in die Dynamiken gen weiter zu institutionalisieren. Insbesondere die der Verbreitung von Falschnachrichten in sozialen Arbeit des nationalen Cybersicherheitsrats sowie Netzwerken liefern können. Zurzeit besteht jedoch der daran angeschlossenen Arbeitsgruppen sollten ein Informationsgefälle zugunsten der großen On- auf jeden Fall fortgesetzt und vertieft werden. line-Plattformen, die über die relevanten Daten verfügen, sich jedoch häufig weigern, diese der Wis- • Um künftigen Cyberangriffen auf staatliche Institu- senschaft zu Forschungszwecken zugänglich zu tionen besser vorzubeugen und deren jederzeitige machen. Im Zuge der anstehenden Plattformregu- Handlungsfähigkeit sicherzustellen, sollte in die IT- lierung auf EU-Ebene sollte daher auch über eine Sicherheit kritischer Infrastrukturen, insbesondere Verpflichtung der Online-Anbieter nachgedacht der Verfassungsorgane von Bund und Ländern, in- werden, Wissenschaftlern datenschutzkonformen vestiert werden. Zugriff auf diese Daten zu gewähren. Forschung fördern Transatlantische Wirtschafts- und Wertegemeinschaft Neue hybride Bedrohungen wie Desinformation und Cy- berattacken weisen die Besonderheit auf, dass sie maß- • Als Mitgliedstaat ist Deutschland Teil des euro- geblich von der verstärkenden Wirkung bestimmter päischen Staaten- und Verfassungsverbundes der Technologien (Algorithmen, Malicious Social Bots, etc.) EU. Deutsches Handeln darf daher nicht isoliert, profitieren oder sogar deren Produkt sind (KI-gene- sondern muss stets im Verbund, also kooperativ- rierte Deepfakes). Die Bekämpfung dieser Phänomene arbeitsteilig gedacht werden. Dies gilt insbesondere setzt daher ein genaues Verständnis ihrer Funktions- bei Herausforderungen wie den hier relevanten hyb- weise sowie der technologischen Zusammenhänge riden Bedrohungen, die alle Mitgliedstaaten und die voraus. Hinzu kommt, dass aufgrund des rasanten tech- EU gleichermaßen betreffen und ein geschlossenes nologischen Fortschritts jederzeit neue Bedrohungen Vorgehen erfordern. Die Bundesregierung sollte auf entstehen können und die Gegenmaßnahmen deshalb die Definition einer gemeinsamen Strategie von EU kontinuierlich angepasst werden müssen. Staatliche und Mitgliedstaaten hinwirken. Stellen sind darauf angewiesen, stets ein aktuelles Bild der Bedrohungslandschaft zu haben. • Zugleich sollten sich Deutschland und die EU auf der anderen Seite des Atlantiks (USA, Kanada) und • Um mit künftigen Entwicklungen im Bereich Des- in anderen Teilen der Welt (insbesondere der EU- information Schritt halten zu können, sollte die Nachbarschaft sowie Australien und Neuseeland) Bundesregierung weiterhin interdisziplinäre For- nach Partnern umsehen, die sich den Bemühungen schungsprojekte fördern. Mit dem vom BMBF um die Sicherung der Demokratie und der Stärkung unterstützen Projekt DORIAN (Desinformation auf- der digitalen Resilienz anschließen wollen. Ein ge- decken und bekämpfen) existiert bereits eine viel- meinsames Forum zum Austausch von Praktiken versprechende interdisziplinäre Plattform, die als und neuen Anliegen könnte als Teil einer „Transat- Ausgangspunkt für weitere Arbeiten dienen kann. lantischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft (TWW)“ bei der OECD, der NATO oder einer neuen • Mit größter Aufmerksamkeit sollten dabei neue und „Allianz für digitale Demokratie“ verankert werden. noch gefährlicherer Formen von Desinformation, insbesondere die sogenannten Deepfakes, in den Blick genommen werden. Dabei handelt es sich um Fotos oder Videos, die mittels KI derart manipuliert werden können, dass sie nicht mehr ohne Weiteres als „Fakes“ zu identifizieren sind. Experten befürch- ten, dass der absehbare großflächige Einsatz von Deepfakes in naher Zukunft das ohnehin schon an- geschlagene Vertrauen der Öffentlichkeit in Politik und Medien weiter erodieren lassen könnte. Umso wichtiger ist es daher, die Regulierung des Einsatzes von künstlicher Intelligenz voranzutreiben.
September 2021 73 BERICHT Aktionsplan Resilienz und Demokratie ERGEBNIS Verschiedene Schlüsselereignisse der letzten Jahre haben die Verwundbarkeit westlicher Gesellschaften gegenüber Desinformation, Propaganda und gezielter Wahlbeeinflus- sung offengelegt und Handlungsbedarf erkennen lassen. Angesichts dieser neuartigen Bedrohungen für die Demo- kratie ist die deutsche Politik aufgerufen, aktiv Maßnah- men zu ihrem Schutz zu ergreifen und ihre demokrati- sche und digitale Resilienz zu stärken. Insoweit erfordert die Komplexität der neuen Bedrohungslandschaft ein ge- schlossenes Vorgehen der demokratischen Verfassungs- staaten Europas unter Einbeziehung von Unternehmen und Akteuren der Zivilgesellschaft sowie der Partner jen- seits des Atlantiks. In diesem Rahmen sollte sich Deutsch- land im Verbund mit der EU für die Entwicklung einer ge- meinsamen Strategie einsetzen, die auf den Leitprinzipien der Transparenz, Glaubwürdigkeit, Medienkompetenz und geteilten Verantwortung basiert.
September 2021 BERICHT Impressum Rauchstraße 17/18 10787 Berlin Tel. +49 30 254231-0 info@dgap.org www.dgap.org @dgapev Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) forscht und berät zu aktuellen Themen der deutschen und euro- päischen Außenpolitik. Dieser Text spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren wider, nicht die der DGAP. Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Fotos Autorinnen und Autoren ISSN 1866-9182 Seite 19 (oben) Unsplash, Massimo Virgilio Redaktion Bettina Vestring Seite 27 (oben) IMAGO, Poolfoto Seite 27 (unten) Malene Lauritsen Layout & Grafik Seite 39 (oben) Unsplash, Andrew Coop Carl-Friedrich Richter Seite 47 (oben) REUTERS, Aly Song Studio Friedrichter Seite 57 (oben) Unsplash, Alexandre Debieve Seite 67 (oben) Unsplash, Camilo Jimenez Design Konzept: Seite 75 (oben) Unsplash, Gustavo Quepon WeDo Seite 75 (unten) John Cairns Seite 83 (oben) Unsplash, Mikhail Serdyukov Seite 89 (oben) IMAGO, Jochen Tack Seite 89 (unten) Francesco Scarpa Seite 97 (oben) IMAGO, Xinhua Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Seite 97 (unten) Francesco Scarpa Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
Sie können auch lesen