ANALYSE Menschenrechte und Spielertransfers - Risiken und Verantwortungen beim Transfer von Fußballspielern zwischen Afrika und Europa - fairplay
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ANALYSE A GUIDE TO AFGHAN DIASPORA ENGAGEMENT IN EUROPE Menschenrechte und Spielertransfers Risiken und Verantwortungen beim Transfer von Fußballspielern zwischen Afrika und Europa Martin Kainz 2020 © Martin Kainz
2 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS AUTOR Martin Kainz ist Experte für den Themenbereich Sport und Menschenrechte bei der fairplay Initiative am Vi- enna Institute for International Dialogue and Coopera- tion (VIDC). Er koordiniert die Arbeitsgruppe Sport und Menschenrechte im Bundesministerium für Kunst, Kul- tur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS) und fungier- te als Mitglied der Expert Group Good Governance der Europäischen Kommission, Generaldirektion Bildung, Jugend, Sport und Kultur. Er ist Vorstandsmitglied des FARE Network (UK) sowie von FIAN Österreich. Herausgeber und Medieninhaber: VIDC – Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation Möllwaldplatz 5/9, A-1040 Wien, www.vidc.org Text und Fotos: Martin Kainz Grafik: typothese 2020
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 3 INHALT Autor ........................................................................................................................................................................2 Abkürzungen.............................................................................................................................................................4 Editorial ....................................................................................................................................................................5 Zusammenfassung....................................................................................................................................... 6 Einführung .................................................................................................................................................. 7 Problemstellungen...................................................................................................................................... 9 Menschenrechtliche Richtlinien................................................................................................................. 11 Menschenrechtsrisiken.............................................................................................................................. 13 Verantwortungen...................................................................................................................................... 16 Schlussfolgerungen & Aussichten............................................................................................................... 18
4 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS Abkürzungen ADA Austrian Development Agency ACHPR African Charter on Human and Peoples‘ Rights (Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker) ACRWC African Charter on the Rights and Welfare oft he Child (Afrikanische Charta der Rechte und des Wohlergehens des Kindes) AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AU Afrikanische Union CAF Confédération Africaine de Footbal (Afrikanischer Fußballverband) CoE Council of Europe (Europarat) CRC Convention on the Rights oft he Child (Kinderrechtskonvention) DRD Declaration on the Right to Development (Erklärung über das Recht auf Entwicklung) EEA European Economic Area (Europäischer Wirtschaftsraum) EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EU Europäische Union ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte) ICESCR International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) FIFA Fédération Internationale de Football Association (Weltfußballverband) RSTP Regulations on the Status and Transfer of Players (das Reglement bezüglich Status und Transfer von Spielern) RWI Regulations on Working with Intermediaries (Reglement zur Arbeit mit Vermittlern) TPO Third Party Ownership (Eigentum Dritter) UEFA Union of European Football Associations (Europäischer Fußballverband) UN United Nations (Vereinte Nationen) UNGPs United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights (Leitprinzipien für Wirt- schaft und Menschenrechte) UNICEF United Nations International Children’s Emergency Fund (UN-Kinderhilfswerk) UNTOC United Nations Convention against Transnational Organized Crime (Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität)
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 5 EDITORIAL In den letzten Jahrzehnten hat sich der Profisport zu Die vorliegende Analyse ist ein erster Schritt in einer massiven internationalen Finanzindustrie entwi- Richtung „faire Transfers“, in Richtung einer Trans- ckelt, und der Fußball steht an der Spitze dieser Indus- ferethik, die internationalen Menschenrechtsstan- trie. Fußballligen generieren enorme Einnahmen durch dards gerecht wird und globalen Ungleichheiten ent- den Verkauf von TV-Rechten, Vereine werden zu trans- gegenwirkt. nationalen Unternehmen und Spieler werden zu be- Der Inhalt der Analyse ist einerseits menschenrecht- wunderten Marken ihrer selbst. licher, aber auch entwicklungspolitischer Natur. Es geht Diese Entwicklungen führen zu zwei Phänomenen: um den Handel zwischen so genannten entwickelten Junge Fußballer aus der ganzen Welt versuchen eifrig, Ländern und so genannten Entwicklungsländern, es in die großen Fußballligen Europas einzusteigen, und geht um ausbeuterische Strukturen in der Zusammen- Fußballvereine dieser Ligen spannen globale Netzwer- arbeit. Eine Verbesserung der globalen Transferaktivitä- ke, um junge Talente zu suchen. ten mit Blick auf den Schutz für und Respekt von Men- Diese Phänomene führen jedoch auch dazu, dass schenrechten würde vor allem SDG 1 (Keine Armut), ernsthafte menschenrechtliche Risiken auftreten und 3 (Gesundheit und Wohlergehen), 4 (Hochwertige Bil- leider auch viele Menschenrechtsverletzungen vor- dung), 8 (Menschenwürdige Arbeit), 10 (Weniger Un- kommen, vor allem bei transkontinentalen Transfers gleichheiten) und 17 (Partnerschaften zur Erreichung und im Besonderen in Bezug auf minderjährige Fuß- der Ziele) zugutekommen. baller. Die vorliegende Analyse wurde von Martin Kainz er- Ein menschrechtlicher Blick auf Fußballtransfers arbeitet. Maßgeblich gefördert wurde sie von der Aust- wurde bisher dringlich vermisst, zugleich hat er enor- rian Development Agency (ADA). mes Potenzial, eine große Lücke zu schließen. Er weist Risiken und Verletzungen auf und schafft klare Ver- antwortungen der involvierten Akteure.
6 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS ZUSAMMENFASSUNG Die internationale Fußballindustrie befördert ein schenrechte von Spielern zu schützen, und Verbände, Transfersystem, das Spieler bereits in sehr jungen Klubs sowie Spielervermittler haben die Verantwor- Jahren ihr Land verlassen lässt. Dies trifft vor allem auf tung, die Menschenrechte der Spieler zu achten und, Spieler aus afrikanischen Ländern zu. Sie werden nicht sofern Verletzungen auftreten, wiedergutzumachen. selten bereits im Alter von zehn Jahren auf eine Karriere Sie werden dabei unterstützt von Staaten und interna- im Fußball eingestellt, für Spielervermittler haben junge tionalen Organisationen, die wiederum den rechtlichen Spieler einen großen Mehrwert. und praktischen Rahmen dafür schaffen müssen. Dies führt zu einem hohen Risiko der Ausbeutung, Damit die Verantwortungen den handelnden Ak- auf das Regularien von internationalen Verbänden teure zugewiesen werden können, damit alle ver- nur inadäquat Antworten finden. Es kommt somit zu antwortlichen Akteure zusammenarbeiten, dass die akuten Menschenrechtsrisiken und nicht selten auch zu Menschenrechte der Spieler geschützt und geachtet Verletzungen – in Bezug auf wirtschaftliche Ausbeutung werden, braucht es menschenrechtsbasierte Regular- und Missbrauch, in Bezug auf das Recht auf Bildung, Ar- ien. Damit diese die richtigen Lücken schließen, braucht beit, Erholung und Gesundheit oder etwa auf das Recht es wiederum fundiertes Wissen zu den Logiken interna- auf soziale Sicherheit und das Recht auf Entwicklung. tionaler Transfers – fundiertes Wissen, das zum Teil be- Das internationale Menschenrechtssystem setzt, reits vorhanden ist, aber dringend noch weiterer Unter- unterstützt von Prinzipien für Wirtschaft und Men- suchungen, vor allem zu lokalen Realitäten und rechtli- schenrechte, klare Verantwortungen von involvierten chen Lösungen, bedarf. Akteuren fest. So haben Staaten die Pflicht, die Men-
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 7 EINFÜHRUNG „Als ich ein kleiner Junge war, sah ich Spieler aus kanischen Ländern nach Europa.2 Afrikanische Talente Europa, die große Autos fuhren, große Häuser wurden zu lukrativen Aktien für europäische Fußball- kauften, und jeder wollte so sein wie sie.“ vereine, da – und dies hat sich über die Jahre nur mar- ginal geändert – für diese in der Regel nur wenig Ablö- Dies sind die einleitenden Worte des belgischen Do- se zu zahlen ist, die Gehälter anfangs niedrig sind, der kumentarfilms „Sideline“1, in dem ein ehemaliger nige- Mehrwert eines Weiterverkaufs aber ein Vielfaches ist. rianischer Fußballer, Moses Adams, nunmehr Spieler- agent in Belgien, begleitet wird auf seiner Suche nach Junge Spieler aus Afrika gelangen oftmals nach talentierten afrikanischen Fußballern. „Jedes Jahr kom- dem folgenden Muster nach Europa: sie werden men Tausende afrikanischer Fußballspieler nach Euro- von einem vermeintlichen Spielervermittler ent- pa. Alle mit dem gleichen Ziel “, sagt Adams. „Können deckt, dieser verlangt Geld von der Familie des Spie- Sie sich vorstellen, wie viele von ihnen einen Vertrag lers, in der Regel sind zwischen 3.000 und 5.000 bekommen? Von wie vielen erfahren Sie, dass sie Ver- Euro, um so – neben einer Provision für den Spieler- träge mit Clubs abschließen?“ Es ist ein Bruchteil. vermittler – ein Ticket und die Papiere für einen Flug Mit dem internationalen Erfolg von afrikanischen Ju- nach Europa zu besorgen.3 gend-Nationalmannschaften in den frühen 1990er Jah- ren, mit dem Eintreten des Bosman-Urteils 1995, das 2 Kainz, Martin: Red Bull Ghana, Global Value Chains and the Grab- die die Mobilität von internationalen Spielern bedeu- bing of Land and Resource. A Case Study on the Embedment of tend erleichterte, kamen immer mehr Spieler aus afri- European Football Academies in Western Africa, 2015: VIDC. 3 Esson, James; Drywood, Eleanor: Challenging popular represen- tations of child trafficking in football, 2018: Journal of Criminolo- gical Research, Policy and Practice, Vol. 4, No. 1, S. 3f; Hawkins, Ed: The Lost Boys – Inside Football’s Slave Trade, 2015: Blooms- 1 http://www.sideline.be, 18.10.2020. bury, S. 35.
8 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS Aber zu oft finden Spieler keinen Verein, oder Europäische Klubs und zunehmend auch Vereine werden nach Ankunft erst gar nicht vom Flughafen aus osteuropäischen, arabischen und südostasiatischen oder vom Hotel abgeholt. Sie sind in Folge auf sich Ländern sind auf der Suche nach afrikanischen Talen- alleine gestellt. Nicht wenige Expert*innen sehen ten, und zugleich steigt auch die Zahl unseriöser Spie- darin eine Form des modernen Sklavenhandels, den lerberater, fake agents9, die junge Spieler außer Landes Spielern fehlt es an Schutz und Achtung ihrer Rech- bringen, ohne garantieren zu können, dass diese bei ei- te.4 nem Klub unterkommen. Einer Schätzung zufolge wer- den in Westafrika jährlich 15.000 junge Spieler unter 17,6 Prozent aller internationalen Transfers sind falschen Versprechungen auf Basis des Fußballs außer Transfers mit minderjährigen Spielern, für Spielerver- Landes gebracht.10 mittler haben diese den höchsten finanziellen Rück- Die UN-Sonderberichterstatterin für den Verkauf von fluss.5 Alleine im Jahr 2017 waren dies 2.915 Spieler6 Kindern veröffentlichte 2018 eigens einen Bericht zum – und dies sind nur jene, die auf offiziellem und von der Verkauf und zu sexueller Ausbeutung von Kindern im FIFA genehmigtem Wege ihr Land verließen. Sport11, in dem sie im Besonderen auf die Gefahr von Die Hälfte der international transferierten minder- Ausbeutung von Kindern12 im globalen Fußballsport jährigen Spieler kommt aus Akademien. 7 Wenige da- hinwies, verursacht durch Spielervermittler aber auch von sind professionell geführt, die meisten davon sind durch unzulängliche Regularien von Seiten der Fédéra- so genannte informelle Akademien. Alleine für den tion Internationale de Football Association, kurz FIFA. Großraum Accra, der Hauptstadt von Ghana, wurde ge- schätzt, dass es an die 500 informeller Akademien gibt.8 9 https://fifpro.org/en/rights/fake-agents, 1.12.2020. 4 Francis Stijn, Spielervermitller, im Rahmen von „Stop Trafficking 10 Guilbert, Kieran: Chasing Dreams: Young African footballs duped, of Young African Football Players”, European Parliament’s Sport dumped by traffickers, 7.12.2018: Reuters Africa. Intergroup Meeting, 18. November 2020. 11 UN Human Rights Council, 40th Session, Report of the Special 5 FIFA: Intermediaries in international Transfers, 2017. Rapporteur, Sale and sexual exploitation of children, inclu- 6 FIFA: Global Transfer Market Report: A Review of All International ding child prostitution, child pornography and other child Football Transfers in 2017. sexual abuse material, 2019: https://daccess-ods.un.org/ 7 FIFPro: FIFPro Global Employment Report: 2016. TMP/3009403.04994583.html, 8.7.2019. 8 McDougall, Dan: The Scandal of Africa’s Trafficked Players, The 12 Nach Definition der UN sind Kinder alle Menschen von dem Observer, 6.1.2008. Moment ihrer Zeugung bis zu ihrem 18. Geburtstag.
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 9 PROBLEMSTELLUNGEN Der Weltfußballverband FIFA hat in der Vergangenheit (2) wenn Spieler zwischen 16 und 18 Jahren sind, aus immer wieder versucht, den Transfer von internationa- EU- und EEA-Ländern kommen und deren Klubs len Spielern, und hier vor allem den Transfer von Min- entsprechende fußballerische und schulische Aus- derjährigen, zu regulieren. bildung bieten können (Aritkel 19.2b); Vor allem zwei Regelwerke sind hier von Bedeu- (3) wenn Spieler nahe der Grenze wohnen und deren tung, das „Reglement bezüglich Status und Transfer Wohn- und Zielort jeweils nicht mehr als 50km von von Spielern“ (Regulations on the Status and Transfer der Grenze entfernt ist (Artikel 19.2c). of Players, RSTP13) und das „Reglement zur Arbeit mit Vermittlern“ (Regulations on Working with Intermedia- Diese Regelungen gelten für Spieler ab zehn Jahren. ries, RWI14). Sofern sie unter zehn sind sieht die FIFA keine Meldung Das Reglement bezüglich Status und Transfer von beim für Transfers von Minderjährigen zuständigen Spielern verbietet grundsätzlich den Transfer von Spie- Subkomitee des Spielerstatuskomitees der FIFA vor. lern unter 18 Jahren, sieht aber drei Ausnahmen vor: Das Reglement zur Arbeit mit Vermittlern trat 2015 in Kraft, und löste die FIFA-Lizensierung von Spielerver- (1) wenn die Eltern mitkommen, ohne Fußball als pri- mittlern ab, die sich aufgrund einer Vielzahl von un- mären Grund zu haben (Artikel 19.2a); terschiedlichen nationalen Regularien und Konflikten mit nationalen Jurisdiktionen als sehr herausfordernd 13 https://resources.fifa.com/image/upload/reglement-bezug- lich-status-und-transfer-von-spielern-juni-2019.pdf?clo udid=uhcoqzltalbars1vjomk, 12.11.2020. 14 https://resources.fifa.com/image/upload/reglement-zur-ar- beit-mit-vermittlern-2367766.pdf?cloudid=rqykhyixj5z5l cvritip, 12.11.2020.
10 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS erwies.15 Entsprechend dem RWI konnte folglich jeder ren, nach wirtschaftlichen Prinzipien. Nach Prinzipien, Mensch, im Einklang mit nationalen gewerberechtli- die einer Marktlogik entsprechen, sich nach finanziel- chen Vorgaben, Spielervermittler werden, ohne eine lem Profit orientieren, und somit im Sinne der Vereine Konzession von der FIFA haben zu müssen. Das RWI und Vermittler gestaltet sind.18 hingegen verbot nun das Zahlen von Geldern von Klubs und Spielern an Spielervermittler, sofern der vermit- Angesichts des jungen Alters, in dem viele Spieler telte Spieler unter 18 Jahre alt ist (Artikel 7.8), zudem in den Profifußball eintreten, stellen sich in verschie- müssen so genannte Repräsentationsverträge mit Spie- denen Phasen, beim Transfer von Spielern, im Ziel- lervermittlern von den Erziehungsberechtigten unter- land, in professionellen und informellen Akademien zeichnet werden, sofern es sich um minderjährige Spie- im Herkunftsland19, aber auch schon davor, akute ler handelt (Artikel 5.2). Die FIFA sieht keine maximale Fragen zu Menschen- und Kinderrechten sowie Aus- Dauer für Repräsentationsverträge vor, auch gibt es beutung und Missbrauch20. Wie auch UNICEF in ei- kein Mindestalter für Spieler, ab dem sie Verträge mit nem Bericht aus dem Jahr 2020 folgerte, entstehen Vermittlern eingehen dürfen. ernsthafte Gefährdungen der Menschenrechte, de- Während von Vermittlern und Klubs viele Wege ge- nen weder die FIFA noch nationale Verbände oder funden werden, um die Regularien des RSTP zu umge- Vereine entsprechend begegnen. hen16, führt auch das RWI zu einer Reihe an schädlichen Folgen – durch die fehlende Lizenzierung von Vermitt- Die nächsten Schritte sind klar. Es geht darum, eine lern und die Weitergabe der Aufsichtsverantwortung Lücke zu schließen. Es braucht Verantwortungspflich- an Nationalverbände, durch die fehlende zeitliche Be- ten. Es braucht ein System, das den Transfer von Spie- schränkung von Verträgen und die durch das RWI ent- lern reguliert und verantwortliche Akteure bei Verstö- stehende Kommodifizierung von jungen Spielern17. ßen zur Rechenschaft zieht. Nach Ansicht verschiedener Expert*innen orientiert sich die FIFA bei ihren Versuchen, den Markt zu regulie- 15 Rossi et al.: Sports agents and labour markets: evidence from world football, 2018: Routledge; Soares, João Nuno Gonçalves: Do agente de jogadores ao intermediário: a problemática da 18 UNICEF (Fußnote 15): 44. regulaçao FIFA. 2015: PhD-Arbeit; in: UNICEF: Children before 19 https://uk.reuters.com/article/africa-soccer-trafficking/cha- players. Current Risks and futures research agendas, 2020, S. 21. sing-dreams-young-african-footballers-duped-dumped-by-traf- 16 Interview Spielervermittler (BEL), anonym, Dezember 2020. fickers-idUKL8N13R3V920151207, 11.7.2019; Yilmaz, Serhat: 17 Yilmaz, Serhat; Esson, James et al.: Children’s rights and the regu- Protection of minors: lessons about the FIFA RSTP from the lations on the transfer of young players in football, 2018: Interna- recent Spanish cases at the Court of Arbitration for Sport, 2018: tional Review for the Sociology of Sport, 1-10; UNICEF (Fußnote Springer. 15). 20 UNICEF (Fußnote 16): 2.
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 11 MENSCHENRECHTLICHE RICHTLINIEN Während das Reglement von Verbänden, international Staat bei der Realisierung der Menschenrechte weiter wie national, große Lücken hinterlässt, bietet der inter- unterstützen, oder auch das Nicht-Einhalten sanktio- nationale Menschenrechts- und Kinderrechtsrahmen nieren. eine Grundlage für rechtliche Standards, die internatio- nal eingehalten werden sollten, und eben diese Lücken Im Bezug auf den Fußballsport bedeutet dies, schließen.21 dass auch Verbände, Vereine und Spielervermittler Menschenrechte sind Teil des internationalen Rechts die Verantwortung haben, die Menschenrechte zu (Völkerrechts), sie werden zwischen Staaten festgesetzt achten und ihren Beitrag dazu leisten, dass diese er- und sind demnach auch in erster Linie bindend für Staa- füllt werden. ten.22 Jeder Staat ist – mit all seinen Ministerien und Be- Wenn man von bindenden Menschenrechten hörden – dazu völkerrechtlich verpflichtet, die Men- spricht, meint man im Kern neun internationale Ab- schenrechte auf seinem Staatsgebiet und für seine kommen der vereinten Nationen, in deren Zentrum Staatsbürger*innen zu schützen. Das heißt aber auch, zwei Pakte stehen: der Internationale Pakt über bür- dass er dafür zu sorgen hat, dass Unternehmen, Ver- gerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt)23 sowie bände, Vereine, auch Individuen, im eigenen Staatsge- der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale biet aber auch im Ausland, die Menschenrechte respek- und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt)24. Für Fußbal- tieren. Wenn diese dies nicht tun (können), muss der ler relevante Rechte aus diesen Pakten sind etwa das Recht auf Meinungsfreiheit, auf Versammlungsfreiheit, 21 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 17. 22 Alle hier erwähnten UN-Abkommen finden sich hier: https:// 23 International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR). www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/ 24 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights CoreInstruments.aspx, 26.9.2020. (ICESCR).
12 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS das Recht auf Leben oder etwa das Verbot von Folter Neben den international gültigen Abkommen gibt es und willkürlicher Inhaftierung aus dem Zivilpakt, oder auch Abkomme, die auf die Weltregionen zugeschnit- das Recht auf Arbeit, auf günstige und sichere wie ge- ten sind, im vorliegenden Kontext sind hier vor allem sunde Arbeitsbedingungen, das Recht auf Bildung, das die Europäische Menschenrechtskonvention26 (EMRK) Recht, kulturelle Praktiken (wie Sport) frei auszuleben, relevant, die v.a. die Rechte des Zivilpaktes auf den eu- das Recht auf soziale Sicherheit oder etwa das Recht ropäischen Kontext übersetzt, als auch die Afrikanische auf körperliche und geistige Gesundheit aus dem Sozi- Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker27, alpakt. die sowohl die Rechte des Zivilpaktes als auch des So- Aus diesen zwei Pakten haben sich sieben Abkom- zialpaktes beinhaltet, und die Afrikanische Charta der men heraus entwickelt, die ebenso für die meisten Rechte und des Wohlergehens des Kindes28. Staaten bindend sind. Für die vorliegende Analyse er- Neben den genannten Menschenrechtsabkommen wähnt seien hier vor allem das Internationale Über- haben die UN eigens auch ein Abkommen zur Beseiti- einkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendis- gung des Menschenhandels verabschiedet, das Übere- kriminierung (UN-Rassendiskriminierungskonvention) inkommen gegen die grenzüberschreitende organis- und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes ierte Kriminalität29, auch Palermo-Konvention genannt. (UN-Kinderrechtskonvention). Die Kinderrechtskon- vention25 ist hier besonders hervorzuheben, da sie nicht nur die Rechte eigens auf Unter-18-jährige zu- 26 https://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf, schneidet, sondern auch eine Methodologie mitgibt, 25.9.2020. auf die weiter unten (Punkt 6) nochmal genauer einge- 27 African Charter on Human and Peoples’ Rights (ACHPR), https:// gangen wird. au.int/en/treaties/african-charter-human-and-peoples-rights, 1.1.2020. 28 African Charter on the Rights and Welfare of the Child (ACRWC), https://au.int/en/treaties/african-charter-rights-and-welfa- re-child, 1.1.2020. 29 United Nations Convention against Transnational Organized Crime (UNTOC), https://www.un.org/Depts/ german/uebereinkommen/ar55025anlage1-oebgbl.pdf, 25 Convention on the Rights of the Child (UNCRC oder CRC). 1.10.2020.
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 13 MENSCHENRECHTSRISIKEN Analysiert man die Strukturen und Logiken des inter- menschenrechtlichen Risiken ausgesetzt, zum einen in nationalen Fußballtransfermarkts entlang der ange- ihren Heimatländern, in den Zielländern sowie im Tran- führten Menschenrechte, offenbaren sich viele men- sit, während des Transfers. Diesen drei Ebenen wird bei schenrechtliche Risiken, denen aktuell nur ungenügend der folgenden Auflistung an gefährdeten Rechten be- begegnet wird, für die es aber klare Verantwortungen sondere Aufmerksamkeit gegeben. gäbe. Während die Verantwortungen im folgenden Ab- Formen von Ausbeutung32 kommen im Kontext von schnitt erläutert werden, sollen hier erstmal die Risiken Fußball in verschiedensten Facetten vor. Ein zentraler definiert werden. Aspekt dabei ist Third Party Ownership (TPO). Dies UNICEF hat in einem Bericht im Jahr 2020 festgehal- sind Übereinkommen zwischen Fußballklubs und Drit- ten, dass das Regulierungssystem sowie die Governan- ten(Individuen oder Unternehmen), oftmals Spieler- ce-Strukturen für die Rekrutierung von jungen Spielern vermittler, die sich ökonomische Rechte am Spieler si- im Fußball die Rechte von Kindern beeinträchtigen und chern, und die Spieler zu einem gewissen Teil zu ihrem Kinder dem Risiko von Ausbeutung und Missbrauch Eigentum machen. Dies verleiht den Vermittlern fakti- aussetzen.30 Auch die UN-Sonderberichterstatterin für sche Macht und Kontrolle über Spieler und Klubs33, in den Verkauf von Kindern berichtete 2019, dass Kinder- manchen Fällen kassieren Vermittler für die Dauer des rechtsstandards im Fußballsport durch die sehr hohen Vertrages bis zu 50% des Spielergehalts.34 Die interna- Summen an involviertem Geld verwässert werden, zu- tionale Fußballspieler*innengewerkschaft FIFPRO for- dem dürften Kinder nie Quelle von Profit sein.31 dert seit Jahren ein weltweites Verbot des Third Party Junge Fußballspieler zwischen Afrika und Europa sind auf verschiedenen Ebenen ernstzunehmenden 32 CRC Art. 32 & 36. 33 FIFPRO, FIFPro versus third party ownership, 29. März 2014 in: 30 UNICEF (Fußnote 15): 2. UN Human Rights Council (Fußnote 11): 9. 31 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 17. 34 UNICEF (Fußnote 15): 40.
14 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS Ownerships35 und warnt explizit for so genannten „fake en, haben viele Einrichtungen den Fußball als alleinigen agents“36. Fokus.48 Dieser Aspekt ist auch in engem Zusammen- Ökonomische Ausbeutung passiert hier auch bei der hang mit dem Recht auf Entwicklung des Kindes49 zu Einhebung von Geldern für Flug und Visum von Seiten sehen. der Spielervermittlern gegenüber Familien, beim Vor- Recht auf Erholung und Ausübung des kulturellen täuschen von vermeintlich interessierten Vereinen im Lebens50: durch das dichte Trainingsprogramm fehlt Ausland, bei der fehlenden Betreuung der Spieler im es jungen Spielern oft an Möglichkeiten zur Erholung, Ausland und bei fehlender oder vergleichsweiser gerin- dies ist der Fall in Zielländern, vor allem aber auch in ger Bezahlung von Spielergehältern.37 verschiedenen Phasen vor dem Sprung ins Ausland, im All dies sind Verletzungen der Menschenrechte, die Rahmen von Nachwuchsteams und Akademien.51 In unter anderem durch das Einhalten des Rechts auf diesen Einrichtungen ist es zumeist auch nicht möglich, Arbeit38 sowie des Verbots von Folter, Erniedrigung etwaigen religiösen Praktiken nachzukommen, dies ist und unmenschlicher Behandlung39 verhindert werden zum Beispiel der Fall in multiethnischen Ländern und müssten. gilt vor allem für muslimische Spieler.52 Vor allem in Akademien kann es zu verschiedenen In Zusammenhang mit Recht auf Erholung ist auch Formen von Ausbeutung kommen. Die reicht – neben das Recht auf Gesundheit53 zu sehen. Gefährdet wird dem bereits genannten TPO – von Gefährdungen durch dieses durch mögliches Doping, durch zu hartes Trai- das jungen Alter der Kinder, die oftmals nicht älter als ning, fahrlässig entstandenen Verletzungen oder auch zehn Jahre sind, und dafür unverhältnismäßig lange fehlender Gesundheitsbildung.54 zeitlich von ihren Familien getrennt sind40, über feh- Das bereits oben erwähnte Recht auf Arbeit55 so- lendes Mitbestimmungsrecht über ihre Zukunft41, über wie das Recht auf soziale Sicherheit56 müsste durch nicht kindgerechte Behandlung42 etwa durch ausufern- Spieler- und Arbeitsverträge gesichert sein. Zu oft aber des Training, Spielerhandel43 bis hin zu sexuellem Miss- sind Spieler nicht angestellt, haben keinen gültigen Ar- brauch44.45 beitsvertrag, geschweige denn damit verbundenen An- In Akademien im Herkunftsland, aber auch ganz all- spruch auf soziale Absicherung.57 Dies gilt für die Ziel- gemein durch das Bestreben nach einer Profikarriere, länder als auch für die Herkunftsländer. als auch bei Vereinen im Zielland kann das Recht auf Das Recht auf Wohnen58 und das Recht auf einen Bildung46 gefährdet sein.47 Kinder und deren Familien angemessenen Lebensstandard59 ist im Zielland, im werden aus ökonomischen Gründen dazu gezwungen, Herkunftsland und während eines Transfers mehreren die Schule abzubrechen und dafür alle Zeit dem Fuß- Risiken ausgesetzt. Ausbildungsstätten im Herkunfts- ballsport zu widmen. Während manche Akademien land können Kindern oft keine angemessene Unterkunft und Nachwuchsmannschaften dafür Sorge tragen, dass anbieten60, Organisationen wie Foot Solidaire berichten Spieler auch ein Standbein neben dem Fußball aufbau- von hunderten von Spielern, die in Zielländern widrigen 48 Kainz (Fußnote 2): 16. 35 https://www.lawinsport.com/topics/item/fifpro-worldwi- 49 CRC Art. 18, ACRWC Art. 5. de-third-party-ownership-ban, 13.11.2020. 50 ICESCR Art. 15, CRC Art. 14 & 31, ACHPR Art. 16, ACRWC Art. 9 36 FIFPRO (Fußnote 9). & 12. 37 UNICEF (Fußbote 15): 37-44. 51 Kainz (Fußnote 2): 23f. 38 ICESCR Art. 8 & 9, ACHPR Art. 15. 52 Ebd.: 18. 39 ICCPR Art. 7, ACHPR Art. 5. 53 ICESCR Art. 12, CRC Art. 24, ACHPR Art. 14, ACRWC Art. 14. 40 ICESCR Art. 10, CRC Art. 9 & 10, ACRWC Art. 18, 19 & 25. 54 UNICEF (Fußnote 15): 46. 41 CRC Art. 12, ACRWC Art. 4. 55 ICESCR Art. 6 & 7, ACHPR Art. 13. 42 ACRWC Art. 21. 56 ICESCR Art. 9, CRC Art. 26, ACHPR Art. 13. 43 CRC Art. 11, ACRWC 21 & 29. 57 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 10. 44 CRC Art. 19 & 34, ACRWC Art. 16. 58 CRC Art. 25 & 27, ACHPR Art. 16, ACRWC Art. 20. 45 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 9f. 59 ICESCR Art. 11, CRC Art. 27, ACPHR Art. 13, 15 &16. 46 ICESCR Art. 13, CRC Art. 28, ACHPR Art. 17, ACRWC Art. 11. 60 Darby, Paul; Esson, James; Ungruhe, Christian: Africa. SDP and 47 UNICEF (Fußnote 15): 44. Sports Academies, 2018: 8. *) Das internationale Steuerrecht besteht im Wesentlichen aus dem jeweiligen nationalen Außensteuerrecht und einer Vielzahl von bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen.
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 15 Wohnungsbedingungen ausgesetzt sind oder gar auf mals die unmittelbarste Möglichkeit, um Verletzungen der Straße leben.61 ihrer ökonomischen und sozialem Rechte zu entgehen, Wie bereits einleitend erwähnt, sieht die UN-Kin- und den Kindern somit mehr Möglichkeiten zur Reali- derrechtskonvention gewisse Grundprinzipien vor, die sierung von Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit im Umgang mit Kindern erfüllt sein müssen, und die zu ermöglichen.64 Entlang der Kinderrechtskonvention auch eine gewisse Methodik zur Einhaltung mitgeben. kann etwa argumentiert werden, dass derartige Bestre- So müssen Entscheidungen, die Kinder betreffen, stets bungen nicht nur im besten Interesse des Kindes sind, im besten Interesse des Kindes62 getroffen werden, sondern Kinder bei Entscheidungsfindungen auch ge- zudem haben Kinder bei Belangen, die sie betreffen, hört werden. das Recht gehört zu werden (Berücksichtigung des Dieser Logik folgend ist vor allem das FIFA RSTP und Kindeswillens)63. Im Fußballsport sind beide Prinzipien, das damit verbundene Verbot des Transfers von un- etwa bei Transfers, aber auch im alltäglichen Vereins- ter-18-jährigen Spielern nicht immer im besten Inter- und Akademieleben ständigen Gefahren ausgesetzt. esse des Kindes nach UN-Kinderrechtskonvention ist.65 Abschließend sei noch auf die ökonomische und kul- Dies ist vor allem beim so genannten „Handel durch turelle Dimension hingewiesen, in der sich viele Fami- Fußball“ (trafficking through football) der Fall, wo es lien und Kinder in so genannten Entwicklungsländern darum geht, durch den Fußball ein besseres Leben zu wiederfinden. Dies rückt nicht nur das Recht auf Bil- ermöglichen. Anders ist dies der Fall beim „Handel im dung in Relation, sondern regt auch an, manche Regu- Fußball“ (trafficking in football), wo Praktiken nochmal larien zu Menschen- und Spielerhandel kritisch zu be- klarer der Definition von Kinderhandel nach Kinder- leuchten: schulische Bildung zu vernachlässigen, um so- rechtskonvention66 und Menschenhandel nach Paler- mit möglichst umfangreiche fußballerische Ausbildung mo-Konvention entsprechen, wo Kinder und deren Fa- zu ermöglichen und Vermittlern Geld für einen Transfer milien oft nicht gehört werden, und somit auch größe- nach Europa zu zahlen ist für Spieler und Familien oft- ren Risiken ausgesetzt sind.67 61 Hawkins (Fußnote 3): Chapter 2; www.footsolidaire.org, 64 Esson & Drywood (Fußnote 3): 8; ICESCR Art. 10. 6.12.2020; Interview Spielervermittler (Fußnote 16). 65 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 8. 62 U.a. CRC Art. 3, ACRWC Art. 4. 66 CRC Art. 35. 63 CRC Art. 12, ACRWC Art. 4(1). 67 UNCEF (Fußnote 15): 40f; Esson & Drywood (Fußnote 3): 4.
16 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS VERANTWORTUNGEN Wie bereits im vorletzten Kapitel erwähnt, haben Staa- Schützen bedeutet, dass proaktiv Maßnahmen ge- ten die Verpflichtung, die Menschenrechte zu schützen. troffen werden müssen, damit keine Rechte verletzt Das internationale Menschenrechtssystem ist aber so werden. Achten meint, dass nichts unternommen wer- aufgebaut, dass auch Nicht-staatlichen Akteure Verant- den darf, das die Menschenrechte einschränkt oder wortungen haben. gefährdet. Wiedergutmachen heißt, dass, sofern Ver- Mit Blick auf das Einhalten der Menschenrechte im letzungen der Menschenrechte auftreten, in einem an- Rahmen von wirtschaftlichen Unternehmungen ha- gemessenen Ausmaß Abhilfe zu leisten ist. ben die UN 2011 die Leitprinzipien für Wirtschaft und Im Rahmen von Spielertransfers zwischen Europa Menschenrechte erlassen (Guiding Principles for Bu- und Afrika sind folgende staatliche und nicht-staatliche siness and Human Rights, kurz UNGPs)68. Diese stel- Akteure involviert: len klar, welche Verantwortungen bei wirtschaftlichem Handeln beim Staat und welche bei nicht-staatlichen STAATLICHE AKTEURE Akteuren liegen.69 Da auch Sportverbände, Fußball- Ministerien & Ämter klubs und besonders auch Spielervermittler, auch als Behörden Einzelpersonen, unternehmerisch handeln, haben die UN-Leitprinzipien auch für diese Geltung. Die UNGPs folgen den Prinzipien „schützen, ach- NICHT-STAATLICHE AKTEURE ten, wiedergutmachen“. Während für das schützen der Internationaler Verband (FIFA) Spieler Menschenrechte alleine der Staat zuständig ist, sind Regionale Verbände (UEFA, CAF) für das achten und wiedergutmachen staatliche und Nationale Verbände & Ligen nicht-staatliche Akteure verantwortlich. Fußballvereine Spieleragenturen SCHÜTZEN Spielervermittler Staatliche Akteure BETROFFENE ACHTEN Spieler Staatliche und nicht-staatliche Familien Akteure INTERESSENSVERTRETUNGEN WIEDERGUTMACHEN Gewerkschaften Staatliche und nicht-staatliche NGOs Akteure INTERNATIONALE ORGANISATIONEN UN, EU, CoE, AU 68 https://www.ohchr.org/documents/publications/guidingprincip- lesbusinesshr_en.pdf, 14.12.2020. 69 Hierzu zählen neben registrierten Unternehmen auch solche Akteure, die unternehmerisch handeln. John Ruggy, Autor der UNGPs, schreibt in seinem Bericht an die FIFA, dass die UNGPs Der Staat und dessen Stellen haben die Verpflich- etwa auch für Sportverbände gelten, da es darauf ankommt, ob tung, dafür zu sorgen, dass das Agieren von nicht-staat- ein Akteur involviert ist in unternehmerisches Handeln. https:// lichen Akteuren, für die der Staat verantwortlich ist, das www.hks.harvard.edu/sites/default/files/Ruggie_humanrights- FIFA_reportApril2016.pdf: 10, 30.10.2019; UN Human Rights sind etwa Verbände, Vereine und Vermittler, also Ak- Council (Fußnote 11): 4.
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 17 teure die im Land registriert sind, nicht zu Menschen- Alle genannten Akteure müssen, sofern Verletzun- rechtsverletzungen führt.70 gen auftreten, diese in Kooperation und durch eige- Nicht-staatliche Akteure wie internationale, regio- nes Zutun wiedergutmachen. Staatliche Stellen müs- nale und nationale Verbände müssen vermeiden, die sen dafür sorgen, dass mittels administrativer, gesetz- Menschenrechte von Individuen zu beeinträchtigen, licher und gerichtlicher Strukturen Abhilfe geleistet und nachteilige menschenrechtlichen Auswirkungen wird. Sportverbände, Vereine und Spielervermittler verursacht durch Vereine oder Spielervermittler, die un- können etwa durch das Einrichten und Ausführen von ter ihre Zuständigkeit fallen, durch entsprechende Re- Beschwerdemechanismen Abhilfe leisten.72 gelungen und Kontrollen zu verhindern.71 Betroffene und deren Interessensvertretungen sind Fußballvereine haben, genauso wie Verbände, Sorg- ebenso nicht-staatliche Akteure, die die Menschen- faltspflichten und müssen garantieren, dass sie einer- rechte achten und im Falle einer Verletzung wieder- seits in ihrer Arbeit mit Spielern die Menschenrechte gutmachen müssen. Gewerkschaften wie die interna- achten. Sie müssen auch dafür Sorge tragen, dass Un- tionale FIFPRO und deren nationalen Vereinigungen ternehmen, mit denen sie zusammenarbeiten, dazu unterstützen proaktiv dabei, dass Spielern ihre Rechte zählen Spieleragenturen aber auch einzelne Spielerver- gewährt werden. mittler, durch ihr Handeln nicht die Menschenrechte Internationale Organisationen wie die UN, die EU, verletzen. der Europarat73 und die Afrikanische Union (AU) kön- Spielagenturen haben ihrerseits Sorgfaltspflichten nen ihrerseits Richtlinien festlegen, die etwa einen Ver- in der Zusammenarbeit mit Spielervermittlern, und haltenskodex festlegen und Zuständigkeiten sowie Ver- Spielervermittler selbst haben ihr Agieren und ihren antwortungen nochmal verdeutlichen. Umgang mit Spielern so zu gestalten, dass deren Rechte geachtet werden. 70 https://www.ohchr.org/documents/publications/guidingprincip- 72 Ebd.: 27. lesbusinesshr_en.pdf: 3, 11.10.2021. 73 Der Europarat verwaltet die Europäische Menschenrechtskon- 71 Ebd.: 13. vention sowie die Europäische Sozialcharta.
18 MENSCHENRECHTE UND SPIELERTRANSFERS SCHLUSSFOLGERUNGEN & AUSSICHTEN Die internationale Fußballindustrie mit ihrem Streben Die vorliegende Analyse hat dabei Risiken, Lücken nach Gewinnmaximierung schafft Strukturen, die zu und Verantwortungen aufgezeigt, woraus sich folgende Ausbeutung und Verletzungen der Menschenrechte Schlüsse und Aussichten ergeben: führen. Praktiken orientieren sich an einer Marktlogik und sind aversiv gegenüber einem menschenrechtsba- ›› Existierende Regularien zum Status und Trans- sierten Ansatz. Das gilt besonders auch für das interna- fer von Spielern schaffen einen Anreiz für Klubs, tionale Transfersystem.74 Spieler bereits in sehr jungen Jahren zu rekru- Das internationale Menschenrechtssystem bietet, tieren. Da eine Einschätzung ihrer Fähigkeiten als wenn es von den handelnden Akteuren eingehalten Fußballer sehr spekulativ ist, bleiben viele junge wird, die Voraussetzungen, um die Unzulänglichkeiten Spieler, die über Jahre in Akademien ausgebildet des Transfersystems sowie rechtliche und praktische wurden, letztlich auf der Strecke, ohne eine Aus- Lücken bestehender Reglements, wettzumachen. Das sicht auf eine Karriere im Fußball, und ohne wei- Menschenrechtssystem definiert klare Verantwortlich- tere Ausbildung zu haben.76 keiten und liefert das nötige Werkzeug, um Verletzun- ›› Zukünftige Antworten auf das Thema müssen in gen zu sanktionieren, wiedergutzumachen, und dafür einem menschenrechtsbasierten Ansatz begrün- zu sorgen, dass diese nicht wieder auftreten75. det sein, die UN-Kinderrechtskonvention (UNCRC) liefert dafür die nötigen Prinzipien und Metho- den.77 74 UNICEF (Fußnote 15): 43; UN Human Rights Council (Fußnote 11): 17. 75 https://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/reme- 76 UNICEF (Fußnote 15): 44. dyandreparation.aspx, 11.12.2020. 77 Ebd.: 5 & 49.
RISIKEN UND VERANTWORTUNGEN BEIM TRANSFER VON FUSSBALLSPIELERN ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA 19 ›› Zukünftige Antworten auf das Thema müssen Um zukünftige Regularien und Policies, seien sie auf auch die ökonomischen und kulturellen Hinter- internationaler, regionaler oder nationaler Ebene, so gründe der jungen Spieler in Betracht ziehen, zu gestalten, dass sie dort greifen, wo es Lücken gibt, dabei helfen die Kenntnis des lokalen und regio- braucht es eine fundierte Kenntnis einer vielschichtigen nalen Umfelds sowie die afrikanischen Menschen- Sach-, Rechts- und Soziallage85, es braucht ein umfas- rechtsverträge ACHPR und ACRWC.78 sendes Bild des Ursprungs, der Arten und des Aus- ›› Zukünftige Regularien und Policies sind im besten maßes der Verletzungen, es braucht mehr Wissen auf Interesse des Kindes zu gestalten.79 Basis von weiterführenden Studien86 zu: ›› Bei Entscheidungen, die Minderjährige betreffen, sind deren Meinungen zu berücksichtigen und in ■■ dem Ausmaß und der Praxis von Menschenhan- Entscheidungen einzubeziehen.80 del im Fußball, vor allem auf lokaler Ebene, in den ›› Bestehende Rahmenbedingungen zur Bekämp- Herkunftsländern;87 fung des Menschenhandels, auf nationaler, EU- ■■ den involvierten Akteuren und damit verbunde- und Europarats- sowie internationaler Ebene, nen Verantwortungen in verschiedenen geogra- eignen sich (noch) nicht, um auf fußballbezo- phischen Kontexten;88 genen Spielerhandel (trafficking) zu reagieren.81 ■■ den sozialen, politischen und kulturellen Hinter- ›› Regularien, die den Spielerhandel nach Paler- gründen von Spielerhandel und Migration mit mo-Konvention betreffen, sind mit einem men- Blick auf ökonomische, soziale und kulturelle schen- und kinderrechtlichen Blickwinkel zu er- Rechte;89 gänzen.82 ■■ dem komplexen Netz aus Regularien der Fußbal- ›› Zielgerichtete Arbeit an Lösungen zur Umsetzung lindustrie und den damit teils in Konflikt stehen- der Menschenrechte sowie zur Bekämpfung des den Gesetzen zu Migration, zu Vertrags- sowie Spielehandels im Fußball braucht das aktive Mit- Arbeitsrecht und damit in Einklang zu bringenden wirken aller Akteure, die Verantwortung tragen, Menschen- und Kinderrechten;90 dazu zählen Staaten, internationale Organisa- ■■ den Verträgen zwischen Spielern (Familien) und tionen, international, regionale und nationale Spielervermittlern und wie man auf diese einwir- Fußballverbände, Fußballklubs sowie Spieler- ken kann.91 agenturen und Spielervermittler.83 ›› Die Regulierung von Spielervermittlern ist vor al- lem auch mit dem transnationalen Charakter der Aktivität und der herausfordernden Jurisdiktion verbunden.84 Ein Ansatz nach den Prinzipien der Wirtschaft und Menschenrechte kann Abhilfe schaffen. 78 Ebd.: 13; Esson & Drywood (Fußnote 3): 10. 85 Ebd.: 52. 79 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 17. 86 UN Human Rights Council (Fußnote 11): 10. 80 UNICEF (Fußnote 15): 47. 87 Ebd. 81 UNICEF (Fußnote 15): 3. 88 UNICEF (Fußnote 15): 57. 82 Esson & Drywood (Fußnote 3): 10. 89 Esson & Drywood (Fußnote 3): 10. 83 U.a. ebd.: 11. 90 UNICEF (Fußnote 15): 13f. 84 UNICEF (Fußnote 15): 21. 91 Stijn (Fußnote 4).
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