UNHCR Stellungnahme zur Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes - Oktober 2010
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UNHCR Stellungnahme zur Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes Oktober 2010 UNHCR Büro für die Schweiz und Liechtenstein www.unhcr.ch / www.unhcr.org
1. UNHCR nimmt die Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010 zum 1 Anlass, die bereits in den Vernehmlassungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen zu aktualisieren und an die vorgenommenen Änderungen bei den Vorschlägen anzupassen, da auch mit diesen zentrale Bedenken, die UNHCR hinsichtlich der möglichen negativen Auswirkungen auf Personen unter dem Mandat von UNHCR geäussert hat, nicht vollständig Rechnung getragen wurde. 2. UNHCR legt diese Stellungnahme als die Organisation vor, welche von der UN- Generalversammlung damit betraut wurde, für den internationalen Schutz von Flüchtlingen, 2 Staatenlosen und anderen Personen unter ihrem Mandat zu sorgen, sowie die Regierungen 3 bei der Suche nach dauerhaften Lösungen für Flüchtlinge zu unterstützen. Wie in der Satzung der Organisation dargelegt, erfüllt UNHCR sein internationales Schutzmandat inter alia, indem es „den Abschluss und die Ratifizierung von Internationalen Abkommen zum Schutz der 4 Flüchtlinge fördert, ihre Ausführung überwacht und Verbesserungsvorschläge vorbringt“. Diese Aufsichtsfunktion wird im Artikel 35 der Konvention über die Rechtsstellung der 5 Flüchtlinge von 1951 („Genfer Flüchtlingskonvention“) nochmals wiederholt. 3. Demnach verpflichten sich die Vertragsstaaten, „mit dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge [...] zusammenzuarbeiten und im besonderen ihre Aufgabe zu erleichtern, die Durchführung dieses Abkommens zu überwachen“. Dieselbe Verpflichtung ist auch in Artikel II des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 („Protokoll 6 von 1967“) enthalten. Die Interpretation der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 durch UNHCR wird allgemein als massgebende Sichtweise erachtet, welche sich durch eine fast 60-jährige Erfahrung in der Beaufsichtigung und Anwendung von internationalen Flüchtlingsinstrumenten etabliert hat und Staaten rechtliche und interpretative Anleitung für Entscheidungen in flüchtlingsrechtlichen Fragen zur Verfügung stellt. 4. In diesem Zusammenhang soll betont werden, dass sich das Mandat von UNHCR nicht nur auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention beschränkt, sondern sich auf alle Personen erstreckt, die internationalen Schutzes bedürfen. Dazu gehören auch Personen, die sich infolge bewaffneter Konflikte oder schwerwiegender Störungen der öffentlichen Ordnung, welche ihr Leben, ihre physische Integrität, Freiheit und persönliche Sicherheit 1 Vgl. UNHCR, UNHCR-Stellungnahme zu den Änderungen des Asylgesetzes und des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer in Bezug auf den Ersatz von Nichteintretensentscheiden, März 2010, verfügbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/6_Schweiz/6.3_CH-UNHCR-Positionen/ UNHCR-STNAsylgesetz.pdf und UNHCR, UNHCR-Stellungnahme zu den Änderungen des Schweizer Asylgesetzes und des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer, April 2009, verfügbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/6_Schweiz/6.3_CH-UNHCR-Positionen/Aende rungendesAsylgesetzesunddesAuslgesetzes.pdf. 2 Resolution der UN-Generalversammlung A/RES/50/152, 9. Februar 1996, verfügbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3b00f31d24.html, Abkommen von 1954 über die Staatenlosigkeit, in Kraft seit dem 1. Oktober 1972, ratifiziert durch die Schweiz am 3. Juli 1972, SR 0.142.40, abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/i1/0.142.40.de.pdf. 3 Siehe Satzung des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Resolution 428 (V) der UN-Generalversammlung, Annex, UN Doc. A/1775, Abs. 1, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3ae 6b3628.html. 4 Idem, Abs. 8(a). Zu Staatenlosen haben die UN-Generalversammlung, wie auch das UNHCR-Exekutivkommittee UNHCR gebeten „to provide technical advice to State Parties on the implementation of the 1954 Convention so as to ensure consistent implementation of its provisions“. 5 Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in Kraft seit dem 22. April 1954, ratifiziert durch die Schweiz am 21. Januar 1955, SR 0.142.30, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsin formationen/1_International/1_Voelkerrechtliche_Dokumente/01_GFK/01_GFK_Prot_dt.pdf. Gemäss Art. 59 des AsylG findet das Abkommen Anwendung auf „Personen, denen die Schweiz Asyl gewährt hat oder die als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen wurden“. 6 Protokoll über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1967, in Kraft seit dem 4. Oktober 1967, ratifiziert durch die Schweiz am 20. Mai 1968, SR 0.142.301, siehe Fussnote 5. 2
bedrohen, ausserhalb ihres Herkunftslandes befinden. Diese Personen erhalten in der Schweiz in der Regel eine vorläufige Aufnahme. 5. UNHCR anerkennt, dass der Druck auf das Schweizer Asylverfahren aufgrund der erhöhten Anzahl Asylgesuche in den letzten Jahren gestiegen ist. UNHCR möchte an dieser Stelle trotzdem dafür appellieren, dass jegliche Änderungen der Gesetzgebung im Einklang mit Geist und Wortlaut der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen einschlägigen internationalen und europäischen Bestimmungen stehen sollten und am Schutzbedarf der betroffenen Personen ausgerichtet sein sollten. Die Zielsetzung der Senkung der „Attraktivität 7 der Schweiz als Zielland von Asylsuchenden“ sollte daher nur für Personen vorrangig sein, bei denen klar kein Schutzbedarf vorliegt. UNHCR bedauert, dass in der aktuellen Debatte eine klare Positionierung und Zielsetzung im Hinblick auf eine effektive Schutzgewährung für Schutzbedürftige, wie sie sich aus den angesprochenen internationalen Normen ergibt, fehlt. So ist zum Beispiel unter der neuen Überschrift des vorgeschlagenen Art. 31a AsylG „Entscheide des Bundesamtes“ die Möglichkeit einer positiven Entscheidung gar nicht erwähnt. A. Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung für Wehrdienstverweigerer und Deserteure 6. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 3 Absatz 3 (neu) 3 Keine Flüchtlinge sind Personen, die einzig wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteile ausgesetzt zu werden. 7. UNHCR zeigt sich besorgt darüber, dass die geplante Änderung von Art. 3 de facto zu einer weiteren Ausschlussklausel zusätzlich zu den in Artikel 1D, 1E, und 1F der Genfer Flüchtlingskonvention abschliessend aufgelisteten Ausschlussklauseln führen könnte, da die vorgelegte Bestimmung zumindest keine Klarstellung dahingehend beinhaltet, dass bei Vorliegen eines Anknüpfungsmerkmals immer der Flüchtlingsstatus zu gewähren ist. Vielmehr wird durch den Text - trotz der klarstellenden Ausführungen in der Botschaft - der Eindruck erweckt, dass Personen, die ausschliesslich wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ein Asylgesuch einreichen, keinen Flüchtlingsstatus erhalten sollen, selbst wenn eines der in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegten Anknüpfungsmerkmale (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Überzeugung) einschlägig ist. 8. Insgesamt stünde ein solches Vorgehen nicht im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz aus der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen einschlägigen regionalen Bestimmungen und ist daher für UNHCR Anlass zu grosser Besorgnis. Zudem scheint dadurch eine Art Regelvermutung aufgestellt zu werden, dass Personen, die den Wehrdienst verweigern oder desertieren, keine weiteren Fluchtgründe haben. Eine solche Herangehensweise birgt die Gefahr, dass Personen aus diesem Kreis zu Unrecht nicht den Flüchtlingsstatus erhalten. Demgegenüber stellt sich angesichts der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz die Situation gegenwärtig so dar, dass gerade diejenigen Personen, auf welche sich der vorgeschlagene Artikel gemäss Botschaft bezieht, in aller Regel Schutz bekommen müssen, was sich auch in der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der gesamten Entscheidungspraxis so widerspiegelt (in aller 7 Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 9. 3
Regel mindestens eine vorläufige Aufnahme). In der Botschaft wird zwar betont, dass sich an dieser Vorgehensweise nichts ändern soll, es wird aber nicht ersichtlich, warum angesichts einer bestehenden Praxis, die sich aus der aktuellen Gesetzeslage entwickelt hat, ein Änderungsbedarf besteht. Die vorgeschlagene Änderung würde sich zudem als singulär im internationalen und europäischen Vergleich darstellen und es bestünde die Gefahr einer Abweichung von der allgemein akzeptierten Definition der Flüchtlingseigenschaft, wie sie auch im bisherigen Art. 3 AsylG enthalten ist. UNHCR empfiehlt aus diesen Gründen auf die Einfügung von Art. 3 Abs. 3 des Vorschlags in das AsylG zu verzichten. B. Aufhebung der Möglichkeit, im Ausland Asylgesuche einzureichen 9. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 19 1 Das Asylgesuch ist bei der Grenzkontrolle in einem schweizerischen Flughafen, bei der Einreise an einem geöffneten Grenzübergang oder an einem Empfangs- und Verfahrenszentrum einzureichen. 1bis Ein Gesuch kann nur einreichen, wer sich an der Schweizer Grenze oder auf dem Gebiet der Schweiz befindet. 2 Aufgehoben Artikel 20 Aufgehoben 10. UNHCR ist sich des zahlenmässigen Anstiegs von Gesuchen bei Schweizer Auslandvertretungen während der letzten Jahre bewusst und möchte auf die positive Rolle hinweisen, welche geschützte Einreiseverfahren als Ergänzung zu traditionellen Mechanismen beim Zugang zu Asyl gespielt haben. Denn angesichts des Ausbaus flächendeckender und fortschrittlicherer Grenzkontrollsysteme wurden zunehmend Bedenken geäussert betreffend der Möglichkeit für Asylsuchende, Zugang zu Ländern zu finden, in denen sie Asyl suchen können. 11. UNHCR betrachtet das Botschaftsverfahren als wertvolles Element des Schweizer Asylverfahrens, insbesondere zum Schutz vor den Gefahren der illegalen Einreise und als wichtigen Ausdruck der humanitären Tradition der Schweiz. Die Abschaffung des Verfahrens könnte zudem dazu führen, dass ein erheblicher Teil der Personen, die sich bisher an das Botschaftsverfahren wandten, sich nun in die Hände von Menschenschmugglern begeben würden, um nach Europa einreisen zu können. Dies ist möglicherweise insbesondere für Flüchtlinge, die wegen Verfolgung nicht in ihren Herkunftsstaat zurückkehren können, die einzige Möglichkeit, um den notwendigen Schutz zu erlangen. Die in der Botschaft genannte alternative Verfahrensweise über die Gewährung humanitärer Visa scheint insbesondere 8 aufgrund des restriktiveren Anwendungsbereiches nicht in gleicher Weise geeignet, dem Schutzbedarf der betroffenen Personen ausreichend Rechnung zu tragen. UNHCR rät demnach - insbesondere vor dem Hintergrund eines nicht bestehenden Kontingentsflüchtlingsprogrammes (Resettlement) - von der Abschaffung des Botschaftsverfahrens ab und empfiehlt der Schweiz weiterhin ein positives Beispiel für die Bereitstellung von geschützten Einreiseverfahren in Europa zu sein. 8 Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 36. 4
C. Ersatz von Nichteintretensentscheiden durch ein beschleunigtes materielles Verfahren 12. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 31a (neu) Entscheide des Bundesamtes 1 Das Bundesamt tritt in der Regel auf Asylgesuche nicht ein, wenn Asylsuchende: a. in einen sicheren Drittstaat nach Artikel 6a Absatz 2 Buchstabe b zurückkehren können, in welchem sie sich vorher aufgehalten haben; b. in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die Durchführung des Asyl- und Weg- weisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist; c. in einen Drittstaat zurückkehren können, in welchem sie sich vorher aufgehalten haben; d. in einen Drittstaat weiterreisen können, für welchen sie ein Visum besitzen und in welchem sie um Schutz nachsuchen können; e. in einen Drittstaat weiterreisen können, in dem Personen, zu denen sie enge Beziehungen haben, oder nahe Angehörige leben. 2 Absatz 1 Buchstaben c bis e findet keine Anwendung, wenn Hinweise bestehen, dass im Einzelfall im Drittstaat kein effektiver Schutz vor Rückschiebung nach Artikel 5 Absatz 1 besteht. 3 Das Bundesamt tritt auf Gesuche nicht ein, welche die Voraussetzungen von Artikel 18 nicht erfüllen. Dies gilt namentlich, wenn das Asylgesuch ausschliesslich aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen eingereicht wird. 4 In den übrigen Fällen lehnt es das Asylgesuch ab, wenn die Flüchtlingseigenschaft weder bewiesen noch glaubhaft gemacht worden ist oder ein Asylausschlussgrund nach den Artikeln 52 bis 54 vorliegt. Artikel 32 bis 35a Aufgehoben 13. UNHCR begrüsst, dass prinzipiell nur noch Fragen bezüglich der Zulässigkeitsvoraussetzungen zu Nichteintretensentscheiden (NEE) führen sollen und befürwortet die Aufhebung mehrerer Nichteintretenstatbestände (insbesondere der Papierlosenbestimmung, Art. 32 Abs. 2 lit. a AsylG, da UNHCR stets klar die Auffassung vertrat, dass Papierlosigkeit oder der Gebrauch gefälschter Papiere den Zugang zum 9 materiellen Asylverfahren nicht verhindern sollte ) und die vorgeschlagene Behandlung dieser Fälle in einem materiellen Verfahren. UNHCR stellt jedoch fest, dass im Bereich der Drittstaatenregelungen und der Gesuche aus „ausschliesslich wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen“, der Vorschlag nicht vollständig mit den Empfehlungen von UNHCR und den Vorgaben von Schengen/Dublin kompatibel zu sein scheint. 9 In diesem Sinn auch UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 58 (XL) über das Problem der Flüchtlinge und Asylsuchenden, die in irregulärer Weise von einem Land, in dem sie bereits Schutz gefunden hatten, weiterwandern, Bst. h), verfügbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/292.pdf. Dem entspricht auch die Obliegenheit von Asylsuchenden, im Verfahren ihre Identität offenzulegen, siehe UNHCR Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1979), 195f., verfügbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/pdfid/4023d8df4.pdf. 5
C.1. Asylgesuche aus „auschliesslich wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen“ 14. UNHCR möchte darauf hinweisen, dass die wünschenswerte Trennung von Zulässigkeitsverfahren und materiellem Asylverfahren, die durch die Neuregelung beabsichtigt ist, an einer Stelle nicht konsequent durchgehalten wird: In Fällen in denen Asylgesuche „ausschliesslich aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen eingereicht“ werden (Art. 31a Abs. 3 des Vorschlags), ist es trotzdem erforderlich materielle Abklärungen zu treffen, um festzustellen, ob ein gerechtfertigtes Schutzbedürfnis vorliegt. Die komplizierten Verfahrensfragen, die sich aus dieser dann vorfrageweise vorzunehmenden Prüfung ergeben, wurden in der Botschaft als ein wichtiger Grund genannt, die Regelung bei den 10 Nichteintretensentscheiden zu ändern. Es würde aus der Sicht von UNHCR auch die Verfahrenseffizienz fördern, wenn in allen Punkten eine klare Trennung der Ebenen der Zulässigkeit eines Gesuches (Nichteintreten) und der materiellen Abklärungen gewährleistet wäre, da durch ein solches Vorgehen eine Vermischung und insgesamt eine Verzögerung der einzelnen Prüfungsschritte vermieden werden könnte. C.2. Drittstaaten-Klausel 15. UNHCR hat hierfür schon früher festgestellt, dass die primäre Zuständigkeit und Verantwortung für ein Asylgesuch bei dem Staat liegt, bei dem dieses eingereicht wurde. Ausserhalb des Kontextes multilateraler Vereinbarungen (wie der Dublin-II-Verordnung), die Zuständigkeiten für den Flüchtlingsschutz zwischen Staaten mit ähnlichen Asylsystemen regeln, ist die Übertragung der Verantwortung für die Prüfung eines Asylantrages unter 11 bestimmten Umständen möglich. 16. Unter anderen hat das Exekutivkomitee des UNHCR zwei Schlussfolgerungen verabschiedet, welche die Zuteilung der Verantwortung zur Behandlung eines Asylgesuches behandeln: Beschluss Nr. 15 (XXX) „Flüchtlinge ohne Asylland“ und Beschluss Nr. 58 (XL) 12 „Beschluss über das Problem irregulär weiterwandernder Flüchtlinge“. Diese zwei Beschlüsse legen klar fest, dass bei der Rückkehr einer asylsuchenden Person in einen „sicheren Drittstaat“ gewährleistet sein muss, dass konkrete Schutzmassnahmen vorhanden sind. Wie vom Exekutivkomitee des UNHCR in Beschluss Nr. 15 (XXX) und Nr. 58 (XL) hervorgehoben, finden bei einer Rückkehr in einen „sicheren Drittstaat“ gewisse Grundregeln 13 Anwendung. 10 Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 10. 11 Z.B. UNHCR, Die Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ und seine Auswirkungen auf den Umgang mit Massenfluchtbewegungen und auf den Flüchtlingsschutz, Mai 2001 (im Folgenden zitiert als: UNHCR, Die Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ (2001)), abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/ pdfs/rechtsinformationen/1_International/3_Asylverfahren/02_Zustaendigkeit/03_UNHCR_STC.pdf; vgl. im Einzel- nen zu den Voraussetzungen von effektivem Schutz: UNHCR, Summary Conclusions on the Concept of “Effective Protection” in the Contex of Secondary Movement of Refugees and Asylum-Seekers (Lisbon Expert Roundtable, 9- 10 December 2002), Februar 2003 (im Folgenden zitiert als: UNHCR Summary Conclusions on Effective Protection, (2003)), abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3fe9981e4.html. 12 UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 15 (XXX) Flüchtlinge ohne Asylland, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/239.pdf; UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 58 (XL), siehe Fussnote 9. 13 UNHCR möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die folgenden Überlegungen grundsätzlich auch für den staatsvertraglichen Übergang der Verantwortung für die Prüfung eines Asylantrags im Sinne des Dublin-Acquis gelten. 6
17. Eine Verweisung auf einen Drittstaat sollte nur erfolgen, wenn vier Voraussetzungen gegeben sind: Erstens muss sichergestellt sein, dass der Zielstaat der Übernahme und Aufnahme des Asylsuchenden auf seinem Hoheitsgebiet zustimmt. Denn ein Übergang der Zuständigkeit auf einen anderen Staat erfolgt erst, wenn der Asylsuchende sich tatsächlich in der Hoheitsgewalt („jurisdiction“) dieses Staates befindet. Zweitens darf, wie oben dargelegt, die Rückführung in den Drittstaat nicht zu einer Verletzung des Refoulement-Verbotes des Art. 33 Abs. 1 GFK oder der in anderen internationalen Abkommen verankerten Refoulement- Verbote führen. Das heisst der Drittstaat muss tatsächlich sicher sein und effektiv eine 14 Möglichkeit bieten, im Einzelfall Schutz zu beantragen und zu erhalten. Drittens muss die asylsuchende Person Zugang zu Aufnahmeeinrichtungen haben, die im Einklang mit menschen- und flüchtlingsrechtlichen Standards stehen und sicherstellen, dass Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Viertens sollte auch eine ausreichende 15 Verbindung zu dem Staat bestehen, wie etwa familiäre Bindungen. Da völkerrechtlich für den Asylsuchenden keine Pflicht besteht, im erstmöglichen Land auf der Durchreise Asyl zu suchen, sollten auch die Vorstellungen des Asylsuchenden, in welchem Land er um Schutz nachsuchen möchte, so weit wie möglich berücksichtigt werden. 18. Die primären völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten gegenüber Asylsuchenden ergeben sich unmittelbar aus der Genfer Flüchtlingskonvention, wobei in erster Linie der Grundsatz des Non-Refoulement nach Art. 33 Abs. 1 zu nennen ist. Daneben sind in diesem 16 Zusammenhang das Refoulementverbot aus der UN-Antifolterkonvention und die Menschenrechte und Grundfreiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen. Schliesslich ist auch die Wahrung der menschenrechtlichen Verpflichtungen zu betonen, die sich insbesondere aus dem Recht auf Asyl ergeben, das sich im internationalen Kontext direkt aus dem in Art. 14 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der 17 Menschenrechte verankerten Recht ableitet. Dieses Recht ist auf Ebene der EU in Art. 18 der Grundrechtecharta niedergelegt und auch Erwägungsgrund 15 der Dublin-II-Verordnung nimmt darauf Bezug. 14 UNHCR, Note on International Protection, Juli 1999, A/AC.96/914, Nr. 10, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/ref world/docid/3ae68d98b.html; UNHCR, Provisional Comments on the Proposal for a Council Directive on Minimum Standards on Procedures in Member States for Granting and Withdrawing Refugee Status (Council Document 14203/04, Asile 64, of 9 November 2004), Februar 2005 (im Folgenden zitiert als: UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005)), S. 37, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/refworld/rwm ain?docid=42492b302. 15 Vgl. zum Ganzen: UNHCR, Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsbeschwerde 2915/09, Februar 2010, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/2_EU/2 _EU-Asyl/B.01_Dubliner_Uebereinkommen/BVerfGStellungnFinal.pdf?PHPSESSID=ba9bcbe23c7ccc9b54d4ea23 3e5404f5; siehe auch UNHCR, Note on International Protection, Juli 1999, A/AC.96/914, Nr. 10, siehe Fussnote 14; UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005), S. 35, siehe Fussnote 14. 16 Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (im Folgenden zitiert als: Übereinkommen gegen Folter), Art. 3, in Kraft seit dem 26. Juni 1987, ratifiziert durch die Schweiz am 2. Dezember 1986, SR 0.105, abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/i1 /0.105.de.pdf. 17 Vgl. UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 82 (XLVIII) über die Wahrung von Asyl, 1997, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/317.pdf?PHPSESSID=39c70f1c5af40f3c998d5 5a04aeb2fda; UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 85 (XLIX) zum internationalen Rechtsschutz, 1998, f), abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/320.pdf?PHPSESSID=39c70f1 c5af40f3c998d55a04aeb2fda; UNHCR, Erklärung der Vertragsstaaten des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) bzw. dessen Protokoll von 1967, März 2002, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/1_International/1_Voelkerrechtliche_Dok umente/01_GFK/05_Erklaerung_der_GFK-Vertragsstaaten.pdf. 7
19. Auch nach der Dublin-II-Verordnung darf ein Verweis auf den Drittstaat nur erfolgen, wenn dieser „sicher“ ist (Art. 3 Abs. 3 Dublin-II-Verordnung). Eine weitergehende Regelung könnte daher auch gegen die diesbezüglichen Verpflichtungen der Schweiz verstossen. Nach Ansicht von UNHCR kann derzeit keiner der nicht am Dublin-System teilnehmenden Staaten 18 an den Grenzen des Dublin-Gebiets als sicher angesehen werden. 20. UNHCR merkt an, dass die vorgeschlagenen Möglichkeiten zur Wegweisung in einen Drittstaat unter Art. 31a Abs. 1 lit. c-e des Vorschlages zum Asylgesetz diesen Kriterien nicht genügen und schlägt daher vor, diese zu streichen. C.3. Verpflichtende Einzelfallprüfung des Refoulement-Verbots 21. Es muss aber jedenfalls in allen Fällen gewährleistet sein, dass es durch eine 19 Überstellung nicht – direkt oder indirekt – zu Refoulement kommt. Die Einhaltung des Non- Refoulement-Gebots nach Art. 33 Abs. 1 GFK erfordert, dass Flüchtlinge, und damit auch 20 Asylsuchende bis zur endgültigen Entscheidung über ihren Flüchtlingsstatus, vor jeder Zurückweisung an einen Ort geschützt werden, an dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht wäre. Es besteht zusätzlich nach Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot, wenn die Gefahr von 21 Folter oder grausamer und unmenschlicher Behandlung droht. Dies schliesst auch die Nicht- Zurückweisung in Staaten ein, die ihrerseits den Flüchtling an einen Ort an dem ihm diese Gefahr droht, weiterschicken - sogenanntes indirektes Refoulement (auch „Kettenab- schiebung“). In diesem Fall sind beide Staaten für die Einhaltung des Refoulement-Verbots verantwortlich. Der Abschiebung in ein als sicher geltendes Land muss in jedem Fall eine sorgfältige Abschätzung des Risikos für ein indirektes Refoulement vorausgehen. 22. UNHCR ist daher besorgt, dass die entsprechende Schutzklausel des Art. 31a Abs. 2 des Vorschlags, die eine Einzelfallprüfung für Fälle vorsieht, in denen an einen sicheren Drittstaat oder einen Dublin-Staat verwiesen werden soll, nicht anwendbar ist. Die Möglichkeit ohne Einzelfallprüfung im Hinblick auf die Sicherheit einen Nichteintretensentscheid zu erlassen, wie dies durch Art. 31a des Vorschlags ermöglicht wird, könnte möglicherweise zu direktem oder indirektem Refoulement führen. Da die Sicherheit des möglichen direkten oder 22 indirekten Zielstaates aus völkerrechtlicher Sicht immer im Einzelfall überprüfbar ist, würde 18 Vgl. UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005), Seite 35, siehe Fussnote 14. 19 UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 58 (XL) Bst. f) (i), siehe Fussnote 9; abrufbar unterUNHCR Summary Conclusions on Effective Protection (2003), Nr. 15 a),c), siehe Fussnote 11; vgl. zu direktem und indirektem Refoulement auch: UNHCR, Die Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ (2001), siehe Fussnote 11. 20 Die formelle Flüchtlingsanerkennung für Personen, die unter die Definition des Flüchtlingsbegriffs nach Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) fallen, ist nur deklaratorischer Natur. 21 Zum impliziten Abschiebungsverbot: Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), Art. 3, in Kraft seit dem 3. September 1953, ratifiziert durch die Schweiz am 28. November 1974, SR 0.101, abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/i1/0.101.de.pdf; vgl. z.B. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Urteil vom 11.07.2000 (Jabari gg. Türkei), Beschwerde-Nr. 40035/98, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3ae6b6dac.html. 22 Vgl. die in Fussnote 11 und 15 genannten Dokumente und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR); z.B. EGMR Urteil vom 5.02.2002 (Conka gg. Belgien), Beschwerde-Nr. 51564/99, Rn. 75, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3e71fdfb4.html; Urteil vom 2.12.2008 (K.R.S. gg. Vereinigtes Königreich), Beschwerde-Nr. 32733/08, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/country,,ECHR, ,IRN,,49476fd72,0.html; Urteil vom 11.07.2000 (Jabari gg. Türkei), Beschwerde-Nr. 40035/98, siehe Fussnote 21. 8
diese Regelung auch gegen die sich aus dem Refoulement-Verbot ergebenden Verpflichtungen der Schweiz verstossen. C.4. Humanitäre Ausnahmen bei Nichteintretensentscheiden 23. Der Umstand, dass sich der Asylsuchende in einem Drittstaat aufgehalten hat, in welchem er hätte Asyl beantragen können, ist für sich noch kein ausreichender Grund dafür, dass der Staat, unter dessen Rechtsprechung der Antrag eingereicht wurde, die materielle Prüfung des Asylantrags verweigern und die Rückführung in den Drittstaat anordnen kann. Der Übergang der Verantwortung für die Prüfung des Asylantrags von einem Staat auf einen anderen sollte, wie oben dargelegt, nur in Fällen in Betracht gezogen werden, in denen der Asylsuchende bedeutende Bindungen oder Beziehungen mit diesem anderen Staat hat. 24. Daher bedauert UNHCR die Aufhebung der Bestimmung, dass in bestimmten Fällen aus Gründen enger Beziehungen zur Schweiz oder des offensichtlichen Erfüllens der Flüchtlingseigenschaft auf einen Nichteintretensentscheid zu verzichten ist, wie dies in lit. a und b des aktuellen Art. 34 Abs. 3 AsylG vorgesehen ist. Eine bestehende Bindung ist ein wichtiger Faktor, der die Migrationsentscheidung beeinflusst und kann sich auch positiv auf die Integration auswirken. Sie sollte daher, wie oben schon erwähnt, soweit wie möglich berücksichtigt werden. Die jetzige Regelung mit der es möglich ist, eine günstige Integrationsprognose (z.B. auf Grund enger familiärer Beziehung) bei der Frage des möglichen Eintretens auf ein Asylgesuch zu berücksichtigen, ist ein Beispiel der „Good Practice“ und ein wichtiges Element der humanitären Tradition der Schweiz. UNHCR möchte für Dublin- Verfahren im Lichte von Art. 15 der Dublin-II-Verordnung – der Situationen festhält, in denen eine Übernahme des Verfahrens aus humanitären Gründen erfolgen sollte – vorschlagen, dass eine enge Beziehung der asylsuchenden Person zur Schweiz ausdrücklich zu einer Situationen erklärt werden sollte, in der im Regelfall ein Selbsteintritt durch die Schweiz erfolgt. D. Reduzierung des materiellen Verfahrens auf rechtliches Gehör in bestimmten Fällen 25. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 36 Verfahren vor Entscheiden 1 Bei Nichteintretensentscheiden nach Artikel 31a Absatz 1 wird der asylsuchenden Person das rechtliche Gehör gewährt. Dasselbe gilt, wenn die asylsuchende Person: a. die Behörden über ihre Identität täuscht und diese Täuschung aufgrund der Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung oder anderer Beweismittel feststeht; b. ihr Gesuch massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abstützt; c. ihre Mitwirkungspflicht schuldhaft auf andere Weise grob verletzt. 2 In den übrigen Fällen findet eine Anhörung nach Artikel 29 statt. 26. Während UNHCR, wie bereits weiter oben erwähnt, die Aufhebung mehrerer Nichteintretenstatbestände begrüsst, möchte es an dieser Stelle auf einen Punkt bezüglich der Argumentation der Botschaft hinweisen. Es wird festgehalten, dass in Fällen von Täuschung der Behörden über die Identität (Art. 32 Abs. 2 lit. b AsylG), von schuldhafter Verletzung der Mitwirkungspflicht (Art. 32 Abs. 2 lit. c AsylG) oder von Einreichung gefälschter oder verfälschter Beweismittel (Art. 32 Abs. 2 lit. b AsylG) „rasche materielle Entscheide mit einer 9
generell kürzeren Beschwerdefrist gefällt werden [sollen], [...] den Betroffenen ist lediglich das 23 rechtliche Gehör zu gewähren (vgl. Art. 36 Abs. 1 E-AsylG)“. 27. UNHCR vertritt klar die Position, dass asylsuchende Personen im Verfahren zur Wahrheit verpflichtet sind. Macht eine Person jedoch unwahre Angaben, beispielsweise über ihre Identität, kann sie durchaus trotzdem ein gerechtfertigtes Schutzbedürfnis haben, was in einem materiellen Asylverfahren geprüft werden muss. Dies wird so auch vom 24 Bundesverwaltungsgericht festgehalten und im erläuternden Bericht anerkannt. UNHCR ist daher der Ansicht, dass es Fälle geben kann, in denen das rechtliche Gehör nicht ausreicht, um den Sachverhalt genügend festzustellen, damit eine Entscheidung über die Flüchtlingseigenschaft getroffen werden kann. UNHCR regt daher an, dass in allen Fällen eine Anhörung durchzuführen oder zumindest das rechtliche Gehör mündlich und umfassend zu gewähren ist. Jedenfalls müssen aber alle zur Sachverhaltsfeststellung relevanten Punkte abgedeckt werden. Auch dafür muss eine eingehende Prüfung des Schutzbedarfs erfolgen, die aus Sicht von UNHCR bei einer vollen Anhörung und dem normalen Entscheidungsgang besser gewährleistet wäre. E. Effektiver Rechtsschutz 28. Effektiver Rechtschutz ist sowohl in der Schweizer Bundesverfassung in Art. 29a BV als auch in Art. 13 EMRK verankert und stellt einen der Grundpfeiler jeder demokratischen Ordnung dar. Rechtsschutzfragen in Asylverfahren stellen sich dabei nicht erst nach einer ablehnenden Entscheidung, sondern bereits bei der Beratung vor, während und nach der Asylgesuchstellung. E.1. Einführung einer Beitragsleistung des Bundes an die Verfahrens- und Chancenberatung und Aufhebung der Hilfswerkvertretung (HWV) bei Anhörungen 29. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 17 Absatz 4 4 Der Bund sorgt für den Zugang zur Verfahrens- und Chancenberatung. Artikel 30 Aufgehoben Artikel 94 Sachüberschrift, Absatz 1, 2, und 3 Bundesbeiträge für die Verfahrens- und Chancenberatung 1 Der Bund richtet Beiträge an Dritte für die Verfahrens- und Chancenberatung aus (Art. 17 Abs. 4). 23 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Erläuternder Bericht zur Änderung des Asylgesetzes und des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer in Bezug auf den Ersatz von Nichteintretensentscheiden, Dezember 2009, S.12, abrufbar unter: http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/mi gration/rechtsgrundlagen/gesetzgebung/asylg-aug/ersatz-nee/vn-ber-d.pdf. 24 EJPD, Erläuternder Bericht, S. 4: „Das Bundesverwaltungsgericht wies in seinem Entscheid vom 12. Juni 2009 einen NEE ans BFM zur Neubeurteilung zurück, da ein NEE (Täuschung über die Identität) nicht ipso facto dazu führt, dass keine Asylgründe vorliegen. In diesem Fall musste das BFM das Gesuch materiell prüfen (ATAF D- 3444/2009). Das CAT beurteilte in seinem Entscheid vom 26. November 2007, dass eine Rückkehr gestützt auf einen NEE wegen Papierlosigkeit das Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe verletzt. Es begründete seinen Entscheid damit, dass die Schweiz das Asylgesuch nicht materiell geprüft, sondern in einem rein formellen Verfahren entschieden hatte.“ Siehe Fussnote 23. 10
2 Der Bundesrat legt die Höhe der pauschalen Beiträge und die Voraussetzungen für deren Ausrichtung fest. 3 Die Ausrichtung der Beiträge erfolgt im Rahmen von öffentlich-rechtlichen Leistungsverträgen. 30. UNHCR begrüsst grundsätzlich die Bemühungen, den Rechtsschutz für Asylsuchende im Verfahren zu stärken und möchte gleichzeitig die Schweiz dringend dazu auffordern, die Ausgestaltung und den Umfang der Verfahrens- und Chancenberatung weitergehend zu erörtern und die Sicherung der Verfahrensrechte der betroffenen Personen durch das vorgesehene System der Verfahrens- und Chancenberatung zu gewährleisten. Der Änderungsvorschlag hat zum Ziel, die Effizienz und Qualität der Entscheide dadurch zu erhöhen, dass es den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern erleichtert wird, die Erfolgsaussichten realistisch einzuschätzen. Dazu ist es notwendig, dass alle Beteiligten sowohl inhaltlich als auch sprachlich jeden Aspekt des Verfahrens verstehen. Hochwertiger rechtlicher Beistand und Vertretung können helfen, frühzeitig zu identifizieren, welche Personen internationalen Schutzes bedürfen. UNHCR hat bei seinen Gesprächen mit Asylsuchenden unter anderem bei Besuchen in den Empfangs- und Verfahrenszentren im Jahr 2009 festgestellt, dass diese häufig kaum über Beratungsmöglichkeiten und andere den Rechtschutz betreffende Fragen Bescheid wissen und das Verfahren nicht in ausreichendem Masse verstehen, da eine solche Beratung und Erklärung häufig nur ungenügend gewährleistet ist. UNHCR betont daher die Notwendigkeit von Sprachbeistand und rechtlicher Beratung. 31. In diesem Kontext bedauert UNHCR, dass in der aktuellen Diskussion in der Schweiz klar gegen einen Rechtsanspruch auf unentgeltliche Rechtspflege zugunsten von Asylsuchenden Position bezogen wird und merkt an, dass das Recht auf rechtliche Unterstützung und Vertretung ein wichtiger Schutzmechanismus ist, der insbesondere auf Grund der Komplexität des Verfahrens und möglicher kulturell bedingter Verständnisschwierigkeiten für die Asylsuchenden eine wichtige Bedeutung hat. Die Regelungen sind häufig auch für spezialisierte Personen nicht ohne Weiteres verständlich. Dies gilt insbesondere für die Zuständigkeitsregeln aber auch für das aus einer nicht- juristischen Sicht schwer verständliche System von Asyl und vorläufiger Aufnahme, sowie für die Vielzahl unterschiedlicher kantonaler Regelungen und Besonderheiten im Bereich der Aufnahme und der Beratung von Asylsuchenden. 32. Zudem ist UNHCR der Ansicht, dass bei Wegfall der Hilfswerksvertretung zusätzliche Absicherungen für die Anhörungssituation notwendig werden könnten. Unter anderem um entsprechende Beschwerden beim Gericht zu vermeiden, regt UNHCR an, die Auswirkungen der Abwesenheit der Hilfswerkvertretung durch geeignete Massnahmen, wie zum Beispiel die Installation von Tonbandaufnahmen während der Anhörungen, zu minimieren. E.2 Verkürzung der Beschwerdefrist im materiellen Verfahren 33. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 108 1 Die Beschwerde ist innerhalb von fünfzehn Tagen, die Beschwerde gegen Zwi- schenverfügungen innerhalb von zehn Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. 2 Die Beschwerdefrist beträgt bei Entscheiden nach Artikel 23 Absatz 1, nach Artikel 111b und bei Nichteintretensentscheiden fünf Arbeitstage. 11
Artikel 110 Absatz 1 Die Nachfrist für die Verbesserung der Beschwerde beträgt zehn Tage, bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide und Entscheide nach Artikel 23 Absatz 1 sowie Verfügungen nach Artikel 111b drei Tage. 34. In den meisten europäischen Ländern besteht rechtlich oder zumindest praktisch die Möglichkeit, bis zur mündlichen Verhandlung im Gerichtsverfahren noch neue Tatsachen 25 und/oder rechtliche Argumente vorzubringen. Eine mögliche Gefährdung des effektiven Rechtschutzes sieht UNHCR auch in der Verkürzung der Beschwerdefrist im materiellen Verfahren. In dieser Hinsicht ist es eine Besonderheit des Schweizer Asylsystems, dass das Gericht, das zudem die einzige Beschwerdeinstanz ist, ohne mündliche Verhandlung oder Anhörung der betroffenen Person entscheidet. Das Asylrecht weicht damit auch von der üblichen Praxis im Schweizer Recht ab, betroffene Personen vor Gericht zu hören. Durch diese Sondersituation kommt der Frist zur Einreichung der Beschwerde und deren Nachbesserung eine ganz andere Bedeutung zu als in anderen Ländern, in denen Nachbesserungen und weitere Argumente meist bis zur mündlichen Verhandlung vorgebracht werden können und damit eine zum Teil erheblich längere Zeit zur Begründung der Beschwerde zur Verfügung steht. Dies gilt auch dann, wenn sich die Beschwerdefristen und Nachbesserungsfristen formal 26 nicht von denen des Änderungsvorschlages unterscheiden. 35. Eine Verkürzung der bestehenden Fristen würde daher einen erheblichen Eingriff in die Verfahrensrechte der betroffenen Personen darstellen. UNHCR empfiehlt der Schweiz daher auf diesen Vorschlag zu verzichten. UNHCR ist darüber hinaus besorgt, dass - in Abweichung von der allgemeinen europäischen Praxis – Gerichtsentscheide in Asylverfahren in der Regel ohne mündliche Verhandlung getroffen werden. Dies erscheint insbesondere im stark von Glaubwürdigkeitsfragen dominierten Asylverfahren als schwierig. UNHCR regt daher an, im Asylbereich neu eine klare Präferenz für mündliche Verhandlungen in Beschwerdeverfahren zu regeln und damit die schweizerischen Beschwerdeverfahren an den europäischen Standard anzugleichen. E.3 Vereinfachung des Asylverfahrens bei Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen 36. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 111b (neu) Wiedererwägung 1 Das Wiedererwägungsgesuch ist dem Bundesamt innert 90 Tagen nach Entdeckung des Wiedererwägungsgrundes schriftlich und begründet einzureichen. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den Artikeln 66–68 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren. 25 Vgl. z.B. das deutsche Asylverfahrensgesetz, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/asylvfg_1992/index .html, in dem eine Frist für die Beschwerdebegründung von einem Monat vorgesehen ist (§ 74 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG), späteres Vorbringen aber nur dann zurückgewiesen werden darf, „wenn 1) ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und 2) der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und 3) der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.“ (§ 87b Abs. 3 der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung, der über § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG für Asylverfahren gilt). 26 In Staaten, die nach dem Common Law System arbeiten, wie z.B. Irland, Malta, das Vereinigte Königreich und Zypern, ist die mündliche Anhörung durch das Gericht sogar das bedeutsamste Ereignis des gesamten Beschwerdeverfahrens. Es wird berichtet, dass insbesondere im Vereinigten Königreich die vorher eingereichten schriftlichen Ausführungen nur eine untergeordnete Rolle spielen. 12
2 Nichteintretensentscheide sind in der Regel innerhalb von fünf Arbeitstagen nach der Einreichung eines Wiedererwägungsgesuches zu treffen. In den übrigen Fällen sind die Entscheide in der Regel innerhalb von zehn Arbeitstagen nach der Gesuchstellung zu treffen. 3 Die Einreichung eines Wiedererwägungsgesuches hemmt den Vollzug nicht, es sei denn, die für die Behandlung zuständige Behörde entscheide anders. Artikel 111c (neu) Mehrfachgesuche Bei Asylgesuchen, die innert fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des Asyl – und Wegweisungsentscheides eingereicht werden, erfolgt die Eingabe schriftlich und begründet. Die Nichteintretensgründe nach Artikel 31a Absätze 1–3 finden Anwendung. 37. UNHCR bedauert, dass der Entwurf des Art. 111b und c AsylG für alle Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuche die gleiche Behandlung vorsieht, ungeachtet der speziellen Natur des Einzelfalles und ohne angemessen zu berücksichtigen, ob das Gesuch (möglicherweise) begründet oder offensichtlich unbegründet ist Zudem können die neu eingeführten Anforderungen an ein schriftliches und substantiiertes Gesuch den Verfahrenszugang untergraben, beispielsweise in Fällen, in denen der Asylsuchende ausser Stande ist, selbst ein schriftliches Gesuch zu stellen sowie keinen Zugang zu juristischem Beistand hat. 38. Unabhängig vom vorliegenden Änderungsentwurf empfiehlt UNHCR, wie bereits in 27 seiner Stellungnahme zur Teilrevision des Asylgesetzes vom Mai 2007, dem Problem der Mehrfachgesuche mittels Einführung eines beschleunigten Verfahrens für offensichtlich unbegründete Gesuche zu begegnen. Diese Sichtweise basiert auf dem Beschluss des Exekutivkomitees betreffend “Das Problem der offensichtlich unbegründeten oder miss- 28 bräuchlichen Anträge auf Anerkennung als Flüchtling oder Asylgewährung”. 39. Eine weitere Rechtsschutzlücke kann sich nach Ansicht von UNHCR durch die Festlegung auf ein schriftliches Verfahren bei Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen ergeben. Zumindest bei Wiedererwägungsgesuchen, die substantielle neue Fakten enthalten und bei Mehrfachgesuchen, die nach einer Ausreise ins Herkunftsland erfolgen, sollte eine persönliche Anhörung des gesuchstellenden Person aus Sicht von UNHCR schon deshalb erfolgen, um den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens zu wahren. 40. Eine solche Verfahrensweise sollte auf eine im Schweizer Recht bisher nicht explizit vorgesehene Vorprüfung der Erheblichkeit der Tatsachen beschränkt bleiben. Gemäss der Auffassung von UNHCR sollte allenfalls die genannte Vorprüfung einem Verfahren mit 29 vereinfachter Prüfung unterzogen werden. Aus diesen Gründen sollte das schriftliche Verfahren nicht als Regelfall für Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuche eingeführt werden. UNHCR empfiehlt daher den Vorschlag entsprechend anzupassen. 27 Siehe UNHCR, Stellungnahme zur Teilrevision des Asylgesetzes, Mai 2007, verfügbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/6_Schweiz/6.3_CH-UNHCR- Positionen/2007_Mai_UNHCR_Stellungnahme_AsylG_Teilrevision_2_1_.pdf. 28 UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 30 (XXXIV) über das Problem der offensichtlich unbegründeten oder missbräuchlichen Anträge auf Anerkennung als Flüchtling oder Asylgewährung, verfügbar unter: http://www.unhcr.ch/include/fckeditor/custom/File/263(1).pdf. 29 UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005), S. 43 und 45, siehe Fussnote 14. 13
F. Strafrechtliche Sanktionierung der Förderung und Ausübung einer nachträglichen politischen Tätigkeit in der Schweiz zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft (Art. 115, 116 AsylG) 41. Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern: Artikel 115 Buchstabe b (neu) Mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen wird bestraft, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches vorliegt, wer: d. in der Absicht, sich zu bereichern, zu einer Straftat im Sinne von Art. 116 Buchstabe c Hilfe geleistet hat, insbesondere durch Planung oder Organisation. Artikel 116 Buchstaben c und d (neu) Mit Busse wird bestraft, sofern nicht ein Tatbestand von Artikel 115 vorliegt, wer: c. als asylsuchende Person einzig mit der Absicht, subjektive Nachfluchtsgründe im Sinne von Artikel 54 zu schaffen, öffentliche politische Tätigkeiten in der Schweiz entfaltet; d. zu einer Straftat im Sinne von Buchstabe c Hilfe geleistet hat, insbesondere durch Planung und Organisation. 42. Es kann Fälle geben, in denen eine Person, die anderenfalls keine begründete Furcht vor Verfolgung hätte, ausserhalb ihres Herkunftslands Handlungen unternimmt, die allein dem Zweck der „Schaffung“ eines Asylanspruchs dienen. UNHCR erkennt an, dass die Bewertung der Begründetheit solcher Ansprüche den Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bereiten kann und UNHCR stimmt mit den Staaten überein, dass diese Praxis der Glaubwürdigkeit der Asylsysteme schadet. Eine strafrechtliche Sanktionierung scheint aber bereits mit den Prinzipien der Meinungsäusserungsfreiheit, wie sie auch in Art. 16 BV sowie Art. 10 und 16 EMRK verankert sind, nicht vereinbar zu sein. Dies wird auch in der Botschaft angesprochen und verdiente grössere Aufmerksamkeit, da ein Verstoss gegen die Bundesverfassung vorliegen könnte. Der Hinweis des Bundesrates „nicht missbräuchliche“ Aktivitäten seien erlaubt, erscheint in diesem Fall nicht hinreichend, um die in Frage stehenden Grundrechte 30 entsprechend einzuschränken. Die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit ist generell umfassend gewährleistet. Eine Einschränkung ist rechtlich nur möglich, wenn dies „in 31 einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist. 43. Zudem erscheint es UNHCR nicht angebracht, sollte doch - wie in jedem anderen Fall - auch in dieser Situation geprüft werden, ob die Kriterien der Flüchtlingsdefinition tatsächlich erfüllt sind, wenn alle massgeblichen anspruchsbezogenen Tatsachen berücksichtigt werden. Es gibt keinen logischen oder empirischen Zusammenhang zwischen der Begründetheit der Furcht vor Verfolgung oder vor Erleidung eines ernsthaften Schadens und der Tatsache, dass Personen möglicherweise Handlungen unternommen haben, mit denen sie die Schaffung eines 32 Asylanspruchs beabsichtigten. Mit vorliegendem Artikel besteht darüber hinaus die Gefahr 30 Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 20. 31 Vgl. BGE 96 I 592 und EGMR Urteil vom 7.12.1976 (Handyside gg. Vereinigtes Königreich), Beschwerde-Nr.: 5493/72, verfügbar unter: http://www.eugrz.info/pdf/EGMR26.pdf; Siehe auch Denis Barrelet, Kommunikations- grundrechte, in: Daniel Thürer et. al. (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, § 45, S. 723ff. und Andreas Kley/Esther Tophinke, Art. 16, in: Bernhard Ehrenzeller et. al. (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung. 32 UNHCR, Kommentar des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (OJ L 304/12 vom 30.9.2004), verfügbar 14
der Schaffung eines Generalmissbrauchsverdachts bei politischer Betätigung von Asylsuchenden in der Schweiz. Eine strafrechtliche Sanktionierung erscheint des Weiteren nicht geeignet oben genanntes Problem anzugehen, da der Nachweis des notwendigen Vorsatzes regelmässig kaum gelingen dürfte und die Frage der Verhältnismässigkeit der Bestrafung solcher Aktivitäten auch noch nicht zufriedenstellend beantwortet ist. Zudem würde der gesamte Komplex weitere komplizierte Verfahren nach sich ziehen, die der Verfahrenseffizienz nicht dienlich sein dürften. G. Nachweispflicht bei Unzumutbarkeit der Weg- oder Ausweisung und Bezeichnung von Staaten, in die der Weg- oder Ausweisungsvollzug zumutbar ist (früher Art. 83 Abs. 5 ff. AuG) 44. Der Vorschlag sieht vor, das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 wie folgt zu ändern: Artikel 83 Absatz 5 (neu) und Absatz 5bis (neu) 5 Der Bundesrat kann Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Gebiete dieser Staaten bezeichnen, in welche eine Rückkehr zumutbar ist. Kommen weg- oder ausgewiesene Ausländerinnen und Ausländer aus einem dieser Staaten, so wird vermutet, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung zumutbar ist. 5bis Der Bundesrat überprüft den Beschluss nach Absatz 5 periodisch. 45. UNHCR begrüsst, dass das verwaltungs- und flüchtlingsrechtliche Prinzip der Mitwirkungspflicht durch die Botschaft dahingehend bestärkt wird, dass im vorliegenden Vorschlag von einer Beweislastumkehr, wie sie im früheren Vorschlag in Art. 83 Abs. 5 enthalten war, abgesehen wurde und die Untersuchungsmaxime des Staates bestätigt wurde. H. Zusammenfassung 46. Im Lichte der Analyse welche in dieser Stellungnahme vorgenommen und erläutert wurde, zieht UNHCR nachfolgendes Fazit zu den vorgeschlagenen Änderungen des Asylgesetzes: 47 UNHCR begrüsst, dass die Schweiz plant, das System der Nichteintretensentscheide zu vereinfachen und in allen Fällen, in denen nicht die Zuständigkeit der Schweiz in Frage steht, auch ein materielles Verfahren durchzuführen. Auch das Nichtfesthalten an der früher vorgeschlagenen Nachweispflicht für die Unzumutbarkeit der Wegweisung in bestimmten Fällen wird ausdrücklich begrüsst. Zudem möchte UNHCR das Bestreben einer Stärkung des Rechtsschutzes für die betroffenen Personen ausdrücklich unterstützen. 48. Trotzdem besteht aus Sicht von UNHCR an einigen Punkten auch noch Nachbesserungsbedarf. Diese betreffen unter anderem die Klausel zur Wehrdienst- verweigerung und das Botschaftsverfahren, die Abgrenzung zwischen Zulässigkeitsfragen und einer materiellen Prüfung des Asylgesuchs wie auch spezifische Punkte zu Nichteintretensentscheiden, sowie verschiedene Punkte welche im Zusammenhang mit der Gewährleistung effektiven Rechtschutzes stehen. unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/2_EU/2_EU- Asyl/B.03_Qualifikationsrichtlinie/B.3.01a.HCRQualDir0105-de.pdf. 15
49. UNHCR empfiehlt auf die Änderung beim Flüchtlingsbegriff (Art. 3 Abs. 3 des Vorschlags zum Asylgesetz), die unter anderem regional und international einen Alleingang darstellen würde zu verzichten, da die bisherige Regelung, die den Asylbegriff enthält besser den internationalen Vorgaben entspricht und eine Änderung angesichts der laut Botschaft nicht geplanten Praxisänderung die Gefahr einer Rechtsunsicherheit birgt, die möglicherweise negative Auswirkungen auf die Feststellung des Schutzbedarfs im Einzelfall haben könnte. 50. UNHCR regt an, die Abschaffung des Botschaftsverfahrens nochmals zu überdenken, da dies eine Möglichkeit darstellt, gefährliche Fluchtwege und Schlepper zu vermeiden. Das Verfahren stellt ein Vorbild für geschützte Einreiseverfahren dar und entspricht zudem der humanitären Tradition der Schweiz (Art. 19 und 20 des Vorschlags). 51. UNHCR merkt an, dass das System der Nichteintretensentscheide noch nicht vollständig an die rechtlichen Regelungen und praktischen Erfordernisse des Dublin- Verfahrens angepasst zu sein scheint. Es werden zudem nicht an allen Stellen die Zulässigkeitsfragen strikt von den materiellen Fragen getrennt, was zu einer verminderten Effizienz der Verfahren führen könnte. Dies betrifft vor allem die Gesuche, die „ausschliesslich aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen“ eingereicht werden (Art. 31a Abs. 3 des Vorschlags). 52. Im Hinblick auf die Einhaltung des Refoulement-Verbots, ist es aus Sicht von UNHCR notwendig, die Regelung, die bisher eine Einzelfallprüfung einer allfälligen Refoulement-Gefahr nur in bestimmten Nichteintretensfällen garantiert, auf die Fälle sicherer Drittstaaten und die Dublin-Fälle auszuweiten, um somit die Völkerrechtskonformität des schweizerischen Asylsystems in diesem Bereich zu garantieren (Art. 31a Abs. 1 Bst. a) und b) und Abs. 2 des Vorschlags). 53. UNHCR schlägt zudem vor, auf die Möglichkeit des Nichteintretens bei einer möglichen Wegweisung in andere, nicht unbedingt sichere Drittstaaten ganz zu verzichten (Art. 31a Abs. 1 Bst. c), d) und e) des Vorschlags), da in diesem Bereich die für eine Übertragung der Zuständigkeit für die inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs erforderlichen Schutzmechanismen nicht vorhanden sind. Zudem scheint es, dass diese Regelungen auch gegen internationales Recht und Europarecht verstossen. 54. Im Kontext der Prüfung der Wegweisung in einen Dritt- oder Dublin-Staat regt UNHCR weiter an, eine humanitäre Herangehensweise an diese Fälle sicherzustellen, indem zum Beispiel bei unbegleiteten Minderjährigen und Asylgesuchstellern mit Familie in der Schweiz eine Möglichkeit für den Zugang zum Asylverfahren in der Schweiz geschaffen bzw. beibehalten wird (entsprechend dem heutigen Art. 34 Abs. 3 AsylG). 55. UNHCR rät der Schweiz, effektiven Rechtsschutz unter anderem durch ein System rechtlicher Beratung und Vertretung zu garantieren, mit dem die Effizienz der Verfahren erhöht und gleichzeitig sichergestellt wird, dass bestehende Schutzbedürfnisse nicht übersehen werden. 56. In diesem Kontext ist es zur Gewährleistung des umfassenden Rechts der betroffenen Person gehört zu werden aus Sicht von UNHCR erforderlich, einen klaren Fokus auf die Anhörung der betroffenen Person zu legen. Dies sollte bei Verfahren, die Wiedererwägungs- 16
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