UNHCR Stellungnahme zur Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes - Oktober 2010

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UNHCR Stellungnahme zur Botschaft zur
    Änderung des Asylgesetzes

                   Oktober 2010

       UNHCR Büro für die Schweiz und Liechtenstein
             www.unhcr.ch / www.unhcr.org
1.         UNHCR nimmt die Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010 zum
                                                                                                                  1
Anlass, die bereits in den Vernehmlassungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen                                        zu
aktualisieren und an die vorgenommenen Änderungen bei den Vorschlägen anzupassen, da
auch mit diesen zentrale Bedenken, die UNHCR hinsichtlich der möglichen negativen
Auswirkungen auf Personen unter dem Mandat von UNHCR geäussert hat, nicht vollständig
Rechnung getragen wurde.

2.         UNHCR legt diese Stellungnahme als die Organisation vor, welche von der UN-
Generalversammlung damit betraut wurde, für den internationalen Schutz von Flüchtlingen,
                   2
Staatenlosen und anderen Personen unter ihrem Mandat zu sorgen, sowie die Regierungen
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bei der Suche nach dauerhaften Lösungen für Flüchtlinge zu unterstützen. Wie in der Satzung
der Organisation dargelegt, erfüllt UNHCR sein internationales Schutzmandat inter alia, indem
es „den Abschluss und die Ratifizierung von Internationalen Abkommen zum Schutz der
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Flüchtlinge fördert, ihre Ausführung überwacht und Verbesserungsvorschläge vorbringt“.
Diese Aufsichtsfunktion wird im Artikel 35 der Konvention über die Rechtsstellung der
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Flüchtlinge von 1951 („Genfer Flüchtlingskonvention“) nochmals wiederholt.

3.         Demnach verpflichten sich die Vertragsstaaten, „mit dem Hochkommissariat der
Vereinten Nationen für Flüchtlinge [...] zusammenzuarbeiten und im besonderen ihre Aufgabe
zu erleichtern, die Durchführung dieses Abkommens zu überwachen“. Dieselbe Verpflichtung
ist auch in Artikel II des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 („Protokoll
               6
von 1967“) enthalten. Die Interpretation der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention
und des Protokolls von 1967 durch UNHCR wird allgemein als massgebende Sichtweise
erachtet, welche sich durch eine fast 60-jährige Erfahrung in der Beaufsichtigung und
Anwendung von internationalen Flüchtlingsinstrumenten etabliert hat und Staaten rechtliche
und interpretative Anleitung für Entscheidungen in flüchtlingsrechtlichen Fragen zur Verfügung
stellt.

4.         In diesem Zusammenhang soll betont werden, dass sich das Mandat von UNHCR nicht
nur auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention beschränkt, sondern sich auf
alle Personen erstreckt, die internationalen Schutzes bedürfen. Dazu gehören auch Personen,
die sich infolge bewaffneter Konflikte oder schwerwiegender Störungen der öffentlichen
Ordnung, welche ihr Leben, ihre physische Integrität, Freiheit und persönliche Sicherheit

1
      Vgl. UNHCR, UNHCR-Stellungnahme zu den Änderungen des Asylgesetzes und des Bundesgesetzes über die
      Ausländerinnen und Ausländer in Bezug auf den Ersatz von Nichteintretensentscheiden, März 2010, verfügbar
      unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/6_Schweiz/6.3_CH-UNHCR-Positionen/
      UNHCR-STNAsylgesetz.pdf und UNHCR, UNHCR-Stellungnahme zu den Änderungen des Schweizer
      Asylgesetzes und des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer, April 2009, verfügbar unter:
      http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/6_Schweiz/6.3_CH-UNHCR-Positionen/Aende
      rungendesAsylgesetzesunddesAuslgesetzes.pdf.
2
      Resolution     der    UN-Generalversammlung        A/RES/50/152,    9.    Februar   1996,    verfügbar      unter:
      http://www.unhcr.org/refworld/docid/3b00f31d24.html, Abkommen von 1954 über die Staatenlosigkeit, in Kraft seit
      dem 1. Oktober 1972, ratifiziert durch die Schweiz am 3. Juli 1972, SR 0.142.40, abrufbar unter:
      http://www.admin.ch/ch/d/sr/i1/0.142.40.de.pdf.
3
     Siehe Satzung des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Resolution 428 (V) der
     UN-Generalversammlung, Annex, UN Doc. A/1775, Abs. 1, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3ae
     6b3628.html.
4
     Idem, Abs. 8(a). Zu Staatenlosen haben die UN-Generalversammlung, wie auch das UNHCR-Exekutivkommittee
     UNHCR gebeten „to provide technical advice to State Parties on the implementation of the 1954 Convention so as
     to ensure consistent implementation of its provisions“.
5
     Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in Kraft seit dem 22. April 1954, ratifiziert durch die
     Schweiz am 21. Januar 1955, SR 0.142.30, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsin
     formationen/1_International/1_Voelkerrechtliche_Dokumente/01_GFK/01_GFK_Prot_dt.pdf. Gemäss Art. 59 des
     AsylG findet das Abkommen Anwendung auf „Personen, denen die Schweiz Asyl gewährt hat oder die als
     Flüchtlinge vorläufig aufgenommen wurden“.
6
     Protokoll über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1967, in Kraft seit dem 4. Oktober 1967, ratifiziert durch die
     Schweiz am 20. Mai 1968, SR 0.142.301, siehe Fussnote 5.

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bedrohen, ausserhalb ihres Herkunftslandes befinden. Diese Personen erhalten in der Schweiz
in der Regel eine vorläufige Aufnahme.

5.         UNHCR anerkennt, dass der Druck auf das Schweizer Asylverfahren aufgrund der
erhöhten Anzahl Asylgesuche in den letzten Jahren gestiegen ist. UNHCR möchte an dieser
Stelle trotzdem dafür appellieren, dass jegliche Änderungen der Gesetzgebung im Einklang mit
Geist      und    Wortlaut     der    Genfer     Flüchtlingskonvention        und      anderen   einschlägigen
internationalen und europäischen Bestimmungen stehen sollten und am Schutzbedarf der
betroffenen Personen ausgerichtet sein sollten. Die Zielsetzung der Senkung der „Attraktivität
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der Schweiz als Zielland von Asylsuchenden“ sollte daher nur für Personen vorrangig sein, bei
denen klar kein Schutzbedarf vorliegt. UNHCR bedauert, dass in der aktuellen Debatte eine
klare Positionierung und Zielsetzung im Hinblick auf eine effektive Schutzgewährung für
Schutzbedürftige, wie sie sich aus den angesprochenen internationalen Normen ergibt, fehlt.
So ist zum Beispiel unter der neuen Überschrift des vorgeschlagenen Art. 31a AsylG
„Entscheide des Bundesamtes“ die Möglichkeit einer positiven Entscheidung gar nicht erwähnt.

A. Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung für Wehrdienstverweigerer und Deserteure

6.         Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 3 Absatz 3 (neu)
3
    Keine Flüchtlinge sind Personen, die einzig wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion
    ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteile
    ausgesetzt zu werden.

7.         UNHCR zeigt sich besorgt darüber, dass die geplante Änderung von Art. 3 de facto zu
einer weiteren Ausschlussklausel zusätzlich zu den in Artikel 1D, 1E, und 1F der Genfer
Flüchtlingskonvention abschliessend aufgelisteten Ausschlussklauseln führen könnte, da die
vorgelegte Bestimmung zumindest keine Klarstellung dahingehend beinhaltet, dass bei
Vorliegen eines Anknüpfungsmerkmals immer der Flüchtlingsstatus zu gewähren ist. Vielmehr
wird durch den Text - trotz der klarstellenden Ausführungen in der Botschaft - der Eindruck
erweckt, dass Personen, die ausschliesslich wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion
ein Asylgesuch einreichen, keinen Flüchtlingsstatus erhalten sollen, selbst wenn eines der in
der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegten Anknüpfungsmerkmale (Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Überzeugung)
einschlägig ist.

8.         Insgesamt stünde ein solches Vorgehen nicht im Einklang mit den internationalen
Verpflichtungen der Schweiz aus der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen einschlägigen
regionalen Bestimmungen und ist daher für UNHCR Anlass zu grosser Besorgnis. Zudem
scheint dadurch eine Art Regelvermutung aufgestellt zu werden, dass Personen, die den
Wehrdienst verweigern oder desertieren, keine weiteren Fluchtgründe haben. Eine solche
Herangehensweise birgt die Gefahr, dass Personen aus diesem Kreis zu Unrecht nicht den
Flüchtlingsstatus erhalten. Demgegenüber stellt sich angesichts der völkerrechtlichen
Verpflichtungen der Schweiz die Situation gegenwärtig so dar, dass gerade diejenigen
Personen, auf welche sich der vorgeschlagene Artikel gemäss Botschaft bezieht, in aller Regel
Schutz      bekommen         müssen,      was    sich       auch   in   der   klaren    Rechtsprechung    des
Bundesverwaltungsgerichts und der gesamten Entscheidungspraxis so widerspiegelt (in aller

7
     Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 9.

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Regel mindestens eine vorläufige Aufnahme). In der Botschaft wird zwar betont, dass sich an
dieser Vorgehensweise nichts ändern soll, es wird aber nicht ersichtlich, warum angesichts
einer bestehenden Praxis, die sich aus der aktuellen Gesetzeslage entwickelt hat, ein
Änderungsbedarf besteht. Die vorgeschlagene Änderung würde sich zudem als singulär im
internationalen und europäischen Vergleich darstellen und es bestünde die Gefahr einer
Abweichung von der allgemein akzeptierten Definition der Flüchtlingseigenschaft, wie sie auch
im bisherigen Art. 3 AsylG enthalten ist. UNHCR empfiehlt aus diesen Gründen auf die
Einfügung von Art. 3 Abs. 3 des Vorschlags in das AsylG zu verzichten.

B. Aufhebung der Möglichkeit, im Ausland Asylgesuche einzureichen

9.           Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 19
1
    Das Asylgesuch ist bei der Grenzkontrolle in einem schweizerischen Flughafen, bei der
    Einreise     an    einem      geöffneten      Grenzübergang        oder    an    einem      Empfangs-    und
    Verfahrenszentrum einzureichen.
1bis
       Ein Gesuch kann nur einreichen, wer sich an der Schweizer Grenze oder auf dem Gebiet
    der Schweiz befindet.
2
    Aufgehoben

Artikel 20
Aufgehoben

10.          UNHCR ist sich des zahlenmässigen Anstiegs von Gesuchen bei Schweizer
Auslandvertretungen während der letzten Jahre bewusst und möchte auf die positive Rolle
hinweisen, welche geschützte Einreiseverfahren als Ergänzung zu traditionellen Mechanismen
beim Zugang zu Asyl gespielt haben. Denn angesichts des Ausbaus flächendeckender und
fortschrittlicherer Grenzkontrollsysteme wurden zunehmend Bedenken geäussert betreffend
der Möglichkeit für Asylsuchende, Zugang zu Ländern zu finden, in denen sie Asyl suchen
können.

11.          UNHCR betrachtet das Botschaftsverfahren als wertvolles Element des Schweizer
Asylverfahrens, insbesondere zum Schutz vor den Gefahren der illegalen Einreise und als
wichtigen Ausdruck der humanitären Tradition der Schweiz. Die Abschaffung des Verfahrens
könnte zudem dazu führen, dass ein erheblicher Teil der Personen, die sich bisher an das
Botschaftsverfahren wandten, sich nun in die Hände von Menschenschmugglern begeben
würden, um nach Europa einreisen zu können. Dies ist möglicherweise insbesondere für
Flüchtlinge, die wegen Verfolgung nicht in ihren Herkunftsstaat zurückkehren können, die
einzige Möglichkeit, um den notwendigen Schutz zu erlangen. Die in der Botschaft genannte
alternative Verfahrensweise über die Gewährung humanitärer Visa scheint insbesondere
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aufgrund des restriktiveren Anwendungsbereiches nicht in gleicher Weise geeignet, dem
Schutzbedarf der betroffenen Personen ausreichend Rechnung zu tragen. UNHCR rät
demnach            -    insbesondere        vor     dem       Hintergrund       eines      nicht    bestehenden
Kontingentsflüchtlingsprogrammes                  (Resettlement)       -    von      der       Abschaffung   des
Botschaftsverfahrens ab und empfiehlt der Schweiz weiterhin ein positives Beispiel für die
Bereitstellung von geschützten Einreiseverfahren in Europa zu sein.

8
       Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 36.

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C. Ersatz von Nichteintretensentscheiden durch ein beschleunigtes materielles
      Verfahren

12.         Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 31a (neu) Entscheide des Bundesamtes
1
    Das Bundesamt tritt in der Regel auf Asylgesuche nicht ein, wenn Asylsuchende:
    a.      in einen sicheren Drittstaat nach Artikel 6a Absatz 2 Buchstabe b zurückkehren
    können, in welchem sie sich vorher aufgehalten haben;
    b.      in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die Durchführung des Asyl- und Weg-
    weisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist;
    c.      in einen Drittstaat zurückkehren können, in welchem sie sich vorher aufgehalten
    haben;
    d.      in einen Drittstaat weiterreisen können, für welchen sie ein Visum besitzen und in
    welchem sie um Schutz nachsuchen können;
    e.      in einen Drittstaat weiterreisen können, in dem Personen, zu denen sie enge
    Beziehungen haben, oder nahe Angehörige leben.
2
    Absatz 1 Buchstaben c bis e findet keine Anwendung, wenn Hinweise bestehen, dass im
    Einzelfall im Drittstaat kein effektiver Schutz vor Rückschiebung nach Artikel 5 Absatz 1
    besteht.
3
    Das Bundesamt tritt auf Gesuche nicht ein, welche die Voraussetzungen von Artikel 18
    nicht    erfüllen.     Dies    gilt    namentlich,     wenn    das   Asylgesuch      ausschliesslich      aus
    wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen eingereicht wird.
4
    In den übrigen Fällen lehnt es das Asylgesuch ab, wenn die Flüchtlingseigenschaft weder
    bewiesen noch glaubhaft gemacht worden ist oder ein Asylausschlussgrund nach den
    Artikeln 52 bis 54 vorliegt.

Artikel 32 bis 35a
Aufgehoben

13.      UNHCR           begrüsst,        dass    prinzipiell     nur    noch     Fragen       bezüglich      der
Zulässigkeitsvoraussetzungen zu Nichteintretensentscheiden (NEE) führen sollen und
befürwortet      die      Aufhebung        mehrerer      Nichteintretenstatbestände       (insbesondere       der
Papierlosenbestimmung, Art. 32 Abs. 2 lit. a AsylG, da UNHCR stets klar die Auffassung
vertrat, dass Papierlosigkeit oder der Gebrauch gefälschter Papiere den Zugang zum
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materiellen Asylverfahren nicht verhindern sollte ) und die vorgeschlagene Behandlung dieser
Fälle in einem materiellen Verfahren. UNHCR stellt jedoch fest, dass im Bereich der
Drittstaatenregelungen            und     der    Gesuche    aus    „ausschliesslich     wirtschaftlichen     oder
medizinischen Gründen“, der Vorschlag nicht vollständig mit den Empfehlungen von UNHCR
und den Vorgaben von Schengen/Dublin kompatibel zu sein scheint.

9
    In diesem Sinn auch UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 58 (XL) über das Problem der Flüchtlinge und
    Asylsuchenden, die in irregulärer Weise von einem Land, in dem sie bereits Schutz gefunden hatten,
    weiterwandern,                     Bst.                   h),                  verfügbar                 unter:
    http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/292.pdf. Dem entspricht auch die Obliegenheit
    von Asylsuchenden, im Verfahren ihre Identität offenzulegen, siehe UNHCR Handbuch über Verfahren und
    Kriterien    zur     Feststellung     der    Flüchtlingseigenschaft    (1979),      195f.,  verfügbar    unter:
    http://www.unhcr.org/refworld/pdfid/4023d8df4.pdf.

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C.1. Asylgesuche aus „auschliesslich wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen“

14.        UNHCR möchte darauf hinweisen, dass die wünschenswerte Trennung von
Zulässigkeitsverfahren und materiellem Asylverfahren, die durch die Neuregelung beabsichtigt
ist, an einer Stelle nicht konsequent durchgehalten wird: In Fällen in denen Asylgesuche
„ausschliesslich aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen eingereicht“ werden
(Art. 31a Abs. 3 des Vorschlags), ist es trotzdem erforderlich materielle Abklärungen zu treffen,
um festzustellen, ob ein gerechtfertigtes Schutzbedürfnis vorliegt. Die komplizierten
Verfahrensfragen, die sich aus dieser dann vorfrageweise vorzunehmenden Prüfung ergeben,
wurden in der Botschaft als ein wichtiger Grund genannt, die Regelung bei den
                                                 10
Nichteintretensentscheiden zu ändern.                 Es würde aus der Sicht von UNHCR auch die
Verfahrenseffizienz fördern, wenn in allen Punkten eine klare Trennung der Ebenen der
Zulässigkeit eines Gesuches (Nichteintreten) und der materiellen Abklärungen gewährleistet
wäre, da durch ein solches Vorgehen eine Vermischung und insgesamt eine Verzögerung der
einzelnen Prüfungsschritte vermieden werden könnte.

C.2. Drittstaaten-Klausel

15.        UNHCR hat hierfür schon früher festgestellt, dass die primäre Zuständigkeit und
Verantwortung für ein Asylgesuch bei dem Staat liegt, bei dem dieses eingereicht wurde.
Ausserhalb des Kontextes multilateraler Vereinbarungen (wie der Dublin-II-Verordnung), die
Zuständigkeiten für den Flüchtlingsschutz zwischen Staaten mit ähnlichen Asylsystemen
regeln, ist die Übertragung der Verantwortung für die Prüfung eines Asylantrages unter
                                         11
bestimmten Umständen möglich.

16.      Unter anderen hat das Exekutivkomitee des UNHCR zwei Schlussfolgerungen
verabschiedet, welche die Zuteilung der Verantwortung zur Behandlung eines Asylgesuches
behandeln: Beschluss Nr. 15 (XXX) „Flüchtlinge ohne Asylland“ und Beschluss Nr. 58 (XL)
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„Beschluss über das Problem irregulär weiterwandernder Flüchtlinge“.                                Diese zwei
Beschlüsse legen klar fest, dass bei der Rückkehr einer asylsuchenden Person in einen
„sicheren Drittstaat“ gewährleistet sein muss, dass konkrete Schutzmassnahmen vorhanden
sind. Wie vom Exekutivkomitee des UNHCR in Beschluss Nr. 15 (XXX) und Nr. 58 (XL)
hervorgehoben, finden bei einer Rückkehr in einen „sicheren Drittstaat“ gewisse Grundregeln
                13
Anwendung.

10
     Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 10.
11
     Z.B. UNHCR, Die Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ und seine Auswirkungen auf den Umgang mit
     Massenfluchtbewegungen und auf den Flüchtlingsschutz, Mai 2001 (im Folgenden zitiert als: UNHCR, Die
     Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ (2001)), abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/
     pdfs/rechtsinformationen/1_International/3_Asylverfahren/02_Zustaendigkeit/03_UNHCR_STC.pdf; vgl. im Einzel-
     nen zu den Voraussetzungen von effektivem Schutz: UNHCR, Summary Conclusions on the Concept of “Effective
     Protection” in the Contex of Secondary Movement of Refugees and Asylum-Seekers (Lisbon Expert Roundtable, 9-
     10 December 2002), Februar 2003 (im Folgenden zitiert als: UNHCR Summary Conclusions on Effective
     Protection, (2003)), abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3fe9981e4.html.
12
     UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 15 (XXX) Flüchtlinge ohne Asylland, abrufbar unter:
     http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/239.pdf; UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss
     Nr. 58 (XL), siehe Fussnote 9.
13
     UNHCR möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die folgenden Überlegungen grundsätzlich
     auch für den staatsvertraglichen Übergang der Verantwortung für die Prüfung eines Asylantrags im Sinne des
     Dublin-Acquis gelten.

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17.      Eine Verweisung auf einen Drittstaat sollte nur erfolgen, wenn vier Voraussetzungen
gegeben sind: Erstens muss sichergestellt sein, dass der Zielstaat der Übernahme und
Aufnahme des Asylsuchenden auf seinem Hoheitsgebiet zustimmt. Denn ein Übergang der
Zuständigkeit auf einen anderen Staat erfolgt erst, wenn der Asylsuchende sich tatsächlich in
der Hoheitsgewalt („jurisdiction“) dieses Staates befindet. Zweitens darf, wie oben dargelegt,
die Rückführung in den Drittstaat nicht zu einer Verletzung des Refoulement-Verbotes des
Art. 33 Abs. 1 GFK oder der in anderen internationalen Abkommen verankerten Refoulement-
Verbote führen. Das heisst der Drittstaat muss tatsächlich sicher sein und effektiv eine
                                                                                             14
Möglichkeit bieten, im Einzelfall Schutz zu beantragen und zu erhalten.                           Drittens muss die
asylsuchende Person Zugang zu Aufnahmeeinrichtungen haben, die im Einklang mit
menschen-          und     flüchtlingsrechtlichen       Standards        stehen     und      sicherstellen,      dass
Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Viertens sollte auch eine ausreichende
                                                                                    15
Verbindung zu dem Staat bestehen, wie etwa familiäre Bindungen.                          Da völkerrechtlich für den
Asylsuchenden keine Pflicht besteht, im erstmöglichen Land auf der Durchreise Asyl zu
suchen, sollten auch die Vorstellungen des Asylsuchenden, in welchem Land er um Schutz
nachsuchen möchte, so weit wie möglich berücksichtigt werden.

18.        Die primären völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten gegenüber Asylsuchenden
ergeben sich unmittelbar aus der Genfer Flüchtlingskonvention, wobei in erster Linie der
Grundsatz des Non-Refoulement nach Art. 33 Abs. 1 zu nennen ist. Daneben sind in diesem
                                                                                                      16
Zusammenhang             das    Refoulementverbot         aus     der    UN-Antifolterkonvention           und     die
Menschenrechte und Grundfreiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention zu
berücksichtigen. Schliesslich ist auch die Wahrung der menschenrechtlichen Verpflichtungen
zu betonen, die sich insbesondere aus dem Recht auf Asyl ergeben, das sich im
internationalen Kontext direkt aus dem in Art. 14 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der
                                                         17
Menschenrechte verankerten Recht ableitet.                    Dieses Recht ist auf Ebene der EU in Art. 18
der Grundrechtecharta niedergelegt und auch Erwägungsgrund 15 der Dublin-II-Verordnung
nimmt darauf Bezug.

14
     UNHCR, Note on International Protection, Juli 1999, A/AC.96/914, Nr. 10, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/ref
     world/docid/3ae68d98b.html; UNHCR, Provisional Comments on the Proposal for a Council Directive on Minimum
     Standards on Procedures in Member States for Granting and Withdrawing Refugee Status (Council Document
     14203/04, Asile 64, of 9 November 2004), Februar 2005 (im Folgenden zitiert als: UNHCR on the Proposal for the
     EU Asylum Procedures Directive (2005)), S. 37, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/refworld/rwm
     ain?docid=42492b302.
15
     Vgl. zum Ganzen: UNHCR, Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsbeschwerde
     2915/09, Februar 2010, abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/2_EU/2
     _EU-Asyl/B.01_Dubliner_Uebereinkommen/BVerfGStellungnFinal.pdf?PHPSESSID=ba9bcbe23c7ccc9b54d4ea23
     3e5404f5; siehe auch UNHCR, Note on International Protection, Juli 1999, A/AC.96/914, Nr. 10, siehe Fussnote
     14; UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005), S. 35, siehe Fussnote 14.
16
     Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
     Behandlung oder Strafe (im Folgenden zitiert als: Übereinkommen gegen Folter), Art. 3, in Kraft seit dem 26. Juni
     1987, ratifiziert durch die Schweiz am 2. Dezember 1986, SR 0.105, abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/i1
     /0.105.de.pdf.
17
     Vgl. UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 82 (XLVIII) über die Wahrung von Asyl, 1997, abrufbar unter:
     http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/317.pdf?PHPSESSID=39c70f1c5af40f3c998d5
     5a04aeb2fda; UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 85 (XLIX) zum internationalen Rechtsschutz, 1998, f),
     abrufbar unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/320.pdf?PHPSESSID=39c70f1
     c5af40f3c998d55a04aeb2fda; UNHCR, Erklärung der Vertragsstaaten des Abkommens über die Rechtsstellung
     der Flüchtlinge von 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) bzw. dessen Protokoll von 1967, März 2002, abrufbar
     unter: http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/1_International/1_Voelkerrechtliche_Dok
     umente/01_GFK/05_Erklaerung_der_GFK-Vertragsstaaten.pdf.

                                                                                                                     7
19.      Auch nach der Dublin-II-Verordnung darf ein Verweis auf den Drittstaat nur erfolgen,
wenn dieser „sicher“ ist (Art. 3 Abs. 3 Dublin-II-Verordnung). Eine weitergehende Regelung
könnte daher auch gegen die diesbezüglichen Verpflichtungen der Schweiz verstossen. Nach
Ansicht von UNHCR kann derzeit keiner der nicht am Dublin-System teilnehmenden Staaten
                                                                                     18
an den Grenzen des Dublin-Gebiets als sicher angesehen werden.

20.      UNHCR merkt an, dass die vorgeschlagenen Möglichkeiten zur Wegweisung in einen
Drittstaat unter Art. 31a Abs. 1 lit. c-e des Vorschlages zum Asylgesetz diesen Kriterien nicht
genügen und schlägt daher vor, diese zu streichen.

C.3. Verpflichtende Einzelfallprüfung des Refoulement-Verbots

21.        Es muss aber jedenfalls in allen Fällen gewährleistet sein, dass es durch eine
                                                                                      19
Überstellung nicht – direkt oder indirekt – zu Refoulement kommt.                          Die Einhaltung des Non-
Refoulement-Gebots nach Art. 33 Abs. 1 GFK erfordert, dass Flüchtlinge, und damit auch
                                                                                                       20
Asylsuchende bis zur endgültigen Entscheidung über ihren Flüchtlingsstatus,                                 vor jeder
Zurückweisung an einen Ort geschützt werden, an dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht
wäre. Es besteht zusätzlich nach Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot, wenn die Gefahr von
                                                                               21
Folter oder grausamer und unmenschlicher Behandlung droht.                          Dies schliesst auch die Nicht-
Zurückweisung in Staaten ein, die ihrerseits den Flüchtling an einen Ort an dem ihm diese
Gefahr droht, weiterschicken - sogenanntes indirektes Refoulement (auch „Kettenab-
schiebung“). In diesem Fall sind beide Staaten für die Einhaltung des Refoulement-Verbots
verantwortlich. Der Abschiebung in ein als sicher geltendes Land muss in jedem Fall eine
sorgfältige Abschätzung des Risikos für ein indirektes Refoulement vorausgehen.

22.        UNHCR ist daher besorgt, dass die entsprechende Schutzklausel des Art. 31a Abs. 2
des Vorschlags, die eine Einzelfallprüfung für Fälle vorsieht, in denen an einen sicheren
Drittstaat oder einen Dublin-Staat verwiesen werden soll, nicht anwendbar ist. Die Möglichkeit
ohne Einzelfallprüfung im Hinblick auf die Sicherheit einen Nichteintretensentscheid zu
erlassen, wie dies durch Art. 31a des Vorschlags ermöglicht wird, könnte möglicherweise zu
direktem oder indirektem Refoulement führen. Da die Sicherheit des möglichen direkten oder
                                                                                                            22
indirekten Zielstaates aus völkerrechtlicher Sicht immer im Einzelfall überprüfbar ist,                          würde

18
     Vgl. UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005), Seite 35, siehe Fussnote 14.
19
     UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 58 (XL) Bst. f) (i), siehe Fussnote 9; abrufbar unterUNHCR Summary
     Conclusions on Effective Protection (2003), Nr. 15 a),c), siehe Fussnote 11; vgl. zu direktem und indirektem
     Refoulement auch: UNHCR, Die Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ (2001), siehe Fussnote 11.
20
     Die formelle Flüchtlingsanerkennung für Personen, die unter die Definition des Flüchtlingsbegriffs nach Art. 1 der
     Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) fallen, ist nur deklaratorischer Natur.
21
     Zum impliziten Abschiebungsverbot: Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
     Grundfreiheiten (EMRK), Art. 3, in Kraft seit dem 3. September 1953, ratifiziert durch die Schweiz am 28.
     November 1974, SR 0.101, abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/i1/0.101.de.pdf; vgl. z.B. Europäischer
     Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Urteil vom 11.07.2000 (Jabari gg. Türkei), Beschwerde-Nr. 40035/98,
     abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3ae6b6dac.html.
22
     Vgl. die in Fussnote 11 und 15 genannten Dokumente und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
     Menschenrechte (EGMR); z.B. EGMR Urteil vom 5.02.2002 (Conka gg. Belgien), Beschwerde-Nr. 51564/99, Rn.
     75, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/3e71fdfb4.html; Urteil vom 2.12.2008 (K.R.S. gg.
     Vereinigtes Königreich), Beschwerde-Nr. 32733/08, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/country,,ECHR,
     ,IRN,,49476fd72,0.html; Urteil vom 11.07.2000 (Jabari gg. Türkei), Beschwerde-Nr. 40035/98, siehe Fussnote 21.

                                                                                                                     8
diese    Regelung    auch   gegen    die   sich   aus   dem    Refoulement-Verbot      ergebenden
Verpflichtungen der Schweiz verstossen.

C.4. Humanitäre Ausnahmen bei Nichteintretensentscheiden

23.      Der Umstand, dass sich der Asylsuchende in einem Drittstaat aufgehalten hat, in
welchem er hätte Asyl beantragen können, ist für sich noch kein ausreichender Grund dafür,
dass der Staat, unter dessen Rechtsprechung der Antrag eingereicht wurde, die materielle
Prüfung des Asylantrags verweigern und die Rückführung in den Drittstaat anordnen kann. Der
Übergang der Verantwortung für die Prüfung des Asylantrags von einem Staat auf einen
anderen sollte, wie oben dargelegt, nur in Fällen in Betracht gezogen werden, in denen der
Asylsuchende bedeutende Bindungen oder Beziehungen mit diesem anderen Staat hat.

24.      Daher bedauert UNHCR die Aufhebung der Bestimmung, dass in bestimmten Fällen
aus Gründen enger Beziehungen zur Schweiz oder des offensichtlichen Erfüllens der
Flüchtlingseigenschaft auf einen Nichteintretensentscheid zu verzichten ist, wie dies in lit. a
und b des aktuellen Art. 34 Abs. 3 AsylG vorgesehen ist. Eine bestehende Bindung ist ein
wichtiger Faktor, der die Migrationsentscheidung beeinflusst und kann sich auch positiv auf die
Integration auswirken. Sie sollte daher, wie oben schon erwähnt, soweit wie möglich
berücksichtigt werden. Die jetzige Regelung mit der es möglich ist, eine günstige
Integrationsprognose (z.B. auf Grund enger familiärer Beziehung) bei der Frage des möglichen
Eintretens auf ein Asylgesuch zu berücksichtigen, ist ein Beispiel der „Good Practice“ und ein
wichtiges Element der humanitären Tradition der Schweiz. UNHCR möchte für Dublin-
Verfahren im Lichte von Art. 15 der Dublin-II-Verordnung – der Situationen festhält, in denen
eine Übernahme des Verfahrens aus humanitären Gründen erfolgen sollte – vorschlagen, dass
eine enge Beziehung der asylsuchenden Person zur Schweiz ausdrücklich zu einer Situationen
erklärt werden sollte, in der im Regelfall ein Selbsteintritt durch die Schweiz erfolgt.

D. Reduzierung des materiellen Verfahrens auf rechtliches Gehör in bestimmten Fällen

25.      Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 36 Verfahren vor Entscheiden
1
    Bei Nichteintretensentscheiden nach Artikel 31a Absatz 1 wird der asylsuchenden Person
    das rechtliche Gehör gewährt. Dasselbe gilt, wenn die asylsuchende Person:
    a.   die Behörden über ihre Identität täuscht und diese Täuschung aufgrund der
    Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung oder anderer Beweismittel feststeht;
    b.   ihr Gesuch massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abstützt;
    c.   ihre Mitwirkungspflicht schuldhaft auf andere Weise grob verletzt.
2
    In den übrigen Fällen findet eine Anhörung nach Artikel 29 statt.

26.      Während UNHCR, wie bereits weiter oben erwähnt, die Aufhebung mehrerer
Nichteintretenstatbestände begrüsst, möchte es an dieser Stelle auf einen Punkt bezüglich der
Argumentation der Botschaft hinweisen. Es wird festgehalten, dass in Fällen von Täuschung
der Behörden über die Identität (Art. 32 Abs. 2 lit. b AsylG), von schuldhafter Verletzung der
Mitwirkungspflicht (Art. 32 Abs. 2 lit. c AsylG) oder von Einreichung gefälschter oder
verfälschter Beweismittel (Art. 32 Abs. 2 lit. b AsylG) „rasche materielle Entscheide mit einer

                                                                                                9
generell kürzeren Beschwerdefrist gefällt werden [sollen], [...] den Betroffenen ist lediglich das
                                                                           23
rechtliche Gehör zu gewähren (vgl. Art. 36 Abs. 1 E-AsylG)“.

27.         UNHCR vertritt klar die Position, dass asylsuchende Personen im Verfahren zur
Wahrheit verpflichtet sind. Macht eine Person jedoch unwahre Angaben, beispielsweise über
ihre Identität, kann sie durchaus trotzdem ein gerechtfertigtes Schutzbedürfnis haben, was in
einem       materiellen     Asylverfahren      geprüft     werden     muss.        Dies   wird   so     auch    vom
                                                                                                   24
Bundesverwaltungsgericht festgehalten und im erläuternden Bericht anerkannt.                            UNHCR ist
daher der Ansicht, dass es Fälle geben kann, in denen das rechtliche Gehör nicht ausreicht,
um       den    Sachverhalt      genügend       festzustellen,     damit        eine   Entscheidung      über   die
Flüchtlingseigenschaft getroffen werden kann. UNHCR regt daher an, dass in allen Fällen eine
Anhörung durchzuführen oder zumindest das rechtliche Gehör mündlich und umfassend zu
gewähren ist. Jedenfalls müssen aber alle zur Sachverhaltsfeststellung relevanten Punkte
abgedeckt werden. Auch dafür muss eine eingehende Prüfung des Schutzbedarfs erfolgen, die
aus Sicht von UNHCR bei einer vollen Anhörung und dem normalen Entscheidungsgang
besser gewährleistet wäre.

E. Effektiver Rechtsschutz

28.         Effektiver Rechtschutz ist sowohl in der Schweizer Bundesverfassung in Art. 29a BV
als auch in Art. 13 EMRK verankert und stellt einen der Grundpfeiler jeder demokratischen
Ordnung dar. Rechtsschutzfragen in Asylverfahren stellen sich dabei nicht erst nach einer
ablehnenden Entscheidung, sondern bereits bei der Beratung vor, während und nach der
Asylgesuchstellung.

E.1. Einführung          einer    Beitragsleistung        des     Bundes          an   die   Verfahrens-        und
        Chancenberatung und Aufhebung der Hilfswerkvertretung (HWV) bei Anhörungen

29.         Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 17 Absatz 4
4
     Der Bund sorgt für den Zugang zur Verfahrens- und Chancenberatung.

Artikel 30
Aufgehoben

Artikel 94 Sachüberschrift, Absatz 1, 2, und 3
Bundesbeiträge für die Verfahrens- und Chancenberatung

1
     Der Bund richtet Beiträge an Dritte für die Verfahrens- und Chancenberatung aus (Art. 17
     Abs. 4).

23
      Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Erläuternder Bericht zur Änderung des Asylgesetzes und
      des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer in Bezug auf den Ersatz von
      Nichteintretensentscheiden, Dezember 2009, S.12, abrufbar unter: http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/mi
      gration/rechtsgrundlagen/gesetzgebung/asylg-aug/ersatz-nee/vn-ber-d.pdf.
24
      EJPD, Erläuternder Bericht, S. 4: „Das Bundesverwaltungsgericht wies in seinem Entscheid vom 12. Juni 2009
      einen NEE ans BFM zur Neubeurteilung zurück, da ein NEE (Täuschung über die Identität) nicht ipso facto dazu
      führt, dass keine Asylgründe vorliegen. In diesem Fall musste das BFM das Gesuch materiell prüfen (ATAF D-
      3444/2009). Das CAT beurteilte in seinem Entscheid vom 26. November 2007, dass eine Rückkehr gestützt auf
      einen NEE wegen Papierlosigkeit das Übereinkommen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere
      grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe verletzt. Es begründete seinen Entscheid
      damit, dass die Schweiz das Asylgesuch nicht materiell geprüft, sondern in einem rein formellen Verfahren
      entschieden hatte.“ Siehe Fussnote 23.

                                                                                                                10
2
    Der Bundesrat legt die Höhe der pauschalen Beiträge und die Voraussetzungen für deren
    Ausrichtung fest.
3
    Die Ausrichtung der Beiträge erfolgt im Rahmen von öffentlich-rechtlichen Leistungsverträgen.

30.       UNHCR begrüsst grundsätzlich die Bemühungen, den Rechtsschutz für Asylsuchende
im Verfahren zu stärken und möchte gleichzeitig die Schweiz dringend dazu auffordern, die
Ausgestaltung und den Umfang der Verfahrens- und Chancenberatung weitergehend zu
erörtern und die Sicherung der Verfahrensrechte der betroffenen Personen durch das
vorgesehene System der Verfahrens- und Chancenberatung zu gewährleisten. Der
Änderungsvorschlag hat zum Ziel, die Effizienz und Qualität der Entscheide dadurch zu
erhöhen, dass es den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern erleichtert wird, die
Erfolgsaussichten realistisch einzuschätzen. Dazu ist es notwendig, dass alle Beteiligten
sowohl inhaltlich als auch sprachlich jeden Aspekt des Verfahrens verstehen. Hochwertiger
rechtlicher Beistand und Vertretung können helfen, frühzeitig zu identifizieren, welche
Personen internationalen Schutzes bedürfen. UNHCR hat bei seinen Gesprächen mit
Asylsuchenden unter anderem bei Besuchen in den Empfangs- und Verfahrenszentren im Jahr
2009 festgestellt, dass diese häufig kaum über Beratungsmöglichkeiten und andere den
Rechtschutz betreffende Fragen Bescheid wissen und das Verfahren nicht in ausreichendem
Masse verstehen, da eine solche Beratung und Erklärung häufig nur ungenügend gewährleistet
ist. UNHCR betont daher die Notwendigkeit von Sprachbeistand und rechtlicher Beratung.

31.       In diesem Kontext bedauert UNHCR, dass in der aktuellen Diskussion in der Schweiz
klar    gegen     einen   Rechtsanspruch    auf   unentgeltliche    Rechtspflege   zugunsten    von
Asylsuchenden Position bezogen wird und merkt an, dass das Recht auf rechtliche
Unterstützung und Vertretung ein wichtiger Schutzmechanismus ist, der insbesondere auf
Grund       der    Komplexität    des      Verfahrens   und        möglicher   kulturell   bedingter
Verständnisschwierigkeiten für die Asylsuchenden eine wichtige Bedeutung hat. Die
Regelungen sind häufig auch für spezialisierte Personen nicht ohne Weiteres verständlich.
Dies gilt insbesondere für die Zuständigkeitsregeln aber auch für das aus einer nicht-
juristischen Sicht schwer verständliche System von Asyl und vorläufiger Aufnahme, sowie für
die Vielzahl unterschiedlicher kantonaler Regelungen und Besonderheiten im Bereich der
Aufnahme und der Beratung von Asylsuchenden.

32.       Zudem ist UNHCR der Ansicht, dass bei Wegfall der Hilfswerksvertretung zusätzliche
Absicherungen für die Anhörungssituation notwendig werden könnten. Unter anderem um
entsprechende Beschwerden beim Gericht zu vermeiden, regt UNHCR an, die Auswirkungen
der Abwesenheit der Hilfswerkvertretung durch geeignete Massnahmen, wie zum Beispiel die
Installation von Tonbandaufnahmen während der Anhörungen, zu minimieren.

E.2 Verkürzung der Beschwerdefrist im materiellen Verfahren

33.       Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 108
1
    Die Beschwerde ist innerhalb von fünfzehn Tagen, die Beschwerde gegen Zwi-
    schenverfügungen innerhalb von zehn Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen.
2
    Die Beschwerdefrist beträgt bei Entscheiden nach Artikel 23 Absatz 1, nach Artikel 111b und
    bei Nichteintretensentscheiden fünf Arbeitstage.

                                                                                                 11
Artikel 110 Absatz 1
Die Nachfrist für die Verbesserung der Beschwerde beträgt zehn Tage, bei Beschwerden
gegen Nichteintretensentscheide und Entscheide nach Artikel 23 Absatz 1 sowie Verfügungen
nach Artikel 111b drei Tage.

34.         In den meisten europäischen Ländern besteht rechtlich oder zumindest praktisch die
Möglichkeit, bis zur mündlichen Verhandlung im Gerichtsverfahren noch neue Tatsachen
                                                             25
und/oder rechtliche Argumente vorzubringen.                       Eine mögliche Gefährdung des effektiven
Rechtschutzes sieht UNHCR auch in der Verkürzung der Beschwerdefrist im materiellen
Verfahren. In dieser Hinsicht ist es eine Besonderheit des Schweizer Asylsystems, dass das
Gericht, das zudem die einzige Beschwerdeinstanz ist, ohne mündliche Verhandlung oder
Anhörung der betroffenen Person entscheidet. Das Asylrecht weicht damit auch von der
üblichen Praxis im Schweizer Recht ab, betroffene Personen vor Gericht zu hören. Durch diese
Sondersituation kommt der Frist zur Einreichung der Beschwerde und deren Nachbesserung
eine ganz andere Bedeutung zu als in anderen Ländern, in denen Nachbesserungen und
weitere Argumente meist bis zur mündlichen Verhandlung vorgebracht werden können und
damit eine zum Teil erheblich längere Zeit zur Begründung der Beschwerde zur Verfügung
steht. Dies gilt auch dann, wenn sich die Beschwerdefristen und Nachbesserungsfristen formal
                                                                           26
nicht von denen des Änderungsvorschlages unterscheiden.

35.         Eine Verkürzung der bestehenden Fristen würde daher einen erheblichen Eingriff in die
Verfahrensrechte der betroffenen Personen darstellen. UNHCR empfiehlt der Schweiz daher
auf diesen Vorschlag zu verzichten. UNHCR ist darüber hinaus besorgt, dass - in Abweichung
von der allgemeinen europäischen Praxis – Gerichtsentscheide in Asylverfahren in der Regel
ohne mündliche Verhandlung getroffen werden. Dies erscheint insbesondere im stark von
Glaubwürdigkeitsfragen dominierten Asylverfahren als schwierig. UNHCR regt daher an, im
Asylbereich neu eine klare Präferenz für mündliche Verhandlungen in Beschwerdeverfahren zu
regeln und damit die schweizerischen Beschwerdeverfahren an den europäischen Standard
anzugleichen.

E.3 Vereinfachung des Asylverfahrens bei Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen

36.         Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 111b (neu) Wiedererwägung
1
     Das Wiedererwägungsgesuch ist dem Bundesamt innert 90 Tagen nach Entdeckung des
     Wiedererwägungsgrundes schriftlich und begründet einzureichen. Im Übrigen richtet sich das
     Verfahren nach den Artikeln 66–68 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das
     Verwaltungsverfahren.

25
      Vgl. z.B. das deutsche Asylverfahrensgesetz, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/asylvfg_1992/index
      .html, in dem eine Frist für die Beschwerdebegründung von einem Monat vorgesehen ist (§ 74 Abs. 2 Satz 1
      AsylVfG), späteres Vorbringen aber nur dann zurückgewiesen werden darf, „wenn 1) ihre Zulassung nach der
      freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und 2) der Beteiligte die
      Verspätung nicht genügend entschuldigt und 3) der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt
      worden ist.“ (§ 87b Abs. 3 der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung, der über § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG für
      Asylverfahren gilt).
26
      In Staaten, die nach dem Common Law System arbeiten, wie z.B. Irland, Malta, das Vereinigte Königreich und
      Zypern, ist die mündliche Anhörung durch das Gericht sogar das bedeutsamste Ereignis des gesamten
      Beschwerdeverfahrens. Es wird berichtet, dass insbesondere im Vereinigten Königreich die vorher eingereichten
      schriftlichen Ausführungen nur eine untergeordnete Rolle spielen.

                                                                                                                    12
2
     Nichteintretensentscheide sind in der Regel innerhalb von fünf Arbeitstagen nach der
     Einreichung eines Wiedererwägungsgesuches zu treffen. In den übrigen Fällen sind die
     Entscheide in der Regel innerhalb von zehn Arbeitstagen nach der Gesuchstellung zu treffen.
3
     Die Einreichung eines Wiedererwägungsgesuches hemmt den Vollzug nicht, es sei denn, die
     für die Behandlung zuständige Behörde entscheide anders.

Artikel 111c (neu) Mehrfachgesuche
Bei Asylgesuchen, die innert fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des Asyl – und
Wegweisungsentscheides eingereicht werden, erfolgt die Eingabe schriftlich und begründet.
Die Nichteintretensgründe nach Artikel 31a Absätze 1–3 finden Anwendung.

37.         UNHCR bedauert, dass der Entwurf des Art. 111b und c AsylG für alle
Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuche die gleiche Behandlung vorsieht, ungeachtet der
speziellen Natur des Einzelfalles und ohne angemessen zu berücksichtigen, ob das Gesuch
(möglicherweise) begründet oder offensichtlich unbegründet ist Zudem können die neu
eingeführten       Anforderungen       an   ein    schriftliches   und    substantiiertes     Gesuch    den
Verfahrenszugang untergraben, beispielsweise in Fällen, in denen der Asylsuchende ausser
Stande ist, selbst ein schriftliches Gesuch zu stellen sowie keinen Zugang zu juristischem
Beistand hat.

38.         Unabhängig vom vorliegenden Änderungsentwurf empfiehlt UNHCR, wie bereits in
                                                                                     27
seiner Stellungnahme zur Teilrevision des Asylgesetzes vom Mai 2007,                       dem Problem der
Mehrfachgesuche mittels Einführung eines beschleunigten Verfahrens für offensichtlich
unbegründete Gesuche zu begegnen. Diese Sichtweise basiert auf dem Beschluss des
Exekutivkomitees betreffend “Das Problem der offensichtlich unbegründeten oder miss-
                                                                                      28
bräuchlichen Anträge auf Anerkennung als Flüchtling oder Asylgewährung”.

39.         Eine weitere Rechtsschutzlücke kann sich nach Ansicht von UNHCR durch die
Festlegung auf ein schriftliches Verfahren bei Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuchen
ergeben. Zumindest bei Wiedererwägungsgesuchen, die substantielle neue Fakten enthalten
und bei Mehrfachgesuchen, die nach einer Ausreise ins Herkunftsland erfolgen, sollte eine
persönliche Anhörung des gesuchstellenden Person aus Sicht von UNHCR schon deshalb
erfolgen, um den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens zu wahren.

40.         Eine solche Verfahrensweise sollte auf eine im Schweizer Recht bisher nicht explizit
vorgesehene Vorprüfung der Erheblichkeit der Tatsachen beschränkt bleiben. Gemäss der
Auffassung von UNHCR sollte allenfalls die genannte Vorprüfung einem Verfahren mit
                                                     29
vereinfachter Prüfung unterzogen werden.                  Aus diesen Gründen sollte das schriftliche
Verfahren nicht als Regelfall für Wiedererwägungs- und Mehrfachgesuche eingeführt werden.
UNHCR empfiehlt daher den Vorschlag entsprechend anzupassen.

27
      Siehe UNHCR, Stellungnahme zur Teilrevision des Asylgesetzes, Mai 2007, verfügbar unter:
      http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/6_Schweiz/6.3_CH-UNHCR-
      Positionen/2007_Mai_UNHCR_Stellungnahme_AsylG_Teilrevision_2_1_.pdf.
28
      UNHCR-Exekutivkomitee, Beschluss Nr. 30 (XXXIV) über das Problem der offensichtlich unbegründeten oder
      missbräuchlichen Anträge auf Anerkennung als Flüchtling oder Asylgewährung, verfügbar unter:
      http://www.unhcr.ch/include/fckeditor/custom/File/263(1).pdf.
29
      UNHCR on the Proposal for the EU Asylum Procedures Directive (2005), S. 43 und 45, siehe Fussnote 14.

                                                                                                         13
F. Strafrechtliche Sanktionierung der Förderung und Ausübung einer nachträglichen
       politischen Tätigkeit in der Schweiz zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft
       (Art. 115, 116 AsylG)

41.        Der Vorschlag sieht vor, das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 wie folgt zu ändern:
Artikel 115 Buchstabe b (neu)
Mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen wird bestraft, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe
bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches vorliegt, wer:

d. in der Absicht, sich zu bereichern, zu einer Straftat im Sinne von Art. 116 Buchstabe c Hilfe
     geleistet hat, insbesondere durch Planung oder Organisation.

Artikel 116 Buchstaben c und d (neu)
Mit Busse wird bestraft, sofern nicht ein Tatbestand von Artikel 115 vorliegt, wer:

c. als asylsuchende Person einzig mit der Absicht, subjektive Nachfluchtsgründe im Sinne von
     Artikel 54 zu schaffen, öffentliche politische Tätigkeiten in der Schweiz entfaltet;
d. zu einer Straftat im Sinne von Buchstabe c Hilfe geleistet hat, insbesondere durch Planung
     und Organisation.

42.        Es kann Fälle geben, in denen eine Person, die anderenfalls keine begründete Furcht
vor Verfolgung hätte, ausserhalb ihres Herkunftslands Handlungen unternimmt, die allein dem
Zweck der „Schaffung“ eines Asylanspruchs dienen. UNHCR erkennt an, dass die Bewertung
der Begründetheit solcher Ansprüche den Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bereiten kann und
UNHCR stimmt mit den Staaten überein, dass diese Praxis der Glaubwürdigkeit der
Asylsysteme schadet. Eine strafrechtliche Sanktionierung scheint aber bereits mit den
Prinzipien der Meinungsäusserungsfreiheit, wie sie auch in Art. 16 BV sowie Art. 10 und 16
EMRK verankert sind, nicht vereinbar zu sein. Dies wird auch in der Botschaft angesprochen
und verdiente grössere Aufmerksamkeit, da ein Verstoss gegen die Bundesverfassung
vorliegen könnte. Der Hinweis des Bundesrates „nicht missbräuchliche“ Aktivitäten seien
erlaubt, erscheint in diesem Fall nicht hinreichend, um die in Frage stehenden Grundrechte
                                       30
entsprechend einzuschränken.                 Die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit ist
generell umfassend gewährleistet. Eine Einschränkung ist rechtlich nur möglich, wenn dies „in
                                                            31
einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist.

43.        Zudem erscheint es UNHCR nicht angebracht, sollte doch - wie in jedem anderen Fall -
auch in dieser Situation geprüft werden, ob die Kriterien der Flüchtlingsdefinition tatsächlich
erfüllt sind, wenn alle massgeblichen anspruchsbezogenen Tatsachen berücksichtigt werden.
Es gibt keinen logischen oder empirischen Zusammenhang zwischen der Begründetheit der
Furcht vor Verfolgung oder vor Erleidung eines ernsthaften Schadens und der Tatsache, dass
Personen möglicherweise Handlungen unternommen haben, mit denen sie die Schaffung eines
                                      32
Asylanspruchs beabsichtigten.               Mit vorliegendem Artikel besteht darüber hinaus die Gefahr

30
     Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Asylgesetzes vom 26. Mai 2010, S. 20.
31
     Vgl. BGE 96 I 592 und EGMR Urteil vom 7.12.1976 (Handyside gg. Vereinigtes Königreich), Beschwerde-Nr.:
     5493/72, verfügbar unter: http://www.eugrz.info/pdf/EGMR26.pdf; Siehe auch Denis Barrelet, Kommunikations-
     grundrechte, in: Daniel Thürer et. al. (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, § 45, S. 723ff. und Andreas
     Kley/Esther Tophinke, Art. 16, in: Bernhard Ehrenzeller et. al. (Hrsg.), Die Schweizerische Bundesverfassung.
32
     UNHCR, Kommentar des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Richtlinie
     2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
     Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen
     Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (OJ L 304/12 vom 30.9.2004), verfügbar

                                                                                                               14
der       Schaffung       eines     Generalmissbrauchsverdachts             bei    politischer     Betätigung      von
Asylsuchenden in der Schweiz. Eine strafrechtliche Sanktionierung erscheint des Weiteren
nicht geeignet oben genanntes Problem anzugehen, da der Nachweis des notwendigen
Vorsatzes regelmässig kaum gelingen dürfte und die Frage der Verhältnismässigkeit der
Bestrafung solcher Aktivitäten auch noch nicht zufriedenstellend beantwortet ist. Zudem würde
der       gesamte      Komplex       weitere     komplizierte     Verfahren       nach    sich   ziehen,     die   der
Verfahrenseffizienz nicht dienlich sein dürften.

G. Nachweispflicht bei Unzumutbarkeit der Weg- oder Ausweisung und Bezeichnung
        von Staaten, in die der Weg- oder Ausweisungsvollzug zumutbar ist (früher
        Art. 83 Abs. 5 ff. AuG)

44.          Der Vorschlag sieht vor, das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer
             vom 16. Dezember 2005 wie folgt zu ändern:
Artikel 83 Absatz 5 (neu) und Absatz 5bis (neu)
5
        Der Bundesrat kann Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Gebiete dieser Staaten
        bezeichnen, in welche eine Rückkehr zumutbar ist. Kommen weg- oder ausgewiesene
        Ausländerinnen und Ausländer aus einem dieser Staaten, so wird vermutet, dass der
        Vollzug der Weg- oder Ausweisung zumutbar ist.
5bis
        Der Bundesrat überprüft den Beschluss nach Absatz 5 periodisch.

45.          UNHCR begrüsst, dass das verwaltungs- und flüchtlingsrechtliche Prinzip der
Mitwirkungspflicht durch die Botschaft dahingehend bestärkt wird, dass im vorliegenden
Vorschlag von einer Beweislastumkehr, wie sie im früheren Vorschlag in Art. 83 Abs. 5
enthalten war, abgesehen wurde und die Untersuchungsmaxime des Staates bestätigt wurde.

H. Zusammenfassung

46.          Im Lichte der Analyse welche in dieser Stellungnahme vorgenommen und erläutert
wurde, zieht UNHCR nachfolgendes Fazit zu den vorgeschlagenen Änderungen des
Asylgesetzes:

47           UNHCR begrüsst, dass die Schweiz plant, das System der Nichteintretensentscheide
zu vereinfachen und in allen Fällen, in denen nicht die Zuständigkeit der Schweiz in Frage
steht, auch ein materielles Verfahren durchzuführen. Auch das Nichtfesthalten an der früher
vorgeschlagenen Nachweispflicht für die Unzumutbarkeit der Wegweisung in bestimmten
Fällen wird ausdrücklich begrüsst. Zudem möchte UNHCR das Bestreben einer Stärkung des
Rechtsschutzes für die betroffenen Personen ausdrücklich unterstützen.

48.          Trotzdem besteht aus Sicht von UNHCR an einigen Punkten auch noch
Nachbesserungsbedarf. Diese betreffen unter anderem die Klausel zur Wehrdienst-
verweigerung und das Botschaftsverfahren, die Abgrenzung zwischen Zulässigkeitsfragen und
einer        materiellen      Prüfung      des     Asylgesuchs        wie     auch       spezifische    Punkte      zu
Nichteintretensentscheiden, sowie verschiedene Punkte welche im Zusammenhang mit der
Gewährleistung effektiven Rechtschutzes stehen.

       unter:                              http://www.unhcr.ch/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/2_EU/2_EU-
       Asyl/B.03_Qualifikationsrichtlinie/B.3.01a.HCRQualDir0105-de.pdf.

                                                                                                                    15
49.       UNHCR empfiehlt auf die Änderung beim Flüchtlingsbegriff (Art. 3 Abs. 3 des
Vorschlags zum Asylgesetz), die unter anderem regional und international einen Alleingang
darstellen würde zu verzichten, da die bisherige Regelung, die den Asylbegriff enthält besser
den internationalen Vorgaben entspricht und eine Änderung angesichts der laut Botschaft nicht
geplanten Praxisänderung die Gefahr einer Rechtsunsicherheit birgt, die möglicherweise
negative Auswirkungen auf die Feststellung des Schutzbedarfs im Einzelfall haben könnte.

50.       UNHCR regt an, die Abschaffung des Botschaftsverfahrens nochmals zu überdenken,
da dies eine Möglichkeit darstellt, gefährliche Fluchtwege und Schlepper zu vermeiden. Das
Verfahren stellt ein Vorbild für geschützte Einreiseverfahren dar und entspricht zudem der
humanitären Tradition der Schweiz (Art. 19 und 20 des Vorschlags).

51.       UNHCR merkt an, dass das System der Nichteintretensentscheide noch nicht
vollständig an die rechtlichen Regelungen und praktischen Erfordernisse des Dublin-
Verfahrens angepasst zu sein scheint. Es werden zudem nicht an allen Stellen die
Zulässigkeitsfragen strikt von den materiellen Fragen getrennt, was zu einer verminderten
Effizienz der Verfahren führen könnte. Dies betrifft vor allem die Gesuche, die „ausschliesslich
aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen“ eingereicht werden (Art. 31a Abs. 3 des
Vorschlags).

52.       Im Hinblick auf die Einhaltung des Refoulement-Verbots, ist es aus Sicht von UNHCR
notwendig, die Regelung, die bisher eine Einzelfallprüfung einer allfälligen Refoulement-Gefahr
nur in bestimmten Nichteintretensfällen garantiert, auf die Fälle sicherer Drittstaaten und die
Dublin-Fälle auszuweiten, um somit die Völkerrechtskonformität des schweizerischen
Asylsystems in diesem Bereich zu garantieren (Art. 31a Abs. 1 Bst. a) und b) und Abs. 2 des
Vorschlags).

53.       UNHCR schlägt zudem vor, auf die Möglichkeit des Nichteintretens bei einer möglichen
Wegweisung in andere, nicht unbedingt sichere Drittstaaten ganz zu verzichten (Art. 31a Abs.
1 Bst. c), d) und e) des Vorschlags), da in diesem Bereich die für eine Übertragung der
Zuständigkeit für die inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs erforderlichen Schutzmechanismen
nicht vorhanden sind. Zudem scheint es, dass diese Regelungen auch gegen internationales
Recht und Europarecht verstossen.

54.       Im Kontext der Prüfung der Wegweisung in einen Dritt- oder Dublin-Staat regt UNHCR
weiter an, eine humanitäre Herangehensweise an diese Fälle sicherzustellen, indem zum
Beispiel bei unbegleiteten Minderjährigen und Asylgesuchstellern mit Familie in der Schweiz
eine Möglichkeit für den Zugang zum Asylverfahren in der Schweiz geschaffen bzw.
beibehalten wird (entsprechend dem heutigen Art. 34 Abs. 3 AsylG).

55.       UNHCR rät der Schweiz, effektiven Rechtsschutz unter anderem durch ein System
rechtlicher Beratung und Vertretung zu garantieren, mit dem die Effizienz der Verfahren erhöht
und gleichzeitig sichergestellt wird, dass bestehende Schutzbedürfnisse nicht übersehen
werden.

56.       In diesem Kontext ist es zur Gewährleistung des umfassenden Rechts der betroffenen
Person gehört zu werden aus Sicht von UNHCR erforderlich, einen klaren Fokus auf die
Anhörung der betroffenen Person zu legen. Dies sollte bei Verfahren, die Wiedererwägungs-

                                                                                             16
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