Architektur, Kunst und Landschaft
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Architektur, Kunst
und Landschaft
76 ColorFoto 12/2020 Fotos: Klaus F. Linscheid
Eine fotografische Reise zu eleganten Brückenbauwerken und
zu stillen Örtchen. Eines ist gewiss: Reisepromotion hat Nor
wegen nicht nötig. Das Land der tief eingeschnittenen Fjorde,
der schroffen Berge und beeindruckenden Gletscher ist unter
Naturliebhabern wohlbekannt. Wir wollen uns im Folgenden
aber auch ein Land erschließen, in dem kreativer Architektur
viel Raum gegeben wird. Dadurch kommen nicht nur Natur-
und Tierfotografen auf ihre Kosten, sondern auch Menschen,
die ausgefallene Designs lieben.
ColorFoto 12/2020 77
Was schaut man sich an in einem Land wert sind. Was für den Norwegen- hin zu größeren Rastanlagen mit WC
mit derart üppigen Naturschönheiten? Neuling zuerst eher merkwürdig klingt, sowie Ver- und Entsorgungsmöglich-
Eine Hilfestellung gibt der norwegische folgt einer überzeugenden Strategie: keiten für Reisemobile.
Tourismusverband. Seit 1994 existiert Jeder dieser Viewpoints verbindet Ar- Besonders spektakulär wird es, wenn –
das Projekt „Nasjonale Turistvegen“ mit chitektur, Design und Gestaltung in vor allem in den letzten Jahren – Rast-
Landschaftsrouten oder Ferienstraßen. einzigartiger Weise mit der Natur. anlagen auch für menschliche Bedürf-
Auf der Gesamtlänge von über 2000 km Es sind meist junge norwegische Ar- nisse so inszeniert werden, dass sie im
führen 18 sorgfältig ausgewählte Stre- chitekturbüros, die hier ihrer Kreativi- Gedächtnis bleiben. Während ein WC
cken durch grandiose Landschaften tät freien Lauf lassen können. Mal ord- in der Regel ein Ort ist, den man so
und sorgen dafür, dass sich Touristen net sich die Architektur der Natur schnell wie möglich wieder verlassen
ein umfassendes Bild von der abwechs- vollkommen unter und ist kaum wahr- möchte, legt man in Norwegen Wert
lungsreichen Natur machen können. nehmbar, ein anderes Mal behauptet auf das ganzheitliche Erlebnis. Das
Entlang dieser Routen gibt es viele sie sich selbstbewusst daneben, auf basiert nicht allein auf der Sauberkeit
spektakuläre Aussichtspunkte oder Augenhöhe sozusagen. Die Größe der des Orts. Es ist vor allem der Ort selbst,
WC- und Rastanlagen, die allein schon Anlagen variiert. Angefangen von der den Besucher verblüfft. Du betrittst
wegen ihrer Architektur einen Besuch Wegen, Treppen oder Sitzmöbeln bis einen Toilettenraum und wirst emp
78 ColorFoto 12/2020
Rastplatz
Skjervsfossen
fangen wie ein König. Der „Thron“ ist In kleinen Räumen zu
so platziert, dass du in die Landschaft fotografieren, erfordert
hinausschauen kannst. Du blickst auf manchmal ein wenig
Akrobatik. Um sowohl
einen kleinen Bach, der gemächlich die WC-Schüssel als
neben dem Häuschen entlangfließt, auch das schicke Bo-
oder beobachtest durch eine große denfenster ins Bild zu
bekommen, halfen das
Glasfläche die Schafe beim Grasen.
17-mm-Shiftobjektiv
Mal ganz ehrlich: Ich habe noch nie so und eine bodennahe
königlich meine Geschäfte verrichtet, Position. Aus drei Auf-
wie in Norwegen. nahmen wurde ein
HDR-Bild berechnet,
das sowohl den Innen-
Rastplatz Skjervsfossen
raum als auch die
(Landschaftsroute Hardanger) Landschaft sichtbar
macht.
Oberhalb des Wasserfalls Skjervsfossen
befinden sich ein Parkplatz und ein
monolithisches WC-Gebäude, das mit
Rastplatz
Bukkekjerka
Die Herausforderung
bei diesem Bild war,
den richtigen Stand-
punkt zu finden. Es
sollte einerseits die
Kantigkeit der Beton
flächen betont, aber
auch die Spiegelung
der Fassade illustriert
werden. Man muss
schon zweimal hin-
schauen, um zu er-
kennen, wo das
Gebäude aufhört
und was tatsächlich
zur Landschaft
gehört. Dass die
Dunststreifen am
Himmel exakt die
gleiche Richtung wie Glasfassade der Toilette
das Dach haben, Auf der gegenüberliegenden Seite ist das Gebäude vollflächig verglast.
war natürlich Glück! Der Kontrast zwischen dem schroffen Beton und der die Landschaft
widerspiegelnden Glasfläche macht den Reiz dieser Architektur aus.
ColorFoto 12/2020 79
Storseisund-
Natursteinplatten verkleidet ist. Weder Wer sich vor der Weiterfahrt noch ein- bzw. Stein) kennzeichnen die Vesterå-
Brücke
(Atlantikstraße) der Wasserfall noch die Besonderheit mal erleichtern möchte, wird staunen, len-Insel Andøya, die rund 300 km
Die 200-mm-Brenn- der beiden WCs erschließen sich dem wenn er die Tür zu den Toiletten öffnet. nördlich des Polarkreises liegt. Hier an
weite unterstützt die Besucher auf den ersten Blick. Um den Durch ein L-förmiges Fenster in Wand der Küste brandet das Meer unter Um-
Absicht der Bildver-
dichtung. So entsteht Wasserfall zu entdecken, geht man auf und Boden (!) gleitet der Blick hinaus ständen heftig ans Ufer, und der Wind
fast der Eindruck, die einem angelegten Weg die Anhöhe hi- auf ein kleines Bächlein. Diese Seite kann sich schon einmal zur steifen Bri-
Autos würden hinter
nunter. Je nach Jahreszeit und Wasser- des Rastplatzes ist nicht einsehbar, da- se erheben. Es gibt jedoch auch kleine
dem Scheitelpunkt
der Brücke ins Was- menge, die hier 150 Meter im freien rum kann man hier völlig ungestört Buchten mit schmalen Sandstränden,
ser stürzen. Fall hinunterstürzt, ist das während der Sitzung hinausschauen. an denen es sich bei schönem Wetter
Tosen der Wassermassen schon zu gut baden lässt. Die Küstenstraße
Rastplatz Bukkekjerka
hören, bevor der Fall selber sichtbar Fv974 ist bei Touristen sehr beliebt, weil
(Landschaftsroute Andøya)
wird. Am unteren Ende führt der Weg sie häufig den Blick aufs offene Meer
bis dicht an das Wasser heran, sodass Schroffe und kantige Felsen (der Name preisgibt.
man hier sogar eine kleine „Dusche“ dieses Rastplatzes stammt aus der sa- Genau hier erwartet den Reisenden
nehmen kann. mischen Sprache und bedeutet Kluft seit zwei Jahren ein kleiner, aber spek-
takulärer Parkplatz. Die WC-Anlage
und die daran angrenzenden Sitz
Bergsøysund-Brücke möglichkeiten sind aus verkanteten
Das Besondere an dieser Brücke ist, dass sie auf schwimmenden Pontons ruht. Die müssen im Bild natür-
lich zu sehen sein. Die Biegung des Bauwerks wurde so ins Bild gesetzt, dass sie in Blickrichtung von links Betonflächen geformt, die sich selbst-
nach rechts verläuft. Interessant sind auch die verschiedenen Blautöne der Lackierung. bewusst gegenüber dem Felsgestein
behaupten. Auf der dem Meer abge-
wandten Seite besteht die Oberfläche
des Toilettenhäuschens aus poliertem
und säurefestem Stahl, in dem sich die
gegenüberliegende Landschaft spiegelt.
Im Inneren sorgt ebenfalls polierter
Stahl für eine klinisch-reine Atmo-
sphäre. Der Ausblick in die Landschaft
und aufs Meer erfolgt durch ein ge
bäudehohes Spiegelglas, durch das
man zwar hinaus- aber nicht hinein
blicken kann. Besonders in der Dämme-
rung ergibt sich dadurch ein beinahe
surrealer Eindruck.
Brücken
Die norwegischen Landschaftsrouten
wären nicht denkbar ohne drei weitere
strategisch wichtige Komponenten:
Tunnel, Brücken und Fähren. In einem
derart durch Wasserwege zerklüfteten
80 ColorFoto 12/2020
Helgeland-
Brücke
Brücken lassen sich
auf verschiedene
Weise fotografisch
inszenieren. Mit der
Totale erfasst man
das Wesentliche
des Bauwerks, seine
Konstruktion und die
Position in der Land-
schaft.
Land muss man sich etwas einfallen
lassen, damit Reisende mit dem Auto
von A nach B kommen.
Die Bauwerke müssen mit der Natur
harmonieren. Das gilt auch für Nor
wegens Brücken. Nie sind sie einfache
Zweckbauwerke. Ihre Eleganz und ihre
grazile Gestalt tragen entscheidend Fähre fahren
Die Überfahrt mit
dazu bei, dass sie nicht nur ein will- einer Fähre ist in
kommener „Brückenschlag“, sondern Norwegen immer ein
sogar ein Augenschmaus sind. Erlebnis. Dieses Bild
entstand Mitte Juli
Die 725 Meter lange Helgeland-Brücke gegen 22 Uhr bei der
ist eine sogenannte Schrägkabelbrücke. Überfahrt von Däne-
mark nach Norwegen.
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Sie überquert etwa auf der Höhe des Polarkreises den Leirfjord. Während Hängebrücken in der Regel genügend Raum unter sich lassen, dass auch größere Schiffe darunter hin- durchfahren können, handelt es sich bei der Bergsøysund-Brücke um eine gekrümmte Schwimmbrücke. Sie ruht auf sieben schwimmenden Pontons und kann Tidenschwankungen von vier Metern ausgleichen. Der Brückenbau hat in Norwegen eine lange Tradition. Die Steinbrücke in Hauske stammt aus dem Jahr 1905. Sie ist trocken gemauert und vermittelt einen guten Eindruck davon, wie Naturstein brücken zu jener Zeit konstruiert wur- den. Nach Fertigstellung der Funda- mente baute man ein hölzernes Gerüst, auf dem anschließend die sorgsam be- hauenen Steine aufgelegt wurden. Der Schlussstein in der Mitte sorgt dafür, dass die Brücke lediglich von ihrem Ei- gengewicht zusammengehalten wird (Foto rechts). Klaus. F. Linscheid 82 ColorFoto 12/2020
„Seidiges Wasser“
Dieser kleine „Wasserfall“ zeigt anschaulich, was Künstliche Intelligenz in
Smartphones mittlerweile zu leisten vermag. Im Huawei P30 Pro gibt es die
Funktion „Lichtmalerei | Seidiges Wasser“. Sie imitiert einen Graufilter, so-
The Twist dass eine lange Belichtung möglich ist. Die Kamera muss dazu zwar mög-
Eine gänzlich andere
lichst ruhig gehalten werden, ein Stativ ist aber nicht erforderlich. In diesem
Art von Brücke ist
Fall betrug die Belichtungszeit 13 Sekunden. Alles, was sich nicht bewegt,
die neue Attraktion
im Skulpturenpark wird scharf abgebildet. Das fließende Wasser erscheint hingegen seidig weich.
in Kistefos: „The Auch ziehende Wolken lassen sich so hervorragend weichzeichnen.
Twist“ beherbergt
ein Kunstmuseum,
das sich elegant
über den Fluss
schwingt.
ColorFoto 12/2020 83
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