Architektur als olympische Disziplin - Baublatt
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Bild: IOC / Luca Delachaux Wellenförmig und lichtdurchflutet: Neubau IOC-Hauptsitz in Lausanne Architektur als olympische Disziplin Der neue Verwaltungssitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das Maison olympique aus der Feder der dänisch-schweizerischen Architektengemeinschaft 3XN und Itten + Brechbühl AG, gliedert sich in zahlreiche Rundungen und Windungen. Das neue, grössere und energieeffizientere IOC-Hauptquartier soll bis zu 600 Mitarbeitenden Platz bieten und auch im täglichen Betrieb nachhaltig sein. Als Erstes fällt aber die kühne Architektur der «olympischen Welle» ins Auge. Von Nathalie Montes
PRAXIS S eit gut 100 Jahren hat das Internationale metrie inspiriert, was ihre Umsetzung besonders nen, fügt die Ingenieurin an. Doch der Brand- Olympische Komitee (IOC) seinen Sitz in komplex macht. «Das 17 Meter hohe Gebäude, schutz war nicht die einzige Knacknuss des Pro- Lausanne. Nun hat es 200 Millionen Fran- das sich in zahlreichen Windungen dahinschlän- jekts. Auch die spektakuläre Innentreppe, eine ken in einen Neubau investiert und damit Lau- gelt, besteht aus einem rundum laufenden Stahl- jener monumentalen Skulpturen, für die das sannes Position als olympische Hauptstadt be- tragwerk. Drei verschiedene Stützen kommen an Architekturbüro 3XN mittlerweile bekannt ist, stätigt. Bevor die Bauarbeiten für den neuen der Fassade zum Einsatz: Rechteckhohlprofile, stellte hohe Anforderungen an die Ingenieure. Hauptsitz beginnen konnten, musste das alte betongefüllte Profile für den Brandschutz und IOC-Verwaltungsgebäude rückgebaut werden. schliesslich als Besonderheit rund zehn Stahlvoll- Statische Herausforderung Treppe 95 Prozent der Baustoffe wurden dabei wieder- profile, deren Kanten so geschliffen wurden, dass Die dänischen Architekten, die für so ausser- verwertet. Ende 2016 fiel schliesslich der Start- sie dieselbe Geometrie wie die anderen Profile gewöhnliche Kreationen wie die UN City in Ko- schuss für den Neubau an der Route de Vidy aufweisen», erklärt Verena Pierret, Bauingenieu- penhagen, das Museum of Liverpool und den am Genfersee. Das Projekt für das neue Maison rin beim Büro Ingeni, das mit der Tragwerks- und SwedBank-Hauptsitz in Sundbyberg bekannt sind, olympique, das von der Jury eines internationa- Brandschutzplanung beauftragt wurde. «Für das haben auch für den IOC-Hauptsitz eine ausgefal- len Architekturwettbewerbs einstimmig zum Sie- Stahltragwerk waren eingehende Berechnungen lene Konstruktion entworfen: eine Treppe, die den ger erkoren wurde, spiegelt mit seinen bewegten des Feuerwiderstands notwendig. Da die Stützen Gesetzen der Physik zu trotzen scheint. Sie gleicht Fassaden die Dynamik des Sports wider. Neben auf Wunsch des Bauherrn sichtbar bleiben soll- den fünf olympischen Ringen, die in einer ellip- den sehr hochgesteckten Nachhaltigkeitszielen ten, ohne Brandschutzverkleidung oder -anstrich, tischen Bewegung ineinander verschlungen besticht der neue IOC-Hauptsitz mit seiner origi- war neben der üblichen Tragwerksanalyse eine scheinen. Die Berechnung der Statik und der nellen, wellenförmigen Gestalt. komplexe Bemessung für den Brandfall nötig. Wir Dynamik dieser Treppenkonstruktion, deren Öff- sprechen hier von fast 200 Stützen pro Geschoss, nungen auf jedem Geschoss versetzt angeordnet Über die Grenzen hinaus also von insgesamt 800 Stützen.» sind, hat dem Ingenieur Claudio Pirazzi vom Büro Die beteiligten Ingenieure und Unternehmen Die Stützen sind gegenüber der Vertikalen um Ingeni einiges Kopfzerbrechen bereitet: «Die erste bestätigen, dass die komplexe Architektur des 0 bis 30 Grad geneigt und formen so die zahlrei- Schwierigkeit war, ein Computermodell des Ob- Projekts über die üblichen bautechnischen Gren- chen Rundungen des Gebäudes. Dabei hat jede jekts zu erstellen. Jeder Treppenlauf besteht aus zen hinausgeht. Anders als bei vielen nur flüch- Stütze eine individuelle Geometrie. Durch die In- einer geneigten Scheibe mit zwei kreisbogenför- tig entworfenen kubischen Werken sind die Pläne stallation einer Brandmelde- und Sprinkleranlage migen Treppenarmen. Das war eine sehr grosse für das Maison olympique sehr ausgefeilt und habe man die Anforderungen an die Feuerwider- Herausforderung, denn da diese Ringe von Ge- scheinen von einer dekonstruktivistischen Geo- standsfähigkeit von R60 auf R30 reduzieren kön- schoss zu Geschoss versetzt sind, befindet sich Bild: IOC / Luca Delachaux Die Stützen sind 912 mm bis 4330 mm lang und in Winkeln von bis zu 30 Grad angeordnet. So bilden sie die Wellenform des Gebäudes. 32 baublatt Nr. 2, Freitag, 12. Januar 2018
Bild: IOC / Luca Delachaux Um den Transport zu erleichtern, wurden die Treppenscheiben jeweils in drei Teilen geliefert. Anschliessend wurden die Stahlsegmente vor Ort verschweisst. Die «Unity Stair» ist das Herzstück des Gebäudes. Die Errichtung der monumentalen Skulptur war ein ingenieur- und bautechnisches Meisterstück. Bild: 3XN Nr. 2, Freitag, 12. Januar 2018 baublatt 33
PRAXIS Bild: IOC / Luca Delachaux In ökologischer Hinsicht ist das Projekt in mehreren Punkten mustergültig. Beim gut geplanten Rückbau konnten 95 Prozent der Baustoffe, darunter vor allem der Beton, rezykliert werden. Dank der Solarmodule und der Seewasser-Pumpe dürfte das Gebäude zudem mittelfristig energetisch unabhängig werden. Bild: IOC / Luca Delachaux 34 baublatt Nr. 2, Freitag, 12. Januar 2018
Bild: 3XN Das dänische Architekturbüro 3XN ist für seinen Einfallsreichtum bekannt. Die Fensterfronten des Maison Olympique sollen nicht nur den Blick auf den Genfersee freigeben, sondern auch die Transparenz der internationalen Organisation symbolisieren. Die Wellenform der Fassade spiegelt die Schönheit der Bewegung im Sport wider. auch die Treppenöffnung auf jedem Stockwerk zip der Nachhaltigkeit in den täglichen Betrieb zu Stahlbetontragwerks beauftragt wurde, hat mit an einer anderen Stelle. Die fünf Treppenöffnun- integrieren. Um dieser Empfehlung nachzukom- Unterstützung eines spezialisierten Labors einen gen mit je 16 Metern Durchmesser bilden zusam- men, hat das IOC beim Rückbau des alten Ver- innovativen Aufbereitungsprozess für Beton ent- men eine grosse Öffnung von 26 Metern Durch- waltungsgebäudes fast alle Baustoffe rezykliert. wickelt. Damit die technischen Anforderungen messer. Und das alles natürlich ohne vertikale Damit kann es sich für eine LEED-Zertifizierung an den Neubau eingehalten werden, legte das Tragelemente.» Um die notwendige Steifigkeit (Leadership in Energy and Environmental Design) Unternehmen zusammen mit den Ingenieuren ohne allzu viel zusätzliches Gewicht zu erreichen, bewerben, für die mindestens 75 Prozent der fest, für welche Elemente des neuen Tragwerks entschieden sich die Planer für ein Mischsystem Materialien wiederverwendet werden müssen. der Recycling-Beton geeignet war. Aus statischen mit Stahlträgern und einer Betondecke, an deren Im Februar 2016 hat das IOC zudem Archi- Gründen wurde für die Betonrezeptur ein Höchst- Kanten die Treppe aufliegt. Die statische Höhe der tekturstudierende der ETH Lausanne zu einem anteil von 30 Prozent Recycling-Granulat fest- gesamten Decke liegt bei 60 Zentimetern (Be- einwöchigen Workshop mit dem Titel «Youth for gelegt. tondecke 12 Zentimeter und Stahlträger 48 Zen- Reuse» eingeladen. Das Ziel des von Dozieren- timeter). «Die Treppe vom Erdgeschoss ins erste den, regionalen Akteuren und Recycling-Fach- Energie aus Wasser und Sonne Obergeschoss hat eine lichte Höhe von 4,6 Me- leuten betreuten Workshops war, alle wieder- Für die Wärme- und Kälteversorgung des Gebäu- tern zwischen den Decken», fährt Claudio Pirazzi verwendbaren oder rezyklierbaren Materialien des wird eine Seewasserpumpe installiert. In fort. «Ihre Spannweite ist grösser, und sie ist zu identifizieren und geeignete Verwertungswege 60 Metern Tiefe hat der Genfersee das ganze Jahr folglich elastischer. Auch die Dynamik ist hier dafür zu finden. Dank dieses innovativen An- über eine konstante Temperatur von fünf Grad. schwieriger zu kontrollieren. Dank guter Software satzes konnte das IOC schnell und effizient ein Damit kann das Gebäude im Sommer gekühlt und fanden wir Berechnungsmodelle, welche die Re- ehrgeiziges Wiederverwertungsprogramm für sein im Winter über Wärmepumpen geheizt werden. aktionen und Bewegungen der Decke genaues- ehemaliges Verwaltungsgebäude umsetzen. Das System bewährt sich in der Region schon tens simulierten. Das Spiel mit allen Parametern seit Jahren, etwa in der IMD Business School und Hypothesen, die für das Objekt gleichzeitig Wiederverwendung vor Ort und im Schwimmbad Bellerive, die beide in der auftreten können, war jedoch nicht einfach.» Noch Innerhalb von neun Monaten Bauzeit konnten Nähe des Maison Olympique liegen, oder am fehlt der Treppe die Holzverkleidung, die ihr den über 95 Prozent der Baustoffe rezykliert oder Nestlé-Hauptsitz in Vevey. letzten Schliff verleiht, doch beim IOC kann wiederverwendet werden. Dieser hohe Anteil ist Das Dach des IOC-Gebäudes wird mit Solar- man sich jetzt schon über die bisher erbrachten vor allem auf die Wiederverwendung des Betons modulen bestückt, die in Form einer Friedens- hervorragenden Leistungen freuen. vor Ort zurückzuführen. Noch nie wurde in der taube angeordnet sind. Die erzeugte elektrische Schweiz in diesem Umfang Beton direkt auf der Energie entspricht dem jährlichen Stromver- Ein gut durchdachter Rückbau Baustelle gebrochen, ausgesiebt und gelagert. brauch von 60 Schweizer Haushalten. Damit Die Empfehlung 5 der Olympischen Agenda 2020 Das Bauunternehmen Marti, das mit dem Rück- dürfte das Gebäude energetisch unabhängig hält das Olympische Komitee dazu an, das Prin- bau des Altbaus und mit der Erstellung des neuen werden. Die Einweihung ist im Jahr 2019. ■ Nr. 2, Freitag, 12. Januar 2018 baublatt 35
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