Auf zu neuen, alten Ufern Die ökologische Weiterentwicklung der Lippe
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Lippe: der NRW-Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Zurück zur Natur an der Lippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Ein Gewässer naturnah entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Flora, Fauna, Mensch – „Nutzungskonflikte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Lösung von Konflikten: „Viele Partner im Boot“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Lösung von Konflikten: „Der Mensch im Naturschutzgebiet“ . . . . . 27 Mehr Raum für Fluss, Pflanze und Tier – Meilensteine der bisherigen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Der Tallehof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Lippesee-Umflut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Klostermersch, Hellinghauser Mersch, Westernmersch . . . . . . . . . 34 Lünen/Werne – Gewässerstauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Fluss und Stadt: „Gemeinsam an der Lippe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Datteln-Ahsen/Olfen – Uferentfesselung und Fluss- und Auenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40 Haltern am See/HaLiMa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Lippe-Mündung Wesel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Anhang (Literatur, Links, Adressen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
7 Die Lippe: der NRW-Fluss Die Lippe ist ein wahrer Nordrhein-Westfalen-Fluss. Rhein Durch die Nähe zu den großen Städten Westfalens bietet und Ruhr sind als Namensbestandteile großer Regionen die Lippe von ihrer Quelle in Bad Lippspringe bis zur Mün- in ganz Deutschland bekannt. Doch das Wappen von NRW dung in Wesel ein Erholungs- und Naturerlebnis für weitere zeigt auch die Lippische Rose – das Symbol für ein weite- Millionen von Menschen. Daran hat die Renaturierung des res wichtiges Gebiet unseres Bundeslandes, das genauso Flusses und seiner Auen in den vergangenen 30 Jahre heißt wie der Fluss. An den Ausläufern des Teutoburger einen großen Anteil. Die engen Ufer sind zum Teil „ent- Waldes beginnt die Reise der Lippe durch das Lipper fesselt“ und die Auen dürfen wieder unter Wasser stehen. Land und durch Westfalen. Sie endet nach mehr als 220 Fischtreppen und Umgehungen an Querbauwerken Kilometern bei Wesel im Rhein. Ihr folgten schon die (Wehren) ermöglichen den wandernden Tierarten wieder, Römer, deren alte Routen man heute noch nacherleben von der Mündung bis zur Quelle zu gelangen. So erholt kann. Die Lippe ist der längste Fluss in NRW und ist damit sich das Gesamtsystem des Flusses, dessen Einzugs- ein bedeutendes Gewässer in den mitteleuropäischen gebiet mit 4.880 Quadratkilometern fast ein Siebtel der Flusssystemen – als Heimat und Brücke für teils be- gesamten Fläche Nordrhein-Westfalens einnimmt. Auch drohte Tier- und Pflanzenarten, als einzigartiger Lebens- die zahlreichen Nebengewässer spielen daher eine raum direkt vor der Haustür des Ruhrgebietes im Herzen wichtige Rolle. Insgesamt wurde eine einzigartige Basis Europas. geschaffen, um die Lippe in den nächsten Jahren groß- flächiger und noch wirkungsvoller als bisher als Natur- Ein Fluss, der verbindet raum zu entwickeln und für die Menschen wieder erlebbar Als wichtiger Transportweg war die Lippe für die Ent wick- zu machen. Ein vom Menschen geprägter Raum darf sich lung des heutigen Nordrhein-Westfalens von enormer freier entfalten als früher. Davon profitieren Flora und Bedeutung. Sie verbindet die Region, in der Arminius Fauna im Wasser und in den großen Flussauen gleicher- einst die Römer besiegte, mit dem großen Rhein. Als maßen – und letztlich auch der Mensch. Wasserspender für Nahrung und Energie belebte der Fluss einen Großteil der Westfälischen Bucht. Mit dem Berg- Für zahlreiche Flussabschnitte sind daher weitere Re- bau und der Stahlindustrie entstand ab der Mitte des naturierungsmaßnahmen geplant, unter anderem in 19. Jahrhunderts eine neue Metropolregion – das Ruhr- Wesel, Hünxe, Gahlen, Hervest, Haltern, Hullern, Datteln- gebiet –, unter anderem auch versorgt durch die Lippe Ahsen, Dahl, Lünen/Werne, Stockum, Hamm-Pelkum und ihre fruchtbaren Auen. Das Kanalnetz, das damals und -Schmehausen, in der Disselmersch, in Kesseler, neue Transportwege für die Kohle und Erze, für Stahl und Lippstadt-Eickelborn, Schoneberg und im Kreis Pader- weitere Produkte erschloss, wird heute noch zu einem born. Die Lippe und zahlreiche Nebengewässer werden großen Teil durch die Lippe gespeist. weiterhin umfangreich umgestaltet – die betroffenen Abschnitte verteilen sich beinahe über den gesamten Ein Stück Natur Verlauf, von der Mündung bis zur Quelle. Rund 1,8 Millionen Menschen leben heute im direkten Umfeld der Lippe. Große Städte wie Paderborn, Hamm, Die ersten Schritte sind auch möglich gewesen, weil zahl- Lippstadt und Wesel sind an diesem Fluss entstanden reiche begeisterte Menschen vor Ort tatkräftig das Zurück- und gewachsen. Heute wird dieses Stück Natur inmitten kehren der Natur unterstützt haben. Die Erfolge sind urbaner Zentren als Erholungsraum neu aufgewertet. bereits heute sichtbar. Und so soll es auch weitergehen.
8 Bezirksregierung Münster Haltern Schermbeck Werne a. d. Marl Lippe Wesel Dorsten Datteln Bezirksregierung Düsseldorf Lünen Schlaglichter der Historie 0–1200 1200–1700 I. II. III. Römer und Mittelalter 13. bis 16. Jahrhundert (ausgehendes 16. bis 19. Jahrhundert Erste Veränderungen an der natür- Mittelalter und frühe Neuzeit) Wachsende Städte am Fluss führen zu lichen Lippe nehmen bereits die Rodungen für die Landwirtschaft lassen stärkeren Verschmutzungen durch Römer vor. Sie nutzen den Fluss als die Auwälder fast vollständig verschwin- den Menschen. Abfall und Abwasser, Transportweg zur Versorgung ihrer den. Die intensive Nutzung durch Mühlen aber auch erste „chemische“ Rück- Lager. Bis zum Mittelalter entstehen bringt dem Fluss erste unnatürliche Bar- stände durch Tuchmacher und Färber an den Flussufern mehr und mehr rieren: Das Wasser und der Wasserstand verunreinigen die Gewässer. Siedlungen. werden über Wehre kontrolliert.
9 Die Lippe: der NRW-Fluss Einzugsgebiet der Lippe Lippeverband Wasserverband Obere Lippe Maßnahmen ab Seite 28 Bad Lippspringe Delbrück Paderborn Hamm Lippstadt Bezirksregierung Detmold Bezirksregierung Arnsberg 10 km 1700–2000 IV. VI. VIII. 1815 Anfang 20. Jahrhundert Ab 1980 Die Lippe wird preußisch. Für die Nahrungsver- Wasserentzug durch Schifffahrtskanäle, Berg- Entwicklung des Umweltgedankens: Seit den sorgung der wachsenden Bevölkerung wird die senkungen durch den Steinkohlebergbau, Was- 1980er Jahren findet ein gesellschaftliches Landschaft für die Landwirtschaft umgebaut. serentnahme durch Kraftwerke, hohes Bevölke- Umdenken in Bezug auf die Umwelt und den Der Flusslauf wird begradigt und befestigt, um rungswachstum, Abwasser aus dem Bergbau, Schutz der Natur statt. Umweltschutzgedan- dauerhaft Ackerland zu gewinnen und Siedlun- der Industrie und den Städten, Kanalisierung ken werden gesellschaftsfähig und politisch gen zu schützen. Außerdem wird die Lippe für des Flusslaufs – die Lippe wird zu einem massiv intensiv diskutiert. Der neue Leitgedanke fin- die Schifffahrt umgebaut. Altarme werden beeinträchtigten Gewässer mit wenigen natür- det unter anderem seinen Ausdruck im abgetrennt, damit an den geraden Ufern Treidel- lichen Bereichen. Aber: 1926 wird zum Beispiel Gewässerauenprogramm NRW und später in wege befestigt werden können, über die Pferde der Lippeverband gegründet, der erste Maß- der Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen und Ochsen die Lastkähne ziehen. nahmen zur Abwasserreinigung und zur Ver- Union, die seit dem Jahr 2000 Anforderungen besserung des Hochwasserschutzes durchführt. an den Zustand der Gewässer in Europa stellt. V. Ab 1830 VII. Im Rahmen der industriellen Revolution verän- Ab 1950 dert sich das Landschaftsbild dramatisch. Eine neue Phase der Flächengewinnung für die Industrialisierung, Bergbau, Wehre, Schleusen Landwirtschaft zerstört auch die letzten natur- zur Schiffbarmachung des Flusses und die nahen Gebiete. Die Auen werden nahezu trocken- weitere Kultivierung von Flussauen als land- gelegt. Das Abwasser aus Siedlungen und wirtschaftliche Flächen verändern die Fluss- Gewerbegebieten, das Grubenwasser des landschaft der Lippe fundamental. Bergbaus und das Kühlwasser der Kraftwerke werden in die Lippe eingeleitet. Um 1975 ist die Wasserqualität beispielsweise im Raum Hamm schließlich auf einen histori- schen Tiefstand gesunken.
11 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Wasser ist nicht nur Voraussetzung für die Entstehung von Parallel dazu erarbeiteten die Bezirksregierung Arnsberg Leben, sondern auch Voraussetzung zur Bewahrung des und der Lippeverband das Lippeauenprogramm (LAP). Lebens. Das gilt sowohl für den Menschen als auch für Tiere Seit dem Jahr 2000 ist mit der Europäischen Wasser- und Pflanzen. Als Lebensraum von unschätzbarem Wert rahmenrichtlinie (EG-WRRL) ein für alle Mitgliedstaaten bestimmen Gewässer unsere Existenz. Umso dramati- der EU einheitliches Regelwerk für den Gewässerschutz scher sind die Folgen der Eingriffe in diese Ökosysteme. in Kraft getreten. Danach soll der Zustand von Flüssen, Seen, Küstengewässern und Grundwasser bis spätes- Die Bewirtschaftung durch den Menschen hat Flüsse tens 2027 verbessert werden. Ziel ist der „gute Zustand“ und deren Auen, die einst eine fest verbundene Natur- der Gewässer, damit diese als Lebensraum für Tiere und landschaft waren, in eine Kulturlandschaft verwandelt. Pflanzen wieder funktionieren können und die Ressource Besonders unter Naturschutzaspekten haben die dichte Wasser auch künftig noch genutzt werden kann. Besiedlung, die intensive Flächennutzung und die Indus- trialisierung deutliche Spuren hinterlassen. In NRW Dabei ist es notwendig, die Flusssysteme über Zustän- verschwinden auch heute noch täglich rund 10 Hektar digkeitsgrenzen hinweg von der Quelle bis zur Mündung wertvoller Fläche für neue Siedlungs-, Gewerbe- und als Einheit zu sehen und neue bisher unkonventionelle Verkehrsflächen. Tieren und Pflanzen fehlt zunehmend Wege zu gehen. Oft sind dazu wasserbauliche Maßnah- der natürliche Lebensraum. Neben der intensiven men erforderlich. Jede Maßnahme zur ökologischen und Bewirtschaftung der Böden und Wälder war es in der chemischen Verbesserung auch an kleineren Gewässern Vergangenheit vor allem auch die Zerstörung natürlicher ist ein Baustein zur Verbesserung der Wasserqualität in Flusslandschaften, die den Artenschwund förderte. der Flussgebietseinheit Rhein bis hin zum Wattenmeer. Beispielsweise fließt Wasser aus den Bächen im Einzugs- Seit etwa 30 Jahren steht daher die Verbesserung der gebiet des Nebenflusses Ahse zunächst in die Lippe und Wasserqualität und der Qualität des von Wasser gepräg- dann in den Rhein. Diese Betrachtung des Gesamtsys- ten Naturraums im Mittelpunkt. Das bedeutet für viele tems ist ein grundlegendes Prinzip bei der ökologischen Gewässer groß angelegte Eingriffe. Ihr Erscheinungsbild Verbesserung der Gewässer in Europa. wird dadurch teilweise stark verändert, aber nur so kön- nen Flüsse wieder naturnah und somit lebendige Gewäs- Zusätzliche Informationen zur Wasserrahmenrichtlinie ser werden. finden Sie unter: www.flussgebiete.nrw.de Mit gezielten Programmen zur Gewässerentwicklung In der UN-Dekade Biologische Vielfalt von 2011 bis und zahlreichen Renaturierungsprojekten steuert das 2020 soll das öffentliche Bewusstsein für biologi- Land Nordrhein-Westfalen diesen Prozess. Bereits 1990 sche Vielfalt, ihren Wert und die gesellschaftliche rief die damalige Landesregierung das Gewässerauen- Verantwortung für ihren Schutz und die nachhaltige programm ins Leben – 13 Flüsse, darunter die Lippe mit- Nutzung ihrer Bestandteile gefördert werden. samt ihren Auen, sollten in einen naturnahen Zustand überführt werden. www.un-dekade-biologische-vielfalt.de Mehr zur „Biodiversitätsstrategie NRW“ ist unter Altarm und Blänken in der Lippeaue, im Bereich der Renaturierung Tallehof, nicht gebaggert, sondern bei einem Hochwasser entstanden, www.umwelt.nrw.de nachzulesen. wertvoll für Amphibien und einige Fischarten, wie z. B. die Quappe
12 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Der gute Zustand Die Maßstäbe für den „guten Zustand“ bei Fließgewäs- etwas technisch formuliert: „Die Lippe ist ein sand- und sern sind die Wasserqualität – also die chemische Be- lehmgeprägter Tieflandfluss mit Auen, der sich durch die schaffenheit – und das Ökosystem – also die Eignung als Natur schlängelt (Mäander). Sie ist für zahlreiche Insek- Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Bei der Wasserqua- ten, Watvögel, Störche, Eisvögel, über 30 Fischarten, lität wurden schon lange, zum Beispiel durch moderne aber auch für Biber ein Zuhause.“ Kläranlagen, große Verbesserungen gegenüber der Hoch- phase der Umweltverschmutzungen erzielt. Ihre Gewässerbreite kann bis 50 Meter und mehr betra- gen, die Gewässertiefe ist in der Regel höchstens ein bis Die Flüsse samt ihrer Auen wieder in ein lebendiges Öko- zwei Meter, nur zwischen Flussdeichen wie in Dorsten ist system zu verwandeln, steht dagegen erst seit wenigen die Lippe tiefer eingeschnitten. Die natürliche Breite der Jahrzehnten auf dem Plan. Es sind lange Prozesse, bis sich Aue variiert stark, von Bereichen mit beispielsweise 300 die natürliche Artenvielfalt wieder in ihren ursprünglichen Metern im Kreis Paderborn bis über einen Kilometer in Heimatgebieten ausbreitet. Und sie beginnen auch damit, unteren Abschnitten. überhaupt erst herauszufinden, was die natürliche Pflan- zen- und Tierwelt eines Gewässers einmal gewesen ist. An der Lippe ist trotz aller Erfolge aus der Vergangen- heit der „gute“ Zustand noch lange nicht erreicht. Bei Nach zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen genauerem Hinsehen kann man das an vielen Stellen auf und Beobachtungen wurden dafür unterschiedliche Anhieb erkennen. Zahlreiche und umfangreiche Verbes- Gewässertypen bestimmt und ihnen eine entsprechende serungsmaßnahmen sind daher in den nächsten Jahren Flora und Fauna zugeordnet. An der Lippe heißt das, an der Lippe geplant. 01 02 01 Die Lippe bei Olfen im Sommer 2009 02 Die Quappe (Lota lota) kann nur dort überleben, wo Fluss und Aue vernetzt sind. 03 Schwarz- und Weißstorch an der Lippe 04 Verzahnung von Lippe und Aue 03
13 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Faszination Aue Auen gehören zu den artenreichsten Naturlandschaften In Auen entstehen immer wieder Tümpel. Sie sind der Mitteleuropas. Die Dynamik von trockenen und nassen natürliche Lebensraum vieler Amphibien, zum Beispiel Zeiten, von Überflutung, Abtragung und Anlagerung ist von Laubfröschen und Erdkröten, und bieten auch die für viele Pflanzen- und Tierarten entscheidend. Lebensgrundlage für zahlreiche Libellenarten. Deren Larven finden hier die Nahrung, die sie brauchen. Selbst Die Schwarzpappel und die Silberweide brauchen bei- für einige Fischarten sind die überschwemmten Gebiete spielsweise trocken fallende Böden wie Sand-, Kies- und lebenswichtig: Hechte beispielsweise verlassen den Fluss Schlammbänke, wo die jungen Bäume aufwachsen. im Frühjahr und legen ihre Eier auf überschwemmten Dadurch entstehen die Lebensvoraussetzungen für eine Wiesen ab. Auch die Quappe nutzt gerne Tümpel zum lange in Europa bedrohte und fast verschwundene Tier- Laichen. Nachdem die Brut geschlüpft ist, nutzen die art: Biber nutzen diese Baumarten gerne als Nahrung kleinen Quappen zum Beispiel das nächste Hochwasser und als Baumaterial. Die Dammbauten der großen Nager und kehren in die Lippe zurück. sind inzwischen auch bei uns wieder in der Natur zu beobachten. Auwälder sind natürlicher Bestandteil einer Auenland- schaft. Die hier heimischen Pflanzen- und Baumarten Dort, wo sich der Fluss schlängelt und manchmal scharfe sind an die wechselnden Feuchtbedingungen perfekt Kurven macht, ist der Eisvogel heimisch. In den Uferab- angepasst. Sie bieten Lebensraum für zahlreiche Vogel- brüchen findet er perfekte Bedingungen für seine Brut- und auch Schmetterlingsarten, wie beispielsweise den höhlen, die er in die steilen Uferwände eingräbt. Schillerfalter. Er ist unter anderem auf die Silberweide angewiesen, die sich nur in regelmäßig überfluteten Regionen ansiedelt. Solche Weiden und andere Bäume im Auwald tragen außerdem dazu bei, Hochwasser- folgen zu mildern und die Ufer zu stabilisieren. 04
14 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Zurück zur Natur an der Lippe Wie schwierig es ist, einen Fluss über seine gesamte Lippequelle werden die Maßnahmen überwiegend durch Länge in einen ökologisch guten Zustand zu versetzen, das Land NRW gefördert, der Wasserverband Obere wird schnell klar, betrachtet man die Strukturen an der Lippe steuert aber auch einen Eigenanteil bei. Insgesamt Lippe. Der ausschließlich durch Nordrhein-Westfalen ist vorgesehen, in den nächsten Jahren Maßnahmen für fließende Fluss wird organisatorisch im Hinblick auf die ökologische Gewässerentwicklung im Umfang von Gewässerunterhaltung und -umgestaltung in drei Teile über 100 Millionen Euro an der Lippe durchzuführen. gegliedert. Die Unterhaltung der Lippe wird von der Dadurch wird in der Regel auch der Hochwasserschutz Mündung in den Rhein bis zur Quabbemündung in Lippe- verbessert. tal-Lippborg (ca. 147 Kilometer) vom Lippeverband im Auftrag des Landes NRW durchgeführt. Oberhalb erfolgt Bei der Renaturierung von Gewässern ist es wichtig, dass bis zur Einmündung der Pader die Lippeunterhaltung alle Interessierten und Betroffenen möglichst frühzeitig durch die Bezirksregierungen Arnsberg (ca. 60 Kilome- und umfangreich in die Planungen einzelner Maßnah- ter). Für die übrigen Gebiete bis zur Quelle (ca. 13 Kilo- men einbezogen werden. Diese sind im „NRW-Maßnah- meter) ist der Wasserverband Obere Lippe zuständig. menprogramm zur Wasserrahmenrichtlinie“ allgemein Die Koordinierung der Gewässerunterhaltungs- und beschrieben. Da die Lippe in den Rhein mündet, wird sie -umgestaltungsmaßnahmen entlang der Lippe liegt in den jeweiligen Unterkapiteln für den Rhein behandelt. daher beim NRW-Umweltministerium. Konkrete Einzelmaßnahmen finden sich in einem anderen Dokument, im sogenannten „Umsetzungsfahrplan Lippe“, Die Finanzierung dieser Maßnahmen erfolgt im Bereich der – wie auch das Maßnahmenprogramm – in regelmä- von der Mündung der Lippe in den Rhein bis zur Pader- ßigem Abstand aktualisiert wird. Schließlich können alle mündung vollständig durch die Landesverwaltung. Eine Betroffenen ihre Anregungen und Wünsche im Genehmi- Ausnahme bilden lediglich lokale Projekte, bei denen ein gungsverfahren zu den konkreten Baumaßnahmen am wesentlicher Finanzierungsanteil von 50 Prozent durch Gewässer einbringen. die Europäische Union im Rahmen des Förderinstruments LIFE erbracht wird. Die restliche Hälfte übernehmen bei Weitere Informationen finden sich auf: den LIFE-Projekten das Land NRW und die lokalen Pro- www.flussgebiete.nrw.de jektpartner. Oberhalb der Einmündung der Pader bis zur 01
15 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Aktuelle Aktivitäten für NRWs Flüsse und Bäche: LIFE-Projekte Das Programm „Lebendige Gewässer“ und die Parallel zur Veröffentlichung der FFH-Richtlinie der Strategie „Hochwasserrisiken gemeinsam meistern“ EU wurde 1992 das Förderinstrument LIFE entwickelt. wurden erarbeitet, um in Nordrhein-Westfalen einen Das Programm dient vor allem dem Schutz der Arten guten Gewässerzustand zu erreichen und die Risiken und Lebensräume der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie durch Hochwasser zu reduzieren. Sie sind im Wesent- (FFH-Richtlinie) und der EU-Vogelschutzrichtlinie. lichen auf die Wasserrahmenrichtlinie und die Hoch- wasserrisikomanagement-Richtlinie der Europäischen Union bezogen und bündeln die Aktivitäten des An der Lippe werden seit 2005 zwei LIFE-Projekte umge- nordrhein-westfälischen Umweltministeriums, der setzt, die voraussichtlich 2015 beendet sein werden. Sie Bezirksregierung, der Kommunen und Kreise sowie betreffen das Lippeauengebiet zwischen Hamm-Heessen der Wasser- und Bodenverbände und sondergesetz- und Hangfort im Kreis Soest. Innerhalb von neun Schwer- lichen Wasserverbände. punktbereichen werden hier für insgesamt 11,5 Millionen Euro die Lippe und ihre Aue renaturiert. Allein im Programm „Lebendige Gewässer“ ist vor- gesehen, im Zeitraum von 2009 bis 2027 Renatu- Im Einzelnen werden folgende Maßnahmen durchgeführt: rierungsmaßnahmen in einem Umfang von über Der Lippelauf wird stellenweise verlängert, ein Umge- 2 Milliarden Euro durchzuführen. Mit dem Geld hungsgerinne als Fischaufstieg gebaut, Auwald entwickelt, werden die Träger der Maßnahmen, also Städte und die Aue wiedervernässt sowie eine Reihe von Flutmulden Gemeinden, Wasser- und Bodenverbände und sowie Flächen mit extensiv genutztem Grünland angelegt. sondergesetzliche Wasserverbände, durch das Land Die Ufer der Lippe werden entfesselt. Dieses Projekt ist NRW finanziell unterstützt. Die Finanzierung des ein Gemeinschaftswerk mehrerer Partner: Die Stadt Landesanteils bei den Hamm zeichnet verantwortlich und führt das Projekt- Maßnahmen an der Lippe management aus, der Lippeverband die technische Pro- erfolgt ebenfalls aus diesen jektleitung. Weiterhin bringen der Kreis Warendorf und Mitteln. die Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest (ABU) ihre Arbeit in das Projekt ein. 50 Prozent der Gesamtkosten übernimmt die EU. Die weiteren Kosten werden zum größten Teil durch das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein- Westfalen, teilweise aber auch von den Projektpartnern getragen. 01 Laufverlängerung der Lippe in der Westernmersch 02 Planung der Renaturierungsmaßnahme: Rot ist der Altverlauf, blau ist der geplante neue Verlauf gekennzeichnet. 02
16 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Ein Gewässer naturnah entwickeln Flüsse gehörten für den Menschen in der Vergangenheit Nutzungen hinzu. Der Fluss wurde eingezwängt, um immer zur Infrastruktur, also zur nutzbaren Fläche. Und Flächen für die Landwirtschaft gewinnen zu können. so wurden sie auch behandelt. Bei einer Autobahn ist Außerdem griff der Mensch ein, um die Siedlungsgebiete klar, was das heißt: Sie wird stets den Anforderungen vor Hochwasser zu schützen. Der Fluss bekam durch entsprechend umgebaut. Das erkennt man nicht zuletzt Deiche eine unnatürliche Begrenzung und wurde begra- an den zahlreichen Baustellen und deren Auswirkungen digt. Je stärker ein Gebiet durch Bergsenkungen betrof- für den Berufs- oder Reiseverkehr. Gleiches geschah fen war, desto höher mussten die Deiche ausfallen. Bis- auch bei Flüssen – in Nordrhein-Westfalen bereits seit her sich schlängelnde Flussverläufe wurden einfach Jahrhunderten. Solche Baumaßnahmen sind gewisser- durchstochen. maßen auch eine „Entwicklung von Gewässern“, aber eben nicht naturnah. Flüsse wurden häufig zu Transit- Je gerader der Lauf, desto schneller fließt das Wasser Routen entwickelt – gerade und schnell passierbar für ab und desto weniger Fläche nimmt der Fluss insgesamt den Transportverkehr. Oder sie wurden reine Nutz-Ge- ein. Das war rein ökonomisches Kalkül und zunächst auch biete – als Wasserlieferanten für die Industrie und für gut für den Hochwasserschutz. Die Landwirtschaft erhielt Schifffahrtskanäle, aber auch zum Transport von Abwas- neue Flächen – inklusive Bewässerungsanlagen, die eben- ser. Gerade im Bereich der Lippe kamen noch weitere falls durch den Fluss gespeist wurden. 01 02 01 Die Lippe wurde früher zur Flößwiesennutzung ausgebaut, hierzu begradigt und nach Möglichkeit in Hochlage verlegt, vorne ein altes Flößwehr. 02 Gleicher Abschnitt wie im Bild 01 im Bereich Tallehof, aufgenommen direkt nach der Fertigstellung der Renaturierungsmaßnahme am 21.12.2011 03 Gleicher Standort des Fotografen wie im Bild 02 im Bereich Tallehof, aufgenommen am 05.06.2012 04 Gleicher Standort des Fotografen wie im Bild 02 im Bereich Tallehof, aufgenommen am 11.09.2014 05 Gleicher Standort des Fotografen wie im Bild 02 im Bereich Tallehof, aufgenommen am 14.02.2014 03
17 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Die naturnahe Entwicklung zeigt das Umdenken der heuti- gen Gesellschaft. Einerseits haben viele Flüsse an Bedeu- tung als Infrastruktur verloren. Eisenbahnen waren bei- spielsweise in Westfalen irgendwann schneller und günstiger als die nur kleinen Schiffe auf der Lippe. Auch der aktive Bergbau wird im Bereich der Lippe in den nächsten Jahren eingestellt. Andererseits haben viele Städte und Gemeinden entdeckt, dass das Wasser und die Flüsse Lebensqualität für die Orte bedeuten. Der Erholungswert von Flüssen ist in der allgemeinen Wahrnehmung gestie- gen. Stadtmenschen suchen das Naturerlebnis zuneh- mend auch vor der eigenen Haustür und nicht in weit ent- fernten Ländern. Das alles sind gute Gründe, den Flüssen ein Stück „Wildnis“ zurückzugeben. Dafür gibt es verschie- dene Arten von Maßnahmen, die an der Lippe geplant sind und die hier kurz beschrieben werden. 04 05
18 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen 01 01 Aufnahme aus Richtung Norden vor der Renaturierungsmaßnahme. Gut zu erkennen sind die alten Flößgräben, die zur Bewässerung und zur Nährstoffversorgung der Flächen genutzt wurden. Die „alte“ Lippe verläuft links im Bild zwischen den beiden Baumreihen. 02 Aufnahme aus Richtung Süden, nach Fertigstellung der Maßnahme (gleiche Stelle wie in Bild 01 – nur entgegengesetzt). Der alte Verlauf ist oben im Bild zu sehen. Verlegung der Lippe in das Taltiefste, kleines Gerinne, sodass es regelmäßig zu Ausuferungen kommt. Deutlich zu erkennen ist die Verzahnung mit der Aue. 02 Ein neues „Auen-Land“ Im Mittelpunkt der Renaturierungsmaßnahmen steht Das zusätzliche Platzangebot hat zwei direkte Folgen: die Wiederanbindung der Lippe an ihre Flussauen. Hier Durch die Auen entsteht zum einen ein neuer Lebensraum kann der größte Beitrag zur Verbesserung des Gewässer- für Pflanzen und Tiere. Zum anderen bilden sich zusätz- Lebensraums Lippe geleistet werden. Solche Maßnah- liche, natürliche Überschwemmungsflächen, das Wasser men sind sehr platzintensiv und können deshalb nur dort hat einfach mehr Platz, um sich zu verteilen. Falls es also durchgeführt werden, wo auch entsprechende Flächen durch den Klimawandel zu verstärkten Hochwassern kom- für die Gewässerentwicklung zur Verfügung stehen. Ein men sollte, können deren Auswirkungen durch wieder Fluss wie die Lippe ist erst mit seinen Auen ein funktio- angeschlossene Auen gemildert werden. nierendes ökologisches Gesamtsystem. Die Auen sind jedoch durch die Entwicklungen in der Vergangenheit Durch die historischen Entwicklungen sind es rund um die weitgehend abgetrennt worden, die Auenflächen können Lippe vor allem Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie nur noch selten bei Hochwasser überflutet werden. landwirtschaftlich genutzte Bereiche, die das Zusam- Durch die Wiederanbindung der Lippeauen ändert sich menspiel von Fluss und Aue beeinträchtigten. Die Reak- das. Der Hochwasserschutz für Siedlungsbereiche bleibt tivierung der Auen stellt sich als ein komplexer Prozess jedoch vollständig erhalten. dar, der die Bedürfnisse unterschiedlichster Interessen berücksichtigen muss.
19 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Der Umbau des Flusssystems beginnt daher mit vielen An diesem soll sich die frei fließende Lippe anfangs ori- Planungen und Gesprächen. Die Wünsche der Betroffe- entieren. Die eventuell gefällten Bäume bleiben vielfach nen sollen bereits in die Planung der Maßnahmen mitein- als Totholz in dem neuen Flussabschnitt. So entstehen fließen. Sofern landwirtschaftliche Flächen betroffen neue Strukturen. Das ist später für die Pflanzen und Tiere sind, sollen so weit wie möglich Ersatzflächen angeboten wichtig und sichert die Wasserqualität. Als nächster werden. Die Wiederanbindung der Lippeauen zeigt, wie Schritt wird die „alte“, unnatürliche Lippe in dieses neu viele Dinge bei der ökologischen Entwicklung der Lippe entstandene Gebiet umgeleitet. Ab diesem Zeitpunkt wird zu beachten sind – sowohl planerisch als auch baulich. der Fluss sich selbst überlassen. Sind alle planerischen Hürden genommen, so rollen bei Für die Projektpartner beginnt nun das Beobachten, der Wiederanbindung der Lippeauen häufig große Bag- denn jede Maßnahme muss auch auf ihre Wirkung hin ger an. Sie schaffen auf den Flächen, die ursprünglich kontrolliert werden. In den Auenlandschaften verfolgen einmal die Auen waren, die Voraussetzung dafür, dass das die Landschaftsplaner daher zunächst den sich ständig Fluss-Auen-System sich selbst finden kann. Dazu müssen ändernden Flussverlauf und dessen Folgen. Besonders allerdings erst die unnatürlichen Spuren beseitigt werden. die Pflanzen- und Tierwelt wird in den sogenannten Zunächst graben Bagger daher den Oberboden großflä- „Monitorings“ über einen längeren Zeitraum beobachtet. chig ab. Anschließend wird über große Einschnitte in der Neben der Erfolgskontrolle helfen diese auch, Erfahrun- Landschaft ein erstes sogenanntes Initialprofil geschaffen. gen und Anregungen für neue Planungen zu erhalten.
20 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Den Fluss von seinen Fesseln befreien Bis in die 1970er Jahre hinein wurden die Ufer der Lippe Aber auch hier gestalten sich die Umbaumaßnahmen befestigt – zunächst mit einem Geflecht aus Weiden- sehr unterschiedlich und an manchen Orten aufwändig. zweigen, später mit Steinschüttungen. Der Fluss wurde Teilweise werden mit dem Bagger Inseln und Flachwas- in ein Trapezprofil gezwängt, er wurde „normiert “ mit serzonen, Steilwände und Buchten wiederhergestellt, die nahezu überall gleichen Ufern, gleichen Tiefen und Brei- auf kleinem Raum vielen unterschiedlichsten Lebewesen ten. Für eine umfassende Renaturierung eines Flussab- geeignete Lebensräume bieten. Jungfische können hier schnitts benötigt man die umgebende Fläche, also die zu im Schutz der reichen Unterwasservegetation der Flach- dem Abschnitt gehörende Aue. Die zugehörigen Flächen wasserzonen aufwachsen. Eisvögel und Uferschwalben werden dazu oftmals durch den Maßnahmenträger, also bauen ihre Bruthöhlen in Uferabbrüchen. den Lippeverband, das Land NRW oder den Wasserver- band Obere Lippe, gekauft. An manchen Stellen können Eine große Herausforderung für eine naturnahe Entwick- aber nur direkt am Fluss liegende kleine Grundstücke lung ist die Tiefe des Flusses. Es reicht nicht allein, die erworben werden. Hier konzentrieren sich die Planer dann Lippe frei fließen zu lassen. Durch die seitlichen Befes- auf die Uferbefestigung. An zahlreichen Stellen an der tigungen und Begradigungen hat sich der Fluss immer Lippe werden die Steinschüttungen entfernt. Nur so tiefer in sein Flussbett geschnitten. Eigentlich variiert erhält der Fluss die Chance, seiner natürlichen Dynamik die Tiefe der Lippe nur zwischen 10 Zentimetern und 2 als Flachlandfluss mit zahlreichen Mäandern zu folgen. Metern. 01
21 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen In manchen Gebieten erreichen die Wassertiefen inzwi- schen aber bis zu 6 Meter. Flussnahe Deiche und Ufer- wälle (Fachleute sprechen von „Verwallungen“), Erhe- bungen entlang des Flusses, welche die Entstehung regelmäßig überfluteter Auenbereiche behindern, ver- schärfen diesen Zustand. Daher werden diese Erhebun- gen an einigen Stellen durchbrochen, das Gelände dahin- ter kann wieder häufiger überflutet werden. Der Fluss wird langsamer und so können sich wieder verstärkt Sand und andere Stoffe ablagern. An manchen Stellen wird dieser Prozess durch die Einlagerung von Steinen oder umgestürzten Bäumen unterstützt. 02 03 01 „Alter“ Lippeverlauf. Gut zu erkennen ist der begradigte Verlauf. Die Uferbefestigung erfolgte erst durch Steinschüttung, die dann aber von Erlen überwachsen wurde. Die Erlenwurzeln befestigen das Ufer aber genauso stark wie angeschüttete Steine. Sehr gleichbleibende Uferlinie, keine Veränderung in der Form der Gewässersohle wie auch beim Sohlsubstrat. 02 + 03 Entfesselter Abschnitt der Lippe. Gut zu erkennen sind die ungleich- mäßige Uferlinie, Aufladungen bis zur Inselbildung, unterschiedliche Wassertiefen und verschiedene Sohlsubstrate.
22 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Hindernisse umgehen und vermeiden Weitere von Menschen gemachte Hindernisse im Fluss- für die Umwelt sind Bergsenkungen – Absenkungen des verlauf sind Wehre. Sie dienten der Regulierung des Bodenniveaus aufgrund von unterirdischen Gesteins- Wasserstands, konnten bei Hochwasser geöffnet werden brüchen in ehemaligen Kohleflözen. In den Stadtgebieten oder stauten den Fluss während trockenerer Zeiten. Im Hamm, Bergkamen-Rünthe, Lünen, Haltern-Lipprams- Jahr 2002 gab es noch 31 Wehre an der Lippe. dorf, Marl und Dorsten mussten daher in der Vergangen- heit bereits besondere Hochwasserschutzdeiche errich- Wehre sind für fast alle Fischarten und auch manche klei- tet werden. Auf einer Länge von insgesamt 22 Kilometern neren Wassertiere das größte Ärgernis im Fluss, denn wurde die Lippe ein- oder beidseitig eingedeicht. Der sie müssen zu unterschiedlichen Jahreszeiten wandern – Lippedeich in Hamm-Herringen ist mit 17 Metern Höhe entweder um geeignete Laich- oder Nahrungsgebiete zu sogar der höchste Flussdeich Deutschlands. erreichen oder um ruhige Winterlager zu finden. In man- chen Orten ist es möglich, diese Wehre zu beseitigen. Dort Die Auswirkungen des Bergbaus auf das Gesicht der wo das nicht klappt, greift der Mensch ein und schafft Landschaft ist also gewaltig. Schutzmaßnahmen für die einen künstlichen Lauf um das Wehr herum. Diesen kön- Siedlungen gegen Hochwasser gehören entsprechend nen die Fische durch die Strömung erkennen und so das zu den sogenannten „Ewigkeitskosten“ des Bergbaus an Hindernis überwinden. Ruhr, Emscher und Lippe. Die Maßnahmen zur Renatu- rierung sind in diesen Abschnitten daher auch besonders Eine weitere Herausforderung für das Lippe-Projekt ist der planungsintensiv und kostspielig. Die Deiche in Haltern- Bergbau: Schließlich durchfließt die Lippe eine der in der Lippramsdorf und Marl beispielsweise werden zurück- Vergangenheit bedeutendsten Bergbauregionen Europas. verlegt, denn sie sind weiterhin notwendig. Dennoch wird Tief unter der Erde wird in der Region selbst heute noch wertvolles Land für die Lippeaue gewonnen. Steinkohle abgebaut. Eine schlimme Folge des Bergbaus 01
23 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Gewässer naturnah zu entwickeln, heißt für uns heute: 01 Lippe-Wehr Werne (am oberen Bildrand), rechts der Lippe-Hauptlauf, dem Fluss helfen, sich selbst zu helfen. Die Lippe könnte links der Fischaufstieg sich über Jahrhunderte von ihren Uferfesseln auch selbst befreien. Allerdings würde dies für viele Tiere und Pflan- 02 Dreistachlige Stichlinge kommen im Fluss selbst, aber auch in den zen zu lange dauern. Daher ist die Renaturierung mit teil- Gewässern der Aue vor. weise großem Maschineneinsatz verbunden. Das soll die naturnahe Entwicklung der Landschaft aber lediglich 03 Alte Steinschüttungen an der Lippe bei Haltern. Die Uferbefestigungen, anstoßen. Neue Buchten und Tümpel, die Entfernung die meist aus den 1960er und 1970er Jahren stammen, werden vom von Befestigungen, Dämmen, Uferdeichen und Wallanla- Lippeverband im Rahmen des Lippeauenprogramms Zug um Zug ent- fernt und oft vor Ort zur Anhebung der Gewässersohle verwendet. gen an der Lippe erlauben eine natürliche Überflutung der Landschaft und fördern die Verbindung von Fluss und Aue. Dadurch wird sich die Flusslandschaft ständig wandeln und weiterentwickeln. Und genau das ist aus- drücklich erwünscht. 02 03
24 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Flora, Fauna, Mensch – „Nutzungskonflikte“ In Nordrhein-Westfalen wird das Spannungsfeld zwischen Natur und Mensch an vielen Orten sehr deutlich. Das bevölkerungsreichste und durch Industrie stark geprägte Bundesland sieht sich ganz besonderen Herausforderun- gen bei seinen Anstrengungen für den Schutz von Umwelt und Natur gegenüber. An der Lippe stehen die folgenden Fragen im Raum: Bürgerinnen und Bürger: Naturschutz: n Wieso darf ich hier nicht baden? n Wo können wir noch weitere Schutzgebiete n Warum kann ich meinen Spaziergang nicht mehr errichten? auf der gewohnten Strecke machen? n Welche Tiere und Pflanzen sind weiterhin bedroht? n Wieso können wir das Wasser nicht uneingeschränkt mit dem Kanu erkunden? (Land-)Wirtschaft: n Wie werde ich weiterhin vor Hochwasser geschützt? n Was ist, wenn Überschwemmungen meine Ernte n Muss ich jetzt mit Einschränkungen beim Angeln bedrohen? rechnen? n Muss ich Nutzfläche abgeben? n Wie kann ich meine Ackerfläche künftig bewässern? n Wie kann ich weiterhin Kühlwasser einleiten? n Wie kann ich meine Wasserkraftanlage weiter betreiben?
25 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Für die Renaturierung wird daher versucht, besonders Daher werden auch in den nächsten Jahren viele Gesprä- ausgewogene Pläne zu erstellen. In den letzten Jahren che und Aktionen erforderlich sein, um Kompromisse zu wurden sogenannte Umsetzungsfahrpläne erarbeitet. In finden, wie einerseits die Lippe ökologisch entwickelt diesen wurden die Belange der betroffenen Gruppen so werden kann, aber andererseits Nutzungen – eventuell weit wie möglich berücksichtigt, und es wird schon weit modifiziert – weiterhin möglich bleiben. Wir können, was vor eventuellen Eingriffen um Kompromisse gerungen. die Konfliktlösung und die Erarbeitung von Kompromis- Die Umsetzungsfahrpläne werden in den nächsten Jah- sen angeht, bereits auf Erfahrungen der letzten Jahre ren aktualisiert. bauen. Im nächsten Abschnitt ist bei den beschriebenen Maßnahmenbeispielen auch aufgezeigt, wie solche Größere Umgestaltungsmaßnahmen an der Lippe können Lösungen aussehen können. nur durch separate Genehmigungen erlaubt werden. Im Rahmen der Genehmigungsverfahren besteht für die Betroffenen auf dem Wege einer Bürgerbeteiligung die Möglichkeit, Bedenken und Änderungswünsche zu äußern. Diese müssen dann durch die Genehmigungs- behörde (in der Regel die zuständige Bezirksregierung) bei ihrer Abwägung der Genehmigungsentscheidung berücksichtigt werden. Besser ist es aber sicherlich, mögliche Konflikte bereits im Vorfeld von Genehmigungs- verfahren zu besprechen. Geführte Kanutour auf der Lippe bei Hamm
26 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Lösung von Konflikten: „Viele Partner im Boot“ 01 Aufgrund der früheren Erbteilung ist die Besitzstruktur Auch die Stadt Lippstadt steuerte ein Grundstück bei, von landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Region um zunächst rund 130 Hektar der Klostermersch als rund um Lippstadt sehr kleinteilig. Zwar gab es zahlrei- zusammenhängendes Naturschutzgebiet auszuzeich- che tauschwillige Landwirte, die ihre bisher am Wasser nen. Für die Hellinghäuser Mersch erwarb die NRW-Stif- gelegenen Flächen zugunsten des Naturschutzes abge- tung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege Flächen, die ben wollten. Dies waren häufig aber nur sehr kleine Flur- von der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz stücke. Daher haben sich viele Partner beteiligt, um viele im Kreis Soest (ABU) betreut werden. Weitere Flächen Flächen zu erwerben: Der Landschaftsverband Westfalen konnten durch die Stadt Lippstadt und das Land NRW Lippe stellte den Kreisen Soest und Warendorf eine angekauft werden. Für die Landwirte gab es neue Pacht- zusammenhängende Fläche in der Klostermersch für verträge für Ersatzflächen. Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung. Das Amt für Agrarordnung Soest (heute Bezirksregierung Arnsberg) kaufte weitere Flächen – im Auftrag des Staatlichen Umweltamtes Lippstadt (heute Bezirksregierung Arns- berg). 01 Lippe bei Lippstadt-Hellinghausen 02 Die gesamten Flächen im Bereich der Renaturierung sind eingezäunt. Eine Begehung erfolgt nur durch öffentliche Führungen bzw. nach Voranmeldung für Besuchergruppen. Da die Flächen um die Lippe unter Naturschutz gestellt wurden, besteht dort ein Betretungsverbot.
27 Gewässer entwickeln – mehr Natur wagen Lösung von Konflikten: „Der Mensch im Naturschutzgebiet“ 02 Die Renaturierung der Lippe geht einher mit der Auswei- Um den Menschen die neue Natur zu zeigen, bietet der sung neuer Naturschutzgebiete. Das steht in einigen Arbeitskreis Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest Bereichen in Konflikt mit den Gewohnheiten der Bevölke- (ABU) jetzt auch geführte Exkursionen durch das Gebiet. rung. In der wiederbelebten Lippeauen-Landschaft im Dabei lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sogar Kreis Soest beispielsweise gehören zum Szenario des die Unterwasserwelt kennen: Rund 30 Fischarten besie- Urzustands auch große Huftiere, die die Auen früher deln wieder den Fluss, darunter Neunstachlige Stichlinge, prägten, als der Mensch ihnen noch nicht seinen Stempel Hechte und Rotfedern. Ein Nutzungskonflikt besteht aufgedrückt hatte. Die großen Pflanzenfresser traten allerdings noch: Kanufahrern ist häufig nicht bewusst, meist in Herden auf und hielten Teile der Flächen wald- welchen Schaden sie anrichten, wenn sie auf einer Sand- frei, worauf wiederum andere Tiere und Pflanzen ange- bank lagern und ein Feuer machen. Sie verdrängen damit wiesen sind. beispielsweise den zurückgekehrten Eisvogel, der an der Uferböschung nistet und in solchen Fällen seine Brut auf- Für die Renaturierung der Auen arbeiten hier jetzt ersatz- gibt. Um auch Kanufahrern die neue Situation besser zu weise die robusten Taurusrinder und die vom Wildpferd erklären, sollen spezielle Naturbildungsangebote für abstammenden Koniks. Spaziergängerinnen und Spazier- diese Zielgruppe entwickelt werden. gänge müssen nun entsprechend Rücksicht nehmen. Hunde müssen an die Leine. Auch sind einige Wege in- folge der notwendigen Umzäunung nun nicht mehr für den Menschen nutzbar. Insgesamt überwiegt mittlerweile doch die Zustimmung für das neue Naturschauspiel, das auch von Aussichtsplattformen gut zu beobachten ist: Uferschwalben, die in den 1970er Jahren verschwunden waren, brüten wieder in der Region. Der Eisvogel kehrte ebenso zurück wie der Weißstorch, der über 50 Jahre lang nicht mehr beim Brüten an der Lippe gesichtet wurde.
29 Mehr Raum für Fluss, Pflanze und Tier – Meilensteine der bisherigen Maßnahmen Beispiele von der Quelle bis zur Mündung
30 Mehr Raum für Fluss, Pflanze und Tier Der Tallehof Der Tallehof markiert eine historische Ackerfläche nord- Die für die Maßnahme gefällten Bäume blieben in einigen östlich von Paderborn. Bereits 1830 wurde hier der natür- Fällen als Totholz in dem neuen Flussabschnitt. Als im liche Flusslauf der Lippe verändert. Zur Gewinnung von Dezember 2011 der ehemalige, schnurgerade Verlauf der Nutzflächen für die Landwirtschaft wurde der Fluss Lippe abgetrennt wurde, begann sich der Fluss wieder zu begradigt, befestigt und an den Rand seiner Aue verlegt. schlängeln und seine Aue zurückzuerobern. Die Fische Wehranlagen zur Speisung der Wiesenbewässerung unter- aus dem Altverlauf wurden abgefischt und an anderer brachen die Durchgängigkeit für die Tierwelt. Stelle wieder in die Lippe eingesetzt. Über die nächsten Jahre suchte sich die Lippe immer wieder neue Wege. Die Seit September 2011 arbeitete der Wasserverband Obere ökologische Einheit ist wieder hergestellt. Das beweisen Lippe (WOL) daran, der Lippe ein naturnahes, gewunde- unter anderem die zahlreichen Tiere, die diesen natürli- nes Flussbett zurückzugeben. Gefördert wurde die Maß- chen Raum neu beleben. In dem Naturschutzgebiet kom- nahme durch das Land NRW (Bezirksregierung Detmold). men Schwarz- und Weißstörche vor. Der Eisvogel hat hier Auf einer Fläche von rund 6 Hektar wurde zunächst der eine perfekte Heimat. Fische wie die Äsche und die Oberboden abgetragen und ein flaches, nur knapp 8 Meter Koppe nutzen die kiesige Flusssohle als Laichplatz. Auch breites sogenanntes Initialgerinne ausgehoben. Aus die- die Dreistachligen Stichlinge profitieren von den reichen sem begann die frei fließende Lippe, sich ein eigenes von Beständen an Unterwasserpflanzen. Kies- und Sandflächen geprägtes Flussbett zu gestalten.
31 Und der Hochwasserschutz profitiert ebenfalls: Neben Daten der Aue selbst, die mehr Wasser zurückhalten kann, wird Länge der Lippe vorher: 950 Meter aus dem Gebiet auch Hochwasser in die Talleseen abge- leitet. Diese ehemaligen Kiesgruben dienen als Hochwas- Länge der neuen Lippe: 1.900 Meter serrückhaltebecken für Wassermassen bis zu 500.000 Breite der neuen Lippe: 3 bis 22 Meter Kubikmeter und schützen somit den Paderborner Orts- teil Schloss Neuhaus vor Überflutungen. Kosten: ca. 1 Million Euro (gemeinsam mit einer weiteren Renaturie- Weitere Informationen und aktuelle Entwicklung: rungsmaßnahme an der www.wol.biz Mündung der Beke) Förderung Land NRW: 80 Prozent Luftaufnahme Jetztzustand Das Luftbild zeigt bereits 3 Monate nach Fertigstellung des neuen Flussabschnittes die große Kraft, mit der die Lippe ihr Bett umgestaltet. Tallehof neuer Lippeverlauf alter Lippeverlauf
32 Mehr Raum für Fluss, Pflanze und Tier Lippesee-Umflut 01 Eine besonders aufwändige Aufgabe stellte sich am Zwischen August 2000 und September 2003 begannen Lippesee bei Paderborn. Ein hoher Aufwand waren die die Arbeiten in den unterschiedlichen Bauabschnitten. Baumaßnahmen zur Schaffung einer Umflut, aber auch Ein in den See geschütteter Felsdamm begrenzt den die Sensibilisierung für das Projekt. Bei der Planung für Bereich, in dem später die Lippe die frühere Kiesgrube diese intensiv genutzte Region wurden hohe Anforderun- umfließen sollte. Im Jahr 2003 wurden zunächst die süd- gen an alle Beteiligten gestellt, um die unterschiedlichen lichen Teile gestaltet. Die übrigen Flächen mit kiesigem Belange zu berücksichtigen. Rechtskräftige Abgrabungs- Sandboden begrünten sich sehr schnell selbst. Durch die genehmigungen, festgelegte Nutzungen als Freizeitbe- Umflut ist ein eigenes Lippe-Flussbett um den See herum reiche und Naturschutzzonen, Eigentumsrechte, Gewäs- entstanden, das sich auch weiterhin frei entwickeln kann. serentwicklungserfordernisse: All diese Ansprüche galt es gegeneinander und miteinander abzuwägen. Nach Die Lippesee-Umflut ist das bisher größte Einzelprojekt bei anfänglicher Ablehnung konnte im Lauf der Zeit eine der ökologischen Entwicklung der Lippe. Sie war beson- breite Unterstützung für das Projekt gewonnen werden. ders wichtig, da die Lippe hier auf ein großes unnatürliches Hindernis traf: Durch den See „verlor“ der Fluss die bis Heute wird die Lippe als durchgängiger Fluss um den See dahin mitgeführten Sedimente. Sand und Kies blieben herumgeleitet. Auf einer Länge von 2,6 Kilometern ist mit durch den Stau im See liegen. Außerdem verbreiteten sich einer strukturreichen Aue die Verbindung der Flussteile im See Algen. Das war schlecht für die Gewässergüte – ober- und unterhalb des Freizeitsees wieder hergestellt. sowohl im See selbst als auch für die weiterfließende Lippe.
33 01 In einer „Ersatzaue“ fließt die Lippe wieder getrennt vom Baggersee. 02 Eröffnung der Lippesee-Umgehung 02 Der Lippesee unterbrach aber auch den Wanderweg vie- Daten ler Fische. Seit 2005 werden die Erfolge beobachtet und Baubeginn: August 2000 dokumentiert. Neben deutlich klarerem Wasser im See wurde vor allem in der neuen Lippeaue ein neues Niveau Länge der Umleitungsstrecke: 2,6 Kilometer an Wasserqualität im Sinne eines naturnahen Gewässers Länge der Initialgestaltung erzielt. Das beflügelte die Artenvielfalt vor Ort – eine kleine des Gerinnes: 2,9 Kilometer Wildnis direkt neben dem Badevergnügen. Breite der Umfluttrasse: 60 Meter Datenfluss: Hightech für den neuen Fluss ca. 9,5 Millionen Kosten: Euro Bei dem Großprojekt „Lippesee-Umflut“ waren viele Partner beteiligt, die einen reibungsfreien Informationsfluss benötigten. Daher setzten die Planer von Beginn an moderne Satelliten- und Com- putertechnik ein. Mittels 3-D-Modellen und GPS- Daten konnte die Planung exakt umgesetzt werden. Auch heute noch wird über Luftbildaufnahmen regelmäßig die Entwicklung vor Ort dokumentiert.
34 Mehr Raum für Fluss, Pflanze und Tier Klostermersch, Hellinghauser Mersch, Westernmersch Die „Mersche“ westlich von Lippstadt bildeten eines der negative Wirkung: Wenn das Wehr bei Hochwasser geöff- ehrgeizigsten Projekte der vergangenen Jahre. Der Name net wurde, floss das Wasser besonders schnell ab, sodass deutet schon auf das Wort „Marsch“ hin, also ein Über- sich die Lippe enorm tief in das Flussbett einschnitt. schwemmungsgebiet. Außerhalb der großen Marsch- Außerdem ist ein Wehr ein unüberwindbares Hindernis landschaften in Norddeutschland ist der eindeutigere für wandernde Fische. Begriff für solche Naturräume aber „Aue“. Auf einer Länge von insgesamt 13 Kilometern ist der Lippe ein natürlicher Der Zusammenführung der beiden getrennten Lippeteile, Landschaftsraum zurückgegeben worden, der nun durch also des Flusses und der Aue, ging eine umfangreiche die Dynamik wechselnder Wasserstände geprägt wird. Planung voraus. Die natürliche Breite des Flusses wurde 1996 begann die Renaturierung in der Klostermersch auf nach einer wissenschaftlichen Methode auf durchschnitt- einer Länge von 2 Kilometern. Zwischen 2005 und 2010 lich 30 Meter geschätzt. Durch einen neu angelegten kam flussaufwärts die Hellinghauser Mersch hinzu. 2012 Graben wurde die Lippe tatsächlich sogar auf 45 Meter ergänzte die Westernmersch flussabwärts das Gebiet. verbreitert und die Flusssohle um 2 Meter erhöht. Vor den Maßnahmen war hier eine vom Fluss abgetrennte, Nach insgesamt knapp 20 Jahren und Investitionen von landwirtschaftlich genutzte Aue. Die Lippe wurde in den fast 9 Millionen Euro sind die Ergebnisse ein großer zurückliegenden Jahrhunderten stetig vertieft und be- Erfolg. Von dem deutlich vielfältigeren Vorkommen von gradigt. Die Ufer waren mit Steinschüttungen befestigt, Wasserpflanzen profitieren kleine wirbellose Tierarten und ein Wehr bei Benninghausen regulierte den Wasser- wie Schnecken, Muscheln, Würmer, Mückenlarven und stand. Letzteres hatte für den Fluss eine besonders Libellen. Fische haben auf die Veränderungen ebenfalls 01 Klostermersch nach der Umgestaltung 02 Auf dem begradigten Flussabschnitt westlich und östlich der Gieseler entstanden zwei neue Lippeschleifen. Die alten, schmalen Flussab- schnitte wurden nicht verfüllt, sondern verbleiben als mit dem Fluss verbundene „Alt“-Arme. 03 Altarm der Westernmersch vor der Umgestaltung mit Hochwasser 01
35 sehr positiv reagiert: Quappen, Hechte und selbst Stein- Daten beißer vermehren sich deutlich stärker als zuvor. Auch die Klostermersch Vogelwelt hat gewonnen: Eisvögel, Uferschwalben und Störche haben eine neue Heimat gefunden. In den Natur- Fläche: ca. 130 Hektar schutzgebieten gibt es auch wieder Biber, die fast 200 Länge des umgestalteten Jahre lang in NRW ausgestorben waren. Abschnitts: ca. 2 Kilometer Die umgesetzten Maßnahmen Flächeneigentümer: Land NRW, Stadt Lippstadt, Privatpersonen n Entfernung der starren Uferbefestigungen Kosten: ca. 2 Millionen Euro n Eintrag fehlenden Substrats, Erhöhung der Flusssohle Hellinghauser Mersch n Laufverlängerung in begradigten Flussabschnitten Fläche: ca. 300 Hektar n Entfernen der Stauwirkung des Wehres Benninghausen Länge des umgestalteten n Entfernen oder Öffnen der Uferverwallungen Abschnitts: ca. 8,5 Kilometer n Ergänzen und Aktivieren der Rinnensysteme Flächeneigentümer: NRW-Stiftung Naturschutz, n Einbringen von Totholz Heimat- und Kulturpflege, n Lenkung von Freizeitaktivitäten Land NRW n Verbesserung des Hochwasserschutzes außerhalb der Aue Kosten: ca. 4,5 Millionen Euro Westernmersch Fläche: ca. 70 Hektar Länge des umgestalteten Abschnitts: ca. 2,5 Kilometer Flächeneigentümer: Land NRW Kosten: ca. 2,2 Millionen Euro 02 03
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