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NIS MI T S E N RI LEBE UM Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit E B A Y E .D R N 1910 Nördlicher Schneeferner, Zugspitzplatt: Vergleich 1910/2009 Bayerische Gletscher im Klimawandel – ein Statusbericht www.klima.bayern.de
2 Vorwort Gletscher faszinieren den Menschen seit Im Bewusstsein um die Bedeutung hoch- jeher. Gletscher sind unberührte Naturwun- alpiner Naturräume dürfen Gletscher nicht der, sensible Ökosysteme, Wasserspeicher, als tote Eismassen in den Höhen der Gebirge Orte der Schönheit und der Magie, der betrachtet werden. Sie verdienen unsere Beständigkeit und des Wandels zugleich. ganze Aufmerksamkeit als ein grundlegender Diese Werke der Schöpfung und Evolution Baustein des sensiblen und schützenswerten gilt es zu bewahren und zu schützen. „Öko- und Geosystems Hochgebirge“. Unsere Gletscher sind markante Zeichen der Bayeri- Gletscher sind aber auch Mahnmale des schen Alpen, insbesondere der Berchtes- Klimawandels. Sie reagieren in beispiellosem gadener Alpen und des Wettersteingebirges. Tempo auf die Veränderung des globalen Sie tragen zur Attraktivität der Gebiete bei. Klimasystems, das durch die Emission von Helfen Sie mit, damit auch die nachfolgenden Treibhausgasen aufgrund menschlicher Generationen die Schönheit der Alpen Aktivitäten zunehmend erwärmt wird. Überall bewundern und genießen können! auf der Erde schmelzen Gletscher ab und ziehen sich in größere Höhen zurück. Bei Dr. Christoph Mayer, Kommission für Erdmessung und Glaziologie der Bayerischen Der Klimawandel ist eine der größten Akademie der Wissenschaften, sowie Bedrohungen der Alpen und ihrer Gletscher. Dr. Wilfried Hagg, Department für Geographie Die Natur reagiert hier besonders deutlich, der Ludwig-Maximilians-Universität München, weil sich zahlreiche empfindliche Gebiete bedanken wir uns für die Erstellung des und naturbelassene Landschaften auf relativ zu Grunde liegenden wissenschaftlichen kleinem Raum befinden. Der nachhaltige Berichts. Schutz wertvoller und klimasensitiver Öko- systeme in den Alpen, wie Bergwälder oder alpine Wildflüsse sowie der Schutz gefähr- deter Tier- und Pflanzenarten gehören deshalb zu den vordringlichen Aufgaben der nächsten Jahre. Als einziges deutsches Bundesland mit Alpenanteil hat Bayern dabei eine besondere Verantwortung für den Natur- und Umweltschutz im Gebirge. Als Folgen des Klimawandels können sich in den alpinen Regionen zahlreiche Gefahren- momente ergeben. Diese Georisiken, wie Fels- und Eisschlag oder Murenabgänge, müssen rechtzeitig vermieden oder einge- dämmt werden. Im Rahmen der Bayerischen Klima-Anpassungsstrategie wurden zum Schutz von Mensch und Natur in den Alpen bereits umfangreiche Konzepte erarbeitet. Die Themenbereiche erstrecken sich vom Wildbachschutz, der Erstellung von Dr. Marcel Huber MdL Melanie Huml MdL Gefahrenhinweiskarten, nachhaltigen Staatsminister Staatssekretärin Schutzmaßnahmen im Bergwald, über die Kartierung von Permafrost, einem Klima- aktionsplan Alpenkonvention bis zur Neu- ausrichtung der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus zu einer der weltweit führenden Klima- und Wetterforschungs- stationen. Die Veränderung des alpinen Raums durch den Klimawandel wird im Rahmen internationaler Forschungs- vorhaben untersucht. Zugspitze
3 An der Bayerischen Akademie der Wissen- Der vorliegende Gletscherbericht hätte schaften wird seit fast 50 Jahren Gletscher- ohne die jahrzehntelange Beobachtung der forschung betrieben. Lange bevor die bayerischen Gletscher nicht geschrieben Diskussion um den Klimawandel und die werden können. Der Zustand der Gletscher in Reaktion der Gletscher die Tagesordnung Bayern, aber auch alpenweit, ist besorgnis- beherrschte, untersuchten Wissenschaft- erregend. Die weitere Entwicklung ist jedoch lerinnen und Wissenschaftler in München alles andere als klar, da die vorherrschenden die Zusammenhänge zwischen den klima- Prozesse im Vergehen der Gletscher bis tischen Verhältnissen und der Entwicklung heute nicht vollständing verstanden sind. der Gebirgsgletscher. Dabei geht die „Mün- Daher muss die Beobachtung auch in den chener Schule“ der Gletscherforschung bis nächsten Dekaden fortgeführt werden. ins 19. Jahrhundert zurück, als Sebastian Finsterwalder die erste wissenschaftliche Der vorliegende Bericht stellt eine wichtige Karte eines Geltschers aus Vermessungs- Zusammenfassung der bisher gewonnenen aufnahmen entwickelte. Erkenntnisse dar und veranschaulicht auch dem fachfremden Leser die Faszination des Die Gletscherentwicklung wirkt wie ein Filter Hochgebirges mit seinem „ewigen Eis“. für das Wettergeschehen: Nur langfristige Änderungen spiegeln sich in den Gletschern wider. Dies erlaubt es den Forschern, die relevanten Prozesse im Klimageschehen zu identifizieren und zu bewerten. Allerdings benötigt diese Forschung auch einen langen Atem, da die Entwicklungen über lange Zeit- räume beobachtet und registriert werden müssen. Erst dann erschließt sich der wahre Wert der Beobachtungen in einem großen Zusammenhang. Daher ist die Gletscher- forschung zu Recht in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften beheimatet, einer Institution, die langfristige Forschungs- projekte als eine ihrer Kernaufgaben versteht. Prof. Dr. Karl-Heinz Hoffmann Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Inhaltsverzeichnis 5 Vorwort 2 1. Gletscherrückgang – eine dramatische Folgereaktion des Klimawandels in den Alpen 6 2. Methoden der Gletscherforschung 8 3. Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Gletschern in den Alpen 10 4. Bedeutung der Alpengletscher im Wasserkreislauf 13 5. Gletscher in Bayern heute – eine Bestandsaufnahme 14 Nördlicher Schneeferner 16 Südlicher Schneeferner 17 Höllentalferner 18 Watzmanngletscher 19 Blaueis 20 6. Entwicklung der Gletscher in Bayern 21 Historische Aufzeichnungen seit dem 18. Jahrhundert 21 Systematische Erfassung der bayerischen Gletscher ab 1950 22 Ausblick in die Zukunft der bayerischen Gletscher 25 7. Ein Blick nach Europa: Haben die Gletscher der Alpen eine Zukunft? 26 Alpengletscher im Überblick 26 Schweizer Alpengletscher 27 Österreichische Alpengletscher 27 Zusammenfassung 29 Glossar 30 Fachliteratur und Quellen 32 Allgemeine Literatur zum Thema Gletscher 34 Internetquellen 34 Impressum 36
6 1. Gletscherrückgang – eine dramatische Folgereaktion des Klimawandels in den Alpen Sowohl Ausmaß und Geschwindigkeit der Dass der Gletscherschwund ein sich globalen Erderwärmung als auch die vom selbst verstärkender Prozess ist, lässt seine Menschen emittierten Treibhausgase als Folgen noch gefährlicher werden. Die starke wesentliche Ursache des Klimawandels sind Reduktion heller Schnee- und Firnflächen unbestritten. Aufgrund des Klimawandels durch Abschmelzprozesse führt vermehrt sind während der vergangenen hundert zu dunkleren, schneefreien Flächen, welche Jahre die Lufttemperaturen in Bayern je nach die Sonnenstrahlung besser absorbieren und Region um 0,5 bis 1,2 ° C im Jahresmittel sich dadurch weiter aufwärmen. Auch die angestiegen, am stärksten in den beiden Intensität der Sonneneinstrahlung, Luftdruck letzten Jahrzehnten (Bayerisches Landesamt und -bewegung, Art und Menge von Nieder- für Umwelt, 2008). schlägen gehorchen in Höhenlagen anderen Gesetzmäßigkeiten als im Tal. So fallen die Regionale Klimamodelle und Ergebnisse Sommerniederschläge auch in höheren aus der Klimaforschung zeigen, dass ins- Gebirgslagen inzwischen meist als Regen besondere das sensible Ökosystem Alpen in und nicht mehr als Schnee. Massenverluste den kommenden Jahrzehnten weiter von und Abschmelzen der Gletscher werden einem überdurchschnittlichen Lufttempera- so unterstützt. turanstieg betroffen sein wird. Schon jetzt ist die Temperaturzunahme in den Alpen nahezu In den europäischen Alpen gibt es noch doppelt so groß wie der globale Durchschnitts- etwa 5000 Gletscher. Davon liegen wert, d. h. bis zu 2 ° C. Natur und Umwelt Q 43 % in der Schweiz (= ca. 1050 km2) , werden dadurch erheblich beeinträchtigt. So Q 23 % in Italien (= 560 km2), führte der Klimawandel in den Alpen zu einem Q 19 % in Österreich (= 560 km2), Anstieg der Schneegrenze um 250 bis 300 m Q 14 % in Frankreich (= 350 km2). mit gravierenden Auswirkungen – auch auf die Gletscher. Die 0 ° C-Grenze hat sich z. B. im Weniger als einen Quadratkilometer umfas- Hitzesommer 2003 für mehrere Wochen auf sen die Gletscherflächen der fünf deutschen eine Höhe von 4 000 m nach oben verschoben. Gletscher in Bayern (Alean, J., 2010). Die Folgen des Klimawandels sind in den Alpen besonders weitreichend und gravierend, weil das Ökosystem Alpen aufgrund der räum- lichen Enge, der zahlreichen spezialisierten Lebensgemeinschaften und deren geringen Wander- bzw. Ausweichmöglichkeiten sehr empfindlich und verwundbar ist. Gletscher in den Alpen Legende LINZ WIEN STÄDTE D E U T S C H L A N D MÜNCHEN Gletscher SALZBURG Berggipfel Zugspitze BASEL 2 962 m Dachstein Watzmann 2 995 m ZÜRICH Nebelhorn 2 307 m S C H W E I Z Säntis 2 224 m INNSBRUCK Ö S T E R R E I C H 2 501 m FL Großglockner GRAZ BERN Wildspitze 3 798 m 3 768 m N KLAGENFURT F R A N K R E I C H LAUSANNE Jungfrau L P E MARIBOR 4158m Ortler TA O S 3 905 m GENÈVE S L O W E N I E N JUBLIJANA Monte Rosa 4634 m TRENTO UDINE N Matterhorn 4477m LYON Montblanc 4 807m P E Gran Paradiso MILANO 4601m VERONA K R O A T I E N S T A L GRENOBLE TORINO I T A L I E N GENOVA W E NICE
7 Weltweit warnen Gletscherforscher vor Da sich in der kurzen Zeit des Abschmelzens den dramatischen Veränderungen des die Vegetation nicht an die eisfreien Flächen „ewigen Eises“, die seit der beginnenden anpassen kann, verbleiben unbewachsene Industrialisierung um die Mitte des 19. Jahr- Geröllhalden und Wasserflächen, die poten- hunderts ablaufen. Beispiele finden sich zielle Gefahrenquellen darstellen. weltweit: die 400 Gletscher des Transili-Alatau, Zu den sogenannten Georisiken gehören einer Gebirgsgruppe des Nord-Tien-Schan- abstürzende Felsbrocken, Eisschlag oder Gebirges in Zentralasien haben von 1955 Murenabgänge, die ganze Landschaften und bis 1990 ca. 32 % ihres Volumens verloren Orte in montanen Regionen bedrohen. (Uvarov & Vilesov, 1998), die berühmten Durch den Klimawandel ausgelösten Folgen weißen Kappen des Mount Kenia und für die Alpen sind u.a.: des Kilimandscharo in Ostafrika schmelzen so schnell, dass sie in den nächsten Dekaden Q Zunahme von Hitzewellen ganz verschwunden sein werden (Dow & Q Anstieg der winterlichen Lufttemperatur Downing, 2007). In den kanadischen Rocky stärker als der sommerlichen Mountains sind mehrere Gipfel zum Q Zunahme von Extremwetter-Ereignissen ersten Mal seit 2.500 Jahren eisfrei (Dow & und Hochwasser Downing, 2007). Q Verschiebung der Vegetationszonen in die Höhenlagen Das weitere Abschmelzen der Eismassen Q massiver Gletscherrückgang in Grönland wird mit einem erheblichen Q Zunahme alpiner Gefahren, Anstieg der Meeresspiegel einhergehen, von wie Steinschlag, Murenabgänge dem insbesondere Inseln im Pazifik und Q Abnahme der Tage mit Frost im Winter küstennahe Städte u. a. im asiatischen Raum Q Rückgang der Schneefälle, früherer Beginn bedroht sind. Das Schmelzen der Gletscher der Schneeschmelze verändert die Wasserführung von Flüssen und führt zu Wasserknappheit für Millionen Diese alpinen Gefahren für Mensch und von Menschen auf der Welt. Wichtige Natur müssen rechtzeitig vermieden oder Trinkwasserspeicher gehen durch die eingedämmt werden. Gletscherschmelze verloren. Von gewaltigen Wassermassen schmelzender Gletscher ge- bildete Seen, wie z. B. im Himalaya, brechen ihre natürlichen Dämme und überfluten ganze Regionen. Die Gletscher in den europäischen Alpen sind inzwischen bis auf etwa ein Drittel ihres Volumens im Jahr 1850 zurückgegangen und haben nahezu die Hälfte ihrer Fläche verloren (Zemp et al., 2007). Ursächlich ist die zunehmende Erwärmung der Lufttemperatur durch den Klimawandel.
8 2. Methoden der Gletscherforschung Da Gletscher auf Klimaveränderungen Ein wichtiger Schritt für die genaue Ver- und nicht so sehr auf einzelne warme Jahre messung der Gletscher war die Einführung (= Witterung) reagieren, liefern sie wertvolle der terrestrischen Photogrammetrie durch Beweise für langfristige Veränderungen. Sebastian Finsterwalder, bei der anhand Die Zeichen der Ausdehnung und der Rück- zweier ähnlicher Fotografien eines Ortes züge sind im „ewigen Eis“ deutlich zu eine dreidimensionale Abbildung abgeleitet sehen und ermöglichen es, klimatische Ver- wird (s. a. Glossar). Seit dem Ende des änderungen aus Zeiten abzuleiten, von denen zweiten Weltkrieges kam für die großräumige keine Messwerte vorliegen. Die Gletscher Vermessung zunehmend die Luftbildphoto- werden häufig als das Gedächtnis der grammetrie zum Einsatz. Die Auswertungen historischen Klimaentwicklung bezeichnet. wurden seit den 1950er Jahren am Institut Wie in einem Archiv können in den Tiefen für Photogrammetrie und Fernerkundung der der Eismassen der polaren Eisschilde durch Technischen Universität München sowie seit Bohrkerne Relikte der Vergangenheit wie 1964 in Zusammenarbeit mit der Kommission Staub, Ruß, Pflanzenteile, Gasbläschen für Glaziologie der Bayerischen Akademie der gefunden und bewertet werden. Gebirgs- Wissenschaften durchgeführt. gletscher geben über ihre ehemaligen Aus- dehnungen, die als Moränen lange in der In neuerer Zeit konnten die Untersuchungen Landschaft sichtbar bleiben, wertvolle Hin- an bayerischen Gletschern durch mehrere weise zur Rekonstruktion des Paläoklimas. neuere Messverfahren verbessert werden. Neben terrestrischen Laserscan-Aufnahmen Die bayerischen Gletscher werden seit vielen für die Ableitung der Topographie kommen Jahrzehnten regelmäßig untersucht, um die auch satellitengestützte GPS-Verfahren zum Veränderungen der Eismassen in Zeiten des Einsatz. An den kleineren Gletschern kann Klimawandels zu dokumentieren und zu die Topographie auch mit reflektorloser bewerten (Hagg et al., 2008; Heilig et al., 2010). Tachymetrie, die die Bestimmung des Winkels Die Basis bilden die ersten topographischen und der Distanz zwischen Objekten und Karten der bayerischen Gletschergebiete, die Betrachter mit dem Theodoliten zugrunde legt aus dem 19. Jahrhundert datieren. (s. a. Glossar), bestimmt werden (Abb. 2.2). Abb. 2.1: Dies hat den Vorteil, dass man in engen Bohrkern im Gletscherfirn Tälern nicht durch unzureichenden Satelliten- empfang behindert wird. Abb. 2.2: Beispiel der reflektorlosen Tachymetrie am Watzmanngletscher, 2009.
9 Für die Bestimmung der Eisdicke wurden Die Messungen zu den Eisvolumina und die Messungen mit Bodenradarapparaturen turnusmäßige Vermessung der Topographie durchgeführt. Im Gegensatz zur Vermessung der bayerischen Gletscher wurden in den der Oberfläche muss dafür der Gletscher Jahren 2006 bis 2010 durch die Kommission auf Profilen mehrfach überquert werden für Erdmessung und Glaziologie durchge- (Abb. 2.4). Das Radargerät wird dabei über führt. Die wissenschaftlichen Auswertungen die Eisoberfläche gezogen, die eindringen- liegen diesem Bericht zugrunde (Heilig, den Radarwellen werden am Felsuntergrund Mayer & Hagg, 2010). reflektiert und die so erzeugten Echos aufgezeichnet (Abb. 2.3). Aus der Laufzeit dieser Echosignale kann die Dicke des Gletschereises bestimmt werden. Abb. 2.3 (oben): Ergebnis einer Radaruntersuchung am nördlichen Schneeferner: Am Felsuntergrund ist der Signal- wechsel klar zu sehen (blauer Pfeil), in Bereichen mit Schuttverfüllungen ist die Reflexion weniger deutlich (mittlerer Bereich, roter Pfeil). Abb. 2.4 (links): Einsatz eines Bodenradars im Hochgebirge zur Eisdicken- messung am Blaueis, 2006. Abb. 2.5: 5267800 1040 Beispiel der Auswertung einer Tachy- 1030 metermessung für die Eiskapelle, 1020 5267750 ein ausgedehntes Schneefeld am Fuß 1010 1000 der Watzmann-Ostwand. 990 5267700 980 0 92 970 970 960 5267650 950 REF02 940 870 930 5267600 920 910 900 5267550 890 880 PP01 870 REF01 5267500 860 850 840 5267450 830 0 100 200 300 Meter 820 5267400 3344300 3344400 3344500 3344600 3344700 3344800 3344350 3344450 3344550 3344650 3344750 3344850
10 3. Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Gletschern in den Alpen Gletscher bestehen aus Eis, einem Material, Folgende Faktoren beeinflussen die das sich im Vergleich zu anderen Feststoffen Entwicklung von Gletschern: auf der Erdoberfläche fast ständig nahe an seinem Schmelzpunkt befindet. Während die Lufttemperatur Kristalle von frischem Schnee noch locker nebeneinander liegen, ein großes Luftporen- In den meisten Regionen der Erde werden volumen von bis zu 95 % aufweisen und des- im Sommer Temperaturen erreicht, bei denen halb von geringer Dichte sind (ca. 0,1 g/cm3), Eis schmilzt. Nur im extremen Hochgebirge besitzt der Altschnee (= Firn) bereits eine und im Inneren Grönlands und der Antarktis Dichte von 0,5 g/cm3. Hat sich der Firn durch bleiben die Temperaturen das ganze Jahr den Druck der Schneemassen in Gletschereis unter dem Schmelzpunkt. In allen anderen verwandelt, ist er schwer und fest geworden Regionen der Erde wird zumindest ein (Dichte = 0,8 – 0,9 g/cm3) und kann sich wie Teil des Gletschereises im Jahresverlauf eine zähe Flüssigkeit ins Tal bewegen (Alean, schmelzen, während Neuschnee den Verlust 2010). wieder ausgleicht. Blickt man in die Vergangenheit, so war in der Temperatur (°C) Zeit zwischen etwa 1500 bis 1850 das Klima 11 in Mitteleuropa durch zahlreiche kühle Sommer geprägt (Glaser, 2001). Dies führte dazu, 10,5 Innsbruck dass die Alpengletscher an Fläche zunahmen Zugspitze (korr.) 10 Hoher Peißenberg (korr.) und gegen 1850 ihre maximale Ausdehnung 9,5 seit der letzten Kaltzeit erreichten. 9 Mit dem Beginn der Industrialisierung und der zunehmenden Erwärmung der Lufttempe- 8,5 ratur (Abb. 3.1) begannen die Gletscher in den 8 Alpen jedoch abzuschmelzen. 7,5 Aus Abbildung 3.2 ist ersichtlich, dass die 7 Lufttemperaturen – nur während des Sommer- halbjahres – in den Jahren 1947 bis 1975 eine 6,5 kurze Phase der Abkühlung um etwa 0,8 ° C 6 aufwiesen. Dies führte zu einem allgemein Jahr 1800 1825 1850 1875 1900 1925 1950 1975 2000 beobachteten Gletschervorstoß um 1980. Nach 1975 zeigen jedoch auch die mittleren Abb. 3.1: Lufttemperaturen im Sommer eine zunehmen- Mittlere Jahreslufttemperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen an den de Erwärmung an. Wetterstationen Innsbruck, Zugspitze und Hoher Peißenberg. Die Reihen der Stationen Hoher Peißenberg und Zugspitze wurden (Gradient von 0.6 °C pro 100 m) auf die Meereshöhe von Innsbruck korrigiert. (HISTALP, Auer et al., 2007) Abb. 3.2 Temperatur (°C) Mittlere Lufttemperaturen während 16 der Sommermonate seit Beginn der Aufzeichnungen an den Wetter- 15 stationen Innsbruck, Zugspitze und Hoher Peißenberg. Die Reihen der Stationen Hoher Peißenberg 14 und Zugspitze wurden (Gradient von 0.65°C pro 100 m) auf die Meeres- 13 höhe von Innsbruck korrigiert. (Auer et al., 2007) 12 Innsbruck Zugspitze (korr.) 11 Hoher Peißenberg (korr.) 10 Jahr 1800 1825 1850 1875 1900 1925 1950 1975 2000
11 Niederschlag Neben der Lufttemperatur beeinflussen Höhe (m) Menge, Art und Häufigkeit von Niederschlags- ereignissen die Entwicklung von Gletschern. 2 000 kontinentales maritimes In Gebirgen nimmt der Niederschlag meist Klima Klima mit der Höhe zu und kann in Gipfelregionen leicht das Doppelte der Menge von Tallagen erreichen. Niederschlag und Temperatur bestimmen 1 500 im Wesentlichen den höhenabhängigen Massenumsatz eines Gletschers (Abb. 3.3). In den sehr trockenen Gebirgen Zentralasiens wird in den höchsten Gletscherregionen nur 1 000 wenig Schnee abgelagert. Die Eisschmelze an den Gletscherzungen beträgt nicht mehr als wenige Meter im Jahr. Demgegenüber reichen die Gletscherzungen in Gebirgen nahe der Meeresküste mit sehr viel Nieder- 500 Gleichgewichtslinie schlag oft bis weit in die Täler hinunter, da die großen Schneemassen zu einer starken Gletscherbewegung führen. An solchen Gletscherzungen können Schmelzraten von 10 bis 20 m pro Jahr beobachtet werden (Anderson et al., 2006). Gletscher, die solch enorme Massen an Eis transportieren, -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 reagieren schnell auf Veränderungen des Massenbilanz (m/a) Niederschlags oder der Temperatur. Abb. 3.3 (oben): In Abb. 3.4 werden Niederschlagsauf- Abhängigkeit der Massenbilanz vom zeichnungen aus dem inneralpinen Inntal Niederschlag: trockene/kontinentale Gebiete zeigen deutlich geringere (Innsbruck) mit der Staulage am Nordrand Massenumsätze als feuchte/maritime der Alpen (Oberstdorf) verglichen. Es wird Gebiete. ersichtlich, dass in der Staulage während eines Jahres mehr als doppelt so viel Niederschlag fällt wie in den inneren Alpen- tälern. Zudem zeigt sich eine deutlich Niederschlag (mm) messbare Zunahme des Jahresniederschlags 2 200 an beiden Stationen. Zwischen den Jahren 1900 und 2000 erhöhte sich der mittlere 2 000 Jahresniederschlag in Innsbruck um etwa 70 mm (9 %) und in Oberstdorf um knapp 80 mm (4,5 %). 1 800 1 600 Innsbruck 1 400 Linearer Trend Oberstdorf 1 200 Linearer Trend 1 000 800 Jahr 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 Abb. 3.4: Jahresniederschlag an den Stationen Innsbruck und Oberstdorf. (Auer et al., 2007)
12 Reaktionszeit Sommerniederschlag (mm) Die Gletscher reagieren mit zeitlicher 1 400 Verzögerung auf die Klimaentwicklung (= Reaktionszeit des Gletschers, s. a. Glossar). Die Reaktionszeit kann je nach Größe des 1 200 Gletschers, seiner Lage und den lokalen klimatischen Bedingungen zwischen wenigen 1 000 Innsbruck Jahren und einigen Dekaden liegen. Eine steile Linearer Trend Topographie und ein hoher Massenumsatz Oberstdorf führen zu einer kurzen Reaktionszeit. 800 Linearer Trend 600 Gleichgewicht und Massenumsatz Für die Beurteilung der Klimaempfindlich- 400 keit von Gletschern sind die Lage der Gleich- gewichtslinie und der Massenumsatz 200 (s. a. Glossar) wichtig. An der Gleichgewichts- 0 linie schmilzt genauso viel Eis im Jahres- verlauf ab, wie durch Schneefall wieder Jahr 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 hinzukommt. Wird es wärmer, verschiebt Winterniederschlag (mm) sich die Gleichgewichtslinie in größere Höhen. Eine Faustzahl für die Veränderung 1 400 Insbruck der Lufttemperatur mit der Höhe ist 6,5 ° C Linearer Trend pro 1000 m Höhenänderung (Kuhn, 1979). Oberstdorf 1 200 Linearer Trend Geometrie 1 000 Die Reaktion von Gletschern auf Veränder- ungen der Umgebungsbedingungen ist auch 800 stark von ihrer Form (= Geometrie) abhängig. Die Länge eines Gletschers nimmt mit 600 abnehmender Steilheit des Untergrundes deutlich zu. Dies bedeutet, dass eine Tempe- raturveränderung bei flachen Gletschern 400 größere Flächenanteile betrifft und eine weitaus stärkere Reaktion im Hinblick auf die 200 Gletscherlänge zur Folge hat, als bei steilen 0 Gletschern. Jahr 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 Gletscher werden nicht nur vom Klima beeinflusst, sie können auch Einfluss auf das Klima nehmen. Abb. 3.5: Ein Vergleich der Sommer- und Winter- Vergleich von Sommer- (oben) niederschläge zeigt eine Zunahme der Ursächlich sind zum einen ihre gewaltige und Winterniederschlag (unten) für Winterniederschläge im Nordstau der Alpen Ausdehnung und der große Massenumsatz, die beiden Stationen Innsbruck (Abb. 3.5). Während in Innsbruck im Sommer zum anderen die starke Reflexion des und Oberstdorf. etwa doppelt so viel Niederschlag fällt wie eingestrahlten Sonnenlichts an ihren schnee- (Auer et al., 2007) im Winter, gleichen sich die Niederschlags- bedeckten, weißen Oberflächen (= Albedo, mengen in Oberstdorf an (800 mm gegen- s. a. Glossar). Sie beeinflussen so die Bilanz über 1050 mm). der Sonneneinstrahlung, die großräumigen Wettersysteme und die Meeresströmungen. Ein globales Abschmelzen der Gletscher verstärkt deshalb den fortschreitenden Klima- Die wichtigsten Ursachen des wandel, weil mehr einfallendes Sonnenlicht in Gletscherrückgangs: den zurückbleibenden schnee- und eisfreien, Q Frühlings- und Sommermonate mit d. h. dunklen Gebieten, absorbiert wird und intensiver Sonneneinstrahlung zu einer weiteren Erwärmung führt. Q wenig Schneezuwachs im Winter (Massenumsatz) Q erhöhte Lufttemperaturen Q sommerliche Regenereignisse bis in große Höhen
4. Bedeutung der Alpengletscher im Wasserkreislauf 13 Die Alpengletscher sind im Wasserkreislauf Bedeutung nichteuropäischer Gletscher- eine wichtige Speichergröße, die den Abfluss gebiete im Wasserhaushalt aus den Hochgebirgsregionen in die Flüsse Während die Bedeutung der Gletscher im im Tal reguliert. Noch werden die Hoch- Wasserkreislauf der Alpen nur inneralpin gebirgsflüsse durch das Abschmelzen der eine Rolle spielt, ist sie in anderen Gebirgs- Eisreserven im Sommer gespeist und können regionen wesentlich ausgeprägter. In Zentral- deshalb nicht trocken fallen. Sind diese asien erhalten ausgedehnte Gebiete während Reserven abgeschmolzen, wird die Wasser- des Sommers kaum Regen. Landwirtschaft, führung der Gebirgsflüsse in erster Linie auf Industrie und Gesellschaft sind auf ge- das veränderliche Niederschlagsangebot speichertes Wasser angewiesen. Die starke angewiesen sein. Gletscher wirken sich aber Vergletscherung des Tien Schan und des nicht nur auf die Niedrigwasserführung der Pamir tragen dort wesentlich zur sommer- Gebirgsflüsse aus. Überlagern sich Gletscher- lichen Wasserversorgung bei. schmelze und starke Regenfälle, kann es auch zu gefährlichen Hochwasserereignissen Im Zusammenhang mit dem Abschmelzen kommen. der Alpengletscher wird häufig auch auf den Anstieg des globalen Meeresspiegels Gletscher spielen derzeit vor allem für den hingewiesen. Das Abschmelzen der großen inneralpinen Wasserkreislauf vergletscherter Eismassen der Antarktis und Grönlands Einzugsgebiete mit > 30 % Vergletscherung entspräche einem Anstieg des Meeres- eine Rolle. Im Hochsommer, wenn die spiegels um mehr als 60 m. Das Gesamt- Schneeschmelze bereits vorbei ist und die volumen der alpinen Gletscher und kleineren Gletscherschmelze ihren Höhepunkt erreicht, Eiskappen weltweit kann nur zu einer kann das Wasser in den Flüssen solcher Erhöhung des Meeresspiegels um 15 bis Gebiete bis über 80 % aus Gletscherschmelz- 37 cm beitragen (Lemke et al., 2007). wasser bestehen, z. B. in Vent im Ötztal (Weber et al., 2010). Bereits in Innsbruck (ca. In den letzten 140 Jahren ist der Meeres- 4 % Vergletscherung des Einzugsgebiets) spiegel um etwa 20 cm angestiegen, wobei betrug der über das Jahr gemittelte Beitrag sich die Geschwindigkeit des Anstiegs in den zum Abfluss aus der Gletscherschmelze in letzten 15 Jahren mit 3,1 mm/Jahr beinahe der Dekade 1990 bis 2000 nur noch 8 %. verdoppelt hat (Beckley et al., 2007). Etwas Während heißer und trockener Sommermo- weniger als die Hälfte dieses Anstiegs wird nate kann jedoch der Anteil des Flusswassers auf das Abschmelzen der Gebirgsgletscher im Inn bei Innsbruck zwischen 20 % und 30 % und Eiskappen außerhalb der Polarregionen von Gletschern stammen (Weber et al., 2009). zurückgeführt. Der Anteil der Alpengletscher spielt dabei eine untergeordnete Rolle (Dyurgerov und Meier, 2005). Gletscher wirken als Wasserreserve im Sommer. Das Schmelzwasser Bedeutung der bayerischen Gletscher für Q ergänzt geringe Niederschläge in den den Wasserhaushalt Gebirgsflüssen, Q sorgt für ausgeglichene Pegelstände Das Gesamtvolumen aller bayerischen in den Flüssen, Gletscher von 9,45 Millionen m³ entspricht Q hält die Temperatur der Gebirgsflüsse auf etwa der Menge an Wasser, die bei einem niedrigem Niveau, was die Gefahr einer mittleren Abfluss innerhalb von 38 Stunden Eutrophierung in heißen Sommermonaten in der Isar durch München fließt. Dies zeigt, verringert und dass die bayerischen Gletscher für den Q führt zu konstanteren Abflussverhältnissen Wasserhaushalt von geringer Bedeutung und einer besseren Planbarkeit der Wasser- sind. Da der Anteil des Gletscherwassers verfügbarkeit, u. a. bei der Wasserkraft- in der Isar aus der Zugspitzregion stammt nutzung. und selbst im Sommer nur wenige Promille beträgt, haben die kleinen Gletscher in Fallen Gletscherschmelze und starke Bayern keinen signifikanten Einfluss auf den Niederschlagsereignisse im Frühjahr oder Wasserhaushalt im Einzugsgebiet. Frühsommer zusammen, können sich auch Das zunehmende Abschmelzen der Gletscher folgende Nachteile und Gefahren ergeben: setzt schon seit über 160 Jahren mehr Wasser Q Hochwasserereignisse frei als durch den Niederschlag wieder Q Bedrohung der Fauna der Gebirgsflüsse hinzukommt. Dies bedeutet, dass derzeit die Q Georisiken, Murenabgänge Flüsse im Sommer aufgrund des Gletscher- Q Einschränkung der Wasserkraftnutzung schmelzwassers mehr Wasser führen. Der Einfluss der Gletscher auf die Wasserführung der Flüsse in den Alpen wird durch die fortschreitende Flächenabnahme jedoch kontinuierlich zurückgehen.
14 5. Gletscher in Bayern heute – eine Bestandsaufnahme Lage der fünf bayerischen Gletscher MÜNCHEN Legende D E U T S C H L A N D EBERSBERG STÄDTE ( B AY E R N ) Gletscher STARNBERG KAUFBEUREN TRAUNSTEIN WEILHEIM ROSENHEIM BAD TÖLZ KEMPTEN BERCHTES- GADEN Blaueis GARMISCH- Watzmanngletscher SONTHOFEN PARTENKIRCHEN OBERSTDORF Höllentalferner Ö S T E R R E I C H Nördlicher Schneeferner Südlicher Schneeferner
15 Insgesamt beträgt die Fläche der bayerischen Flächenmäßig sind der nördliche Schnee- Gletscher derzeit noch etwa 70 ha. Die mittlere ferner und der Höllentalferner an der Zugspitze Dicke aller Gletscher beträgt 13,5 m, jedoch mit weitem Abstand die größten Gletscher mit deutlichen Unterschieden zwischen den in Bayern. Der nördliche Schneeferner be- Gletschern. Daraus ergibt sich ein Gesamt- inhaltet trotz vergleichbarer Größe fast doppelt volumen von 9,45 Mio. m3. In den noch so viel Eis wie der Höllentalferner. vergletscherten Gebirgsregionen Bayerns Die anderen drei Gletscher, der südliche ist das Zusammenspiel zwischen hohen Schneeferner, der Watzmanngletscher und Niederschlägen, niedrigen Lufttemperaturen das Blaueis, sind wesentlich kleiner und im Sommer und den geographischen spielen hinsichtlich des Eisvolumens eine Gegebenheiten gerade noch ausreichend für untergeordnete Rolle. das Vorkommen von Gletschern, obwohl sie unterhalb der klimatischen Schneegrenze Der südliche Schneeferner und der Watz- liegen (Hagg, 2008). Der fortschreitende manngletscher haben in den letzten 5 Jahren Klimawandel wird dieses Zusammenspiel stark an Fläche verloren und besitzen schon gravierend ändern. seit Jahren keine Zone mehr, in der sich der Winterschnee über den Sommer hält In den bayerischen Alpen gibt es fünf (Abb. 5.1). Gletscher: auf dem Zugspitzmassiv (Höhe 2962 m) Abb. 5.1: im Wettersteingebirge Die letzten Eisreserven des aperen südlichen Schneeferners (oben) Q Nördlicher Schneeferner (Zugspitzplatt) und des Watzmanngletschers (unten). Q Südlicher Schneeferner (Zugspitzplatt) Am südlichen Schneeferner sieht Q Höllentalferner (Nordseite der Zugspitze) man links die Schneedepots der Zugspitzbahn AG. Der restliche auf dem Watzmann (Höhe 2713 m) Gletscher ist in den letzten Jahren und Hochkalter (Höhe 2607 m) in den schon Mitte des Sommers schneefrei. Berchtesgadener Alpen: Q Watzmanngletscher (Watzmannkar, östlich des Grates von der Watzmann- Mittelspitze zum Hocheck) und Q Blaueis (Kar nördlich des Hochkalter). Nach Abschluss der letzten Vermessungs- periode in 2007 und 2009 durch die Kommis- sion für Erdmessung und Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ergaben sich folgende Flächen und Volumina für Bayerns Gletscher (Tabelle 1): Volumina der bayerischen Gletscher (2007): Volumen (Mio m³) mittl. Dicke (m) max. Dicke (m) Tabelle 1: Übersicht zu charakteristischen Nördlicher Schneeferner 5,16 16,8 52 Größen der bayerischen Gletscher. Südlicher Schneeferner 0,4 4,6 16 Höllentalferner 2,9 11,7 48 Watzmanngletscher 0,6 5,9 16 Blaueis 0,4 3,8 13 Flächen der bayerischen Gletscher (2009): Fläche (ha) höchster tiefster Punkt (m) Punkt (m) Nördlicher Schneeferner 27,8 2 792 2 556 Südlicher Schneeferner 4,8 2 665 2 557 Höllentalferner 24,7 2 569 2 203 Watzmanngletscher 5,6 2 119 1 998 Blaueis 7,5 2 368 1 937
16 Nördlicher Schneeferner Abb. 5.2 (oben): Der nördliche Schneeferner auf dem Zug- Im Gegensatz zu allen anderen Gletschern Der nördliche Schneeferner im Jahr spitzplatt (Abb. 5.2) ist der größte und höchst- besitzt er eine ausgeprägte Zunge und ein 2009. Im oberen Bereich ist ein Teil gelegene Gletscher in Bayern. Er entstand relativ stabiles Akkumulationsgebiet; er weist des Gletschereises durch Geröll vom nach der Abtrennung des östlichen Teils des im mittleren Bereich auch noch eine Spalten- Schneefernerkopf bedeckt. Deutlich Plattachferners und besetzt heute eine zone auf, die für unerfahrene Bergsteiger ist die Muldenform der umgebenden Topographie zu erkennen. Karmulde unterhalb des Schneefernerkopfes. durchaus gefährlich sein kann (Abb. 5.3). Aufgrund der Lage direkt östlich des Grates Seit 1979 schmilzt der nördliche Schneeferner zwischen Zugspitze und Schneefernerkopf wie alle bayerischen Gletscher kontinuierlich treten dort sehr hohe Niederschläge auf, die zurück. In den letzten Jahren wird der Massen- ursprünglich die Ursache für die Ausbildung verlust aber hauptsächlich durch eine Ver- des Gletschers waren. minderung der Eisdicke sichtbar. Aufgrund Der nördliche Schneeferner sieht, wie es der seiner Muldenlage führt ein Abschmelzen der Name bereits andeutet, eher wie ein großes Ränder zwar zu einem Einsinken des Schneefeld aus, wogegen der Höllentalferner Gletschers, aber nur mit geringen Flächen- die typischen Merkmale eines Gletschers zeigt, änderungen. Mit knapp 50 m maximaler d. h. Eisbewegung, Spalten und getrenntes Eisdicke ist der nördliche Schneeferner auch Abb. 5.3: Akkumulations- und Ablationsgebiet. der Gletscher mit den größten Eisreserven. Das Spaltengebiet im mittleren Bereich des Höllentalferners.
Südlicher Schneeferner 17 Der südliche Schneeferner war kurz nach Abb. 5.4: dem Zerfall des Plattachferners der größte Der südliche Schneeferner im Gletscher in Bayern. Da die Topographie des Jahr 2005. Der Gletscher füllt nur noch eine kleine Karmulde direkt Untergrundes nicht so günstig ist, wie am unterhalb des Grates aus. nördlichen Schneeferner (keine ausgeprägte Die benachbarten Rinnen sind Muldenlage), verfügt er über deutlich durch Schneefelder bedeckt. geringere Eisdicken. Der südliche Schneeferner erlitt den größten Flächenverlust aller bayerischen Gletscher und bedeckt heute nur noch eine Fläche von weniger als 5 ha (Abb. 5.4).
18 Höllentalferner Abb. 5.5: Der Höllentalferner liegt in einer tiefen Der Höllentalferner ist der einzige Gletscher, Der Höllentalferner im Jahr 2010. Senke nördlich des Zugspitzgipfels und wird der noch über eine echte Gletscherzunge Die Zunge des Gletschers ist auf nach Süden hin von mehr als 300 m hohen verfügt und im oberen Bereich einen Schnee- beiden Seiten mit Schutt bedeckt, so Felswänden beschattet (Abb. 5.5). Auch nach zuwachs aufweist. Ein wesentlicher Teil der dass das Eis nur im mittleren Westen und Nordwesten ist der Gletscher Akkumulation im oberen Teil des Gletschers Bereich zu erkennen ist. Dort wird es von tiefen Schmelzwasserrinnen von hohen Felswänden eingerahmt, durch stammt von Lawinenabgängen aus der durchzogen. Der obere Bereich des die ein Klettersteig auf die Zugspitze führt. Felsumrahmung. Die steile Topographie und Gletschers liegt fast den ganzen Tag Die geschützte Lage und das hohe Nieder- der ausgeprägte Massenumsatz führen zu im Schatten und erhält im Winter schlagsaufkommen tragen dazu bei, dass einer deutlichen Gletscherbewegung, die sich große Mengen an Lawinenschnee. der heute zweitgrößte Gletscher in den an einer Stufe des Untergrundes im mittleren Bayerischen Alpen, etwa 300 m tiefer als Teil des Gletschers in einigen großen Spalten der nördliche Schneeferner gelegen, noch zeigt. Im Gletschervorfeld des Höllentalferners existiert. ist wie an keinem anderen Gletscher in Bayern die neuzeitliche Geschichte der Gletscher- vorstöße zu erkennen. Moränenwälle zeugen von den Hochständen des Gletschers um 1820, 1850, 1920 und dem letzten kurzen Vorstoß, der etwa 1980 endete.
Watzmanngletscher 19 Abb. 5.6 (oben): Der Watzmann. Abb. 5.7: Der Watzmanngletscher im Jahr 2006. Der Gletscher ist schon weit in die Karmulde hinein abgeschmolzen. Die Altschneereste im oberen (rechten) Gletscher- bereich sind in den letzten Jahren verschwunden, so dass der Gletscher Masse verloren hat. Der Watzmanngletscher östlich der Mittel- Die Wärmeperiode in den 1940er-Jahren spitze des Watzmanns (Abb. 5.6) ist mit einer führte dazu, dass der Gletscher in einzelne mittleren Höhe von nur 2060 m über dem Firnflecken zerfiel und nicht mehr als Meer der tiefstgelegene Gletscher in Bayern. Gletscher wahrgenommen wurde. Dieses Schicksal steht dem Gletscher auch heute Alle bisherigen Beobachtungen belegen, wieder unmittelbar bevor (Abb. 5.7). dass der Watzmanngletscher deutlicher als die anderen Gletscher auf klimatische Ver- änderungen reagiert. Während alle anderen Gletscher in der Periode von 1949 bis 1959 noch erheblich an Masse verloren, zeigte der Watzmanngletscher bereits einen Zuwachs. Der Gletscher hat bis etwa 1980 den größten Zuwachs aller bayerischen Gletscher ver- zeichnet und ist damals deutlich vorgestoßen.
20 Blaueis Abb. 5.8: Das Blaueis ist in einen tiefen Einschnitt Das Blaueis besteht heute aus zwei Teilen Das Blaueis im Jahr 2007. nördlich des Gipfels des Hochkalter und besitzt im Mittel über die Gletscherfläche Der obere steile Bereich des eingebettet (Abb. 5.8). Dieser Gletscher ist die geringste Eisdicke von nur noch knapp Gletschers ist von der ehemaligen gleichzeitig der nördlichste und jener mit 4 m. Die Aufteilung des Gletschers führt dazu, Gletscherzunge im flachen Grund der tiefsten Gletscherzunge in Bayern. dass zwei sehr unterschiedliche Eiskörper getrennt. Der untere Bereich ist heute weitgehend von einer Durch seine Lage ist er fast das gesamte existieren. Weil der ehemalige Zungenbereich dünnen Schuttschicht bedeckt. Jahr weitgehend vor Sonneneinstrahlung keinen Nachschub mehr aus dem höheren geschützt, während die steilen Felswände Becken erhält und gleichzeitig auf einer sehr große Mengen an Lawinenschnee auf niedrigen Meereshöhe liegt, sind die Massen- den Gletscher transportieren. bilanzverhältnisse sehr ungünstig. Der obere Bereich hingegen liegt – sehr gut vor Die erste topographische Aufnahme des Sonneneinstrahlung geschützt – wesentlich Gletschers stammt von Anton Waltenberger höher und erhält durch Lawinen aus den aus dem Jahr 1889. Zur Zeit der Maximal- darüber liegenden Felswänden im Winter ausdehnung, um 1820, bedeckte das Blaueis reichlich Schnee. etwa 25 ha. Heute dagegen sind es nur noch 7,5 ha. Das Blaueis gliedert sich in einen sehr steilen oberen Bereich und eine deutlich flachere Zunge. Diese beiden Teile hingen bis vor wenigen Jahren noch zusammen.
6. Entwicklung der Gletscher in Bayern 21 Historische Aufzeichnungen seit dem 18. Jahrhundert Die vermutlich erste kartographische Dar- stellung eines Gletschers in Bayern stammt aus dem Jahre 1774. Auf einem Kartenblatt des Atlas Tyroliensis ist der „Plattacher Ferner“ auf dem Zugspitzplatt vermerkt. Zu dieser Zeit erstreckte sich die Vergletsche- rung über die gesamte Hochfläche, also über den heute nördlichen und südlichen Schnee- ferner. Dieser Gletscher war mit einer Fläche von etwa 300 Hektar der mit Abstand größte Gletscher in Bayern (Finsterwalder, 1951). Im Vergleich zu einer heutigen Gesamt- fläche aller bayerischen Gletscher von etwa 70 ha ist das eine ansehnliche Größe. Im Jahr 1820 wurde das Zugspitzplatt dann von Josef Naus erstmals im Detail kartiert und der noch zusammenhängende Plattach- ferner vermessen (Abb. 6.1). Anlässlich dieser Vermessung wurde die Zugspitze vermutlich das erste Mal bestiegen. Wie in den meisten Gebieten der Alpen war auch hier die maximale Ausdehnung der Gletscher in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht. Je nach Literaturquelle war dies zwischen 1820 (Hirtlreiter, 1992) und 1856 Abb. 6.1 (oben): (Finsterwalder, 1951). Kartographische Darstellung der ersten, nicht maßstabsgetreuen Erst 72 Jahre nach der ersten Vermessung, Vermessung des Zugspitzplatts im im Jahr 1892, erfolgte die erste vollständige Jahre 1820. Auf dem Zugspitzplatt Aufnahme aller Gletscher in Bayern. ist der ausgedehnte Plattachferner Im Wettersteingebirge und in den Berchtes- zu erkennen (max. Breite etwa zwei gadener Alpen erfolgte dies durch Sebastian Kilometer). Finsterwalder (Finsterwalder, 1896). Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Plattach- ferner kurz vor seiner Aufspaltung in zwei getrennte Gletscher (Abb. 6.2); die Eiskapelle am Fuße der Watzmann-Ostwand bildete noch einen kleinen eigenständigen Gletscher (Abb. 6.3). Abb. 6.2: Im Zeitraum zwischen 1920 und 1950 schmol- Der Gletscher auf dem Zugspitz- zen alle Gletscher in Bayern weiter ab. Auf platt kurz vor seiner Aufspaltung in dem Zugspitzplatt bildeten sich schließlich zwei Teile. Aufnahme von 1875. drei Gletscher heraus, von denen der östliche (Waltenberger, 1882) Überrest des alten Plattachferners inzwischen auch verschwunden ist. Die Eiskapelle verlor damals bereits ihre Gletscherzunge. Sie ist heute nur noch ein von Lawinen gespeistes Schneefeld. Abb. 6.3: Ausschnitt des Watzmanngletschers aus der Originalaufnahme des Topographischen Bureaus von 1897 (Breite des Gletschers etwa 500 Meter).
22 Systematische Erfassung der bayerischen Gletscher ab 1950 Anfang der 1950er Jahre begann die regel- Die bayerischen Gletscher wiesen um 1850 mäßige Untersuchung und Vermessung aller noch eine Fläche von etwas mehr als vier bayerischen Gletscher, die inzwischen im Quadratkilometer auf, wobei der damals 10-Jahres-Abstand von der Kommission für noch zusammenhängende Gletscher auf dem Erdmessung und Glaziologie der Bayerischen Zugspitzplatt mit 75% den größten Anteil Akademie der Wissenschaften in München an der Gesamtfläche hatte. In der Abbildung durchgeführt wird (Escher-Vetter & Rentsch, 6.4 ist die Entwicklung der Gletscherflächen 1994; www.glaziologie.de). in Bayern seit 1950 dargestellt. Es lässt sich ablesen, dass: Es existiert heute eine mehr als 60-jährige Zeitreihe der Gletscherentwicklung in den Q Ende der 1950er Jahre die Gesamtfläche Bayerischen Alpen. Die Beobachtungen am der bayerischen Gletscher etwa einen Quad- Schneeferner dokumentieren sogar die ratkilometer erreichte; Gletscherentwicklung auf dem Zugspitzplatt während der letzten 120 Jahre. Berücksichtigt Q von Ende der 1950er Jahre bis 1980 man die historischen Kartierungen der die gesamte Gletscherfläche um ca. 30 % Berchtesgadener Gletscher, kann auch dort zunahm. Die bayerischen Gletscher dehnten die Veränderung der Gletscher seit Ende des sich jedoch mit unterschiedlicher Ausprä- 19. Jahrhunderts nachvollzogen werden. gung aus: so zeigt das Blaueis (grüne Linie in Abb. 6.4) diese Flächenzunahme ver- zögert erst nach 1970, während der Watz- Entwicklung der Gletscherflächen in Bayern manngletscher (schwarze Linie in Abb. 6.4) seine Fläche in diesem Zeitraum mehr als Die Veränderung der Gletscherflächen verdoppelt hat; spiegelt, insbesondere bei ausgedehnten Gletscherzungen, sehr gut längerfristige Q sich seit etwa 1980 die Gletscherflächen klimatische Entwicklungen wider. in Bayern aufgrund des Klimawandels Die Rekonstruktion der maximalen Gletscher- dramatisch verringert haben. Der südliche Bilanz: flächen in Bayern während der letzten Jahr- Schneeferner verlor 84 % seiner Fläche. Die Gesamtfläche der hunderte erfolgt durch Vermessung von End- Der nördliche Schneeferner (-32 %) und der bayerischen Gletscher betrug moränen, z. B. bei Burghausen, Memmingen, Höllentalferner (-18 %) mussten dagegen im Jahr 2009 noch 71 Hektar. Kaufbeuren oder in der Nähe des Chiemsees. moderate Flächenverluste hinnehmen; Endmoränen sind die Zeitzeugen vergangener Gletscherausdehnungen, weil sie während Q seit etwa 2000 der Flächenverlust aller eines Vorstoßes eingeschlossenes und an der bayerischen Gletscher eine rapide, klima- Oberfläche befindliches Geröll zum Zungen- bedingte Beschleunigung erfahren hat, der ende des Gletschers transportieren. Dort einzig der Höllentalferner aufgrund seiner wird es durch Ausschmelzen deponiert und Muldenlage noch widerstehen kann. bildet die Endmoräne. Schmilzt ein Gletscher, bleibt dieses Moränenmaterial zurück und markiert die Ausdehnung des vorhergehen- den Vorstoßes. Abb. 6.4: Fläche (ha) Fläche gesamt (ha) Entwicklung der Gletscherflächen 50 in Bayern seit Mitte des NSF 20. Jahrhunderts. Der Zeitpunkt der SSF 140 Messungen an den einzelnen HTF Gletschern ist mit Punkten markiert 40 WMG (wobei: BEI NSF = nördlicher Schneeferner Gesamt 120 SSF = südlicher Schneeferner HTF = Höllentalferner 30 WMG = Watzmanngletscher BEI = Blaueis). 100 20 80 10 60 0 Jahr 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020
23 Entwicklung der Eisdicke der bayerischen Gletscher Die Reaktionen der Gletscher auf klima- Eisdickenabnahme 1976 bis 2006 tische Veränderungen zeigen sich nicht nur Nördlicher Schneeferner in der Veränderung der Gletscherflächen, sondern auch in der Mächtigkeit des „ewigen N Eises“ bzw. in der Veränderung dessen W O mittlerer Oberflächenhöhe. Gewinnt ein Gletscher an Eismasse, so wächst die Höhe S [m] an, während sie bei einem Massenverlust +4 bis 0 abnimmt. Dies ist ein Grund, weshalb die 0 Bestimmung der Höhenänderung mehr 0 bis -2,5 - 2,5 bis -5,0 Aussagekraft in der Gletscherforschung hat, -5,0 bis -7,5 als die reine Beobachtung der Flächen- -7,5 bis -10,0 änderung. -10,0 bis -15,0 -15,0 bis -20,0 Die Höhendifferenzen aller bayerischen -20,0 bis -25,0 Gletscher werden in mehrjährigem Abstand -25,0 bis -30,0 erfasst. Detaillierte Aufnahmen der Gletscher- -30,0 bis -40,0 topographie oder schwierige, kontinuierliche 0 250 Meter Messungen sind dazu notwendig. In der Abbildung 6.5 sind Auswertungen der Höhen- messungen an bayerischen Gletschern in Eisdickenabnahme 1981 bis 2010 Abb. 6.6: einer Übersicht im Zeitraum von ca. 1950 bis Höllentalferner Vergleich der Eisdickenänderung 2009 dargestellt. der beiden größten bayerischen Gletscher, nördlicher Schneeferner Die Eisdickenverteilung des nördlichen (oben) und Höllentalferner (unten), Schneeferners, des Watzmanngletschers und für vergleichbare Zeiträume. Beide des Höllentalferners ist relativ gleichmäßig, Gletscher haben in den letzten da sich die Gletscher seit Mitte des 20. Jahr- 30 Jahren maximal über 30 m Eis verloren. Im Mittel über die hunderts in einer Muldenlage befinden. Gletscherfläche sind es bei beiden Die Entwicklung der Eisdickenverluste ist Gletschern etwa 18 m Eisdicken- für diese drei Gletscher ähnlich. Der Höllen- abnahme. talferner besitzt noch eine ausgeprägte Zunge, an der die höchsten Eisdickeverluste auftreten, während in seiner stabilen Akkumulationszone nur geringe Dicken- änderungen stattfinden. Die größten Eisdickenverluste für die drei Gletscher wurden in der wärmsten Dekade von 1999 bis 2009 beobachtet – der Trend ist stetig zunehmend (Abb. 6.6). Abb. 6.5: 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Die mittleren Höhenänderungen 100 der bayerischen Gletscher während 50 0 NSF der letzten sechs Jahrzehnte (Mayr, -50 2010). Abgesehen von der leichten -100 Zunahme der Eisdicken im Zeitraum von 1970 bis 1980, zeigten alle Mittlere Änderung der Oberflächenhöhe (cm/a) Gletscher einen Massenverlust, SSF (wobei: NSF = nördlicher Schneeferner SSF = südlicher Schneeferner HTF = Höllentalferner HTF WMG = Watzmanngletscher BEI = Blaueis). WMG BEI
24 Am Beispiel des nördlichen Schneeferners zeigt sich, dass vor allem der Bereich des Eises mit mehr als 30 m Dicke deutlich zurückgegangen ist (Abb. 6.7). Der Bereich mit mehr als 50 m dickem Eis ist verschwun- den. Trotz dieses massiven Eisverlustes hat sich die Gletscherfläche nicht wesentlich geändert. Der mittlere Eisdickenverlust von etwa 6 m in diesen 7 Jahren hat aber dazu geführt, dass nun ein großer Bereich des Gletschers weniger als 15 m dick ist. Sollten die klimatischen Verhältnisse in den nächsten 10 Jahren ähnlich sein wie heute, wird der nördliche Schneeferner einen erheblichen Flächenverlust erfahren. N Eisdickenverteilung 1999 Eisdickenverteilung 2006 Nördlicher Schneeferner Nördlicher Schneeferner W O S [m] 0 0 bis 2,5 2,5 bis 5,0 5,0 bis 7,5 7,5 bis 10,0 10,0 bis 15,0 15,0 bis 20,0 20,0 bis 25,0 25,0 bis 30,0 35,0 bis 40,0 40,0 bis 50,0 50,0 bis 60,0 0 100 200 300 400 500 Meter Abb. 6.7: Das sehr raue Gelände um den südlichen Die Eisdicke am Blaueis nimmt seit Vergleich der Eisdickenverteilung Schneeferner füllte sich in den 1970er Jahren ca. 1990 weniger stark ab, weil durch das des nördlichen Schneeferners von mit Schnee und es bildete sich eine aus- starke Schmelzen zwischen 1980 und 1989 1999 (links) und 2006 (rechts). gedehnte, aber dünne Eisdecke aus. Diese mehr Moränenmaterial im tieferen Bereich (Heilig et al., 2010) verschwand schon in den darauffolgenden des Gletschers auf die Oberfläche gebracht Jahren, was sich in einem erheblichem wurde. Dieses schützt den Gletscher Flächenverlust widerspiegelt. In den Jahren vor Sonneneinstrahlung, sobald es einige zwischen 1989 und 2006 waren es dann Zentimeter dick ist. Hier muss jedoch vorwiegend die dünneren Randbereiche des zwischen oberem und unterem Gletscher- Gletschers, die vollständig verschwanden. bereich unterschieden werden: Während Seit 2006 ist der Gletscher auf den Bereich die Eisdicken des unteren Gletscherteils der oberen Karmulde begrenzt und das bereits sehr gering sind, weist der obere flächenhafte Abschmelzen dieses mächtige- Teil des Gletschers durch seine geschützte ren Eiskörpers weist vergleichbare Werte wie Muldenlage nur geringe Mächtigkeits- am nördlichen Schneeferner und am Höllen- änderungen auf. talferner auf. Bilanz: Während der vergangenen drei Jahrzehnte (seit ca. 1980) nimmt die Eisdicke aller bayerischen Gletscher kontinuierlich ab. Die absoluten Dickenverluste des Eises sind jedoch von Gletscher zu Gletscher entsprechend der lagebedingten Situation unterschiedlich.
Ausblick in die Zukunft der bayerischen Gletscher 25 Die bayerischen Gletscher konnten nur Eisdickenverteilung 2007 wegen ihrer überwiegend geschützten Lagen Watzmanngletscher in Gebieten mit außergewöhnlich hoher Eisdicke Akkumulation (Niederschlag als Schnee oder [m] Lawineneintrag) bis heute überdauern. 15 Abschmelzen mit der zu erwartenden Klima- [m] 1 : 5000 15 Watzmanngletschers 2007. Abschmelzvorgänge sind bereits deutlich 0 50 100 150 Meter (www.bayerische-gletscher.de) sichtbar. Der untere Teil des Blaueises und der Watzmanngletscher werden in den Im Gegensatz zu den kleineren Gletschern nächsten Jahren verschwinden. Die maxima- haben der nördliche Schneeferner und der len Mächtigkeiten dieser beiden Eiskörper Höllentalferner bessere Bedingungen für lagen 2007 noch bei etwa 15 m (Abb. 6.8). eine längere Überlebensdauer (Abb. 6.9). Bei einem derzeitigen Eisverlust von Dies liegt einerseits an dem weitaus größeren etwa 1 m pro Jahr könnten selbst bei gleich- Eisvolumen der beiden Gletscher, anderer- bleibenden klimatischen Bedingungen beide seits aber auch an ihrer Lage. Der nördliche Eiskörper bis 2020 nahezu verschwunden Schneeferner liegt etwa 400 m höher als die sein. Die zunehmende Schuttauflage auf dem Gletscher in den Berchtesgadener Alpen. unteren Teil des Blaueises wird diesen Die relativ offene Exposition Richtung Osten Zeitpunkt höchstens um wenige Jahre begünstigt das weitere Abschmelzen. N hinauszögern. Der obere Teil des Blaueises W O besitzt wesentlich günstigere Akkumulations- Gletscherentwicklung 2020 Gletscherentwicklung 2020 Höllentalferner Nördlicher Schneeferner S bedingungen und weist durch die höhere [m] Lage und die starke Schattenlage auch 0 geringere Schmelzraten auf. Daher kann 0 bis 2,5 erwartet werden, dass dieser Gletscherteil 2,5 bis 5,0 5,0 bis 7,5 noch längere Zeit überdauern wird. 7,5 bis 10,0 10,0 bis 15,0 An der Zugspitze ist vor allem der südliche 15,0 bis 20,0 Schneeferner von einem völligen Abschmel- 20,0 bis 25,0 zen bedroht. In den letzten Jahren wurden 25,0 bis 30,0 keine Altschneereste am Ende des Sommers 35,0 bis 40,0 40,0 bis 50,0 mehr beobachtet. Dies und das Fehlen 50,0 bis 60,0 eines Firnkörpers deuten darauf hin, dass der Gletscher sein Akkumulationsgebiet schon 0 100 200 300 400 500 Meter seit Längerem verloren hat. Daher wird voraussichtlich auch dieser Gletscher in den Der Höllentalferner erhält durch seine Lage nächsten 10 bis 15 Jahren bis auf wenige etwa 22 % mehr Akkumulation als der Abb. 6.9: Eisreste abgeschmolzen sein. nördliche Schneeferner und ist zudem durch Gletscherentwicklung bis 2020 für die Ausrichtung gegen Nordosten und die den nördlichen Schneeferner (rechts) Die derzeitige teilweise Abdeckung des und den Höllentalferner (links). hohen Felswände sehr gut gegen Sonnen- Gletschers durch die Zugspitzbahn AG zur Zu sehen ist die resultierende Eis- einstrahlung geschützt. Aufgrund dieser Sicherung der Liftstützen wird nach dem dickenverteilung. Beide Gletscher Situation wird vermutlich der Höllentalferner verlieren deutlich an Volumen Neubau des Sesselliftes 2012 eingestellt. Der auch der letzte verbleibende Gletscher in und Fläche, bleiben ihrem Charakter bisher damit verbundene Effekt niedrigerer Bayern sein. nach aber erhalten. Schmelzraten war nur auf einen sehr kleinen Bereich beschränkt und hat, genauso wie Eine Prognose für das Jahr 2020 für beide am nördlichen Schneeferner, keinen Einfluss Gletscher auf der Grundlage der Entwicklung auf die Entwicklung des Gesamtgletschers. der letzten zehn Jahre (gleichbleibende klima- tische Bedingungen) zeigt, dass der nördliche Schneeferner seine jetzt schon unbedeutende Zunge verlieren wird und die maximalen Eisdicken auf etwas über 30 m reduziert werden. Der Höllentalferner zeigt im Verhält- nis weniger Verluste und behält noch einen Großteil seiner Zunge. Auch hier werden die Eisdicken deutlich abnehmen, die maximalen Eisdicken aber vermutlich über denen des nördlichen Schneeferners liegen.
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