Bei uns ist noch Platz! - missio München
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VOR ORT BURKINA FASO Bei uns ist noch Platz! Lange wurde Burkina Faso gepriesen als Vorbild für das gute Zusammenleben von Völkern und Religionen. Doch jetzt erschüttern Gewalt und Terror das Land in Westafrika. Die Zahl der Flüchtlinge hat die Millionengrenze überschritten. Was haben sie erlebt? Und wo sollen sie hin? TEXT: CHRISTIAN SELBHERR | FOTOS: JÖRG BÖTHLING 30 | missio 6/2020 missio 6/2020 | 31
VOR ORT BURKINA FASO Polizei und Militär versuchen die Terroristen aufzuspüren. Aber die Gefahr wächst und die Menschen verlassen ihre Dörfer. wieder da. Ihr Blick schweift ins Leere, wie an einen fernen Ort. Es scheint, als sehe sie das alles noch ganz deutlich vor sich. „Wir sangen gerade im Kirchen- chor“, berichtet sie. „Gerade fingen wir mit der zweiten Strophe an.“ Da hörten sie Lärm von draußen – Motorräder, die „ZU HELFEN WAR FÜR MICH SELBSTVERSTÄNDLICH.“ auf den Dorfplatz vor der Kirche heran- rauschten. Und dann, was war das? Jean Bruno Ouédraogo („Papa Jean“) nahm über Schüsse, wahrscheinlich. „Wir liefen nach 30 Flüchtlinge bei sich zu Hause auf. draußen“, sagt Marie Swadogo. Aber sie konnten den Angreifern nicht mehr entkommen, die Kirche war schon umzingelt. Sie mussten sich in einer Reihe aufstellen und ihre Ausweise herzeigen. ER REDET SO VIEL, weil er nicht Die Terroristen kontrollierten ihre Na- weiß, was er sagen soll. Idrissa Jean Bruno men: Klingen sie eher christlich, wie Ma- Ouédraogo fehlen schlicht und ergreifend rie oder Jean-Paul? Oder muslimisch, wie die richtigen Worte. Am Ende läuft alles Fatouma oder Mamadou? „Ich denke, auf den einen Satz hinaus: „Es war für dass sie uns töten wollten“, sagt Marie Sa- mich selbstverständlich, den anderen zu wadogo heute. Und tatsächlich: Fünf helfen.“ Herr Ouédraogo wird „Papa Männer wurden umgebracht. Außerdem Jean“ genannt, und wie ein Vater küm- der Pfarrer der Gemeinde, der eben noch mert er sich um diejenigen, die vor kur- die Messe gelesen hatte. Dann sollten die zem bei ihm angeklopft haben. Über drei- Frauen an die Reihe kommen. ßig Menschen – Frauen wie Männer und Marie Sawadogo bricht mit ihrer Er- Kinder – standen am rostbraunen Eisen- zählung ab. Es soll genügen für den Mo- tor und fragten: „Bitte, Papa Jean, kannst ment. Wichtig ist ja ohnehin nur, dass sie du uns helfen? Wir wissen nicht, wohin überlebt hat. Und dass sie sich jetzt eini- wir gehen sollen.“ germaßen in Sicherheit befindet. Weil ihr Herr Ouédraogo ließ sie herein. Er entfernter Onkel Jean Bruno Ouédraogo hatte ja schon gehört, was geschehen war. sagte: „Ja, kommt herein, ich helfe euch.“ DAS TRAUMA IST ALLGEGENWÄRTIG. Ein Überfall auf das kleine Dorf Dablo, Mehr als eine Million solcher Schick- weiter oben im Norden ihres Heimat- sale kennt das Land Burkina Faso inzwi- Marie Sawadogo war am Tag des Überfalls landes Burkina Faso. Und das mitten am schen, in nicht einmal zwölf Monaten in der Kirche. Sie sang im Chor, als die Angreifer kamen. Tag, ja sogar an einem Sonntag! sind sie alle heimatlos geworden, Flücht- Eine, die an diesem schrecklichen Tag linge im eigenen Land. Ihre Dörfer und mit dabei war, ist Marie Sawadogo. Wenn Gemeinden sind nicht mehr sicher genug sie an die Ereignisse vom Mai 2019 zu- vor den Angriffen der verschiedenen ter- rückdenkt, sind die Erinnerungen sofort roristischen Gruppen, sowie der bewaff- 32 | missio 6/2020 missio 6/2020 | 33
VOR ORT BURKINA FASO VOR ORT MALI Flüchtlingskinder in der Schule von Kaya: Jeden Tag kommen neue hinzu. Enttäuschung, Angst, Verzweiflung. Die „WIE WIRD DIE ZUKUNFT sind weit verbreitet, gerade in den abge- legenen Regionen der Sahelzone. Dort, FÜR UNS WERDEN?“ wo das Wasser immer knapper wird, wo die Ernten immer spärlicher ausfallen, und die Weidegründe für Kühe, Schafe und Ziegen immer weiter schrumpfen. „Kommt mit uns!“ So lautet die einfa- che Botschaft der Terrorgruppen. Jungen Männern werden Gewehre versprochen, und Motorräder, und vielleicht sogar eine Frau als Braut. Auch Frauen schließen sich dem Tross des Terrors an – sie ver- dienen Geld als Händlerinnen, als Köchin für die Kämpfer, als Bräute der heiligen Krieger. Wobei, mit der religiösen Botschaft ist es nicht so weit her – das betonen eigent- lich alle, die jemals eine solche Gruppe in Aktion erlebt haben. Wie ein Mann na- „IN UNSEREM DORF LEBT NIEMAND MEHR.“ mens Issa Moussa Sawadogo aus dem Dorf Léré. Auch dort fielen Terroristen Drei Frauen aus der Gemeinde Dablo. ein, griffen die Polizeistation und das Im Mai 2019 wurde dort ein schwerer Anschlag verübt. Haus des Bürgermeisters an, verbreiteten Angst und Schrecken. „Sie haben geraucht, sie haben getrun- ken,“ sagt Issa Moussa Sawadogo. „Erst neten Milizen, die Vergeltung üben und zu kurz gedacht, würde man den Terro- stattfindet? Oder an welcher Stelle man haben sie gebetet, aber dann haben sie damit die Gewalt nur weiter anheizen. rismus immer nur als ausländisches Phä- von der Hauptstraße abbiegen muss, um unsere Tiere gestohlen.“ Und fügt leise, Wie hat es nur so weit kommen kön- nomen betrachten. Nach dem Motto: über holprige, verschlungene Seitenwege aber doch voller Abscheu hinzu: „Das nen? Burkina Faso galt doch immer als Unsere Leute würden in Frieden leben, das besagte Dorf zu erreichen? Dafür zeigt mir, dass sie keine gläubigen Men- Musterbeispiel für ein gutes Zusammen- wenn nur nicht die Ausländer wären. Das braucht es einheimische Verbündete – schen waren.“ leben zwischen Christen und Muslimen, stimmt nirgendwo auf der Welt, also auch Menschen, die Informationen haben und Wer da nicht mitmachen will, muss zwischen den Stämmen und Volksgrup- nicht hier. sie weitergeben. weg. Wie Issa Moussa und Marie Sawa- pen. Das war auch keine Utopie, sondern Denn woher sollen Terrorkämpfer aus Das muss gar nicht unbedingt aus dogo, die nicht verwandt sind, sondern ganz praktischer Alltag. Mali oder Niger wissen, wann genau in Bosheit geschehen, oder aus religiösem nur einen der besonders häufigen burki- Experten sehen mehrere Gründe: Die einem Dorf wie Dablo die Sonntagsmesse Fanatismus. Es reichen schon Gefühle wie nischen Familiennamen teilen. Jetzt ha- Krisen in den Nachbarländern Mali und Niger sind inzwischen so groß geworden, Nach Kaya gekommen: Die kleine Stadt scheint einigermaßen friedlich und sicher. Aber kann sie den Ansturm der Flüchtlinge bewältigen? dass sich das kleine Land Burkina nicht mehr davor schützen kann. Wenn in Mali die Truppen Frankreichs, der Vereinten Nationen und auch der deutschen Bun- deswehr immer schwerere Geschütze ge- gen Islamisten und andere Rebellen auf- fahren – ist es dann nicht naheliegend, dass sich die unzähligen Splittergruppen einfach über die Grenze zurückziehen, wo sie vor dem Zugriff ausländischer Ar- meen sicher sind? Wenn Mali für sie zu gefährlich wird, dann verbreiten sie ihren Terror eben in Burkina Faso. Aber es wäre 34 | missio 6/2020 missio 6/2020 | 35
„Land der Aufrechten“ bedeutet Burkina Faso übersetzt. Der „Platz der Cineasten’“ ist ein Wahrzeichen der Hauptstadt Ouagadougou. Doch auch das Hotel „Splendid“ hat Bekanntheit erlangt – weil dort der erste Terroranschlag verübt wurde. ben sie, wie viele andere, Zuflucht gefun- ter oder muslimische Imame, als Res- Zwei Beispiele: Der Pfarrer der Ge- DAS AFRIKANISCHE JAHR den in kleinen Städten wie Kaya und pektspersonen und bleiben meist von meinde Djibo, Abbé Joel Yougbaré, war Besonders für die französischsprachigen kanischen Länder viele Herausforderungen Dori. Manche kommen bei Verwandten Angriffen verschont. Nicht so in diesen im März 2019 auf dem Heimweg von ei- Länder Afrikas gilt 1960 als „Das Jahr, in bewältigen können. Dennoch bereiten vor unter, andere stranden in provisorischen Zeiten in Burkina Faso. Es scheint kein ner Sonntagsmesse. Doch er kam nie an. dem Afrika erwachte“. Damals erkämpften allem die Entwicklungen der vergangenen Lagern. Zufall, dass in den vergangenen Monaten Wo ist er, wer hat ihn entführt? Bis heute sich nicht weniger als 18 afrikanische Län- fünf bis zehn Jahre Sorge. Beispiel Burkina Auch die katholischen Priester vieler immer mehr dieser lokalen Führungs- gibt es keine Meldung seiner Entführer, der die Unabhängigkeit: Von Kongo bis Ka- Faso: Lange waren die Menschen zu Recht Pfarrgemeinden haben zusammen mit personen attackiert wurden. Als ob keine Forderung nach Lösegeld. Nur ein merun, über Elfenbeinküste und Senegal stolz auf das friedliche Zusammenleben ihren Gläubigen fliehen müssen. Eigent- die Angreifer ihre Stärke noch einmal spärliches Lebenszeichen: Westliche Gei- bis nach Obervolta. Aus diesem „Obervolta“ der Volkgsruppen und Religionsgemein- lich gelten Geistliche, ob christliche Pries- eigens beweisen wollten. seln berichteten nach ihrer Freilassung, wurde dann in den 1980er-Jahren Burkina schaften. Christen und Muslime lebten dass sie den Priester in der Gefangen- Faso, übersetzt: „Land der Aufrechten“ nicht nur neben- sondern miteinander. schaft gesehen hätten. Es gehe ihm den oder „Anständigen“. 60 Jahre später muss 2014 wurde das Land seinen Langzeitherr- Umständen entsprechend gut, er sei noch man zunächst einmal betonen: Trotz Krie- scher Blaise Compaoré los. Doch allmählich „DIALOG HEISST FRIEDEN BEWAHREN.“ am Leben. gen und Krisen, und manch anderem Übel, sickerte die Gefahr herein: Islamistisch mo- François Paul Ramdé und Imam Mahamoudou Yaya Cissé Anders der muslimische Imam von das mit „K“ beginnt (Korruption und Krank- tivierte Anschläge zielten zunächst auf Djibo. El Hadji Souaibou Cissé galt als heiten zum Beispiel) haben die jungen afri- westliche Ausländer in Cafés und Hotels. von der Friedensinititative UFC aus Dori mutiger Mann. Er hatte die immer häufi- Bald drangen immer mehr gewalttätige ger werdenden Angriffe offen verurteilt. Gruppen aus den Krisenländern Mali und Als er im August 2020 mit einem öffent- Niger herein und fanden einheimische Ver- lichen Bus fuhr, wurde dieser angehalten. bündete. Mehr als das halbe Land gilt nun- Man befahl dem Imam auszusteigen. Er mehr als „Zone Rouge“, rote Gefahrenzone. wurde mitgenommen. Wenig später fand Wo gibt es noch Hoffnung? Mit Friedens- initiativen wie UFC wollen Christen und man seine Leiche. A Muslime der Gewalt begegnen. Einen Kurz- film darüber gibt es im Youtube-Kanal von missio München und auf www.missio.com 36 | missio 6/2020 missio 6/2020 | 37
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