Klamotten -Thema Nachhaltigkeit (9): Mountain Wilderness Schweiz
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Nachhaltigkeit (9): Hartware Die Rohstoffe für Ausrüs- tung aus Metall wachsen nicht nach. Aber man könnte zumindest nach verantwortungsvoller B Produktion fragen, etwa ei der Bergsportbekleidung ist nach Recyclingmaterial Doch wer hat schon mal nach der Strom das Thema Nachhaltigkeit längst oder biobasiertem Kunst- bilanz des Aluminium-Karabiners gefragt? angekommen. Labels gibt es zur stoff. Tim Marklowski Oder nach Recycling-Klemmkeilen? Einem Genüge. Von Tierschutz über Ar appelliert an Bergsportler, Ski mit FSC-zertifiziertem Holzkern, lami beitsbedingungen bis zur Ökologie – natur ihre Marktmacht nicht niert mit Bioharz? verbundene Kundinnen und Kunden wollen zu unterschätzen. Die Nachfrage ist praktisch inexistent. wissen, was sie kaufen. Was beim T-Shirt Das zeigt eine Masterarbeit an der Univer anfing, ist mittlerweile auch bei der Hard sität Bern: Nachhaltigkeit gehört zwar zu shelljacke ein Thema. „Grün“ soll die tech den Werten heutiger Bergsportler, aller nische Bekleidung sein, frei von toxischen dings nicht für alle Produkte in gleichem Polyfluorcarbonen (PFC) und hergestellt und Eisenerzen. Der Großteil des Abbaus Maße. 78 Prozent der befragten Konsumen unter fairen Arbeitsbedingungen. Dekla findet in tropischen Regionen statt, wo ten geben an, bei Bekleidung auf Nach riert werden solche Produkteigenschaften Bauxit in relativ dünnen horizontalen haltigkeitsstandards zu achten – bei Hart durch mehr oder minder transparente La Schichten vorkommt, überlagert von eini waren sind es noch sieben Prozent. Dies bels wie Bluesign oder Fair Wear Founda gen Metern Erdreich. Also muss zuerst deckt sich mit den Erfahrungen von Fach tion, um zwei der etablierteren Standards großflächig Wald gerodet und danach der händlern: Kaum ein Kunde stellt die aus der Labelflut herauszugreifen. Boden aufgerissen werden – in zum Teil „N“-Frage. Das öffentliche Auge bleibt auf Während aber die Bekleidung grüner empfindlichen Naturräumen und zum Textilien und vielleicht Schuhe gerichtet. wird, tut sich bei der restlichen Ausrüstung Leidwesen indigener Bevölkerung. Bis zu Ähnlich sieht’s beim Angebot aus: Bei noch wenig. Wanderstöcke, Karabiner, Ski, vier Tonnen Bauxit sind nötig, um zwei den Textilien kann man sich im Label- Helm, Pickel – wer das ganze alpinistische Tonnen Alumina und letztlich eine Tonne Dschungel geradezu verirren; für Karabi Spektrum abdeckt, hat einen gut gefüllten Aluminium herzustellen, unter enormem ner und Co. gibt es kein einziges Gütesie Ausrüstungskeller. Und auch die Produkti Stromverbrauch. Der giftige Rotschlamm, gel, das Konsumenten etwas über die on dieser „Hartwaren“ belastet Mensch und der nach der Alumina-Extraktion zurück Nachhaltigkeit des Produktes sagen wür Umwelt. Schon die Rohstoffe – vor allem bleibt, wandert in riesige Geländebecken. de. Dies liegt nicht etwa an Geheimniskrä Aluminium, Stahl und weitere Legierun 2010 brach im ungari merei. Die Hersteller Auch Hartwaren gen, dazu diverse Kunststoffe – sind nicht schen Kolontár der wissen schlicht selbst belasten nachwachsende Ressourcen (also grund Damm eines solchen nicht genau, wo ihre sätzlich nicht „nachhaltig“) und aufwän Rotschlammbassins; Rohstoffe herkom die Umwelt dig zu gewinnen. Und dabei gibt es diver rund eine Million Ku men, denn es sind ses Problempotenzial. bikmeter ätzender und „globally traded com Betrachten wir als Beispiel Aluminium, schwermetallhaltiger modities“, also Güter, viel verwendet für Karabiner, Klemmkeile, Schlamm trat aus und die auf dem Welt Leichtausrüstung. Es wird aus Bauxit ge kontaminierte das Umland. 400 Men markt gehandelt werden. Viele Firmen wonnen, einem Gestein aus Aluminium- schen aus den umliegenden Gemeinden beklagen, es gebe schlicht keine Möglich mussten evakuiert werden, zehn Personen keit der Rückverfolgung, wie dies bei Tex kamen ums Leben, 150 wurden verletzt tilien der Fall ist. Auch wenn der Wille da und teilweise mit schweren Verätzungen wäre: Um Klarheit zu schaffen, geschweige in Kliniken eingeliefert. denn etwas zu bewegen, scheint der Res Keine Frage: Solche Zustände widerstre sourcenverbrauch der Bergausrüstung zu Karabiner und ähnliche „Hart waren“ halten lange – aber ben dem Umwelt- und Ethikverständnis woher kommen die Rohstoffe? des Bergsportlers in der Recyclingjacke. DAV 3/2018 85
marginal, verglichen mit jenem der Auto- oder Bauindustrie. Doch so gering muss der Einfluss der Bergsportindustrie auf ihre Zulieferer gar nicht sein: Man betrachte nur die Erfolgs geschichte der Daunen-Standards. Laut European Outdoor Group (EOG) beträgt der Anteil der Bergsportindustrie am ge samten globalen Daunenkuchen weniger als ein Prozent. Die Daunenjacken und Schlafsäcke einer Handvoll Bergmenschen Keiner fragt nach Recycling- Karabinern sind im Vergleich zur Bettenindustrie quasi vernachlässigbar. Dennoch hat es die Outdoorbranche geschafft, Standards Fotos: Greenpeace, Christian Pfanzelt, Wild Country einzuführen, etliche Marken haben Le bendrupf und Zwangsfütterung von Gän sen aus der Daunenherstellung verbannt. In der Folge zogen prompt einige größere bergsportferne Unternehmen mit, die Standards sind inzwischen verbreitet – und der Impuls kam vom zunächst machtlos wirkenden Bergsportsektor. Im Gespräch zeigen Bergsportfirmen ein grundsätzliches Interesse, auch bei Res sourcen wie Aluminium mehr Klarheit zu schaffen und Verantwortung zu überneh men. Man muss auch zugeben, dass die Bergsportindustrie mit ihren global gese hen kleinen Rohstoffmengen höchstens eine marginale Mitschuld an etwaigen Missständen trägt. Doch Nachholpotenzial wäre da. So liegt die Recycling-Rate von Aluminiumdosen laut dem International Aluminium Institute (IAI) weltweit um siebzig Prozent, in der Bau- und Transport industrie sogar bei neunzig Prozent. Der So schön das Alu der Keile glänzen mag: Wenn bei der Aluminium verarbeitung was schiefgeht (wie in Kolontár, Ungarn, o.), können Umwelt und Menschen leiden. 86 DAV 3/2018
Nachhaltigkeit (9): Hartware dem Radsport, und so die Hebelwirkung vergrößern? Oder gibt es Nachhaltigkeits initiativen größerer Branchen, denen man ALU, EISEN, KUNSTSTOFF: LANGE NUTZEN, GUT ENTSORGEN sich anschließen könnte? Die Aluminium Die Produktion von Hartwaren ist das eine. Zu mehr Nachhaltigkeit kann aber Stewardship Initiative (ASI) zum Beispiel jeder Bergsportler und jede Bergsportlerin selbst beitragen: durch achtsame Nutzung und verantwortete Entsorgung. schreibt sich den Einsatz für mehr Trans Nutzen und Erhalten: Das Material von Metall-Hartwaren hat theoretisch eine parenz und Nachhaltigkeit in der Alumini unbegrenzte Lebensdauer. Solange sie funktionieren, gibt es keinen Grund zur umlieferkette auf die Fahne, vor allem in Ausmusterung. Denn Metalle an sich altern quasi nicht – wohl aber Kunststoff- puncto Treibhausgasemissionen, Biodiver und Textilbestandteile! Wer sein Material gut pflegt und sorgsam behandelt, kann die Nutzungsdauer sität, Wasser und Menschenrechte. verlängern und muss seltener etwas Neues kaufen. Auf der Ispo im Januar 2018 fand der Allgemeine Pflegetipps: zweite Runde Tisch zum Thema statt und, ›› Spülen in warmem Seifenwasser (ggf. mit einer alten Zahnbürste Dreck siehe da, ein ASI-Vertreter war vor Ort und entfernen); abwaschen mit klarem Wasser. stellte die Initiative vor. Das Problem: Ge ›› Trocknen an der Luft, nicht an Hitzequellen; trocken lagern. dacht ist der Standard vor allem für pro ›› Schließ- und Klemmmechanismen sparsam schmieren (Schmiere auf Silikon- oder Wachsbasis, kein WD40), überschüssiges Öl sorgfältig entfernen. duzierendes und abnehmendes Gewerbe Mehr Pflegetipps und Links: alpenverein.de/panorama im ganz großen Stil, also für Firmen wie den Aluminiumproduzenten Norsk Hydro oder die Großabnehmer Audi und BMW. Darauf, dass plötzlich die Outdoorindustrie anklopft, war man nicht vorbereitet, und der Anreiz, diese vergleichsweise winzigen Player zu integrieren, ist gering. Außerdem berechnet sich der Mitgliedsbeitrag nach dem Gesamtumsatz eines Unternehmens, zu dem Hartwaren bei den meisten Berg ausrüstern nur marginal beitragen – er wird also unverhältnismäßig hoch. Doch das Problem ist benannt, die ersten Schrit te sind gemacht, die Ausrüster wollen dranbleiben. Nachhaltigkeitsinnovationen entste Entsorgung: Wenn Funktionalität und Sicherheit nicht mehr gewährleistet sind hen nach Expertinnen wie Hilke Patzwall (Schnapper schließt nicht mehr, Abseilacht ist ausgeschliffen …), ist es Zeit, (CSR-Managerin, Vaude) oder Vera Köppen Abschied zu nehmen. Klemmgeräte können vielleicht noch eingeschickt und (Fair Wear Foundation) meist im Zusam repariert werden, bei simpleren Hartwaren ist häufig Schluss. Um sie im Rohstoffkreislauf zu halten: entweder im Bergsportgeschäft des Vertrauens menspiel von Angebots- und Nachfra abgeben oder an der örtlichen Recyclingstelle entsorgen. geseite. Ein Produkt kann noch so nach haltig sein; wenn niemand es fordert und kauft, hat es am Markt keine Chance. Ge erste rezyklierte Karabiner steht aber noch erstes Treffen mit dem Titel „Outdoor nau wie bei der Bekleidung liegt die Ver aus. Zu groß sind die Bedenken um die Equipment Sustainability Roundtable“ antwortung beim Produzenten wie bei Qualität, auch wenn es bislang noch keine (Runder Tisch für nachhaltige Outdoor- den Konsumenten. Es gilt also, im Laden Tests dazu gab. Ausrüstung) – mit Vertretern der EOG, die richtigen Fragen zu stellen und klar zu Doch es dürfte eine Frage der Zeit sein, bekannter Bergsportfirmen und von Moun- signalisieren, dass nachhaltige Produkte bis die Kundin im fair produzierten Bio tain Wilderness. gefragt sind. baumwollhemd sich fragt, wo ihr Eispickel In viele Richtungen wurde gedacht: herkommt. Und auch dank des Nachha Könnte man beispielsweise mit ande Tim Marklowski versucht als kens von Naturschutz- und Nachhaltig ren Industrien kooperieren, die gleiche Projektleiter Bergsport bei Moun- keitsorganisationen nimmt sich die Indus Materialien benutzen, zum Beispiel aus tain Wilderness Schweiz seine Liebe zu Natur und Natursport mit trie des Themas an. Auf der OutDoor-Messe möglichst wenig Belastung der in Friedrichshafen gab es im Juni 2017 ein Natur auszuleben. DAV 3/2018 87
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