Beitrag: Hygienemängel und schlampige Reinigung - Alltag im Krankenhaus?
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Manuskript Beitrag: Hygienemängel und schlampige Reinigung – Alltag im Krankenhaus? Sendung vom 9. Juni 2015 von Nicola Burfeindt Anmoderation: Das Problem ist „von ausschlaggebender Bedeutung für die Menschheit“. Sagt Angela Merkel über Keime, die gegen Antibiotika resistent sind. Beim Gipfel wollte die Kanzlerin darüber mit den anderen G7-Größen sprechen. Statt nur die, da oben, sollte sie aber auch mal die ganz unten fragen, die meist schlecht bezahlten Reinigungskräfte in deutschen Krankenhäusern. Die könnten ihr erzählen, wie sauber es im eigenen Land so zugeht. Und ob die Hygiene-Regeln eingehalten werden. Denn falls nicht, können Keime von einem Raum zum andern wandern und einen Patienten nach dem anderen vielleicht tödlich infizieren. Unsere Reporterin wollte es wissen und hat sich unter das putzende Personal gemischt. Text: Unsere Reporterin Nathalie schleust sich mit versteckter Kamera als Reinigungskraft in ein Krankenhaus ein. Eine Woche putzt sie, nimmt dabei heimlich Keimproben. Wie gründlich ein Krankenhaus die Hygiene einhält, ist von außen meist nicht zu erkennen. Ihr Einsatzort ist eine der beliebtesten Kliniken Hamburgs: das Albertinen-Krankenhaus. Nathalie stellt fest, Reinigungskräfte genießen hier einen geringen Stellenwert: O-Ton Nathalie, Reporterin: Bei jedem Kennenlernen, mit jeder anderen Reinigungskraft war die erste Frage: Du bist doch Deutsche, du hast doch Abitur, warum machst du nichts Richtiges? Und eine Kollegin meinte zu mir, für das, was wir hier machen, wir bekommen so wenig Geld. Wir sind eigentlich moderne Sklaven. Nathalie, arbeitet als Springerin im Schichtdienst, acht Stunden am Tag, für 9,55 Euro brutto die Stunde. Ein Knochenjob, selbst für eine junge Frau.
Nathalies erster Arbeitstag beginnt um 5:30 Uhr. Eine professionelle Schulung vor ihrem Einsatz erhält sie nicht. Sie wird im laufenden Betrieb von den Kolleginnen angelernt. Niemand erklärt ihr die hygienischen Mindeststandards, zum Beispiel das fachgerechte Desinfizieren der Hände. Sie bekommt später lediglich eine Dienstanweisung überreicht. O-Ton Nathalie, Reporterin: Es gab dieses Formblatt. Dieses Formblatt habe ich nach meiner ersten Schicht ausgehändigt bekommen, abends mit dem Hinweis: Unterschreib das, das musst du dir jetzt nicht alles durchlesen. Das Krankenhaus bestreitet die Vorwürfe, antwortet nur schriftlich, verweist auf sein erfolgreiches Hygienemanagement. Nathalie sei von Zitat: „…erfahrenen Reinigungskräften eingearbeitet…“ und für eine „…obligatorische Pflichtschulung…“ am 7. April eingeplant worden – also, erst drei Wochen nach Arbeitsbeginn. Professor Klaus-Dieter Zastrow ist einer der renommiertesten Krankenhaushygieniker Deutschlands. Er ordnet das, was Nathalie in der Klinik erlebt hat, für uns ein. O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Das ist natürlich etwas spät, drei Wochen danach. Denn in drei Wochen kann man viel Unsinn oder Unheil anrichten. Die Schulung bei den Reinigungskräften ist das A und O. Eine richtige Schulung umfasst alle wichtigen Hygieneregeln. Nathalie hat etwas anderes erlebt. So sollte sie in den Patientenzimmern für Waschbecken, Toilette und Flächen jeweils einen Lappen benutzen und nach jedem Zimmer die Lappen wechseln. Während ihrer Schichten stellte sie fest, dass so viele Lappen gar nicht ausgegeben werden. Sie erfährt außerdem, am Wochenende, mit weniger Personal, sei das Putz-Pensum kaum zu schaffen. O-Ton Nathalie, Reporterin: Wenn auch hoher Zeitdruck ist, sagte mir eine Kollegin, wenn du eben nicht genug Zeit hast, dann musst du eben gucken, dass du - dann putzt du eben auch schon mal mit einem Lappen für alles. Du darfst dich eben nicht erwischen lassen.
Die Klinik erwidert, dass ausreichend Lappen bereitgestellt würden. Zudem seien Reservelappen jederzeit verfügbar. O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Das ist einfach eine Sparmaßnahme, eine skandalöse Sparmaßnahme. Der Putzwagen muss so ausgestattet sein, dass alle Lappen, die ich brauche und sogar noch einige mehr dort vorhanden sind. Das heißt, wenn die Mitarbeiterin mit dem Arbeitsgang vorbei ist, hat sie noch saubere Lappen auf dem Wagen. Die Putzwagen haben drei Eimer. Der Reporterin fällt auf, dass die Kolleginnen diese Eimer nicht randvoll, sondern höchstens zur Hälfte mit Wasser füllen. Dann verteilen sie etwas Desinfektionspulver aus einer Tüte auf die Eimer. Einfach so, frei nach Gefühl. Das kann zu bedenklichen Fehldosierungen führen. Denn das Mittel tötet Keime nur zuverlässig, wenn es genau nach Anleitung des Herstellers eingesetzt wird. Danach muss für die Flächendesinfektion der Inhalt einer ganzen Tüte, nämlich 40 Gramm, in acht Liter Wasser aufgelöst werden. Und nicht, wie Nathalie es erlebt hat: Da wurde der Inhalt einer Tüte auf drei knapp befüllte Eimer verteilt. O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Das ist natürlich völlig verkehrt und unüblich. Das heißt, es gibt genaue Anweisungen – soundsoviel Gramm oder ein Beutel auf acht Liter zum Beispiel – aber nicht dass so Pi mal Schnauze das quer verteilt wird, da kommt ja keine geprüfte Konzentration zustande. Also, man kann da nicht einfach so ein bisschen was reinschütten. Nathalie wundert sich über die niedrige Dosierung. Denn so, wie sie den Einsatz des Pulvers miterlebt hat, vermag es eine Desinfektion kaum zuverlässig gewährleisten. O-Ton Nathalie, Reporterin: Auf Nachfrage haben mir die Kolleginnen gesagt, der Chef hätte gesagt, das Mittel sei sehr teuer und deshalb müsse man daran sparen und deshalb soll man auch nur einen Beutel verwenden. Sparen zu Lasten der Hygiene? O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Wie soll man das bezeichnen? Also, das ist patientengefährdend. So einen Fall hatten wir auch schon
vor gut 20 Jahren in Gießen. Da waren das allerdings 24 Kinder, die heute körperlich geistig schwerbehindert sind. Und dort hat man gezielt und auf Anweisung im Sparwahn die Desinfektionsmitteldosierung halbiert. Und das war ein Riesenfehler. An ihrem vierten Tag begleitet Nathalie eine Kollegin bei der Reinigung eines Isolierzimmers, sieht, wie sie den Sanitärbereich mit dem Desinfektionsmittel bestreut, ohne es in Wasser aufzulösen. Ein weiterer schwerer Anwendungsfehler, denn das Mittel wirkt, so der Hersteller, nur, wenn das Mittel im Wasser aufgelöst wird. Als Pulver ist es wirkungslos. O-Ton Nathalie, Reporterin: Wenn jemand als Einweisung bekommt, dass er das Pulver trocken auf der Fläche verreiben soll, dann kann man das eigentlich gar nicht glauben. Das ist ja geradezu schwachsinnig. Das kann überhaupt nicht funktionieren. Also, eine andere Bewertung gibt’s gar nicht. Hierzu erklärt das Krankenhaus: Weder würde in der Klinik an Desinfektionsmitteln gespart, noch seien diese unvorschriftsmäßig eingesetzt worden, eine solche Anweisung gebe es nicht. Zitat: „Die Dosieranleitung hängt in jedem Putzmittelraum (...) aus und ist auch auf der Rückseite jeder Desinfektionsmittel- verpackung abgedruckt.“ O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Fassen wir es mal andersrum an: Der Auftraggeber hat die Verpflichtung, den Mitarbeiter – selbst wenn der Abitur hat und ein Hochschulstudium hat – einzuweisen. Und man muss dem Mitarbeiter die Bedeutung seiner Arbeit klarmachen. Und das ist hier offenbar alles nicht erfolgt. Während ihrer Schichten nimmt Nathalie heimlich Abklatsch- und Tupferproben an Handläufen, Türklinken, einer Fernbedienung sowie bei im Flur aufbewahrter Wäsche, Kopfkissen und Lichtschaltern. Außerdem an Fahrstuhlknöpfen und Desinfektionsmittelspendern. Und schließlich von ihrer Schuhsohle und dem unsachgemäß angesetzten Putzwasser. Die knapp drei Dutzend Proben bringt sie in ein Hamburger Labor. Das hatte sie bereits für die Probenentnahme beraten. Nathalie zeigt dem Laborleiter die Aufnahmen, auf denen auch die Eimer mit dem unvorschriftsmäßig dosierten Desinfektions- mittel zu sehen sind. Die Belastung des Putzwassers beurteilt das Labor kritisch:
O-Ton Henrik Gabriel, Dr. Brill + Partner, Institut für Hygiene und Mikrobiologie: Wir haben in der Flüssigkeit Keime gefunden. Man würde normalerweise erwarten, dort keine zu finden. Wir haben sie hier gefunden. Das heißt, sie könnten auch beim Putzprozess dann über die Flüssigkeit zwischen verschiedenen Zimmern verteilt werden. O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Im Wischwasser darf natürlich überhaupt kein Keim überleben. Das heißt, wenn es dort Keime gibt, dann ist die Dosierung in jedem Falle falsch, denn sonst würde man die Keime nicht finden. Die Ergebnisse der Stichprobe weisen eine kritische Keimbelastung für die Handauflage einer Sitzgruppe, für einen Desinfektionsmittelspender und für die saubere Wäsche auf. An der Schuhsohle werden MRSA-Keime identifiziert. Solche Keime sind gegen viele Antibiotika resistent und können für immungeschwächte Menschen tödlich sein. Wir konfrontieren das Krankenhaus mit den Befunden. Das bestreitet gravierende Hygienemängel, betont, dass die Reinigungsmaßnahmen bei ihm, Zitat: „…sorgfältig und verantwortungsbewusst durchgeführt…“ würden. Die Klinik verweist auf Gegengutachten mehrerer Prüflabors, die von ihr beauftragt wurden. Danach sei das grundlegende Ziel, mögliche Krankheitserreger einem anerkannten Standard entsprechend zu vermindern, erreicht worden. Bis auf wenige Ausnahmen bestünden die nachgewiesenen Keimspektren aus, Zitat: „… nicht pathogenen Umgebungskeimen …“, die Keimzahlen seien zudem sehr gering, so dass von Zitat: „… keimarmen Oberflächen …“ ausgegangen werden könne. O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Also, das komplett zu bestreiten, ist eher ein Zeichen dafür,
dass man es vielleicht doch schon geahnt hat. Hygienemängel und schlampige Reinigung - ist das Alltag in deutschen Krankenhäusern? O-Ton Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Arzt für Umweltmedizin und Hygiene: Wir erleben das bei Schulungen, wie erstaunt manchmal die Reinigungskräfte sind, wie wichtig ihre Arbeit ist. Aber wo eine Schulung nicht stattfindet, da reduziert sich das nur darauf: Der Tisch sieht doch sauber aus, warum soll ich den heute noch mal wischen? Die Experten sind überzeugt, Nathalie hätte in anderen deutschen Kliniken ähnliche Zustände erleben können. O-Ton Henrik Gabriel, Dr. Brill + Partner, Institut für Hygiene und Mikrobiologie: Das ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Phänomen, was man in anderen Krankenhäusern so auch finden könnte. Zumindest in Bezug auf die Wäsche-Lagerung sehen selbst die von der Klinik beauftragten Labors Handlungsbedarf. Das Krankenhaus erklärt uns, hier hätte man bereits gehandelt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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