Bericht vom Internationalen Peace Event Sarajevo 2014 6.6 9.6.2014

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Bericht vom Internationalen Peace Event Sarajevo 2014 6.6 9.6.2014
Bericht vom Internationalen Peace Event Sarajevo 2014
                        6.6. - 9.6.2014

Die Schüsse von Sarajevo auf das österreichische Thronfolgerpaar gelten als Initialzündung für den
Ersten Weltkrieg. Sarajevo, ein „meeting of cultures“, wie es an der Grenze zwischen der aus
osmanischer Zeit stammenden Altstadt zur östreich-ungarischen „Neustadt“ in den Boden
eingelassen ist, war nun 100 Jahre nachdem der Name dieser Stadt mit dem Ausbruch des Ersten
Weltkriegs verbunden wurde, durch das International Peace Event 2014 Gastgeber für ein großes
internationales Friedensereignis mit über 2 500 FriedensaktivistInnen aus 32 Ländern, mehr als 200
Workshops und Roundtables, einer zweitägigen Begleitkonferenz über „Frauen im Krieg“, vielen
kulturellen Aktivitäten sowie einem mehrtägigen Jugendcamp. Gleichzeitig fand noch ein offenes
„Cafe“ des Weltsozialforums statt.
Kaum eine andere Region in Europa ist so von Kriegen, ethnischen Säuberungen, Flucht und
Vertreibungen sowie grausamen Massakern heimgesucht worden wie die Balkanregion. Von dem
gerade 20 Jahre zurückliegenden – hoffentlich letzten! - Krieg zeugen noch an vielen Häusern
sichtbare Einschusslöcher, einzelne Ruinen und im Boden eingelassene rote Farbkleckse zur
Erinnerung an die dort Umgekommenen. Die unsichtbaren Wunden in den Seelen der Betroffenen
scheinen weitgehend verhüllt, so wie viele Gebäude inzwischen äußerlich restauriert, die
Schusslöcher in den Fassaden z.T notdürftig übertüncht sind. Die junge Generation, darunter viele
modisch gekleidete Muslima, teilweise selbstbewusst mit Kopftuch, scheint ein friedliches,
unbeschwertes Leben in den zahlreichen Freiluft-Cafes in den engen Gassen der charmanten
Altstadt zu genießen, über denen der aromatische Duft der Wasserpfeifen hängt. Bettelnde Alte und
bettelnde Kinder weisen auf die andere Seite, die sozialen Probleme bei hoher Arbeitslosigkeit hin.
Das überwiegend muslimische Sarajevo, Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, war 4 Jahre
lang durch serbisch-bosnischee Truppen belagert. Nur durch einen schmalen Erdtunnel konnte
Nahrung von außen herbeigeschafft werden oder Menschen aus Sarajevo fliehen. Vom Krieg zeugen
die vielen neue muslimische Friedhöfe rund um Sarajevo auf, deren zahllose, einfach-weiße Pfähle
auf grünen Wiesen deutlich sichtbar ins Auge springen, unter denen aber viel Leid begraben ist.
 Dies drückt auch die Aufschrift auf einem mächtigen Steinquader beim Historischen Museum aus:
„Unter diesem Stein befindet sich ein Denkmal für die Opfer des Krieges und des kalten Krieges“.
Eine erschütternde Dauerausstellung erinnert an die 8 000 in Srebenica ermordeten Bosnier.
Bericht vom Internationalen Peace Event Sarajevo 2014 6.6 9.6.2014
Kugelschreiber aus leeren Patronenhülsen, die in den kleinen Läden der malerischen
„Silberschmiedegasse“ in der Altstadt angeboten werden, erinnern schaurig an den Krieg. So sind
aber in gewisser Weise „Schwerter zu Pflugscharen“, Patronenhülsen zu Kugelschreibern
umfunktioniert worden - allerdings wohl erst nach ihrem mörderischen Einsatz.

Das Peace Event Sarajevo wurde mit ungeheurem Engagement von einzelnen VertreterInnen von
französischen, italienischen, östreichischen und bosnischen Friedensinitiativen organisiert, von
deutscher Seite besonders von Reiner Braun von IALANA (Int. Advocates and Lawyers Against
Nuclear Arms). Finaziell unterstützt wurde das Peace Event von mehreren europäischen Botschaften
und Außenministerien, kirchlichen Organisationen, sowie u.a. der Rosa Luxemburg- und der
Berghofstiftung. Ich vermisste die IPPNW als Unterstützerin und unter den TeilnehmerInnen!
Der „Peace-Walk“ zum Auftakt am Freitagvormittag führte bewusst zur großen Moschee, zur
christlichen Kirche sowie zu der Synagoge der Stadt. Das einzige Transparent dieser Demo lautete:
„ To Be a Women is to Live in a Time of War“. - Einige vermutlich muslimische Jungens reagierten
irritiert bis aufgebracht auf meine Regenbogen-„PACE“-Fahne, weil sie sie für eine Propagierung
von Homosexualität hielten. Vertreter von US-AID, die wohl sehr viele Organisationen in der
Region unterstützt, verteilten T-Shirts (aus Bangladesh) mit dem Logo des Peace Events an die
KundgebungsteilnehmerInnen. Dies sorgte zwar für eine gewisse öffentliche Sichtbarkeit, aber die
Aktion wurde wegen der offenbar engen und fragwürdigen Verbindung von US-AID zum US-
Außenministerium auch kritisiert. Dagegen trug man stolz sein „Peace-Event-Participant“-Schild,
begrüßte sich fröhlich in der Stadt und half sich gegenseitig, die verschiedenen Veranstaltungsorte
zu finden. Welches Echo die Tagung in den lokalen oder gar überregionalen Medien fand, kann ich
nicht beurteilen und ob die Interviews, die das bosnische Fernsehen machte, gesendet wurden.
Dabei war auch ein Thema der Tagung „Friedensjournalismus“, d.h. eine Berichterstattung über
gelungene friedliche Lösungen, auch im Kleinen sowie Berichte über den Alltag der Menschen, die
dem Übergewicht der am Katatstrophen-Journalismus ausgerichteten und oft relativ einseitig
Vorurteile bedienenden Medien etwas entgegensetzen soll.

Schon vor der Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend fanden tagsüber Workshops statt.
Beeindruckend fand ich, wie in einem Workshop z.B. die jungen VertreterInnen aus verschiedenen
Ländern der Region frei und in fließendem akzentfreien Englisch den Zusammenhang zwischen
Kriegen und Privatisierung darstellten. Überhaupt stimmte mich die Teilnahme der vielen jungen, in
ganz verschiedenen Friedensprojekten Engagierten sehr hoffnungsvoll. So auch ein Workshop, in
dem Beispiele für konkrete Versöhnungsarbeit zwischen bosnischen und serbischen Kriegsveteranen
vorgestellt wurden.
Bei der feierlichen Eröffnung im riesigen Festsaal des Bosnischen Kulturzentrums dankte der
Bürgermeister Sarajevos, dass durch diesen Friedenskongress der Name seiner Stadt einen positiven
Zusatz bekomme. Die Schweizer Historikerin Verdiana Grossi erinnerte an die große
Friedenskämpferin Berta von Suttner, deren Geburtstag am 9.6.1843 mit dem Peace Event
zusammenfiel. Berta von Suttner, die Autorin des Buches „Die Waffen nieder“, erhielt 1895 als erste
Frau den Friedensnobelpreis, für dessen Auslobung sie Alfred Nobel 5 Jahre zuvor gewonnen hatte.
Ihre Forderungen, die Rüstung zu reduzieren und internationale Schiedsgerichte zur Beilegung von
Konflikten einzusetzen, sind noch immer aktuell. „Die Religion rechtfertigt nicht den
Scheiterhaufen, der Vaterlandsbegriff rechtfertigt nicht den Massenmord und die Wissenschaft nicht
die Tierfolter!“ Berta von Suttner starb am 21. Juni 1914, wenige Tage vor Ausbruch des
„internationalen Vernichtungskriegs“, vor dem sie, im Unterschied zu vielen ihrer blind vor
patriotischer Begeisterung in den Krieg taumelnden Zeitgenossen, immer deutlich gewarnt hatte.
Ihre letzten Worte sollen gewesen sein: „Die Waffen nieder – sag's vielen – vielen!“
Nach Videobotschaften u.a. von Noam Chomsky und der UNICEF-Beauftragten appellierte die
irische Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire eindringlich dafür, als Friedensbewegung
wieder sichtbar zu werden, uns hörbar gegen die immer kriegerischer werdende Politik zu stemmen
und durch Anerkennung von Anderssein friedliche Lösungen für die zahlreichen Krisenregionen zu
suchen.
Insbesondere die abschließende, ungeheuer lustvoll-vitale Darbietung einer Gruppe jugendlicher
MusikerInnen aus Bosnien/Kroatien(?) und Deutschland, die sich wohl seit mehreren Jahren zu
einer Woche gemeinsamen Musizierens treffen, ließ mir durch diesen Beweis für die Bedeutung von
Kunst und Kreativität für den Frieden das Herz höher schlagen.

Das Programm des Peace Event unterschied 5 Hauptthemen:
1. GWP - Gender, Women and Peace, 2. MA – Militarism and Alternatives, 3. CPN – A Culture of
Peace and Nonviolence, 4. PSJ -Peace and Social Justice und 5. RDP – Reconciliation and Dealing
with the Past. Unter letztere Rubrik, „Versöhnung und Umgang mit der Vergangenheit“ fiel auch
der von mir angebotene Workshop über die Bedeutung nicht verarbeiteter kollektiver
Traumatisierungen für die emotionale Manipulierbarkeit durch demagogische Politiker.
An täglich 3 Zeitblöcken fanden parallel fast 30 über die ganze Stadt verteilte Workshops statt und
dazu ein jeweils gleichzeitig stattfindendes großes Roundtable zu einem der 5 Oberthemen. Dies
war nicht nur eine logistische Meisterleistung des lokalen Organisationsteams, sondern es forderte
auch uns TeilnehmerInnen einiges ab. Die Auswahl aus dem 80 Seiten dicken Programm fiel
angesichts der vielen interessanten Themen schwer. Deshalb sollen jetzt im Nachhinein die
verschiedenen Workshopbeiträge auf der Website veröffentlicht werden. Mich freute besonders,
dass ich in einem Workshop zum Thema, was nach den OSLO-Friedensverhandlungen im Nahen
Osten zu tun sei, eine der GesprächspartnerInnen vom Arab Educational Institute wieder traf, die ich
kurz zuvor auf meiner Israel-Palästina-Begegnungsreise mit der deutschen IPPNW und Pax Christi
in Bethlehem kennen gelernt hatte.
In allen Workshops war ich beeindruckt, über wie viel praktische Erfahrung in internationaler
Friedensarbeit sehr viele der TeilnehmerInnen verfügten, sodass z.B. ein Workshop, zu dem die
Leiter nicht kamen, kurzerhand von den TeilnehmerInnen selbst bestritten wurde.
Die zerstörerische Auswirkung von Krieg auch auf die Täter zeigte sich besonders eindringlich in
einem Workshop, in dem ein jetzt erwachsener, ehemaliger afrikanischer Kindersoldat weinend
unter der Last seiner Schuld – und Überlebensschuld zusammenbrach, als er seine Geschichte
erzählte.
Außer Rainer Braun (IALANA), einem der Hauptporganisatoren des Peace Event, war vor allem
das Forum Ziviler Friedensdienst unter den rel. wenigen deutschen Workshop-Beiträgen vertreten
sowie wenige deutsche ModeratorInnen in Beiträgen internationaler, oft kirchlicher Organisationen.
Im Rahmen des Kongresses waren auch Treffen der „Bürgermeister für den Frieden“ vorgesehen.
Auch hier fielen mir deutsche VertreterInnen bedauerlicherweise nicht gerade auf.
Abends fanden kulturelle Veranstaltungen statt, Kurzfilme und Lesungen zum Thema Krieg und
Frieden sowie Solidaritätskonzerte für die Opfer der kurz zuvor so verheerenden Flut.

Beim Abschlussplenum am Montag kamen sehr viele kreative Anregungen und Vorschläge aus dem
Teilnehmerkreis:
So der Vorschlag, als Alternative zur NATO die OECD einzusetzen. - Öffentlich wurde durch
internationale VertreterInnen großer Friedensorganisationen die Abschaffung der NATO und ein
Stop der weiteren Militarisierung der EU gefordert. Es wurde auch davor gewarnt, dass die NATO
soziale Medien, besonders Facebook infiltriere. Das geplante Freihandelsabkommen TTIP
zwischen den USA und der EU wurde als „economic NATO“ bezeichnet.
In Italien gibt es Bemühungen, der Friedenserziehung mehr Raum zu verschaffen. Am 14.8.14 soll
gegen die NATO-Basis in Sizilien demonstriert werden, von der aus Drohnen gestartet würden.
Die Women's Ligue for Peace and Freedom WILPF kündigte an, dass 100 Jahre nach der ersten
internationalen Friedenskonferenz 1915 in Den Haag, an der wohl mehr als 1 000 Frauen
teilgenommen hatten, dort am 28. April 2015 wieder eine Friedenskonferenz stattfinden soll.
Außerdem soll wohl am 28.6.14 in Sarajevo oder Paris(?) eine Veranstaltung zu „Women in War“
stattfinden.
In Berlin ist vom 8. - 10.5.15 das Peace Festival Berlin geplant (contact@peacefestival.berlin).
Henning Zierock, der 1988 in Tübingen das erste Festival „Kultur des Friedens“ organisiert und
während des Peace Event in der Mittagspause mit Sangesfreudigen ein „Friedenslied“ eingeübt
hatte, rief zu Aktionen gegen Militärbasen, besonders gegen Afrocom bei Stuttgart auf, von wo aus
Drohnenmorde in afrikanischen Ländern gesteuert werden. Der 10.12.14 soll ein „Human Right's
for Peace“-Tag werden (info@kulturdesfriedens.de). Auch am 4.10.14 sollen vor Ramstein und vor
Africom Anti-Drohnen Aktionen stattfinden. (www.nodrones.com)
Es gibt auch eine weitere Initiative: singlouderthanguns@gmail.com.
Die Bundestagsabgeordnete Heike Hensel wies auf die Rolle der NATO in der Ukrainekrise hin
und forderte, alle Konfliktparteien an Friedensgesprächen zu beteiligen.
Es soll einen Public Peace Prize geben, für den man Vorschläge (an wen?) einreichen kann.
Das Int. Peace Bureau in Genf startet unter dem Motto „Money is the Life-Stream of War“ und
„Move the Money from the Military“ eine Kampagne, das Geld statt ins Militär in Austeritätsländer,
in Friedensarbeit, Umweltschutz und in UN-Kampagnen zu investieren. (www.demilitarize.org).
Außerdem wird in Genf ein Int. Peace March nach Srebenica geplant.
Aus Japan kam die Bitte um internationale Unterstützung, da die Demokratie rapide abnehme,
besonders seit Fukushima.
Aus Südkorea berichtete ein Teilnehmer über Initiativen, Brücken zwischen Religionen und
Ideologien zu bauen, ähnlich wie aus Barcelona von einer „United Religions Initiative URI“
berichtet wurde.
Es gibt auch eine Gruppe Iranian Peace Lovers.
Das Weltsozialforum findet im März 2015 in Tunesien, 2016 in Montreal statt und hofft auf viele
TeilnehmerInnen.
Bei der Abschlussveranstaltung, an der ich leider nicht mehr dabei sein konnte, waren Grußworte
vorgesehen von Angela Kane, der deutschen UN High Representative for Disarmement Affairs,
sowie Beiträge des ehemaligen Bürgermeisters der Stadt Ypern, die im ersten Weltkrieg in den 3
Flandernschlchten hart umkämpft und von Deutschen willkürlich zerstört worden war, des
südafrikanischen Bischofs Kevin Dowling, des Friedensnobelpreisträgers Adolfo Perez Esquivel,
von VertreterInnen serbischer und kroatischer Friedensinitiativen sowie von Vertretern des
Jugendcamps.

Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel                  24113 Kiel, 20.6.14
Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin           Schleswiger Str. 42
     Psychoanalyse - Psychotherapie                   Tel: 0431-686897 (Praxis)/ -685168 (privat)
                                                      e-mail: klingenburg-vogel@web.de
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