Biegen statt brechen - Resilienz erhöht den Widerstand gegenüber Belastungen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
eDossier Gesundheit und Stress 16 Biegen statt brechen – Resilienz erhöht den Widerstand gegenüber Belastungen J. Scharnhorst Warum kommen einige Menschen im Pri- Kohärenzgefühl: Überleben mit vatleben oder im Beruf mit Belastungen geringen Schäden und Veränderungen besser zurecht als andere? Woran liegt es, dass einige Un- Das Konzept der Resilienz lässt sich gut ein- ternehmen den ständigen Wandel erfolg- reihen in die Positive Psychologie. So verfolgt reich bewältigen und andere daran schei- etwa Aaron Antonovsky mit seinem Begriff tern? Antworten auf diese Fragen kann die der Salutogenese einen ähnlichen Ansatz. Resilienz-Forschung bieten. Er untersuchte, welche Eigenschaften Men- schen unter extrem unmenschlichen Bedin- Schon in den 50er-Jahren ging die Psycholo- gungen ein Überleben mit relativ wenigen gin Emmy E. Werner auf der hawaiianischen körperlichen und psychischen Schäden er- Insel Kauai der Frage nach, wie sich schwie- möglichen. So führten seine Interviews mit rige Lebensbedingungen in der Kindheit Überlebenden aus Konzentrationslagern auf das spätere Leben auswirken. Die Ziel- zur Entwicklung des Begriffs des Kohärenz- gruppe ihrer Forschungen waren Kinder, die gefühls. Es setzt sich bei Antonovsky aus trotz schwerer Startbedingungen zu stabi- drei wichtigen Aspekten zusammen: len, lebenstüchtigen und mitfühlenden Er- wachsenen heranwuchsen. Als Ergebnis Gefühl der Verstehbarkeit: zu begrei- ihrer Studien identifizierte Werner mehrere fen, welche Ereignisse zu der Situation Schutzfaktoren. Dazu gehören verlässliche geführt haben, was kein Einverständnis Bezugspersonen, Bewältigungskompe- damit bedeutet; tenzen, Selbstwirksamkeitserwartungen, Flexibilität und Kreativität. Die Fähigkeit, Gefühl von Handhabbarkeit: Vorhanden- widerstandsfähig gegenüber äußeren Be- sein von Handlungsspielräumen, auch lastungen und Krisen zu sein, wird in der wenn sie nur minimal sind; Psychologie als Resilienz bezeichnet. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Physik (ähnlich wie „Stress“) und bezeichnet in der Werkstoffkunde die Fähigkeit eines Werk- stoffs, sich verformen zu lassen und den- Julia Scharnhorst, noch in die ursprüngliche Form zurückzu- Diplom-Psychologin, Master finden. Der resiliente Mensch gleicht einem of Public Health, Inhaberin des Stehaufmännchen, das sich immer wieder Beratungsunternehmens Health aufrichtet, auch wenn es umgestoßen wird. Professional Plus in Wedel Damit ist der Begriff Resilienz weiter gefasst julia.scharnhorst@ als der Begriff Stress. health-professional-plus.de powered by
eDossier Gesundheit und Stress 17 Gefühl der Sinnhaftigkeit und Bedeut- genetisch mitbestimmt. Sie lässt sich aber samkeit: die Einordnung der eigenen auch erlernen und gezielt trainieren. Jeder Erfahrungen in einen größeren Zusam- kann seine eigene Strategie verfolgen, soll- menhang, zum Beispiel religiöser, spiri- te dabei aber darauf achten, möglichst alle tueller oder philosophischer Art. Bereiche der Resilienz aufzubauen und zu stärken. In unterschiedlichen Situationen Warum Resilienz immer wichtiger wird können unterschiedliche Bewältigungsstra- tegien gefragt sein. Menschen, die auf eine Nicht nur dramatische Katastrophen und Fülle verschiedenster Verhaltensweisen und persönliche Tragödien verlangen Menschen Einstellungen zurückgreifen können, sind Widerstandskraft ab. Sie müssen auch den dann im Vorteil. Das „Project Resilience“ in ganz gewöhnlichen Alltagsstress bewäl- Washington hält sieben „Säulen der Resili- tigten: Umstrukturierungen in der Firma, enz“ für wichtig: Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Sorgen. Dass diese Dauerbelas- 1. Einsicht suchen: Suchfragen stellen tungen besorgniserregende Konsequenzen und ehrliche Antworten geben. haben, zeigen aktuelle Studien und die Ge- 2. Unabhängigkeit: das Recht auf sichere sundheitsberichte der Krankenkassen. Jeder Grenzen zwischen sich und anderen. dritte Mitarbeiter leidet stark unter Hektik, Zeit- und Termindruck. Jeder Vierte erlebt 3. Beziehungen: enge und erfüllende das Arbeitstempo und den Leistungsdruck Beziehungen suchen und aufrechter- als sehr belastend. Im Laufe eines Jahres halten. erleiden 27 Prozent der EU-Bevölkerung mindestens eine psychische Erkrankung. 4. Initiative: Probleme aktiv anpacken. Viele Krankenkassen verzeichnen gehäuft 5. Kreativität: Frustration oder Schmerz Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen psychi- künstlerisch ausdrücken. scher Störungen. So berichtet die DAK über eine Zunahme von fast 70 Prozent von 1997 6. Humor: das Komische im Tragischen bis 2004. „Die Angst um den Arbeitsplatz, finden, über sich selbst lachen. die massiv zunehmende Arbeitsbelastung, der Verlust der Mitarbeitersolidarität sowie 7. Moral: Wissen, was gut und schlecht die Angst, unter steigendem Leistungsdruck ist, und der Wille, dafür Risiken einzu- zu versagen oder krank zu werden, sind die gehen. wichtigsten arbeitsbedingten Faktoren für die Genese psychischer Erkrankungen“, sagt Als diagnostisches Testverfahren für Re- Professor Iver Hand von der Universitätskli- silienz als personale Ressource liegt im nik Eppendorf in Hamburg. deutschsprachigen Raum die „Resilienzska- la“ von Jörg Schumacher und anderen als Sieben Säulen der Resilienz Übersetzung der im angloamerikanischen Sprachraum weitverbreiteten „Resilience Eine ganze Bandbreite von Verhaltenswei- Scale“ vor. Sie misst die psychische Wider- sen, Gedanken und Aktivitäten bildet die ei- standsfähigkeit als Personenmerkmal. Hier- gene Widerstandsfähigkeit. Die Eigenschaft für gibt es eine Skala mit 25 Items und eine Resilienz ist wahrscheinlich zu einem Teil Kurzskala mit elf Items. powered by
eDossier Gesundheit und Stress 18 Aufbau organisationaler Resilienz silient, wenn es seine Funktionen trotz äu- ßeren oder inneren Wandels aufrechterhält Noch hat die Resilienz-Forschung ihren oder wenn es sie im Notfall auf erträgliche Schwerpunkt in der Pädagogik. Zuneh- und allmähliche Weise einschränkt, sagen mend interessiert sich aber auch die Per- Brad Allenby und Jonathan Fink von der Ari- sönlichkeits- und Entwicklungspsychologie zona State University in den USA. für dieses Thema. Aus den USA kommen zudem Ansätze, den Resilienz-Begriff auch Dort ist auch die Umsetzung der Resilienz- auf Teams, Organisationen und ganze Un- Forschung in praktische Projekte fortge- ternehmen anzuwenden. Ein System ist re- schrittener als in Deutschland. Entspre- Zehn Wege zur Resilienz Die American Psychological Association (APA) empfiehlt Folgendes zur Stärkung der persönlichen Resilienz: 1. Soziale Kontakte aufbauen und pflegen: gute Beziehungen zu Familienmitglie- dern, Freunden oder anderen wichtigen Menschen pflegen oder in ehrenamtlichen Gruppen aktiv werden. 2. Krisen nicht als unüberwindliches Problem betrachten: belastende Situationen lassen sich nicht verhindern, aber man kann die Art ändern, in der man auf diese Ereignisse reagiert. 3. Akzeptieren, dass Änderungen ein Teil des Lebens sind: wenn Situationen sich wirklich nicht mehr ändern lassen, ist es sinnvoller, sich auf das zu konzentrieren, was man noch beeinflussen kann. 4. Sich auf die eigenen Ziele zubewegen: realistische Ziele entwickeln und Tag für Tag darauf zustreben – ruhig auch in ganz kleinen Schritten. 5. Selbst entscheiden: bei Problemen nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern sich aktiv der Situation zuwenden und Entscheidungen treffen. 6. Auf Wachstumschancen achten: Häufig lernt man gerade in Krisen mehr über sich und entwickelt ungeahnte Fähigkeiten. 7. Ein positives Selbstbild aufbauen: das Selbstbewusstsein in die eigenen Fähigkei- ten entwickeln, Probleme zu lösen und seinen Instinkten vertrauen zu können. 8. Perspektive bewahren: auch wenn die gegenwärtige Situation äußerst schmerz- lich und belastend ist, an die langfristige Perspektive denken. Die Dinge nicht unnötig dramatisieren. 9. Optimistisch bleiben: daran glauben, dass auch gute Dinge im Leben zu erwarten sind. Sich nicht nur auf die Sorgen konzentrieren, sondern auch auf die eigenen Wünsche. 10. Für sich selbst sorgen: auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle achten, erfreuli- chen und entspannenden Tätigkeiten nachgehen, sich regelmäßig bewegen – um Körper und Geist für Situationen zu stärken. powered by
eDossier Gesundheit und Stress 19 chende Programme sind in den USA im Trendforschers Matthias Horx sagt voraus, Erziehungs- und Schulwesen verbreitet dass Resilienz einer der Zukunftstrends der und fanden auch Eingang in Management- nächsten Jahre sein wird. Auch die Zeit- Trainings. So bieten etwa die Firmen Glaxo- schrift „Harvard Business Review“ hat ein SmithKline für Mitarbeiter der Management- Buch mit dem Titel „Building Personal and Ebene Resilienz-Trainings an, und auch die Organizational Resilience“ herausgegeben, Angestellten von Questar, einem amerika- das Eigenschaften resilienter Organisatio- nischen Energieversorgungsunternehmen, nen beschreibt: können an solchen Trainings teilnehmen. Sie haben Mitarbeiter, Teams und Füh- rungskräfte, die die Realität akzeptieren und anpacken können. Das Überleben der Organisation wird trainiert, bevor es kritisch wird. Sie sind als Organisation fähig, Bedeu- tung im Leben zu finden. Das Wertesys- tem resilienter Organisationen dient als Halt in schwierigen Situationen. Sie sind fähig, zu improvisieren und alle Ressourcen zur Problembewältigung einzusetzen. Ein resilienter Meinsch gleicht einem Stehaufmännchen Führen in Krisen Als Gründe dafür schreibt Questar: „Wenn in der Vergangenheit jemand eine Störung Optimal reagieren Organisationen auf Kri- in seinem Leben hatte – eine Scheidung, sen, deren einzelne Mitarbeiter über die einen Krankheitsfall in der Familie –, haben Komponenten der Resilienz verfügen. Für wir den Mitarbeiter für mehrere Monate die Stärkung der Resilienz in Teams und Or- verloren. Das Resilienz-Training hilft ihm, ganisationen nehmen Führungskräfte eine schneller wieder auf die Füße zu kommen Schlüsselrolle ein. „Mitfühlendes Führen“ und stärker zu werden. Dadurch wurden die kann das Bewältigen von schwierigen Zei- Produktivität gesteigert und die Fehlzeiten ten bei Individuen und bei Organisationen gesenkt.“ fördern. Damit ist gemeint, nicht nur die organisatorische Seite der kritischen Situ- Angesichts des ständigen Wandels im Ar- ation anzupacken, sondern auch darauf beitsleben ist das Thema Resilienz auch einzugehen, was dies emotional bei den für die Wirtschaft hochinteressant. Wie Beteiligten auslösen kann. Das heißt, dass werden Unternehmen mit Umstrukturie- auch die Führungskräfte selbst ihre Gefüh- rungen, Entlassungswellen oder finanziel- le zeigen sollten. Ihre Fähigkeit, emotionale len Engpässen fertig? Gelingt es Unterneh- und mitfühlende Reaktionen auf Krisen im men nach einer Krise rascher, sich wieder Unternehmen auch anderen Beteiligten zu stabilisieren? Das Zukunftsinstitut des zu erlauben, wirkt sich unmittelbar auf die powered by
eDossier Gesundheit und Stress 20 Resilienz-Test – Finden Sie heraus, wie resilient Sie sind Bewerten Sie (von 1 bis 5), wie sehr das Folgende auf Sie zutriff t (1 = sehr wenig, 5 = sehr stark): 1 2 3 4 5 Sie sind neugierig und stellen Fragen. Sie wollen wissen, wie die Dinge funktionieren, Sie experimentieren. Sie lernen dauernd aus Ihren Erfahrungen und denen der anderen. Sie erwarten und benötigen es, dass die Dinge gut für Sie und andere laufen. Sie passen gut auf sich auf. Sie spielen mit neuen Entwicklungen, finden Spaß, lachen über sich selbst. Sie passen sich schnell an Veränderungen an und sind hoch- flexibel. Sie fühlen sich auch mit paradoxen Situationen wohl. Sie ahnen Probleme voraus und vermeiden Schwierigkeiten. Sie entwickeln Jahr für Jahr mehr Selbstbewusstsein und mehr Selbstwertgefühl. Sie hören gut zu. Sie verstehen andere, auch schwierige Menschen mit Empathie. Sie denken sich kreative Lösungen für Herausforderungen aus und finden neue Wege, um Probleme zu lösen. Sie vertrauen Ihrer Intuition und Ihrem „Bauchgefühl“. Sie managen auch die emotionale Seite von Verlusten. Sie würdigen sie und trauern und lassen dann die Vergangenheit los. Sie erwarten, dass schwierige Situationen sich zum Schluss gut entwickeln werden, und machen weiter. Sie helfen an- deren und bringen Stabilität in Zeiten von Unsicherheit und Aufruhr. Sie lernen etwas aus Unfällen und negativen Erlebnissen. Sie verwandeln Unglück in Glück. Gesamtpunktzahl: Zählen Sie Ihre Punkte zusammen. 60-70 Punkte: Sie sind sehr resilient. 40-49 Punkte: Ausreichend. 50-59 Punkte: Sie sind besser als die 30-39 Punkte: Sie kämpfen. meisten. Unter 30 Punkte: Suchen Sie Hilfe! (nach: USA Weekend Magazine, 1999, übersetzt von der Autorin) powered by
eDossier Gesundheit und Stress 21 Leistungsfähigkeit des Unternehmens aus. Trainieren von Problemlösefähigkeiten, Betriebe, die sich deutlich sichtbar um ihre Entwickeln von Humor und Optimis- Angestellten kümmern, haben zudem eine mus. bessere Mitarbeiterbindung. Vorteile der Resilienz Dazu gehört insbesondere, dass sich Füh- rungskräfte bei Krisen nicht verstecken Unternehmen mit resilienten Angestellten und ihre Anteilnahme zumindest mit sym- haben einen Wettbewerbsvorteil. Aber auch bolischen Gesten zeigen. Wichtig sind dann die Mitarbeiter selbst profitieren. In schwie- auch öffentliche Stellungnahmen, die die rigen Zeiten werden sie seltener krank. Bei Betroffenheit der Mitarbeiter mindern. Die einem Personalabbau haben sie bessere Aufgabe der Führungskräfte ist es, auch Chancen, ihren Arbeitsplatz zu behalten. wenn Teams gelähmt sind, einen Kontext Und sie finden schneller einen neuen Job, für Aktionen zu schaffen. Denn sowohl für wenn ihre alten beruflichen Fähigkeiten die Organisation als auch für jeden Einzel- nicht mehr gebraucht werden. nen ist Aktivität hilfreicher und nützlicher als Untätigkeit. Weiterführende Literatur „Resilience Tool Kit“ American Psychological Association Unternehmen können sich und ihre Füh- (Ed.). (2004). The road to resilience. Wa- rungskräfte und Mitarbeiter auf Krisen shington, DC: Editor. Available: http:// vorbereiten und ihre Resilienz stärken. Da- www.apa.org/helpcenter/road-resilience. für gibt es bereits verschiedene Konzepte, aspx [8.9.2010]. zum Beispiel das „Resilience Tool Kit“, das Harvard Business Review on building aus den USA stammt. Das Grundprinzip ist personal and organizational resilience dabei, mögliche Gefahren rechtzeitig zu (2003). Boston, MA: Harvard Business erkennen und dafür Handlungspläne zu School. entwickeln. Entsprechende Trainings- und Rampe, M. (2005). Der R-Faktor: Das Ge- Beratungsmaßnahmen sollten folgende heimnis unserer inneren Stärke. München: Module enthalten: Knaur. Erkennen möglicher Krisenherde im Schumacher, J., Leppert, K., Gunzelmann, Arbeits- und Privatleben, T., Strauß, B. & Brähler, E. (2005). Die Resilienzskala – Ein Fragebogen zur Erfas- Reflektieren eigener Ängste und Vermei- sung der psychischen Widerstandsfähigkeit dungsstrategien, als Personmerkmal. Zeitschrift für Klinische Überprüfen der Auswirkungen mögli- Psychologie, Psychiatrie und Psychothera- cher Krisen, pie, 53, 16–39. Planen präventiver Maßnahmen, Siebert, A. (2005). The resiliency advantage: Master change, thrive under pressure, and Entwerfen von Notfallplänen, bounce back from setbacks. Columbus, OH: Suchen von Ressourcen, McGraw-Hill Professionals. Ausbau des sozialen Unterstützungs- netzwerks, powered by
Sie können auch lesen