Erfahrungsbericht China 2013 / 2014

 
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Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Erfahrungsbericht China 2013 / 2014

                           Name: Mischner, Tom Mathias
                  Hochschule: Pädagogische Hochschule Weingarten
          Gasthochschule: Zhejiang International Studies University, Hangzhou
     Studiengang: Lehramt an Grundschulen; Deutsch, Englisch, Sozialwissenschaften
                                 Fachsemester: 3
                             Studienziel: Staatsexamen
                         Zeitraum: 01.09.2013 – 28.02.2014
                           Email: tommischner@yahoo.de

Hiermit stimme ich der Veröffentlichung meines Erfahrungsberichtes durch das Akademische
Auslandsamt / International Office der Pädagogischen Hochschule Weingarten zu.
Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Die große Mauer, Peking

   1. Vorbereitung des Aufenthaltes
Ein halbes Jahr später scheinen mir die formellen Vorbereitungen einfach gewesen zu sein.
Ich kann mich kaum mehr an Einzelheiten erinnern.
Die Bewerbung an der PH Weingarten ging ohne großen Konkurrenzkampf von statten,
sodass bereits früh feststand, dass ich für ein halbes Jahr nach China gehen würde. Die
Bewerbung für das Baden-Württemberg Stipendium konnte dementsprechend rechtzeitig
abgeschickt werden. Danach kümmerte ich mich um das Visum, das mit Hilfe einer Visa-
Agentur problemlos ausgestellt wurde. Dafür brauchte ich eine Untersuchung und
Bescheinigung vom Arzt, dass ich weder Aids, Syphilis noch sonstige Krankheiten nach
China importieren würde. Anschließend buchte ich meinen Flug nach Shanghai. Zur Lektüre
erhielt ich vom Int. Office noch drei auszurangierende Bücher über die chinesische Kultur,
Geographie und Geschichte und das war es dann.

Bei der weiteren Vorbereitung auf den zu erwartenden Kulturschock und die zu erlernende
Sprache übernahm das Int. Office der Zhejiang International Studies University, Hangzhou
und schickte mir vorab nützliche Tipps und Hinweise bzgl. Anreise, mitzubringenden
Utensilien und eventuell bald aufkommender Nostalgia.

Gespräche mit Freunden und anderen, die China bereits bereist hatten, sowie mit einem
Gaststudenten aus China, dessen erste Wochen in Deutschland mit meinen letzten vor der
Abreise zusammenfielen, stimmten mich weiter positiv und abhalten hätte mich nur eine
Katastrophe können.

   2. Studium im Gastland
Gasthochschule war die bereits erwähnte Zhejiang International Studies University in
Hangzhou oder auch 浙江外国语学院, kurz ZISU, wobei Zhejiang der Name der
beheimatenden Provinz ist. Eine kleine Universität mit einem alten und neuen, noch immer
im Bau befindlichen Campus, mit rund 5000 Studenten. Der alte Campus liegt am Puls der
Stadt, mit allen wichtigen Einkaufsmöglichkeiten in bequemer Reichweite für einen
Spaziergang oder eine kleine Fahrradtour. Busse verkehren in alle Richtungen beinahe
minütlich. Zur Berühmtheit Hangzhous, dem Westsee, sind es mit dem Fahrrad 15 Minuten.
Der neue Campus liegt etwas außerhalb und ist mit dem universitätseigenen Reisebus in 40
Minuten zu erreichen.

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Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Tempel des Himmels, Peking

Internationale Studenten gab es insgesamt sage und schreibe eine Handvoll (Mexiko, Spanien,
USA, Deutschland). Zusätzlich gab es zwei weitere Hände voll internationaler Lehrende
(Portugal, Spanien, USA, Frankreich, Dänemark, Canada, Japan). Zusammen eine winzige
Gemeinschaft und eine riesige Chance als Einzelner mit den Chinesen in den Kontakt zu
treten.

Während die int. Lehrenden (durchaus keine Professoren) je ein Apartment gestellt bekamen,
teilten sich die Studierenden je zu zweit ein Zimmer auf einem Flur im Bau des zum Campus
gehörenden Hotels. Alan, Medizinstudent aus Mexiko, Chihuahua, musste mich ertragen.
Des Weiteren gehören zum (alten) Campusgelände die Kantine, einige Lehrgebäude,
Bürogebäude sowie die nach Geschlechtern getrennt bewohnten Schlafsaal-Gebäude der
chinesischen Studenten. Außerdem einen zentralen Sportplatz, sowie eine Turnhalle. Alles in
allem eine sehr dicht gedrängte und überschaubare Angelegenheit.

Ich besuchte während des gesamten halben Jahres lediglich die für uns Gaststudenten vom int.
Office organisierten und gehaltenen Sprachlern- und Kulturverständnis- Kurse, sowie einen
regulären Tai-Chi Chuan Kurs, da studienrelevante Inhalte weder von der ZISU angeboten,
noch von der PHW anerkannt werden. Auch die weiteren Gaststudenten belegten lediglich
diese Kurse.
Für die Sprachkurse wurden wir in Anfänger und Fortgeschrittene unterteilt. Da sich meine
Vorkenntnisse auf ein falsch ausgesprochenes „Hallo“ beschränkten, fiel die Entscheidung
hier leicht. Zu Beginn zu viert, sollte sich der Kurs bald zu einem Privatunterricht entwickeln.
Zusätzlich fand wöchentlich der „1-to-1 Drill“ statt, indem jeder chinesisch Lernende einen
Muttersprachler als Partner zugewiesen bekam. Rundum eine tolle Sache.
Der „chinese culture“ Kurs konnte leider nicht halten, was er versprach. Doch gab es
genügend andere Möglichkeiten, die chinesische Kultur genauer kennen zu lernen, nicht
zuletzt auch dank des BW-Stipendiums, dessen 400€ monatlich weit mehr sind als für die
Lebenserhaltungskosten benötigt werden. So war ein Auslandssemester möglich, in dem ich
nur wenige Gedanken ans Geld verschwenden musste und den einen oder anderen Groschen
für Reisen oder ausgefallene Aktionen übrig hatte.

   3. Aufenthalt im Gastland
Ich kann mich nicht mehr sonderlich gut an den Tag meiner Ankunft erinnern. Die Zugfahrt
nach Frankfurt, der Flug nach Shanghai mit Zwischenstopp in Vietnam und die anschließende
Busfahrt nach Hangzhou forderten ihren Tribut und so kam ich spät abends erschöpft am
Campus an. Umso besser jedoch erinnere ich mich an den folgenden Tag, an dem eine
Bustour durch und um Hangzhou organisiert worden war, in der ich eine Menge erster guter
Eindrücke sammeln konnte, die mich das nächste halbe Jahr immer wieder dazu inspirierten
auf weitere Entdeckungstouren zu gehen.

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Familienstandbild, Hangzhou

Dazu gibt es in Hangzhou eine ausgezeichnete Möglichkeit, die öffentlichen Mietfahrräder,
die beinahe kostenlos fast überall in der Stadt verteilt zu haben sind. Auch einfach in
irgendeinen Bus einzusteigen, um zu schauen, wo ich am Ende landen würde, hat mich weit
in der Stadt und an besonders Mut erfüllten Tagen auch im Umland beträchtlich herum
gebracht.

Die besten Gelegenheiten auf Erkundungstouren zu gehen wurden mir aber ganz außer
Zweifel durch andere Chinesen, insbesondere meine Gastfamilie möglich.
Bereits an Tag Nr. 2 nach meiner Ankunft wurde mir die besagte Gastfamilie vorgestellt,
inklusive drei jährigem Sohn, der mich ab sofort Tom shūshu, also Onkel Tom nannte.
Ich bin für die Wochenenden die ich in dieser Familie verbringen konnte außerordentlich
dankbar. Die Gastfreundschaft und rührende Fürsorglichkeit, die mir dort widerfahren sind,
suchen ihresgleichen. Meine Erlebnisse, Erfahrungen und mein Verständnis von China wären
nicht ansatzweise so vielfältig ohne sie. Selbstverständlich bin ich, wie bereits erwähnt, so oft
es ging auf eigene Faust unterwegs gewesen und natürlich war ich reisen, habe kulturelle
Stätten aufgesucht, Museen bestaunt, den Unterricht besucht und so oft es ging den Austausch
mit Chinesen gesucht. Doch nichts kann die Gespräche mit einem Freund ersetzen, einem
neugierigen und aufgeschlossenen noch dazu, der einem Einblicke in seine eigene private
Welt gewährt, in seine Gefühle und Meinungen und sich nicht scheut über politische Themen
und andere Ungeheuerlichkeiten offen zu berichten und zu diskutieren; der einen so oft es
geht in die Familie einlädt, gemeinsame Unternehmungen plant und organisiert und einem die
Welt erschließt, die einem als außen stehender Betrachter gänzlich verborgen bliebe. Der
außerdem Fragen stellt und nachbohrt, Kritik ebenso austeilt, wie er sie einsteckt, zum
nachdenken zwingt, Vorurteile aufdecken und beseitigen hilft. Denn vor Vorurteilen
gegenüber China ist niemand gefeit; ich auch nicht, der ich mir einbildete dort vollkommen
offen und unvoreingenommen hinzugehen.

An dieses riesige Land namens China muss man andere Maßstäbe anlegen, als wir sie hier in
Deutschland gewöhnt sind. Und andere Maßstäbe bedingen vermutlich auch andere
Verhaltens- und Denkweisen.

Eine 9 Millionen Stadt wie Hangzhou, die in Europa die größte wäre (mit Ausnahme von
Moskau), wirkt in China, im Vergleich zu Megacitys wie Shanghai oder Peking, wie ein Dorf.
Als Kurzstrecke gilt eine einstündige Fahrt mit dem 300km/h schnellen Bullet-Train. Auf
Fragen nach dem Weg wird mit „an der nächsten kleinen Kreuzung“ geantwortet und eine
Kreuzung mit jeweils zwei Autospuren aus allen Richtungen gemeint. Bahnhöfe ähneln
Flughäfen, minütlich fahren zum Teil mehrere Züge ab. Bus und Metro gelten als leer wenn
kein zusätzliches Personal benötigt wird, um weitere Personen hinein zu schieben. Selbst an
einem regnerischen Tag fahren in China vermutlich mehr Menschen Fahrrad als in
Deutschland überhaupt Menschen ein Fahrrad besitzen. Dasselbe gilt (erstaunlicher Weise?)
für Lamborghinis, Ferraris und andere Luxusyachten, die einem täglich mehrfach begegnen.

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Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Sonnenuntergang am Westlake, Hangzhou

In China ist es laut. Überall. Das hat zum einen natürlich mit der Anzahl an Menschen zu tun,
vor allem aber mit deren Verhaltensweisen. Das Hupen beim Autofahren ersetzt Bremsen und
Seitenspiegel. Laute Musik aus allen möglichen, unzählbaren, meist dicht aneinander
gedrängten Geschäften soll vermutlich Kunden anlocken. Das geräuschvolle Hochziehen und
Ausspucken von Körperflüssigkeiten wird von jung und alt, männlich und weiblich auf der
Straße und in Gebäuden, nicht selten auch in öffentlichen Verkehrsmitteln und anderen
undenkbaren Orten praktiziert. Wenn es beim Essen leise ist, dann schmeckt es nicht, das gilt
nicht nur für Hintergrundmusik und Gespräche sondern ebenfalls für sämtliche Schlürf- und
andere vorstellbar und unvorstellbare Essgeräusche. Gespräche werden allgemein lautstark
geführt, gerne auch über große Distanzen.

Es ist unheimlich schwer einen menschenleeren Ort zu finden. Hat man dies aber erst
geschafft, befindet man sich vermutlich in der reinsten Natur. Und davon hat China reichlich,
vielfältig und ganz andersartige zu bieten. Befindet man sich auch wirklich in großer
Entfernung zu den Städten, so verblasst sogar der letzte Trübsal, den der Smog leise aber
stetig injiziert. Der Smog, der allgegenwärtige, selbst in Hangzhou, einer der saubersten
Großstädte Chinas, zum Teil unerträglich. Es ist grau von früh bis spät und Sichtverhältnisse,
die ich bisher nur im Nebel erlebt habe, sind dort beinahe wöchentlich wiederkehrender
Wahnsinn. Landschaftliche Szenerien wie der Westsee, ein magischer Ort, der jeden Tag
Neues entdecken und mich die Chinesen für diese Verbundenheit zur Natur bewundern lässt,
wäre noch viel prachtvoller, würden sich seine Farben nicht im verschlingenden Grau
verlieren.
Es ist gar nicht so leicht, die Gründe für diese Luftverschmutzung selbst zu sehen. Hangzhou
ist eine saubere Stadt, von der sich einige europäische Städte etwas abschauen könnten. Ich
hoffe das Fahrradleihsystem zum Beispiel wird sich noch ausbreiten und bald auch in
europäischen Städten zu finden sein. Vier von fünf Zweiräder in Hangzhou sind elektrisch -
das fünfte ist ein Fahrrad, denn Motorräder sind verboten - sodass ich mich Frage, was denn
eigentlich unser Problem ist, dass wir noch immer mit Verbrennungsmotoren unterwegs sind,
die wir mit dem Finger auf China zeigen. Ich bin in China in fünf privaten PKWs
mitgefahren, auch hier waren vier davon elektrisch, bzw. Hybrid angetrieben.

Die chinesische Kultur und Geschichte ist so umfangreich, dass es selbst den Chinesen
schwer fällt eine groben Abriss, eine Übersicht zu geben. So habe ich also Fragmente
gesehen, hier und dort etwas aufgepickt und mich auf den Zufall verlassen, was er mir als
nächstes bescheren würde. Man entdeckt hier einen Tempel und dort ein Kloster, dort ein
kleines Dorf und dort außergewöhnliche Speisen, hier einen übenden Kung-Fu Meister alleine
im Wald, dort eine zufällige Gruppe tanzender Menschen auf der Straße.
Überall trifft man auf hilfsbereite, gastfreundliche und neugierige Menschen, die einem
immer wieder unerwartete Einblicke in das tägliche Leben und Denken gewähren.

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Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Neujahrsgirlanden, Xi’An

Jeder Tag führt weitere Unterschiede vor Augen, jeder Tag deckt weitere Gemeinsamkeiten
auf. Ereignislosigkeit kommt nicht vor, wenn man mit Lust auf Neues durch die Gegend
streift, dort einen Blick wagt und hier ein freundliches chinesisches Wort hervorstottert.
Ich glaube es ist dabei nötig, dass man die Dinge erst einmal wahr nimmt, sie nicht gleich
verurteilt und sich nicht sofort darüber aufregt. Ein Gespräch, ein zweiter Blick veränderte
vieles von dem, was ich zuerst glaubte, meinte und beurteilte.

   4. Persönliche Wertung des Aufenthalts an der
      Gasthochschule und im Gastland
Ich habe erst in China entdeckt, dass ich tatsächlich bereits einige sehr konkrete Ideen von
dem hatte, was ich in China sehen würde, sehen würde wollen. Von all dem ist am Ende nicht
viel geblieben, hat sich vieles als Unwahr, als Gegenteilig bewiesen.
Wir leben in Europa auch im 21. Jhr, dem Zeitalter der sich rasend schnell wandelnden
Technologie, noch immer abgeschottet vom fernen Osten, müssen auf das vertrauen, was uns
die Medien liefern, mit deren Berichterstattung wir immer unzufriedener sind. Wir bilden uns
ein, uns eine Meinung bilden zu können. Im günstigsten Fall tun wir das noch unbewusst, so
dass wir uns nicht schuldig fühlen müssen.
Doch oftmals auch kümmern wir uns nicht darum, differenzieren nicht, kopieren
Meinungsvorbilder, reflektieren nicht und fungieren gar als Multiplikatoren. Es gehen uns
dadurch großartige Chancen und Möglichkeiten der kulturellen Verständigung, des
Austausches verloren. Ressentiments gegenüber Chinesen (und anderen) wären einfach
abzubauen, wenn jeder die Chance hätte, ein halbes Jahr so in China (oder anderen Ländern)
zu verbringen, wie ich es tat. Doch wer hat schon die Möglichkeiten, über einen längeren
Zeitraum an ferne Orte zu gehen und sich intensiver mit dem Leben dort zu beschäftigen.
Ich bin glücklich, diese Gelegenheit gehabt und wahrgenommen zu haben; Froh so viele
Eindrücke gesammelt haben zu können; Und hoffe, dass noch Viele solche Gelegenheiten
ergreifen können und zu ergreifen wissen.

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Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Lotus – die Reinheit                                 Und Natur – die zu reinigende

Eine Pagode – Und seltener strahlend blauer Himmel   Mein „Paten-Neffe“ und ich – Tom shūshu

Die Landschaft einmal doppelt ...                    Und den Tee einmal endlos bitte

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Erfahrungsbericht China 2013 / 2014
Beleuchtung an Tempeln, Xi’an            Und in Eispalästen, Harbin

Westlake und seine pittoreske Szenerie   Ein Vorteil von Smog: Phantastische Sonnenuntergänge

Chinesen von vor zweitausend Jahren      Und jene von heute ;-)

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