"Bio"-Kunststoffe - hintergrund

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              „Bio“-Kunststoffe
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1.      Einleitung                                                                      3

2.      Definition von „Bio“-Kunststoffen                                               4

        2.1. Biobasierte Kunststoffe                                                    5
        2.1.1 Zur Herkunft der Rohstoffe für die Produktion biobasierter Kunststoffe    8
        2.1.2 Zur Ökobilanz biobasierter Kunststoffe                                    9

        2.2. Bioabbaubare Kunststoffe                                                  10

3.      Recycling von „Bio“-Kunststoffen                                               15

4.      Additive in „Bio“-Kunststoffen und human- und ökotoxikologische Auswirkungen   16

5.      Kritische Aspekte von „Bio“-Kunststoffen in der Übersicht                      18

6.      BUND-Forderungen und Leitsätze zu „Bio“-Kunststoffen                           19

        Anhang A: Additive in „Bio“-Kunststoffen und human- und
        ökotoxikologische Auswirkungen                                                 21

        Literatur                                                                      25

        Normen                                                                         28

     2 „Bio“-Kunststoffe
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1. Einleitung

                                       Die Produktion und Nutzung von Kunststoffen ist über      In jedem Fall sind „Bio“-Kunststoffe keine einfache
                                       die vergangenen Jahrzehnte massiv ausgeweitet wor-        Lösung für die Plastikkrise, denn die momentan
                                       den. Der zentrale Treiber dieser Entwicklung ist der      genutzten Mengen an (Einweg-) Kunststoffen auf fos-
                                       stark angebotsgetriebene Markt für Kunststoffe. Die       siler Basis können und sollen durch „Bio“-Kunststoffe
                                       fossilen Rohstoffe für die Erzeugung von Kunststoffen     nicht komplett ersetzt werden, auch nicht zukünftig.
                                       sind kostengünstig verfügbar, und dies führt zu einem     Eine konsistente Suffizienz-Politik, d. h. eine deutliche
1 Zur durch den BUND favorisierten     Überangebot an billiger Neuware (Röchling                 Verbrauchssenkung, ist daher Voraussetzung für den
  Definition von Nachhaltigkeit vgl.   Stiftung/Wider Sense 2020). Nicht nur wegen der           Erfolg von jeglichen weiteren Maßnahmen zur Lösung
  BUND 2021a sowie BUND Position
  49 zum Verständnis von               anhaltenden Einträge von Kunststoffen in die Umwelt       der Plastikkrise3 und bei der Debatte über „Bio“-Kunst-
  Nachhaltigkeit in der                hat sich in den letzten Jahren in der öffentlichen Dis-   stoffe als mögliche „bessere Kunststoffe“ immer paral-
  Abfallwirtschaft (BUND 2010).
2 Wie im deutschen                     kussion der Begriff „Plastikkrise“ zunehmend durch-       lel mitzudenken und zu integrieren.4
  Sprachgebrauch üblich, werden in     gesetzt, um die Bedrohung für Ökosysteme, das Klima,
  diesem Beitrag Kunststoff und
  Plastik synonym verwendet,           die Biodiversität und den Menschen durch die immer        Noch ist der Markt der „Bio“-Kunststoffe klein: Euro-
  obwohl nicht jeder Kunststoff        weiter zunehmende Plastikverschmutzung deutlich zu        paweit machten sie im Jahr 2020 etwa 1 % des Kunst-
  Plastik ist.
3 Nicht zuletzt muss die Diskussion    machen (vgl. Ekardt et al. 2019).                         stoffverbrauchs aus. Doch wie auch bei herkömmlichen
  um „Bio“-Kunststoffe als Teil                                                                  Kunststoffen wächst die Produktion der „Bio“-Kunst-
  einer nachhaltigen Stoffpolitik
  begriffen werden, die es zu          Vor dem Hintergrund der Plastikkrise verknüpfen sich      stoffe beständig, zum Teil sogar deutlich stärker. Etwa
  gestalten gilt (vgl. BUND Position   mit den sogenannten „Bio“-Kunststoffen eine Vielzahl      die Hälfte der „Bio“-Kunststoffe wird derzeit für Ver-
  69 zur nachhaltigen Stoffpolitik
  (BUND 2019) sowie die                von Erwartungen für eine nachhaltige1 Werkstoffnut-       packungen eingesetzt – bei den fossilen Kunststoffen
  Plastikvermeidungsstrategie des      zung: Es besteht die Hoffnung, fossile Rohstoffe durch    sind es etwa 30 %, die für Verpackungen eingesetzt
  BUND (BUND 2021b)).
4 Die Risiken, die mit der             nachwachsende zu ersetzen und durch die Bioabbau-         werden (european bioplastics 2020). In den nachfol-
  Herstellung, Verwendung und          barkeit von Kunststoffen zur Lösung der Abfallproble-     genden Ausführungen wird deshalb ein Schwerpunkt
  Entsorgung von Plastik, und somit
  auch „Bio“-Plastik, einhergehen      matik beizutragen. Diese Hoffnungen können                auf den Bereich Verpackungen gelegt. Weitere maß-
  sind nicht lokal begrenzt und        sogenannte „Bio“-Kunststoffe jedoch nur sehr einge-       gebliche „Bio“-Kunststoffanwendungen sind Landwirt-
  treffen uns gesamt-
  gesellschaftlich. Deshalb wird in    schränkt erfüllen. Eine neutrale Diskussion zu Bio-       schaftsfolien und Einweg-Konsumgüter wie Geschirr
  diesem Zusammenhang von              kunststoffen wird auch dadurch erschwert, dass das        und Besteck. Prinzipiell sind verschiedene „Bio“-Kunst-
  systemischen Risiken gesprochen
  (Kramm et al. 2020, S. 10). Die      Label „Bio“ hier häufig als Marketingstrategie miss-      stoffe jedoch auch zur Produktion hochwertiger Kunst-
  Risiken entstehen dabei nicht        braucht      und      falsche    Erwartungen        bei   stoffbauteile (z. B. Möbel, technische Teile für Elek-
  durch einen Unfall oder eine
  Naturkatastrophe, sondern durch      Verbraucher*innen geweckt werden. Irreführend ist         trotechnik und Automobilbau) geeignet.
  unseren alltäglichen Umgang mit      zudem u. a., dass die EU-Öko-Verordnung (Verordnung
  Kunststoffprodukten. Dies
  bedeutet die Verwendung von          (EG) Nr. 834/2007) für die Begriffe Bio-, Öko-, biolo-    Das Papier gliedert sich im Weiteren wie folgt:
  „Bio“-Kunststoffen im Vergleich      gisch und ökologisch definierte Kriterien für Agrarpro-   Zunächst wird erläutert, welche Produktgruppen unter
  zu anderen Materialien, auch zu
  herkömmlichen Kunststoffen, zu       dukte ansetzt, welche aber bei sogenanntem „Bio“-         dem Begriff „Bio“-Kunststoffe zusammengefasst wer-
  betrachten und Lösungs-              Plastik2 keine Anwendung finden.                          den. Im Anschluss geht das Papier näher auf bioba-
  möglichkeiten entlang der
  gesamten Wertschöpfungsketten                                                                  sierte und biologisch abbaubare Kunststoffe ein, sowie
  in den Blick zu nehmen. Durch        Anders als beispielsweise bei Biobaumwolle, die aus       auf die Kritikpunkte, die mit diesen Kunststoffen heute
  eine solche integrative
  Betrachtung rücken systemische       kontrolliertem ökologischem Anbau stammt, entstam-        verbunden sind. Es folgt eine Auseinandersetzung mit
  Veränderungen (z. B. die             men die pflanzlichen Produkte, aus denen sogenannte       den Möglichkeiten des Recyclings, bevor das Papier
  Förderung von Vermeidungs- und
  Suffizienz-Strategien) in den        „Bio“-Kunststoffe hergestellt werden, weitgehend der      mit den BUND-Forderungen und Leitsätzen zu „Bio“-
  Fokus und vermeintlich schnelle      konventionellen Landwirtschaft.                           Kunststoffen schließt.
  Lösungen, die nur die Symptome
  behandeln (sogenannte End-Of-
  Pipe-Lösungen) können                Entsprechend wird im weiteren Papier die Schreibweise
  vermieden werden (vgl. Kramm et
  al. 2020).                           „Bio“-Plastik bzw. „Bio“-Kunststoff gewählt.

                                                                                                                                   „Bio“-Kunststoffe   3
2. Definition von „Bio“-Kunststoffen

Unter „Bio“-Kunststoffen werden zwei unterschiedli-                scher Bundestag 2016). Abbaubare Kunststoffe können
che Gruppen von Produkten zusammengefasst:                         demnach fossiler oder biologischer Herkunft sein.

• biobasierte Kunststoffe und                                      Abbildung 1 veranschaulicht die Einteilung verschie-
• biologisch abbaubare Kunststoffe.                                dener Kunststoffe bezüglich der Herkunft ihrer Roh-
                                                                   stoffe sowie nach der biologischen Abbaubarkeit.
Biobasierte Kunststoffe stammen teilweise oder voll-
ständig aus nachwachsenden Rohstoffen, die z. B. in                Neben den zwei oben genannten und in diesem Papier
Mais, Zuckerrohr oder Kartoffeln enthalten sind. Sie               vorrangig betrachteten Gruppen existieren weitere
entsprechend chemisch häufig den herkömmlichen                     Werkstoffe, die prinzipiell als „Bio“-Kunststoffe gelten:
Kunststoffen, z. B. Bio-PE (Polyethylen) oder Bio-PET
(Polyethylenterephthalat). Biobasierte Kunststoffe                 • Verbundwerkstoffe, häufig mit fossiler Kunststoff-
können biologisch abbaubar sein – sind es aber häufig                basis, die biobasierte Füll- oder Verstärkungsstoffe
nicht. Biologisch abbaubare Kunststoffe wie das bio-                 aus Holz oder Naturfasern enthalten sowie
basierte PLA (Polylactid, „Polymilchsäure“) und das fos-           • Duroplastische bzw. elastomere „Bio“-Kunststoffe,
sile PBAT (Polybutyrat-Adipat-Terephthalat) wiederum                 insbesondere Polyurethane und Epoxide.
zeichnen sich durch die Eigenschaft aus, unter
bestimmten Bedingungen durch mikrobielle Prozesse                  Bei diesen genannten Werkstoffen handelt es sich z. T.
in CO2 und Wasser zersetzt werden zu können. Die                   um große Mengen, diese werden aber in den hier
biologische Abbaubarkeit hängt dabei nicht vom                     gezeigten Statistiken zu „Bio“-Kunststoffen nicht
ursprünglich gewählten Rohstoff 5, sondern allein von              berücksichtigt.
der chemischen Struktur des Endprodukts ab (Deut-

                                                                                                                                      5 Stoff oder Stoffgemisch in un-
                                                                                                                                       oder gering bearbeitetem
                                                                                                                                       Zustand, der/das in einen
Abbildung 1: Einteilung der Kunststoffe nach Herkunft (fossil oder biobasiert) sowie nach biologischer Abbaubarkeit (Kreutzbruck et    Produktionsprozess eingehen
al. 2021)                                                                                                                              kann (UBA 2012).

     4 „Bio“-Kunststoffe
Auch wenn „Bio“-Kunststoffe häufig als bessere Alter-      sind, gehören z. B. PLA (Polylactide) und PHA (Polyhy-
native zu herkömmlichen Kunststoffen angepriesen           droxyalkanoate) (Deutscher Bundestag 2016).
werden, so weisen sie eine ähnliche chemische Kom-
plexität auf und enthalten ähnlich viele Additive wie      Die meisten Biokunststoffe sind nicht zu 100 % bio-
herkömmliche Kunststoffe.                                  genen Ursprungs. Viele von ihnen basieren teilweise
                                                           auf fossilen, teilweise auf nachwachsenden Roh-
Abbildung 2 veranschaulicht die globalen Produkti-         stoffen.
onskapazitäten für „Bio“-Kunststoffe nach Anwen-
dungen (european bioplastics 2020). Der größte Teil        Zudem gibt es Blends, bei denen unterschiedliche bio-
der „Bio“-Kunststoffe wird für flexible Verpackungen       basierte Kunststoffe mit einem fossilen Polymer
eingesetzt, gefolgt von starren Verpackungen; zusam-       gemischt werden; gängig sind z. B. Stärkeblends, die
men machen sie ca. 47 % aus. Für Konsumgüter, Tex-         häufig für Verpackungen und Konsumgüter eingesetzt
tilien, Landwirtschaft und Transport stehen insgesamt      werden.
Kapazitäten von knapp 700.000 t zur Verfügung. Ins-
besondere bei flexiblen Verpackungen sowie in der          Für die Zertifizierung biobasierter Kunststoffe gibt es
Landwirtschaft überwiegt der Anteil der prinzipiell bio-   verschiedene Normen, z. B. die internationale Norm
abbaubaren Kunststoffe denjenigen der nicht-abbau-         ISO 16620, die europäische Norm CEN/TS 16137 oder
baren. Bei den starren Verpackungen entfällt ein gro-      die für Deutschland aus der EU übernommene DIN EN
ßer Anteil auf PET-Behälter; allerdings sind PLA- und      17228. Von DIN CERTCO (einer Zertifizierungsgesell-
PBAT-Anwendungen hier wie auch in anderen Anwen-           schaft der TÜV Rheinland Gruppe) werden darauf
dungen auf dem Vormarsch. Für diese zwei Typen ist         basierend Siegel je nach biobasiertem Anteil vergeben.
je ein Gesamtwachstum von 7 % zwischen 2020 und            Abbildung 3 zeigt exemplarisch die Siegel der DIN
2025 prognostiziert (Renewable Carbon publications         CERTCO, die „Bio“-Kunststoffe in drei verschiedene
2021). Einige „Newcomer“ unter den „Bio“-Kunststof-        Gruppen je nach biobasiertem Anteil einteilen (DIN
fen wachsen, von kleinen Marktanteilen beginnend,          CERTCO 2021a). Als Prüfverfahren wird dabei die C14-
beträchtlich, so z. B. PP mit 34 % bis 2025.               (auch Radiokohlenstoffmethode genannt) angewen-
                                                           det, mit der der Anteil der biobasierten Kohlenstoff-
                                                           atome ermittelt wird (DIN CERTCO 2017). Da die C14-
2.1 Biobasierte Kunststoffe                                Atome über sehr lange Zeiträume hinweg zerfallen,
Biobasierte Kunststoffe bestehen vollständig oder teil-    sind sie in fossilen Quellen nicht mehr enthalten.
weise aus nachwachsenden, meist pflanzlichen Roh-
stoffen.                                                   Zudem legt die DIN EN 17228 Merkmale von bioba-
                                                           sierten Kunststoffen fest. Der biobasierte Kohlenstoff-
Sie werden noch weiter unterteilt in Drop-in-Lösungen      anteil muss bei mindestens 20 % liegen.
und neuartige Biopolymere. Unter Drop-in-Lösungen
versteht man biobasierte Kunststoffe, die chemisch         Weitere Siegel werden von TÜV Austria oder Bioba-
identisch mit den bereits bekannten Materialien auf        sedcontent verliehen.
Mineralölbasis sind. Beispiele dafür sind Bio-PET (Poly-
ethylenterephthalat) und Bio-PA (Polyamid). Diese Bio-     Ein großer Teil der heute verfügbaren „Bio“-Kunststof-
kunststoffe sind genauso wenig bio-abbaubar wie die        fe stammt von kleineren Erzeugern.
entsprechenden petrochemischen „Originale“. Zu den
bio-basierten chemisch neuartigen Polymeren, die           In der Großindustrie hingegen, die Massenkunststoffe
nicht strukturgleich mit herkömmlichen Kunststoffen        (z B. in Form von Pellets) herstellt, wird beim Einsatz

                                                                                            „Bio“-Kunststoffe   5
Abbildung 2: Globale Produktionskapazitäten von „Bio“-Kunststoffen nach Einsatzgebiet. Quelle: european bioplastics (2020)

Legende
Kurzzeichen           Chemische Bezeichnung               Typische Anwendung/Bemerkung

PET                   Polyethylenterephthalat             Starre Verpackungen
PE                    Polyethylen                         Verpackungen aller Art, Rohre & Kabel
PA                    Polyamid                            Viele chemisch unterschiedliche Typen, Konstruktionswerkstoff
PP                    Polypropylen                        Verpackungs- und Konstruktionswerkstoff, als Biokunststoff kleiner
                                                          Marktanteil, starkes Wachstum
PTT                   Polytrimethylenterephthalat         Faserwerkstoff
PBAT                  Polybutylenadipatterephthalat       Folien für Verpackung und Landwirtschaft, vorwiegend fossilen
                                                          Ursprungs, hoher Marktanteil
PBS                   Polybutylensuccinat                 Verpackungen, Mulchfolien
PLA                   Polymilchsäure (Polylactic acid)    Sehr breites Anwendungsfeld, hoher Marktanteil, starkes Wachstum
PHA                   Polyhydroxyalkanoate                Verschiedene Typen, breites Anwendungsfeld, kleiner Marktanteil,
                                                          starkes Wachstum
Starchblends          Stärkeblends                        Verpackung, Konsumgüter, hoher Marktanteil

       6 „Bio“-Kunststoffe
Abbildung 3: Siegel der DIN CERTCO für biobasierte Kunststoffe; Quelle: DIN CERTCO 2021

nachwachsender Rohstoffe zunehmend die sogenann-                  wachsenden Rohstoffe den Produkten rechnerisch
te Massenbilanzierung („mass balance approach“) rea-              zugeordnet. Als massenbilanziert gelten Kunststoffe,
lisiert. Aufgrund der vielfach verzweigten Stoffströme            für deren Herstellung nachweislich biobasierte Roh-
ist dort eine Trennung biobasierter und fossiler Stoff-           stoffe oder Vorprodukte innerhalb eines klar definier-
ströme praktisch nicht möglich. Ein Aufbau sogenann-              ten Bilanzraums eingesetzt wurden (VCI 2017). Dies
ter „dedizierter“ Produktionsanlagen, die über die                ist ähnlich der Vorgehensweise bei der Einspeisung
gesamte Prozesskette hinweg ausschließlich bioba-                 von Ökostrom. So wird ein Anteil der Produkte 100 %
sierte Produkte herstellen, wird aus wirtschaftlichen             nachwachsenden Rohstoffen zugeordnet, der andere
Gründen derzeit nicht in Betracht gezogen.                        100 % fossilen, wohingegen beide in Realität eine
                                                                  Mischung sind.
Mit Hilfe der Massenbilanzierung werden die – heute
noch in sehr geringen Mengen – eingesetzten nach-

Abbildung 4: Prinzip der Massenbilanzierung (VCI 2017)

                                                                                                  „Bio“-Kunststoffe   7
In ein und demselben Prozess kann der biogene              spricht 0,015 % der weltweiten Agrarfläche von 4,7
Kohlenstoffgehalt im Kunststoff zeitlich fluktuieren.      Milliarden Hektar. Der Anteil der Flächennutzung für
Auch Verdünnungseffekte sowie Herstellung und Ver-         „Bio“-Kunststoffe wird in den nächsten 5 Jahren auf
trieb an regionalen Produktionsstandorten mit unter-       0,02 % steigen (european bioplastics 2020). Auch
schiedlicher Rohstoffversorgung können dazu führen,        wenn der Anteil an der globalen Anbaufläche für die
dass ein Nachweis biogenen Kohlenstoffs nicht mehr         Produktion biobasierter Kunststoffe sehr klein anmu-
möglich ist. Kunststoffe , denen durch Massenbilan-        tet, so ist die Nutzung von Anbaubiomasse für die
zierung nachwachsende Rohstoffe zugeordnet wurden,         Kunststoffproduktion schon heute ein zentraler Kri-
sind nach Definition des CEN/TC „Bio-based Products“       tikpunkt. Im Zuge des Bioökonomiediskurses ist die
nicht biobasiert (VCI 2017). Um Verbraucher*innen-         Anbaufläche für unterschiedliche Nutzungen (Nah-
täuschung zu vermeiden muss es klare Richtlinien für       rungsmittelproduktion, Weideflächen und Futteran-
Auskünfte zu diesen Produkten geben, da diese nicht        bau, Biokraftstoffe, etc.) bereits heute hart umkämpft
tatsächlich biobasiert sind, sondern nach Massenbilanz     und zum Teil doppelt und dreifach verplant. Zusätzlich
auf 100 % nachwachsenden Rohstoffen basieren. Hier         entsteht vermehrt Druck auf extensiv genutzte Flächen
sollten Normen (z. B. Quelle TÜV Süd) beachtet und         sowie Schutzgebiete (BUND 2021c). Global bekannte
ggfs. weitere erarbeitet werden. Auf eine leichtver-       Unternehmen 6 werben mit vielen neuen „Bioplastik“-
ständliche Kommunikation ist dabei Wert zu legen. Es       Produkten. Durch die aktuellen Anbaumethoden der
muss eine klare Abgrenzung zu tatsächlich biobasier-       industriellen Landwirtschaft für die oben erwähnten
ten Produkten vorgenommen werden.                          Feldfrüchte für die vielen neuen Produkte wird die
                                                           weitreichende Zerstörung der natürlichen Ressour-
In Zukunft bleibt zu beobachten, inwieweit die Mas-        cen massiv vorangetrieben. Die industrielle Landwirt-
senbilanzierung – die auch bei der Anwendung unter-        schaft ist dabei einer der Haupttreiber für den Klima-
schiedlicher Recyclingverfahren zunehmend zum Ein-         wandel und den Verlust von Biodiversität. Zudem
satz kommt mit einer transparenten Rohstoffherkunft,       verschlechtert sie die Bodenqualität, und besonders
die für Verbraucher*innen verständlich ist, in Einklang    der Maisanbau in Monokulturen trägt zur Boden-
zu bringen ist.                                            erosion bei. Der intensive Einsatz mineralischer Dünge-
                                                           mittel und chemischer Pestizide – die in der EU aus
                                                           guten Gründen oft gar nicht erlaubt sind (Heinrich Böll
2.1.1 Zur Herkunft der Rohstoffe für die                   Stiftung/BUND 2019) – stellen eine Gefahr für die
      Produktion biobasierter Kunststoffe                  Umwelt, die menschliche Gesundheit und Insekten dar
Die Bio-Komponenten für biobasierte Polymere werden        und führt außerdem zu einer Verschmutzung von
derzeit fast ausschließlich aus Anbaubiomasse gewon-       Grund- und Oberflächengewässern. Ebenso geht eine
nen. Eine Aufstellung über die Regionen und Rohstoffe      Gefahr von dem vermehrten Anbau gentechnisch ver-
für diese Biopolymere zeigt Tabelle 1. In einigen Fällen   änderter Pflanzen aus.
sind Anbaugebiet und Ort der Verarbeitung („Kapazi-
täten“) nicht identisch; so wird beispielsweise Bio-PET    Der Anbau von Zuckerrohr in Brasilien führt bei der
vorwiegend in Indien hergestellt, der Rohstoff stammt      derzeitig hohen Nachfrage (2020) und der ungerechten
                                                                                                                     6 Coca Cola wirbt für die
aber aus Brasilien.                                        Landverteilung zu einer Welle von Umwandlung von           „PlantBottle“, Pepsi gemeinsam
                                                           ehemaligen Viehweiden in intensiv genutzte Mono-           mit Nestlé und Danone für die“
                                                                                                                      NaturAll Bottle“, LEGO will in
Die für den Anbau des nachwachsenden Rohstoffs für         kulturen durch einige wenige Großkonzerne mit              wenigen Jahren sein gesamtes
die Produktion von „Bio“-Kunststoffen erforderliche        schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf die             Sortiment auf „Bio“-Plastik“
                                                                                                                      umstellen, und auch IKEA wirbt
landwirtschaftliche Anbaufläche wird für das Jahr          indigene Bevölkerung, die lokale Umwelt und das            für „grüne“ Produkte (Denkhaus
2020 auf 0,7 Millionen Hektar geschätzt. Dies ent-         Klima. Auch wenn der Zuckerrohr-Anbau selbst nur           Bremen 2021)

    8 „Bio“-Kunststoffe
Vorwiegende                     Kleine bzw.                        Biogener
  Kunststofftyp
                           Kapazitäten                     wachsende Kapazitäten              Rohstoff

  Stärkeblends             Europa                                                             Europäischer Mais

  PLA                      USA                             China, Thailand                    US-Mais
                                                                                              (Asiatisches Zuckerrohr)

  Bio-PE                   Brasilien                                                          Zuckerrohr

  Bio-PET                  Indien                          Türkei                             Zuckerrohr aus Brasilien

  Bio-PA                   Europa, Nordamerika,                                               Rizinus-, Soja-, Rapsöle,
                           Asien                                                              ggfs. Zucker

  Bioabbaubare             Europa und Asien                                                   Rizinus, Mariendistel,
  Copolyester                                                                                 Zucker

Tabelle 1: Regionen und Rohstoffe für verschiedene Biopolymere; Quelle: Detzel et al (2019), S. 29

marginal in Regenwald-Gebieten stattfindet, trägt                   genen Jahren (Detzel et al. 2019; UBA 2014; UBA
er dazu bei, dass sich die Viehwirtschaft in Brasi-                 2017). Dabei wurden z. B. PE-Tragetaschen, PET-Fla-
lien in Amazonien ausdehnt (Fatheuer 2020).                         schen und PLA-Klappdeckelschalen, jeweils im Ver-
                                                                    gleich zu einem herkömmlichen Kunststoff, unter-
Neben der Nutzung von Anbaubiomasse können                          sucht. Folgende Wirkungskategorien wurden
auch Agrar-Reststoffe zur Gewinnung von Bio-                        betrachtet: der kumulierte Energiebedarf, das Treib-
masse verwertet werden. Allerdings sind auch hier                   haus-, das Versauerungs- und das Eutrophierungspo-
konkurrierende Nutzungsarten, vor allem die Fut-                    tenzial sowie die Naturrauminanspruchnahme. Vorteile
termittelproduktion, nicht auszuschließen (Detzel                   für die biobasierten Kunststoffe ergeben sich in der
et al. 2019). Bei der Nutzung von „Reststoffen“                     Regel bei der Schonung nicht-erneuerbarer Energie-
aus der Landwirtschaft muss jedoch aus ökologi-                     träger und einen geringeren Beitrag zum Treibhaus-
schen Gesichtspunkten bedacht werden, dass das                      effekt, teilweise auch zum Sommersmog. Nachteile
Verbleiben von Reststoffen auf dem Acker wich-                      ergeben sich in den Bereichen terrestrische und aqua-
tige Funktionen für die Bodengesundheit inkl.                       tische Eutrophierung, Humantoxizität und Versaue-
Humusaufbau und somit Klimaschutz haben.                            rung.

2.1.2 Zur Ökobilanz biobasierter
      Kunststoffe
Grundsätzlich haben biobasierte Kunststoffe keine
eindeutig bessere Ökobilanz als herkömmliche
Kunststoffe. Dies zeigen Studien aus den vergan-

                                                                                                         „Bio“-Kunststoffe   9
2.2 Bioabbaubare Kunststoffe                              Anlehnung an die Norm für die industrielle Kompos-
„Die biologische Abbaubarkeit umfasst die Eigenschaft     tierung. Für den Abbau in Salzwasser ist es insbeson-
eines Stoffes, durch Mikroorganismen in Anwesenheit       dere schwierig, reale Bedingungen zu definieren, die
von Luftsauerstoff zu Kohlendioxid, Wasser, Biomasse      sich in den Laboren der Zertifizierungsinstitute nach-
und Mineralien sowie unter Luftabschluss zu Kohlen-       stellen lassen. All diesen Prüfnormen ist gemein, dass
dioxid, Methan, Biomasse und Mineralien zersetzt zu       sie keinen vollständigen Abbau zu Grunde legen.
werden, wobei kein Zeitraum definiert ist“ (DIN
16208).                                                   Der biologische Abbau eines zu testenden Materials
                                                          wird im Vergleich zu einem Referenzmaterial ermittelt,
Hauptanwendungsgebiete für biologisch abbaubare           die Wahl des Referenzmaterials beeinflusst somit das
Kunststoffe liegen im Verpackungs- und im Catering-       Testergebnis. Häufig wird mikrokristalline Zellulose als
bereich. Daneben gibt es auch Anwendungen im Gar-         Testmaterial verwendet, die aber je nach Prüfbedin-
tenbau und in der Landwirtschaft (z. B. Mulchfolien,      gungen (Temperatur, Feuchtigkeit, vorhandene Mikro-
Saatgutbänder, Anzuchttöpfe u. ä.).                       organismen) meist langsamer abbaubar als beispiels-
                                                          weise Polyhydroxybutyrat (PHB). Es ist also eine
Der Abbau erfolgt durch spezielle Mikroorganismen,        Harmonisierung in den Normen bezüglich des Test-
deren Enzyme die Polymerketten des Materials in klei-     materials erforderlich.
ne Teile zerlegen. Diese können dann von Bakterien –
ggf. auch zusammen mit anderem organischen Mate-          Nach der bekanntesten und am meisten verbreiteten
rial – weiter abgebaut werden. Nach dem Abbau             Zertifizierungsnorm für die Kompostierbarkeit in einer
bleiben vom Kunststoff selbst nur Wasser und Kohlen-      industriellen Kompostieranlage (d. h. bei ca. 60 Grad
dioxid übrig, Zusatzstoffe und Additive werden aller-     Celsius) werden folgende Anforderungen an biologisch
dings ebenfalls freigesetzt.                              abbaubare Kunststoffe gestellt (vgl. DIN EN 13432):

Typische Verrottungszeiten für biologisch abbaubare       • biologischer Abbau – mindestens 90 % der Poly-
Kunststoffe sind in (UBA 2018, S. 89 ff.) dargestellt.      mermasse muss innerhalb 180 Tagen in Kohlendioxid
Industriekompostierung von PBS ergab beispielsweise         umgesetzt sein.
einen 90 %igen Abbau bei 58 °C erst nach ca. fünf         • Desintegration – nach drei Monaten (12 Wochen)
Monaten; ein PBS-Stärke-Film kompostierte nach 45           in industriellen oder halbindustriellen Kompostier-
Tagen vollständig (ebenfalls bei 58 °C). Ein PHB-Film       bedingungen sollten nicht mehr als 10 % Trocken-
baute sich im Boden (allerdings bei 25 °C) innerhalb        masse auf einem Sieb mit einer Lochgröße von
von ca. vier Monaten um mehr als 90 % ab. Neben dem         < 2 mm verbleiben.
Materialtyp ist vor allem die Beschaffenheit (dünner      • Schwermetallgehalt und Ökotoxizität des Kompos-
Film, dickere Teile) von Einfluss.                          tes müssen sich unterhalb vorgegebener Grenzwerte
                                                            befinden.
Soll ein Kunststoff als biologisch abbaubar ausgewie-
sen werden, kann ein Hersteller sein Produkt nach ver-    Die in Deutschland verbreiteten Prüfsiegel für die
schiedenen Normen zertifizieren lassen, Tabelle 2. Hier   Industriekompostierung („Keimling“ oder DIN-Siegel
werden jeweils spezifische Kriterien für den Abbau        „industriekompostierbar“, siehe Tabelle 2) basieren auf
in industriellen Kompostierungsanlagen, Heimkom-          der DIN EN 13432. Auch wenn es vereinzelte Produkt-
postierung und Bodenkompostierung in der Landwirt-        zertifizierungen für die Heimkompostierung gibt, ist
schaft angewendet. Für den Abbau in Süßwasser-            diese bei der überwiegenden Mehrheit der „Bio“-
Gewässern gibt es nur eine Vorgehensweise in              Kunststoffe nicht möglich, weil die Produkte im häus-

   10 „Bio“-Kunststoffe
Abbau- und
  Habitat                 Norm                                                              Logos
                                                         Desintegrationskriterien

  Industrielle            EN 13432 –                     • Vollständige biologische
  Kompostierung           Anforderungen an die             Abbaubarkeit (90 %
                          Verwertung von Ver-              absolut oder 90 % bezo-
                          packungen durch                  gen auf ein geeignetes
                          Kompostierung und                Referenzsubstrat)
                          biologischen Abbau –              -> max. 6 Monate bei
                          Prüfschema und                   58 ±2 °C
                          Bewertungskriterien            • Desintegrationstest:
                          für die Einstufung von           max. 10 % des ur-
                          Verpackungen                     sprünglichen Trocken-
                                                           gewichts des Prüfmate-
                          Vergleichbar u. a. mit:          rials dürfen in einer
                          EN 14995                         Siebfraktion > 2 mm
                                                           enthalten sein
                                                           -> max. 3 Monate

  Heim- und               AS 5810 –                      • Vollständige biologische
  Garten-                 Biodegradable plas-              Abbaubarkeit (90 %
  kompostierung           tics – Biodegradable             absolut oder 90 % bezo-
                          plastics suitable for            gen auf ein geeignetes
                          home composting                  Referenzsubstrat)
                                                            -> max. 12 Monate
                          NF T 51-800 –                  • Desintegrationstest:
                          Plastics – Specificati-          max. 10 % des ur-
                          ons for plastics suit-           sprünglichen Trocken-
                          able for home com-               gewichts des Prüfmate-
                          posting                          rials dürfen in einer
                                                           Siebfraktion > 2 mm
                                                           enthalten sein
                                                           -> max. 6 Monate bei
                                                           25 ±5 °C

Tabelle 2: Normen zum Abbauverhalten biologisch abbaubarer Kunststoffe; um Logos erweitert, basierend auf Quellen: Burgstaller et
al. 2018, Seite 6, Logos von DIN CERTCO 2021, Fischer 2021, FNR 2021, TÜV Austria 2018

                                                                                                        „Bio“-Kunststoffe   11
Abbau- und
Habitat                 Norm                                                 Logos
                                                Desintegrationskriterien

Biologischer            EN 17033 –              • Vollständige biologische
Abbau im                „Biologisch abaubare      Abbaubarkeit (90 %
Boden                   Mulchfolien für den       absolut oder 90 % bezo-
(Mulchfolien)           Einsatz in Landwirt-      gen auf ein geeignetes
                        schaft und Gartenbau      Referenzsubstrat)
                        –                          -> max. 2 Jahre bei
                        Anforderungen und         20–28 °C (±2 °C; mög-
                        Prüfverfahren             lichst 25 °C)
                        (veröffentlicht 2018)   • Kein Desintegrationstest
                                                  notwendig

Abbau in                EN 13432 und            TÜV Austria:
Gewässern               EN 14995                • Vollständige biologische
                        Adapted for degrada-      Abbaubarkeit (90 %
                        tion in fresh water       absolut oder 90 % bezo-
                                                  gen auf ein geeignetes
                                                  Referenzsubstrat)
                                                   -> max. 56 Tage bei
                                                  20–25 °C
                                                • Kein Desintegrationstest
                                                  notwendig

Biologischer            ASTM D7081 – 05         TÜV Austria:
Abbau im Meer           Standard Specifica-     • Vollständige biologische
                        tion for Non-Floating     Abbaubarkeit (90 %
                        Biodegradable Plas-       absolut oder 90 % bezo-
                        tics in the Marine        gen auf ein geeignetes
                        Environment               Referenzsubstrat)
                        (Zurückgezogen –           -> max. 6 Monate
                        Testmethoden jedoch
                        in Anwendung) 7         • Desintegrationstest
                                                  beschrieben unter TS-
                                                  OK-23
                                                                                     7 Der Standard ASTM D 7081-05
                                                                                      wurde 2014 zurückgezogen, TÜV
                                                                                      Austria zertifiziert dennoch
                                                                                      aufbauend auf diesen Standard.
                                                                                      Ehemals wurde das Label durch
                                                                                      Vinçotte vergeben (UNEP 2018,
                                                                                      S. 70).

 12 „Bio“-Kunststoffe
lichen Komposthaufen nicht entsprechend abgebaut            Damit ist der Vorgang in der industriellen Kompostie-
werden können. Dort werden die für den Abbau der            rungsanlage genau genommen keine Kompostierung,
meisten “Bio”-Kunststoffe notwendigen hohen Tem-            sondern eine reine Entsorgung (Heinrich Böll Stif-
peraturen über entsprechend lange Zeiträume nicht           tung/BUND 2019).
erreicht (siehe Tabelle 2).
                                                            Wie oben erwähnt, erlaubt die DIN EN 13432 einen
In der Praxis hat der Müll in den meisten industriellen     10 %igen Anteil von Resten aus der Siebfraktion
Kompostieranlagen nur wenige Wochen Zeit zu ver-            < 2mm (es können somit auch dünne und deutlich län-
rotten, so dass bioabbaubare Kunststoffe (wie z. B.         gere Bruchstücke verbleiben). Prinzipiell ist davon aus-
bioabbaubare Plastik-Abfallbeutel) trotz entsprechen-       zugehen, dass auch dieses Material sich über einen län-
der Zertifizierung nicht ausreichend zersetzt werden        geren Zeitraum zersetzt. Der frische Kompost jedoch
(Burgstaller et al. 2018). Eine Verlängerung der Kom-       beinhaltet diese Reste, die als Verunreinigung zu
postierung ist in der Regel wirtschaftlich nicht sinnvoll   betrachten sind. Accinelli et al. (2020) untersuchten
und ist deshalb nicht absehbar. Entsprechend werden         die Bildung von Mikroplastik von kompostierbaren
die in Deutschland verwendeten bioabbaubaren Kunst-         Abfallbeuteln und vermuten, dass die Bodenqualität
stoffe von der Mehrzahl der Kompostwerke aussortiert        infolge der Verschiebung der Mikrobenflora im Boden
und landen derzeit fast ausschließlich in der Müllver-      zeitweilig negativ beeinflusst werden könnte.
brennung, da sie sich nicht so einfach von herkömm-
lichen Kunststoffen und anderen „Störstoffen“ unter-        Bei Produkten wie Mulchfolien ist in der Diskussion, ob
scheiden lassen. Ein kleinerer Teil der Kompostier-         das Belassen entsprechend zertifizierter Folien im
anlagen kompostiert nach DIN EN 13432 zertifizierte         Boden in begrenztem Umfang toleriert werden kann
Abfallbeutel mit, dabei bleibt unklar, in welchem           (UBA 2018). Denn aufgrund der bisweilen hohen Ver-
Umfang die so mitkompostierten zertifizierten Bioab-        schmutzung ist dies bisher mit einem hohen techni-
fallbeutel in der Nachsortierung nicht doch als Stör-       schen Aufwand verbunden und wird derzeit kaum prak-
stoffe ausgelesen werden und somit ebenso in der Ver-       tiziert. Seit 2018 existiert hier eine Norm, die über die
brennung landen (Wiss. Dienste Dt. Bundestag, 2021).        oben genannten allgemeinen Standards hinausgeht. In
                                                            der EN 17033 zu biologisch abbaubaren Mulchfolien
Für biologisch abbaubare Kunststoffverpackungen gilt        sind bessere ökotoxikologische Tests (Pflanzen-, Wurm-
in Deutschland auch mit einer Zertifizierung nach DIN       und Mikroorganismentests) und weitere Einschränkun-
EN 13432 zudem explizit, dass sie nicht zur indus-          gen der Inhaltsstoffe (Metalle, Substances of very high
triellen Kompostierung oder Vergärung zugelassen            concern) implementiert (european bioplastics 2018).
sind. Stattdessen sind sie laut Verpackungsgesetz eben-
so wie andere Verpackungen von den Dualen Systemen          Mulchfolien werden einerseits für die Saisonverlänge-
zu verwerten. Gesetzlich sind lediglich die DIN zertifi-    rung verwendet, sind andererseits aber auch sowohl
zierten biologisch abbaubaren Müllbeutel für die Indus-     im ökologischen als auch im konventionellen Anbau
triekompostierung zugelassen. Die meisten deutschen         ein wichtiges Mittel zum Schutz der Kulturen vor
Kommunen verbieten jedoch aus oben genannten                Schädlingsbefall. Ohne ihren Einsatz ist eine Reduzie-
Gründen diese Müllbeutel für die Biotonne.                  rung von Pestiziden im Gemüsebau und bei Sonderkul-
                                                            turen bedeutend schwieriger. Zum Teil existieren zudem
Nicht zuletzt entstehen bei der Zersetzung biologisch       bereits Rückgabe- und Recycling-Systeme von
abbaubarer Kunststoffe keine humusbildenden Stoffe.         gebrauchten Folien. Aktuelle Entwicklungen hinsicht-
Um neue bioabbaubare Produkte herzustellen, muss            lich Recycling und biologischer Abbaubarkeit der
also wieder Energie von außen zugeführt werden.             Mulchfolien bleiben hier abzuwarten.

                                                                                              „Bio“-Kunststoffe   13
Exkurs: Oxo-abbaubare Kunststoffe
Oxo-abbaubare Kunststoffe können eine fossile
oder biologische Rohstoffbasis besitzen. Ihnen
werden bestimmte Additive zugesetzt, welche den
Zerfallsprozess in der Umwelt durch Licht, Wärme
oder mechanische Belastung beschleunigen. Sie
werden dabei jedoch nicht vollständig abgebaut,
sondern zerfallen in kleine Fragmente, also Mikro-
plastik (Burgstaller et al. 2018). Im Juni 2019 wur-
de in der EU als Teil der Einwegplastikrichtlinie
(Umsetzung in Deutschland durch die Einweg-
kunststoffverbotsverordnung) ein Verbot von oxo-
abbaubaren Kunststoffen beschlossen, das im Juli
2021 in Kraft getreten ist.

 14 „Bio“-Kunststoffe
3. Recycling von „Bio“-Kunststoffen

                                 Nach der europäischen Abfallhierarchie stehen die Ver-
                                 meidung und Wiederverwertung für die Realisierung
                                 einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft an erster
                                 und zweiter Stelle. Diesen folgt das Recycling (auch
                                 stoffliche Verwertung) an dritter Stelle. Das Recycling
                                 von Kunststoffen (und entsprechend auch „Bio“-
                                 Kunststoffen) ist damit ebenfalls ein wichtiger Bau-
                                 stein für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft,
                                 jedoch mitnichten die Lösung für die Plastikkrise.

                                 Viele „Bio“-Kunststoffe (d. h. die für Verpackungen
                                 verwendeten und deshalb in diesem Papier hauptsäch-
                                 lich adressierten) sind thermoplastisch 8 und können
                                 somit grundsätzlich recycelt werden. Drop-in-Poly-
                                 mere wie Bio-PE, Bio-PET können mit den entspre-
                                 chenden fossilen Kunststoffen gemeinsam verwertet
                                 werden, da sie, wie bereits erläutert, chemisch mit die-
                                 sen identisch sind. Entsprechend findet ein Recycling
                                 für diese „Bio“-Kunststoffe heute schon statt. Was
                                 neue Biopolymere (wie PLA) angeht, sind deren Antei-
                                 le am Verpackungsaufkommen bisher so gering, dass
                                 sie im Rahmen des dualen Systems nicht erfasst wer-
                                 den, weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt. Sie wer-
                                 den in der Regel in Sortieranlagen ausgeschleust und
                                 landen in der Müllverbrennungsanlage (Burgstaller et
                                 al. 2018).

                                 Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, die Zahl der
                                 verschiedenen in Produkten eingesetzten „neuen“ Bio-
                                 polymere zu begrenzen, um für diese Stoffstrommen-
                                 gen zu erreichen, die es erlauben, das Recycling wirt-
                                 schaftlich zu betreiben.

8 Thermoplastische Kunststoffe
 lassen sich (ohne größere
 Materialveränderung)
 aufschmelzen.

                                                                                            „Bio“-Kunststoffe   15
4. Additive in „Bio“-Kunststoffen und human-
   und ökotoxikologische Auswirkungen

„Bio“-Kunststoffe enthalten, wie andere Kunststoffe,         Komposte auf höhere Pflanzen gefordert. Dies reicht
verschiedene Additive: also Zusatzstoffe, die für die        allerdings nicht aus, da so keine Aussage über eine
jeweilig gewünschten Eigenschaften sorgen (Weich-            mögliche Anreicherung in der Umwelt und negative
macher, Flammschutzmittel, Antioxidantien und UV-            Folgen für andere Lebewesen getroffen wird. Insbe-
Stabilisatoren, Gleitmittel, Farbstoffe, Antistatika, Bio-   sondere für die „NIAS“ sind (Öko-) Toxizitätsun-
zide, Füllstoffe sowie Verstärkungsmaterial). Zu             tersuchungen notwendig.
unterscheiden ist zwischen diesen absichtlich und wei-
teren, nicht-absichtlich zugesetzten Substanzen              In mehreren jüngeren Publikationen wurden in Kunst-
(intentionally added substances „IAS“ und non inten-         stoffen, darunter auch „Bio“-Kunststoffe und solche
tionally added substances „NIAS“).                           für den Lebensmittelkontakt, zahlreiche Substanzen
                                                             mit Gefährdungspotenzial gefunden. Zwei aktuelle
Erstere sind den Herstellern bekannt, sie machen diese       Studien untersuchten Alltagsprodukte aus konventio-
aber oft nicht transparent. NIAS haben keine bestimm-        nellen Kunststoffen sowie aus „Bio“-Kunststoffen in
te Funktion und sind ohne Absicht in das Produkt             Form von Kunststoff-Rohmaterialien (Pellets) sowie
gelangt. Sie können durch Verunreinigungen, Reakti-          Produkten auf ihre chemische Zusammensetzung und
ons- und Abbauprodukte bei der Herstellung und Ver-          Toxizität (Zimmermann et al., 2019, 2020). Sie wurden
wendung entstanden sein. Als NIAS findet man z. B.           auf akute Toxizität an Leuchtbakterien, eine mögliche
kurzkettige niedermolekulare Kunststoff-Anteile,             Initiierung mutagener bzw. karzinogener Wirkungen
Abbauprodukte von Additiven oder Kontaminationen             („oxidativer Stress“) sowie mittels Zelltests auf endo-
durch den Recyclingprozess (Koster et al., 2016; Geue-       krine Wirkungen untersucht. Der größte Teil der unter-
ke, 2018).                                                   suchten Kunststoffe – sowohl herkömmliche als auch
                                                             „Bio“-Kunststoffe – enthielt toxische Chemikalien. In
Da „Bio“-Kunststoffe in Zukunft durch erwartete              beiden Gruppen zeigte ein Viertel bzw. ein Drittel keine
Produktionssteigerungen sowie falsche Entsorgung             toxische Wirkung der Extrakte.
vermehrt in die Umwelt gelangen werden, ist eine
Bewertung hinsichtlich der Human- aber auch der              Eine Folgestudie hat gezeigt, dass auch unter realen
Ökotoxizität sowie der Persistenz in der Umwelt von          Bedingungen (herauslösen der Chemikalien mit Wasser
großer Bedeutung.                                            anstelle von Methanol) tausende Chemikalien aus den
                                                             Kunststoffen austreten und somit in die Lebensmittel
Beispielsweise enthalten nach DIN EN 13432 zertifi-          und die Umwelt übergehen können (Zimmerman et al.
zierte Abfallbeutel durchschnittlich etwa fünf Prozent       2021).
Additive (Wiss. Dienste Dt. Bundestag, 2021). Laut
Norm sind nur Substanzen mit einem Gewichtsanteil            Verschiedene Forscher*innengruppen haben sogenann-
höher 1 % auf Bioabbaubarkeit zu untersuchen;                te Biotestbatterien entwickelt, mit deren Hilfe die
gleichzeitig toleriert die Norm insgesamt bis zu fünf        Human-, terrestrische und aquatische Toxizität bewer-
Gewichtsprozent nicht biologisch abbaubarer Bestand-         tet werden kann (Koster et al. 2012; EFSA, 2019; Koster
teile.                                                       et al. 2016; Neale et al. 2017; Schmidt et al. 2017;
                                                             Brack el al. 2019; DiPaolo et al. 2016; Braun et al.
In den zertifizierenden Normen biologisch abbaubarer         2021). Aus der Vielzahl an Prüfmethoden und Test-
Kunststoffe DIN EN 13432 und DIN EN 14995 sind               Batterien sollte eine geeignete Kombination für alle
Höchstgrenzen für Schwermetalle und andere toxi-             „Bio“-Kunststoffe, insbesondere für bioabbaubare, ent-
sche Substanzen festgelegt, und es wird eine Bestim-         wickelt werden, die dann verpflichtend aufgrund des
mung der ökotoxischen Wirkung der resultierenden             Vorsorge-Prinzips angewendet werden muss.

   16 „Bio“-Kunststoffe
Immerhin fanden Zimmermann et al. (2019, 2020)
mit ihrer Test-Kombination in etwa einem Viertel
der Proben nur eine geringe inhärente Toxizität der
Proben. Diese Auswahl könnte wegweisend sein für
die zukünftige Entwicklung einer neuen Generation
gering toxischer und umweltfreundlicher Kunststoffe.

                                                       „Bio“-Kunststoffe   17
5. Kritische Aspekte von „Bio“-Kunststoffen
   in der Übersicht

Zusammengefasst lassen sich über „Bio“-Kunststoffe
folgende Aussagen treffen:

• Es handelt sich bei biobasierten "Bio“-Kunststoffen
  zum allergrößten Teil nicht um Produkte, die aus
  ökologischer Landwirtschaft stammen. Zudem bein-
  halten sie häufig auch fossile Anteile.

• In praktisch allen „Bio“-Kunststoffen sind zusätzliche
  Additive enthalten. An vielen von diesen sind toxi-
  sche Wirkungen nachgewiesen worden; das toxische
  Potenzial unterscheidet sich nicht wesentlich von
  dem fossil basierter Kunststoffe (Zimmermann et al.
  2020).

• Ein Teil der „Bio“-Kunststoffe ist biologisch abbaubar
  und auch entsprechend zertifiziert. Da die Verrot-
  tungszeiten laut gängiger Norm jedoch deutlich über
  der Kompostierdauer in Industrieanlagen liegen, ist
  eine normgerechte Zersetzung nicht gewährleistet.
  Zudem sind die von der Norm tolerierten Restpartikel
  kritisch zu bewerten.

• Für die „neuen“ Biopolymere, die nicht chemisch
  identisch mit etablierten Kunststoffen (PE, PET etc.)
  sind, gibt es derzeit wegen der geringen Mengen kei-
  ne Recyclingmöglichkeiten im Rahmen bestehender
  Recycling-Anlagen.

• Etwa die Hälfte der „Bio“-Kunststoffe entfällt auf
  Verpackungen. Hier existiert ein enormes Vermei-
  dungspotenzial, d. h. bei nachhaltigem Wirtschaften
  sind viele dieser Kunststoffanwendungen nicht
  erforderlich.

• Die Normen für alle „Bio“-Kunststoffe, insbesondere
  aber für jene für bioabbaubar zertifizierte, enthalten
  weder für „IAS“ noch für „NIAS“ die human- und
  ökotoxikologisch notwendigen Tests.

   18 „Bio“-Kunststoffe
6. BUND-Forderungen und Leitsätze
                                      zu „Bio“-Kunststoffen

                                   In Anbetracht der heutigen Rahmenbedingungen sind         ben (Monomaterial, geeignete Farben, Demontierbar-
                                   „Bio“-Kunststoffe derzeit eine Scheinlösung für die       keit etc.), um eine größtmögliche Rezyklatqualität zu
                                   Plastikkrise.                                             gewährleisten.

                                   Erstes Ziel als Antwort auf die Plastikkrise ist und      Die Zentrale Stelle Verpackungsregister sollte entspre-
                                   bleibt die Vermeidung überflüssiger Kunststoffan-         chend „Bio“-Kunststoffe aus der Zulassung nehmen,
                                   wendungen, insbesondere im Verpackungs- und Ein-          solange sie im aktuellen Markt nicht recycelt werden
                                   wegsektor. Aus Sicht des BUND lenkt die oft heiß          können. Das bedeutet für das Recycling von „Bio“-
                                   geführte Debatte um den Einsatz und die potentiellen      Kunststoffen, dass neben Drop-in-Polymeren, die mit
                                   Vorteile von „Bio“-Plastik hauptsächlich vom eigentlich   den chemisch identischen Fraktionen herkömmlicher
                                   notwendigen Umbau im Verpackungs- und im Kunst-           Kunststoffe recycelt werden können, eine Beschrän-
                                   stoffsektor allgemein ab. Hier müssen Konsistenz (z. B.   kung auf wenige neue „Bio“-Kunststoffe 9 angera-
                                   Mehrweg statt Einweg) und Suffizienz (geringere Men-      ten ist, um deren Anteil zu erhöhen und so werkstoff-
                                   gen) stärker in den Fokus rücken. Nötige, verbindliche    liches Recycling wirtschaftlich zu ermöglichen. Zentral
                                   Vermeidungsziele müssen zudem mit Zielzahlen und          dafür sind auch entsprechende politische Anreize –
                                   Maßnahmen unterlegt werden, sonst bleibt es bei sym-      insbesondere vor dem Hintergrund der Notwendigkeit
                                   bolischen Zielsetzungen.                                  einer sozial-ökologischen Transformation, in der Wirt-
                                                                                             schaftlichkeit nach heutigen Maßstäben nicht mehr
                                    Die Industrie wirbt bezüglich „Bioplastik“ zum Bei-      das zentrale Kriterium für oder gegen eine Maßnahme
                                    spiel mit dem Argument, dass dieses ein guter            sein kann.
                                    CO2-Speicher sei. Tatsächlich ähnelt diese Argu-
                                    mentation anderen End-Of-Pipe-Lösungen gegen             Erst danach geht es darum zu entscheiden, ob und wo
                                    den Klimawandel, die nur Symptombekämpfung               biobasierte Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen sinn-
                                    sind. Solche Argumente führen zu einem mög-              voll ersetzen können.
                                    lichst langen Erhalt des Status-Quo und schwä-
                                    chen Forderungen nach den notwendigen, syste-            Es ist fraglich, ob Bioabbaubarkeit durch die Funktion
                                    mischen Änderungen. Die großen Mengen von                bedingt tatsächliche Vorteile, z. B. in bodennahen land-
                                    Einweg-Verpackungen – egal ob aus Plastik oder           wirtschaftlichen Anwendungen, mit sich bringen kann.
                                    „Bio“-Plastik – und die niedrigen Recyclingmen-          Dies ist von zentraler Bedeutung, weil es sich bei der
                                    gen bestehender Plastikabfälle sind das Problem,         Kompostierung von bioabbaubaren Kunststoffen
                                    welches primär im Vordergrund stehen sollte. Eine        um eine reine Entsorgung handelt, die wiederum dem
                                    Diskussion über „Bio“-Plastik als CO2-Speicher           Gedanken der Kreislaufwirtschaft widerspricht.
                                    kann davon ablenken.
                                                                                             Zudem können Bezeichnungen wie „kompostierbar“
                                                                                             oder „biologisch abbaubar“ dazu führen, dass die Pro-
                                   Im zweiten Schritt muss das bereits im System befind-     dukte vermehrt in der Umwelt landen, was äußerst
                                   liche Plastik tatsächlich hochwertig im Kreislauf         kritisch zu bewerten ist.
                                   geführt werden – dies schließt die prioritäre Wie-
                                   derverwendung durch den breiten Einsatz von Mehr-         Die Normen für alle „Bio“-Kunststoffe, insbesondere
9 Nach aktuellem Entwicklungs-
 stand handelt es sich dabei
                                   wegsystemen ein. Außerdem müssen alle produzier-          aber für jene für bioabbaubar zertifizierte, sollten
 vorrangig um PLA und PHAs, wenn   ten Kunststoffprodukte nicht nur theoretisch,             zusätzlich um human- und ökotoxikologisch not-
 die Mengenentwicklung hier wie
 in den letzten Jahren
                                   sondern auch praktisch recyclingfähig sein. Hierzu ist    wendige Tests ergänzt werden, insbesondere für
 voranschreitet.                   weiter ein recyclinggerechtes Produktdesign anzustre-     „NIAS“ sind (Öko-)Toxizitätsuntersuchungen not-

                                                                                                                               „Bio“-Kunststoffe   19
wendig. Zudem ist eine Harmonisierung der Normen          Folgende Forderungen stellt der BUND für den Ein-
bezüglich des Referenzmaterials erforderlich.             satz bioabbaubarer Kunststoffe:

Der BUND erhebt folgende Forderungen für den Ein-         • Grundsätzlicher Verzicht auf den Einsatz bioabbau-
satz biobasierter Kunststoffe:                              barer Kunststoffe für Verpackungen.

• Der BUND lehnt die Produktion von Rohstoffen für        • Sollten nachweislich sinnvolle Einsatzgebiete für
  biobasierte Kunststoffe auf nicht-nachhaltigen,           bioabbaubare Kunststoffe etabliert werden, sollten
  eigens dafür zur Verfügung gestellten Flächen (u. a.      in diesen Fällen herkömmliche Kunststoffe nicht
  durch Rodungen, Umwandlung extensiv in intensiv           mehr verwendet werden dürfen.
  genutzte Flächen oder Verdrängung von Nahrungs-
  mittelproduktion) ab.                                   • Bioabbaubare Kunststoffe dürfen rechtlich verbind-
                                                            lich keine oder nur unproblematische Additive ent-
• Eine nachhaltige Produktion biobasierter Kunststoffe      halten, dafür ist eine komplette Transparenz über
  kann nur durch den Einsatz von Rohstoffen erfolgen,       alle Inhaltsstoffe Voraussetzung sowie Toxizitäts-
  die regional als Reste biogener Produkte (wie der         prüfungen für nicht absichtlich zugefügte Substan-
  Holzindustrie, Weinanbau, Speiseölreste) anfallen.        zen (NIAS).
  Für die Herkunft der Rohstoffe sollte es eine ent-
  sprechende Zertifizierung geben. Für die Bodenge-       • Sie müssen zudem außerhalb industrieller Kompos-
  sundheit und CO2-Speicherung auf dem Acker nutz-          tierungsanlagen vollständig biologisch abbaubar
  bare landwirtschaftliche „Reststoffe“ sollen für die      sein.
  „Bio“-Kunststoff-Produktion nicht genutzt werden.
                                                          • Keine Zulassung von bioabbaubaren Kunststoffpro-
• Der Einsatz biobasierter Kunststoffe darf nicht dazu      dukten für die Entsorgung über Kompostierungsan-
  führen, dass herkömmliche Kunststoffe in vermeid-         lagen.
  baren Anwendungen ein besseres Image bekommen
  (Greenwashing). Dies gilt insbesondere bei Kunst-       • Der Einsatz von Produkten wie Mulchfolien sollte
  stoffprodukten, die zu einem geringen Anteil aus          soweit möglich minimiert werden.
  biobasierten Rohstoffen hergestellt werden.
                                                          • Der Einsatz von Produkten wie Mulchfolien ist u. a.
• Eine Verbraucher*innen-freundliche, leicht verständ-      ein wichtiger nicht-chemischer Schädlingsschutz.
  liche Kommunikation zu den tatsächlich biobasierten       Er sollte zukünftig entweder auf tatsächlich bioab-
  Anteilen von Produkten ist nötig. Dafür sollten unab-     baubare Kunststoffe oder besser auf stabile Folien,
  hängige Normen /Zertifizierung erarbeitet werden.         die zurückgegeben werden, beschränkt werden.

                                                          • Für die Rückgabe von in der Landwirtschaft einge-
                                                            setzten Folien sind Rückgabe- und Recyclingsysteme,
                                                            am besten auf Pfandbasis, einzurichten.

   20 „Bio“-Kunststoffe
Anhang A: Additive in „Bio“-Kunststoffen und
                                     human- und ökotoxikologische Auswirkungen

                                     „Bio“-Kunststoffe enthalten, wie andere Kunststoffe,        mittelverpackungen eingesetzt werden, können die
                                     verschiedene Additive: also Zusatzstoffe, die für die       enthaltenen Additive und NIAS auf Lebensmittel (und
                                     jeweilig gewünschten Eigenschaften sorgen. Mehr als         somit allgemein in die Nahrungskette) übergehen. Sol-
                                     10.000 verschiedene Chemikalien wurden mit Kunst-           che Kunststoffe und auch ihre Inhaltsstoffe stehen
                                     stoffen in Verbindung gebracht (Wiesinger et al. 2021).     unter besonderer Beobachtung. Eine Positivliste der
                                     Durch fehlende Transparenz ist allerdings unklar, wel-      EU (EU, 2020) mit mehr als 1000 Einzelstoffen wird
                                     che und wie viele dieser Chemikalien in einem Kunst-        seit 2011 laufend aktualisiert („Unionsliste der zuge-
                                     stoff enthalten sind.                                       lassenen Monomere, sonstigen Ausgangsstoffe, durch
                                                                                                 mikrobielle Fermentation gewonnenen Makromolekü-
                                     Hier bei lässt sich zwischen absichtlich und nicht-         le, Zusatzstoffe und Hilfsstoffe bei der Herstellung von
                                     absichtlich zugesetzten Substanzen (intentionally           Kunststoffen“). Einige Einzelstoffe wurden von der
                                     added substances „IAS“ und non intentionally added          Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit
                                     substances „NIAS“) unterscheiden. Erstere sind den          (EFSA) bewertet. Jeder in den Verkehr gebrachte Stoff
                                     Herstellern bekannt, sie machen diese aber oft nicht        mit einer Produktionsmenge von mehr als einer Tonne
                                     transparent. Letztere sind selbst dem Hersteller meist      pro Jahr sollte zudem in der EU registriert sein Zu die-
                                     unbekannt, und sind unbeabsichtigt im Endprodukt            sem gibt es in der Regel ein Dossier mit seinen
                                     vorhanden. Diese umfassen beispielsweise, Nebenpro-         (öko)toxikologischen und anderen umweltrelevanten
                                     dukte (z. B. kurzkettige Kunststoff-Anteile (Oligomere))    Eigenschaften.
                                     sowie Reaktions- und Abbauprodukte des Herstel-
                                     lungsprozesses (z. B. Nonylphenol aus Antioxidantien)       Groh et al. (2021) untersuchten Kunststoffe mit
                                     und Verunreinigungen (z. B. Mineralöl und Stoffe resul-     Lebensmittelkontakt und identifizierten in einer auf-
                                     tierend aus dem Recyclingprozess) (Koster et al., 2016;     wendigen Zusammenstellung ca. 4700 Substanzen
                                     Geueke, 2018). Diese können durch Verunreinigungen,         (IAS), die weltweit als Ausgangs- oder Zusatzstoffe in
                                     Reaktions- und Abbauprodukte bei der Herstellung            Kunststoffen mit Lebensmittelkontakt genutzt werden.
                                     und Verwendung entstanden sein und können bisher            Sie fanden in den untersuchten Kunststoffen ca. 600
                                     größtenteils mangels Daten nicht hinsichtlich ihres         in Listen prioritär eingestufte Chemikalien, die als
                                     Risikopotentials bewertet werden.                           gesundheits-         und/oder      umweltgefährdend
                                                                                                 (ECHA/Japan), endokrin wirksam, persistent + bioak-
                                     Da „Bio“-Kunststoffe in Zukunft durch erwartete             kumulierend + toxisch (PBT), sehr persistent + sehr
                                     Produktionssteigerungen sowie falsche Entsorgung            bioakkumulierend (vPvB) oder als persistenter organi-
                                     vermehrt in die Umwelt gelangen werden, ist eine            scher Schadstoff (POP) gelten oder darüber hinaus in
                                     Bewertung hinsichtlich der Human- aber auch der             Prioritätslisten der EU oder USA (Kalifornien) genannt
                                     Ökotoxizität sowie der Persistenz in der Umwelt von         sind. Die Identifizierung solcher bekannten und unbe-
                                     großer Bedeutung.                                           kannten Stoffe und Stoffgruppen ist ein erster Schritt,
                                                                                                 um kritische Substanzen an Hand der Strukturen zu
                                     Die absichtlich für bestimmte Funktionen zugesetzten        erkennen, für eine Bewertung sind jedoch weitere
10 Die Anzahl an                     Stoffe (Weichmacher, Flammschutzmittel, Antioxidan-         Schritte nötig. In „Bio“-Kunststoffen wurden mittels
  Substanzen/Chemikalien sind
  Näherungen und keine
                                     tien und UV-Stabilisatoren, Gleitmittel, Farbstoffe,        chemischer Analyseverfahren über 40.000 Substan-
  akkuraten Zahlen. Diese            Antistatika, Biozide, Füllstoffe, Verstärker) lassen sich   zen 10 gefunden, von denen viele NIAS sind (Zim-
  Näherung unterschätzt
  allerdings wahrscheinlicher eher
                                     grob gliedern in Additive, die für Kunststoffe mit          mermann et al., 2020).
  die Chemikalien/Substanzen die     Lebensmittel- oder Haut-Kontakt vorgesehen sind, und
  in den Produkten enthalten sind
  bzw. daraus austreten können
                                     Additive für technische Anwendungen im Innen- und           Nach mehr oder weniger langem Gebrauch unterliegen
  sogar eher noch.                   Außenbereich. Da viele „Bio“-Kunststoffe für Lebens-        „Bio“-Kunststoffe – wie auch aus Erdöl hergestellte

                                                                                                                                   „Bio“-Kunststoffe   21
Kunststoffe – einer stofflichen Wiederverwertung, der      und Erkennung besonders kritischer Substanzen mit
Verbrennung oder einer Deponierung (Hahladakis et          Prioritätensetzung (Groh et al. 2021). Die Erkennung
al., 2018). Ein Teil landet allerdings in der Umwelt       kritischer IAS und NIAS ohne Datensätze erfordert
(engl. „litter“); für alle „Bio“-Kunststoffe ist der Weg   jedoch weitergehende Anstrengungen. Einige Ver-
in die terrestrische und eventuell aquatische              öffentlichungen der letzten Jahre bieten dazu Ansatz-
Umwelt besonders wahrscheinlich. Im Idealfall wer-         punkte.
den die Kunststoffe dann vollständig zu CO2 und Was-
ser mineralisiert, allerdings nur unter den günstigen      Zwei aktuelle Studien untersuchten Alltagsprodukte
Labor-Bedingungen, selten aber in der realen Umwelt        aus verschiedenen konventionellen (Erdöl-basierten)
(Haider et al., 2019).                                     Kunststoffen (z. B. Polyethylen, Polystyrol, Polyvinyl-
                                                           chlorid) sowie aus „Bio“-Kunststoffen (viele davon für
Der Verbleib der in den Produkten enthaltenen IAS          den Lebensmittelkontakt vorgesehen) auf ihre chemi-
und NIAS ist weitgehend ungeklärt. Beispielsweise          sche Zusammensetzung und Toxizität (Zimmermann
enthalten nach DIN EN 13432 zertifizierte Abfallbeutel     et al., 2019, 2020). Dabei wurden mittels Methanol-
durchschnittlich etwa fünf Prozent Additive; weder         Extraktion die in den Produkten enthaltenen Chemi-
diese und ihr Abbauverhalten, noch ihre Ökotoxizität,      kalien herausgelöst und die erhaltene Chemikalienmi-
werden hinreichend von der Norm reguliert (Wiss.           schung mittels Zelltests untersucht. Der größte Teil
Dienste Dt. Bundestag, 2021). Die Norm schließt            der untersuchten Kunststoffprodukte – zwei Drittel
demnach eine ökotoxische Wirkung der Zusatzstof-           der herkömmlichen und drei Viertel der „Bio“-
fe nicht aus. Bei 1–5 % IAS- + NIAS-Anteil errechnen       Kunststoffe – enthielt schädliche Chemikalien,
sich aus den 2017 global produzierten 870.000 t/a          darunter solche die toxisch auf Zellen wirken oder
abbaubaren Kunststoffen (Haider et al., 2019) ca.          endokrine Effekte hervorrufen. Die Produkte, die
9.000 bis 40.000 t kaum bekannter Chemikalien,             auf Zellulose oder Stärke basierten enthielten die
die zum Teil unkontrolliert jährlich in die Umwelt         meisten Chemikalien und waren am toxischsten
gelangen.                                                  (d. h. hatten negative Auswirkungen in Zelltests). 11
                                                           In beiden Gruppen zeigte ein Viertel bzw. ein Drittel
In den zertifizierenden Normen biologisch abbau-           keine toxische Wirkung der Extrakte.
barer Kunststoffe DIN EN 13432 und DIN EN
14995 sind Höchstgrenzen für Schwermetalle und             Eine Folgestudie hat gezeigt, dass auch unter realen
andere toxische Substanzen festgelegt und es wird          Bedingungen (herauslösen der Chemikalien mit
eine Bestimmung der ökotoxischen Wirkung der               Wasser anstelle von Methanol) tausende Chemika-
resultierenden Komposte auf höhere Pflanzen                lien aus den Kunststoffen austreten und somit in
gefordert. Dies reicht allerdings nicht aus, da so         die Lebensmittel und die Umwelt übergehen können
keine Aussage über eine mögliche Anreicherung in           (Zimmerman et al. 2021). Um Schlussfolgerungen hin-
der Umwelt und negative Folgen für aquatische              sichtlich der Auswirkung auf den Menschen und ande-
oder terrestrische Lebewesen getroffen wird. Ins-          re Organismen zu treffen, braucht es eine Übertragung
besondere für die „NIAS“ sind (Öko-)Toxizitätsun-          der Ergebnisse von den Zelltests auf den lebenden
tersuchungen notwendig.                                    Organismus sowie eine Abschätzung der tatsächlichen
                                                           Exposition. Bei Verpackungen muss das Ausmaß einer
Wenn die zugesetzten IAS bekannt und registriert           Migration in Lebensmittel oder der Auslaugung beim
sind, erleichtern die Basisdaten eine Bewertung des        Verbleib in der Umwelt ermittelt und an Hand von Wir-     11 Bei den konventionellen
                                                                                                                       Kunststoffen waren es
humantoxischen und umweltrelevanten Gefähr-                kungsdaten bewertet werden.                                 Polyvinylchlorid und
dungspotenzials (EFSA, 2020; Hahladakis et al., 2018)                                                                  Polyurethan.

   22 „Bio“-Kunststoffe
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