"Bio"-Kunststoffe - hintergrund
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Inhalt 1. Einleitung 3 2. Definition von „Bio“-Kunststoffen 4 2.1. Biobasierte Kunststoffe 5 2.1.1 Zur Herkunft der Rohstoffe für die Produktion biobasierter Kunststoffe 8 2.1.2 Zur Ökobilanz biobasierter Kunststoffe 9 2.2. Bioabbaubare Kunststoffe 10 3. Recycling von „Bio“-Kunststoffen 15 4. Additive in „Bio“-Kunststoffen und human- und ökotoxikologische Auswirkungen 16 5. Kritische Aspekte von „Bio“-Kunststoffen in der Übersicht 18 6. BUND-Forderungen und Leitsätze zu „Bio“-Kunststoffen 19 Anhang A: Additive in „Bio“-Kunststoffen und human- und ökotoxikologische Auswirkungen 21 Literatur 25 Normen 28 2 „Bio“-Kunststoffe
1. Einleitung Die Produktion und Nutzung von Kunststoffen ist über In jedem Fall sind „Bio“-Kunststoffe keine einfache die vergangenen Jahrzehnte massiv ausgeweitet wor- Lösung für die Plastikkrise, denn die momentan den. Der zentrale Treiber dieser Entwicklung ist der genutzten Mengen an (Einweg-) Kunststoffen auf fos- stark angebotsgetriebene Markt für Kunststoffe. Die siler Basis können und sollen durch „Bio“-Kunststoffe fossilen Rohstoffe für die Erzeugung von Kunststoffen nicht komplett ersetzt werden, auch nicht zukünftig. sind kostengünstig verfügbar, und dies führt zu einem Eine konsistente Suffizienz-Politik, d. h. eine deutliche 1 Zur durch den BUND favorisierten Überangebot an billiger Neuware (Röchling Verbrauchssenkung, ist daher Voraussetzung für den Definition von Nachhaltigkeit vgl. Stiftung/Wider Sense 2020). Nicht nur wegen der Erfolg von jeglichen weiteren Maßnahmen zur Lösung BUND 2021a sowie BUND Position 49 zum Verständnis von anhaltenden Einträge von Kunststoffen in die Umwelt der Plastikkrise3 und bei der Debatte über „Bio“-Kunst- Nachhaltigkeit in der hat sich in den letzten Jahren in der öffentlichen Dis- stoffe als mögliche „bessere Kunststoffe“ immer paral- Abfallwirtschaft (BUND 2010). 2 Wie im deutschen kussion der Begriff „Plastikkrise“ zunehmend durch- lel mitzudenken und zu integrieren.4 Sprachgebrauch üblich, werden in gesetzt, um die Bedrohung für Ökosysteme, das Klima, diesem Beitrag Kunststoff und Plastik synonym verwendet, die Biodiversität und den Menschen durch die immer Noch ist der Markt der „Bio“-Kunststoffe klein: Euro- obwohl nicht jeder Kunststoff weiter zunehmende Plastikverschmutzung deutlich zu paweit machten sie im Jahr 2020 etwa 1 % des Kunst- Plastik ist. 3 Nicht zuletzt muss die Diskussion machen (vgl. Ekardt et al. 2019). stoffverbrauchs aus. Doch wie auch bei herkömmlichen um „Bio“-Kunststoffe als Teil Kunststoffen wächst die Produktion der „Bio“-Kunst- einer nachhaltigen Stoffpolitik begriffen werden, die es zu Vor dem Hintergrund der Plastikkrise verknüpfen sich stoffe beständig, zum Teil sogar deutlich stärker. Etwa gestalten gilt (vgl. BUND Position mit den sogenannten „Bio“-Kunststoffen eine Vielzahl die Hälfte der „Bio“-Kunststoffe wird derzeit für Ver- 69 zur nachhaltigen Stoffpolitik (BUND 2019) sowie die von Erwartungen für eine nachhaltige1 Werkstoffnut- packungen eingesetzt – bei den fossilen Kunststoffen Plastikvermeidungsstrategie des zung: Es besteht die Hoffnung, fossile Rohstoffe durch sind es etwa 30 %, die für Verpackungen eingesetzt BUND (BUND 2021b)). 4 Die Risiken, die mit der nachwachsende zu ersetzen und durch die Bioabbau- werden (european bioplastics 2020). In den nachfol- Herstellung, Verwendung und barkeit von Kunststoffen zur Lösung der Abfallproble- genden Ausführungen wird deshalb ein Schwerpunkt Entsorgung von Plastik, und somit auch „Bio“-Plastik, einhergehen matik beizutragen. Diese Hoffnungen können auf den Bereich Verpackungen gelegt. Weitere maß- sind nicht lokal begrenzt und sogenannte „Bio“-Kunststoffe jedoch nur sehr einge- gebliche „Bio“-Kunststoffanwendungen sind Landwirt- treffen uns gesamt- gesellschaftlich. Deshalb wird in schränkt erfüllen. Eine neutrale Diskussion zu Bio- schaftsfolien und Einweg-Konsumgüter wie Geschirr diesem Zusammenhang von kunststoffen wird auch dadurch erschwert, dass das und Besteck. Prinzipiell sind verschiedene „Bio“-Kunst- systemischen Risiken gesprochen (Kramm et al. 2020, S. 10). Die Label „Bio“ hier häufig als Marketingstrategie miss- stoffe jedoch auch zur Produktion hochwertiger Kunst- Risiken entstehen dabei nicht braucht und falsche Erwartungen bei stoffbauteile (z. B. Möbel, technische Teile für Elek- durch einen Unfall oder eine Naturkatastrophe, sondern durch Verbraucher*innen geweckt werden. Irreführend ist trotechnik und Automobilbau) geeignet. unseren alltäglichen Umgang mit zudem u. a., dass die EU-Öko-Verordnung (Verordnung Kunststoffprodukten. Dies bedeutet die Verwendung von (EG) Nr. 834/2007) für die Begriffe Bio-, Öko-, biolo- Das Papier gliedert sich im Weiteren wie folgt: „Bio“-Kunststoffen im Vergleich gisch und ökologisch definierte Kriterien für Agrarpro- Zunächst wird erläutert, welche Produktgruppen unter zu anderen Materialien, auch zu herkömmlichen Kunststoffen, zu dukte ansetzt, welche aber bei sogenanntem „Bio“- dem Begriff „Bio“-Kunststoffe zusammengefasst wer- betrachten und Lösungs- Plastik2 keine Anwendung finden. den. Im Anschluss geht das Papier näher auf bioba- möglichkeiten entlang der gesamten Wertschöpfungsketten sierte und biologisch abbaubare Kunststoffe ein, sowie in den Blick zu nehmen. Durch Anders als beispielsweise bei Biobaumwolle, die aus auf die Kritikpunkte, die mit diesen Kunststoffen heute eine solche integrative Betrachtung rücken systemische kontrolliertem ökologischem Anbau stammt, entstam- verbunden sind. Es folgt eine Auseinandersetzung mit Veränderungen (z. B. die men die pflanzlichen Produkte, aus denen sogenannte den Möglichkeiten des Recyclings, bevor das Papier Förderung von Vermeidungs- und Suffizienz-Strategien) in den „Bio“-Kunststoffe hergestellt werden, weitgehend der mit den BUND-Forderungen und Leitsätzen zu „Bio“- Fokus und vermeintlich schnelle konventionellen Landwirtschaft. Kunststoffen schließt. Lösungen, die nur die Symptome behandeln (sogenannte End-Of- Pipe-Lösungen) können Entsprechend wird im weiteren Papier die Schreibweise vermieden werden (vgl. Kramm et al. 2020). „Bio“-Plastik bzw. „Bio“-Kunststoff gewählt. „Bio“-Kunststoffe 3
2. Definition von „Bio“-Kunststoffen Unter „Bio“-Kunststoffen werden zwei unterschiedli- scher Bundestag 2016). Abbaubare Kunststoffe können che Gruppen von Produkten zusammengefasst: demnach fossiler oder biologischer Herkunft sein. • biobasierte Kunststoffe und Abbildung 1 veranschaulicht die Einteilung verschie- • biologisch abbaubare Kunststoffe. dener Kunststoffe bezüglich der Herkunft ihrer Roh- stoffe sowie nach der biologischen Abbaubarkeit. Biobasierte Kunststoffe stammen teilweise oder voll- ständig aus nachwachsenden Rohstoffen, die z. B. in Neben den zwei oben genannten und in diesem Papier Mais, Zuckerrohr oder Kartoffeln enthalten sind. Sie vorrangig betrachteten Gruppen existieren weitere entsprechend chemisch häufig den herkömmlichen Werkstoffe, die prinzipiell als „Bio“-Kunststoffe gelten: Kunststoffen, z. B. Bio-PE (Polyethylen) oder Bio-PET (Polyethylenterephthalat). Biobasierte Kunststoffe • Verbundwerkstoffe, häufig mit fossiler Kunststoff- können biologisch abbaubar sein – sind es aber häufig basis, die biobasierte Füll- oder Verstärkungsstoffe nicht. Biologisch abbaubare Kunststoffe wie das bio- aus Holz oder Naturfasern enthalten sowie basierte PLA (Polylactid, „Polymilchsäure“) und das fos- • Duroplastische bzw. elastomere „Bio“-Kunststoffe, sile PBAT (Polybutyrat-Adipat-Terephthalat) wiederum insbesondere Polyurethane und Epoxide. zeichnen sich durch die Eigenschaft aus, unter bestimmten Bedingungen durch mikrobielle Prozesse Bei diesen genannten Werkstoffen handelt es sich z. T. in CO2 und Wasser zersetzt werden zu können. Die um große Mengen, diese werden aber in den hier biologische Abbaubarkeit hängt dabei nicht vom gezeigten Statistiken zu „Bio“-Kunststoffen nicht ursprünglich gewählten Rohstoff 5, sondern allein von berücksichtigt. der chemischen Struktur des Endprodukts ab (Deut- 5 Stoff oder Stoffgemisch in un- oder gering bearbeitetem Zustand, der/das in einen Abbildung 1: Einteilung der Kunststoffe nach Herkunft (fossil oder biobasiert) sowie nach biologischer Abbaubarkeit (Kreutzbruck et Produktionsprozess eingehen al. 2021) kann (UBA 2012). 4 „Bio“-Kunststoffe
Auch wenn „Bio“-Kunststoffe häufig als bessere Alter- sind, gehören z. B. PLA (Polylactide) und PHA (Polyhy- native zu herkömmlichen Kunststoffen angepriesen droxyalkanoate) (Deutscher Bundestag 2016). werden, so weisen sie eine ähnliche chemische Kom- plexität auf und enthalten ähnlich viele Additive wie Die meisten Biokunststoffe sind nicht zu 100 % bio- herkömmliche Kunststoffe. genen Ursprungs. Viele von ihnen basieren teilweise auf fossilen, teilweise auf nachwachsenden Roh- Abbildung 2 veranschaulicht die globalen Produkti- stoffen. onskapazitäten für „Bio“-Kunststoffe nach Anwen- dungen (european bioplastics 2020). Der größte Teil Zudem gibt es Blends, bei denen unterschiedliche bio- der „Bio“-Kunststoffe wird für flexible Verpackungen basierte Kunststoffe mit einem fossilen Polymer eingesetzt, gefolgt von starren Verpackungen; zusam- gemischt werden; gängig sind z. B. Stärkeblends, die men machen sie ca. 47 % aus. Für Konsumgüter, Tex- häufig für Verpackungen und Konsumgüter eingesetzt tilien, Landwirtschaft und Transport stehen insgesamt werden. Kapazitäten von knapp 700.000 t zur Verfügung. Ins- besondere bei flexiblen Verpackungen sowie in der Für die Zertifizierung biobasierter Kunststoffe gibt es Landwirtschaft überwiegt der Anteil der prinzipiell bio- verschiedene Normen, z. B. die internationale Norm abbaubaren Kunststoffe denjenigen der nicht-abbau- ISO 16620, die europäische Norm CEN/TS 16137 oder baren. Bei den starren Verpackungen entfällt ein gro- die für Deutschland aus der EU übernommene DIN EN ßer Anteil auf PET-Behälter; allerdings sind PLA- und 17228. Von DIN CERTCO (einer Zertifizierungsgesell- PBAT-Anwendungen hier wie auch in anderen Anwen- schaft der TÜV Rheinland Gruppe) werden darauf dungen auf dem Vormarsch. Für diese zwei Typen ist basierend Siegel je nach biobasiertem Anteil vergeben. je ein Gesamtwachstum von 7 % zwischen 2020 und Abbildung 3 zeigt exemplarisch die Siegel der DIN 2025 prognostiziert (Renewable Carbon publications CERTCO, die „Bio“-Kunststoffe in drei verschiedene 2021). Einige „Newcomer“ unter den „Bio“-Kunststof- Gruppen je nach biobasiertem Anteil einteilen (DIN fen wachsen, von kleinen Marktanteilen beginnend, CERTCO 2021a). Als Prüfverfahren wird dabei die C14- beträchtlich, so z. B. PP mit 34 % bis 2025. (auch Radiokohlenstoffmethode genannt) angewen- det, mit der der Anteil der biobasierten Kohlenstoff- atome ermittelt wird (DIN CERTCO 2017). Da die C14- 2.1 Biobasierte Kunststoffe Atome über sehr lange Zeiträume hinweg zerfallen, Biobasierte Kunststoffe bestehen vollständig oder teil- sind sie in fossilen Quellen nicht mehr enthalten. weise aus nachwachsenden, meist pflanzlichen Roh- stoffen. Zudem legt die DIN EN 17228 Merkmale von bioba- sierten Kunststoffen fest. Der biobasierte Kohlenstoff- Sie werden noch weiter unterteilt in Drop-in-Lösungen anteil muss bei mindestens 20 % liegen. und neuartige Biopolymere. Unter Drop-in-Lösungen versteht man biobasierte Kunststoffe, die chemisch Weitere Siegel werden von TÜV Austria oder Bioba- identisch mit den bereits bekannten Materialien auf sedcontent verliehen. Mineralölbasis sind. Beispiele dafür sind Bio-PET (Poly- ethylenterephthalat) und Bio-PA (Polyamid). Diese Bio- Ein großer Teil der heute verfügbaren „Bio“-Kunststof- kunststoffe sind genauso wenig bio-abbaubar wie die fe stammt von kleineren Erzeugern. entsprechenden petrochemischen „Originale“. Zu den bio-basierten chemisch neuartigen Polymeren, die In der Großindustrie hingegen, die Massenkunststoffe nicht strukturgleich mit herkömmlichen Kunststoffen (z B. in Form von Pellets) herstellt, wird beim Einsatz „Bio“-Kunststoffe 5
Abbildung 2: Globale Produktionskapazitäten von „Bio“-Kunststoffen nach Einsatzgebiet. Quelle: european bioplastics (2020) Legende Kurzzeichen Chemische Bezeichnung Typische Anwendung/Bemerkung PET Polyethylenterephthalat Starre Verpackungen PE Polyethylen Verpackungen aller Art, Rohre & Kabel PA Polyamid Viele chemisch unterschiedliche Typen, Konstruktionswerkstoff PP Polypropylen Verpackungs- und Konstruktionswerkstoff, als Biokunststoff kleiner Marktanteil, starkes Wachstum PTT Polytrimethylenterephthalat Faserwerkstoff PBAT Polybutylenadipatterephthalat Folien für Verpackung und Landwirtschaft, vorwiegend fossilen Ursprungs, hoher Marktanteil PBS Polybutylensuccinat Verpackungen, Mulchfolien PLA Polymilchsäure (Polylactic acid) Sehr breites Anwendungsfeld, hoher Marktanteil, starkes Wachstum PHA Polyhydroxyalkanoate Verschiedene Typen, breites Anwendungsfeld, kleiner Marktanteil, starkes Wachstum Starchblends Stärkeblends Verpackung, Konsumgüter, hoher Marktanteil 6 „Bio“-Kunststoffe
Abbildung 3: Siegel der DIN CERTCO für biobasierte Kunststoffe; Quelle: DIN CERTCO 2021 nachwachsender Rohstoffe zunehmend die sogenann- wachsenden Rohstoffe den Produkten rechnerisch te Massenbilanzierung („mass balance approach“) rea- zugeordnet. Als massenbilanziert gelten Kunststoffe, lisiert. Aufgrund der vielfach verzweigten Stoffströme für deren Herstellung nachweislich biobasierte Roh- ist dort eine Trennung biobasierter und fossiler Stoff- stoffe oder Vorprodukte innerhalb eines klar definier- ströme praktisch nicht möglich. Ein Aufbau sogenann- ten Bilanzraums eingesetzt wurden (VCI 2017). Dies ter „dedizierter“ Produktionsanlagen, die über die ist ähnlich der Vorgehensweise bei der Einspeisung gesamte Prozesskette hinweg ausschließlich bioba- von Ökostrom. So wird ein Anteil der Produkte 100 % sierte Produkte herstellen, wird aus wirtschaftlichen nachwachsenden Rohstoffen zugeordnet, der andere Gründen derzeit nicht in Betracht gezogen. 100 % fossilen, wohingegen beide in Realität eine Mischung sind. Mit Hilfe der Massenbilanzierung werden die – heute noch in sehr geringen Mengen – eingesetzten nach- Abbildung 4: Prinzip der Massenbilanzierung (VCI 2017) „Bio“-Kunststoffe 7
In ein und demselben Prozess kann der biogene spricht 0,015 % der weltweiten Agrarfläche von 4,7 Kohlenstoffgehalt im Kunststoff zeitlich fluktuieren. Milliarden Hektar. Der Anteil der Flächennutzung für Auch Verdünnungseffekte sowie Herstellung und Ver- „Bio“-Kunststoffe wird in den nächsten 5 Jahren auf trieb an regionalen Produktionsstandorten mit unter- 0,02 % steigen (european bioplastics 2020). Auch schiedlicher Rohstoffversorgung können dazu führen, wenn der Anteil an der globalen Anbaufläche für die dass ein Nachweis biogenen Kohlenstoffs nicht mehr Produktion biobasierter Kunststoffe sehr klein anmu- möglich ist. Kunststoffe , denen durch Massenbilan- tet, so ist die Nutzung von Anbaubiomasse für die zierung nachwachsende Rohstoffe zugeordnet wurden, Kunststoffproduktion schon heute ein zentraler Kri- sind nach Definition des CEN/TC „Bio-based Products“ tikpunkt. Im Zuge des Bioökonomiediskurses ist die nicht biobasiert (VCI 2017). Um Verbraucher*innen- Anbaufläche für unterschiedliche Nutzungen (Nah- täuschung zu vermeiden muss es klare Richtlinien für rungsmittelproduktion, Weideflächen und Futteran- Auskünfte zu diesen Produkten geben, da diese nicht bau, Biokraftstoffe, etc.) bereits heute hart umkämpft tatsächlich biobasiert sind, sondern nach Massenbilanz und zum Teil doppelt und dreifach verplant. Zusätzlich auf 100 % nachwachsenden Rohstoffen basieren. Hier entsteht vermehrt Druck auf extensiv genutzte Flächen sollten Normen (z. B. Quelle TÜV Süd) beachtet und sowie Schutzgebiete (BUND 2021c). Global bekannte ggfs. weitere erarbeitet werden. Auf eine leichtver- Unternehmen 6 werben mit vielen neuen „Bioplastik“- ständliche Kommunikation ist dabei Wert zu legen. Es Produkten. Durch die aktuellen Anbaumethoden der muss eine klare Abgrenzung zu tatsächlich biobasier- industriellen Landwirtschaft für die oben erwähnten ten Produkten vorgenommen werden. Feldfrüchte für die vielen neuen Produkte wird die weitreichende Zerstörung der natürlichen Ressour- In Zukunft bleibt zu beobachten, inwieweit die Mas- cen massiv vorangetrieben. Die industrielle Landwirt- senbilanzierung – die auch bei der Anwendung unter- schaft ist dabei einer der Haupttreiber für den Klima- schiedlicher Recyclingverfahren zunehmend zum Ein- wandel und den Verlust von Biodiversität. Zudem satz kommt mit einer transparenten Rohstoffherkunft, verschlechtert sie die Bodenqualität, und besonders die für Verbraucher*innen verständlich ist, in Einklang der Maisanbau in Monokulturen trägt zur Boden- zu bringen ist. erosion bei. Der intensive Einsatz mineralischer Dünge- mittel und chemischer Pestizide – die in der EU aus guten Gründen oft gar nicht erlaubt sind (Heinrich Böll 2.1.1 Zur Herkunft der Rohstoffe für die Stiftung/BUND 2019) – stellen eine Gefahr für die Produktion biobasierter Kunststoffe Umwelt, die menschliche Gesundheit und Insekten dar Die Bio-Komponenten für biobasierte Polymere werden und führt außerdem zu einer Verschmutzung von derzeit fast ausschließlich aus Anbaubiomasse gewon- Grund- und Oberflächengewässern. Ebenso geht eine nen. Eine Aufstellung über die Regionen und Rohstoffe Gefahr von dem vermehrten Anbau gentechnisch ver- für diese Biopolymere zeigt Tabelle 1. In einigen Fällen änderter Pflanzen aus. sind Anbaugebiet und Ort der Verarbeitung („Kapazi- täten“) nicht identisch; so wird beispielsweise Bio-PET Der Anbau von Zuckerrohr in Brasilien führt bei der vorwiegend in Indien hergestellt, der Rohstoff stammt derzeitig hohen Nachfrage (2020) und der ungerechten 6 Coca Cola wirbt für die aber aus Brasilien. Landverteilung zu einer Welle von Umwandlung von „PlantBottle“, Pepsi gemeinsam ehemaligen Viehweiden in intensiv genutzte Mono- mit Nestlé und Danone für die“ NaturAll Bottle“, LEGO will in Die für den Anbau des nachwachsenden Rohstoffs für kulturen durch einige wenige Großkonzerne mit wenigen Jahren sein gesamtes die Produktion von „Bio“-Kunststoffen erforderliche schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf die Sortiment auf „Bio“-Plastik“ umstellen, und auch IKEA wirbt landwirtschaftliche Anbaufläche wird für das Jahr indigene Bevölkerung, die lokale Umwelt und das für „grüne“ Produkte (Denkhaus 2020 auf 0,7 Millionen Hektar geschätzt. Dies ent- Klima. Auch wenn der Zuckerrohr-Anbau selbst nur Bremen 2021) 8 „Bio“-Kunststoffe
Vorwiegende Kleine bzw. Biogener Kunststofftyp Kapazitäten wachsende Kapazitäten Rohstoff Stärkeblends Europa Europäischer Mais PLA USA China, Thailand US-Mais (Asiatisches Zuckerrohr) Bio-PE Brasilien Zuckerrohr Bio-PET Indien Türkei Zuckerrohr aus Brasilien Bio-PA Europa, Nordamerika, Rizinus-, Soja-, Rapsöle, Asien ggfs. Zucker Bioabbaubare Europa und Asien Rizinus, Mariendistel, Copolyester Zucker Tabelle 1: Regionen und Rohstoffe für verschiedene Biopolymere; Quelle: Detzel et al (2019), S. 29 marginal in Regenwald-Gebieten stattfindet, trägt genen Jahren (Detzel et al. 2019; UBA 2014; UBA er dazu bei, dass sich die Viehwirtschaft in Brasi- 2017). Dabei wurden z. B. PE-Tragetaschen, PET-Fla- lien in Amazonien ausdehnt (Fatheuer 2020). schen und PLA-Klappdeckelschalen, jeweils im Ver- gleich zu einem herkömmlichen Kunststoff, unter- Neben der Nutzung von Anbaubiomasse können sucht. Folgende Wirkungskategorien wurden auch Agrar-Reststoffe zur Gewinnung von Bio- betrachtet: der kumulierte Energiebedarf, das Treib- masse verwertet werden. Allerdings sind auch hier haus-, das Versauerungs- und das Eutrophierungspo- konkurrierende Nutzungsarten, vor allem die Fut- tenzial sowie die Naturrauminanspruchnahme. Vorteile termittelproduktion, nicht auszuschließen (Detzel für die biobasierten Kunststoffe ergeben sich in der et al. 2019). Bei der Nutzung von „Reststoffen“ Regel bei der Schonung nicht-erneuerbarer Energie- aus der Landwirtschaft muss jedoch aus ökologi- träger und einen geringeren Beitrag zum Treibhaus- schen Gesichtspunkten bedacht werden, dass das effekt, teilweise auch zum Sommersmog. Nachteile Verbleiben von Reststoffen auf dem Acker wich- ergeben sich in den Bereichen terrestrische und aqua- tige Funktionen für die Bodengesundheit inkl. tische Eutrophierung, Humantoxizität und Versaue- Humusaufbau und somit Klimaschutz haben. rung. 2.1.2 Zur Ökobilanz biobasierter Kunststoffe Grundsätzlich haben biobasierte Kunststoffe keine eindeutig bessere Ökobilanz als herkömmliche Kunststoffe. Dies zeigen Studien aus den vergan- „Bio“-Kunststoffe 9
2.2 Bioabbaubare Kunststoffe Anlehnung an die Norm für die industrielle Kompos- „Die biologische Abbaubarkeit umfasst die Eigenschaft tierung. Für den Abbau in Salzwasser ist es insbeson- eines Stoffes, durch Mikroorganismen in Anwesenheit dere schwierig, reale Bedingungen zu definieren, die von Luftsauerstoff zu Kohlendioxid, Wasser, Biomasse sich in den Laboren der Zertifizierungsinstitute nach- und Mineralien sowie unter Luftabschluss zu Kohlen- stellen lassen. All diesen Prüfnormen ist gemein, dass dioxid, Methan, Biomasse und Mineralien zersetzt zu sie keinen vollständigen Abbau zu Grunde legen. werden, wobei kein Zeitraum definiert ist“ (DIN 16208). Der biologische Abbau eines zu testenden Materials wird im Vergleich zu einem Referenzmaterial ermittelt, Hauptanwendungsgebiete für biologisch abbaubare die Wahl des Referenzmaterials beeinflusst somit das Kunststoffe liegen im Verpackungs- und im Catering- Testergebnis. Häufig wird mikrokristalline Zellulose als bereich. Daneben gibt es auch Anwendungen im Gar- Testmaterial verwendet, die aber je nach Prüfbedin- tenbau und in der Landwirtschaft (z. B. Mulchfolien, gungen (Temperatur, Feuchtigkeit, vorhandene Mikro- Saatgutbänder, Anzuchttöpfe u. ä.). organismen) meist langsamer abbaubar als beispiels- weise Polyhydroxybutyrat (PHB). Es ist also eine Der Abbau erfolgt durch spezielle Mikroorganismen, Harmonisierung in den Normen bezüglich des Test- deren Enzyme die Polymerketten des Materials in klei- materials erforderlich. ne Teile zerlegen. Diese können dann von Bakterien – ggf. auch zusammen mit anderem organischen Mate- Nach der bekanntesten und am meisten verbreiteten rial – weiter abgebaut werden. Nach dem Abbau Zertifizierungsnorm für die Kompostierbarkeit in einer bleiben vom Kunststoff selbst nur Wasser und Kohlen- industriellen Kompostieranlage (d. h. bei ca. 60 Grad dioxid übrig, Zusatzstoffe und Additive werden aller- Celsius) werden folgende Anforderungen an biologisch dings ebenfalls freigesetzt. abbaubare Kunststoffe gestellt (vgl. DIN EN 13432): Typische Verrottungszeiten für biologisch abbaubare • biologischer Abbau – mindestens 90 % der Poly- Kunststoffe sind in (UBA 2018, S. 89 ff.) dargestellt. mermasse muss innerhalb 180 Tagen in Kohlendioxid Industriekompostierung von PBS ergab beispielsweise umgesetzt sein. einen 90 %igen Abbau bei 58 °C erst nach ca. fünf • Desintegration – nach drei Monaten (12 Wochen) Monaten; ein PBS-Stärke-Film kompostierte nach 45 in industriellen oder halbindustriellen Kompostier- Tagen vollständig (ebenfalls bei 58 °C). Ein PHB-Film bedingungen sollten nicht mehr als 10 % Trocken- baute sich im Boden (allerdings bei 25 °C) innerhalb masse auf einem Sieb mit einer Lochgröße von von ca. vier Monaten um mehr als 90 % ab. Neben dem < 2 mm verbleiben. Materialtyp ist vor allem die Beschaffenheit (dünner • Schwermetallgehalt und Ökotoxizität des Kompos- Film, dickere Teile) von Einfluss. tes müssen sich unterhalb vorgegebener Grenzwerte befinden. Soll ein Kunststoff als biologisch abbaubar ausgewie- sen werden, kann ein Hersteller sein Produkt nach ver- Die in Deutschland verbreiteten Prüfsiegel für die schiedenen Normen zertifizieren lassen, Tabelle 2. Hier Industriekompostierung („Keimling“ oder DIN-Siegel werden jeweils spezifische Kriterien für den Abbau „industriekompostierbar“, siehe Tabelle 2) basieren auf in industriellen Kompostierungsanlagen, Heimkom- der DIN EN 13432. Auch wenn es vereinzelte Produkt- postierung und Bodenkompostierung in der Landwirt- zertifizierungen für die Heimkompostierung gibt, ist schaft angewendet. Für den Abbau in Süßwasser- diese bei der überwiegenden Mehrheit der „Bio“- Gewässern gibt es nur eine Vorgehensweise in Kunststoffe nicht möglich, weil die Produkte im häus- 10 „Bio“-Kunststoffe
Abbau- und Habitat Norm Logos Desintegrationskriterien Industrielle EN 13432 – • Vollständige biologische Kompostierung Anforderungen an die Abbaubarkeit (90 % Verwertung von Ver- absolut oder 90 % bezo- packungen durch gen auf ein geeignetes Kompostierung und Referenzsubstrat) biologischen Abbau – -> max. 6 Monate bei Prüfschema und 58 ±2 °C Bewertungskriterien • Desintegrationstest: für die Einstufung von max. 10 % des ur- Verpackungen sprünglichen Trocken- gewichts des Prüfmate- Vergleichbar u. a. mit: rials dürfen in einer EN 14995 Siebfraktion > 2 mm enthalten sein -> max. 3 Monate Heim- und AS 5810 – • Vollständige biologische Garten- Biodegradable plas- Abbaubarkeit (90 % kompostierung tics – Biodegradable absolut oder 90 % bezo- plastics suitable for gen auf ein geeignetes home composting Referenzsubstrat) -> max. 12 Monate NF T 51-800 – • Desintegrationstest: Plastics – Specificati- max. 10 % des ur- ons for plastics suit- sprünglichen Trocken- able for home com- gewichts des Prüfmate- posting rials dürfen in einer Siebfraktion > 2 mm enthalten sein -> max. 6 Monate bei 25 ±5 °C Tabelle 2: Normen zum Abbauverhalten biologisch abbaubarer Kunststoffe; um Logos erweitert, basierend auf Quellen: Burgstaller et al. 2018, Seite 6, Logos von DIN CERTCO 2021, Fischer 2021, FNR 2021, TÜV Austria 2018 „Bio“-Kunststoffe 11
Abbau- und Habitat Norm Logos Desintegrationskriterien Biologischer EN 17033 – • Vollständige biologische Abbau im „Biologisch abaubare Abbaubarkeit (90 % Boden Mulchfolien für den absolut oder 90 % bezo- (Mulchfolien) Einsatz in Landwirt- gen auf ein geeignetes schaft und Gartenbau Referenzsubstrat) – -> max. 2 Jahre bei Anforderungen und 20–28 °C (±2 °C; mög- Prüfverfahren lichst 25 °C) (veröffentlicht 2018) • Kein Desintegrationstest notwendig Abbau in EN 13432 und TÜV Austria: Gewässern EN 14995 • Vollständige biologische Adapted for degrada- Abbaubarkeit (90 % tion in fresh water absolut oder 90 % bezo- gen auf ein geeignetes Referenzsubstrat) -> max. 56 Tage bei 20–25 °C • Kein Desintegrationstest notwendig Biologischer ASTM D7081 – 05 TÜV Austria: Abbau im Meer Standard Specifica- • Vollständige biologische tion for Non-Floating Abbaubarkeit (90 % Biodegradable Plas- absolut oder 90 % bezo- tics in the Marine gen auf ein geeignetes Environment Referenzsubstrat) (Zurückgezogen – -> max. 6 Monate Testmethoden jedoch in Anwendung) 7 • Desintegrationstest beschrieben unter TS- OK-23 7 Der Standard ASTM D 7081-05 wurde 2014 zurückgezogen, TÜV Austria zertifiziert dennoch aufbauend auf diesen Standard. Ehemals wurde das Label durch Vinçotte vergeben (UNEP 2018, S. 70). 12 „Bio“-Kunststoffe
lichen Komposthaufen nicht entsprechend abgebaut Damit ist der Vorgang in der industriellen Kompostie- werden können. Dort werden die für den Abbau der rungsanlage genau genommen keine Kompostierung, meisten “Bio”-Kunststoffe notwendigen hohen Tem- sondern eine reine Entsorgung (Heinrich Böll Stif- peraturen über entsprechend lange Zeiträume nicht tung/BUND 2019). erreicht (siehe Tabelle 2). Wie oben erwähnt, erlaubt die DIN EN 13432 einen In der Praxis hat der Müll in den meisten industriellen 10 %igen Anteil von Resten aus der Siebfraktion Kompostieranlagen nur wenige Wochen Zeit zu ver- < 2mm (es können somit auch dünne und deutlich län- rotten, so dass bioabbaubare Kunststoffe (wie z. B. gere Bruchstücke verbleiben). Prinzipiell ist davon aus- bioabbaubare Plastik-Abfallbeutel) trotz entsprechen- zugehen, dass auch dieses Material sich über einen län- der Zertifizierung nicht ausreichend zersetzt werden geren Zeitraum zersetzt. Der frische Kompost jedoch (Burgstaller et al. 2018). Eine Verlängerung der Kom- beinhaltet diese Reste, die als Verunreinigung zu postierung ist in der Regel wirtschaftlich nicht sinnvoll betrachten sind. Accinelli et al. (2020) untersuchten und ist deshalb nicht absehbar. Entsprechend werden die Bildung von Mikroplastik von kompostierbaren die in Deutschland verwendeten bioabbaubaren Kunst- Abfallbeuteln und vermuten, dass die Bodenqualität stoffe von der Mehrzahl der Kompostwerke aussortiert infolge der Verschiebung der Mikrobenflora im Boden und landen derzeit fast ausschließlich in der Müllver- zeitweilig negativ beeinflusst werden könnte. brennung, da sie sich nicht so einfach von herkömm- lichen Kunststoffen und anderen „Störstoffen“ unter- Bei Produkten wie Mulchfolien ist in der Diskussion, ob scheiden lassen. Ein kleinerer Teil der Kompostier- das Belassen entsprechend zertifizierter Folien im anlagen kompostiert nach DIN EN 13432 zertifizierte Boden in begrenztem Umfang toleriert werden kann Abfallbeutel mit, dabei bleibt unklar, in welchem (UBA 2018). Denn aufgrund der bisweilen hohen Ver- Umfang die so mitkompostierten zertifizierten Bioab- schmutzung ist dies bisher mit einem hohen techni- fallbeutel in der Nachsortierung nicht doch als Stör- schen Aufwand verbunden und wird derzeit kaum prak- stoffe ausgelesen werden und somit ebenso in der Ver- tiziert. Seit 2018 existiert hier eine Norm, die über die brennung landen (Wiss. Dienste Dt. Bundestag, 2021). oben genannten allgemeinen Standards hinausgeht. In der EN 17033 zu biologisch abbaubaren Mulchfolien Für biologisch abbaubare Kunststoffverpackungen gilt sind bessere ökotoxikologische Tests (Pflanzen-, Wurm- in Deutschland auch mit einer Zertifizierung nach DIN und Mikroorganismentests) und weitere Einschränkun- EN 13432 zudem explizit, dass sie nicht zur indus- gen der Inhaltsstoffe (Metalle, Substances of very high triellen Kompostierung oder Vergärung zugelassen concern) implementiert (european bioplastics 2018). sind. Stattdessen sind sie laut Verpackungsgesetz eben- so wie andere Verpackungen von den Dualen Systemen Mulchfolien werden einerseits für die Saisonverlänge- zu verwerten. Gesetzlich sind lediglich die DIN zertifi- rung verwendet, sind andererseits aber auch sowohl zierten biologisch abbaubaren Müllbeutel für die Indus- im ökologischen als auch im konventionellen Anbau triekompostierung zugelassen. Die meisten deutschen ein wichtiges Mittel zum Schutz der Kulturen vor Kommunen verbieten jedoch aus oben genannten Schädlingsbefall. Ohne ihren Einsatz ist eine Reduzie- Gründen diese Müllbeutel für die Biotonne. rung von Pestiziden im Gemüsebau und bei Sonderkul- turen bedeutend schwieriger. Zum Teil existieren zudem Nicht zuletzt entstehen bei der Zersetzung biologisch bereits Rückgabe- und Recycling-Systeme von abbaubarer Kunststoffe keine humusbildenden Stoffe. gebrauchten Folien. Aktuelle Entwicklungen hinsicht- Um neue bioabbaubare Produkte herzustellen, muss lich Recycling und biologischer Abbaubarkeit der also wieder Energie von außen zugeführt werden. Mulchfolien bleiben hier abzuwarten. „Bio“-Kunststoffe 13
Exkurs: Oxo-abbaubare Kunststoffe Oxo-abbaubare Kunststoffe können eine fossile oder biologische Rohstoffbasis besitzen. Ihnen werden bestimmte Additive zugesetzt, welche den Zerfallsprozess in der Umwelt durch Licht, Wärme oder mechanische Belastung beschleunigen. Sie werden dabei jedoch nicht vollständig abgebaut, sondern zerfallen in kleine Fragmente, also Mikro- plastik (Burgstaller et al. 2018). Im Juni 2019 wur- de in der EU als Teil der Einwegplastikrichtlinie (Umsetzung in Deutschland durch die Einweg- kunststoffverbotsverordnung) ein Verbot von oxo- abbaubaren Kunststoffen beschlossen, das im Juli 2021 in Kraft getreten ist. 14 „Bio“-Kunststoffe
3. Recycling von „Bio“-Kunststoffen Nach der europäischen Abfallhierarchie stehen die Ver- meidung und Wiederverwertung für die Realisierung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft an erster und zweiter Stelle. Diesen folgt das Recycling (auch stoffliche Verwertung) an dritter Stelle. Das Recycling von Kunststoffen (und entsprechend auch „Bio“- Kunststoffen) ist damit ebenfalls ein wichtiger Bau- stein für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, jedoch mitnichten die Lösung für die Plastikkrise. Viele „Bio“-Kunststoffe (d. h. die für Verpackungen verwendeten und deshalb in diesem Papier hauptsäch- lich adressierten) sind thermoplastisch 8 und können somit grundsätzlich recycelt werden. Drop-in-Poly- mere wie Bio-PE, Bio-PET können mit den entspre- chenden fossilen Kunststoffen gemeinsam verwertet werden, da sie, wie bereits erläutert, chemisch mit die- sen identisch sind. Entsprechend findet ein Recycling für diese „Bio“-Kunststoffe heute schon statt. Was neue Biopolymere (wie PLA) angeht, sind deren Antei- le am Verpackungsaufkommen bisher so gering, dass sie im Rahmen des dualen Systems nicht erfasst wer- den, weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt. Sie wer- den in der Regel in Sortieranlagen ausgeschleust und landen in der Müllverbrennungsanlage (Burgstaller et al. 2018). Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, die Zahl der verschiedenen in Produkten eingesetzten „neuen“ Bio- polymere zu begrenzen, um für diese Stoffstrommen- gen zu erreichen, die es erlauben, das Recycling wirt- schaftlich zu betreiben. 8 Thermoplastische Kunststoffe lassen sich (ohne größere Materialveränderung) aufschmelzen. „Bio“-Kunststoffe 15
4. Additive in „Bio“-Kunststoffen und human- und ökotoxikologische Auswirkungen „Bio“-Kunststoffe enthalten, wie andere Kunststoffe, Komposte auf höhere Pflanzen gefordert. Dies reicht verschiedene Additive: also Zusatzstoffe, die für die allerdings nicht aus, da so keine Aussage über eine jeweilig gewünschten Eigenschaften sorgen (Weich- mögliche Anreicherung in der Umwelt und negative macher, Flammschutzmittel, Antioxidantien und UV- Folgen für andere Lebewesen getroffen wird. Insbe- Stabilisatoren, Gleitmittel, Farbstoffe, Antistatika, Bio- sondere für die „NIAS“ sind (Öko-) Toxizitätsun- zide, Füllstoffe sowie Verstärkungsmaterial). Zu tersuchungen notwendig. unterscheiden ist zwischen diesen absichtlich und wei- teren, nicht-absichtlich zugesetzten Substanzen In mehreren jüngeren Publikationen wurden in Kunst- (intentionally added substances „IAS“ und non inten- stoffen, darunter auch „Bio“-Kunststoffe und solche tionally added substances „NIAS“). für den Lebensmittelkontakt, zahlreiche Substanzen mit Gefährdungspotenzial gefunden. Zwei aktuelle Erstere sind den Herstellern bekannt, sie machen diese Studien untersuchten Alltagsprodukte aus konventio- aber oft nicht transparent. NIAS haben keine bestimm- nellen Kunststoffen sowie aus „Bio“-Kunststoffen in te Funktion und sind ohne Absicht in das Produkt Form von Kunststoff-Rohmaterialien (Pellets) sowie gelangt. Sie können durch Verunreinigungen, Reakti- Produkten auf ihre chemische Zusammensetzung und ons- und Abbauprodukte bei der Herstellung und Ver- Toxizität (Zimmermann et al., 2019, 2020). Sie wurden wendung entstanden sein. Als NIAS findet man z. B. auf akute Toxizität an Leuchtbakterien, eine mögliche kurzkettige niedermolekulare Kunststoff-Anteile, Initiierung mutagener bzw. karzinogener Wirkungen Abbauprodukte von Additiven oder Kontaminationen („oxidativer Stress“) sowie mittels Zelltests auf endo- durch den Recyclingprozess (Koster et al., 2016; Geue- krine Wirkungen untersucht. Der größte Teil der unter- ke, 2018). suchten Kunststoffe – sowohl herkömmliche als auch „Bio“-Kunststoffe – enthielt toxische Chemikalien. In Da „Bio“-Kunststoffe in Zukunft durch erwartete beiden Gruppen zeigte ein Viertel bzw. ein Drittel keine Produktionssteigerungen sowie falsche Entsorgung toxische Wirkung der Extrakte. vermehrt in die Umwelt gelangen werden, ist eine Bewertung hinsichtlich der Human- aber auch der Eine Folgestudie hat gezeigt, dass auch unter realen Ökotoxizität sowie der Persistenz in der Umwelt von Bedingungen (herauslösen der Chemikalien mit Wasser großer Bedeutung. anstelle von Methanol) tausende Chemikalien aus den Kunststoffen austreten und somit in die Lebensmittel Beispielsweise enthalten nach DIN EN 13432 zertifi- und die Umwelt übergehen können (Zimmerman et al. zierte Abfallbeutel durchschnittlich etwa fünf Prozent 2021). Additive (Wiss. Dienste Dt. Bundestag, 2021). Laut Norm sind nur Substanzen mit einem Gewichtsanteil Verschiedene Forscher*innengruppen haben sogenann- höher 1 % auf Bioabbaubarkeit zu untersuchen; te Biotestbatterien entwickelt, mit deren Hilfe die gleichzeitig toleriert die Norm insgesamt bis zu fünf Human-, terrestrische und aquatische Toxizität bewer- Gewichtsprozent nicht biologisch abbaubarer Bestand- tet werden kann (Koster et al. 2012; EFSA, 2019; Koster teile. et al. 2016; Neale et al. 2017; Schmidt et al. 2017; Brack el al. 2019; DiPaolo et al. 2016; Braun et al. In den zertifizierenden Normen biologisch abbaubarer 2021). Aus der Vielzahl an Prüfmethoden und Test- Kunststoffe DIN EN 13432 und DIN EN 14995 sind Batterien sollte eine geeignete Kombination für alle Höchstgrenzen für Schwermetalle und andere toxi- „Bio“-Kunststoffe, insbesondere für bioabbaubare, ent- sche Substanzen festgelegt, und es wird eine Bestim- wickelt werden, die dann verpflichtend aufgrund des mung der ökotoxischen Wirkung der resultierenden Vorsorge-Prinzips angewendet werden muss. 16 „Bio“-Kunststoffe
Immerhin fanden Zimmermann et al. (2019, 2020) mit ihrer Test-Kombination in etwa einem Viertel der Proben nur eine geringe inhärente Toxizität der Proben. Diese Auswahl könnte wegweisend sein für die zukünftige Entwicklung einer neuen Generation gering toxischer und umweltfreundlicher Kunststoffe. „Bio“-Kunststoffe 17
5. Kritische Aspekte von „Bio“-Kunststoffen in der Übersicht Zusammengefasst lassen sich über „Bio“-Kunststoffe folgende Aussagen treffen: • Es handelt sich bei biobasierten "Bio“-Kunststoffen zum allergrößten Teil nicht um Produkte, die aus ökologischer Landwirtschaft stammen. Zudem bein- halten sie häufig auch fossile Anteile. • In praktisch allen „Bio“-Kunststoffen sind zusätzliche Additive enthalten. An vielen von diesen sind toxi- sche Wirkungen nachgewiesen worden; das toxische Potenzial unterscheidet sich nicht wesentlich von dem fossil basierter Kunststoffe (Zimmermann et al. 2020). • Ein Teil der „Bio“-Kunststoffe ist biologisch abbaubar und auch entsprechend zertifiziert. Da die Verrot- tungszeiten laut gängiger Norm jedoch deutlich über der Kompostierdauer in Industrieanlagen liegen, ist eine normgerechte Zersetzung nicht gewährleistet. Zudem sind die von der Norm tolerierten Restpartikel kritisch zu bewerten. • Für die „neuen“ Biopolymere, die nicht chemisch identisch mit etablierten Kunststoffen (PE, PET etc.) sind, gibt es derzeit wegen der geringen Mengen kei- ne Recyclingmöglichkeiten im Rahmen bestehender Recycling-Anlagen. • Etwa die Hälfte der „Bio“-Kunststoffe entfällt auf Verpackungen. Hier existiert ein enormes Vermei- dungspotenzial, d. h. bei nachhaltigem Wirtschaften sind viele dieser Kunststoffanwendungen nicht erforderlich. • Die Normen für alle „Bio“-Kunststoffe, insbesondere aber für jene für bioabbaubar zertifizierte, enthalten weder für „IAS“ noch für „NIAS“ die human- und ökotoxikologisch notwendigen Tests. 18 „Bio“-Kunststoffe
6. BUND-Forderungen und Leitsätze zu „Bio“-Kunststoffen In Anbetracht der heutigen Rahmenbedingungen sind ben (Monomaterial, geeignete Farben, Demontierbar- „Bio“-Kunststoffe derzeit eine Scheinlösung für die keit etc.), um eine größtmögliche Rezyklatqualität zu Plastikkrise. gewährleisten. Erstes Ziel als Antwort auf die Plastikkrise ist und Die Zentrale Stelle Verpackungsregister sollte entspre- bleibt die Vermeidung überflüssiger Kunststoffan- chend „Bio“-Kunststoffe aus der Zulassung nehmen, wendungen, insbesondere im Verpackungs- und Ein- solange sie im aktuellen Markt nicht recycelt werden wegsektor. Aus Sicht des BUND lenkt die oft heiß können. Das bedeutet für das Recycling von „Bio“- geführte Debatte um den Einsatz und die potentiellen Kunststoffen, dass neben Drop-in-Polymeren, die mit Vorteile von „Bio“-Plastik hauptsächlich vom eigentlich den chemisch identischen Fraktionen herkömmlicher notwendigen Umbau im Verpackungs- und im Kunst- Kunststoffe recycelt werden können, eine Beschrän- stoffsektor allgemein ab. Hier müssen Konsistenz (z. B. kung auf wenige neue „Bio“-Kunststoffe 9 angera- Mehrweg statt Einweg) und Suffizienz (geringere Men- ten ist, um deren Anteil zu erhöhen und so werkstoff- gen) stärker in den Fokus rücken. Nötige, verbindliche liches Recycling wirtschaftlich zu ermöglichen. Zentral Vermeidungsziele müssen zudem mit Zielzahlen und dafür sind auch entsprechende politische Anreize – Maßnahmen unterlegt werden, sonst bleibt es bei sym- insbesondere vor dem Hintergrund der Notwendigkeit bolischen Zielsetzungen. einer sozial-ökologischen Transformation, in der Wirt- schaftlichkeit nach heutigen Maßstäben nicht mehr Die Industrie wirbt bezüglich „Bioplastik“ zum Bei- das zentrale Kriterium für oder gegen eine Maßnahme spiel mit dem Argument, dass dieses ein guter sein kann. CO2-Speicher sei. Tatsächlich ähnelt diese Argu- mentation anderen End-Of-Pipe-Lösungen gegen Erst danach geht es darum zu entscheiden, ob und wo den Klimawandel, die nur Symptombekämpfung biobasierte Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen sinn- sind. Solche Argumente führen zu einem mög- voll ersetzen können. lichst langen Erhalt des Status-Quo und schwä- chen Forderungen nach den notwendigen, syste- Es ist fraglich, ob Bioabbaubarkeit durch die Funktion mischen Änderungen. Die großen Mengen von bedingt tatsächliche Vorteile, z. B. in bodennahen land- Einweg-Verpackungen – egal ob aus Plastik oder wirtschaftlichen Anwendungen, mit sich bringen kann. „Bio“-Plastik – und die niedrigen Recyclingmen- Dies ist von zentraler Bedeutung, weil es sich bei der gen bestehender Plastikabfälle sind das Problem, Kompostierung von bioabbaubaren Kunststoffen welches primär im Vordergrund stehen sollte. Eine um eine reine Entsorgung handelt, die wiederum dem Diskussion über „Bio“-Plastik als CO2-Speicher Gedanken der Kreislaufwirtschaft widerspricht. kann davon ablenken. Zudem können Bezeichnungen wie „kompostierbar“ oder „biologisch abbaubar“ dazu führen, dass die Pro- Im zweiten Schritt muss das bereits im System befind- dukte vermehrt in der Umwelt landen, was äußerst liche Plastik tatsächlich hochwertig im Kreislauf kritisch zu bewerten ist. geführt werden – dies schließt die prioritäre Wie- derverwendung durch den breiten Einsatz von Mehr- Die Normen für alle „Bio“-Kunststoffe, insbesondere 9 Nach aktuellem Entwicklungs- stand handelt es sich dabei wegsystemen ein. Außerdem müssen alle produzier- aber für jene für bioabbaubar zertifizierte, sollten vorrangig um PLA und PHAs, wenn ten Kunststoffprodukte nicht nur theoretisch, zusätzlich um human- und ökotoxikologisch not- die Mengenentwicklung hier wie in den letzten Jahren sondern auch praktisch recyclingfähig sein. Hierzu ist wendige Tests ergänzt werden, insbesondere für voranschreitet. weiter ein recyclinggerechtes Produktdesign anzustre- „NIAS“ sind (Öko-)Toxizitätsuntersuchungen not- „Bio“-Kunststoffe 19
wendig. Zudem ist eine Harmonisierung der Normen Folgende Forderungen stellt der BUND für den Ein- bezüglich des Referenzmaterials erforderlich. satz bioabbaubarer Kunststoffe: Der BUND erhebt folgende Forderungen für den Ein- • Grundsätzlicher Verzicht auf den Einsatz bioabbau- satz biobasierter Kunststoffe: barer Kunststoffe für Verpackungen. • Der BUND lehnt die Produktion von Rohstoffen für • Sollten nachweislich sinnvolle Einsatzgebiete für biobasierte Kunststoffe auf nicht-nachhaltigen, bioabbaubare Kunststoffe etabliert werden, sollten eigens dafür zur Verfügung gestellten Flächen (u. a. in diesen Fällen herkömmliche Kunststoffe nicht durch Rodungen, Umwandlung extensiv in intensiv mehr verwendet werden dürfen. genutzte Flächen oder Verdrängung von Nahrungs- mittelproduktion) ab. • Bioabbaubare Kunststoffe dürfen rechtlich verbind- lich keine oder nur unproblematische Additive ent- • Eine nachhaltige Produktion biobasierter Kunststoffe halten, dafür ist eine komplette Transparenz über kann nur durch den Einsatz von Rohstoffen erfolgen, alle Inhaltsstoffe Voraussetzung sowie Toxizitäts- die regional als Reste biogener Produkte (wie der prüfungen für nicht absichtlich zugefügte Substan- Holzindustrie, Weinanbau, Speiseölreste) anfallen. zen (NIAS). Für die Herkunft der Rohstoffe sollte es eine ent- sprechende Zertifizierung geben. Für die Bodenge- • Sie müssen zudem außerhalb industrieller Kompos- sundheit und CO2-Speicherung auf dem Acker nutz- tierungsanlagen vollständig biologisch abbaubar bare landwirtschaftliche „Reststoffe“ sollen für die sein. „Bio“-Kunststoff-Produktion nicht genutzt werden. • Keine Zulassung von bioabbaubaren Kunststoffpro- • Der Einsatz biobasierter Kunststoffe darf nicht dazu dukten für die Entsorgung über Kompostierungsan- führen, dass herkömmliche Kunststoffe in vermeid- lagen. baren Anwendungen ein besseres Image bekommen (Greenwashing). Dies gilt insbesondere bei Kunst- • Der Einsatz von Produkten wie Mulchfolien sollte stoffprodukten, die zu einem geringen Anteil aus soweit möglich minimiert werden. biobasierten Rohstoffen hergestellt werden. • Der Einsatz von Produkten wie Mulchfolien ist u. a. • Eine Verbraucher*innen-freundliche, leicht verständ- ein wichtiger nicht-chemischer Schädlingsschutz. liche Kommunikation zu den tatsächlich biobasierten Er sollte zukünftig entweder auf tatsächlich bioab- Anteilen von Produkten ist nötig. Dafür sollten unab- baubare Kunststoffe oder besser auf stabile Folien, hängige Normen /Zertifizierung erarbeitet werden. die zurückgegeben werden, beschränkt werden. • Für die Rückgabe von in der Landwirtschaft einge- setzten Folien sind Rückgabe- und Recyclingsysteme, am besten auf Pfandbasis, einzurichten. 20 „Bio“-Kunststoffe
Anhang A: Additive in „Bio“-Kunststoffen und human- und ökotoxikologische Auswirkungen „Bio“-Kunststoffe enthalten, wie andere Kunststoffe, mittelverpackungen eingesetzt werden, können die verschiedene Additive: also Zusatzstoffe, die für die enthaltenen Additive und NIAS auf Lebensmittel (und jeweilig gewünschten Eigenschaften sorgen. Mehr als somit allgemein in die Nahrungskette) übergehen. Sol- 10.000 verschiedene Chemikalien wurden mit Kunst- che Kunststoffe und auch ihre Inhaltsstoffe stehen stoffen in Verbindung gebracht (Wiesinger et al. 2021). unter besonderer Beobachtung. Eine Positivliste der Durch fehlende Transparenz ist allerdings unklar, wel- EU (EU, 2020) mit mehr als 1000 Einzelstoffen wird che und wie viele dieser Chemikalien in einem Kunst- seit 2011 laufend aktualisiert („Unionsliste der zuge- stoff enthalten sind. lassenen Monomere, sonstigen Ausgangsstoffe, durch mikrobielle Fermentation gewonnenen Makromolekü- Hier bei lässt sich zwischen absichtlich und nicht- le, Zusatzstoffe und Hilfsstoffe bei der Herstellung von absichtlich zugesetzten Substanzen (intentionally Kunststoffen“). Einige Einzelstoffe wurden von der added substances „IAS“ und non intentionally added Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit substances „NIAS“) unterscheiden. Erstere sind den (EFSA) bewertet. Jeder in den Verkehr gebrachte Stoff Herstellern bekannt, sie machen diese aber oft nicht mit einer Produktionsmenge von mehr als einer Tonne transparent. Letztere sind selbst dem Hersteller meist pro Jahr sollte zudem in der EU registriert sein Zu die- unbekannt, und sind unbeabsichtigt im Endprodukt sem gibt es in der Regel ein Dossier mit seinen vorhanden. Diese umfassen beispielsweise, Nebenpro- (öko)toxikologischen und anderen umweltrelevanten dukte (z. B. kurzkettige Kunststoff-Anteile (Oligomere)) Eigenschaften. sowie Reaktions- und Abbauprodukte des Herstel- lungsprozesses (z. B. Nonylphenol aus Antioxidantien) Groh et al. (2021) untersuchten Kunststoffe mit und Verunreinigungen (z. B. Mineralöl und Stoffe resul- Lebensmittelkontakt und identifizierten in einer auf- tierend aus dem Recyclingprozess) (Koster et al., 2016; wendigen Zusammenstellung ca. 4700 Substanzen Geueke, 2018). Diese können durch Verunreinigungen, (IAS), die weltweit als Ausgangs- oder Zusatzstoffe in Reaktions- und Abbauprodukte bei der Herstellung Kunststoffen mit Lebensmittelkontakt genutzt werden. und Verwendung entstanden sein und können bisher Sie fanden in den untersuchten Kunststoffen ca. 600 größtenteils mangels Daten nicht hinsichtlich ihres in Listen prioritär eingestufte Chemikalien, die als Risikopotentials bewertet werden. gesundheits- und/oder umweltgefährdend (ECHA/Japan), endokrin wirksam, persistent + bioak- Da „Bio“-Kunststoffe in Zukunft durch erwartete kumulierend + toxisch (PBT), sehr persistent + sehr Produktionssteigerungen sowie falsche Entsorgung bioakkumulierend (vPvB) oder als persistenter organi- vermehrt in die Umwelt gelangen werden, ist eine scher Schadstoff (POP) gelten oder darüber hinaus in Bewertung hinsichtlich der Human- aber auch der Prioritätslisten der EU oder USA (Kalifornien) genannt Ökotoxizität sowie der Persistenz in der Umwelt von sind. Die Identifizierung solcher bekannten und unbe- großer Bedeutung. kannten Stoffe und Stoffgruppen ist ein erster Schritt, um kritische Substanzen an Hand der Strukturen zu Die absichtlich für bestimmte Funktionen zugesetzten erkennen, für eine Bewertung sind jedoch weitere 10 Die Anzahl an Stoffe (Weichmacher, Flammschutzmittel, Antioxidan- Schritte nötig. In „Bio“-Kunststoffen wurden mittels Substanzen/Chemikalien sind Näherungen und keine tien und UV-Stabilisatoren, Gleitmittel, Farbstoffe, chemischer Analyseverfahren über 40.000 Substan- akkuraten Zahlen. Diese Antistatika, Biozide, Füllstoffe, Verstärker) lassen sich zen 10 gefunden, von denen viele NIAS sind (Zim- Näherung unterschätzt allerdings wahrscheinlicher eher grob gliedern in Additive, die für Kunststoffe mit mermann et al., 2020). die Chemikalien/Substanzen die Lebensmittel- oder Haut-Kontakt vorgesehen sind, und in den Produkten enthalten sind bzw. daraus austreten können Additive für technische Anwendungen im Innen- und Nach mehr oder weniger langem Gebrauch unterliegen sogar eher noch. Außenbereich. Da viele „Bio“-Kunststoffe für Lebens- „Bio“-Kunststoffe – wie auch aus Erdöl hergestellte „Bio“-Kunststoffe 21
Kunststoffe – einer stofflichen Wiederverwertung, der und Erkennung besonders kritischer Substanzen mit Verbrennung oder einer Deponierung (Hahladakis et Prioritätensetzung (Groh et al. 2021). Die Erkennung al., 2018). Ein Teil landet allerdings in der Umwelt kritischer IAS und NIAS ohne Datensätze erfordert (engl. „litter“); für alle „Bio“-Kunststoffe ist der Weg jedoch weitergehende Anstrengungen. Einige Ver- in die terrestrische und eventuell aquatische öffentlichungen der letzten Jahre bieten dazu Ansatz- Umwelt besonders wahrscheinlich. Im Idealfall wer- punkte. den die Kunststoffe dann vollständig zu CO2 und Was- ser mineralisiert, allerdings nur unter den günstigen Zwei aktuelle Studien untersuchten Alltagsprodukte Labor-Bedingungen, selten aber in der realen Umwelt aus verschiedenen konventionellen (Erdöl-basierten) (Haider et al., 2019). Kunststoffen (z. B. Polyethylen, Polystyrol, Polyvinyl- chlorid) sowie aus „Bio“-Kunststoffen (viele davon für Der Verbleib der in den Produkten enthaltenen IAS den Lebensmittelkontakt vorgesehen) auf ihre chemi- und NIAS ist weitgehend ungeklärt. Beispielsweise sche Zusammensetzung und Toxizität (Zimmermann enthalten nach DIN EN 13432 zertifizierte Abfallbeutel et al., 2019, 2020). Dabei wurden mittels Methanol- durchschnittlich etwa fünf Prozent Additive; weder Extraktion die in den Produkten enthaltenen Chemi- diese und ihr Abbauverhalten, noch ihre Ökotoxizität, kalien herausgelöst und die erhaltene Chemikalienmi- werden hinreichend von der Norm reguliert (Wiss. schung mittels Zelltests untersucht. Der größte Teil Dienste Dt. Bundestag, 2021). Die Norm schließt der untersuchten Kunststoffprodukte – zwei Drittel demnach eine ökotoxische Wirkung der Zusatzstof- der herkömmlichen und drei Viertel der „Bio“- fe nicht aus. Bei 1–5 % IAS- + NIAS-Anteil errechnen Kunststoffe – enthielt schädliche Chemikalien, sich aus den 2017 global produzierten 870.000 t/a darunter solche die toxisch auf Zellen wirken oder abbaubaren Kunststoffen (Haider et al., 2019) ca. endokrine Effekte hervorrufen. Die Produkte, die 9.000 bis 40.000 t kaum bekannter Chemikalien, auf Zellulose oder Stärke basierten enthielten die die zum Teil unkontrolliert jährlich in die Umwelt meisten Chemikalien und waren am toxischsten gelangen. (d. h. hatten negative Auswirkungen in Zelltests). 11 In beiden Gruppen zeigte ein Viertel bzw. ein Drittel In den zertifizierenden Normen biologisch abbau- keine toxische Wirkung der Extrakte. barer Kunststoffe DIN EN 13432 und DIN EN 14995 sind Höchstgrenzen für Schwermetalle und Eine Folgestudie hat gezeigt, dass auch unter realen andere toxische Substanzen festgelegt und es wird Bedingungen (herauslösen der Chemikalien mit eine Bestimmung der ökotoxischen Wirkung der Wasser anstelle von Methanol) tausende Chemika- resultierenden Komposte auf höhere Pflanzen lien aus den Kunststoffen austreten und somit in gefordert. Dies reicht allerdings nicht aus, da so die Lebensmittel und die Umwelt übergehen können keine Aussage über eine mögliche Anreicherung in (Zimmerman et al. 2021). Um Schlussfolgerungen hin- der Umwelt und negative Folgen für aquatische sichtlich der Auswirkung auf den Menschen und ande- oder terrestrische Lebewesen getroffen wird. Ins- re Organismen zu treffen, braucht es eine Übertragung besondere für die „NIAS“ sind (Öko-)Toxizitätsun- der Ergebnisse von den Zelltests auf den lebenden tersuchungen notwendig. Organismus sowie eine Abschätzung der tatsächlichen Exposition. Bei Verpackungen muss das Ausmaß einer Wenn die zugesetzten IAS bekannt und registriert Migration in Lebensmittel oder der Auslaugung beim sind, erleichtern die Basisdaten eine Bewertung des Verbleib in der Umwelt ermittelt und an Hand von Wir- 11 Bei den konventionellen Kunststoffen waren es humantoxischen und umweltrelevanten Gefähr- kungsdaten bewertet werden. Polyvinylchlorid und dungspotenzials (EFSA, 2020; Hahladakis et al., 2018) Polyurethan. 22 „Bio“-Kunststoffe
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