ANALYSE DER TIERHALTERHAFTUNG GEM 1320 ABGB

 
WEITER LESEN
Eingereicht von

                                        Julia Aschauer

                                        Angefertigt am

                                        Institut für Umweltrecht

                                        Beurteilerin

                                        Univ.-Prof.in Dr.in Mag.a

                                        Erika Wagner

                                        August 2021

ANALYSE DER
TIERHALTERHAFTUNG
GEM § 1320 ABGB

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium

Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die
wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Leonding, am 16.08.2021

                                                                                                  2
Inhaltsverzeichnis

I.    Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................... 4
II.   Einleitung .............................................................................................................................. 5
III. Anlassfall .............................................................................................................................. 6
IV. Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 1 ABGB .......................................................................... 7
A.    Schaden und Haftungsumfang.............................................................................................. 8
B.    Tierhüterhaftung gem § 1320 Abs 1 S 1 ABGB ..................................................................... 9
1.    Hüterin bzw Hüter ............................................................................................................... 10
2.    Antreiben ............................................................................................................................ 10
3.    Reizen ................................................................................................................................ 11
4.    Verwahren .......................................................................................................................... 11
C.    Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 1 S 2 ABGB .................................................................. 13
a)    Tierhalterin bzw Tierhalter .................................................................................................. 13
b)    Haftung ............................................................................................................................... 15
D.    Mitverschulden ................................................................................................................... 17
E.    Warn- und Verwahrungspflicht vor dem HaftRÄG 2019 ...................................................... 19
1.    Frühere Entscheidungen im Bereich der Alm- und Weidetiere ............................................ 20
a)    OGH 28.06.2007, 3 Ob 110/07h: ........................................................................................ 20
b)    OGH 14.02.2013, 5 Ob 5/13s: ............................................................................................ 21
c)    OGH 18.02.2015, 2 Ob 25/15p: .......................................................................................... 22
2.    Allgemeine Grundsätze....................................................................................................... 23
3.    Beurteilung anhand des Anlassfalles .................................................................................. 25
a)    Erstinstanzliches Verfahren vor dem LG Innsbruck:............................................................ 26
b)    Rechtsmittelverfahren vor dem OLG Innsbruck .................................................................. 27
c)    Verfahren vor dem OGH ..................................................................................................... 29
d)    Gegenüberstellung der Entscheidung GZ 2 Ob 25/15p zu Anlassfall GZ 5 Ob 168/19w: .... 31
e)    Zusammenfassung ............................................................................................................. 32
V.    Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 2 ABGB ........................................................................ 33
A.    Allgemeines ........................................................................................................................ 33
B.    Ziele der Gesetzeserweiterung ........................................................................................... 34
C.    Analyse des § 1320 Abs 2 ABGB ....................................................................................... 35
D.    Stellungnahme zu der Gesetzesänderung .......................................................................... 44
E.    Warn- und Verwahrungspflicht nach dem HaftRÄG 2019 ................................................... 47
VI. Resümee ............................................................................................................................ 49
VII. Literaturverzeichnis............................................................................................................. 51
VIII. Judikaturverzeichnis ........................................................................................................... 52

                                                                                                                                               3
I. Abkürzungsverzeichnis

ABGB           Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Abs            Absatz
aF             alte Fassung
BGBl           Bundesgesetzblatt
BMLRT          Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus
bspw           beispielsweise
bzgl           bezüglich
bzw            beziehungsweise
ca             circa
dh             das heißt
ecolex         ecolex - Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EKHG           Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz
ErlRV          Erläuterungen zu Regierungsvorlage
EvBl           Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen
f              der/die folgende
ff             und die fortfolgenden
gem            gemäß
grds           grundsätzlich
HaftRÄG 2019   Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2019
Hrsg           Herausgeber
idF            in diesem Fall
idZ            in diesem Zusammenhang
iHv            in Höhe von
insb           insbesondere
iSd            im Sinne des/der
iSv            im Sinne von
JBl            Juristische Blätter
LG             Landesgericht
lt             laut
mE             meines Erachtens
mWn            mit weiteren Nachweisen
nF             neue Fassung
OGH            Oberster Gerichtshof
ÖJZ            Österreichische Juristen-Zeitung
OLG            Oberlandesgericht
RdM-LS         Recht der Medizin – Leitsätze
RFG            Recht & Finanzen für Gemeinden
Rsp            Rechtsprechung
Rz             Randziffer
S              Satz
sog            sogenannt, -e, -er, -es
SV             Sachverhalt
               Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in
SZ             Zivilsachen
va             vor allem
VbR            Zeitschrift für Verbraucherrecht
Zak            Zivilrecht aktuell
zB             zum Beispiel
ZPO            Zivilprozessordnung
ZVR            Zeitschrift für Verkehrsrecht

                                                                               4
II. Einleitung

    Mit zunehmender Beliebtheit des Wandersports und dem Urlaub in den Bergen, va in
Begleitung von Hunden, stieg auch die Zahl von Konflikten zwischen Almvieh und Wandernden.
Die Tierhalterhaftung ist in § 1320 ABGB normiert und stellt die zentrale Norm für all jene
schadenersatzrechtlichen Fragen dar, bei denen eine Schädigung durch ein Tier resultiert. Infolge
mehrerer Zwischenfälle auf Almen, insb durch den Kuh-Unfall von 2014, rückte die
Tierhalterhaftung gem § 1320 ABGB aF in den Mittelpunkt des Medieninteresses. Beim Kuh-
Unfall von 2014 wurde eine Wanderin von Kühen angegriffen und tödlich verletzt. Der beklagte
Tierhalter, idF ein Landwirt, wurde vom Erstgericht zu einer Schadenersatzzahlung in Höhe eines
sechsstelligen Betrags verurteilt. Dies führte zu einem Aufschrei, sowohl in der Öffentlichkeit als
auch bei Almwirtinnen und Almwirten, denn die Befürchtung, ebenfalls eine Pflichtverletzung zu
begehen, war groß. IdZ stellte sich va die Frage unter welchen Umständen eine Tierhalterin bzw
ein Tierhalter Weideflächen abzäunen muss oder das Aufstellen einer Warntafel ausreicht, um
den Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflichten nachzukommen und nicht haften zu müssen.
Um ein möglichst gefahrloses Wandern im natürlichen Umfeld der Weidetiere ermöglichen zu
können, wurde ua eine Erweiterung der Tierhalterhaftung angedacht. Diese sollte weder
übermäßig in die Almwirtschaft eingreifen noch die Haftung nur auf die Landwirtinnen und
Landwirte als jeweilige Tierhalterinnen bzw Tierhalter abwälzen. Schon während des
Gesetzgebungsverfahrens wurden diesbezüglich verschiedene Meinungen hinsichtlich der
Notwendigkeit und Eignung vertreten. In zahlreichen juristischen Schriften wird diese Erweiterung
auch inhaltlich erörtert. Im Fokus des § 1320 Abs 2 ABGB steht das Alm- und Weidevieh, weshalb
dieses auch in dieser Arbeit eine zentrale Rolle darstellt.
    Ziel dieser Diplomarbeit ist es einen Überblick über den neuen Absatz der Tierhalterhaftung
zu geben, diesen zu analysieren und festzustellen, ob durch diese Erneuerung ein Mehrwert im
Rechtsalltag geschaffen wird. Dafür werden mittels diverser Gerichtsentscheidungen und
verschiedener Stellungnahmen die Grundsätze und maßgeblichen Punkte der Anforderungen der
Tierhalterhaftung ausgearbeitet und analysiert.
    Diese Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in drei große Abschnitte. Eingangs wird im III.
Kapitel der SV des sog Anlassfalles näher ausgeführt. Im IV. Kapitel wird die bisherige
Tierhalterhaftung und die davon ausgehende Warn- bzw Verwahrungspflicht von Almbauern und
Almbäuerinnen vor dem HaftRÄG 2019 dargestellt. In weiterer Folge werden vergangene
Gerichtsentscheidungen und die mit dem Anlass verbundene gerichtliche Laufbahn näher
beleuchtet. Im letzten Abschnitt dieser Arbeit ist der Fokus auf die rechtliche Entwicklung und der
Analyse der neuen Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 2 ABGB gerichtet.

                                                                                                  5
III. Anlassfall

    Anlass für die Anpassung und Erweiterung des § 1320 ABGB war ein tödlicher Kuh-Unfall auf
der Pinnisalm in Tirol am 28.07.2014. Bei diesem Unfall wurde eine deutsche Wanderin mit ihrem
angeleinten Hund von einer Mutterkuhherde umkreist und von einer Mutterkuh angegriffen und
tödlich verletzt.1
    Lt OGH hat sich folgender SV zugetragen: Die Wanderin ging mit ihrem angeleinten Hund auf
einem Wanderweg. Bei diesem Weg handelt es sich um eine öffentliche Straße, welche von
Wandernden und Radfahrenden benutzt und von verschiedensten Fahrzeugen regelmäßig und
mehrmals am Tag befahren wird (etwa 80 Fahrzeuge täglich). Nahe der Unfallstelle befindet sich
auch ein gut besuchtes Gasthaus, welches täglich von zahlreichen Gästen aufgesucht wird.
Sowohl dessen Gastgarten als auch der Kinderspielplatz sind umzäunt. Der Unfall ereignete sich
auf einem Wanderweg, der sich in der Nähe des Gasthauses befindet und folglich stark
frequentiert wird. Da das Weidegebiet der Kühe, abgesehen von dem Bereich um das Gasthaus,
nicht durch einen Zaun von der Straße getrennt war, konnten sich die Kühe frei bewegen und jede
frei zugängliche Grasfläche zum Grasen nutzen. Angesichts der nicht vorhandenen Trennung des
Weidegebiets vom Wanderweg durch einen Zaun, war ein ungehindertes Zusammentreffen
zwischen Kühen und Menschen jederzeit möglich. Aufgrund dessen hatte der Tierhalter, idF der
Landwirt, Warnschilder aufgestellt und auf das Anleinen von Hunden und das Halten von Abstand
zu den Kühen deutlich hingewiesen. Dieses Hinweisschild war auch für die verunglückte Wanderin
erkennbar. Während sie an der Herde vorbeiging, verhielten sich die Kühe ruhig und es war keine
aggressive Haltung ihr bzw ihrem Hund gegenüber erkennbar. Allerdings ging sie, entgegen dem
Hinweis auf dem Warnschild, nur mit einer geringen Distanz an der Herde vorbei. Unmittelbar
nachdem sie an den Kühen vorbeigegangen war, wurden diese unruhig und griffen sie an.
    Ihren Hund hatte sie zwar wie am Warnschild hingewiesen angeleint, die Leine war aber zum
Unfallzeitpunkt um ihre Hüfte gebunden, wodurch ihr ein rasches Öffnen des Karabiners nicht
mehr möglich war. Durch diesen Unfall wurde die Frau tödlich verletzt.2
    Die    Hinterbliebenen      der    Wanderin (Witwer          und    Sohn)     brachten     daraufhin     eine
Schadenersatzklage gegen den Landwirt aufgrund mangelnder Verwahrung seiner Tiere bei dem
LG Innsbruck ein. Dem Beklagten wurde mangelnde Verwahrung und Beaufsichtigung der Kühe
gem § 1320 S 2 ABGB aF angelastet. Neben der Zahlung von Schmerzengeld, verlangte der
Witwer auch den Ersatz einer Hinterbliebenenrente. Dieser Klage gab das LG Innsbruck

1Ollinger, Das Kuh-Urteil und die neuen Eigenverantwortung, Zak 2019, 344; Hopf, Kuhattacke: OGH bestätigt Urteil
zweiter Instanz - neuer Vorfall am 12.6. 2020, ÖJZ 2020, 529.
2OGH 30.04.2020, 5 Ob 168/19w; Hinteregger, Tödliche Kuhattacke auf Tiroler Almweide - Haftungskriterien, ZVR
2020, 251.
                                                                                                                    6
weitgehend statt. Der Landwirt wurde zum Ersatz des erlittenen Schadens iHv ca
490.000 € verurteilt.3 Nach eingelegter Berufung seitens des Landwirtes, bestätigte das OLG
Innsbruck, als Rechtsmittelinstanz, das Urteil zum Teil. Neben dem Verschulden des Landwirtes
nahm es auch ein Mitverschulden der Verstorbenen an. Aufgrund der Schadensteilung iHv 1:1
reduzierten sich die Schadenersatzansprüche auf die Hälfte.4 Alle Parteien erhoben daraufhin
eine außerordentliche Revision beim OGH. Dieser allerdings bestätigte das Urteil des OLG
Innsbruck und wies die außerordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage mit Beschluss
zurück.5 Seit dem tödlichen Unfall wird der besagte Gefahrenbereich mit einem elektronischen
Zaun abgesichert.6

IV. Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 1 ABGB

       Die Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 1 ABGB lautet wie folgt:

       § 1320 Abs 1 „Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich,
der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier
hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder
Beaufsichtigung gesorgt hatte.“7

       Der § 1320 ABGB aF wurde 1916 in das ABGB aufgenommen und ist bis zu der
Verabschiedung des HaftRÄG 2019 unverändert geblieben.8 Um die vom Tier ausgehende Gefahr
haftungsrechtlich abzusichern, wurde eine verstärkte Haftpflicht als notwendig angesehen.9
Aufgrund des langen Bestehens des Gesetzes gibt es viele gerichtliche Entscheidungen. Mit der
Novellierung wurde der § 1320 ABGB um einen Absatz erweitert, wobei der Abs 1 gänzlich
unverändert blieb. Daher wird in dieser Arbeit die Schreibweise § 1320 Abs 1 ABGB sowohl für
§ 1320 ABGB aF als auch für die neue § 1320 Abs 1 nF ABGB verwendet.

3   LG Innsbruck 20.02.2019, 66 Cg 107/16m.
4   OLG Innsbruck 02.08.2019, 3 R 39/19p.
5   OGH 30.04.2020, 5 Ob 168/19w.
6   OGH 30.04.2020, 5 Ob 168/19w; Hinteregger, ZVR 2020, 251 (252).
7   § 1320 ABGB.
8   RGBl 69/1916.
9   Hinteregger, ZVR 2020, 251 (258).
                                                                                                 7
A. Schaden und Haftungsumfang

       Bevor auf die Differenzierung zwischen der „Tierhüterhaftung“ in § 1320 Abs 1 S 1 ABGB und
„Tierhalterhaftung“ in § 1320 Abs 1 S 2 ABGB eingegangen werden kann, wird in diesem Kapitel
der Haftungsumfang näher beschrieben. Der Schutzzweck des § 1320 ABGB erfasst nicht alle
von einem Tier verursachten Schäden, sondern es sind nur jene zu ersetzen, welche durch die
„typische Tiergefahr“ verursacht wurden.10
       Diese Tiergefahr ist erfüllt, wenn das Verhalten auf den selbständigen Antrieb des Tieres
zurückzuführen ist.11 Sohin ist ein Schaden, der aus der Lenkung des Tieres resultiert, mangels
eigenen Willens nicht unter die Tierhalterhaftung gem § 1320 ABGB zu subsumieren. Aufgrund
dieser Begründung vertritt Bienenfeld auch, dass das Einsetzen eines Tieres als Waffe ebenfalls
eine Tierhalterhaftung ausschließt, da zwar ein Schaden durch das Tier vorliegt, der Wille aber
von der Tierhalterin bzw dem Tierhalter ausgeht.12
       Anders fällt die Beurteilung nach Reischauer aus. Seiner Ansicht nach sind hierfür die
Eigenschaften des Tieres ausschlaggebend, da das Verhalten eines Tieres nicht auf Vernunft
basiert, sondern die Tiere naturgemäß von ihren Trieben und Instinkten geleitet werden. Sofern
der Schaden also aus der allgemeinen Gefahr des Tieres resultiert, ist der Schaden von der
Tierhalterhaftung erfasst. Unerheblich ist idZ, ob das Tier als gutartig bzw bösartig klassifiziert
wird. So ist zB auch der Schaden, welcher aus einem freudigen Anspringen eines Hundes
resultiert, zu ersetzen, da dieser Schaden auf die allgemeine Gefahr eines Hundes
zurückzuführen ist. Der aus diesem Verhalten entstandene Schaden ist aufgrund der typischen
Tiergefahr zu ersetzen. Ebenso wenn der Schaden durch eine Lenkung herbeigeführt worden ist.
Keine Voraussetzung ist, dass die Schädigungen durch das Tier unmittelbar herbeigeführt worden
sind. Auch Schäden durch mittelbare Handlungen sind von der Haftung inbegriffen. Für die
Haftenden spielt es außerdem keine Rolle, ob die Schädigung des Tieres durch ein aktives Tun
oder Unterlassen hervorgerufen wird. Sofern diese das Tier allerdings zu der Schädigung
antreiben, ist dies unter S 1 zu subsumieren (siehe Kapitel IV.B.2.). Ansatzpunkt für die Haftung
ist also allein durch eine vom Tier hervorgerufene Schädigung. Der Grund für diese schädigende
Handlung des Tieres spielt lediglich für die Entlastung eine Rolle.13

10Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.06 § 1320 Rz 2 (Stand 1.3.2019, rdb.at); Koziol,
Haftpflichtrecht II3 B/2 Rz 87 (Stand 1.1.2018, rdb.at); Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 2 (Stand
1.1.2004, rdb.at).
11   Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2 Rz 87 (Stand 1.1.2018, rdb.at).
12   Bienenfeld, Die Haftungen ohne Verschulden (1933) 209 f, 278.
13   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 2 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
                                                                                                               8
Sofern die „besondere Tiergefahr“ kausal für den Schaden ist, sind Personen- und
Sachschäden von der Tierhalterhaftung umfasst.14 Auch Tierschäden iSv Sachschäden werden
von der Haftung erfasst (zB Deckakt15). Zudem sind etwaige Folgeschäden, bspw resultierend
von einem ärztlichen Behandlungsfehler16, zu ersetzen.

B. Tierhüterhaftung gem § 1320 Abs 1 S 1 ABGB

       § 1320 Abs 1 S 1 ABGB normiert nach Ansicht der Rsp und Lehre eine reine
Verschuldenshaftung.17 Ein Verschulden wird zwar nicht explizit im Gesetzeswortlaut gefordert,
allerdings ist im ABGB grds die Verschuldenshaftung vertreten, wodurch diese auch hier
einschlägig ist. Des Weiteren ist hierbei auch der Wortlaut des S 2 vor der 3. Teilnovelle zu
erwähnen, der mit den Worten: „Kann niemand eines Verschuldens dieser Art überwiesen
werden…“ eingeleitet wurde. Ziel dieser Novelle war es nicht, die Verschuldenshaftung zu
streichen, sondern eine neue Regelung für die Haftung einer Tierhalterin bzw eines Tierhalters zu
schaffen.18 Aufgrund dieser Aspekte kann von einer Verschuldenshaftung ausgegangen werden.
       Ein Verschulden liegt gem § 1295 ABGB dann vor, wenn der eingetretene Schaden sowohl
auf ein rechtswidriges als auch schuldhaftes Verhalten zurückzuführen ist. Dh das Verschulden
besteht aus einer objektiv sorgfaltswidrigen und einer subjektiv vorwerfbaren Komponente, welche
zusammen           das     Verschulden      bilden.19    In    Verbindung      mit    dem      Wortlaut     des
§ 1320 Abs 1 S 1 ABGB haftet folglich jene Person für den Schaden, die das Tier entweder
schuldhaft angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Dies kann sowohl durch
aktives Tun, also Antreiben oder Reizen des Tieres, als auch durch Unterlassen der sorgfältigen
Verwahrung des Tieres erfolgen.20 Ein vorsätzliches Verhalten ist nicht erforderlich, sondern es
reicht aus, dass diese Person zumindest hätte erkennen können, dass das schädigende Verhalten
des Tieres das Resultat seines schuldhaften Verhaltens ist.21

14
     Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 Rz 2 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
15   OGH 26.11.1996, 1 Ob 2351/96h, ÖJZ 1997, 565; RS0106809.
16Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 4 (Stand 1.3.2019, rdb.at); OGH 25.10.2018,
6 Ob 182/18k = RdM-LS 2019/40.
17Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 2 (Stand 1.1.2004, rdb.at). Riedler (Hrsg), Zivilrecht IV
Schuldrecht Besonderer Teil - Gesetzliche Schuldverhältnisse5 (2018).
18   Wolff in Klang, ABGB2 (1951) § 1320.
19   Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 1294 ABGB.
20   § 1320 Abs 1 S 1 ABGB.
21   Wolff in Klang, ABGB2 § 1320, 109.
                                                                                                              9
Unter Berücksichtigung des § 1296 ABGB liegt die Beweislast bei der geschädigten Person.22
Diese hat in concreto den Beweis zu erbringen, dass das Tier durch die beklagte Partei
angetrieben bzw gereizt wurde oder der notwendigen Verwahrung nicht nachgekommen ist.23
Entlasten kann sich die beklagte Person in solch einem Fall nur durch das Fehlen subjektiver
Fähigkeiten. Da das Vorliegen dieser gem § 1297 ABGB aber gesetzlich vermutet wird, muss er
das Gegenteil beweisen, um sich von der Haftung befreien zu können.24

1. Hüterin bzw Hüter

       Im Gegensatz zu § 1320 Abs 1 S 2 ABGB stellt § 1320 Abs 1 S 1 ABGB nicht auf das Bestehen
einer Tierhaltereigenschaft ab. Demzufolge haften jene Personen, die zwar nicht Halterin bzw
Halter eines Tieres, aber Hüterin bzw Hüter eines solchen sind und ein Tier angetrieben, gereizt
oder nachlässig verwahrt haben. Die Bezeichnung als Tierhüterin bzw Tierhüter ist dann zu
verwenden, wenn die Person ein Tier innehat, aber den Kriterien einer Tierhalterin bzw eines
Tierhalters nicht entspricht. Eine solche Hütereigenschaft kann die Person mit der Halterin bzw
dem Halter vertraglich vereinbaren, wie bspw bei der Vermietung einer Pferdebox. Sofern es sich
lediglich um eine kurze Gewahrsame des Tieres handelt, zB Ausführen des Nachbarhundes,
begründet dies ebenfalls lediglich eine Hütereigenschaft.

2. Antreiben

       Unter Antreiben wird nach überwiegender Ansicht jede vorsätzliche und fahrlässige
Verhaltensweise einer Person verstanden, die das Tier zu einer Schädigung veranlasst.25 Andere
Ansicht vertritt hier Wolff, der idZ keine Sorglosigkeit gelten lässt. Dies begründet er dahingehend,
dass in § 1320 Abs 1 S 1 ABGB eine Verschuldenshaftung verwirklicht ist, die sich auf das
Vorliegen eines Verschuldens stützt.26

22   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1296 ABGB Rz 2 (Stand 1.1.2007, rdb.at); OGH 18.10.1989, 9 Ob A 265/89.
23   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 22 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
24   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1297 ABGB Rz 12 (Stand 1.1.2007, rdb.at).
25   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 4 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
26   Wolff in Klang, ABGB2 § 1320, 109.
                                                                                                             10
3. Reizen

       Die Rsp qualifiziert eine Handlung als „reizen“ iSd § 1320 Abs 1 S 1 ABGB, wenn der Angriff
eines Tieres durch das menschliche Verhalten aufgrund von Mutwillen, Willkür oder sonstige
sachlich unberechtigte Einstellung provoziert wird.27 Folgt man allerdings der Meinung von
Reischauer, so kann das Reizen eines Tieres nicht nur mit vorsätzlichem, sondern auch mit
fahrlässigem Verhalten erfolgen. Er hält die Voraussetzungen der Rsp für zu eng gegriffen.
Folglich ist ihm zufolge ein sorgfaltswidriges Handeln ausreichend, um den Begriff des Reizens
zu erfüllen. Dies klingt nachvollziehbar, da es durch die geringfügigsten Handlungen zu einer
solchen Reizung und demzufolge einer Verletzung kommen kann. Reischauer veranschaulicht
dies durch den Tritt eines Dritten auf die Pfote eines Hundes, welcher wiederum ein Kind angreift
und beißt.28 Ein Reizen liegt folglich dann vor, wenn ein aktives Verhalten, objektiv betrachtet,
geeignet ist, ein Tier zu provozieren.29

4. Verwahren

       Für die konkrete Beurteilung und Umsetzung der Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht
muss der Einzelfall betrachtet werden. Des Weiteren sind die konkrete Gefährlichkeit, die von dem
jeweiligen Tier ausgeht und die Schädigungswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen sowie eine
Interessensabwägung durchzuführen.30

           •   Gefährlichkeit: Bei der Gefährlichkeit reicht es nicht aus, nur auf die jeweilige Tierart
               abzustellen, sondern es bedarf auch einer individuellen näheren Betrachtung des
               jeweiligen Tieres.31 Von Kühen mit Kälbern geht eine andere Gefahr aus als von Nicht-
               Mutterkühen. Bei einer sog Mutterkuhhaltung besteht eine sehr intensive Bindung
               zwischen den Kühen und ihren Kälbern, woraus auch ein ausgeprägter
               Beschützerinstinkt resultiert. Dies ist bei der Beurteilung des Anlassfalles zu
               berücksichtigen. Abgesehen davon ist die vom jeweiligen Tier ausgehende Gefahr

27
  Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 5 (Stand 1.3.2019, rdb.at); Harrer/Wagner in
Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1320 Rz 1c; RIS-Justiz RS0030212.
28   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 5 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
29OGH 30.04.2020, 5 Ob 168/19w, W. Kolmasch, Sorgfaltspflichten des Tierhalters in der Alm- und Weidewirtschaft,
Zak 2020, 196.
30Barth/Dokalik/Potyka, ABGB (MTK). Das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuchsamt den wichtigsten Nebengesetzen.
Mit der wichtigsten OGH-Judikatur im Überblick sowie weiterführenden Anmerkungen und Verweisungen26 (2018) §
1320, 897; Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 9 (Stand 1.3.2019, rdb.at); OGH
21.02.2013, 2 Ob 196/12f = ZVR 2014/50, 60; Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2/ Rz 92 (Stand 1.1.2018, rdb.at);
Reischauer in Rummel3 § 1320 ABGB Rz 12 (Stand 1.1.2004, rdb.at); RIS-Justiz RS0030567; RS0030058;
RS0030157; RS0030081.
31   Barth/Dokalik/Potyka, ABGB (MTK)26, 897.
                                                                                                               11
festzustellen. Beispielsweise sind Kühe im Gegensatz zu Pferden keine Fluchttiere,
                dh sie laufen vor einer Gefahr tendenziell nicht weg. Hunde weisen aufgrund ihres
                Aussehens und ihrer Verhaltensweisen starke Ähnlichkeiten zu Wölfen auf. Daher
                geraten insb Mutterkühe in Alarmbereitschaft, da für diese der Unterschied nicht
                erkennbar ist, sehen den Hund als Bedrohung und greifen diesen in weiterer Folge an.
                Ist der Hund nicht angeleint, so kann er sich durch Weglaufen selbst vor der Attacke
                retten. Die Kuhattacke richtet sich in solchen Fällen nicht gezielt gegen den Menschen.
                Ist der Hund allerdings angeleint und der Hundehalter lässt diesen nicht frei bzw der
                Hund kann sich nicht befreien, so kann sich die Attacke auch gegen die Halterin bzw
                den Halter richten.32 Um der notwendigen Verwahrung nachzukommen, bedarf es
                daher einer genauen Feststellung der Gefährlichkeit, die von dem jeweiligen Tier
                ausgeht.
           •    Schädigungswahrscheinlichkeit: Die Schädigungswahrscheinlichkeit ist zum einen
                von dem jeweiligen Tier und seinem Verhalten abhängig, zum anderen auch von den
                umliegenden Bedingungen. Von fast jedem Tier geht automatisch eine gewisse
                Gefährlichkeit aus. Allerdings sind die jeweiligen Umstände zu berücksichtigen.33
                Wenn Kühe auf Almen mit wenigen Wandernden in Berührung kommen, sinkt
                automatisch das Verletzungsrisiko für Menschen. Anders ist die Situation zu
                beurteilen, wenn es sich um Mutterkühe handelt (siehe Punkt Gefährlichkeit). Hier ist
                bereits eine erhöhte Gefährlichkeit aufgrund ihres erheblichen Schutzinstinktes
                gegeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Risiko durch die umliegenden
                Bedingungen, wie bspw bei einem nahegelegenen frequentierten Weg (siehe
                Anlassfall) überproportional erhöht werden kann. In dieser Situation ist die
                Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des menschlichen Körpers erheblich höher,
                wodurch auch ein erhöhtes Maß für die Verwahrung bzw Beaufsichtigung erforderlich
                ist.    Diese       Gegenüberstellung          zeigt      deutlich,      dass   auch   die
                Schädigungswahrscheinlichkeit individuell zu beurteilen ist.34
           •    Interessensabwägung: Sofern, ausgehend von dem jeweiligen Tier, die menschliche
                körperliche Unversehrtheit gefährdet wird, sind gewisse Maßnahmen dagegen zu
                treffen, welche sich wiederum am Einzelfall orientieren müssen. Je nach Tierart,
                Gefährlichkeit und Schadenswahrscheinlichkeit kann zB ein Einzäunen oder auch ein
                Anketten des Tieres ausreichen, um die Anforderung von zumutbaren und

32   Hinteregger, ZVR 2020, 251 (252); OGH 30.04.2020, 5 Ob168/19w.
33   Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 9 (Stand 1.3.2019, rdb.at).
34   Barth/Dokalik/Potyka, ABGB (MTK)26, 897.
                                                                                                        12
erforderlichen Maßnahmen der Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht zu
                erfüllen.35
       Durch Berücksichtigung dieser drei Kriterien werden die notwendigen und va auch
zumutbaren Maßnahmen getroffen, bspw durch Anleinen, Anlegen eines Maulkorbes, Anketten,
Einzäunen etc.36 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die jeweils erforderliche
Verwahrung bzw Beaufsichtigung einzelfallbezogen auf das jeweilige Tier und der damit
einhergehenden Gefährlichkeit dessen, im Rahmen der Zumutbarkeit, zu beurteilen ist.37

C. Tierhalterhaftung gem § 1320 Abs 1 S 2 ABGB

       Zusätzlich zur Hüterhaftung, kann die Tierhalterin bzw der Tierhalter auch nach dem
§ 1320 Abs 1 S         2      ABGB    zur    Verantwortung       gezogen      werden.     Die       Haftung   gem
§ 1320 Abs 1 S 1 ABGB schließt Tierhalterinnen und Tierhalter nicht aus, allerdings wird in der
Praxis      die   Heranziehung       des    § 1320 Abs 1 S       2   ABGB      bevorzugt,      da    dieser   eine
Beweislastumkehr zu Gunsten der Geschädigten impliziert. Dh die Beweislast liegt hierbei nicht
bei der geschädigten Person (siehe § 1320 Abs 1 S 1 ABGB), sondern bei den Halterinnen bzw
Haltern der jeweiligen Tiere. Diese müssen folglich beweisen, dass sie den Anforderungen einer
erforderlichen Verwahrung oder Beaufsichtigung nachgekommen sind und sie daher keine Schuld
trifft.38 Zur Definition des Begriffs der Verwahrung siehe Kapitel IV.B.4.

a) Tierhalterin bzw Tierhalter
       Sowohl der Begriff der Tierhalterin bzw des Tierhalters als auch der Tierhüterin bzw des
Tierhüters ist in Österreich nicht einheitlich gesetzlich definiert. Es werden einige verschiedene
Ansichten bzgl der notwendigen Eigenschaften einer Tierhalterin bzw eines Tierhalters vertreten.
       Als wesentliches Merkmal sehen die Rsp und Lehre eine dauernde Gewahrsame über das
Tier. Eine solche Gewahrsame zeichnet sich durch eine längere, nicht bloß vorübergehende
Innehabung des Tieres aus. Sofern eine Innehabung nur für kurze Zeit erfolgt, kann dies keine
Haltereigenschaft begründen. Als Beispiel hierfür kann das Ausführen eines fremden Hundes
genannt werden.39 Auch untersuchende Veterinäre sind daher nicht als Tierhalterinnen bzw

35   Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 9 (Stand 1.3.2019, rdb.at).
36Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 9 (Stand 1.3.2019, rdb.at); OGH 23.01.2015, 8 Ob
6/15p; OGH 30.04.2020, 5 Ob 168/19w; RIS-Justiz RS0030081.
37Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320 Rz 10; Danzl in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar
zum ABGB6 (2020) § 1320 Rz 5; OGH 14.02.2013, 5Ob5/13s; OGH 12.06.2014, 2Ob66/14s; RIS-Justiz RS0030157.
38   § 1320 Abs 1 S 2 ABGB.
39   Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320 Rz 3.
                                                                                                                13
Tierhalter zu qualifizieren.40
       IdZ ist auch auf die tatsächliche Herrschaft einzugehen. Reischauer und Wolff vertreten die
Meinung, dass Tierhalterinnen und Tierhaltern die tatsächliche Herrschaft obliegen, sie also auch
die Möglichkeit besitzen jederzeit ein gewisses Verhalten von dem Tier zu verlangen.41 Es wird
einhellig vertreten, dass diese Sachherrschaft ohne Anordnung seitens einer dritten Person, also
weisungsfrei erfolgen muss. Weiters ist kein Bestehen eines Eigentumsverhältnisses bzw einer
sonstigen rechtlichen Beziehung zwischen dem Menschen und Tier Voraussetzung für die
Qualifizierung als Tierhalterin bzw Tierhalter. Praktisches Beispiel wäre hierfür ein Dieb, der zwar
über das gestohlene Tier tatsächlich bestimmen kann, aber in keiner rechtliche Beziehung mit
diesem steht. Die Haltereigenschaft ist sohin erfüllt, wenn eine Person im eigenen Namen bzw
Interesse eine tatsächliche und weisungsfreie Verfügungsgewalt über ein Tier ausübt.42
       Die von Ehrenzweig und auch teilweise von der Rsp vertretene Ansicht, dass die
Tierhaltereigenschaft           von     der     Entscheidungsmacht      hinsichtlich    der    Verwahrung         und
Beaufsichtigung des Tieres abhängt stimmt Reischauer nicht zur Gänze zu. Denn es kommt bei
der Definition einer Tierhalterin bzw eines Tierhalters, wie in diesem Kapitel bereits erwähnt, nicht
auf die rechtliche Stellung an. Reischauer sieht diese Entscheidungsmacht als resultierende
Pflicht der Qualifizierung als Halterin bzw Halter, um andere vor Schäden zu beschützen.43 Sofern
mit der Entscheidung im eigenen Namen lediglich auf die Weisungsfreiheit hinsichtlich der
Bestimmung über die Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres abgestellt wird, stellt Koziol
diese Ansicht jener von Wolff gleich.44
       Zusammenfassend ist für die Begründung einer Tierhaltereigenschaft ausschlaggebend, dass
dieser Person die tatsächliche, weisungsfreie und eigenverantwortliche Herrschaft, unabhängig
des rechtlichen Verhältnisses über ein Tier obliegt.45 Sofern die Haltereigenschaft auf mehreren
Personen zutrifft (zB Ehegatten), führt dies zu einer solidarischen Haftung als Mithalter.46
Unterschiedliche Ansichten zwischen der Rsp und Lehre besteht hinsichtlich des Halterbegriffs

40Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2/ Rz 84 (Stand 1.1.2018, rdb.at); Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320
Rz 6; OGH 13.05.1953, 1Ob177/53 = SZ 26/121=EvBl 1952/349, 527; RIS-Justiz RS0025467.
41Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2/ Rz 80 (Stand 1.1.2018, rdb.at); Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320
Rz 6; OGH 12.06.2014, 2Ob66/14s; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 Rz 7 (Stand 1.1.2004, rdb.at); Danzl in
KBB6 § 1320 Rz 3; RIS-Justiz RS0030143.
42Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 7 (Stand 1.3.2019, rdb.at); Reischauer in
Rummel3 § 1320 ABGB Rz 7 (Stand 1.1.2004, rdb.at).; Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2/ Rz 80 ff (Stand 1.1.2018,
rdb.at).
43   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 7 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
44   Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2 Rz 80 (Stand 1.1.2018, rdb.at).
45   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 7.
46Danzl in KBB6 § 1320 Rz 3; Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1320 Rz 8 (Stand 1.3.2019,
rdb.at); OGH 29.04.1982, 8 Ob 236/81 = ZVR 1983/276, 309; OGH 15.01.1986, 1 Ob 694/85 = ÖJZ 1986/111 (EvBl).
                                                                                                                   14
bei bloß kurzzeitiger Überlassung. 1972 bejahte der OGH die Tierhaltereigenschaft des Entleihers
eines Pferdes während der Entlehnung. Begründet wurde dies dahingehend, dass in dieser Zeit
ausschließlich der Reiter Einfluss auf das Tier hat.47 Lt Oberhofer wird durch eine
Gebrauchsüberlassung von kurzer Dauer, bspw einem Reitausflug, keine Tierhaltereigenschaft
übertragen. Allerdings weist er diesbezüglich darauf hin, dass während dieser Überlassung
Entleiher oder Mieter als Mithalter qualifiziert werden können, da sie über die Verwahrung und
Verwendung des Pferdes bestimmen können.48
       Die Lehre verneint bei einer kurzen Überlassung die Tierhaltereigenschaft und sieht eine
solche Person lediglich als Aufsichtsperson, welche von der jeweiligen Tierhalterin bzw von dem
jeweiligen Tierhalter bestellt wurde.49 Diese Ansicht vertrat der OGH auch in einer Entscheidung
1984.50 Eine etwaige Haftung aufgrund vernachlässigter Verwahrung ist aufgrund seiner
Eigenschaft daher auf § 1320 S 1 3. Fall ABGB aF zu stützen (siehe dazu Kapitel IV.B.4.).51 Als
Halterin bzw Halter können bspw auch Pächterinnen bzw Pächter, Mieterinnen bzw Mieter,
Nutzungsberechtigte            aus      einem      Viehverstellungsvertrag        und   sofern   keine   kurze
Gewahrsamsüberlassung, sondern eine längere Dauer damit verbunden ist, auch Entlehnerinnen
bzw Entlehner, qualifizieret werden.52

b) Haftung
       Breites Spektrum besteht hinsichtlich der Klassifizierung der Haftung. Im Hinblick auf die
Formulierung des § 1320 Abs 1 S 2 ABGB haftet die Tierhalterin bzw der Tierhalter, wenn ihr bzw
ihm der Beweis für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres nicht gelingt.53
Daraus ergibt sich eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr.54 Das Merkmal einer solchen
Verschuldenshaftung ist die Haftung aufgrund eines Verschuldens. Ein solches Verschulden kann
durch vorsätzliches und auch fahrlässiges Verhalten verwirklicht werden. Wie bereits im Kapitel
IV.B. erwähnt wurde, ist im ABGB grds die Verschuldenshaftung normiert. Dh die Tierhalterin bzw
der Tierhalter haftet, sofern ihr bzw ihm ein fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten bzgl der
Verwahrung bzw Beaufsichtigung ihrer bzw seiner Tiere vorgeworfen werden kann.55

47   OGH 22.06.1972, 2 Ob 68/72 = ZVR 1973/157, 216; RIS-Justiz RS0030561.
48   Oberhofer, Tierhalterhaftung im ländlichen Bereich (Teil I), ZVR 1996, 34.
49   Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320 Rz 3.
50   OGH 04.07.1984, 8 Ob 571/84 = ZVR 1985/45, 87.
51   Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320 Rz 3.
52   mwN Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 7 (Stand 1.1.2004, rdb.at).
53   § 1320 ABGB.
54   Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1320 Rz 1e.
55   RIS-Justiz RS0030291.
                                                                                                            15
Anders ist die gegenwärtige Ansicht des OGH, sowie von Koziol und Ehrenzweig. Die
Tierhalterin bzw der Tierhalter unterliegt demzufolge nicht einer (vollen) Gefährdungshaftung. Der
typischen Gefahr, die von dem Tier ausgeht, muss mit der jeweiligen objektiv gebotenen Sorgfalt
begegnet werden. Kein Kriterium spielt hierbei das subjektive Verschulden der Tierhalterin bzw
des Tierhalters, womit die Tierhalterin bzw der Tierhalter auch dann zur Haftung gezogen werden
kann, wenn kein vorsätzliches bzw fahrlässiges Verhalten vorliegt. Die objektiv gebotene Sorgfalt
ist, wie bei dem Schaden, anhand der konkreten Umstände zu treffen. Beurteilungskriterium
hierfür sind die Eigenschaften des Tieres, von denen die Tierhalterin bzw der Tierhalter weiß bzw
wissen musste. IdZ muss sie bzw er auch die dementsprechenden Verwahrungsmaßnahmen
setzen, die nach der Verkehrsauffassung angebracht und im jeweiligen Fall notwendigen sind. Bei
einer       erhöhten      ausgehenden        Gefährlichkeit       eines     Tieres      ist   mit     verschärften
Haftungsanforderungen zu rechnen.56
       Einer ähnlichen Ansicht folgt auch Reischauer, der sowohl eine volle Gefährdungshaftung als
auch eine reine Verschuldenshaftung verneint. Seiner Meinung nach ist in § 1320 Abs 1 S 2 ABGB
ein Kompromiss zwischen den beiden Haftungen normiert. Es kommt daher nicht wie bei einer
reinen Verschuldenshaftung darauf an, dass der Tierhalterin bzw dem Tierhalter ein subjektives
Verschulden vorgeworfen werden kann. Die Haftung der Tierhalterin bzw des Tierhalters soll nicht
erst bei vorsätzlichem bzw fahrlässigem Verhalten eintreten, sondern ganz unabhängig vom
Verschulden, schon anhand der nicht vorhandenen objektiv erforderlichen Sorgfalt. Allerdings soll
die Tierhalterin bzw der Tierhalter auch nicht bei jeder Schädigung ihres bzw seines Tieres haften,
wie bei der Gefährdungshaftung. Dies würde einer vollen Gefährdungshaftung entsprechen,
welche zu gravierend wäre, da Tiere oftmals unberechenbar reagieren.57
       Anders als bei einer Verschuldenshaftung ist bei der Gefährdungshaftung nicht das
Verschulden der Schädigerin bzw des Schädigers ausschlaggebend, sondern die objektive
Gefährlichkeit, einer an sich erlaubten Tätigkeit. Als klassische Beispiele hierfür sind bspw die
Teilnahme am Straßenverkehr oder das Betreiben eines Kernkraftwerkes zu nennen, welche in
den jeweiligen Sonderbestimmungen wie zB dem EKHG normiert sind.58 Schäden, die aufgrund
dieser erlaubten Gefahr resultieren, sind unabhängig eines Verschuldens zu ersetzen. Die
Gefährdungshaftung basiert rein aufgrund der Tatsache, dass für andere ein spezifisches Risiko
der Gefährdung geschaffen wurde. Schäden welche allerdings auf ein unabwendbares Ereignis
zurückzuführen oder aufgrund einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr entstanden sind, sind

56Koziol, Haftpflichtrecht II3 B/2/ Rz 88 ff (Stand 1.1.2018, rdb.at); OGH 21.01.2020, 10 Ob88/19t = VbR 2020/55,99;
Danzl in KBB6 § 1320 Rz 4 f; OGH 18.12.2009, 2 Ob 211/09g; OGH 28.06.2007, 3 Ob 110/07h, RIS-Justiz
RS0105089.
57   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 ABGB Rz 20 ff (Stand 1.1.2004, rdb.at).
58   Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 1306 Rz 1.
                                                                                                                   16
nicht von dieser Haftung umfasst.59
       Umgelegt auf die Tierhalterhaftung muss die Tierhalterin bzw der Tierhalter nach Reischauers
Ansicht unabhängig von ihrem bzw seinem Verschulden, nur für jene Schäden einstehen, welche
aus der typischen Tiergefahr resultieren und die bei Aufbringung der notwendigen Sorgfalt nicht
eingetreten wären. Dass die jeweilige Person die objektive notwendige Sorgfalt bei der
Verwahrung          bzw    Beaufsichtigung      eingehalten      hat,   muss     aufgrund   der   normierten
Beweislastumkehr die Tierhalterin bzw der Tierhalter beweisen. Gelingt dieser Beweis trotz
Einhaltung dieser Sorgfalten nicht, so haftet die betreffende Person sowohl für rechtswidriges und
schuldhaftes Verhalten als auch für rechtswidriges und schuldloses Verhalten.60

D. Mitverschulden

       Das Mitverschulden ist in § 1304 ABGB normiert und lautet wie folgt:
       § 1304 „Wenn bey einer Beschädigung zugleich ein Verschulden von Seite des Beschädigten
eintritt; so trägt er mit dem Beschädiger den Schaden verhältnißmäßig; und, wenn sich das
Verhältniß nicht bestimmen läßt, zu gleichen Theilen.“61
       Wie die Gerichtsentscheidungen des OLG und OGH zum Anlassfall im Jahr 2014 deutlich
zeigen, ist auch das jeweilige Verhalten der Wandernden für die Beurteilung der Haftung
maßgeblich. In diesem Kapitel wird auf die, idZ wesentlichen Punkte, eingegangen.
       Um ein Mitverschulden bejahen zu können, verlangt § 1304 ABGB ua, dass die Beschädigung
sowohl auf das Verschulden der Schädiger als auch der Beschädigten zurückzuführen ist.62 Es
gilt also herauszufinden, ob die Schädigung auch auf ein sorgloses Verhalten seitens des
Beschädigten zurückzuführen ist.63
       Verschulden setzt ein objektiv rechtswidriges Handeln einer Person voraus, welches dieser
auch subjektiv vorgeworfen werden kann. Es besteht allerdings keine Rechtspflicht, Verletzung
der eigenen Gesundheit bzw körperlichen Integrität zu unterlassen. Dazu fehlt es an einer
individuellen Vorwerfbarkeit. Aufgrund dieser fehlenden Rechtspflicht eigene Rechtsgüter vor
Schäden zu bewahren, kann idZ, mangels Rechtswidrigkeit, nicht von einem Verschulden, dem

59 Stegner/Merzo, Gefährdungshaftung,
https://360.lexisnexis.at/d/lexisbriefings/gefahrdungshaftung/h_80001_6042636414489921741_28e5354b79?origin=g
s&searchId=202106160342396 (abgefragt am 15. 6. 2021).
60Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1320 Rz 20 ff (Stand 1.1.2004, rdb.at); Danzl in KBB6 § 1320 Rz 4; OGH
21.01.2020, 10 Ob 88/19t = VbR 2020/55,99; RIS-Justiz RS0105089.
61   § 1304 ABGB.
62   § 1304 ABGB.
63   Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 1304 Rz 1.
                                                                                                           17
„Verschulden im technischen Sinn“ gesprochen werden. Treffender hierfür ist der Begriff der
Obliegenheitsverletzung.64 Im schadenersatzrechtlichen Sinn wird ein vorwerfbares sorgloses
Verhalten gegenüber den eigenen Rechtsgütern des Geschädigten als ausreichend erachtet, um
ein Mitverschulden zu bejahen und somit den Schadenersatzanspruch herabzusetzen. Ein
rechtswidriges Verhalten hinsichtlich der eigenen Rechtsgüter wird für die Qualifizierung als
Mitverschulden (im Gegensatz zum Verschulden) nicht verlangt.65
       Bei der Beurteilung eines Mitverschuldens seitens der Geschädigten ist neben den anderen
schadenersatzrechtlichen Voraussetzungen beginnend darauf abzustellen, ob eben diese
Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Rechtsgütern vorliegt und entweder (mit)ursächlich für den
Schaden war oder den eingetretenen Schaden zumindest erhöht hat. Maßgeblich für den
Sorgfaltsmaßstab ist, ob diese verletzte Person dieselbe Sorgfalt angewandt hat, die ein
verständiger Durchschnittsmensch in dieser konkreten Situation aufgebracht hätte, um eine
Schädigung zu verhindern oder abzuwenden.66
       Den Beweis für ein solches Mitverschulden der bzw des Geschädigten muss die Schädigerin
bzw der Schädiger erbringen.67 Infolge eines Beweises eines solchen sorgfaltswidrigen Handelns
seitens der bzw des Geschädigten, geht somit eine Kürzung des Schadenersatzanspruches der
Klägerin bzw des Klägers einher.68
       Das    Ausmaß       des     eigenen    Fehlverhaltens     wird    anhand      der    Verschuldensanteile
berücksichtigt. Je nach Verschuldensgrad bzw Sorglosigkeit fällt die Minderung des
Ersatzanspruches aus.69 Als Maßstab für die Beurteilung der Sorgfalt werden § 1297 ABGB und
§ 1299 ABGB herangezogen.70 Sofern sich das Verhältnis nicht bestimmen lässt, wird der
Schaden gemäß dem Gesetzeswortlaut zwischen den beiden Parteien gleichwertig, im Verhältnis
1:1, geteilt. Sofern die Schädigerin bzw den Schädiger allerdings ein erhöhtes Maß an
Verschulden trifft und den bzw der Geschädigten lediglich ein geringes Mitverschulden, so vertritt
die hA, dass das Mitverschulden der bzw des Geschädigten gänzlich in den Hintergrund tritt.71

64Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.06 § 1304 ABGB Rz 9 (Stand 1.5.2020, rdb.at); RIS-Justiz
RS0022681; Karner in KBB6 § 1304 Rz 1; Koziol, Haftpflichtrecht I4 C/9/ Rz 21 ff (Stand 1.4.2020, rdb.at); OGH
07.09.1936, 2 Ob 628/36 = RIS-Justiz RS0038079; RS0027237.
65   Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1304 ABGB Rz 9 (Stand 1.5.2020, rdb.at).
66 Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1304 ABGB Rz 10 ff (Stand 1.5.2020, rdb.at); Harrer/Wagner
in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1304 Rz 21; OGH 04.05.2006, 9Ob3/06s.
67   Karner in KBB6 § 1304 Rz 11; OGH 26.04.1991, 2 Ob 14/91; OGH 19.09.1996, 2 Ob 2264/96x.
68   Karner in KBB6 § 1304 Rz 1.
69Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1304 ABGB Rz 16 (Stand 1.5.2020, rdb.at); Karner in KBB6 §
1304 Rz 4.
70   Karner in KBB6 § 1304 Rz 1; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1304 ABGB Rz 1.
71   Karner in KBB6 § 1304 Rz 4.
                                                                                                                  18
Gesetzt des Falles, dass die geschädigte Person verstorben ist, haben sich die
Hinterbliebenen va hinsichtlich des Ersatzes auf entgangenen Unterhalts gem § 1327 ABGB
dieses Mitverschulden anzurechnen.72 Nach neuerer Ansicht des OGH gebührt den Angehörigen
bei dem Vorliegen von Schock- und Trauerschäden ein Ersatz.73
       Wie auch die Entscheidungen des OLG und OGH des Anlassfalles zeigen, treffen zwar die
Tierhalterin bzw den Tierhalter zahlreiche Pflichten hinsichtlich der Verwahrung und
Beaufsichtigung ihrer bzw seiner Tiere, allerdings ist ein sorgloses Verhalten der bzw des
Geschädigten gegenüber ihrer bzw seinen Rechtsgütern ebenfalls mitzuberücksichtigen.
       Anders       verhält      sich     die    Sorglosigkeit        in   eigenen   Angelegenheiten   zu   der
Schadensminderungsobliegenheit. Auch wenn diese ebenfalls unter § 1304 ABGB subsumiert
wird, gibt es zahlreiche Unterscheidungen hinsichtlich der Sorglosigkeit gegenüber den eigenen
Rechtsgütern.
       Wie im Begriff der Schadensminderungsobliegenheit bereits enthalten, handelt es sich hierbei
um die Obliegenheit, also die Pflicht der geschädigten Person, den jeweiligen eingetretenen
Schaden vom Ausmaß so gering wie möglich zu halten.74 Dh jegliche schuldhaften Handlungen,
die diesen eingetretenen Schaden vergrößern, sind zu unterlassen.75
       Ein weiterer Unterschied existiert auch hinsichtlich der rechtlichen Folgen. Hierbei kommt es
nicht zu einer Verschuldensteilung, sondern die bzw der Geschädigte muss für jene Folgen, die
aus der Obliegenheitsverletzung resultieren selbst aufkommen.76 Die Beweisführung für die
Missachtung der Schadenminderungsobliegenheit liegt, wie auch bei der Sorglosigkeit in eigenen
Angelegenheiten, bei der Schädigerin bzw dem Schädiger.77

E. Warn- und Verwahrungspflicht vor dem HaftRÄG 2019

       Resultierend aus der Haltereigenschaft treffen die Tierhalterinnen und Tierhalter Warn- und
Verwahrungspflichten. In den letzten Jahren wurden zahlreiche gerichtliche Entscheidungen
hinsichtlich der konkreten Verwahrung und Beaufsichtigung der Weidetiere gefällt. Im Bezug zu

72Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1304 ABGB Rz 5 (Stand 1.5.2020, rdb.at); Harrer/Wagner in
Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1304 Rz 6a; Danzl in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB6 (2020)
§ 1327 Rz 10; RIS-Justiz RS0027341; RS0026892.
73   Koziol, Haftpflichtrecht II3 A/5/ Rz 182 (Stand 1.1.2018, rdb.at).
74   Karner in KBB6 § 1304 Rz 9.
75   Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1304 ABGB(Stand 1.5.2020, rdb.at) Rz 97.
76   Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1304 ABGB Rz 38.
77   Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1304 ABGB Rz 98 (Stand 1.5.2020, rdb.at).
                                                                                                             19
den erforderlichen Maßnahmen wurde insb das Aufstellen von Warnschildern oft thematisiert.

1. Frühere Entscheidungen im Bereich der Alm- und Weidetiere

a) OGH 28.06.2007, 3 Ob 110/07h:
       Eine erstmals wegweisende Entscheidung diesbezüglich wurde vom OGH im Jahr 2007
getroffen (3 Ob 110/07h). Der für Wandernde vorgesehene Weg befand sich auf einer mit Kühen
bewirtschafteten Alm. Da die Alm eingezäunt war, mussten zwei Tore geöffnet werden, um auf
den Wanderweg zu gelangen. Der beklagte Landwirt hatte im Jahr 2001 Schilder an die Gatter,
mit der Aufschrift: „Achtung, Hunde an die Leine.“ angebracht. Nach den Feststellungen des
Gerichts kam es im Sommer 2004 mehrmals zu Angriffen von Kühen auf Wandernde und deren
angeleinten Hunde. Auch im betreffenden Fall hat der Kläger seine Hunde an der kurzen Leine
geführt und wurde dennoch von den Kühen angegriffen.
       Das Erstgericht, LG Klagenfurt, beurteilte das Geschehen dahingehend, dass man trotz der
vorherigen Angriffe der Kühe nicht von aggressiven Tieren sprechen kann und daher eine
Einzäunung des Weges auf der Alm nicht üblich und zumutbar ist. Anderer Ansicht war hier das
Berufungsgericht OLG Graz, die das Urteil des Erstgerichts zur Verfahrensergänzung aufhob. Das
Berufungsgericht sah aufgrund der vorhergehenden Attacken der Kühe sehr wohl eine
Gefahrenquelle und damit einhergehend einen Handlungsbedarf seitens des Tierhalters. Das
Aufstellen der Schilder nur mit dem Hinweis die Hunde anzuleinen, sah das Rechtsmittelgericht
nicht als ausreichende Maßnahme an. Ein Mitverschulden des Wanderers wurde idF nicht
zuerkannt, da dieser die Anweisungen des vom Landwirt angebrachten Hinweisschildes befolgt
hat und beide Hunde an die Leine nahm.
       In der rechtlichen Beurteilung nahm der OGH einleitend Stellung zu den allgemeinen
Grundsätzen, die von der Rsp vertreten werden. Genannt wird bspw, dass grds keine
Einzäunungspflicht für den Weg in einem Weidegebiet von Kühen besteht.78 Eine solche
Abzäunung wird als nicht zumutbar und üblich angesehen. Aggressive Tiere sind allerdings zu
separieren, sodass diese nicht den Wanderweg und somit auch die Gesundheit der Wandernden
gefährden können. Ein anderer Aspekt betrifft den Umstand, dass diese Pflichten gem
§ 1320 ABGB immer einzelfallbezogen beurteilt werden müssen.79
       Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bei der rechtlichen Beurteilung des Falles, wurde
festgehalten, dass die Kühe aufgrund der mehrmaligen Angriffe auf Wandernde eine
Gefahrenquelle für die menschliche Integrität darstellen und der Tierhalter diesbezüglich hätte
handeln müssen. Der OGH beurteilte idF nicht, ob den Tierhalter nach der ersten Attacke eine

78   RIS-Justiz RS0030039.
79   RIS-Justiz RS0030157; RS0030567.
                                                                                               20
etwaige Pflicht bestand den Wanderweg einzuzäunen. Vielmehr lag das Augenmerk auf dem
bestehenden Warnschild. Zu diesem stellte der OGH fest, dass ein solches aufgrund der
konkreten Umstände zwar notwendig war, aber inhaltlich, im Hinblick der Zweckmäßigkeit, nicht
ausreichte, denn die Wandernden wurden nur dazu angehalten die Hunde anzuleinen.
       Anders als der Landwirt vertrat der OGH die Ansicht, dass nicht jede Hundehalterin bzw jeder
Hundehalter weiß, dass auch angeleinte Hunde die Kühe zu einem aggressiven Verhalten
verleiten können. Der Wanderer konnte aufgrund des Schildes davon ausgehen, dass das
Anleinen des Hundes ausreichen würde, um keinen Angriff einer Kuh herauszufordern. Der
Zusammenhang zwischen der Auswirkung einer Begegnung mit einem Hund und Mutterkühen,
unabhängig einer Leinenführung war aus diesem Schild nicht klar ersichtlich. Nach den
mehrmaligen Attacken der Kühe auf angeleinte Hunde ist das Anleinen zudem als offensichtlich
unzureichende Maßnahme zu qualifizieren. Als ausreichende Aufschrift für ein solches
Hinweisschild nannte der OGH folgendes: „Achtung Mutterkühe, Mitführen von Hunden nur auf
eigene Gefahr.“ Hierbei wäre dem Wanderer auch mit angeleintem Hund verständlich gewesen,
dass trotz Leinenführung eine Gefahr seitens der Mutterkühe bestehen bleibt. Durch das
Unterlassen einer hinreichenden Warnung durch den beklagten Landwirt wurde der notwendigen
Verwahrung bzw Beaufsichtigung gem § 1320 S 2 ABGB aF nicht Sorge getragen, welche ihm
aber zweifellos zumutbar gewesen wäre. Infolgedessen scheiterte der ihm obliegende
Freibeweis.80

b) OGH 14.02.2013, 5 Ob 5/13s:
       Anders fiel die Entscheidung und Begründung zu einem Kuh-Angriff im Jahr 2013 aus
(5 Ob 5/13s). IdF handelte es sich um einen Angriff von Pinzgauer Kühen, deren Rasse für ihre
Gutmütigkeit bekannt ist und sich seit 1947 kein Vorfall dieser Art ereignet hat.
       Eingangs führt der OGH erneut die wesentlichen Punkte der Haftungsmerkmale gem
§ 1320 ABGB aF aus. Die jeweilige Betrachtung des Einzelfalles81 und das konkrete Abstellen auf
die Gefährlichkeit, Schädigungswahrscheinlichkeit und Interessensabwägung der jeweiligen Tiere
spielen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der notwendigen Verwahrung bzw
Beaufsichtigung.82 Ebenso wird eine allgemeine Pflicht zum Aufstellen eines Zaunes abgelehnt83
und die Zumutbarkeit und Üblichkeit für eine derartige Abzäunung eines Wanderweges auf einer
Almweide verneint. In Bezugnahme auf die Entscheidungen 8 Ob 91/02v und 3 Ob 110/07h stellt

80   OGH 28.06.2007, 3 Ob 110/07h.
81   RIS-Justiz RS0030567; RS0030157.
82   RIS-Justiz RS0030081.
83   RIS-Justiz RS0030039.
                                                                                                 21
Sie können auch lesen