Bosnien-Herzegowinas (un)mögliche Wahl: Eine rechtspolitische Analyse - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Bosnien-Herzegowinas (un)mögliche Wahl: Eine rechtspolitische Analyse - Konrad-Adenauer-Stiftung
Januar 2019

Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa

    Bosnien-Herzegowinas (un)mögliche
    Wahl: Eine rechtspolitische Analyse

Hartmut Rank, Dr. Mahir Muharemovic

In Bosnien und Herzegowina (BuH) fanden im Oktober 2018 Wahlen statt. Gewählt wurden (1) die drei,
verschiedenen Ethnien zugehörigen, Mitglieder der Präsidentschaft, (2) das gesamtstaatliche Parlament
von BuH, (3) das Parlament der Entität: Föderation von BuH, (4) die Versammlung der 10
Kantonsparlamente in der Föderation, (5) der Präsident und der Vizepräsident der Entität: Republik
Srpska (RS) sowie (6) die Nationalversammlung der RS. Jedoch wäre es zutreffender zu sagen, dass die
Wahlen in BuH auch jetzt noch nicht ganz abgeschlossen sind, da das Parlament von BuH und das
Parlament der Föderation von BuH immer noch nicht vollständig konstituiert sind. Wie kann es sein,
dass die Wahlen immer noch andauern, obwohl sie doch im Oktober 2018 stattfanden? Die Antwort ist
im komplexen Wahlrecht in BuH und in einer Entscheidung des bosnischen Verfassungsgerichts zu
finden. Nachfolgend stellen wir kurz das komplexe Wahlrecht und danach eine (umstrittene)
Entscheidung des Verfassungsgerichts dar.

Ein (zu) kompliziertes Staatsgebilde                     Gerichtsorganisation. Hingegen ist die
                                                         „Föderation von BuH“ ihrerseits noch einmal
Das Wahlrecht von BuH ist eine Reflexion der             unterteilt in zehn Kantone. Zunächst hat die
Struktur des bosnischen Staatsaufbaus. BuH               Föderation von Bosnien und Herzegowina eine
besteht aus zwei Entitäten (der „Föderation von          eigene Regierung der Föderation, das Parlament
BuH“ einerseits und der „Republika Srpska“               der Föderation und das Verfassungsgericht sowie
              1
andererseits) . Daneben existiert noch der recht         den Obersten Gerichtshof der Föderation.
kleine, nach einer Stadt benannte „Distrikt Brcko“       Zusätzlich hat jeder der Kantone seinerseits eine
(ein Gebiet mit besonderer Selbstverwaltung in           eigene Verfassung, eine eigene Regierung, ein
      2
BuH) . Der Gesamtstaat BuH verfügt über ein              eigenes Parlament und eigene Gerichte. Bosnien
Zweikammernparlament, einen Ministerrat als              und Herzegowina mit seinen 3,5 Millionen
gesamtstaatliche Regierung, eine ethnisch                Einwohner verfügt somit folglich insgesamt über
geprägte Präsidentschaft (dessen drei Mitglieder         14 Teilgebiete mit 14 Regierungen und 14
je einer der drei dominierenden Volksgruppen             Parlamenten (Gesamtstaat, zwei Entitäten, ein
der Bosniaken, Kroaten oder Serben angehören)            Sonderdistrikt, zehn Kantone).
sowie ein Staatsgericht. Bei den Entitäten handelt
es sich um föderale Einheiten                            In den Kantonen selbst leben mehrheitlich
(Gebietskörperschaften) mit jeweils eigener              Bosniaken und Kroaten (in fünf Kantonen bilden
Verfassung, Legislative, Exekutive und Judikative,       die Bosniaken die absolute Mehrheit, in drei die
wobei die innere Organisation dieser beiden Teile        Kroaten und in zwei Kantonen gibt es keine
                                                                                          3
grundlegend verschieden ist. Die (mehrheitlich           absolute Mehrheit einer Ethnie. Diese Daten
von Serben bewohnte) „Republika Srpska“ ist              sind wichtig, da die Kantone eine zentrale Rolle
eine sehr zentralisierte Einheit mit einer               bei der Verteilung der Sitze der Abgeordneten im
Regierung, einem Parlament und eigener

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                                                          Daten übernommen vom Amt für Statistik der
1
  Siehe Artikel I.3 der Verfassung von BuH               Föderation von BuH. Einsehbar auf :
2
  Siehe Artikel VI.4 der Verfassung von BuH (eingefügt   http://fzs.ba/index.php/popis-stanovnistva/popis-
durch eine Änderung der Verfassung aus dem Jahr          stanovnistva-2013/konacni-rezultati-popisa-2013/
2009)
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                               Januar 2019     2

Oberhaus des Parlaments der Föderation von
BuH einnehmen.                                      Aber zuerst gewähren wir einen kurzen
                                                    Überblick über das existierende Wahlsystem von
Generell ist die gesamte verfassungsrechtliche      BuH und der Föderation von BuH, beschränkt auf
                                                                   4
Struktur von BuH darauf ausgelegt, eine Balance     die Legislative . In BuH ist die Zentrale
der Machtverhältnisse zwischen den drei             Wahlkommission (ZWK) zuständig für die
dominierenden Ethnien (Bosniaken, Kroaten und       Durchführung der Wahlen. Das Wahlrecht ist
Serben) zu erhalten und zu verhindern, dass eine    teilweise in den drei Verfassungen von BuH, der
der Ethnien über die anderen dominiert. Dazu        Föderation von BuH und der Republika Srpska
wurden entsprechende Institutionen sowie            festgeschrieben, außerdem im „Wahlgesetz von
Verfahren geschaffen (insbesondere                  BuH“ und dem „Wahlgesetz der Republika
weitgehende Vetorechte eingeführt und das           Srpska“. Das Parlament von BuH besteht aus zwei
Wahlrecht so konzipiert, dass jede dieser Ethnien   Kammern (Ober- und Unterhaus). Das
einen Anteil der Macht in BuH erhält). Kritiker     „Repräsentantenhaus“ genannte Unterhaus
führen eine Dysfunktionalität von BuH auf die       besteht aus 42 direkt gewählten Repräsentanten
Komplexität der verfassungsrechtlichen Struktur     (2/3 aus der Föderation von BuH, 1/3 aus der
zurück.                                             Republika Srpska). Die meisten
                                                    Mehrheitsentscheidungen bedürfen aber der
                                                    Zustimmung von mindestens 1/3 der Stimmen
Das Wahlrecht zwischen ethnischer                   aus beiden Entitäten.
und bürgerlicher Repräsentation
                                                    Die (für diese Untersuchung) wichtigere Kammer
Wie erwähnt, ist das Wahlrecht von BuH ein          des bosnischen Parlaments ist das Oberhaus, das
Spiegelbild der durch die Verfassung                „Haus der Völker“. Wie der Name schon nahelegt,
vorgegebenen Struktur des Gesamtstaats. Als         sind in dieser Kammer die konstitutiven Völker
solches hat es die delikate Aufgabe, eine gesunde   vertreten. Sie besteht aus 15 indirekt gewählten
Balance zwischen den kollektiven ethnischen         Mitgliedern, wobei aus der Föderation von BuH 5
Interessen zu schaffen, gleichzeitig aber auch      Bosniaken und 5 Kroaten und aus der Republika
einen Ausgleich zwischen individuellen              Srpska 5 Serben delegiert werden. Die 5
(bürgerlichen) Rechten und kollektiven              Bosniaken werden von den bosniakischen, die 5
(ethnischen) Interessen. Diese Ambivalenz kann      Kroaten von den kroatischen Mitgliedern des
man auch an der Konzeption des Souveräns            Hauses der Völker der Föderation von BuH
ablesen: In den meisten Demokratien geht alle       gewählt. Die Volksversammlung der Republika
staatliche Gewalt vom Volk aus. In Bosnien und      Srpska wählt die 5 Serben. Wie zu erkennen ist,
Herzegowina ist die Konzeption des Staatsvolkes     hat das Oberhaus des Parlaments der Föderation
eine andere, da hier das Staatsvolk, laut           von BuH eine wichtige Rolle bei der
Präambel der Verfassung von BuH, aus                Zusammensetzung des Oberhauses des
konstitutiven Völkern (Bosniaken, Kroaten und       Parlaments von BuH (es wählt 10 der 15
Serben) und „Anderen“ (also Minderheiten und        Delegierten). Die grundlegende Struktur des
Nicht-Assoziierte) sowie den Bürgern von BuH        Parlaments von BuH findet man auch im
besteht. Folglich müssen im Wahlrecht von BuH       Parlament der Föderation von BuH. Auch das
eine entsprechende Repräsentation der               Parlament der Föderation von BuH besteht aus
konstitutiven Völker, der „Anderen“ und der         zwei Kammern: einem Oberhaus (ebenfalls „Haus
Bürger gewährleistet sein. Darin liegt auch das     der Völker“ genannt) und einem Unterhaus
wesentliche Problem: Wie kann man alle diese        (ebenfalls „Repräsentantenhaus“ genannt). Der
Anforderungen erfüllen, ohne die Rechte anderer     Unterschied zum Oberhaus des Parlaments von
zu beeinträchtigen? Mit dieser Frage hat sich       BuH besteht in der Anzahl der Delegierten sowie
schon mehrfach das Verfassungsgericht von BuH       auch in der Repräsentation der anderen Völker
beschäftigt, insbesondere in einer wichtigen
Entscheidung aus dem Jahr 2016. Dazu sogleich       4
                                                      Im Weiteren wird sich unsere Analyse nicht mit dem
ausführlich.                                        Wahlrecht, das auf die Republika Srpska anwendbar ist
                                                    beschäftigen.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                      Januar 2019     3

im Oberhaus der Föderation. Es besteht aus 58           spürbar geworden. Durch diese Entscheidung
Delegierte (jeweils 17 Delegierte aus jedem             wurden zwei zentrale Artikel des Wahlgesetzes
konstitutiven Volk und 7 Delegierte aus dem             für teilweise verfassungswidrig erklärt und haben
                            5
Kontingent der „Anderen“ ). Diese Delegierten           ihre rechtliche Wirkung verloren: Zum einen
                                                                                     8
werden ebenfalls indirekt gewählt, von den              betrifft dies Artikel 20.16 A , eine Vorschrift,
Versammlungen der Kantone. Damit haben die              welche die Anzahl der Abgeordneten zum
kantonalen Versammlungen die Schlüsselrolle in          Oberhaus der Föderation aus jedem Kanton
der Konstituierung des Oberhauses der                   sowie aus jedem konstitutiven Volk geregelt hat.
Föderation. Die Anzahl der Delegierten aus jedem        Zum anderen Artikel 10.12 Absatz 2, wonach
Kanton im Oberhaus der Föderation ist                   jedem konstitutiven Volk mindestens ein
proportional zur Bevölkerung des Kantons. Die           Delegierter pro Kanton zustand.
Anzahl der aus dem Kontingent eines jeden
Kantons zu wählenden, den verschiedenen                 Das Verfassungsgericht hat nun bestimmte Teile
konstitutiven Völkern angehörenden Delegierten          dieser Vorschriften beanstandet. Dazu ist es
ist proportional zur ethnischen Struktur im             wichtig, zu erwähnen, dass Artikel 20.16 A eine
jeweiligen Kanton. Dies alles wurde, bis zu einer       Übergangsnorm ist. Er regelt die Verteilung der
grundlegenden Entscheidung des                          Sitze nur befristet, bis Annex 7 des Dayton-
                                                                      9
Verfassungsgericht von BuH aus dem Jahr 2016,           Abkommens vollständig umgesetzt ist. Erst
anhand der Daten der Volkszählung von 1991              wenn dies der Fall ist (wobei noch keine
bestimmt: jeder Kanton musste mindestens                kompetente Institution in BuH öffentlich diese
einen Delegierten aus jedem konstitutiven Volk          Voraussetzung als erfüllt ansieht), werden Regeln
delegieren, falls dieses Volk in der kantonalen         des Wahlgesetzes von BuH, welche die Anzahl
Versammlung repräsentiert ist. Die                      der zu wählenden Delegierten pro Kanton für das
Repräsentanten einer Ethnie (bzw. der Gruppe            Oberhaus der Föderation vorschreiben (Artikel
der „Anderen“) in einer kantonalen Versammlung          10.12), angewendet.
wählen nur die Abgeordneten aus den Reihen
                       6
ihrer eigenen Ethnie. Nach geltendem Recht,             In dieser Situation hat das Verfassungsgericht nur
konkret Artikel 10.13 des Wahlgesetzes von BuH,         die Artikel 20.16 A, Abs. 2 Buchstaben (a) bis (j)
hätten die Delegierten aus allen Kantonen               des Wahlgesetzes als verfassungswidrig
spätestens einen Monat nach der Bestätigung             angesehen (also die konkrete Verteilung der Sitze
der Resultate der Direktwahlen für die                  pro konstitutivem Volk pro Kanton), nicht aber
kantonalen Versammlungen gewählt werden                 die Übergangslösung als Ganzes angefochten.
müssen. Das ist bisher nicht in allen Kantonen          Das heißt, dass bis auf weiteres der Artikel 20.16.
geschehen, weswegen das Oberhaus der                    A weiter angewendet wird, bis Annex 7 des
Föderation bis jetzt (drei Monate nach der Wahl)        Dayton-Abkommens erfüllt ist.
noch nicht konstituiert ist.
                                                        Das Problem besteht darin, dass nun diesem
                                                        Artikel das zentrale Element fehlt, nämlich die
Das Verfassungsgericht stärkt das                       konkrete Sitzverteilung und nur noch die Absätze
Prinzip der ethnischen Legitimität                      1 und 2 in Kraft sind. Diese verbleibenden

Obwohl eine weitreichende Entscheidung des
                                                        8
                                                          Artikel 20.16 A Paragraph 2 Punkt a. bis j. des
Verfassungsgerichts von BuH zum Wahlrecht
                                        7               Wahlgesetzes
bereits im Dezember 2016 (Nr. U-23/14)                  9
                                                           Annex 7 (Vereinbarung         über Flüchtlinge und
getroffen wurde, sind die Folgen dieser                 Vertriebene)     ist   ein   Teil   der      Allgemeinen
Entscheidung erst bei der Wahl im Oktober 2018          Rahmenvereinbarung für den Frieden in Bosnien und
                                                        Herzegowina (Dayton–Abkommen) und hat als Ziele,
                                                        einerseits die sichere Rückkehr aller Flüchtlinge und
5
  Siehe Artikel IV.A /6 der Verfassung der Föderation   Vertriebenen in ihre Wohnorte aus dem Jahr 1991 (vor
von BuH und Artikel 10.10 des Wahlgesetzes von BuH      den ersten Kriegshandlungen), und andererseits die
6
  Siehe Artikel IV.A /8 der Verfassung der Föderation   Rückgabe des Eigentums bzw. die Zahlung von
von BuH und Artikel 10.11 des Wahlgesetzes von BuH      Reparationen für solches Eigentum, das nicht
7
  Abrufbar unter : http://www.ustavnisud.ba/odluke/     zurückgegeben werden kann.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                    Januar 2019     4

Bestimmungen regeln nur, dass bis zur                 einer Volksgruppe (z.B. Kroaten) sich stark
Abhaltung einer neuen Volkszählung die Zahlen         unterschied. Dies war mit den bisherigen
der Volkszählung 1991 als Grundlage für die           Lösungen im Wahlgesetz nicht möglich, da als
Sitzverteilung im Oberhaus der Föderation             Grundlage der Sitzverteilung pro Kanton die
genommen werden. Eine neuere Volkszählung             Volkszählung aus dem Jahr 1991 genommen
fand im Jahr 2013 statt, deren Daten nun              wurde. So konnte es passieren, dass z.B. in einem
insbesondere durch die Zentrale                       Kanton, in welchem inzwischen eine bosniakische
Wahlkommission verwendet werden.                      Mehrheit lebt, die gleiche Anzahl von kroatischen
                                                      und bosniakischen Delegierten gewählt
                                                               13
                                                      werden . Es ist sogar theoretisch möglich – dies
Urteilsgründe                                         hat auch das Verfassungsgericht angemerkt –
                                                      dass selbst wenn nur ein einzelnes Mitglied einer
Nun zum Kern der Entscheidung des                     Ethnie in diesem Kanton lebt und in der
Verfassungsgerichts von 2016: Im Wesentlichen         kantonalen Versammlung sitzt, dieser Kanton
hat das Gericht festgestellt, dass die bislang        einen Delegierten ins Oberhaus aus dieser Ethnie
vorgeschriebene Sitzverteilung der konstitutiven      delegiert. Die Anwendung der
Völker in den Kantonen gegen das                      Verfassungsgerichtsentscheidung von 2016
Verfassungsprinzip der Gleichheit der                 bedeutet aber auch die endgültige ethno-
konstitutiven Völker verstößt. Dazu gehören auch      nationale „Territorialisierung“ und
die bisher im Wahlgesetz festgeschriebenen            Machtverteilung auf dieser Grundlage. Dies
                                             10
Mindestquoten für die konstitutiven Völker . Das      bedeutet auch indirekt die Bestätigung der Art
Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass         und Weise, wie es zu diesen demographischen
das Oberhaus der Föderation nicht die                 Verschiebungen gekommen ist. In der Praxis
Repräsentation der Kantone, sondern die               würde dies bedeuten, dass Sitze, welche früher
                                               11
Repräsentation der konstitutiven Völker sei.          aus „multiethnischen urbanen Regionen besetzt
Daher müssten die gewählten Delegierten im            wurden, jetzt von Regionen besetzt werden, die
                                                                                             14
Oberhaus der Föderation die Bevölkerung des           politisch und ethnisch homogen sind.“
jeweiligen Kantons widerspiegeln. Die                 Die bosnischen Parlamentarier hatten es nicht
Delegierten eines jeden konstitutiven Volkes          geschafft, bis zur Ausrufung der
müssten ihre Legitimität in den kantonalen            Parlamentswahlen im Mai 2018 das Wahlgesetz
Versammlungen von den Repräsentanten ihrer            in diesen Teilen zu ändern, um die Entscheidung
eigenen Ethnie bekommen, die wiederum direkt          des Verfassungsgerichts vom Dezember 2016
von allen Bürgern eines Kantons unter                 umzusetzen. Deswegen wurden die Wahlen im
                                                 12
Berücksichtigung der Ethnie gewählt werden.           Oktober 2018 auf der Basis eines unvollständigen
Im Endeffekt soll sichergestellt werden, dass die     Wahlgesetzes abgehalten. Es besteht nun eine
Kantone mit einer Bevölkerungsmehrheit einer          rechtliche Lücke, die es unmöglich macht, das
Ethnie auch die meisten Delegierten dieser            Oberhaus der Föderation von BuH zu
Ethnie ins Oberhaus der Föderation entsenden          konstituieren.
und dass somit auch das Prinzip des gleichen
Wertes einer Stimme erfüllt wird. Bisher hatte
eine Stimme in einigen Kantonen ein größeres          Probleme und Folgen der nicht
Gewicht als in anderen: Zum Beispiel hatten           funktionierenden Legislative in der
bislang verschiedene Kantone die gleiche Anzahl       Föderation von BuH
von Delegierten zum Oberhaus, obwohl die
Anzahl der in diesen Kantonen lebenden Bürgern

                                                      13
10
   Artikel 10.12. Paragraph 2: mindestens ein            Siehe z.B. die Verteilung im Kanton 5 im Punkt e. des
Delegierter aus jedem konstitutiven Volk pro Kanton   Paragraphen 2 des Artikels 20.16 A des Wahlgesetzes
                                                      14
11
   Siehe Paragraph 50 der Entscheidung der               Wortlaut im Artikel aufrufbar auf :
Verfassungsgerichts (U-23/14)                         http://www.balkaninsight.com/en/article/a-virtual-coup-
12
   Siehe Paragraph 51 bis 52 der Entscheidung der     in-bosnia-12-23-2018
Verfassungsgerichts (U-23/14)
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                                                       Januar 2019     5

Die Folgen der Entscheidung und ihrer                    ethnische Legitimität der Delegierten achten und
Nichtumsetzung sind sehr tiefgreifend für die            damit die jetzigen realen demographischen
Funktionalität der Föderation von BuH, aber auch         Gegebenheiten akzeptieren muss. Eine andere
für ganz BuH. Wie erwähnt, kann momentan das             Frage ist, welches Organ die Entscheidung des
Oberhaus der Föderation nicht vollständig                Verfassungsgerichts durchsetzen kann. Eigentlich
besetzt werden. Das Oberhaus der Föderation              steht in der Verfassungsgerichtsentscheidung,
hat das gleiche Gewicht wie das Unterhaus der            dass das Parlament von BuH diese Entscheidung
Föderation: Ein Gesetz muss im gleichen Wortlaut         durchsetzen sollte, da ja auch das Wahlgesetz
zwingend beide Kammern passieren. Daher ist              von BuH im Parlament von BuH verabschiedet
                                                                17
derzeit auch die Legislative der Föderation              wurde . Allerdings hat das Parlament von BuH
paralysiert. Dasselbe gilt auch für die Legislative      dies bis heute nicht getan und es ist rechtlich
auf gesamtstaatlichem Niveau, da ja das                  fraglich (sowie politisch fast unmöglich), ob das
Oberhaus der Föderation 10 der 15 Delegierten            Parlament von BuH jetzt überhaupt eine
zum Oberhaus von BuH wählt.                              Gesetzesänderung verabschieden kann,
                                                         besonders da dies rückwirkend erfolgen müsste.
Die Folgen in der Föderation sind noch                   Das neu gewählte Parlament wurde noch nicht
gravierender, da hier auch das Oberhaus eine             vollständig besetzt, da das Oberhaus nicht
wichtige Rolle bei der Wahl des Präsidenten und          besetzt ist. Besonders pikant ist auch die
                              15
der zwei Vize-Präsidenten hat und der                    Tatsache, dass die Mindestquoten der
Präsident, mit dem Einverständnis der beiden             konstitutiven Völker in den Kantonen (zur
Vize-Präsidenten, seinerseits die Regierung der          Erinnerung: jeder Kanton muss mindestens einen
                     16
Föderation ernennt. Somit ist auch die                   Delegierten aus jedem konstitutiven Volk zum
Formierung einer neuen Exekutive der                     Oberhaus der Föderation wählen) auch in der
Föderation, die die Machtverhältnisse im                 Verfassung der Föderation von BuH verankert
Parlament widerspiegelt, blockiert. Die jetzige          sind (Artikel IV.A/8), also gerade die Lösung, die
Regierung hat nur ein technisches Mandat. Es             vom Verfassungsgericht von BuH im Wahlgesetz
kann auch kein Haushalt verabschiedet werden,            von BuH als verfassungswidrig angesehen wurde.
was zum totalen finanziellen Kollaps der                 Diese Lösung ist also weiterhin in der Verfassung
Föderation führen kann. Ähnliches, aber in               der Föderation verankert, im Wahlgesetz von
abgeschwächter Form, droht auch auf dem                  BuH aber nicht mehr. In der Zwischenzeit wurde
gesamtstaatlichen Niveau. Schließlich drohen             auch der Artikel IV.A/8 der Verfassung der
auch den Kantonen wegen des                              Föderation von BuH vor dem Verfassungsgericht
Nichtfunktionierens der Exekutive in der                 von BuH angefochten. Wann eine Entscheidung
Föderation finanzielle Probleme.                         in dieser Sache getroffen wird, ist noch ungewiss.
                                                         Jedoch bliebe selbst nach einer möglichen
                                                         Entscheidung, dass auch die relevanten Artikel
Ein Ausblick: Mögliche Lösungen                          der Verfassung der Föderation nicht im Einklang
                                                         mit der Verfassung von BuH stünden, noch
Wie und wann diese Verfassungskrise                      immer das Problem, wie man das Oberhaus der
überwunden wird, ist noch offen. Eines ist sicher,
die Verfassungsgerichtsentscheidung von 2016             17
                                                            Es gibt auch Positionen die bezweifeln überhaupt die
hat Tatsachen geschaffen und es gibt kein Zurück         Kompetenz des Parlaments von BuH ein Wahlgesetz zu
mehr. Jede angebotene Lösung muss sich an                verabschieden das auch die Wahlregeln für die Wahl
                                                         der Institutionen der Föderation beinhaltet, da so eine
dieser Entscheidung orientieren, falls sie vor
                                                         Kompetenz nicht explizit in der Verfassung von BuH
dem Verfassungsgericht bestehen möchte. Das              verankert ist.     Jedoch, man muss hier (nur kurz)
heißt, dass man bei der Verteilung der Sitze der         festhalten das dass Parlament seine Kompetenz in
konstitutiven Völker in den Kantonen auf die             dieser Materie direkt aus dem Annex 3 des Dayton-
                                                         Abkommens im Verbund mit Artikel III/5 der Verfassung
                                                         von BuH bezieht (siehe die Meinung der Venezianischen
15
   Siehe die Prozedur im Artikel IV B/1 der Verfassung   Kommission                         auf                 :
der Föderation von BuH                                   http://www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL-
16
   Siehe Artikel IV B/2 der Verfassung der Föderation    AD(2016)024-e) aber auch indirekt aus dem Artikel IV/4
von BuH                                                  der Verfassung von BuH.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                           Januar 2019   6

Föderation verfassungskonform besetzen kann.
Einen Versuch, das Problem zu lösen, hat die
Zentrale Wahlkommission von BuH (ZWK)
                              18
unternommen. Mit einem Akt vom Dezember
2018 hat sie eine Neuverteilung der Sitze der
Delegierten aus jedem Kanton zum Oberhaus der
Föderation vorgeschrieben, basierend auf den
Daten der letzten Volkszählung aus dem Jahr
2013. Damit hat die ZWK die
Verfassungsgerichtsentscheidung ohne eine
Wahlgesetz-Änderung teilweise umgesetzt. Diese
Lösung wurde auch von der Europäischen Union
und den Vereinigten Staaten unterstützt, jedoch
nicht vom Büro des Hohen Repräsentanten in
BuH. Dies scheint der eleganteste, jedoch ein
rechtlich bedenklicher Ausweg zu sein. Die
Zentrale Wahlkommission hat nicht die
Befugnisse eines Gesetzgebers und auch im
Wahlgesetz gibt es keine klare Befugnis der ZWK,
                                  19
solch einen Akt zu verabschieden . Unter
anderem aus diesem Grund wurde dies dem
Verfassungsgericht von BuH zur Prüfung
vorgelegt. Eine Entscheidung steht noch aus und
                        20
wird in Kürze erwartet.
Somit bliebe nur noch die rechtlich „sauberste“
und schnellste Lösung diese Verfassungskrise zu
überbrücken: eine Intervention des Hohen
Repräsentanten der Internationalen
Gemeinschaft (HR) gemäß dem Dayton-
Abkommen und den daraus folgenden Bonner
Befugnissen. Der HR ist befugt, die Verfassung
der Föderation sowie das Wahlgesetz nach
Belieben abzuändern. Dies würde allerdings die
Frage aufwerfen, wozu BuH Parlamente hat und
ob der derzeitige Verfassungsrahmen Bosnien
und Herzegowinas in dieser Form überhaupt
weiter Bestand haben kann.

18
   Abrufbar auf :
https://izbori.ba/Documents/2018/Posredni_izbori/12/U
putstvo_18_12_2018-10_00-bos.pdf
19
   Im Kontext des noch anwendbaren Artikels 20.16 A
des Wahlgesetzes, jedoch im Artikel 10.12. des
Wahlgesetzes besteht eine solche Befugnis, da bereits
eine neue Volkszählung stattgefunden hat.
20
   Es gilt als wahrscheinlich, dass das
Verfassungsgericht von BuH eine Entscheidung
diesbezüglich Ende Januar/Februar 2019 trifft.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Länderbericht                                                  Januar 2019   7

Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Hartmut Rank
Leiter des Rechtsstaatsprogramms Südosteuropa
Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit
Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa
www.kas.de/rspsoe

office.rspsoe@kas.de

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gleichen Bedingungen 4.0 international”,
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