Calciumantagonisten in der kardiovaskulären Therapie
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Diplomarbeit Calciumantagonisten in der kardiovaskulären Therapie eingereicht von Patrick Woschank zur Erlangung des akademischen Grades Doktor(in) der gesamten Heilkunde (Dr. med. univ.) an der Medizinischen Universität Graz ausgeführt am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie unter der Anleitung von Univ.-Prof. Dr. med. univ. Josef Donnerer Graz, am 17.03.2016
Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Graz, am 17.03.2016 Patrick Woschank e.h. ii
Danksagungen Allen voran möchte ich mich bei meinem Betreuer Univ.-Prof. Dr. Donnerer für die Bereitstellung dieses interessanten und auch für meine Zukunft essentiellen Themas und seine Betreuung recht herzlich bedanken. Ein besonderer Dank gilt meinem Bruder Manuel, welcher mir stets mit gutem Rat und fachlichem Input zur Seite stand und dadurch essentiell zum Gelingen dieser Arbeit beitrug. Des Weiteren möchte ich meinen Studienkollegen und Freunden, insbesondere Andreas Schleinzer und Patrick Fritzl, für ihre Freundschaft und ihren Beistand danken. Zu guter Letzt möchte ich noch besonders meinen Eltern für ihre unermüdliche Unterstützung und Motivation Dank aussprechen. iii
Zusammenfassung Calciumantagonisten (CCB) umfassen eine heterogene Gruppe von Wirkstoffen mit typischer Struktur und pharmakologischen Charakteristika und finden Anwendung in einer Vielzahl von kardiovaskulären Erkrankungen. Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Substanzen, Nutzen-Risiko-Analysen, neuen Erkenntnissen aus großangelegten, klinischen Langzeit-Studien, sowie der Vergleich mit alternativen Herz-Kreislauf-Medikamenten führten im Laufe der Zeit zu unterschiedlichen Präferenzen und auch zu inkohärenten Ideologien bezüglich deren klinischen Gebrauchs. In dieser Diplomarbeit werden nun die historische Entwicklung, das Wirkstoffprofil und klinische Anwendungsgebiete von CCB in der Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen veranschaulicht und in weiterer Folge ein Rückschluss auf deren Stellenwert getroffen. Mittels einer Literaturrecherche erfolgte eine Erhebung von pharmakologischen und klinischen Studien bezüglich der Pharmakokinetik/- dynamik, Neben- und Wechselwirkungen, des Einsatzes und der Vergleichbarkeit mit anderen kardiovaskulär wirksamen Substanzen, Wirkstoffkombinationen, sowie eine Beurteilung der einzelnen Substanz-Subgruppen. Zusätzlich werden die, aufgrund der häufig bei Herz-Kreislauf-Patienten/Patientinnen bestehenden Polypharmazie, Arzneimittelinteraktionen mit anderen Substanzgruppen zusammengefasst. Das Ziel dieser Diplomarbeit besteht darin, ein aktuell gültiges Profil der CCB zu erstellen, um die Bedeutung dieser Substanzklasse und möglicher Anwendungsnischen in der modernen Pharmakotherapie kardiovaskulärer Erkrankungen aufzuzeigen. CCB zeichnen sich durch ihre pleiotropen Effekte und infolgedessen der Reduktion blutdruckabhängiger und –unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktoren aus und finden dadurch zunehmend Anerkennung in internationalen Guidelines. In der Therapie der arteriellen Hypertonie bewähren sich langwirksame Formulierungen von Nifedipin, Amlodipin sowie späte Generationen der Dihydropyridine und zeigen sich in der Reduktion des Insultrisikos und bei Hochrisikohypertonie den übrigen Antihypertensiva überlegen. Diltiazem und Verapamil finden Anwendung in der antiarrhythmischen Therapie, wobei sie sich im Speziellen bei supraventrikulären Tachykardien auszeichnen. In der Therapie der stabilen Angina pectoris erweisen sich CCB als gleichwirksam wie ihre Referenzsubstanzen und zeigen sich auch besonders bei vasospatischer Angina Pectoris als vorteilhaft. Bei einem Raynaud-Syndrom gilt Nifedipin weiterhin als besterforschter Wirkstoff und First-Line- Medikament. Nimodipin reduziert die Wahrscheinlichkeit neurologischer Defizite nach einer Subarachnoidalblutung und gilt hierbei weiterhin als Standardtherapie. iv
Abstract Calcium antagonists encompass a heterogeneous group of compounds with distinctive structures and pharmacologic characteristics which are widely used in the treatment of cardiovascular diseases. In course of time the continuous advancements of substances, insights from novel, large-scale, clinical long-term studies as well as comparisons with alternative cardiovascular drugs led to diverging preferences and incoherent ideologies regarding their clinical application. In order to draw a conclusion about the significance of calcium antagonists, in this thesis the historical development, drug profile and clinical scopes of application are exemplified. An investigation of clinical and pharmacological studies regarding pharmacokinetics/-dynamics, side effects, pharmacological interactions, fields of application and comparability with other cardiovascular drugs, combination therapies and assessments of the different substance sub-groups was conducted by means of a literature research. Additionally, concerning the polypharmacy in patients with cardiovascular diseases, pharmacological interactions with other drugs are summarized. This serves the purpose to display the significance and potential therapeutic niches of calcium antagonists in modern pharmacotherapy of cardiovascular diseases based on an updated, valid profile. Calcium antagonists are characterized by their pleitropic effects and therefore reduction of blood pressure dependent and blood pressure independent cardiovascular risk factors. Moreover, an increasing number of positive recongitions in international guidelines regarding calcium antagonists could be demonstrated. In the therapy of arterial hypertension long-acting nifedipine, amlodipine and later generations of the dihydropyridine calcium antagonists have been proven efficious and are superior in the reduction of the risk of stroke and in the therapy of high-risk-hypertension in comparsion to other antihypertensive agents. Diltiazem and verapamil are used in the treatment of cardiac arrhythmias, especially supraventricular tachycardies. In the therapy of stable angina pectoris, calcium antagonists have been proven as efficious as their reference substances and in particular beneficial in the case of vasospatic angina. Nifedipine still obtains the role of the best investigated substance and first-line treatment of Raynaud´s Syndrome. Nimodipine reduces the probability of neurological deficits due to subarachnoidal haemorrhage and therefore remains the standard therapy. v
Inhaltsverzeichnis Eidesstattliche Erklärung ....................................................................................................... ii Danksagungen ...................................................................................................................... iii Zusammenfassung ................................................................................................................ iv Abstract .................................................................................................................................. v Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................. vi Glossar und Abkürzungen .................................................................................................... ix Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................... x Tabellenverzeichnis .............................................................................................................. xi 1 Einleitung ...................................................................................................................... 1 1.1 Problemdarstellung ................................................................................................. 1 1.2 Ziel der Arbeit ......................................................................................................... 2 1.3 Aufbau der Arbeit ................................................................................................... 2 1.4 Forschungsfragen .................................................................................................... 3 2 Grundlagen .................................................................................................................... 4 2.1 Historische Entwicklung der Calciumantagonisten ................................................ 4 2.2 Der Calciumkanal als Rezeptor der Calciumantagonisten ..................................... 8 2.2.1 Calcium in der Signaltransduktion .................................................................. 8 2.2.2 Spannungsabhängige Calciumkanäle .............................................................. 8 2.2.3 Struktur spannungsabhängiger Calciumkanäle ............................................. 10 2.2.4 L-Typ-Calciumkanäle.................................................................................... 11 2.3 Klassifizierung der Calciumantagonisten ............................................................. 12 2.3.1 Phenylalkylamine .......................................................................................... 14 2.3.2 Benzothiazepine............................................................................................. 15 2.3.3 1,4–Dihydropyridine ..................................................................................... 16 2.4 Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Calciumantagonisten .................. 18 2.4.1 Nebenwirkungen............................................................................................ 18 2.4.2 Wechselwirkungen ........................................................................................ 19 2.5 Pharmakologische Effekte der Calciumantagonisten ........................................... 21 2.5.1 Antiatheromatöse Effekte von Calciumantagonisten .................................... 22 2.5.2 Blutdruckunabhängige Effekte der Calciumantagonisten auf die vaskuläre Schädigung .................................................................................................................. 24 2.5.3 Metabolische Effekte ..................................................................................... 25 vi
2.5.4 Effekte auf den Insulin- und Glukose-Metabolismus .................................... 25 2.5.5 Effekte auf den arteriellen Blutdruck ............................................................ 26 2.5.6 Effekte auf die zentrale Hämodynamik ......................................................... 27 2.5.7 Effekte auf die kardiale Reizleitung .............................................................. 28 2.5.8 Effekte auf die Herzfrequenz ......................................................................... 29 2.5.9 Effekte auf die linksventrikuläre Masse und Myokardfibrose ...................... 30 2.5.10 Effekte auf die kardiale Kontraktilität ........................................................... 31 3 Ergebnisse.................................................................................................................... 32 3.1 Calciumantagonisten zur Verbesserung kardiovaskulärer Ergebnisse ................. 35 3.1.1 Studien bezüglich der Verbesserung kardiovaskulärer Ergebnisse ............... 35 3.1.2 Meta-Analysen bezüglich der Verbesserung kardiovaskulärer Ergebnisse .. 36 3.1.3 Sicherheit der Anwendung von Calciumantagonisten................................... 37 3.1.4 Verbesserung der Prognose von Hypertonie-Patienten/-Patientinnen durch Calciumantagonisten ................................................................................................... 38 3.1.5 Nicht-Unterlegenheit der Calciumantagonisten ............................................ 39 3.1.6 Überlegenheit der Calciumantagonisten ........................................................ 39 3.2 Calciumantagonisten in der Therapie der koronaren Herzkrankheit .................... 40 3.2.1 Stabile Angina Pectoris ................................................................................. 41 3.2.2 Therapie des akuten Koronarsyndromes und instabiler Angina Pectoris ...... 42 3.2.3 Vasospastische Angina .................................................................................. 43 3.2.4 Sekundärprävention bei myokardialen Re-Infarkt-Patienten/Patientinnen ... 44 3.3 Calciumantagonisten in der Therapie der arteriellen Hypertonie ......................... 45 3.3.1 Initiale Wirkstoffwahl zu Therapiebeginn ..................................................... 45 3.3.2 Status der β-Blocker in der Therapie der Hypertonie .................................... 46 3.3.3 Auswahl der antihypertensiven Therapie aufgrund von Begleiterkrankungen und Kontraindikationen ............................................................................................... 47 3.3.4 Calciumantagonisten zur Erreichung eines Blutdruckzieles ......................... 49 3.4 Calciumantagonisten in Kombinationstherapien für das klinische Management der Hypertonie ................................................................................................................. 50 3.4.1 Auswahl der Idealstrategie zur Blutdruckkontrolle ....................................... 50 3.4.2 Kombinationstherapie als Initialtherapie ....................................................... 50 3.4.3 Monotherapie versus Kombinationstherapie ................................................. 51 3.4.4 Komplementäre Effekte bei Kombinationstherapien .................................... 55 3.4.5 Vorteile für die kardiovaskuläre Protektion .................................................. 56 vii
3.4.6 Dualkombinationstherapie ............................................................................. 57 3.4.7 Trippelkombinationstherapie ......................................................................... 58 3.5 Calciumantagonisten in Therapie der Hochrisiko-Hypertonie ............................. 59 3.5.1 Anwendung bei Patienten/Patientinnen höheren Lebensalters ...................... 59 3.5.2 Diabetes und chronische Niereninsuffizienz ................................................. 60 3.6 Calciumantagonisten in der Therapie kardialer Arrhythmien .............................. 61 3.7 Calciumantagonisten in der Therapie hypertropher Kardiomyopathie................. 64 3.8 Calciumantagonisten in der Therapie des Raynaud-Syndroms ............................ 65 3.9 Calciumantagonisten in der Therapie klinischer Notfälle .................................... 66 3.9.1 Subarachnoidalblutung .................................................................................. 66 3.9.2 Ischämischer Insult ........................................................................................ 68 3.9.3 Hypertensive Enzephalopathie ...................................................................... 68 3.9.4 Akute Aortendissektion ................................................................................. 69 3.9.5 Hypertensiver Notfall aufgrund eines Catecholamin-Überschusses ............ 69 3.9.6 Hypertensiver Notfall während der Schwangerschaft ................................... 70 4 Diskussion ................................................................................................................... 71 Material und Methoden ....................................................................................................... 74 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 75 viii
Glossar und Abkürzungen ACEI ACE-Hemmer BB Beta-Rezeptoren-Blocker BTZ Benzothiazepin CCB Calciumantagonist DHP Dihydropyridin HCM hypertrophe Kardiomyopathie KV kardiovaskulär LV linksventrikulär LVOT linksventrikulärer Ausflusstrakt nDHP Nicht-Dihydropyridin-Calcium-Antagonisten; Calciumantagonisten, welche nicht der Gruppe der 1,4-Dihydropyridine angehören PPA Phenylalkylamin ARB AT1-Antagonist RAS Renin-Angiotensin-System SAB Subarachnoidalblutung TD Thiaziddiuretikum WW Wechselwirkung ix
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Hemmung der Papillarmuskellkontraktilität durch Verapamil, nach [3] ........ 6 Abbildung 2: Calcium-Kanal-Subtypen, nach [4] ............................................................... 10 Abbildung 3: L-Typ-Calciumkanal, nach [4] ...................................................................... 11 Abbildung 4: Allosterische Wechselwirkungen, nach [4] ................................................... 12 Abbildung 5: Generationen der Calciumantagonisten, nach [28] ....................................... 13 Abbildung 6: Chemische Struktur der Calciumantagonisten, nach [4, 29] ......................... 15 Abbildung 7: Kombinationsmöglichkeiten der Antihypertensiva, nach [93]...................... 51 Abbildung 8: Therapie-Algorithmus für die arterielle Hypertonie, nach [91] .................... 54 x
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Historische Entwicklung der Calciumantagonisten, nach [3, 5, 24] ................... 7 Tabelle 2: Calciumantagonisten für die orale Therapie der Hypertonie [4] ........................ 14 Tabelle 3: Weltweit erhältliche Calciumantagonisten [30] ................................................. 17 Tabelle 4: Nebenwirkungen der Calciumantagonisten nach Symptomen [24] ................... 18 Tabelle 5: Nebenwirkungen der Calciumantagonisten nach Organsystem [24] ................. 18 Tabelle 6: Wechselwirkungen der Calciumantagonisten [32]............................................. 19 Tabelle 7: Effekte der Calciumantagonisten-Subgruppen [28] ........................................... 21 Tabelle 8: Antiatheromatöse Effekte - Zusammenfassung der Studien, nach [28] ............. 24 Tabelle 9: Klinisch-elektrophysiologische Effekte [5]........................................................ 29 Tabelle 10: Calciumantagonisten - Klinische Studien, nach [30] ....................................... 33 Tabelle 11: Koronare Herzkrankheiten - Definitionen und Therapien [5] .......................... 41 Tabelle 12: Hypertonie – Initialtherapie, nach [92] ............................................................ 47 Tabelle 13: Auswahl der antihypertensiven Therapie nach Komorbiditäten [93]............... 48 Tabelle 14: Auswahl der antihypertensiven Therapie nach Kontraindikationen [93] ......... 48 Tabelle 15: Hypertonie - Kombinationstherapien [98]........................................................ 58 Tabelle 16: Effekte der Calciumantagonisten auf das Reiz-Leitungssystem, nach [5] ....... 63 xi
1 Einleitung 1.1 Problemdarstellung Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen die weltweit häufigste Todesursache dar. Im Jahr 2012 wurden 31% der gesamten, globalen Todesursachen kardiovaskulären Erkrankungen zugeschrieben, mit mehr als Dreiviertel an Todesfällen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Bei Patienten/Patientinnen mit einer kardiovaskulären Erkrankung oder hohem kardiovaskulären Risiko aufgrund einer oder mehrerer Risikofaktoren (Tabakkonsum, ungesunde Nahrungsmittel und Übergewicht, Diabetes, Hyperlipidämie oder bereits bestehender Erkrankung) ist eine frühzeitige Erkennung, Management, Beratung und Medikamententherapie vonnöten [1]. Calciumantagonisten stellen seit etwa 40 Jahren eine der wichtigsten Medikamente in der kardiovaskulären Therapie dar. Die ständige Weiterentwicklung von Substanzen mit unterschiedlichen Wirkprofilen an den verschiedenen Subtypen der spannungsabhängigen Calciumkanäle ergaben unterschiedliche Anwendungsgebiete [2, 3, 4, 5]. Detaillierte Nutzen-Risiko-Analysen, neue Erkenntnisse aus großen, klinischen Langzeit-Studien, Kontroversen bezüglich des Einflusses auf Mortalität und Morbidität und der Sicherheit der Calciumantagonisten sowie der Vergleich mit alternativen Herz-Kreislauf-Medikamenten führten im Laufe der Zeit zu unterschiedlichen Präferenzen und auch zu inkohärenten Ideologien bezüglich deren klinischen Gebrauchs. Hier soll nun der derzeitige Stand der Wissenschaft bezüglich des Wirkprofiles der Calciumantagonisten und deren Anwendung im klinischen Bereich und ihre Vergleichbarkeit und Kombinationsmöglichkeiten mit alternativen kardiovaskulär wirksamen Pharmazeutika eruiert und ein strukturierter Überblick für eine aktuell gültige, klinische Anwendung zur Verfügung gestellt werden. . 1
1.2 Ziel der Arbeit Ziel dieser Arbeit ist es, anhand einer Literaturrecherche neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus klinischen Studien, Meta-Analysen und Guidelines betreffend Calciumantagonisten in der kardiovaskulären Therapie zu sammeln und ein derzeit gültiges Wirkstoffprofil zu erstellen, um daraus mögliche klinische Anwendungsgebiete ableiten zu können. Anhand dieses Wirkstoffprofiles sollen nun die, für die Therapie mit Calciumantagonisten in Frage kommenden Krankheiten aufgelistet, die Wirksamkeit und Sicherheit bei den jeweiligen Krankheitsbildern widergespiegelt, ein Vergleich mit alternativen Herz-Kreislauf-Medikamenten getroffen und mögliche Kombinationstherapien bewertet werden. Eine prävalente Multimorbidität kardiovaskulärer Patienten/Patientinnen, die mit kardiovaskulären Krankheiten vergesellschafteten Komorbiditäten und eine Vielzahl an Pathogenesen erfordern oftmals eine, die Therapie erschwerende, Polypharmazie. Diesbezüglich soll zusätzlich eine detaillierte Darstellung der Wechselwirkungen erfolgen. 1.3 Aufbau der Arbeit Kapitel 2 liefert die, für ein Verständnis der Einsatzgebiete notwendigen Grundlagen der Entwicklung, Subtypen und pharmakologischen Eigenschaften und für die kardiovaskuläre Therapie relevanten Effekte der Calciumantagonisten. Es erfolgt eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der verschiedenen Wirkstoffe, ihrer Entwicklungsprozesse in der kardiovaskulären Therapie, ihres Wirkungsortes, des pharmakologischen Profils der verschiedenen Calciumantagonisten und Erkenntnisse über ihre Effekte auf das kardiovaskuläre System. Aufgrund der in der kardiovaskulären Therapie oftmals prävalenten Polypharmazie wird hier zusätzlich auf Wechselwirkungen der Calciumantagonisten eingegangen. Abgeleitet davon werden im Kapitel 3, basierend auf neuen Erkenntnissen, Möglichkeiten der klinischen Anwendung der Calciumantagonisten angeführt, ihre Wirksamkeit und Sicherheit bezüglich der diversen Einsatzgebiete bewertet und Vergleiche mit alternativen Herz-Kreislauf-Medikamenten und möglicher Kombinationstherapien eruiert. 2
1.4 Forschungsfragen Ziel dieser Arbeit ist es, ein aktuell gültiges Wirkstoffprofil der Calciumantagonisten in der kardiovaskulären Therapie zu erstellen. Weiters werden die nachfolgenden Forschungs- fragen wissenschaftlich aufgearbeitet: − Welche historische Entwicklung durchliefen Calciumantagonisten? − Wie wirkt Calcium und wo greifen Calciumantagonisten an? − Welche Calciumantagonisten stehen für die kardiovaskuläre Therapie zur Verfügung und welches Wirkprofil weisen sie auf? − Welche pharmakologischen Effekte weisen die verschiedenen Calciumantagonisten auf und welche klinischen Anwendungsgebiete lassen sich daraus ableiten? − Welche Wirksamkeit und Sicherheit weisen Calciumantagonisten bei den verschiedenen kardiovaskulären Krankheiten und im jeweiligen Vergleich zu alternativen, kardiovaskulären Medikamenten auf? − Gibt es Kombinationstherapien und wie sicher bzw. wie effektiv sind sie? − Welche Wechselwirkungen weisen Calciumantagonisten in der kardiovaskulären Therapie auf? 3
2 Grundlagen 2.1 Historische Entwicklung der Calciumantagonisten Beschreibungen kardioaktiver Substanzen konnten bereits in antiken Hochkulturen der Ägypter und Griechen bestätigt werden, jedoch liegt kein Beweis vor, dass diese Zivilisationen Einsatz von natürlich vorliegenden Calciumantagonisten (CCB) gemacht hatten. Im Gegensatz dazu fand der, in der Natur vorkommende, CCB „Tashinone“ bereits in den letzten 3000 Jahren in der chinesischen Medizin Anwendung. Das gegenwärtige Interesse an dieser Wirkstoffgruppe, sowie ihr klinischer Gebrauch in der modernen Medizin ist jedoch nicht auf antike, chinesische Medizin, sondern vielmehr auf Experimente des Freiburger Physiologen Albrecht Fleckenstein im Jahre 1964, mittels den damals neu entdeckten Substanzen Verapamil und Prenylamin, zurückzuführen [6]. Erstmalig konnte die Aufhebung der elektromechanischen Kopplung an elektrisch gereizten Meerschweinchen-Papillarmuskeln im Organbad mittels dieser Substanzen, wie in Abbildung 1 schematisch dargestellt, beschrieben werden: Die oberste Reihe zeigt den gereizten Papillarmuskel in Tyrode-Lösung. Nach Hinzufügen von 2x10-6 M Verapamil (mittlere Reihe) kann eine Senkung der Kontraktilität und nach einer Steigerung auf 1x10-5 M eine vollständige Blockade bei gleichbleibender Reizung beobachtet werden. Somit wiesen Verapamil und Prenylamin in hohen Dosen eine bis dahin unerklärte, negative Inotropie, ohne gleichzeitige Beeinflussung Na+-getragener Aktionspotential- Parameter auf. Nur die Plateauphase und Repolarisation des Aktionspotentials wurden gering modifiziert, während die maximale Depolarisationsgeschwindigkeit des Aktionspotentials und infolgedessen die Erregbarkeit unverändert blieben [3, 7, 8]. Dieses Ergebnis ähnelte Erkenntnissen aus, bereits zu Mitte des 19. Jahrhunderts beschriebenen, Experimenten am Froschherzen durch Sydney Ringer, in denen er die Ca2+-Ionenanzahl im Bad verminderte [9]. Auch Mines konnte bereits 1913 feststellen, dass ein Entzug von Ca2+-Ionen die Kontraktion des Herzens stoppt, die elektrische Erregung aber fortbestehen lässt [10]. Durch Maßnahmen, welche den Ca2+-Vorrat des kontraktilen Systems wiederherstellen (Erhöhung extrazellulärer Ca2+-Ionen, Addition β-adrenerger Katecholamine oder Herzglykoside) konnte dieser Effekt aufgehoben werden. Während eine durch β-Blocker wie Pronethalol und Propranolol induzierte Herzinsuffizienz mittels β-Adrenorezeptor-Agonisten nicht oder nur in hohen Dosen aufgehoben werden konnte, 4
besserte sich die durch Verapamil und Prenylamin hervorgerufene Herzinsuffizienz bereits nach Addition geringer Mengen und sprach somit für eine geringe oder nicht vorhandene Wirkung auf kardiale β-Adrenozeptoren. Dies erlaubte eine Differenzierung zu β-Blockern und führte zur Annahme der Entdeckung eines neuartigen Wirkmechanismus. Analoge Effekte, welche in ihrer Wirkstärke jedoch diese von Verapamil übertrafen, konnten bei Substanz D 600, einem Verapamil-Derivat welches später als Gallopamil bekannt werden sollte, beobachtet werden. Ein Nachweis der Reduktion von isoproterenol-stimulierter, 45 myokardialer Ca-Inkorporation, Stabilisierung intrazellulärer Vorräte an energiereichen Phosphaten, Senkung des 02-Verbrauches und Schutz von Myokardfasern gegenüber deletären Konsequenzen einer intrazellulären Ca2+-Überladung konnte sowohl bei Verapamil, als auch Gallopamil nachgewiesen werden. In den daraus resultierenden Arbeiten erfolgte die erstmalige Verwendung des Terminus „Calciumantagonisten“ durch Fleckenstein für diese Substanzen [11, 12]. 1969 konnte die selektive Blockade des myokardialen Ca2+-Einstromes via potentialabhängige, „langsame“ Ca2+-Kanäle, ohne gleichzeitige Beeinflussung „schneller“ Na+-Ströme der Membran mittels der damals durch Reuter und Beeler introduzierten Voltage-Clamp-Methode konkretisiert werden [13]. In den folgenden Jahren wurde durch intensive Forschung eine beträchtliche Anzahl von Wirkstoffen identifiziert, wobei die Entdeckung der 1,4-Dihydropyridine (DHP) einen weiteren Meilenstein der Geschichte der CCB darstellt. Der Chemiker Friedrich Bossert und der Pharmakologe Wulf Vater forschten anhand von Carbochromen und Dipyridamol, zwei damals bekannten, allerdings recht wirkungsschwachen Koronardilatatoren, als Referenzsubstanzen, sowie in weiterer Folge Derivaten des Bischofskrautes (Ammi visnaga) und konnten mit Hilfe der sogenannten Hantz'schen DHP-Synthese mehr als 2.000 DHP-Derivate synthetisieren, wobei ausgehend von 2-Nitrobenzaldehyd schlussendlich auch die Synthese von Nifedipin erfolgte und als erster Wirkstoff dieser Gruppe in den Markt eingeführt wurde. DHP zeigten eine große Nützlichkeit sowohl in der Therapie als auch in der Wissenschaft. Diese im Vergleich zu Verapamil um Größenordnungen vaskulär wirksameren Substanzen eröffneten neue Therapie- möglichkeiten kardiovaskulärer Erkrankungen und trugen zur Charakterisierung der spannungsabhängigen Calciumkanäle bei. Es erfolgten die Klassifizierung in Subgruppen, die Erkenntnis über eine Selektivität der DHP für spannungsabhängige L-Typ- Calciumkanäle, welche infolgedessen als DHP-Rezeptoren bezeichnet wurden und der Nachweis dieser in glatter Muskulatur [3]. 5
Weitere Fortschritte in der Erkenntnisgewinnung bezüglich der spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle lieferte auch die Entdeckung der Calciumagonisten, ebenfalls der Gruppe der DHP angehörigen Substanzen, welche die Öffnungswahrscheinlichkeit von Ca2+-Kanälen erhöhen, im Jahr 1982 [3]. Abbildung 1: Hemmung der Papillarmuskellkontraktilität durch Verapamil, nach [3] Elektrophyiologische Studie von Mehrschweinchenpapillarmuskeln unter steigenden Konzentrationen von Verapamil in Tyrode-Lösung; Obere Reihe: normale Kontraktion ohne Verapamil, mittlere Reihe: Senkung der Kontraktilität bei gleicher Reizung mit 2x10-6M Verapamil für 40 min, untere Reihe vollständige Blockade bei konstanter Reizung mit 2x10-5M Verapamil für 45 min. Die Bedeutung der CCB in der kardiovaskulären Therapie neben ihrem Nutzen als antianginale Substanzen wurde, zumindest klinisch, erst spät anerkannt [2]. Im Jahr 1972 erfolgte die erste Erklärung der antiarrhythmischen Wirkung von Verapamil bei paroxysmaler, supraventrikulärer Tachykardie [14]. 1975 wurde Verapamil zur Therapie der hypertrophen Kardiomyopathie eingesetzt und Nifedipin für die Therapie der koronaren Herzkrankheit zugelassen. Gleichzeitig wurden Studien zur Wirksamkeit von Nifedipin in der Therapie vasospastischer Angina pectoris veröffentlicht und folgend 1979 klinische Ergebnisse der antianginösen, antiarrhythmischen und antihypertensiven Effekten publiziert [15, 16, 17]. Im Zuge der im Jahr 1983 herausgegebenen, auf klinischen Studien basierenden Veröffentlichungen zum Thema "Calcium Antagonists in the Treatment of Hypertension" der American Heart Association wurden allmählich die Bedeutung dieser 6
Pharmaka in der Therapie der Hypertonie anerkannt, für die Therapie der arteriellen Hypertonie eingeführt und subsequentiell für den Einsatz einer zunehmenden Anzahl kardiovaskulärer Indikationen erweitert. [18] Kontroversen betreffend der Sicherheit (Einfluss auf Mortalität, Darmkrebsrisiko) kurzwirksamer CCB rückten diese Mitte der 1990er in ein schlechtes Licht, ein daraus resultierender WHO-Bericht und großangelegte Studien konnten jedoch ihre Sicherheit und Wirksamkeit belegen [19, 20, 21, 22, 23]. Heutzutage gelten sie als etablierte Medikamente für die arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, insbesondere vasospastischer Angina pectoris, supraventrikulärer Tachyarrhythmien, dem Raynaud Syndrom und der Subarachnoidalblutung, wie in Kapitel 3 beschrieben. In Tabelle 1 erfolgt eine chronologische Darstellung der Geschichte der Calciumantagonisten. Tabelle 1: Historische Entwicklung der Calciumantagonisten, nach [3, 5, 24] Jahr Entdeckung/Ereignis 1882 Abhängigkeit von Calciumionen (Ca2+) in myokardialer Kontraktion Ca2+-Entzug verhindert die Kontraktionskraft im ventrikulären Myokard mehr als die 1913 bioelektrische Aktivität 1960 Pharmakologische Wirkung von Prenylamin 1962 Pharmakologische Wirkung von Verapamil 1963 Anwendung von Verapamil bei koronarer Herzkrankheit Verapamil und Phenylamin verhindern die Erregungs-Kontaktionskopplung auf die 1964 gleiche Weise wie ein Ca2+-Defizit im Myokardium 1965 Verwendung von Verapamil als Antiarrhythmikum bei Vorhofflattern 1967 Einführung der Begriffe „Calciumantagonist“ und „calcium-antagonistisch“ Differenzierung der Calciumantagonisten Verapamil, Gallopamil und Prenylamin von 1966 – β-Blockern. Definition des Calciumantagonismus und Calciumantagonisten als neue, 1969 pharmakologische Klasse 1976 Synthese von Gallopamil 1968 – Kardioprotektive Wirkung von Calciumantagonisten im Tierexperiment 1969 1969 Therapie von arterieller Hypertonie mit Verapamil 1969 Pharmakologische Testung von Nifepidin 1969 – Identifikation von Nifepidin als spezifischer Calciumantagonist 1970 1968- Wirkung von Calciumantagonisten auf glatte Muskulatur 1972 1970 – Mechanismus und Angriffspunkt von Calciumantagonisten: Signifikanz der „slow 1972 calcium channels“ (Fleckenstein, publiziert in „Calcium and the heart“ 1970-1971) 1971 Pharmakologische Wirkung von Diltiazem (CRD 401) 1974 Behandlung paroxysmaler, supraventrikulärer Tachykardie mit Verapamil 1975 Identifikation von Diltiazem als Calciumantagonist 1976 Verwendung von Calciumantagonisten bei hypertropher Kardiomyopathie 1980 Editorial im American Journal of Cardiology 1995 Kontroverse bezüglich Sicherheit, Mortalität und Morbidität der Calciumantagonisten 1995 – Weiterentwicklung der Substanzen und Anwendungen, dato wie in Kapiteln 2 und 3 beschrieben. 7
2.2 Der Calciumkanal als Rezeptor der Calciumantagonisten 2.2.1 Calcium in der Signaltransduktion Calcium-Ionen (Ca2+) beeinflussen nahezu jeglichen Aspekt physiologischer Zellprozesse. Eine Änderung der intrazellulären Calciumkonzentration ist Bestandteil der elektromechanischen Kopplung bei Muskelkontraktion, Synthese und Sekretion von Neurotransmittern und Hormonen, Genexpression, Enzymaktivität, sowie der Aufrechterhaltung der Zellhomöostase. [4, 25] Im Ca2+-armen, intrazellulären Milieu stellen Ca2+-Ionen weitverbreitete Botenstoffe („second messenger“) dar und ermöglichen über eine streng regulierte Signalkaskade eine Informationsübertragung an den Zellkern sowie dem kontraktilen Apparat. Eine zusätzliche Beeinflussung Ca2+-abhängiger Enzyme, wie z.B. Proteinkinase C oder Ca2+-Calmodulinkinasen, und deren Effekte auf weitere Kanäle, Rezeptoren und Enzyme tragen zur Komplexität der, einer Ca2+- Kanalöffnung folgenden, Modulation der elektrischen und nicht elektrischen Zellaktivitäten bei [5]. Im ruhenden Zustand verfügt die Zelle über einen Calciumgradienten von 10-8M, welcher bei Erregung kurzzeitig durch den Einstrom extrazellulärer Ca2+-Ionen um das 103-fache ansteigen kann. In kardialen und glatten Muskelzellen wird durch die Aktivierung der Ca2+-Kanäle die Muskelkontraktion direkt durch eine Erhöhung der cytoplasmatischen Ca2+-Konzentration und indirekt durch die Aktivierung der calciumabhängigen Calciumfreisetzung mittels Ryanodin-Rezeptoren im sarkoplasmatischen Retikulum eingeleitet [11]. 2.2.2 Spannungsabhängige Calciumkanäle Spannungsabhängige Calciumkanäle stellen das Schlüsselelement der Vermittlung einer Membrandepolarisation zu einem Ca2+-Einstrom in die Zelle dar. Man unterscheidet zwischen Low-Threshold-Kanälen, welche bei einem Membranpotential nahe dem Ruhepotential (ca. -60 bis –70 mV) der Zelle aktiviert werden und High-Threshold- Kanälen, welche eine stärkere Depolarisation (bei -40 mV) zur Aktivierung benötigen [26]. Basierend auf ihren biophysikalischen und pharmakologischen Eigenschaften sind weitere 8
Differenzierungen möglich. High-Threshold-Kanäle können in L-Typ- (large conductance bzw. long lasting), N-Typ- (neuronal bzw. neither T- nor L-Type), P/Q-Typ- (Purkinje- Neuronen) und R-Typ-Kanälen (resistant oder residual) eingeteilt werden, während Low- Threshold-Kanälen der T-Typ-Kanal (tiny conductance bzw. transient) aufgrund seiner raschen, monoexponentiellen und nur vom Membranpotential abhängigen Inaktivierung zugeordnet wird. Die pharmakologisch bedeutsamsten Typ-N-Kanäle sind für die Erregungs-Kontraktions-Kopplung in Muskelzellen, die Erregungs-Transkriptions- Kopplung in Nerven- und Muskelzellen, sowie die Erregungs-Sekretionskopplung in endokrinen Zellen und spezialisierten Ribbon-Synapsen zuständig. Typ-P/Q, Typ-N- und R-Kanäle sind an Zelloberflächen von Neuronen lokalisiert. Der Typ-T-Kanal sorgt für die Generation rhythmischer Potenziale im Herzen und Thalamus. Die Relation der Typ-N- Kanäle zu chronischen neuropathischen Schmerz dient als Grundlage der Erforschung neuer Wirkstoffe. Den Typ-T-, Typ-P/Q- und Typ-N-Kanälen wird eine Rolle in der Epilepsie, sowie auch in der Entstehung von Krebs und neuropathischem Schmerz bei peripherer, diabetischer Neuropathie (Typ-N-Kanal) zugeordnet [4, 25, 27]. Die Typ-L- Ca2+-Kanäle sind die Zielstruktur der Ca2+-Kanal-Blocker, weswegen der Begriff „Calciumantagonist“ schließlich auf L-Typ-Kanal-Blocker ausgeweitet werden kann. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese keinen irreversiblen Block, sondern eine Hemmung der Kanalöffnung initiieren. Abbildung 2 zeigt die oben definierten Einteilungen in die diversen Subkategorien, ihr Vorkommen, ihre selektiven Antagonisten und die Überstimmung ihrer Aminosäuren der diversen spannungsabhängigen Calcium- Kanäle [4, 5]. 9
selektiver Schwelle Typ Klon überwiegendes Vorkommen Antagonist Cav 1.1(α1S) Skelettmuskel Dihydropyridine Cav 1.2(α1C) Herz-/glatte Muskulatur, Endokrinium Dihydropyridine L Cav 1.3(α1D) Gehirn, Ohr, Endokrinium Dihydropyridine Cav 1.4(α1F) Retina Dihydropyridine hoch Cav 2.1(α1A) Gehirn, Ohr, Hypophyse ω-Agatoxin P/Q Cav 2.2(α1B) Gehirn, Neurone ω-Conotoxin-GVIA N Cav 2.3(α1E) Gehirn, Ohr, Neurone - R Cav 3.1(α1G) Gehirn, Neurone Mibefradil Cav 3.2(α1H) Gehirn, Herz Mibefradil T Cav 3.3(α1I) Gehirn Mibefradil niedrig 20 60 100 Anteil identischer Aminosäuren [%] Abbildung 2: Calcium-Kanal-Subtypen, nach [4] Darstellung der Calcium-Kanal-Subtypen nach ihrer Reizschwelle, Ähnlichkeit in ihrer Aminosäure- Komposition, ihr überwiegendes Vorkommen und ihre jeweiligen, selektiven Antagonisten. 2.2.3 Struktur spannungsabhängiger Calciumkanäle Ähnlich den anderen, der Superfamilie zugehörigen, spannungsabhängigen Ionenkanälen sind High-Treshhold-Calciumkanäle heteromere, aus multiplen Untereinheiten bestehende Membrankomplexe. Die α1-Untereinheit stellt als das zentrale Transmembranprotein die größte Untereinheit dar und dient als Kanalpore, Spannungssensor, sowie Schleuse und beinhaltet die meisten Andockstellen für Second Messenger, Medikamente und Toxine zur Kanalregulation. Sie besteht aus vier homologen Domänen (I-IV), wobei jede einzelne Domäne wiederum durch sechs Transmembransegmente organisiert wird. Die α2- Untereinheit ist ein extrazelluläres, extrinsisches Membranglykoprotein mit mehreren Glykolysierungsstellen und hydrophoben Sequenzen, welches über eine Disulfidbrücke mit der δ–Untereinheit und somit der Zellmembran verbunden ist. Die intrazellulär liegende β- Untereinheit weist keine Transmembransegmente auf, wohingegen die γ-Untereinheit vier Transmembransegmente besitzt. Die auxiliären α2δ-, β- und γ-Untereinheiten beeinflussen die Kanalexpression, Spannungsabhängigkeit, Aktivierungskinetik und spielen eine Rolle in der Verankerung innerhalb der Zellmembran7. In Abbildung 3 wird der L-Typ- 10
Calciumkanal, seine Untereinheiten, deren Relation zur Zellmembran und untereinander und die Andockstellen der Calciumantagonisten schematisch dargestellt [4, 27]. Ca2 α1-Untereinheit α2 S S außen II I III δ γ IV innen β Domäne mit 6 transmembranalen Segmenten Abbildung 3: L-Typ-Calciumkanal, nach [4] Abk.: BTZ = Benzothiazepine, DHP = Dihydropyridine, PAA = Phenylalkylamine Die vier α1-Untereinheiten (I-IV) bilden die Kanalpore und sind direkt in der Zellmembran (blau-gelbe Struktur) verankert. Die α2δ-, β- und γ-Untereinheiten beeinflussen die Kanaleigenschaften und Expression. Die roten Markierungen zeigen die Andockstellen der Calciumantagonisten. 2.2.4 L-Typ-Calciumkanäle Die, in kardialer, glatter und skelettaler Muskulatur prävalenten L-Typ-Calciumkanäle werden durch eine langsame, spannungsabhängige Inaktivierung, dadurch langanhaltende Aktivierungszeit und eine nicht-Ca2+-abhängige Inaktivierung und Hochregulation durch cAMP-abhängige Proteinphosphorilisierungs-Singalwege charakterisiert. Sie zeigen eine spezifische Inhibierung durch Dihydropyridine, Phenylalkylamine und Benzothiazepine. Die chemisch divergenten Ca2+-Antagonisten binden hierbei direkt an verschiedene Stellen der α1-Untereinheit: Dihydropyridine binden über Serin1115 in unmittelbarer Nähe zu dem aus vier Glutaminsäuren bestehenden Ca2+-Selektivitätsfilter. Benzothiazepine an der Brücke der Transmembrandomänen III und IV und Phenylalkylamine an einer weiteren 11
Stelle der Transmembrandomäne IV [4, 27]. Wie in Abbildung 4 konnten sowohl zwischen den diversen Calciumantagonisten, als auch zwischen Bindungsstellen und den funktionell wichtigen Einheiten des Ca2+-Kanales positive (+) und negative (-) allosterische Wechselwirkungen nachgewiesen werden. Calciumantagonisten bewirken eine verminderte Bewegung der Ca2+-Ionen durch die Kanalpore, ohne Veränderung der Leitfähigkeit des geöffneten Kanals, sondern durch eine Veränderung der Öffnungswahrscheinlichkeit und Dauer [4, 5]. Abbildung 4: Allosterische Wechselwirkungen, nach [4] Interaktionen der verschiedenenen Calciumantagonisten-Subgruppen bzw. ihrer Bindungsstellen 2+ untereinander und mit der Ca -Kanalpore; rotes Minus: negative allosterische Wirkungen; grünes Plus: positive allosterische Wirkungen. 2.3 Klassifizierung der Calciumantagonisten Calciumantagonisten (CCB) lassen sich, wie Abbildung 5 dargestellt, in drei heterogene Gruppen einteilen: Phenylalkylamine, Benzothiazepine und Dihydropridine mit Verapamil, Diltiazem und Nifedipin als Wirkstoffe der ersten Generation der jeweiligen Klasse. Die zweite Generation umfasst CCB mit extended-release Darreichungsformen wie Verapamil SR, Diltiazem CD, Nifedipin XL, Felodipine ER und Isradipin CR. Im Vergleich zu 12
Nifedipin zeigen die 2. und 3. Generation der Dihydropyridine eine zunehmend höhere vaskuläre Selektivität, geringere sympathische Aktivierung, geringere Herzfrequenzzunahme und negative Inotropie. DHP können aufgrund ihres Wirkungseintrittes und ihrer Wirkungsdauer in verschiedene Gruppen unterteilt werden. In Kapselform verabreichtes Nifedipin wird rasch resorbiert und führt zu einer unberechenbaren Zu- und Abnahme des Plasmaspiegels was einen starken, kurzwirkenden hämodynamischen Effekt bedingt. Die retardierten Formulierungen wie Nifedipin GITS (Gastro-Intestinal Therapeutic System) oder extended release-Formulierungen von Felodipin besitzen langsamere Absorptionsraten mit langsamer Zu- und Abnahme des Plasmaspiegels und 24-stündige Blutdruckregulation. Die langsam einsetzenden, langwirksamen Formulierungen von Amlodipin, Lacidipin und Lercanidipin üben ihre hämodynamischen Effekte über Tage aus und induzieren langwirksame und gestufte Blutdruckänderungen [5, 28]. Abbildung 5: Generationen der Calciumantagonisten, nach [28] Generationen der Calciumantagonisten geordnet nach ihrem Wirkungseintritt und ihrer Wirkungsdauer. 13
2.3.1 Phenylalkylamine Verapamil und sein potenteres Derivat Gallopamil stellen die Prototypen der Phenylalkylamine dar. Ihre hochaffine Bindung an der α1-Untereinheit inaktivierter Typ-L- Ca2+-Kanäle führt zu einer Plateaudepression des monophasischen Aktionspotenzials im Myokard. Verapamil ist chiral, besitzt somit zwei Enantiomere, die R-From und wirksame S-Form, und wird klinisch als Razemat eingesetzt. Die Wirkung der Phenylalkylamine ist frequenzabhängig. Im Ruhezustand des Ca2+-Kanales wird die Wirkstoffbindung gelöst, bei einer Zunahme der Herzfrequenz wird die Blockade verstärkt. Obwohl Phenylalkylamine einen vasodilatierenden Effekt aufweisen, finden sie primär aufgrund ihrer kardialen Wirkungen (negative Ino-, Chrono und Dromotropie) Einsatz [4]. Tabelle 2 zeigt die verschiedenen Arzneiformen, ihre zeitlichen Verläufe und vorgeschlagene, tägliche Verabreichungsdosen für die Therapie der arteriellen Hypertonie. Tabelle 2: Calciumantagonisten für die orale Therapie der Hypertonie [4] Antihypertensive Tagesdosis Verabreichungen Subklasse/ Formulierung Wirkung [mg] pro Tag Wirkstoff Einsatz [h] Dauer [h] Phenylalkylamine Verapamil klassisch 0,5 6–8 80 – 320 2–3 Verapamil slow release 1,5 – 5 8 – 24 120 – 240 1–2 Verapamil retard >5 6–8 120 – 240 1 Benzothiazepine Diltiazem klassisch 0,5 6–8 120 – 360 2–3 Diltiazem slow release >5 120 – 240 1 Dihydropyridine Amlodipin klassisch >5 ≥ 24 2,5 – 10 1 Felodipin slow release 1,5 – 5 8 – 24 2,5 – 10 1 Isradipin klassisch 0,5 ≥ 24 2,5 – 10 2 Isradipin slow release 1,5 – 5 ≥ 24 5 – 10 1 Lacidipin klassisch 0,5 ≥ 24 2–8 1 Manidipin klassisch 0,5 ≥ 24 10 – 20 1 Nifedipin klassisch 0,5 6–8 30 – 40 3 Nifedipin slow release 1,5 – 5 8 – 24 10 – 40 2 Nifedipin GITS >5 ≥ 24 20 – 60 1 Nisoldipin slow release 1,5 – 5 ≥ 24 10 – 40 1 Nitrendipin klassisch 0,5 8 – 24 20 – 40 2 Abk.: GITS = Gastrointestinal Therapeutic System = Osmotische Minipumpe 14
2.3.2 Benzothiazepine Diltiazem ist der einzige klinisch eingesetzte Vertreter dieser Klasse und weist eine vornehmlich frequenzabhängige Interaktion auf. Diltiazem führt neben einer vasodilatorischen Wirkung zu einer Plateausenkung des Aktionspotentials im Myokard und wirkt dadurch kardiodepressiv. Die pharmakologische Wirkung der Benzothiazepine ähnelt denen der Phenylalkylamine, weist jedoch eine höhere vaskuläre Selektivität auf und ist somit in ihrer Wirksamkeit zwischen den beiden anderen Gruppen der Calciumantagonisten einzugliedern [4]. Abbildung 6 zeigt die chemische Struktur der Prototypen der verschiedenen Substanzklassen der Calciumantagonisten und weitere Beispiele für verschiedene Generationen der Dihydropyridine. Abbildung 6: Chemische Struktur der Calciumantagonisten, nach [4, 29] Prototypen der Calciumantagonisten-Subgruppen: Verapamil – Phenylalkylamine; Diltiazem - Benzothiazepine; Nifedipin als Prototyp und weitere Vertreter der 1,4-Dihydropyridine. 15
2.3.3 1,4–Dihydropyridine In Relation zu Verapamil und Diltiazem verfügt Nifedipin über ein zehnfach stärkeres Potential der Inhibierung des Ca2+-Einstromes. Im Tierversuch führen sie zu einer initial starken Erhöhung der koronaren Sauerstoffsättigung, einer wesentlichen Reduktion des systemischen Gefäßwiderstandes, Blutdrucksenkung, sowie reflektorischer Tachykardie. Diese Erhöhung der Herzfrequenz ist besonders nach intravenöser Verabreichung oder nach Verabreichung schnellwirksamer Formulierungen prägnant, wobei neuere Formulierungen und Wirkstoffe dieser Klasse beim Menschen keine oder nur noch eine geringe Reflextachykardie aufweisen. Im Gegensatz zu den übrigen Substanzklassen weisen Dihydropyridine eine hohe vaskuläre Selektivität und geringe kardiale Wirkungen auf. Die allen Calciumantagonisten eigene negative Ino- und Chronotropie ist hier so schwach, dass diese im gesunden Herzen vollständig reflektorisch kompensiert werden. Bei bereits reduzierter Rechtsherzfunktion kann es zu einer Minderung der Kontraktilität kommen. Die vaskuläre Selektivität beruht auf Unterschieden der Affinität zu den organspezifischen Splice-Varianten, sowie dem Status der Ca2+-Kanäle und einer wirkstoffspezifischen Abhängigkeit vom Membranpotential. Während die meisten 1,4- Dihydropyridine weitgehend im inaktivierten Zustand des Kanales blockieren, weisen Substanzen wie Nisoldipin auch eine Blockade im Ruhezustand auf. Des Weiteren zeigen sie eine Zunahme in ihrer Wirkung in Abhängigkeit des Depolarisationszustandes der Zellen und weisen somit einen stärkeren Effekt in glatter Gefäßmuskulatur mit relativ geringerem Membranpotential im Vergleich zum Herzmuskel auf. Die Splice-Variante b des IS6-Segments der α1c-Untereinheit, mit welcher DHP niederaffin interagieren, trägt auch zur vaskulären Selektivität bei [4]. In Tabelle 3 werden alle derzeit weltweit, für die kardiovaskuläre Therapie erhältlichen, Calciumantagonisten, ihre Hauptindikationen, Metabolisierungswege, Erhältlichkeiten und Applikation aufgelistet. 16
Tabelle 3: Weltweit erhältliche Calciumantagonisten [30] Metabol t1/2a [h] Zugelassene Indikationen Erhältlichkeit Appl. -isierung Dihydropyridine Amlodipin 30-50 Angina pectoris, Hypertonie hepatisch weltweit oral Aranidipin 3 Hypertonie hepatisch Japan (Sapresta®) oral ® Azelnidipin 19,2 Hypertonie hepatisch Japan (Calblock ) oral Barnidipin 10 Hypertonie hepatisch Eur, Asien oral Benidipin 3 Angina pectoris, Hypertonie hepatisch Asien oral Cilnidipin 0,5 Hypertonie hepatisch Asien oral ® Clevidipin 0,02 Hypertonie Esterase US (Cleviprex ) i.v. Isradipin 8 Hypertonie hepatisch weltweit oral b ® Efonidipin 2 Hypertonie hepatisch Japan (Landel ) oral Angina pectoris, Hypertonie, Felodipin 11-16 hepatisch weltweit oral Raynaud-Syndrom Lacidipin 13-19 Hypertonie hepatisch Eur, Asien oral Lercanidipin 8-10 Hypertonie hepatisch Eur, Asien, SA oral Manidipin 5-9 Hypertonie hepatisch Eur, Asien oral Nicardipin 8 Angina pectoris, Hypertonie hepatisch weltweit oral/i.v. Angina pectoris, Hypertonie, Nifedipin 4 hepatisch weltweit oral/i.v. Raynaud-Syndrom Nilvadipin 15-20 Hypertonie hepatisch Eur, Japan oral c Nimodipin 9 zerebrovaskuläre Störungen hepatisch weltweit oral/i.v. Nisoldipin 6-12 Angina pectoris, hepatisch Eur, US oral Nitrendipin 10-22 Hypertonie hepatisch Eur, Asien oral Phenylalkylamine Angina pectoris, Hypertonie, Verapamil 4,5-12 hepatisch weltweit oral/i.v. Arrhythmien Angina pectoris, Hypertonie, Gallopamil 3-6 hepatisch Europa, Asien oral Arrhythmien Benzothiazepine Angina pectoris, Hypertonie, Diltiazem 3-5 hepatisch weltweit oral/i.v. Arrhythmien Abk.: Appl. = Applikation; Eur = Europa a Halbwertszeit b L/T-Typ-Calciumantagonist c überschreitet Blut-Hirn-Schranke 17
2.4 Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Calciumantagonisten 2.4.1 Nebenwirkungen Die Calciumantagonisten zeigen nur geringe Nebenwirkungen und sind besonders bei langsam einsetzenden Formulierungen gut verträglich. Häufige, wichtige Nebenwirkungen umfassen Beinödeme, Flush, Vertigo, Konstipation, Nausea, Ausschläge und Müdigkeit. Eine Zusammenfassung der Nebenwirkungen ist in Tabelle 4 nach Symptom und Inzidenz des Symptoms und Therapieabbruches, und in Tabelle 5 nach Organ oder Wirkung und der jeweilig zuordenbaren unerwünschten Nebenwirkung angeführt [24, 28, 31]. Tabelle 4: Nebenwirkungen der Calciumantagonisten nach Symptomen [24] Symptom Verapamil Gallopamil Diltiazem Nifepidin Vertigo/Cephalgie + + + ++ Hypotonie +/- +/- +/- ++ Periphere Ödeme ++ + + ++ Konstipation ++ + - +/- Gastrointestinale + + +/- +/- Nebenwirkungen/Nausea Bradykardie + + + - Tachykardie - - - + Angina Pectoris - - - + Herzinsuffizienz + + +/- - Allergische Reaktionen +/- +/- +/- +/- Inzidenz der Neben- 5-20 5-15 4-10 15-50 wirkungen (in %) Inzidenz des Therapie- 1 3 1-5 5 abbruches (in %) Bei oraler Verabreichung Abk.: ++ = häufig, + = selten, +/- = sehr selten, - = beobachtet Tabelle 5: Nebenwirkungen der Calciumantagonisten nach Organsystem [24] Organ/Wirkung Nebenwirkung prädominant bei Negative Inotropie Herzinsuffizienz V (D) (N) Negative Chronotropie Bradykardie V D Arterielle Vasodilation Blutdruckabfall, Hypotension, Vertigo, Flush, (Reduktion des peripheren (V) (D) N Ödeme Widerstandes) Gesicht Flushing N Zentralnervensystem Cephalgie N Nase Nasale Verstopfung N Ventilations-Perfusions-Mismatch (mit einer Lunge N vorbestehenden Ventilationsstörung) Verschlechterung der renalen Funktion (bei Niere vorbestehender Einschränkung der N Nierenfunktion) 18
Fortsetzung von Tabelle 5: Nebenwirkungen der Calciumantagonisten nach Organsystem [24] Organ/Wirkung Nebenwirkung prädominant bei Uterus Menorrhagien N Autonome Gegenregulation (Aktivierung des sympathischen Tachykardie, Palpitationen, Angina Pectoris N Nervensystems) V Konstipation (N) N Inhibierung der glatten hiatale Insuffizienz Muskulatur gastroösophagialer Reflux Miktionsstörungen N Menorrhagien (V) N Aktivierung des Renin- Natriumretention, Ödeme N Angiotensin-Aldosteron-Systems Inhibierung der Insulinsekretion Verschlechterung der Glukosetoleranz N (V) Abk.: V = Verapamil-Gruppe, D = Diltiazem, N = Nifepidin (Dihydropyridin-Gruppe) 2.4.2 Wechselwirkungen Calciumantagonisten weisen eine Vielzahl an wichtigen Interaktionen mit anderen Medikamenten auf. Allen Calciumantagonisten ist eine verstärkt hypotone Wirkung bei gleichzeitiger Verabreichung mit anderen Antihypertensiva und eine hauptsächliche, hepatische Metabolisierung durch das Enzym Cytochrom P450 3A4, wodurch Plasmakonzentrationen von anderen Wirkstoffen mit gleichem Metabolisierungsweg beeinflusst werden, gemein. Von einem Konsum von Grapefruitsaft während einer Nifedipin-Therapie wird abgeraten. Eine Übersicht der Wechselwirkungen wird in Tabelle 6 angeführt [28, 31, 32, 33]. Tabelle 6: Wechselwirkungen der Calciumantagonisten [32] Kombination CCB Effekt Anmerkungen mit Alpha-1- vermehrte bzw. verstärkte First- Rezeptor- V, D Dose-Effekte der Alpha- Antagonisten Blocker können auftreten. V,D, N Additive kardiodepressive Die gleichzeitige Behandlung mit Amiodaron und Amiodaron Wirkung möglich CCB vom Verapamil-Typ wird nicht empfohlen. Reduktion der oralen Dosis von Midazolam um 50- Verstärkte zentral dämpfende 75% empfohlen. Lorazepam, Lormetazepam, Benzodiazepine V, D Wirkungen der betroffenen Oxazepam und Temazepam sind wahrscheinlich Benzodiazepine möglich nicht von der Interaktion betroffen. In Einzelfällen Bradykardie, Die gleichzeitige parenterale Anwendung von N und Beta-Blocker N Hypotonie, Herzinsuffizienz Beta-Blockern soll unterbleiben. Verstärkte kardiodepressive Die i.v.-Gabe eines oder beider Arzneistoffe ist Beta-Blocker V, D Wirkung kontraindiziert - außer in der Intensivmedizin. Cholesterol- Amlodipin Verstärkte Wirkungen von Höchstdosen: Simvastatin 20 mg/die, Lovastatin 40 Synthese- Simvastatin nicht mg/die; Alternativen: Fluvastatin oder Pravastatin Hemmer auszuschließen bzw. DHP; Die Creatinkinase-Aktivität soll dann (CSE-Hemmer) bestimmt werden; bei einem Anstieg auf mehr als Lovastatin, V, D Erhöhtes Risiko von Myo- das 10fache des oberen Normwertes (etwa 2000 U/l) Simvastatin, pathien, Rhabdomyolysen mit oder intolerablen Muskelbeschwerden muss der Atorvastatin Myoglobinurie und NV CSE-Hemmer abgesetzt werden. 19
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