Cannabidiol im Kontext erstmaliger verkehrsmedizinischer Fahreignungsabklärungen in der Schweiz - UZH
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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2020 Cannabidiol im Kontext erstmaliger verkehrsmedizinischer Fahreignungsabklärungen in der Schweiz Goldberg, Elijah ; Lakämper, Stefan Abstract: Einleitung: Cannabidiol (CBD) ist neben Tetrahydrocannabinol (THC) ein bedeutender Be- standteil der Cannabis-Pflanze (C. sativa und C. indica). Dem CBD selbst wird keine bedeutsame psychoaktive Wirkung zugeschrieben und es wird nicht zu den Betäubungsmitteln gezählt; klinisch sind aber sedierende/entspannende Effekte bestätigt. Seit dem Jahr 2014 sind in der Schweiz CBD- haltige Tabakersatzprodukte mit einem THC-Gehalt
The following work is licensed under a Creative Commons: Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) License. Originally published at: Goldberg, Elijah; Lakämper, Stefan (2020). Cannabidiol im Kontext erstmaliger verkehrsmedizinischer Fahreignungsabklärungen in der Schweiz. Rechtsmedizin, 30(5):305-310. DOI: https://doi.org/10.1007/s00194-020-00419-8 2
Rechtsmedizin Originalien Rechtsmedizin 2020 · 30:305–310 E. Goldberg · S. Lakämper https://doi.org/10.1007/s00194-020-00419-8 Institut für Rechtsmedizin, Abteilung Verkehrsmedizin, Universität Zürich, Zürich, Schweiz Online publiziert: 15. September 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Cannabidiol im Kontext erst- maliger verkehrsmedizinischer Fahreignungsabklärungen in der Schweiz Retrospektive Studie zu Stellenwert und Einfluss auf das Begutachtungsergebnis Einleitung Blutgrenzwert für THC im Straßenver- unter Berücksichtigung der subjektiven kehr (in der Schweiz: 1,5 μg/l Vollblut und objektiven Wahrnehmung der Wir- Cannabidiol (CBD) ist neben Tetrahy- ±30 % Sicherheitsmarge) überschritten kung ist nicht ausreichend untersucht. drocannabinol (THC) ein bedeutender werden kann, was rechtlich zu einer Fahr- In den USA wurde am 25.06.2018 das chemischer Bestandteil der Cannabis- unfähigkeit führt [2]. Frei verkäufliche erste Medikament mit dem Wirkstoff Pflanze (C. sativa und C. indica, [1]). CBD-Produkte können unterschiedliche ® Cannabidiol (Epidiolex ) für Kinder Im Gegensatz zu THC wird CBD kei- Qualitätskriterien aufweisen, die Beden- ab 2 Jahren mit seltenen Epilepsiesyn- ne bedeutsame psychoaktive Wirkung ken hinsichtlich ihrer Reinheit, Wirkung dromen zugelassen (Dravet-Syndrom zugeschrieben; auch wird es nicht zu und Sicherheit begründen [7]. oder Lennox-Gastaut-Syndrom, [16]). den Betäubungsmitteln gezählt [2]. Im Das pharmakologische Wirkprofil von Die US-amerikanische Food and Drug Unterschied zu den meisten europäi- CBD ist sehr komplex und anders als je- Administration (FDA) hat aktuell keine schen Ländern ist Cannabis mit einem nes von THC [8]. Es wirkt im Zentral- sonstigen Medikamente zugelassen und THC-Gehalt bis zu 1 % seit 01.07.2011 nervensystem an unterschiedlichen Re- warnt vor zahlreichen Nebenwirkungen in der Schweiz nicht mehr dem Be- zeptoren und Systemen (Antagonist und (u. a. Leberschäden, Veränderungen der täubungsmittelgesetz unterstellt [3, 4]. inverser Agonist am Cannabinoidrezep- Aufmerksamkeit, Reizbarkeit, Schlaflo- Seit dem Jahr 2016 sind CBD-halti- tor CB1/CB2, jedoch mit einer geringe- sigkeit und Müdigkeit, [17]). ge Tabakersatzprodukte in der Schweiz ren Affinität als THC; [9]). Zudem beein- Gemäß der Studie „Zürcher Projekt freiverkäuflich, wenn sie weniger als 1 % flusst es das Endocannabinoidsystem und zur sozialen Entwicklung von der Kind- THC beinhalten [4]. Dem CBD wer- hat teilweise synergistische Effekte zum heit ins Erwachsenenalter“ (Z-Proso) ga- den sedierende/entspannende Effekte THC [10]. Es entfaltet unterschiedliche ben 2018 56 % der 20-jährigen Einwoh- zugeschrieben, die z. T. durch klinische Effekte auf verschiedene Rezeptoren der ner Zürichs an, im vorherigen Jahr Can- Versuche bestätigt wurden [5]. Es bleibt 5-Hydroxytryptamin(5HT)-Familie und nabis konsumiert zu haben [18]. In der jedoch bisher unklar, ob und bei wel- wirkt zudem indirekt agonistisch an Ade- Schweiz berichteten 2018 9,2 % der 15- chen Konzentrationen CBD Einfluss auf nosinrezeptoren [9, 11, 12]. jährigen Jungen und 4,6 % der 15-jähri- die Fahrfähigkeit (FF) und Fahreignung Die Wirkungen werden in der Lite- gen Mädchen, dass sie mindestens ein- (FE) hat. Gemäß Art. 34 der Verordnung ratur als „antiepileptisch, angstlösend, mal in ihrem Leben CBD konsumiert des Bundesamts für Straßen (ASTRA) neuroprotektiv, antipsychotisch, entzün- haben, und in den 30 Tagen vor der Be- zur Straßenverkehrskontrollverordnung dungshemmend, antiemetisch und an- fragung konsumierten 3,9 % der 15-jäh- gilt ein THC-Konsum als nachgewie- tioxidativ“ beschrieben [13, 14]. Jedoch rigen Jungen und weniger als 2 % der sen, wenn die THC-Messwerte im Blut sind gesundheitliche Langzeiteffekte ak- Mädchen mindestens einmal CBD [19]. 1,5 μg/l erreichen oder überschreiten [6]. tuell weitgehend unklar, wobei eine Gemäß Art. 6a der Verordnung über die Im Leitfaden des Schweizer Bundesamts langfristige Therapie mit CBD zumin- Zulassung von Personen und Fahrzeu- für Gesundheit (BAG) zum Umgang mit dest bei Langzeitcannabiskonsumenten gen zum Straßenverkehr (VZV) können CBD wird darauf hingewiesen, dass beim zu strukturellen Hirnveränderungen in bereits Personen ab 14 Jahren am motori- Konsum von Tabakersatzprodukten mit der hippokampalen Region führen kann sierten Straßenverkehr teilnehmen (Ka- einem THC-Gehalt
Originalien Tab. 1 Aufschlüsselung der Administrativmaßnahmen (AM) nach Auftrag im Zeitraum zwischen umgebung (R-Version 4.0.0., R-Studio 01.01.2016 und 31.12.2019 und Anteil der Cannabidiol(CBD)-Fälle Version 1.2.5042, „libraries“: openxlsx, Alle AM* Alle AM Erst-FuD Canna- Erst-FuD Cannabis mit CBD plyr, dpyr, tableone, plotrix) sowie Excel Sucht** bis 2016 mit Power-Pivot-Plugin analysiert. 2016 4742 2658 361 1 (28.11.2016) Als Ausgangsjahr wurde das Jahr 2016 0,02 %*/0,04 %**/0,28 %*** genommen, als CBD auf dem Schweizer 2017 2975 1572 266 7 Markt effektiv erhältlich wurde. Probe- 0,24 %*/0,45 %**/2,63 %*** weise wurde eine Voranalyse für den Zeit- 2018 2203 1324 244 22 raum vor 2016 mit einer Freitextsuche 1,0 %*/1,66 %**/9,02 %*** nach CBD durchgeführt. Dabei wurden 2019 2144 1306 211 32 keine Fälle identifiziert. 1,49 %*/2,45 %**/15,17 %*** Anschließend wurde die gesamte Summe 12.064 6860 1082 62 Zahl der Datenbankeinträge mit dem 0,51 %*/0,90 %**/5,73 %*** effektiven Untersuchungsdatum zwi- FuD Fahren unter Drogeneinfluss schen 01.01.2016 und 31.12.2019, sor- *alle, **suchtspezifische, *** erstmalig cannabisspezifische Administrativmaßnahmen tiert nach Jahr (2016, 2017, 2018, 2019), extrahiert. Die Gesamtzahl der abge- Tab. 2 Erst-FuD-Cannabis-Fälle zwischen 01.01.2016 und 31.12.2019, davon Fälle mit geltend schlossenen Administrativmaßnahmen gemachtem Cannabidiol(CBD)-Konsuma wurde nach Untersuchungsgrund „ad- Alle Erst-FuD-Can- CBD-Konsum Davon Davon ministrativ“ und Untersuchungsstatus nabisfälle Geltend gemacht männlich weiblich „abgeschlossen“ erhoben. Davon wur- Gesamtzahl, n 1082 62 (5,7 % von 57 (91,9 % 5 (8,1 % von den für ausschließlich suchtspezifische (Anteil, %) 1082) von 62) 62) Fälle das Datenbankeinschlusskriteri- Alter (Jahre; M 30,1 (±9,0) 31,6 (±8,6) 31,3 (±8,6) 35,2 (±9,3) um „sub“ eingeschlossen sowie „krk“ [±SD]) (Krankheit), „psy“ (Psyche), „bes“ (Be- Entscheid des Gutachtens (Anzahl, n [Anteil, %]) sonderes), „chr“ (Charakter) und „nil“ FE negativ 274 (25,3 %) 13 (21,0 %) 12 (21,1 %) 1 (20,0 %) (nichts) ausgeschlossen. FE positiv mit 761 (70,3 %) 47 (75,8 %) 44 (77,2 %) 3 (60,0 %) Für Cannabisfälle, einschließlich Auflage CBD, wurden erweiterte Stichwörter FE positiv ohne 23 (2,1 %) 1 (1,6 %) – 1 (20,0 %) „Cannabis/Cannabinoide“, „Erst-FuD“, Auflage Sex „m“/„w“ sowie Ausschluss „Am- Verzicht 1 (0,1 %) – – – phetamine, Cocain, Heroin, GHB/GBL“ Beurteilbar 1065 (98,4 %) 61 (98,4 %) 56 (98,2 %) 5 (100,0 %) (GHB: γ-Hydroxybutyrat, GBL: γ-Bu- Keine Beurteilung 17 (1,6 %) 1 (1,6 %) 1 (1,8 %) – tyrolacton) verwendet. Für die CBD- möglich spezifischen Fälle wurde die Freitextsu- Fehlende Daten 6 (0,6 %) – – – che nach „CBD“ unter Ausschluss von FE Fahreignung, M Mittelwert, SD Standardabweichung, FuD Fahren unter Drogeneinfluss „Verzicht“ und „haltig“ durchgeführt, a Aufgeteilt nach Geschlecht und aufgeschlüsselt nach Alter und Entscheid des verkehrsmedizini- um möglicherweise verfügte CBD-Ver- schen FE-Gutachtens zichtauflagen (beispielsweise „Auf den Konsum von CBD-haltigen Produkten Ziel der Arbeit Material und Methode ist zu verzichten“) bei „reinen“ Cannabis- fällen auszuschließen. Für „reine“ CBD- Gegenstände der aktuellen Untersu- Für diese Studie wurde eine retrospekti- Fälle wurde unter Einschluss der Freitext- chung sind der Stellenwert und die Häu- ve begriffsbasierte Datenbankrecherche suche nach „CBD“ oder „Cannabidiol“ figkeit von geltend gemachtem CBD- an der Abteilung Verkehrsmedizin des das Stichwort „Cannabis/Cannabinoide“ Konsum im Rahmen der erstmaligen Instituts für Rechtsmedizin der Univer- ausgeschlossen, was zu keinen Treffern verkehrsmedizinischen Fahreignungs- sität Zürich durchgeführt. Alle Exploran- führte. abklärungen von Cannabiskonsumen- den gaben zum Zeitpunkt der verkehrs- Außerdem wurden Alter und Ge- ten. Bei der Bewertung des Stellenwerts medizinischen Untersuchung eine allge- schlecht der Probanden sowie der Ent- von CBD wird sich auf die Analyse von meine Zustimmung zur anonymisierten scheid des Gutachtens (positiv ohne verkehrsmedizinischen Fahreignungs- retrospektiven Datenanalyse. Die Daten Auflagen, positiv mit Auflagen, negativ, abklärungen infolge eines erstmalig wurden aus der Datenbank IBM Lotus freiwilliger Verzicht auf den Führer- aktenkundigen Nachweises einer Fahr- Notes 9 Social Edition in anonymisierter ausweis, keine Beurteilung möglich) unfähigkeit durch Cannabis am Steuer Form in XLSX- und CSV-Kalkulations- erhoben. (im Folgenden Erst-FuD genannt) be- tabellen extrahiert und anschließend de- schränkt. skriptiv-statistisch in einer R-Laufzeit- 306 Rechtsmedizin 5 · 2020
Zusammenfassung · Abstract Rechtsmedizin 2020 · 30:305–310 https://doi.org/10.1007/s00194-020-00419-8 © Der/die Autor(en) 2020 E. Goldberg · S. Lakämper Cannabidiol im Kontext erstmaliger verkehrsmedizinischer Fahreignungsabklärungen in der Schweiz. Retrospektive Studie zu Stellenwert und Einfluss auf das Begutachtungsergebnis Zusammenfassung Einleitung. Cannabidiol (CBD) ist neben medizinischen Fahreignungsabklärungen von meisten CBD-Konsumenten sind männlich Tetrahydrocannabinol (THC) ein bedeutender Cannabiskonsumenten untersucht. (91,9 %). Unterschiedliche Altersverteilung Bestandteil der Cannabis-Pflanze (C. sativa Methode. Retrospektive stichwortbasierte zwischen CBD und THC-Konsumenten mit und C. indica). Dem CBD selbst wird Recherche und Analyse der Datenbank der auffälliger Häufung bei 30- bis 40-jährigen keine bedeutsame psychoaktive Wirkung Abteilung Verkehrsmedizin des Instituts Exploranden. Kaum Unterschiede in der zugeschrieben und es wird nicht zu den für Rechtsmedizin der Universität Zürich. Beurteilung der Fahreignung. Betäubungsmitteln gezählt; klinisch sind aber Deskriptive statistische Analyse. Einschlusskri- Schlussfolgerung. Cannabidiol spielt in dieser sedierende/entspannende Effekte bestätigt. terien: abgeschlossene verkehrsmedizinische Untersuchung zwar eine untergeordnete, je- Seit dem Jahr 2014 sind in der Schweiz CBD- Gutachten im Administrativverfahren doch zunehmende Rolle bei der Begutachtung haltige Tabakersatzprodukte mit einem THC- aufgrund von erstmaligem Fahren unter erstmaligen Fahrens unter Cannabiseinfluss. Gehalt
Originalien Der CBD-Konsum spielt prozentual nur eine geringe Rolle an den Gesamt- und den suchtspezifischen Beurteilungen (insgesamt 0,51 % aller Beurteilungen und 0,90 % aller suchtspezifischen Beur- teilungen). Jedoch ist ein prozentualer Anstieg jener Fälle zu verzeichnen, die im Rahmen der Begutachtung bei einem Cannabis-FuD einen CBD-Konsum gel- tend machen; im Jahr 2019 waren dies 15,17 % (. Tab. 1). Die 62 Exploranden, die sich wegen Cannabiskonsums einer verkehrsmedizi- nischen FE-Abklärung unterziehen las- sen mussten und dabei angegeben ha- ben, CBD zu konsumieren, waren über- wiegend männlich (n = 57 =ˆ 91,9 %). Der Abb. 1 8 Altersverteilung in allen Cannabisfällen (einschließlich Cannabidiolkonsumenten) mit ei- Entscheid des Gutachtens fiel überwie- nem Altersgipfel um das 20. bis 25. Lebensjahr gend mit der Erteilung einer Auflage aus (n = 44, =ˆ 77,2 % bei Männern und n = 3, =ˆ 60 % bei Frauen). Sowohl das gesamte Kollektiv der THC-Konsumenten sowie auch jene, die einen CBD-Konsum gel- tend gemacht haben, erhielten in etwa 20–25 % einen negativen Fahreignungs- entscheid (. Tab. 2). Die Altersverteilung in allen unter- suchten Cannabisfällen (einschließlich der CBD-Konsumenten) ist in . Abb. 1 grafisch dargestellt. Dabei zeigt sich eine rechtsschiefe Verteilung mit einem Gip- fel um das 20. bis 25. Lebensjahr. Mit höherem Alter nimmt die Anzahl der Fälle stetig ab. Die Altersverteilung in den Fällen mit Abb. 2 8 Altersverteilung in den Fällen mit angegebenen Cannabidiolkonsum explizit angegebenem CBD-Konsum ist in . Abb. 2 grafisch dargestellt. Es fin- det sich ein zweigipfliges Plateau zwi- Ergebnisse CBD-Auflagen und Ausschluss des Key- schen 20. und 40. Lebensjahr. Auffällig word „Cannabis/Cannabinoide“, wurden ist der CBD-Gebrauch der Exploranden Von insgesamt 62.997 Datenbankein- keine „reinen“ CBD-Fälle festgestellt. im mittleren Alter. trägen für den Zeitraum zwischen Unter Einschluss des Keyword „Canna- 01.01.2016 und 31.12.2019 wurden ins- bis/Cannabinoide“ wurde in 62 Fällen Diskussion gesamt 12.064 und davon ausschließlich ein CBD-Konsum angegeben. Bei einer suchtspezifisch 6860 Administrativbe- qualitativen Übersicht der relevanten In der vorliegenden Untersuchung spielt gutachtungen durchgeführt. Dabei er- Fälle ergab sich, dass in keinem Fall auf CBDinBezug aufalle Begutachtungenim folgte in 1082 Fällen eine Begutachtung einen reinen CBD-Konsum geschlossen Administrativverfahren zwar insgesamt im Administrativverfahren aufgrund werden konnte. eine untergeordnete, jedoch im Kontext eines erstmaligen Fahrens unter Ein- Die Gesamtfallzahl der Administra- der FE-Begutachtung beim erstmaligen fluss von Cannabis. Eine Aufschlüs- tivbegutachtungen nahm im Beobach- Fahren unter Cannabiseinfluss eine zu- selung der Fälle zwischen 01.01.2016 tungszeitraum stetig ab, wobei der starke nehmende Rolle. Die absolute Zahl der und 31.12.2019 nach CBD, Geschlecht Abfall zwischen 2016 und 2017 durch Exploranden, die einen CBD-Konsum und Entscheid des verkehrsmedizini- Eröffnung konkurrierender Begutach- geltend machten, stieg stetig im Beob- schen Fahreignungsgutachtens ist in den tungsinstitutionen mitbedingt wurde, achtungszeitraum, und 2019 machten . Tab. 1 und 2 dargestellt. Mit der Suchan- sodass ein Teil der Fälle ab 2017 nicht über 15 % aller Exploranden mit erstma- frage nach CBD, unter Ausschluss der mehr in der Statistik abgebildet wurde. ligem Cannabis-FuD den CBD-Konsum 308 Rechtsmedizin 5 · 2020
geltend. Gleichzeitig konnten keine Fälle Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen, von illegalem Cannabis könnte mit identifiziert werden, in denen sich die da es Somnolenz und Sedierung verur- steigendem Alter der Verkehrs- Beschuldigten allein aufgrund des CBD- sachen kann [24]. Ein Einfluss von CBD teilnehmer eine zusätzliche Rolle Konsums einer verkehrsmedizinischen auf die Fahrfähigkeit ergibt sich aktuell spielen. FE-Abklärung unterziehen lassen muss- nicht aus anderen publizierten Untersu- 4 Weitere praxisorientierte Forschung ten, was angesichts des legalen Status chungen, und es kann noch keine Aus- zum Einfluss von CBD auf das Lenken von CBD erwartet wurde. Möglicher- sage getroffen werden, weshalb und wie von Fahrzeugen ist notwendig. weise kann die Angabe, legale CBD- viele CBD-Konsumenten einer FE-Un- Cannabis-Produkte zu konsumieren, als tersuchung zugeführt werden. Die ver- Korrespondenzadresse Schutzbehauptung gewertet werden. kehrsmedizinische Erfassung von CBD- Der Cannabiskonsum ohne Berück- Konsumenten im Kontext von FE-Ab- Dr. rer. nat. S. Lakämper sichtigung des CBD-Konsums nimmtmit klärungen ist Gegenstand einer weiter- Institut für Rechtsmedizin, steigendem Alter ab, was mit den Präva- führenden Untersuchung. Abteilung Verkehrsmedizin, Universität Zürich lenzdaten des BAG vergleichbar ist [21]. Andreasstr. 15, 8050 Zürich, Gleichzeitig wird gemäß dem Monito- Ausblick Schweiz ring-System Sucht und nichtübertragba- stefan.lakaemper@irm.uzh.ch re Krankheiten (NCD) des BAG (Mo- Aus Sicht der Autoren bedarf es systema- nAM) eine Zunahme des Cannabiskon- tischer, kontrollierter und realitätsnaher Funding. Open access funding provided by Univer- sums bei den 35- bis 64-Jährigen beob- klinischer prospektiver Forschungspro- sity of Zurich achtet, was mit dem häufigeren Konsum jekte. Aktuell liegen keine eindeutigen von CBD-Produkten erklärt wird [22]. Studien zur Objektivierung der Wir- Einhaltung ethischer Richtlinien Es bleibt offen, ob der Konsum von CBD kung von CBD unter Berücksichtigung in der Altersgruppe zwischen dem 20. von subjektiver Fahrfähigkeitswahrneh- Interessenkonflikt. E. Goldberg und S. Lakämper und dem 40. Lebensjahr beispielsweise mung und Fahrleistungsdefiziten vor. geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. durch den Vorwand einer Selbstmedika- Die pädiatrische Zielpatientengruppe Dieses Forschungsprojekt fällt nicht in den Geltungs- tion oder eines Umstiegs weg vom illega- ® von Epidiolex und die subjektiven bereich des Humanforschungsgesetzes. len Cannabis erklärt werden kann. Ge- Erfahrungen der erwachsenen Kon- mäß der Z-Proso-Studie (persönl. Kom- sumenten bieten keine ausreichende Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz munikation mit Prof. Dr. rer. nat. Boris Basis für Risikoeinschätzung von CBD- veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Quednow) betrugen die Konsumlebens- Konsum im Straßenverkehr. Es sind Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli- zeitprävalenzen 2018 bei 20-Jährigen für weitere placebokontrollierte Studien mit chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge- Cannabis 68,4 %, für CBD 29,4 % und für reinem CBD unter kontrollierten Be- mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz synthetische Cannabinoide 5,4 % [18]. dingungen notwendig, vorzugsweise in beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom- Seit 2017 liegen aufgrund der ver- einem Fahrsimulator. Dabei sollte neben men wurden. änderten Begutachtungsinfrastruktur Dosis-Wirkung-Beziehungen spezifisch Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges nicht mehr die vollständigen Fälle zur auf Differenzen zwischen subjektiver Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten verkehrsmedizinischen FE-Begutach- Fahrfähigkeitswahrnehmung und Fahr- Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- tung vor, was sich einschränkend auf leistungsdefiziten geachtet werden. treffende Material nicht unter der genannten Creative die Aussagen über die Entwicklung der Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung Fallzahlen auswirkt. Eine weitere Limi- nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für Fazit für die Praxis die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma- tation der vorliegenden Studie ist, dass terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers keine Fälle einbezogen wurden, in de- 4 Es ist unklar, ob und wie viel Cannabi- einzuholen. nen ausschließlich legale CBD-Produkte diol(CBD)-Konsum im Straßenverkehr Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der konsumiert wurden. unbedenklich ist, wobei der Her- Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ Bei den Publikationen mit direktem steller des aktuell einzigen CBD- licenses/by/4.0/deed.de. Bezug zum Straßenverkehr wurde in ei- ® Medikaments Epidiolex von der ner aktuellen Studie von Arkell et al. in Teilnahme am Straßenverkehr abrät. einer Fahrsimulationsuntersuchung mit 4 Ob, weshalb und wie viele CBD- Literatur THC und CBD auf eine gezielte Unter- Konsumenten im Straßenverkehr suchung mit reinem CBD verzichtet, un- auffallen, ist nicht bekannt. Jedoch 1. Pertwee RG (2008) The diverse CB1 and CB2 re- ceptor pharmacology of three plant cannabinoids: ter der Annahme, dass CBD zu keinen wird im Rahmen von Begutachtun- delta9-tetrahydrocannabinol, cannabidiol and Intoxikations- oder Beeinträchtigungs- gen aufgrund von Cannabis der delta9-tetrahydrocannabivarin. Br J Pharmacol effekten führen würde [23]. Jedoch hat CBD-Konsum zunehmend häufiger 153(2):199–215 2. BAG, BfG (2019ed) Produkte mit Cannabidiol ® Epidiolex mit dem Wirkstoff Cannabi- geltend gemacht. (CBD) – Überblick und Vollzugshilfe. 05.07.2019. diol gemäß Fachinformation großen Ein- 4 Der CBD-Konsum als Selbstmedika- Swissmedic, Bern fluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die tion oder Alternative zum Konsum Rechtsmedizin 5 · 2020 309
Hier steht eine Anzeige. 3. Addiction EMCfDaD (2018) Cannabis legislati- nuscript Number: PUBH-D-20-01388. https:// on in Europe. https://doi.org/10.2810/566650. https://www.emcdda.europa.eu/system/files/ publications/4135/TD0217210ENN.pdf. Zugegrif- www.editorialmanager.com/pubh/download. aspx?id=490044&guid=c259339d-da0b-4589- 86b8-60c0af001dae&scheme=1. Zugegriffen: K fen: 04.08.2020. 18.05.2020 4. BAG,BfG(2020)HäufiggestellteFragen(FAQ)zuTa- 19. Delgrande Jordan M, Schneider E, Eichenberger Y, bakersatzproduktenmitTHC-armemHanf.https:// Kretschmann A (2019) La consommation de www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze- substances psychoactives des 11 à 15 ans en Suisse und-bewilligungen/gesuche-bewilligungen/ – Situation en 2018 et évolutions depuis 1986 – gesuche-bewilligungen-im-bereich-sucht/ Résultats de l’étude Health Behaviour in School- gesetzliche-vorgaben-tabakprodukte/faq-cbd. aged Children (HBSC). Rapport de recherche No html. Zugegriffen: 18.05.2020 100. Addiction Suisse, Lausanne 5. Mechoulam R, Peters M, Murillo-Rodriguez E, 20. SR 741.51 (1977) Verordnung vom 27. Oktober Hanus LO (2007) Cannabidiol—recent advances. 1976 über die Zulassung von Personen und Chem Biodivers 4(8):1678–1692 Fahrzeugen zum Strassenverkehr (Verkehrszulas- 6. ASTRA, BfS(2013)VerordnungdesASTRAzurStras- sungsverordnung, VZV) senverkehrskontrollverordnung (VSKV-ASTRA). 21. BAG, BfG (2017) Konsum illegaler Drogen https://www.admin.ch/opc/de/classified- in der Schweiz im Jahr 2016. https://www. compilation/20080078/202003010000/741.013. bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/npp/ 1.pdf. Zugegriffen: 18.05.2020 forschungsberichte/forschungsberichte_drogen/ 7. Lachenmeier DW, Habel S, Fischer B, Herbi F, praevalenzbericht-drogen-2016.pdf.download. Zerbe Y, Bock V et al (2019) Are side effects of pdf/Konsum%20illegaler%20Drogen%20in cannabidiol (CBD) products caused by tetrahy- %20der%20Schweiz%20im%20Jahr%202016. drocannabinol (THC) contamination? F1000Res pdf (updated13.10.2017). Zugegriffen: 18.05.2020 8:1394 22. Eidgenössisches Departement des Innern EDI, 8. Mechoulam R, Hanus L (2002) Cannabidiol: an Gesundheitsobservatorium OBSAN (2019) Anteil overview of some chemical and pharmacological der Bevölkerung in Privathaushalten in % im Alter aspects. Part I: chemical aspects. Chem Phys Lipids von 15 bis 64 Jahren. https://www.obsan.admin. 121(1/2):35–43 ch/de/indikatoren/MonAM/cannabiskonsum- 9. HochE, FriemelCM, SchneiderM(Hrsg)(2019)Can- alter-15-64. Zugegriffen: 18.05.2020 nabis: Potenzial und Risiko: eine wissenschaftliche 23. Arkell TR, Lintzeris N, Kevin RC, Ramaekers JG, Bestandsaufnahme. Springer, Berlin Vandrey R, Irwin C et al (2019) Cannabidiol (CBD) 10. Huestis MA, Solimini R, Pichini S, Pacifici R, Carlier J, content in vaporized cannabis does not prevent Busardo FP (2019) Cannabidiol adverse effects and tetrahydrocannabinol (THC)-induced impairment toxicity. Curr Neuropharmacol 17(10):974–989 of driving and cognition. Psychopharmacology 11. Freeman AM, Petrilli K, Lees R, Hindocha C, 236(9):2713–2724 Mokrysz C, Curran HV et al (2019) How does 24. Agency EM (2019) Epidyolex, INN-cannabidi- cannabidiol (CBD) influence the acute effects of ol. https://www.ema.europa.eu/en/documents/ delta-9-tetrahydrocannabinol (THC) in humans? product-information/epidyolex-epar-product- A systematic review. Neurosci Biobehav Rev information_de.pdf (ZUSAMMENFASSUNG DER 107:696–712 MERKMALE DES ARZNEIMITTELS). Zugegriffen: 12. Campos AC, Moreira FA, Gomes FV, Del Bel EA, 18.05.2020 Guimaraes FS (2012) Multiple mechanisms invol- ved in the large-spectrum therapeutic potential of cannabidiol in psychiatric disorders. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 367(1607):3364–3378 13. Mechoulam R, Parker LA, Gallily R (2002) Can- nabidiol: an overview of some pharmacological aspects. J Clin Pharmacol 42(S1):11S–19S 14. RadbruchL,HauserW(2020)Cannabidiol.Schmerz 34(2):115–116 15. Beale C, Broyd SJ, Chye Y, Suo C, Schira M, Galettis P et al (2018) Prolonged cannabidiol treatment effects on hippocampal subfield volumes in current cannabis users. Cannabis Cannabinoid Res 3(1):94–107 16. Abu-Sawwa R, Stehling C (2020) Epidiolex (cannabidiol) primer: frequently asked questions for patients and caregivers. J Pediatr Pharmacol Ther 25(1):75–77 17. US Food & Drug Administration (2020) Consumer Updates, What You Need to Know (And What We’re Working to Find Out) About Products Containing Cannabis or Cannabis-derived Compounds, Including CBD. https://www.fda.gov/consumers/ consumer-updates/what-you-need-know-and- what-were-working-find-out-about-products- containing-cannabis-or-cannabis. Zugegriffen: 18.05.2020 18. Boris B, Quednow AS, Bechtiger L, Ribeaud D, Eisner M, Shanahan L (2020) High prevalence and early onsets: legal and illegal substance use in an urban cohort of young adults in Switzerland. BMC Public Health, Manuscript Draft, Ma- 310 Rechtsmedizin 5 · 2020
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