Vogelgrippe - Aktuelle Ergänzungen
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Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (2006) 151 (4): 107–111 Vogelgrippe – Aktuelle Ergänzungen Richard Hoop und Martin Schwyzer (Zürich) Zusammenfassung Avian influenza – an update Unter dem Titel «Die Vielfalt der Influenzaviren» In the previous issue of this journal (3/2006), we erschien in der letzten Nummer (3/2006) der Vier- reprinted an article entitled «Die Vielfalt der Influen- teljahrsschrift ein Artikel von Griot, Eynard, Hoop, zaviren» (diversity of the influenza viruses) by Griot, Mathys, Matter, Steffen und Wunderli, der die Hin- Eynard, Hoop, Mathys, Matter, Steffen, and Wunder- tergründe der Vogelgrippe (Geflügelpest) ausleuchte- li, providing background information on the current te (GRIOT et al., 2006). Jener Artikel war zuvor im epizootic of avian influenza (GRIOT et al., 2006). BioFokus Nr. 71 des Vereins «Forschung für Leben» That article had originally appeared in publication erschienen und gab die Situation Ende 2005 wieder. #71 of the Swiss society «Forschung für Leben» Die seither eingetretene Entwicklung in der Schweiz and reflected the situation at the end of 2005. Recent und in anderen Ländern gibt Anlass zu den folgenden developments in Switzerland and abroad are covered aktuellen Ergänzungen (Stand Ende August 2006). until the end of August 2006 in the following update. Wir beschreiben zuerst die weltweite Ausbreitung First, we describe the worldwide spread of avian in- der Vogelgrippe als Tierseuche und den Stand der fluenza as an animal disease and the current status Überwachung und Eingrenzung in der Schweiz. Dann of surveillance and prevention in Switzerland. Then untersuchen wir die Rolle der Influenzaviren vom Typ we examine the role of H5N1 influenza viruses (par- H5N1 (insbesondere Genotyp Z) als Zoonose-Erreger ticularly genotype Z) as infectious agents of zoonosis und wie sich unser Land auf eine mögliche Pandemie and the preparedness of this country for a potential vorbereitet. pandemic. Schlagwörter: Aviäre Influenza – H5N1-Virus – Pandemie-Impfstoff – Pandemieplan Schweiz – Stallpflicht – Vogelüberwachung – Vogelzug – Zoonose 1 DAS VOGELGRIPPEVIRUS H5N1 IN EUROPA der beim Genfer Jet d'eau tot aufgefunden wurde. Kurz UND IN DER SCHWEIZ davor hatte der Bundesrat die Stallpflicht wieder eingeführt (geltend 20. 2. bis 30. 4. 2006). Im März wurde das Virus Im Oktober 2005 erreichte das Virus H5N1 Osteuropa in weiteren Wildvögeln gefunden, so am Bodensee und (Russland, Ukraine, Türkei, Rumänien und Kroatien). Rhein. Dort wurden vorübergehend Überwachungszonen Wie andere westeuropäische Staaten erliess die Schweiz eingerichtet. Im Mai konnten alle Massnahmen wieder darauf ein Freilandhalteverbot (obligatorische Stallpflicht) aufgehoben werden. In der Schweiz war bis heute keiner- für Geflügel, das vom 25. 10. bis 15. 12. 2005 galt. Ab Fe- lei Hausgeflügel betroffen, weder in Wirtschaftsbetrieben bruar 2006 breitete sich das Virus in praktisch alle euro- noch in Hobbyhaltungen. Eine erneute Stallpflicht für päischen Länder aus. Teils wurde es in Geflügelbetrieben die rund acht Millionen Nutztiere dürfte ab Herbst 2006 nachgewiesen, so in unseren Nachbarländern Deutschland nötig werden, falls damit zu rechnen ist, dass Wildvögel und Frankreich, was entsprechende Sperren und Ausmerz- aus H5N1-positiven Gebieten an Schweizer Gewässern ihr aktionen auslöste; teils wurde es lediglich in Wildvögeln Winterquartier beziehen (Abb. 1). gefunden (z. B. in Italien und Österreich). In der Schweiz zeigte sich das Virus erstmals am 26. 2. 2006 in einem Gänsesäger (Mergus merganser), 107
Vogelgrippe – Aktuelle Ergänzungen Abb. 1. Diese Stockenten – fotografiert am Katzensee bei Zürich von Paul Walser – sind gesund, aber empfänglich für das H5N1-Vi- rus wie viele andere Wasservögel. Fig. 1. These common ducks – photographed at Katzensee near Zurich by Paul Walser – are healthy but susceptible to H5N1 virus like many other aquatic birds. 2 INFLUENZA-ÜBERWACHUNG BEI DEN TIEREN bereits eine obligatorische Stallpflicht eingeführt worden. IN DER SCHWEIZ Rund 100 Hobbyhaltungen – meist handelte es sich um En- ten, Gänse und Strausse – mit einer Sonderbewilligung war Bei Beringungsaktionen wurden im Herbst 2005 524 der Weidegang ihrer Vögel nach wie vor bewilligt worden. Singvögel und 443 Wasservögel sowie im Frühjahr 233 Die zweimalige Beprobung dieser Tiere im Abstand von Sing- und Wasservögel mittels Kloakentupfern auf aviäre 6–10 Wochen ergab keine Hinweise für die Verschleppung Influenzaviren untersucht – mit negativem Resultat. Neben von H5N1 ins Hausgeflügel. dieser aktiven Überwachung – auch 216 gejagte Enten Im Herbst 2006 wird die Überwachung der Zugvögel gehörten dazu – wurden im Rahmen der passiven Über- und ausgewählter Geflügelbetriebe mit erhöhtem Risiko wachung (v. a. Totfunde, Massensterben) in den letzten 10 auf breiterer Basis und in Koordination mit den Nachbar- Monaten rund 1100 Wasservögel kontrolliert. Von Ende staaten fortgesetzt, um weitere epidemiologische Daten zu Februar bis Ende März konnte H5N1 bei 32 tot aufgefun- sammeln. denen Wasservögeln vom Genfersee (1 Gänsesäger) und Untersee des Bodensees sowie Hochrhein bis Schaffhausen (31 Wasservögel) gefunden werden. Seit anfangs April ist 3 DIE VOGELGRIPPE IN ASIEN UND AFRIKA H5N1 nicht mehr nachweisbar, eine Beobachtung, welche auch in benachbarten Ländern gemacht wurde und unter Nach wie vor am meisten betroffen von der Vogelgrippe anderem mit dem Vogelzug im Zusammenhang steht. So sind asiatische Länder (Abb. 2). Nach Schätzung der FAO verlassen im April rund 90% der Wasservögel das Win- mussten von Januar 2004 bis Juli 2006 über 220 Millionen terrevier Bodensee und kehren in ihre nördlich gelegenen Vögel wegen der Seuche getötet werden. Für viele Bewoh- Brutgebiete zurück. Zum Zeitpunkt des ersten schweizeri- ner dieser Länder ist das Geflügel eine Existenzgrundlage, schen H5N1-Nachweises war für das Wirtschaftsgeflügel auf die sie schwer verzichten können. In 2006 wurden neue 108
Richard Hoop und Martin Schwyzer Ausbrüche aus bereits früher betroffenen Ländern in Süd- werden. Seither sind weitere Länder in Afrika betroffen ostasien gemeldet (China, Indonesien, Kambodscha, Laos, (Ägypten, Niger, Kamerun, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Malaysia, Thailand). Die Seuche zog aber auch weiter nach Sudan, Djibouti). Westen (Myanmar, Indien, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak, Jordanien, Israel). Die Strategien zur Bekämpfung 4 «FAMILIENFORSCHUNG» BEI INFLUENZA- sind sehr unterschiedlich. Neben Sperre und Ausmerzung VIREN der Tiere kommen in einigen Ländern Massenimpfungen zum Einsatz, so in China und Vietnam mit einem inak- Die in den betroffenen Ländern gefundenen Viren werden tivierten H5N2-Impfstoff. Die Aktionen haben zum Teil isoliert und charakterisiert. Die Analyse beschränkt sich Erfolg. So sind in Südkorea und Japan seit April 2004, in nicht auf den Nachweis mit Referenz-Antiseren, ob eine Vietnam seit Dezember 2005 keine neuen Ausbrüche mehr hochpathogene Variante (HPAI) vom Subtyp H5N1 vor- vorgekommen. liegt. Vielmehr wird dank dem heutigen Stand der Technik Ferner wurde das H5N1-Virus im Januar 2006 erstmals immer häufiger die ganze Basensequenz des RNA-Virus- in Afrika nachgewiesen, nämlich in Nigeria. Es ist nicht genoms bestimmt, also alle acht Segmente mit total über klar, ob das Virus durch Vogelzug aus dem Norden oder 12 000 Basen. Hunderte solcher Sequenzen aus verschie- durch Handel und Transport dorthin gelangt war. Jeden- denen Virusisolaten werden dann miteinander verglichen. falls mussten allein in Nigeria über 700 000 Vögel getötet Spezielle Computerprogramme (z. B. PAUP) können u. a. Abb. 2. Jeden Monat publiziert die FAO eine Karte der neuen H5N1-Ausbrüche in Wildvögeln und Geflügelbetrieben. Fig. 2. Every month, the FAO publishes a map of the new H5N1 outbreaks in wild birds and domestic poultry. 109
Vogelgrippe – Aktuelle Ergänzungen aus der Position der Punktmutationen die mutmassliche Mutationen am Genom für das Hämagglutinin erforderlich Verwandtschaft und Entstehungsweise der Viren bestim- (KUIKEN et al., 2006). men und in «Stammbäumen» darstellen. Diese Art «Fa- Im April 2006 erkrankte eine Frau in Indonesien (Kubu milienforschung» wird phylogenetische Analyse genannt Sembelang, Nordsumatra) an der aviären Influenza (BUT- und bietet wichtige Hinweise auf die Verbreitungswege der LER, 2006). Es scheint, dass sie vor ihrem Tod die Krank- Viren sowie auf Merkmale der Virulenz. heit auf sechs Verwandte übertrug, wovon fünf ebenfalls Innerhalb des Subtyps H5N1 wurden so genotypische starben und einer zuvor noch seinen Vater infizierte. Die Untergruppen bestimmt (engl. clades) und mit Buchstaben Frau hatte sich am Geflügel angesteckt; Sequenzanalyse des Alphabets bezeichnet. Besonders wichtig ist der Ge- der Virusisolate lässt aber vermuten, dass sie ein Glied in notyp Z, der heute die meisten Ausbrüche in Südostasien der weiteren Übertragungskette war. Offenbar traten dabei dominiert, und der bis 2002, zur ersten Isolation in China, Mutationen in fast allen Genom-Segmenten auf, nicht aber zurückverfolgt werden konnte (SMITH et al., 2006). bei der Bindungsstelle für den oben erwähnten Rezeptor. Obwohl die Ergebnisse der Untersuchung noch nicht pu- bliziert sind, rückt der Übertragungsweg von Mensch zu 5 H5N1-FÄLLE BEIM MENSCH Mensch näher in den Bereich der Möglichkeit. Immerhin Obwohl die H5N1-Influenza immer noch in erster Linie blieb das Virus auf die betroffene Familie beschränkt. eine Tierseuche ist, bedroht sie als Zoonose auch die Men- schen. Gegenwärtig befinden wir uns gemäss Definition der 6 WAS TUN IM FALL EINER PANDEMIE? WHO in der Pandemiephase 3, wo Menschen sich durch intensiven Kontakt mit infiziertem Geflügel anstecken kön- Fieberhaft wird auf der ganzen Welt an der Entwicklung nen, aber das Virus nie auf andere Menschen übertragen, eines H5N1-Impfstoffes für den Mensch geforscht, da die ausser in sehr seltenen Fällen auf enge Verwandte oder üblichen bei der humanen Grippe eingesetzten Impfstoffe Nachbarn. gegen den Vogelgrippeerreger nicht schützen. Allerdings Seit 2003 sind gemäss Statistik der WHO 241 Personen können wichtige Komponenten dieses H5N1-Impfstoffes an H5N1 (ausschliesslich Genotyp Z) erkrankt und 141 erst dann entwickelt werden, wenn der Genotyp Z von Personen gestorben. Am meisten Opfer waren in Indone- H5N1 die Eigenschaften eines Pandemieerregers erwor- sien, Vietnam, Thailand und China zu beklagen. Menschli- ben hat. Dann beginnt der eigentliche Wettlauf gegen che Erkrankungen wurden auf allen Kontinenten, wo dieser den Vogelgrippeerreger, da mit einer Produktionszeit von Genotyp sich ausgebreitet hat, beobachtet. Allen humanen 6–8 Monaten für rund 500 Millionen Impfdosen gerechnet Vogelgrippefällen ging ein enger Kontakt mit an Geflügel- werden muss. Da in der Schweiz keine etablierte Impfstoff- pest erkranktem Geflügel oder deren Ausscheidungen (Kot, produktion mehr existiert, beauftragt der Bund nächstens Sekrete) voraus. Entgegen den Befürchtungen der WHO ist im Rahmen des Pandemieplanes einen ausländischen es bis heute bei Einzelerkrankungen geblieben; die wich- Impfstoffhersteller mit der Produktion von 8 Millionen tigste Eigenschaft eines Grippe-Pandemieerregers, nämlich Impfdosen. die Übertragung von Mensch zu Mensch, ist bei H5N1 Im Juli 2006 erschien der neue Influenza-Pandemie- noch nicht eingetreten (Ausnahme: siehe unten). Dies dürf- plan Schweiz, ein rund 250-seitiges Dokument, das den te u. a. mit der Tatsache zu tun haben, dass die Rezeptoren verschiedenen Akteuren (Bund, Kantone, Private) als für die Haftung von H5N1 beim Mensch nur in bestimmten Planungsinstrument dient und im Internet bereit steht Zellen (Pneumozyten Typ II) der Lungenbläschen – also (www.bag.admin.ch/influenza). Die Schwerpunkte sind: tief im untersten Teil des Respirationstraktes – vorhanden Verhinderung der Einschleppung von Viren in die Schweiz, sind (SHINYA et al., 2006; VAN R IEL et al., 2006). Ange- Vermeidung der Anpassung eines Tiervirus an den Men- steckte Menschen können das Virus weder durch Husten schen, Vorbereitung des Gesundheitssystems, Sicher- noch durch Niesen übertragen – ein Mechanismus, der für stellung der Versorgung mit Impfstoffen und antiviralen die schnelle Mensch-zu-Mensch-Verbreitung normaler hu- Medikamenten, Aufrechterhaltung der grundlegenden maner Grippeviren verantwortlich ist, welche sich primär Dienstleistungen und Gewährleistung der Information im im Nasen-Rachen-Raum vermehren. Bis der aktuell gras- Pandemiefall. sierende Genotyp Z von H5N1 den Rezeptor für humane Ob und wann eine Pandemie auf uns zukommt, steht Influenzaviren erkennen könnte, wären wohl noch mehrere noch in den Sternen geschrieben (der Name Influenza 110
Richard Hoop und Martin Schwyzer kommt von «Einfluss der Sterne»). Die hier beschriebene BUTLER, D. 2006. Family tragedy spotlights flu mutations. Na- Entwicklung lässt jedoch zu grosser Wachsamkeit raten. ture 442, 114–115. Mit der Umsetzung des Pandemieplans, der laufend den GRIOT, C., EYNARD, F., HOOP, R., MATHYS, P., MATTER, H. C., Verhältnissen angepasst wird, sollte die Schweiz gut ge- STEFFEN, R. & WUNDERLI, W. 2006. Die Vielfalt der Influenza- rüstet sein. viren. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 151 (3), 81–90. 7 LITERATUR KUIKEN, T., HOLMES, E.C., MCCAULEY, J., R IMMELZWAAN, G.F., WILLIAMS, C.S. & GRENFELL, B.T. 2006. Host species barriers to Neben der hier zitierten Literatur wurden folgende Internet- influenza virus infections. Science 312, 394–397. Adressen herangezogen: SHINYA, K., EBINA, M., YAMADA, S., ONO, M., K ASAI, N. & K A- www.aphis.usda.gov; WAOKA, Y. 2006. Influenza virus receptors in the human airway. www.bag.admin.ch; Nature 440, 435–436. www.birdlife.ch; SMITH, G.J.D., NAIPOSPOS, T.S.P. & 22 weitere Autoren 2006. www.bvet.admin.ch; Evolution and adaptation of H5N1 influenza virus in avian and www.cdc.gov/flu; human hosts in Indonesia and Vietnam. Virology 350, 258–268. www.cidrap.umn.edu; VAN R IEL, D., MUNSTER, V.J., DE WIT, E., R IMMELZWAAN, G.F., www.fao.org; www.oie.int; FOUCHIER, R.A.M., OSTERHAUS, A.D.M.E. & KUIKEN, T. 2006. www.who.int. H5N1 virus attachment to lower respiratory tract. Science 312, Wir danken PD Dr. Christian Griot für Literaturhinweise 399. und die Durchsicht dieses Artikels. Adresse des korrespondierenden Autors: Martin Schwyzer, Prof. Dr. phil., Virologisches Institut, Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich, Winterthurerstrasse 266a, CH-8057 Zürich, E-Mail: schwyzer@vetvir.unizh.ch Richard Hoop, Prof. Dr. med. vet., Institut für Veterinärbakteriologie, Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich 111
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