CORONA VERSTEHEN SARS-COV-2-EPIDEMIE UND CORONAVIRUS-19-ERKRANKUNG. ERGÄNZUNG ZUM LEHRBUCH SOZIALMEDIZIN, PUBLIC HEALTH ...
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David Klemperer Corona verstehen SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1 Stand 17.12.2020
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Inhalt Vorbemerkung ..........................................................................................................................................4 Einleitung .................................................................................................................................................4 1 Ausgewählte Grundbegriffe der Virologie in Verbindung mit SARS-CoV-2 ......................................5 1.1 Viren...............................................................................................................................................5 1.2 Coronaviren ....................................................................................................................................5 Familie der Coronaviren ...................................................................................................................5 1.3 Phasen der Infektion.......................................................................................................................6 1.4 Labordiagnostik der SARS-CoV-2-Infektion ................................................................................8 Testeigenschaft (Sensitivität, Spezifität) ..........................................................................................8 Teststrategie ungezielt vs. gezielt .....................................................................................................9 Testverfahren ..................................................................................................................................11 1.5 Falldefinition ................................................................................................................................15 2 Coronavirus disease 2019 ....................................................................................................................16 2.1 Symptome und Verlauf ................................................................................................................16 2.2 Medikamentöse Therapie .............................................................................................................16 2.3 Impfung ........................................................................................................................................18 Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen ................................................................................18 Konventionelle Impfstoffe..............................................................................................................19 Genetische Impfstoffe ....................................................................................................................20 Sicherheit von Impfstoffen .............................................................................................................20 3 Epidemie, Pandemie, Public Health Emergency of International Concern.........................................22 3.1 Definitionen .................................................................................................................................22 3.2 Monitoring und, Berichterstattung ...............................................................................................22 3.3 Gesamtschwere einer Pandemie...................................................................................................23 Reproduktionszahl und Manifestationsindex .................................................................................24 Infektionssterblichkeitsrate und Fallsterblichkeitsrate ...................................................................24 Übersterblichkeit ............................................................................................................................26 3.4 Soziale Ungleichheiten ................................................................................................................27 4 Strategien und Maßnahmen bei einer Pandemie .................................................................................29 4.1 Strategien .....................................................................................................................................29 4.2 Nicht-pharmakologische Interventionen ......................................................................................31 Erfolgreiche Strategien in Asien und Ozeanien .............................................................................37 4.3 Chronologie der Epidemie und der Maßnahmen in Deutschland ................................................38 4.4 Einschränkung von Grundrechten ................................................................................................40 5 Berichterstattung in den Nachrichtenmedien ......................................................................................42 6 Wissenschaft in Zeiten von SARS-CoV-2 ..........................................................................................44 6.1 Studien zu SARS-CoV-2 .............................................................................................................44 6.2 Wissenschaftlicher Mainstream ...................................................................................................45 6.3 Wissenschaftlichkeit ....................................................................................................................46 Copyright David Klemperer 2020 2
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 6.4 Desinformationen und Verschwörungserzählungen ....................................................................47 Versionsgeschichte: ................................................................................................................................50 Literatur ..................................................................................................................................................51 Copyright David Klemperer 2020 3
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Vorbemerkung Mein Lehrbuch „Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften“ ist am 23.3.2020 in der 4. Auflage erschienen, also zu einem Zeitpunkt, als das Corona-Thema gerade hochaktuell geworden war, jedoch nicht mehr ins Buch eingearbeitet werden konnte. Wegen der Bedeutung des Themas habe ich mich entschlossen, ein eigenes Kapitel zur SARS-CoV-2-Pandemie zu schreiben. Mein Ziel ist es – wie auch bei meinem Lehrbuch – neugierigen Personen ohne Vorkenntnisse ein Thema auf wissenschaftlicher Grundlage verständlich zu machen. Die Überschrift „Corona verstehen“ sollte richtig verstanden werden: zum Verständnis zählt nicht nur das, was wir wissen, sondern auch das, was wir nicht wissen. Corona führt uns deutlich und exemplarisch vor Augen, wie wissenschaftliches Wissen gewonnen und vermehrt. wird: Schritt für Schritt, Studie für Studie. Es bleibt dabei regelmäßig Spielraum für unterschiedliche Bewertungen der Ergebnisse. Die durchgehende Referenzierung (Angabe von Quellen) soll zur vertieften Befassung mit der Materie und zur eigenen Meinungsbildung ermuntern. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zielen auf die ganze Bevölkerung oder auf Bevölkerungsuntergruppen, sind also Public Health-Maßnahmen. Die Politiker*innen, die diese Maßnahmen anzuordnen haben, lassen sich wissenschaftlich beraten, in erster Linie durch das Robert Koch-Institut. Deutlich wurde aber, wie wichtig es ist, dass die Bevölkerung die Maßnahmen nachvollziehen kann oder ihnen auf sachlicher Grundlage, also anhand von Fakten widersprechen kann. Zu dieser Dialogfähigkeit soll dieses Kapitel beitragen. Dabei geht es um Grundbegriffe, die sich bis auf weiteres nicht wandeln werden, um aktuelle und häufig vorläufige Studienergebnisse und um Daten zur COVID-Situation, die sich fortlaufend verändern. Vieles im Folgenden ist als Momentaufnahme zu verstehen. Das Kapitel wird daher in Abständen aktualisiert. Es wird mir nicht gelungen sein, inhaltliche und formale Fehler ganz zu vermeiden. Für entsprechende Hinweise bin ich dankbar: david.klemperer@oth-regensburg.de Einleitung Übertragbare Krankheiten betreffen definitionsgemäß mehr als eine Person. Die Beschreibung ihrer Ausbreitung in einer Bevölkerung und die Analyse ihrer Ursachen sind Aufgaben der Epidemiologie. Maßnahmen zur Minderung der Ausbreitung von (Infektions-)Krankheiten sind Public Health- Interventionen – das bedeutet, dass sich die Maßnahmen auf Gruppen innerhalb der Bevölkerung oder ganze Bevölkerungen beziehen. Die Corona-Pandemie hat daher der Epidemiologie und Public Health mit Recht Aufmerksamkeit beschert. Einige Grundbegriffe der Epidemiologie und von Public Health zählen mittlerweile zur Allgemeinbildung. Seit im Dezember 2019 erstmalig in Wuhan/China der Coronavirus-Typ SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde, wird das Leben weltweit von der Dynamik der Ausbreitung dieses Virus und den Public Health-Maßnahmen zu seiner Eindämmung bestimmt. In diesem Kapitel soll ein Grundwissen vermittelt werden, das dabei hilft, das Virus, die Epidemie, ihre Dynamik und ihre Gesundheitsfolgen zu verstehen. Es soll helfen, die Maßnahmen zur Eindämmung wie auch deren verfassungsrechtliche Aspekte einordnen zu können. Weiterhin wird die Berichterstattung der Nachrichtenmedien kritisch dargestellt. Abschließend geht es um die Vertrauenswürdigkeit von Informationen – ein Thema, das nicht erst seit der SARS-CoV-2-Pandemie aktuell ist. Merke Maßnahmen zur Minderung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten sind Public Health- Interventionen. Copyright David Klemperer 2020 4
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 1 Ausgewählte Grundbegriffe der Virologie in Verbindung mit SARS-CoV-2 1.1 Viren Viren sind biologische Strukturen, die weder über zelluläre Strukturen noch über einen eigenen Stoffwechsel verfügen – es handelt sich letztlich um Gene, die in Proteinhüllen verpackt sind. die zur Vermehrung auf geeignete Wirtszellen angewiesen sind. Viren können sich nicht eigenständig vermehren. Sie werden als obligate intrazelluläre Parasiten bezeichnet. Ihre genetische Information enthalten sie entweder als DNA oder RNA. Als genetische Sequenz wird die Reihenfolge der Nukleotide in einem DNA- bzw. RNA-Molekül bezeichnet, welche die biologischen Eigenschaften eines Virus determinieren. Der PCR-Test (s. S. 12) identifiziert Viren anhand ihrer jeweils spezifischen genetischen Sequenz. Die Größe von Viren liegt zwischen 20 Nanometern bis mehrere Hundert Nanometer (Campbell 2015, S. 506 f.). Die Anzahl der verschiedenen Virusarten wird auf 1,8 Mio. geschätzt. Die Einteilung der Viren (Taxonomie) ist in Abb. 1 dargestellt. Abbildung 1 Einteilung der Viren (Tobler et al. 2016, S. 28) Im Jahr 2014 enthielt die offizielle Einteilung 7 Ordnungen, 104 Virusfamilien, 23 Unterfamilien, 505 Genera und 3186 Virus-Spezies. Es wird angenommen, dass eine sehr viel höhere Zahl von bisher nicht entdeckten Viren existiert. Bis dahin unerkannte Viren können sich durch Veränderung ihres Erbgutes (Mutation) und daraus folgenden neuen krankheitsauslösenden Eigenschaften (Pathogenität) bemerkbar machen. Auch kann ein Wirtswechsel von Tier zu Mensch dazu führen, dass das Virus beim Menschen Krankheiten auslöst. Solche plötzlich neu in Erscheinung tretende Viren werden häufig als „neue Viren“ (engl.: emerging viruses“) bezeichnet – auch wenn sie bis dahin nur unauffällig waren und also nicht wirklich neu sind. 1.2 Coronaviren Familie der Coronaviren Die Familie der Coronaviren umfasst einzelsträngige RNA-Viren, die seit den 1960er-Jahren als Auslöser von Atemwegsinfektionen bekannt sind. Coronaviren sind weit verbreitet. Sie gelten als Ursache für etwa 15% aller Erkältungskrankheiten („common cold“) bei Erwachsenen. (Greenberg 2016) Coronaviren haben in den Jahren 2002 und 2012 Aufmerksamkeit erregt. Durch Mutation sind neue Mitglieder der Virusfamilie aufgetreten, die schwere Erkrankungen der Atemwege und weiterer Organsysteme mit teils hoher Fallsterblichkeitsrate (s. S. 24) verursachen können. • Das SARS-Coronavirus (SARS-CoV) ein bis dahin nicht bekanntes Virus war Verursacher eines Krankheitsausbruchs, der 2002 von der chinesischen Provinz Guandong ausging und innerhalb weniger Monate zu 8273 bestätigten Fällen in 37 Ländern führte. 773 Patienten verstarben, entsprechend einer Fallsterblichkeitsrate (s. S. 24) von 9%. SARS steht für „Severe Acute Respiratory Syndrome“ (Schweres akutes respiratorisches Syndrom). Nach 2003 ist keine Infektion mit SARS-CoV gesehen worden (Coleman und Frieman 2014). Copyright David Klemperer 2020 5
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 • Das MERS-Coronavius (MERS-CoV) trat 2012 in Erscheinung. MERS steht für Middle East Respiratory Syndrome. Die Übertragung dieses Virus von Mensch zu Mensch ist niedrig, die Fallsterblichkeitsrate mit etwa 30% jedoch sehr hoch. Die WHO verzeichnet von 2012 bis Ende Januar 2020 2519 Fälle, davon 866 Todesfälle (https://tinyurl.com/tl97svy). SARS-CoV-2 (Abb. 2) ist ein seit Anfang 2020 bekanntes Virus, das als Verursacher von COVID-19 identifiziert wurde. Es zählt zu den Beta-Coronaviren, wie auch SARS-CoC und MERS-CoV. Wie alle RNA-Viren mutiert es häufig und kann dadurch seine Eigenschaften verändern. Bisher sind keine wesentlichen Veränderungen seiner Eigenschaften erfasst worden – möglich ist sowohl eine Verstärkung wie auch eine Abschwächung der Pathogenität. Offene Frage Wird das SARS-CoV-2 durch Mutation harmloser oder gefährlicher oder weder noch? Abbildung 2 SARS-CoV-2 mit Spike-Oberflächen-Antigen Quelle: CDC / Alissa Eckert, Dan Higgins 1.3 Phasen der Infektion Eine Infektion liegt vor, wenn Krankheitserreger (z.B. Bakterien, Viren, Pilze) in einen Organismus eindringen und sich dort vermehren. Infektion ist nicht gleichbedeutend mit Infektionskrankheit. Eine Infektionskrankheit liegt erst dann vor, wenn die Infektion zu Krankheitssymptomen führt. Infektionen können aber auch symptomlos (asymptomatisch) verlaufen, also ohne Entwicklung einer Krankheit. Als Infektionsweg (auch: Übertragungsweg) wird bezeichnet, wie sich Krankheitserreger verbreiten. Die Kenntnis der Infektionswege ermöglicht präventive Maßnahmen zum Schutz vor Krankheitserregern. Der SARS-CoV-2 wird in erster Linie über Tröpfchen (kleine Flüssigkeitskörper) und Aerosole („Schwebeteilchen“) übertragen, die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen einer infizierten Person entstehen und von einer anderen Person über die Atmung aufgenommen werden („direkte Infektion“). Die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme von Tröpfchen und Aerosolen ist im Umkreis von 1 bis 2 m um eine infizierte Person herum besonders hoch, hängt aber auch vom Aufenthalt im Freien oder in Räumen und der Belüftung ab und davon, ob die Menschen schweigen, sprechen, singen, rufen oder husten – diese Erkenntnisse legen differenzierte Abstandsregeln (s.u.) nahe (Jones et al. 2020). Die Übertragung über Oberflächen bzw. Gegenstände wie Türgriffe und Spielzeug, die mit SARS- CoV-2 kontaminiert sind, ist laut RKI (2020c) nicht auszuschließen. Auf glatten Oberflächen wird eine Stabilität („Tenazität“) von 3 bis 7 Tagen berichtet. Ob aber darüber eine Infektion erfolgen kann, ist noch ungeklärt. Im Verlauf einer Infektionskrankheit sind drei Phasen zu unterscheiden: Die Inkubationsphase beginnt im Moment der Infektion, also dem Eindringen des Erregers in den Organismus und endet mit den ersten Symptomen. Für die Coronavirus-Krankheit-2019 gilt laut RKI (2020c): • Nach 5 bis 6 Tagen haben 50% der Infizierten haben Symptome entwickelt • Nach 10 bis 14 Tagen habe 95% der Infizierten Symptome entwickelt Copyright David Klemperer 2020 6
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 • Bei einem kleinen Teil treten Symptome später als nach 14 Tagen auf • Viele Virusübertragungen erfolgen durch infizierte Personen, die noch keine Symptome zeigen, also in der präsymptomatischen Phase. Die Prodromalphase beginnt mit dem Auftreten der ersten Symptome und endet mit der definitiven Diagnose. Die Krankheitsphase beginnt mit der Diagnose und endet mit der Heilung oder dem Tod. Weiterhin ist zwischen der latenten und infektiösen Phase zu unterscheiden. In der Latenzphase ist ein Mensch bereits infiziert aber nicht infektiös, d.h. er kann andere Menschen nicht anstecken. In der infektiösen Phase kann ein Mensch andere Menschen anstecken. Die infektiöse Phase kann bereits in der Inkubationsphase beginnen, also vor Auftreten der ersten Symptome, sie endet zumeist bevor die Krankheit endet. Nicht jede Infektion geht in die Prodromal- und Krankheitsphase über. Viele Infektionen lösen keine oder nur geringe Symptome aus. Symptomfrei (asymptomatisch) und symptomarm Infizierte können für die Ausbreitung einer Infektion eine große Bedeutung haben. Das RKI fasst die aktuellen Studien zur infektiösen Phase von SARS-CoV-2 folgendermaßen zusammen (RKI 2020c und Abb. 3): • Infektiosität besteht 2-6 Tage vor Auftreten von Symptomen (präsymptomatische Phase). • Die höchste Infektiosität besteht am Tag vor Symptombeginn. • Die Dauer der Infektiosität nach Symptombeginn beträgt 8 bis 9 Tage mit abnehmender Tendenz bei schweren Verläufen bis 20 Tage. • Bei asymptomatischen Personen ist die infektiöse Phase vermutlich kürzer. Abbildung 3 Infektiosität SARS-CoV-2. Quelle: Wikipedia, vereinfachte Darstellung nach RKI (2020e) Während symptomatisch Erkrankte ihre sozialen Kontakte und damit auch die Wahrscheinlichkeit weiterer Übertragungen oft von allein reduzieren, können symptomfreie Infektiöse ihre Infektionen arglos und unerkannt verbreiten. Auf diesen Teil des Übertragungswegs zielen u.a. Maßnahmen wie das Nachverfolgen der Kontaktpersonen erkannter Infizierter sowie Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen wie Mund-Nase-Schutz für die (symptomfreie) Gesamtbevölkerung. Merke Das SARS-CoV-2 kann von Personen verbreitet werden, die präsymptomatisch, symptomatisch oder asymptomatisch sind. Copyright David Klemperer 2020 7
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Offene Fragen Wie häufig verläuft eine Infektion asymptomatisch? Wie infektiös sind asymptomatisch Infizierte? Immunität besteht, wenn ein Organismus als Antwort auf eine Infektion Antikörper (Immunglobuline) und Abwehrzellen (T4- und T8-Zellen) gebildet hat, die eine künftige Infektion verhindern oder abschwächen. Immunität kann auch durch Zuführung eines Erreger-Antigens durch Impfung entstehen. Die Infektion mit SARS-CoV-2 führt zur Bildung von Antikörpern. In der englischen REACT-Studie mit mehr als 365.000 Teilnehmern sank der Anteil der Antigen-Positiven innerhalb eines Dreimonatszeitraums, was ein Hinweis darauf sein kann, dass die Antikörper im Laufe der Zeit wieder verschwinden (Ward et al., Preprint 27.10.2020). Die Erfahrungen mit den relativ harmlosen Corona- Erkältungsviren (s.o.) sprechen dafür, dass zumindest ein zeitlich begrenzter Schutz vor erneuter Infektion entsteht. Vorheriger Kontakt mit Corona-Erkältungsviren lässt die zelluläre Immunabwehr (T-Helferzellen) das SARS-CoV-2 erkennen und könnte im Sinne einer Kreuzimmunität zu einem milderen Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion führen, was in weiteren Studien zu klären ist (Braun et al. 29.7.2020). Bei den gemeldeten Fällen von Zweitinfektionen und Zweiterkrankungen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 handelt es sich vermutlich seltene Einzelfälle (z.B. Tillett 27.8.2020). Gemeinschaftsimmunität/Herdenimmunität bezeichnet den (relativen) Schutz nicht-immuner Personen innerhalb einer Population (Gemeinschaft, „Herde“) durch einen ausreichend hohen Anteil immuner Personen, durch die die Ausbreitungsmöglichkeiten des Erregers eingeschränkt werden. Die Immunität kann durch Infektion oder durch Impfung entstanden sein. In epidemiologischen Modellen, die eine ungestörte Ausbreitung der Infektionen beschreiben, ist die Schwelle zur Herdenimmunität (HIT, herd immunity threshold) im Wesentlichen abhängig von R0. Schätzungen der Schwelle zur Herdenimmunität für SARS-CoV-2 bewegen sich zwischen einem Bevölkerungsanteil von 40% und 75% (Britton et al. 2020). 1.4 Labordiagnostik der SARS-CoV-2-Infektion Testeigenschaft (Sensitivität, Spezifität) Tests können nicht sicher aussagen, ob die Infektion oder die Krankheit vorliegt oder nicht. Sowohl ein positives Ergebnis – Infektion/Krankheit vorhanden –, wie auch ein negatives Ergebnis – . Infektion/Krankheit nicht vorhanden, kann falsch sein. Es gibt also richtig und falsch positive Ergebnisse, wie auch richtig und falsch negative Ergebnisse. Die Vierfeldertafel (Abb. 4) verdeutlicht die vier Möglichkeiten von Testergebnissen: Infizierte/Erkrankte Feld a – positives Testergebnis: richtig positiv Feld c –negatives Testergebnis: falsch negativ Gesunde/Nicht-Infizierte Feld b – positives Testergebnis: falsch positiv Feld d – negatives Ergebnis: richtig negativ Copyright David Klemperer 2020 8
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Abbildung 4 Vierfeldertafel eines diagnostischen Tests Die Zuverlässigkeit des Tests wird mit den Begriffen Sensitivität und Spezifität bezeichnet. Sensitivität bezeichnet die Eigenschaft eines Tests, Kranke als krank zu erkennen, in der Vierfeldertafel also: Fällt bei 100 Infizierten (a+c) der Test bei 90 positiv aus (Feld a) beträgt die Sensitivität 90%, d.h. 10 erhalten ein negatives Ergebnis (Feld c) Spezifität bezeichnet die Eigenschaft eines Screening-Tests, Gesunde bzw. Nicht-Infizierte als gesund bzw. nicht-infiziert zu erkennen, in der Vierfeldertafel also: Fällt bei 100 Gesunden (b+d) der Test bei 90 negativ aus (Feld d) beträgt die Spezifität 90%, d.h. 10 erhalten ein falsch-positives Ergebnis (Feld b). Den Anteil richtig positiver Testergebnisse an allen positiven Testergebnissen wird als positiver prädiktiver Wert (PPW) bzw. positiver Vorhersagewert bezeichnet (engl. positive preditive value, PPV). Der PPW beantwortet also die Frage: „Eine Person hat ein positives Testergebnis. Wie wahrscheinlich ist sie tatsächlich infiziert?“ Den Anteil richtig negativer Testergebnisse an allen negativen Testergebnissen wird als negativer prädiktiver Wert (PPW) bzw. negativer Vorhersagewert bezeichnet (engl. negative preditive value, NPV). Der NPW beantwortet also die Frage: „Eine Person hat ein negatives Testergebnis. Wie wahrscheinlich ist sie tatsächlich nicht infiziert?“ Teststrategie ungezielt vs. gezielt Aus dem Vorhergesagten folgen zwei Fragen: • Wie wahrscheinlich ist es, dass eine positiv getestete Person tatsächlich positiv bzw. infiziert ist? (PPW) • Wie wahrscheinlich ist es, dass eine negativ getestete Person tatsächlich negativ bzw. nicht infiziert ist? (NPW) Diese Wahrscheinlichkeiten hängt von der Sensitivität und Spezifität des Tests ab und von der Verbreitung der Infektion in der Bevölkerung bzw. dem Anteil der Infizierten innerhalb der getesteten Bevölkerungsgruppe. Dieser Anteil wird als Prävalenz (P) bezeichnet. Copyright David Klemperer 2020 9
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 PPW und NPW unterscheiden sich bei verschiedenen Prävalenzen erheblich. Dies soll am Beispiel einer niedrigen Prävalenz (5 von 10.000 Getesteten sind tatsächlich infiziert) und einer hohen Prävalenz (1000 von 10.000 Getesteten sind tatsächlich infiziert) gezeigt werden (Abb. 5). In dem Beispiel wird ein Test mit einer Sensitivität von 80% und eine Spezifität von 98% zugrunde gelegt. Diese Werte entsprechen den Mindestanforderungen an einen Antigen-Schnelltest (s. S. 13). Niedrige Prävalenz (0,05%, Abb. 5, linkes Beispiel): Für die 5 Infizierten ergibt sich folgendes: 4 erhalten ein richtig positives Ergebnis, einer ein falsch- negatives Ergebnis (Sensitivität 80%). Für die 9995 Nicht-Infizierten unter den 10.000 Getesteten ergibt sich folgendes: 9795 erhalten ein richtig negatives Ergebnis, 200 erhalten ein (falsch-)positives Ergebnis (Spezifität 98%). Daraus ergeben sich insgesamt 204 positive Ergebnisse, von denen 4 richtig positiv sind. Der positive prädiktive Wert beträgt somit 1,96%. Es ergeben sich insgesamt 9796 negative Ergebnisse, von denen 9795 richtig negativ sind. Der negative prädiktive Wert beträgt somit 99,99%. Hohe Prävalenz (10%, Abb. 5, re. Beispiel): Für die 1000 Infizierten ergibt sich folgendes: 800 erhalten ein richtig positives Ergebnis, 200 ein falsch-negatives Ergebnis (Sensitivität 80%). Der Anteil richtig positiver Testergebnisse an allen positiven Testergebnissen (PPW) beträgt 81,6%. Für die 9000 Nicht-Infizierten unter den 10.000 Getesteten ergibt sich folgendes: 8820 erhalten ein richtig negatives Ergebnis, 200 ein falsch positives Ergebnis. Von den 9020 Personen mit negativem Testergebnis sind also 8820 richtig negativ. Der Anteil richtig negativer Testergebnisse an allen negativen Testergebnissen (NPW) beträgt 97,78%. Das Fazit lautet, dass bei niedriger Prävalenz ein positives Testergebnis sehr wahrscheinlich falsch positiv ist, der PPW also niedrig ist. Mit Anstieg der Prävalenz steigt auch der PPW. Voraussetzung für die Vertrauenswürdigkeit eines Testergebnisses ist neben den genannten Testeigenschaften Sensitivität und Spezifität • die fachgerechte Verarbeitung des Untersuchungsmaterials im Labor • die fachgerechte Durchführung des Abstrichs und ggf. der fachgerechte Transport zum Labor. Vertiefung Eine allgemeinverständliche und unterhaltsame Einführung in einige Fragen der Teststatistik geben Hans-Hermann Dubben und Hans-Peter Bornholdt in ihren Büchern • Der Hund, der Eier legt. Erkennen von Fehlinformation durch Querdenken. Kapitel 1 Ohne Panik positiv, Aussagekraft von Früherkennungsuntersuchungen) und • Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit: logisches Denken und Zufall: in Kapitel 7 Die Nadel im Heuhaufen. (hier insbesondere zur Frage der Niedrigprävalenz) Copyright David Klemperer 2020 10
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Abbildung 5 Corona-Schnelltest-Ergebnisse verstehen. Quelle RKI 2020 https://tinyurl.com/y3awayfh Testverfahren Abb. 6 zeigt den schnellen Anstieg und Abfall der Viruslast sowie den Anstieg und Abfall der IgM- Antikörper und den Anstieg der IgG-Antikörper im Verlauf der Infektion. Im unteren Teil der Abbildung ist der Zeitraum gekennzeichnet, in dem ein PCR-Test und auch ein Antigen-Schnelltest bzw. der Antikörpertest eingesetzt werden. Bei akuter Infektion mit SARS-CoV-2 wird der Erreger direkt nachgewiesen. Bei stattgehabter, nicht mehr akuter Infektion geht es um Antikörper gegen das Virus, also um einen indirekten Nachweis. Copyright David Klemperer 2020 11
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Abbildung 6 Viruslast, Diagnostik, Antikörper im Verlauf der Infektion Quelle: MVZ Institut Mikroökologie GmbH https://tinyurl.com/yy5npdxlv Virusanzucht Bei der Virusanzucht werden virushaltige Körpermaterialien in eine Zellkultur gegeben, in der sie sich vermehren können. Dieses Verfahren ist zeitaufwändig und kompliziert ist, stellt hohe Sicherheitsanforderungen, wird daher nur in wenigen Labors durchgeführt und ist folglich als Routinetest ungeeignet. PCR-Test Die PCR-Methode dient zum Nachweis spezifischer biologischer Materialien nicht nur in der Medizin, sondern z.B. auch in der Kriminalistik. PCR ist die Abkürzung für Polymerase Chain Reaktion (Polymerase-Kettenreaktion). Ausgangspunkt für den gebräuchlichen PCR-Test zum Nachweis von SARS-CoV-2 ist die Validierungsstudie von Corman et al. (2020), in der das Genom des SARS-CoV-2 beschrieben wird. Der PCR-Test zum Nachweis des SARS-CoV-2 weist spezifische Abschnitte der Virus-RNA nach, die als „targets“ (Zielgene) bezeichnet werden (Abb. 7). Beim SARS-CoV-2 gelten drei Abschnitte als spezifisch, von denen ein PCR-Test zumeist zwei prüft: • RNA-abhängige RNA-Polymerase (RdRP-Gen, RNA-Genom)) • Envelope-Gen (E-Gen) • Surface-Gen (S-Gen) Abbildung 7 Zielantigene des SARS-CoV-2 Quelle: IMD Labor Berlin https://tinyurl.com/y8qujn2c Für den PCR-Test wird aus dem Nasen-Rachenraum Untersuchungsmaterial durch Abstrich mit einem Tupfer gewonnen. Für den Virusnachweis ist eine Mindestmenge an Viren im Untersuchungsmaterial erforderlich – die Nachweisgrenze liegt bei 103 RNA-Kopien pro Milliliter (Larremore et al. 2020). Das genetische Material des Virus wird im Labor in mehreren Zyklen vervielfältig, bis es mit fluoreszierenden Stoffen sichtbar wird. Die Anzahl der Zyklen bis zur Sichtbarkeitsschwelle gibt der Cycle-threshold-Wert (ct-Wert) an. Ist der ct-Wert niedrig, spricht dies für eine hohe Virusmenge im Probematerial und umgekehrt. Die Zeit zwischen Probenahme und Ergebnismitteilung („sample-to result-time) liegt für den PCR-Test zumeist bei 24-48 Stunden. Einer Zusammenfassung von sieben Studien zufolge fällt der Test einen Tag vor Symptombeginn (Höhepunkt der Viruslast, s. Abb. 8) bei allen Infizierten positiv aus, 4 Tage davor ist er noch in 67% falsch negativ, d.h. die meisten Infizierten erhalten ein negatives Ergebnis; einen Tag nach Beginn der Symptome ist die Viruslast bereits so weit abgefallen, dass 38% der Infizierten ein falsch-negatives Ergebnis erhalten (Kucirka et al. 2020). Die Spezifität des PCR-Tests – die Sicherheit des Testergebnisses bei Nicht-Infizierten – wird für den klinisch-diagnostischen Bereich auf 96% bis über 99% geschätzt (Surkova et al. 9.9.2020). Copyright David Klemperer 2020 12
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Das Testergebnis und mögliche Konsequenzen: • richtig positiv: Virusmaterial vorhanden, Test positiv – eine infizierte Person wird erkannt, geeignete Maßnahmen, wie Isolation, können ergriffen werden, um die Verbreitung zu unterbinden • falsch positiv: kein Virusmaterial vorhanden, aber Test positiv – eine nicht-infizierte Person muss überflüssigerweise in Isolation • richtig negativ: kein Virusmaterial vorhanden, Test negativ – keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich • falsch negativ: Virusmaterial vorhanden, Test negativ – eine infizierte Person wird übersehen und kann die Infektion verbreiten. Angewandt werden soll der PCR-Test entsprechend der Nationalen Teststrategie SARS-CoV-2 (Abb. 8) bei allen symptomatischen Personen sowie bei Kontaktpersonen der Kategorie I (s. S. 33), bei Krankheitsausbrüchen in Einrichtungen sowie bei Einreisenden aus Risikogenbieten. Antigen-(Schnell-)Tests Antigen-Tests suchen Virusantigen im Probematerial. Die Tests beruhen auf dem entsprechenden Antikörper. Das bevorzugte Zielantigen (target) ist das Nucleocapsid-Antigen (Abb. 7). Im Vergleich zum PCR-Test ist der Antigen-Test weniger empfindlich. Ein Vielfaches an Viren ist im Untersuchungsmaterial erforderlich, damit der Test positiv wird. Die Nachweisgrenze liegt für Antigen-Schnelltests bei 106 (PCR-Test 103) RNA-Kopien pro Milliliter Probematerial. Der Test entdeckt Infizierte mit hoher Viruslast in der präsymptomatischen Phase 1-3 Tage vor Symptombeginn und in den ersten 5-7 Tagen nach Auftreten von Symptomen. Bei länger als 7 Tage zurückliegendem Symptombeginn steigt die Wahrscheinlichkeit für falsch negative Tests, d.h. Infizierte und möglicherweise Ansteckungsfähige werden nicht erkannt (PEI 1.12.2020). Für die Zulassung (die allein aufgrund der Angaben des Herstellers erteilt wird!) fordert das Paul-Ehrlich- Institut eine Sensitivität von mindestens 80% und eine Spezifität von mehr als 97%. Bezogen auf Infizierte (Sensitivität) muss es also bei mindestens 80 von 100 zu einem Farbumschlag kommen, bei bis zu 20 von 100 Infizierten darf das Ergebnis falsch negativ sein. Bezogen auf Nicht- Infizierte (Spezifität) sind bis zu 3 von 100 falsch-positive Ergebnisse zulässig. Der wesentliche Vorteil des Antigen-Schnelltests („point-of-care-test“) ist die Auswertbarkeit vor Ort. Die Zeit zwischen Probennahme und Vorliegen des Ergebnisses beträgt 15-30 Minuten. Das Abstrichmaterial wird in einer Flüssigkeit gelöst, von der eine geringe Menge in ein Testkästchen aufgetragen wird. Bei positivem Test erfolgt ein Farbumschlag, ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest. Ein weiterer Vorteil sind die Sachkosten, die beim Antigen-Schnelltest ca. 7 Euro betragen – die Laborkosten des PCR-Tests werden von den Krankenkassen mit 39,40 Euro vergütet. In der Nationalen Teststrategie SARS-CoV-2 (Abb. 8) wird der Antigen-(Schnell-)Test für asymptomatische Personen (Patienten, Bewohner, Personal, Besucher) in Umgebungen mit erhöhter Prävalenz – z.B. Krankenhäuser, Altenheime – mit ggf. regelmäßiger Wiederholung empfohlen. Die niedrigere Sensitivität im Vergleich zum PCR-Test dürfte durch das unmittelbare Vorliegen des Testergebnisses bei wiederholter Durchführung zumindest teilweise ausgeglichen werden (Larremore et al. 2020). Die niedrige Sensitivität bedeutet, dass der Test bei asymptomatischen oder präsymptomatischen ansteckungsfähigen Personen falsch negativ ausfallen kann. Ein „Freitesten“ kann mit dem Antigen-Schnelltest daher nicht erfolgen, auch sind die üblichen Schutzmaßnahmen nach negativem Testergebnis stets weite einzuhalten. Vertiefung • Mai Thi Nguyen-Kim. Corona im Herbst. Ändern Schnelltests alles? YouTube.Video https://youtu.be/czzrPQIg54Q Cornavirus-Tests ab 4‘39‘‘, Test-Statistik ab 7’52” • Liste der Antigen-Tests zum direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 https://tinyurl.com/y4ly8zaq Copyright David Klemperer 2020 13
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Abbildung 8 Nationale Teststrategie, Stand 8.12.2020. RKI, Website https://tinyurl.com/yypdew8j Antikörpertest Antikörper (Synonym: Immunglobuline) sind Proteine, die in der Auseinandersetzung des Organismus mit einem Erreger (Antigen) gebildet werden. Durch herkömmliche Tests werden Antikörper gegen das SARS-CoV-2 bei den meisten symptomatischen Patienten (erst) in der 2. Woche nach Symptombeginn nachweisbar („Serokonversion“). Antikörper-Tests eignen sich daher nicht zur Diagnostik einer akuten Infektion. Eingesetzt werden sie z.Z. hauptsächlich zur Forschung, insbesondere zur Untersuchung stattgehabter Infektionen in einer Population. So sollen im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels zwischen Oktober und Dezember 2020 Untersuchungen an 34.000 Personen durchgeführt werden, um den Anteil der Personen in der Bevölkerung zu bestimmen, die erkannt und unerkannt eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht haben (www.rki.de/lid-studie). Vertiefung Eckert N: COVID-19: Was Antikörper aussagen können. Deutsches Ärzteblatt 2020;117(24):A1196- A1197 Offene Fragen • Wie oft kommt es vor, dass der PCR-Test positiv ausfällt ohne dass eine Infektion vorliegt? • Wie verläuft die Bildung von Antikörpern bei asymptomatischer Infektion? • Schützen die Antikörper und wenn ja, wie lange? Vertiefung • Robert Koch Institut. Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 https://tinyurl.com/sop593x • Robert Koch-Institut. Nationale Teststrategie – wer wird in Deutschland auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion getestet? https://tinyurl.com/yypdew8j Copyright David Klemperer 2020 14
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 1.5 Falldefinition Die Falldefinition gibt die Kriterien zu klinischen Symptomen, Laborbefunden und anderen Untersuchungsergebnissen vor, nach denen ein Patient als Krankheitsfall bezeichnet wird. Eine einheitliche Falldefinition ist Voraussetzung für eine verlässliche Erfassung des Krankheitsgeschehens. Hinter einer Falldefinition sollte eine autoritative Institution stehen, wie z.B. die Weltgesundheitsorganisation oder das Robert Koch Institut. Für die Coronavirus-Krankheit-2019 gilt in Deutschland die Falldefinition des Robert Koch Instituts, die sich zum einen auf das klinische Bild, insbesondere akute respiratorische Symptome oder eine Lungenentzündung, und zum anderen auf den Erregernachweis mithilfe der PCR-Methode (s.o.) stützt (https://tinyurl.com/yxljaczx ). Merke Zur Untersuchung der Verbreitung einer Infektion ist eine einheitliche Falldefinition erforderlich. Im Falle der SARS-CoV-2 sind klinische Zeichen sowie der Nachweis des Virus oder von Antikörpern gegen das Virus erforderlich. Copyright David Klemperer 2020 15
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 2 Coronavirus disease 2019 2.1 Symptome und Verlauf Die Krankheit COVID-19 äußert sich in leichten Fällen mit unspezifischen Symptomen wie bei einem „normalen“ Erkältungsinfekt. Aus 216.000 an das RKI gemeldeten Fällen (Stand: 15.9.2020), ergeben sich folgende Werte (RKI 2020d): • Husten 44% • Fieber 37% • Schnupfen 20% • Halsschmerzen 19% • Geruchs- und Geschmacksverlust 16% (aus 71.000 Fällen ermittelt). Ferner sind • Kopfschmerzen • Gliederschmerzen und • Müdigkeit/Abgeschlagenheit zu nennen. Schwere Verläufe gehen mit einer Lungenentzündung einher, die zu Lungenversagen (respiratorische Insuffizienz, ARDS) und zur Notwendigkeit einer maschinellen Beatmung führen kann. Weitere Organe können betroffen sein, wie Herz, Niere, Leber und zentrales Nervensystem, auch ist das Thrombose- und Embolierisiko erhöht. Das Risiko für schwere und insbesondere tödliche Verläufe ist bei jungen Menschen niedrig und steigt ab einem Alter von etwa 65 Jahren deutlich an. Zu den wichtigsten prognoserelevante Variablen zählen Alter, Geschlecht (Prognose für Männer schlechter) und Anzahl der Begleiterkrankungen. Eine systematische Übersichtsarbeit ergab für Krankenhauspatienten mit gesicherter COVID-19- Diagnose eine Gesamtmortalität von 10%, für Patienten auf der Intensivstation 34%, für beatmungspflichtige Patienten 83% und für Patienten mit akutem Lungenversagen (ARDS) 75% (Potere et al. 2.7.2020). Eine amerikanische Studie (veröffentlicht 9.9.2020) zeigte, dass auch jüngere Menschen ernsthaft an COVID-19 erkranken können. Von 3222 COVID-19-Patienten im Alter von 18 bis 34 Jahren, die wegen der Krankheitsschwere im Krankenhaus behandelt wurden, mussten 21% auf die Intensivstation aufgenommen werden, 2% verstarben. Risikofaktoren für schwerere Verläufe waren Übergewicht, Bluthochdruck und männliches Geschlecht (Cunningham et al. 2020). Bei einem Teil der Patienten sind auch Wochen nach Überstehen der akuten Infektion Beschwerden vorhanden. Bei einer Nachuntersuchung von 143 Patienten 60 Tage nach Symptombeginn in einer Universitätsambulanz in Rom gaben nur 13% die vollständige Rückbildung ihrer Symptome an, 55% gaben noch 3 oder mehr Symptome an, am häufigsten Müdigkeit (Fatigue), Luftnot, Gelenkbeschwerden und Brustschmerz. 44% berichteten eine schlechtere Lebensqualität als vor der Erkrankung (Carfì 2020). Offene Fragen Was für Langzeitfolgen kann COVID-19 haben? Wie groß ist der Anteil derjenigen, die nach der akuten Krankheit weiterhin Beschwerden haben? 2.2 Medikamentöse Therapie Zurzeit werden mehrere Medikamente in Studien untersucht. Zur aktuellen Information stehen u.a. folgende Quellen zur Verfügung: • Solidarity-Studie, von der WHO initiiert. Website https://tinyurl.com/uhzousb • A living WHO guideline on drugs for covid-19 https://tinyurl.com/y4rgfv2p • arznei-telegramm, Artikel zu SARS-CoV-2 / COVID-19 https://tinyurl.com/y49xrjhc • Coronavirus Drug and Treatment Tracker der New York Times https://tinyurl.com/yddes444 Copyright David Klemperer 2020 16
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Zusammenfassend wird derzeit (30.11.2020) von der WHO bei Abwesenheit von schweren oder kritischen Symptomen kein Medikament empfohlen. Bei schweren Verläufen oder kritischen Verläufen werden Kortikoide empfohlen, von Remdesivir wird abgeraten. Kortikoide (z.B. Dexamethason) senken laut Living WHO Guideline die Sterblichkeit bei kritischen Patienten („critical illness“) von 415 auf 328 pro Tausend und bei schwerer Krankheit („severe illness“) von 334 auf 267 pro Tausend. (s.a. REACT Working Group 2.9.2020) Remdesivir ist ein antivirales Medikament, das am 3.7.2020 als erstes Arzneimittel in der EU gegen COVID-19 zugelassen wurde. Angewendet werden darf es bei Patienten mit einer Lungenentzündung, die Sauerstoffzufuhr erfordert (Fachinformation European Medicines Agency https://tinyurl.com/y3m4ranv). Ob es den Patienten hilft, ist jedoch unklar. Eine amerikanische Studie, an deren Konzeption und Durchführung Mitarbeiter des Herstellers Gilead beteiligt waren, hatte als primären Endpunkt nicht etwa die Mortalität definiert, sondern die „Verkürzung der Erholungszeit“ („time to recovery“) und hierfür günstigere Werte im Vergleich zu Plazebo berichtet (Beigel et al. 2020). In einer Zwischenauswertung der laufenden SOLIDARITY-Studie war nach 4 Wochen kein Überlebensvorteil, kein verminderter Bedarf an mechanischer Beatmung und keine Verkürzung der Zeit bis zur klinischen Verbesserung im Vergleich zur Standardtherapie festzustellen (Pan et al. 15.10.2020). Die WHO rät daher von der Anwendung außerhalb von klinischen Studien ab. Noch am 7.10.2020, also 8 Tage vor Veröffentlichung der Zwischenergebnisse der SOLIDARITY-Studie, hatte die Firma Gilead – offensichtlich im Wissen über den fehlenden Nutzen von Remdesivir – einen Vertrag mit der EU über die Lieferung von Remdesivir im Wert von mehr als 220 Mio. Dollar geschlossen. Dabei ist auch die Preisgestaltung bemerkenswert: Gilead berechnet für ein Dosis des Medikaments 390 Dollar – nach seriösen Berechnungen betragen die Herstellungskosten einer Dosis 0,93 Dollar (Hill et al. 1.4.2020). Nur als Fußnote sei angemerkt, dass die amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA am 28.3.2020 Chloroquin und Hydroxychloroquin, zwei Substanzen, die gegen Malaria eingesetzt werden, eine Notfallzulassung (Emergency Use Authorization) erteilt hatte. Bei bekannten Risiken, wie z.B. Herzrhythmusstörungen und Auslösung psychiatrischer Krisen bis hin zu suizidalem Verhalten (aerzteblatt-online 30.11.2020 https://tinyurl.com/y3hmpb55), lagen keine validen Erkenntnisse zu etwaigem Nutzen bei COVID-19 vor. Erste Ergebnisse aus randomisierten kontrollierten Studien wiesen vielmehr auf eine Erhöhung der Mortalität unter diesen Substanzen hin. Daraufhin widerrief die FDA die Zulassung am 16.6.2020. Die voreilige, offensichtlich infolge eines Tweets des amerikanischen Präsidenten vom 21.3.2020 (Abb. 9) erfolgte Zulassung, stellt einen eklatanten Verstoß gegen die wissenschaftlichen Standards dar, denen die FDA verpflichtet ist und gilt warnendes Beispiel für die Gefährdung von Patienten durch politische Einflussnahme auf die Arzneimittelzulassung (Saag 2020). Abbildung 9 Trump preist Hydroxychloroquin und Azithromycin zur Behandlung von COVID-19 an. Bei der im Tweet erwähnten Studie handelt es sich um eine kleine nicht-randomisierte und damit wenig aussagekräftige Beobachtungsstudie (s.a. arznei-telegramm 24.4.2020 https://tinyurl.com/y3fsu9jg) Offene Fragen Wie viele Menschen sind aufgrund der voreiligen Zulassung von Chloroquin und Hydroxychloroquin gesundheitlich geschädigt worden oder gestorben? Copyright David Klemperer 2020 17
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 2.3 Impfung Das Prinzip der Impfung besteht darin, dem Organismus Antigene oder den genetischen Code von Antigenen zuzuführen, die eine Bildung von schützenden Antikörpern und immunologischen Gedächtniszellen gegen einen Krankheitserreger auslösen. In der Art der Zuführung des Antigens wird zwischen konventionellen und genetischen Impfstoffen unterschieden. Auf Bevölkerungsebene können Impfungen entscheidend dazu beitragen, die Schwelle zur Herdenimmunität (S. 8) zu überschreiten. Im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie hat die Entwicklung von Impfstoffen unmittelbar nach der Veröffentlichung der Gen-Sequenz im Januar 2020 begonnen. Am 1.12.2020 waren in den USA 6 Impfstoffe vorläufig zugelassen, 13 befanden sich in Zulassungsstudien mit großen Probandenzahlen. Den Aktuellen Stand meldet der –> New York Times Coronavirus Vaccine Tracker https://tinyurl.com/y9qjt4re Definition Impfstoffe sind Arzneimittel, die Antigene oder rekombinante Nukleinsäuren enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Mensch oder Tier zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden und, soweit sie rekombinante Nukleinsäuren enthalten, ausschließlich zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten bestimmt sind. (Arzneimittelgesetz § 4 Abs. 4, Stand 25.6.2020) Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen Impfstoffe sind Arzneimittel (Arzneimittelgesetz § 4 Abs. 4). Ihre Entwicklung und Zulassung folgt grundsätzlich denselben Regeln wie die von Medikamenten. Der Hersteller hat der Zulassungsbehörde mit Studien nachzuweisen, dass die Kriterien pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfüllt sind (§ 25 Arzneimittelgesetz). Bei vielversprechender Testung an Tieren (präklinische Studie) folgen die klinischen Studien Phase I bis IV, in denen es stets um die Immunogenität (Auslösung einer schützenden Immunantwort) und die Sicherheit geht. In Phase I wird der neue Impfstoff erstmalig an Menschen erprobt. In Phase II wird die optimale Dosis gesucht. In Phase III geht es um die Untersuchung der Wirksamkeit, zumeist in einer randomisierten kontrollierten Studie an 3000 bis 10.000 und mehr Probanden. Nach der Zulassung geht es in Phase IV insbesondere um seltene und bis dahin nicht erfasste unerwünschte Wirkungen. (Abb. 10) Vor COVID-19 beanspruchten allein die klinischen Phasen I bis III der Impfstoffentwicklung zwei bis 10 Jahre (Heaton 2020). Die Entwicklung und Zulassung von COVID-19-Impfstoffen verläuft durch Zusammenschieben und Zusammenlegen der Phasen I und II („Teleskopierung“) sowie dem Beginn der Phase I vor der endgültigen Auswertung der präklinischen Phase sehr viel schneller. So begann die Phase III-Studie für den Impfstoff BNT162b2 am 27.7.2020, Zwischenergebnisse für etwa 40.000 Probanden wurden am 8.11.2020 in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, Antrag auf vorläufige Zulassung stellte die Firmen BioNTech und Pfizer am 10.11.2020 bei der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA, mit einer Entscheidung wird Mitte Dezember 2020 gerechnet. Die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMA hat am 1.12.2020 die Zulassungsanträge für die mRNA-Impfstoffe der Firmen BioNTech und Pfizer (https://tinyurl.com/yxrstykf) bzw. Moderna (https://tinyurl.com/yyztwsnl) erhalten. Die in Großbritannien für die Arzneimittelzulassung zuständige Behörde – Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) – hat dem mRNA-Impfstoff der Firmen BioNTech und Pfizer am 2.12.2020 die Zulassung erteilt (Pressemeldung 2.12.2020 https://tinyurl.com/y39edxnq). Die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA hat dem BioNTech/Pfizer-Impfstoff die Zulassung am 11.12.2020 erteilt (https://tinyurl.com/y3cj6m4m). Einer Meldung der Washington Post zufolge hatte der Stabschef des Weißen Hauses dem Leiter der Zulassungsbehörde am 11.12.2020 mit sofortiger Entlassung gedroht, wenn er die Zulassung nicht am selben Tag (statt, wie vorgesehen am Folgetag) erteile (Washington Post 12.12.2020 https://tinyurl.com/yxpbg4r5). Copyright David Klemperer 2020 18
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 Mit einer Zulassung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs durch die EU-Medikamentenbehörde EMA wird vor Weihnachten 2020 gerechnet. Auch hier ist politischer Druck auf die Schnelligkeit des Verfahrens offensichtlich. Eine Impfaktion mit Impfzentren und mobilen Impfteams wird derzeit für einen Beginn unmittelbar nach Weihnachten von den Kassenärztliche Vereinigungen vorbereitet. China und Russland haben Vektorimpfstoffe vor Beginn von Phase-III- Studien zugelassen, China am 25.6.2020, Russland am 11.8.2020, wie der Coronavirus Vaccine Tracker der New York Times (s.o.) meldet. Abbildung 10 Phasen der klinischen Prüfung von Impfstoffen Quelle: Pfleiderer et al. 2015 Zu den Studien zu einem COVID-19-Impfstoff werden u.a. folgende Bedenken geäußert (Arzneimittelbrief 2020, Doshi 2020, Heaton 2020): • Durch Verkürzung der Studienphasen vor der Zulassung wird das Risiko erhöht, dass seltene, verzögert auftretende, aber relevante unerwünschte Wirkungen nicht erkannt werden. • Bei einem neuen Impfprinzip, wie z.B. mRNA-Impfung, für das es bisher keine Zulassung für Menschen gab, sollte besondere Vorsicht walten. • Probanden sind überwiegend Personen unter 70 Jahren, die bei einer Infektionssterblichkeitsrate (s. S. 24Fehler! Textmarke nicht definiert.) von etwa 0,05% sehr viel weniger gefährdet sind als Personen über 70 Jahre. Auch sind Impfkomplikationen eher bei älteren Menschen zu erwarten. • Die laufenden Phase-III-Studien untersuchen als Endpunkt die Reduzierung einer symptomatischen Erkrankung. Nicht untersucht wird die Minderung schwerer Erkrankungen anhand von Krankenhauseinweisungen, Intensivstationaufenthalt und Tod. Ebenso wird die „sterile Immunität“ – die Verhinderung der Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch – nicht berücksichtigt, die entscheidend zur Unterbrechung von Infektionskettenbeiträgt. Konventionelle Impfstoffe führen das Antigen in Form von ganzen Viren oder von antigenen Bestandteilen eines Virus zu. • Lebendimpfstoffe enthalten ganze, vermehrungsfähige, aber abgeschwächte („attenuierte“) Krankheitserreger, die keine Krankheit mehr auslösen können. Beispiele: Mumps, Masern, Röteln. Copyright David Klemperer 2020 19
SARS-CoV-2-Epidemie und Coronavirus-19-Erkrankung. Ergänzung zum Lehrbuch Sozialmedizin, Public Health, Gesundheitswissenschaften, 4. Auflage 2020. Vs. 5.1, 17.12.2020 • Totimpfstoffe, zu denen auch die sog. Subunit-Impfstoffe zählen, bestehen aus abgetöteten, nicht mehr vermehrungsfähigen Erregern oder aus antigenen Bestandteilen z. B. von der Virusoberfläche. Diese Antigene (meist Proteine) können konventionell oder mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt werden. Beispiele: Hepatitis A und B, Tetanus, Diphtherie. Genetische Impfstoffe Genetische Impfstoffe lassen sich in zwei Kategorien einteilen: nukleinsäurebasierte Impfstoffe und virale Vektorimpfstoffe. Genetische Impfstoffe enthalten Nukleinsäuren (DNA oder RNA). Der Impfstoff wird in einen Muskel injiziert und von dort in Körperzellen („Wirtszellen“) eingeschleust. Der Vorgang der Einschleusung in die Zelle wird als Transduktion bezeichnet. Zu unterscheiden sind nukleinsäurebasierte Impfstoffe und virale Vektorimpfstoffe. Nukleinsäurebasierte Impfstoffe Nukleinsäurebasierte Impfstoffe beruhen auf der sogenannten Transduktion von Nukleinsäuren (DNA oder RNA) des Erregers in die Zellen des Wirtsorganismus (Impfling). Durch Eingriffe in die Proteinsynthese der Wirtszellen entsteht im geimpften Organismus ein virales Protein, das als Antigen fungiert und die entsprechende Antikörpersynthese auslöst. RNA-Impfstoffe bestehen meist aus einsträngiger, sogenannter messenger RNA (mRNA), die für ein oder mehrere Virusantigene codiert. Die Proteinbiosynthese des viralen Antigens spielt sich innerhalb der Wirtszelle, aber außerhalb des Zellkerns statt. Da mRNA sehr leicht enzymatisch abgebaut werden kann, wird sie durch eine Hülle aus Lipiden geschützt. Wegen dieser Lipidhülle muss der mRNA Impfstoff z. B. bei sehr niedrigen Temperaturen gelagert werden (bis zu minus70 Grad C). DNA- Impfstoffe enthalten die Information für die Synthese des Erreger-Antigens in Form genetisch veränderter Plasmide (ringförmige DNA-Moleküle). Zur Proteinbiosynthese des viralen Antigens erfordern DNA-Impfstoffe die Beteiligung des Zellkerns der Wirtszelle. Virale Vektorimpfstoffe Virale Vektorimpfstoffe beruhen auf der genetischen Manipulation eines Vektor-, also Trägervirus, das in der Regel z. B. ein Erkältungsvirus (Adenovirus) ist. Dem Trägervirus werden Teilstücke der genetischen Information des Erregers in Form von RNA oder DNA eingesetzt. Über Integrationsmechanismen, die insbesondere bei DNA- Vektorviren auch den Zellkern der Wirtszelle einbeziehen, entsteht über die virale Genexpression das gewünschte virale Antigen. Zu unterscheiden sind nichtreplizierende virale Vektoren – das Vektorvirus ist nicht vermehrungsfähig, und replizierende virale Vektoren – das Vektorvirus ist abgeschwächt vermehrungsfähig. Ein replizierender Vektorimpfstoff wurde gegen das Ebola-Virus entwickelt und im November 2019 von der EU-Kommission zugelassen (Pressemitteilung Europäische Kommission 1.11.2019 https://tinyurl.com/wwfz8x5). Sicherheit von Impfstoffen An die Sicherheit von Impfstoffen sind hohe Anforderungen zu stellen, weil es sich um Arzneimittel handelt, die– bezüglich der Zielkrankheit – an Gesunde verabreicht werden. Erwünschte Wirkungen für das Individuum sind die Minderung des Infektionsrisiko, des Erkrankungsrisikos sowie des Risikos schwerer Verläufe und des Sterberisikos. Auf der Bevölkerungsebene geht es insbesondere um die Unterbrechung von Infektionsketten und um die Herdenimmunität. Frei von unerwünschten Wirkungen ist keine Impfung. Häufig sind lokale Impfreaktionen, wie Rötung, Schwellung und Schmerz an der Impfstelle sowie systemische Reaktionen, wie Fieber-, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Schwäche. Eher selten sind Impfkomplikationen, die laut Paul-Ehrlich-Institut eine „über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ darstellen (Meldeformular https://tinyurl.com/y5cf77km). Als Impfschaden gilt laut Infektionsschutzgesetz (§ 2 No.11) „die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung“. Copyright David Klemperer 2020 20
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