Den Wein zulassen - Cultivino
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Mit seinen im Mittelburgenland und am Leithagebirge gewachsenen Moric-Weinen hat Roland Velich der Welt einen neuen grossen Rotwein entdeckt: Blaufränkisch. Obendrauf gibt es noch einen ganz unvergleich- lichen Grünen Veltliner. Text: Stephan Reinhardt, Fotos: Peter Rigaud/Shotview Photographers
32 W enn ich Roland Velich auf einer fantastischen Geschichte, riesigem fen entfernt, gleich am Brandenburger seinem restaurierten Gut in Potenzial und einer – hoffentlich – rosigen Tor. Der Winzer erinnert sich mit Unbe- Grosshöflein bei Eisenstadt Zukunft.» hagen an das Leben in Apetlon gleich besuche, dann geht es nach einem ersten Die Geschichte des Burgenlandes ging am Eisernen Vorhang. Doch wo früher Gespräch im Innenhof gleich auf Reisen nach dem Ersten Weltkrieg erst mal ver- Schüsse der Grenzsoldaten zu hören wa- durch das – sein! – Burgenland: nicht nach schütt. Einige hundert Jahre lang war ren, erzeugt er heute, «all along the watch Apetlon, in seinen Heimatort im Seewin- die Region Teil des Königreiches Ungarn tower», unter dem Namen Moric (sprich: kel, wo das elterliche, von seinem jünge- und erzeugte mit dem Ruster Ausbruch Moritz) grosse, einzigartige Weine: Blau- ren Bruder Heinz geführte Weingut Velich einen der wertvollsten und langlebigsten fränkisch vor allem, aber auch einen Grü- liegt, aber nach St. Georgen, St. Margare- Weine der Welt. Mit Gründung des nun nen Veltliner. Vor zehn Jahren galten die then und Zagersdorf, nach Rust und von zu Österreich gehörenden Bundeslan- Moric-Weine noch als avantgardistisch, dort nach Neckenmarkt und Lutzmanns- des Burgenland 1921 und dem Verlust heute jedoch bewegen diese Stilikonen burg im Mittelburgenland, anschliessend der früheren Hauptstadt Sopron war der nicht nur die Welt, sondern sorgen end- über das Ödenburger Gebirge bis hinun- alte Glanz schnell dahin, jede Urbanität lich auch in Österreich für eine leise ter ins Südburgenland zum Eisenberg. verloren. Doch es sollte noch schlimmer Revolution: Velichs Jüngerschar wächst. Immer an der ungarischen Grenze ent- kommen. «Ich bin am Ende der Welt Und mit ihr die Zahl der Trittbrettfahrer. lang also, einer schmerzhaften Gemar- gross geworden», sagt der 50-jährige Roland Velich gehört zu den Winzern, kung für Freigeister und Kosmopoliten Roland Velich, den ich für dieses Porträt die Weine nicht nach Punkten beurtei- wie Roland Velich. «Meine Heimat», sagt im Berliner Restaurant «Margaux» treffe, len, sondern danach, ob sie eine Seele Velich immer wieder, «mein Burgenland: bezeichnenderweise ebenfalls nur einen haben und vermittels ihrer sinnlichen ein wunderbares, grosses Weinland mit Steinwurf vom ehemaligen Todesstrei- Ausstrahlung und Qualität zu verführen
Unbeschreiblich Moric-Weine Man kann sich Wein auch mal hingeben, wenn er es sich verdient hat. Soll er mich doch ruhig erobern. Bitte schön. 1 St. Georgen 3 Moric Reserve 2010 Grüner Veltliner 2010 18 Punkte | 2013 bis 2020 18.5 Punkte | 2013 bis 2021 Und plötzlich wird er ganz fein und Tief strohgelber Veltliner von alten, zart, der eben noch urwüchsige Blau- im Muschelkalk wurzelnden Reben fränkisch, der in der Reserve zu gut im höher gelegenen St. Georgen 90 Prozent von den mittelburgenlän- nördlich von Eisenstadt. Der fossili- dischen Kalkböden stammt. Etwas enreiche Boden prägt diesen enorm reduktiv zunächst, aber dagegen konzentrierten und komplexen Veltli- gibt es grosse Gläser und Geduld. ner weit mehr als die Rebsorte. Sehr Schwarze Oliven und blaue Beeren, tiefes und konzentriertes Bouquet etwas Lakritze, Pfeffer und Leder, ge- von fast getrockneten Früchten, dazu trocknete Veilchen. Ich denke gerade zarte Kräuternoten. Nicht zu verglei- an die Cornas von Auguste Clape, da chen mit den Veltlinern aus Niederös- holt mich die kühle Fruchtfrische zu- terreich. Kraftvoll und mineralisch am rück ins Burgenland! Seidige, perfekt Gaumen, unglaublich vielschichtig ausbalancierte Textur mit fast medi- und langanhaltend, ein feiner Purist terranen Gewürz- und Kräuternoten, und doch auch ein Riese mit viel engmaschige, sehr feine Tannine, Druck, den man in einem grossen die eins sind mit der delikaten Säure. Burgunderkelch trinken sollte wie Diesen Wein müsste man singend einen Chablis Premier Cru: nicht zu beschreiben, würde man ihn nicht kalt und nicht zu schnell, aber mit viel lieber trinken. Was stellst du nur Andacht. an, Bursche? Oder bist du ein Weib? Preis: circa 35 Euro Egal, ich gebe mich dir hin. Preis: circa 28 Euro 2 Blaufränkisch Burgenland 2011 17 Punkte | 2013 bis 2019 4 Lutzmannsburg Dunkles, bläulich-violett getöntes Alte Reben 2007 Rubin. Wild-würziges Kirschenbou- 18.5 Punkte | 2013 bis 2018 quet, dickschalige Beerenfrucht, Intensive Wildkirsche im tiefen, sehr ganz natürlich und authentisch im klaren, frischen und feinen Bouquet. Duft, ungeschminkt und wunderbar Im Mund feingliedrig, seidig und konzentriert. Seidig, fein und frisch frisch, anhaltend salzig und von im Mund, die pure, fleischige Beeren- grosser Finesse und Eleganz. frucht mit animierend zusammen- Preis: circa 70 Euro ziehender Säure- und Tanninstruktur, als würde man Blaufränkisch vom 5 Neckenmarkter Stock naschen! Absolut reintönig Alte Reben 2006 und intensiv im kirschigen Nachhall. 19 Punkte | 2013 bis 2020 und emotional zu berühren vermögen. Eine Art Ur-Blaufränkisch aus einem Der feinste, dramatischste Blaufrän- Velich spricht in diesem Zusammenhang grossen Jahrgang! kisch seit der Gründung von Paris. von «Schönheit» und von «Ästhetik», Ka- Preis: circa 14 Euro Preis: circa 70 Euro tegorien also, die über die reine sensori- sche Analyse hinausgehen und Bereiche der Kunst und der Philosophie, auch der Lebensart berühren. Zwar meidet er oft zu leeren Formeln verkommene Begriffe wie «Terroir» und «Authentizität»; doch eigentlich geht es ihm um nichts anderes: die Essenz eines Ortes, dessen Kultur und 1 2 3 4 5 Potenzial nach- und aufzuspüren, sei- nem Zauber zu trauen und ihn im Wein zuzulassen, auf dass er als flüssiger Bot- schafter die Welt verzaubere. Den heimischen Weinkritikern hat Ro- land Velich seine Weine lange vorenthal- ten, da in Blindproben eher vordergrün- dige und opulente Weine mit viel Kraft, Holz und Konzentration hoch bewer- tet werden, während es bei seinen um
34 vinum winzerlegende «Sublimierung statt Offenbarung» geht. Plateau, war die Antithese zum vielum- nen die Weine nach der Assemblage der «Wein muss man sich lustvoll erarbeiten», jubelten rotschwarzen Einheitsbrei. Hier vielen Einzelvinifikationen, welche die ruft Velich. Und dass der menschliche ging es nicht um Kraft und Opulenz, son- Terroir-Unterschiede noch kleinster Par- Gaumen nicht dafür geschaffen sei, bin- dern um Feinheit, Eleganz und Frische. zellen verdeutlichen, nach 15 bis 24 Mo- nen weniger Stunden ganze Landstriche «Das Burgenland ist ein kühles Land», naten unfiltriert abgefüllt werden. «Wenn zu verkosten, um sie dann ungeschluckt diktierte Roland Velich damals in jeden man herausfinden will, was sich hinter in einen Eimer zu spucken. Auf die me- Notizblock und wusste schon, dass der Blaufränkisch verbirgt, dann muss man diale Akzeptanz in Wien und Umgebung Blaufränkisch zu mehr berufen ist, als in ihn sich ausdrücken lassen und darf ihn ist Roland Velich auch nicht angewie- internationalen Cuvées anonymisiert zu nicht einem bestimmten Stil oder einer sen. Er hat das Burgenland im Herzen werden. Er erkannte, dass er «keine kor- übergestülpten Idee unterordnen», sagt und die Welt auf dem Radar: moderne, rumpierbare Sorte» ist, dass sein wahrer Velich. Man hat ihm vorgeworfen, das offene Gesellschaften, auch Weingesell- Charakter noch in den forciertesten Wei- Burgenland mit Burgund verwechselt schaften, die sich vorurteilsfrei kostend nen durchschimmert, dass er also ein gu- und untypische, zu feine Blaufränkisch ter Botschafter der spannenden Burgen- erzeugt zu haben, doch dieser Vorwurf ist länder Terroirs sein könnte, in denen sich absurd. Schon in älteren Blaufränkisch- «Wein versteht die Menschen die Sorte über Jahrhunderte entwickelt Weinen habe er sich aufgrund der Frucht, hat, ohne dass es eine Tradition für grosse der Würze und der Struktur an Weine zu berühren. Wenn man es Blaufränkisch-Weine gegeben hätte. «Auf anderer Regionen erinnert gefühlt, sagt denn zulässt, sich lustvoll auf unsere Rotweine hat damals niemand ge- Velich: an die Nebbiolos des Piemont, die das Abenteuer Qualität einlässt wartet, wir hatten weder Tradition noch Syrahs der nördlichen Rhône und ja, die Image und mussten uns unsere Märkte feinen Pinots aus Burgund, für die er seit und in seinem Zugang zum erst noch erobern», erinnert sich Velich, seiner Jugend ein Faible hat. Wein noch nicht verbildet ist.» der Netzwerker und Kreativkopf. 2004 versammelte er so unterschiedliche Blau- Der Blaufränkisch meines Lebens fränkisch-Winzer wie Ernst Triebaumer, Bei unserem Treffen in Berlin lässt er durch die Welt bewegen und sich patent Paul Achs, Albert Gesellmann und Uwe seine Alten Reben aus Lutzmannsburg genug fühlen, selbst zu entscheiden, wel- Schiefer zur Präsentation «Blaufränkisch (von bis zu 110-jährigen, in kalkreichem che Weine auf sie Wirkung machen und unplugged» in einem Wiener Kaffeehaus. Löss und Lehm wurzelnden Stöcken) welche nicht. «Echte Weinkenner suchen Stuart Pigott moderierte und strippte und Neckenmarkt (bis zu 90-jährige Re- verstärkt das Spezifische, die Nische», hat dazu, und die versammelte Weinwelt ben in bis zu 400 Meter hohen Urge- Velich beobachtet. Sie nehmen sich Zeit, staunte: Ja, der Blaufränkisch schien Ta- steinslagen) neben Grands Crus aus dem lassen den Wein auf sich wirken, setzen lent zu besitzen. «Man kann schon etwas Burgund und feinsten Barolo verkosten. sich mit ihm intellektuell und emotional bewegen», meint Velich. «Weil der Wein Nicht des Wettbewerbs wegen, sondern auseinander. «Das spricht dafür, dass un- in seiner Gesamtheit die Menschen zu um zu zeigen, dass Blaufränkisch zu sere Weine nicht nur gut sind, sondern berühren versteht. Wenn man es denn den grossen Rotweinsorten dieser Welt auch schön, dass sie die Kraft und Energie zulässt und sich lustvoll auf das Abenteu- gehört. Und tatsächlich, Roland Velichs besitzen, zu berühren.» er Qualität einlässt und in seinem Zugang Moric-Weine haben «die Grandezza eines zum Wein nicht bereits verbildet ist.» speziellen Parfüms», wie Velich sagt. Eine Gegen alle Widerstände Wenn man nicht weiss, wie grosser feste, durch nichts verstellte Verbindung Roland Velich geniesst den Erfolg der Blaufränkisch schmecken kann, dann zum Ort ihrer Herkunft. letzten Jahre, darf stolz sein auf das, was muss man es eben herausfinden und Wir verkosten den Lutzmannsburger er in den vergangenen zwölf Jahren ge- im Wein zulassen. Velich suchte daher 2007, der wie alle Weine in einen Burgun- gen alle Widerstände vor allem aus dem Standorte mit sehr altem Rebbestand derkelch von Zalto geschenkt wird. Sein eigenen Land geleistet hat. Sein neuer, und grosser Vergangenheit. Er fand zu- an Wildkirschen erinnernder Duft ist in- die Herkunft herausarbeitender Weinstil nächst das Plateau Lutzmannsburg, dann tensiv und dicht, dabei ungemein präzise, wurde anfangs mit Unverständnis auf- die Neckenmarkter Höhenlagen, später frisch und vielschichtig. Auch die Attacke genommen, zumal der erste Wein 2001 St. Georgen, Zagersdorf, St. Margarethen, im Mund ist frisch, der Wein unglaublich erzeugt wurde, in jenem eher kühlen Jahr zuletzt Müllendorf. Die höheren, später feingliedrig strukturiert und delikat im also, das den hitzigen österreichischen reifenden Lagen wählte er, um das feine Trunk, er schliesst mit einer feinen Sal- «Rotweinwunderjahren» 1997, 1999 und Aromenspiel des Blaufränkisch heraus- zigkeit. Der 2006er ist reifer, reichhaltiger 2000 folgte. Die Weinpresse des Landes kitzeln und seine Säure bewahren zu und kraftvoller, bleibt aber fein und pur. jubelte seinerzeit in Superlativen über können. Er selektierte Lagen und Trau- Der Neckenmarkter 2006 zeigt zur küh- die neuen Rotwein-Cuvées vor allem des ben, beliess den spontan und ohne Zusät- len, wilden Frucht florale Noten und eine Burgenlandes, die das Klischee, das da- ze vergorenen Wein in offenen Gärbotti- warmtönige Würze, ist reif, intensiv und mals von grossen internationalen Rotwei- chen lange auf der Maische, verzichtete süss, aber doch feingliedrig, seidig und nen herrschte, perfekt bedienten. Moric aber weitgehend auf Extraktionsmass- lang. Vor allem aber: Er besitzt ein atem- aber, dieser pure, säurefrische und ganz nahmen und neue Barriques. Stattdessen beraubend feines Tannin. Roland Velich ungeschminkte und ungeschmirgelte setzte er auf grössere, neutralere Fassge- hat den grössten Blaufränkisch mei- Blaufränkisch vom Lutzmannsburger binde von 300 bis 3000 Litern, von de- nes Lebens zugelassen: zauberhaft!
Roland Velich Der 1963 geborene Winzer stammt aus Apetlon am Neusiedler See. Nach einer «klassisch österreichischen Karriere als Studienabbrecher, Skilehrer und Croupier» führte er mit seinem jüngeren Bruder Heinz das elterliche Weingut Velich in den 1990er Jahren an die Spitze der Region und kreierte «nach Burgunder Art» von einer 1961 als Weissburgunder-Weingarten angelegten Lage einen der besten Chardonnays Österreichs: Tiglat. Es war einer der ersten in Barriques ausgebauten Weissweine Österreichs, zeigte aber einen burgenländischen Stil. Roland Velich zog es bald schon weiter zum Blaufrän- kisch, seiner wahren Liebe. 2001 startete er auf dem Lutzmannsburger Plateau im Mittelbur- genland sein Moric-Projekt, anfänglich noch mit Erich Krutzler aus dem Südburgenland. Ein Jahr später kamen alte Neckenmarkter Weinberge hinzu, 2006 ein alter Weingarten mit Grünem Veltliner in St. Georgen bei Eisenstadt. 2008 startete Velich zusammen mit Hannes Schuster das Jagini-Projekt in Zagersdorf, um die letzten noch verbliebenen alten Blaufränkisch-Reben zu retten. Roland Velich lebt mit seiner Frau Dagmar, den beiden Kindern und einem ungari- schen Jagdhund in Grosshöflein bei Eisenstadt.
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