Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
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Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030 Von den Anfängen des Kosmos bis zu Lebensspuren auf extrasolaren Planeten Matthias Steinmetz, Marcus Brüggen, Andreas Burkert, Eva Schinnerer, Jürgen Stutzki, Linda Tacconi, Joachim Wambsganß, Jörn Wilms (Redaktionskomitee des Rats deutscher Sternwarten)
VORWORT Das Verfassen einer solchen Denkschrift ist ein konzertiertes Vorhaben einer ganzen Fachge- meinschaft. Dank gilt hier insbesondere den Au- torinnen und Autoren der 20 Strategiepapiere, die dieser Denkschrift zugrunde liegen, und den zahlreichen Beiträgen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Institute des Rats deut- scher Sternwarten. Wir danken der Journalistin Stefanie Hardick, die das Verfassen des Textes aktiv begleitete, der Generalsekretärin des Rats deutscher Sternwarten Dr. Janine Fohlmeister IMPRESSUM und dem Team der medienlabor GmbH für ihren Wenige Forschungsgebiete faszinieren die Men- unermüdlichen Einsatz bei der Gestaltung und Denkschrift 2017 schen so sehr wie die Astronomie und Astrophysik. Drucklegung. Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017–2030 Die Fragen, die wir uns stellen, sind grundlegend: Von den Anfängen des Kosmos bis zu Lebensspuren auf extrasolaren Planeten Sind wir allein im Weltall? Wie entstand unser heu- tiges Universum? Wie bilden sich Schwarze Lö- Für das Redaktionskomitee cher? Astronomie und Astrophysik sind moderne Herausgeber: physikalische Forschungsfelder. Astronomische Potsdam, im August 2017 Astronomische Gesellschaft (AG) Forschung führt regelmäßig zu neuen Erkenntnis- sen in anderen Bereichen der Physik, etwa der Ele- Prof. Dr. Matthias Steinmetz c/o mentarteilchenphysik. Schon seit Tycho Brahe und Präsident der Astronomischen Gesellschaft Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam Galileo Galilei ist die Astronomie auch ein Techno- Vorsitzender des Rats deutscher Sternwarten An der Sternwarte 16 logietreiber. Fortschritt beruht neben der Neugier 14482 Potsdam der besten Köpfe auch auf dem Zugang zu mo- GERMANY dernsten Großgeräten: Höchstleistungsrechnern, Teleskopen und Satelliten. Redaktionskomitee: Die vorliegende Denkschrift 2017 steht in der Tra- Matthias Steinmetz, Marcus Brüggen, Andreas Burkert, Eva Schinnerer, Jürgen Stutzki, dition ihrer drei Vorgängerinnen von 1962, 1987 Linda Tacconi, Joachim Wambsganß, Jörn Wilms und 2003. Sie fasst die Ergebnisse der Forschung (Redaktionskomitee des Rats deutscher Sternwarten) der vergangenen Jahre zusammen. Sie stellt die aktuellen Fragen der Astrophysik vor und skiz- Redaktion: ziert die Erkenntnisse, die wir im kommenden Stefanie Hardick, Janine Fohlmeister Jahrzehnt zu gewinnen erhoffen. Sie schließt mit Empfehlungen zur Beteiligung an den wichtigs- Gestaltung: ten, überwiegend internationalen Infrastrukturen medienlabor GmbH Potsdam und Beobachtungseinrichtungen auf der Erde und im Weltraum. Die Denkschrift 2017 adressiert Auflage: aber auch Fragen der Vernetzung zwischen den 3.000 Exemplare verschiedenen Forschungsinstitutionen, der Fi- nanzierungsstrukturen, der Nachwuchsförderung ISBN: und der Personalentwicklung in Deutschland. Da- 978-3-00-057645-4 mit richtet sich die Denkschrift an Universitäten, an Forschungs- und Förderorganisationen wie auch an politisch verantwortliche Stellen beim Potsdam, September 2017 Bund und bei den Ländern.
INHALTSVERZEICHNIS Zusammenfassung / Executive Summary 7 1. Einführung 13 1.1 Intention, Adressaten und Autoren der Denkschrift 2017 13 1.2 Zur Entstehung der Denkschrift 2017 14 1.3 Inhalt und Wirkung der Astronomischen Denkschriften 15 1.4 Internationale Perspektive 18 2. Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland 21 2.1 Astronomie und Astrophysik – ein goldenes Zeitalter 21 2.2 Ein dynamisches Forschungsfeld 25 2.3 Astronomie und Astrophysik in den Einrichtungen des RDS 31 3. Astronomie und Gesellschaft 33 3.1 Industriepartnerschaften 33 3.2 Wissens- und Technologietransfer 34 3.3 Öffentlichkeitsarbeit 35 3.4 Wissenschaftlicher Nachwuchs in den MINT-Fächern 36 4. Aktuelle Forschungsthemen der Astronomie und Astrophysik 39 4.1 Sonne, Sterne und ihre Planetensysteme 40 4.2 Der kosmische Materiekreislauf 45 4.3 Die Milchstraße und andere Galaxiensysteme 50 4.4 Kosmologie und junges Universum 56 4.5 Extremzustände des Kosmos, fundamentale Astrophysik 61 5. Herausforderungen für das kommende Jahrzehnt 67 5.1 Astronomische Forschungsinfrastrukturen im kommenden Jahrzehnt 67 5.1.1 Die großen erdgebundenen Teleskope 67 5.1.2 Die mittelgroßen erdgebundenen Teleskope 69 5.1.3 Kleinere erdgebundene Teleskope 70 5.1.4 Große Weltraummissionen – Das Cosmic-Vision-Programm der ESA 71 5.1.5 Mittelgroße Weltraummissionen – Das nationale Weltraumprogramm des DLR 74 5.1.6 Laborastrophysik 76 5.1.7 Großskalige massiv-parallele Computersimulationen 76 5.1.8 Big Data, Data-Mining und Virtuelles Observatorium 78 5.2 Strategische Beendigungen 79 5.3 Förderung der Beteiligung an Aufbau und Betrieb von Infrastrukturen 80 5.4 Wissenschaftlicher Nachwuchs und Führungskräfte von morgen 82 6. Empfehlungen 85 Anhang 92 Das Redaktionskomitee des Rats deutscher Sternwarten 101 4
Zusammenfassung Seit den 1960er-Jahren verfasst der Rat deut- 2017 die wesentlichen Ergebnisse des Forschungs- scher Sternwarten (RDS) alle 15 bis 20 Jahre eine felds seit der letzten Denkschrift zusammen und Denkschrift Astronomie, um die Öffentlichkeit und gibt einen Ausblick bis zum Ende des kommenden die Vertreterinnen und Vertreter der Forschungs- Jahrzehnts. Die Themen gruppieren sich in folgen- politik über die Ergebnisse des Forschungsfelds de Bereiche: zu informieren und Perspektiven für das kom- mende Jahrzehnt darzulegen. Diese Denkschrif- ■■ die Sonne, andere Sterne und ihre Planeten- ten formulierten auch jeweils Empfehlungen zur systeme, Förderung von Projekten mit nationaler oder in- ■■ der kosmische Materiekreislauf, ternationaler Bedeutung sowie zu notwendigen ■■ die Milchstraße und andere Galaxiensysteme, Fördermechanismen. In der Folge wurden die ■■ das frühe Universum, Forschungsinfrastrukturen wesentlich verbes- ■■ Extremzustände des Kosmos, fundamentale sert und die Möglichkeiten sich an ihnen zu be- Astrophysik. teiligen für deutsche Institute deutlich erweitert. Diese Themen sind eng mit benachbarten For- Die Denkschrift 2017 „Perspektiven der Astrophy- schungsfeldern verknüpft, insbesondere mit der sik in Deutschland 2017-2030: Von den Anfängen Planetenforschung, der Astroteilchenphysik und des Kosmos bis zu Lebensspuren auf extrasola- der Fundamentalphysik. ren Planeten“ konstatiert eine beeindruckende Entwicklung des Forschungsfelds in den vergan- Um die gute Position der astronomischen und genen 15 Jahren – weltweit und insbesondere astrophysikalischen Forschung in Deutschland auch in Deutschland. Forschende in Deutschland im kommenden Jahrzehnt weiter zu stärken, hat waren an zahlreichen wissenschaftlichen Durch- der RDS mit der Denkschrift 2017 eine Reihe von brüchen beteiligt, oft in führender Rolle. Folglich Empfehlungen erarbeitet. Diese Empfehlungen hat das Forschungsgebiet innerhalb des Wissen- lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen. Die schaftsprogramms an deutschen Universitäten Empfehlungsgruppe 1 betrifft die Forschungsin- und Forschungsinstituten sowohl qualitativ als frastrukturen am Boden (Empfehlungen B1-B5), auch quantitativ deutlich an Bedeutung gewon- im Weltraum (Empfehlungen W1 und W2) und für nen, wie zahlreiche Kennzahlen zeigen. Maß- Höchstleistungsrechnen und Big-Data-Wissen- geblich für diesen Erfolg war die zentrale Rolle, schaft (Empfehlungen H1 und H2). Die Empfeh- die deutsche Einrichtungen beim Bau des For- lungsgruppe 2 widmet sich der Vernetzung und schungsinstrumentariums gespielt haben. der gemeinsamen Förderung (Empfehlungen V1- V3). Die Empfehlungsgruppe 3 schließt die Denk- Astronomie und Astrophysik spielen auch eine schrift 2017 mit Überlegungen zu Know-how und wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Tech- Personalentwicklung (Empfehlungen K1-K5). nologien. Die Beteiligung deutscher Institute an Großteleskopen und Satellitenmissionen haben zu zahlreichen Kooperationen mit industriellen Im Bereich der erdgebundenen Observatorien Partnern geführt. Über die große Wirkung der empfiehlt der RDS: Astronomie in der Öffentlichkeit trägt das Fach auch maßgeblich dazu bei, wissenschaftlichen B1 Die Beteiligung am Bau des 39-m-Extremely Nachwuchs für die mathematischen, naturwis- Large Telescope (ELT) der Europäischen Süd- senschaftlichen und technischen Fächer zu ge- sternwarte in Chile und seiner Instrumentie- winnen. rung. Basierend auf 20 Strategiepapieren fasst die astro- B2 Die Förderung der nächsten Generation von nomische Fachgemeinschaft in dieser Denkschrift Detektoren, Empfängern und Spektrografen 6 Zusammenfassung / Executive Summary | 7
für das La-Silla-Paranal-Observatorium und H2 Die Weiterentwicklung von Hoch- und Höchst- K5 Die Etablierung längerer Förderzyklen für Mit den in der Denkschrift 2017 formulierten Vor- für das Antennenfeld ALMA in Chile. leistungsrechenzentren zu einer eng vernetz- den Bau astronomischer Instrumentierung haben und Maßnahmen sehen sich die Wissen- ten Hochleistungsdateninfrastruktur. und astronomischer Satelliten. schaftlerinnen und Wissenschaftler an den For- B3 Eine Beteiligung Deutschlands bei der Er- schungsinstituten in Deutschland hervorragend richtung des Radio-Observatoriums Square positioniert, um gemeinsam mit ihren internatio- Kilometre Array (SKA) in Südafrika und Aus- Im Rahmen der Empfehlungsgruppe 2 empfiehlt Die vorgestellten Empfehlungen beziehen sich nalen Partnern neue Erkenntnisse über unseren tralien. der RDS für die Vernetzung und Internationalisie- vorwiegend auf das Forschungsfeld Astronomie Kosmos entscheidend voranzutreiben. rung der Forschungslandschaft und ihrer Infra- und Astrophysik. Allgemeingültige Themen der B4 Die Weiterentwicklung von Großobservatori- strukturen: Personalentwicklung für Wissenschaft und For- Die Denkschrift 2017 wurde am 3. Juli 2017 vom en auf der Nordhalbkugel durch die betrei- schung sind zu ergänzen. Die Denkschrift 2017 Rat deutscher Sternwarten einstimmig verab- benden Institutionen, beispielsweise dem V1 Eine stärkere Vernetzung beim gemeinsamen thematisiert hier den Bedarf an klaren Karriere- schiedet. Large Binocular Telescope in Arizona (LBT), Bau und Betrieb internationaler Großvorha- perspektiven für den wissenschaftlichen Nach- dem Antennenfeld NOEMA auf dem Plateau ben. wuchs, etwa über Tenure-Track-Modelle. Sie de Bure, dem Antennenfeld LOFAR in Mittel- stellt zudem fest, dass Wissenschaftlerinnen in europa und dem Radioteleskop Effelsberg. V2 Die nachhaltige Förderung von Zentren für der Astronomie und Astrophysik nach wie vor die technische Unterstützung von Software unterrepräsentiert sind, insbesondere in Lei- B5 Die Beteiligung Deutschlands am Europäi- und Instrumenten sowie von weiteren unter- tungsfunktionen. Diese grundsätzlichen Themen schen Sonnenteleskop EST. stützenden Infrastrukturen, zum Beispiel im müssen im Gesamtkontext der universitären wie Bereich der Laborastrophysik, des Höchst- außeruniversitären Nachwuchs- und Personal- leistungsrechnens und der e-Science. planung gelöst werden. Im Bereich der weltraumgestützten Astrophysik sieht der RDS die folgenden Prioritäten: V3 Die verstärkte Koordinierung von Infrastruk- turvorhaben am Boden mit Vorhaben im W1 Die Umsetzung des Cosmic-Vision-Pro- Weltraum. gramms der ESA mit seinen verschiede- nen Satellitenmissionen sowie des NASA/ Executive Summary ESA-Weltraumteleskops JWST. Die Förderung von Know-how und die Personal- entwicklung stehen im Fokus der Empfehlungs- W2 Die Fortführung und Weiterentwicklung des gruppe 3. Der RDS empfiehlt: Since the 1960s every 15-20 years the Council of leading roles. As a result, the research field has nationalen Weltraumprogramms mit der German Observatories (Rat deutscher Sternwar- gained importance within the scientific program- fliegenden Sternwarte SOFIA und dem Rönt- K1 Die Etablierung von Universitätsprofessuren ten, RDS) has published a Denkschrift (Position me at German universities and research institu- genobservatorium eRosita sowie der Beteili- zu astronomischen Schlüsselthemen des Document) to inform the public and policy makers tes, both qualitatively and quantitatively. This is gung an künftigen binationalen Missionen mit kommenden Jahrzehnts. of the results of their field as well as to present reflected in a number of key figures. The decisive Weltraumagenturen anderer Länder. perspectives for the next decade. In these position factor for this success has been the central role K2 Die Weiterführung und den Ausbau der „Ex- documents, recommendations were given for the played by German institutions in the construction traterrestrischen Verbundforschung Astro- funding of projects with national or international of a wide portfolio of research facilities. Eine überregionale Infrastruktur für Höchstleis- nomie/Astrophysik“ zur wissenschaftlichen scope, and vital support mechanisms were pro- tungsrechnen und Big Data ist notwendig für die Auswertung von Weltraummissionen. posed. As a result, substantial progress has been Astronomy and astrophysics also play an im- Vorbereitung und Analyse der astronomischen made to develop research infrastructures and to portant role in the development of new techno- Großvorhaben am Boden und im Weltraum sowie K3 Die Etablierung von Big-Data-Analytics-Labo- ensure the participation of German research in- logies. The participation of German institutes in für Simulationsrechnungen, die unabdingbar für ren zur Entwicklung von Algorithmen für das stitutes. large telescope projects and satellite missions das theoretische Verständnis sind. Der RDS emp- Maschinenlernen und für künstliche Intelli- has led to numerous cooperations with indust- fiehlt: genz, sowohl für die Analyse astronomischer The Denkschrift 2017 „Perspectives of astrophy- rial partners. Thanks to the great public impact Daten wie auch zur Übertragung des Know- sics in Germany 2017-2030: From the beginnings of astronomy, it has become invaluable for the H1 Den Ausbau der nationalen und europäischen hows in andere Forschungsbereiche. of the cosmos to clues for life on extrasolar pla- recruitment of young academics in the fields of Zentren für Hoch- und Höchstleistungsrech- nets“ bears testament to an impressive develop- mathematics, natural sciences and engineering. nen und deren systematische Vernetzung mit K4 Die Etablierung geeigneter Förderprogramme ment of the research field in the past 15 years regionalen und lokalen Hochleistungsrech- für die wissenschaftliche Analyse von großen - both worldwide and in particular in Germany. nern und Cloudstrukturen. Beobachtungsprogrammen am Boden und im Researchers in Germany have been involved Weltraum. in numerous scientific breakthroughs, often in 8 Zusammenfassung / Executive Summary | 9
Based on 20 strategy papers, the astronomical B3 German participation in the construction of The second group of recommendations concern The recommendations presented here primarily community has summarised the main findings of the radio observatory Square Kilometre Array networking and the internationalisation of rese- refer to specific aspects of the field of astronomy the field in the last decade and has charted the (SKA) in South Africa and Australia. arch landscape and its infrastructures: and astrophysics. They are to be supplemented by future course up until the end of the next decade. more general proposals for career development The topics are divided into the following areas: B4 The further development of major observa- V1 Enhanced collaboration and networking in in science and research. These include impro- tories in the Northern Hemisphere such as the construction and operation of major in- ved career perspectives for the next generation ■■ the Sun, other stars, and their planetary the Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona, ternational research projects. of scientists, such as via tenure-track positions. systems, the antenna array NOEMA on the Plateau de Female scientists are still underrepresented in ■■ the cosmic cycle of matter Bure, the antenna array LOFAR in Central Eu- V2 Sustainable funding for supporting infra- astrophysics, in particular in leadership func- ■■ the Milky Way and other galaxies, rope and the Effelsberg radio telescope. structures, such as in the field of laboratory tions. These more fundamental issues will have ■■ the early Universe, astrophysics or high-performance computing to be solved in the wider context of university and ■■ extreme states of the cosmos, B5 A German participation in the European Solar and e-Science as well as for software and in- non-university personnel planning. fundamental astrophysics. Telescope (EST). strument support centers. With the projects and recommendations laid out Links to neighbouring research fields are empha- V3 Increased coordination between ground-ba- in this document astronomers at German rese- sized, in particular to planetary research, astro- In the area of space-based astrophysics, the RDS sed infrastructure projects and those in spa- arch institutes believe they are well-positioned to particle physics and fundamental physics. prioritizes the following: ce. unravel together with their international partners the mysteries of the Universe. In order to further strengthen the position of astro- W1 The implementation of the Cosmic Vision nomical and astrophysical research in Germany programme of the European Space Agency Knowledge transfer and personnel development The Denkschrift 2017 was unanimously adopted in the coming decade, the RDS has developed a (ESA) and its various satellite missions and are the focus of the third group of recommenda- by the Council of German Observatories on 3 July series of recommendations. These recommenda- the NASA/ESA James Webb Space Telescope tions: 2017. tions can be divided into three groups. The first (JWST). group of recommendations concerns ground-ba- K1 The establishment of university professor- sed research infrastructures (recommendations W2 The continuation and advancement of the na- ships in key areas of astronomical research of B1-B5), space-based infrastructure (recom- tional space programme with the airborne the next decade. mendations W1 and W2), and infrastructure for observatory SOFIA and the X-ray observato- high-performance computing and big data science ry eRosita as well as participation in future K2 The continued development of the federally (recommendations H1 and H2). The second group bi-national missions with other space agen- funded Verbundforschung „Extraterrestrial of recommendations is devoted to networking and cies. Astronomy / Astrophysics“ that facilitates the coordination (recommendations V1-V3). Finally, scientific analysis of space missions. the third group of recommendations lays out pro- posals regarding the transfer of knowledge and A national infrastructure for high-performance K3 The establishment of big data analytics labo- human resource development (recommendations computing and big data is instrumental for the ratories for the development of algorithms K1-K5). preparation and analysis of major astronomical for machine learning and artificial intelligen- projects on the ground and in space. It is equal- ce. This is important, both, for the analysis of ly important for numerical simulations that have astronomical data as well as for the transfer In the area of ground-based observatories, the become an indispensable part of theory. The RDS of knowledge into other research areas. RDS recommends: recommends: K4 The establishment of suitable funding sche- B1 The participation in the construction of the H1 The development of national and European mes for the scientific analysis of large obser- 39m Extremely Large Telescope (ELT) of the centres for high-performance computing and ving programmes from, both, the ground and European Southern Observatory in Chile and their sustainable integration into a network space. its instrumentation programme. of regional and local computing centres and cloud architectures. K5 The establishment of longer funding cycles B2 The funding of the next generation of detec- for the construction of astronomical instru- tors, receivers, and spectrographs, for the La H2 The further development of high-performan- mentation and astronomical satellites. Silla Paranal Observatory and for the antenna ce computing centres into a closely linked array ALMA in Chile. network of high-performance data infra- structure. 10 Zusammenfassung / Executive Summary | 11
1 Einführung 1.1 Intention, Adressaten und Autoren der Denkschrift 2017 Die Astronomie ist die älteste aller Wissenschaf- onstechnologie immer wieder an ihre Grenzen ten.1 Sie sucht Antworten auf Fragen, die sich die stößt und weiterentwickelt werden muss. Um die Menschheit seit ihren Anfängen stellt: Wo kommen Beobachtungsdaten physikalisch zu verstehen, wir her? Und sind wir allein? Neue Erkenntnisse der müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissen- Astronomie zu den Ursprüngen der Welt und bei schaftler außerdem auf theoretische Modelle zu- ihrer Suche nach anderen bewohnbaren Planeten rückgreifen können. Dafür werden atomare und im All werden in der Öffentlichkeit mit besonde- nukleare Eigenschaften und Vorgänge im Labor rem Interesse verfolgt. Astronomische Forschung untersucht. In umfassenden multidimensionalen wird als hohes Kulturgut wahrgenommen. Simulationsrechnungen werden die theoretischen Modelle mit den Beobachtungsdaten verglichen. Astronominnen und Astronomen wollen das Uni- Die entsprechenden Hochleistungsrechner sind in versum räumlich von seinen kleinsten Teilchen der Lage, Modelle für das Aussehen kosmischer bis in seine Gesamtheit und zeitlich vom Urknall Objekte bei verschiedenen Wellenlängenberei- bis in unsere Gegenwart verstehen. Als Natur- chen und über einen weiten Bereich an Längen- wissenschaft basiert die Astronomie auf der skalen zu erstellen. Mit ihnen lassen sich große Beobachtung unserer Welt. Beobachtungsdaten Zeiträume mit sehr feiner Zeitauflösung verfolgen. gewinnt sie vor allem durch die Messung von Licht aus dem Weltraum in verschiedenen Wellenlän- Wissenschaftliche Entdeckungen und Fortschritt genbereichen: als optisches Licht, als ultravio- in der Astrophysik sind also nur möglich, wenn lettes oder infrarotes Licht, als Radio-, Röntgen- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mo- und Gammastrahlung. Unsere Atmosphäre filtert dernste Forschungseinrichtungen nutzen können. Teile der Strahlung heraus. Auf der Erde können Um eine maximale wissenschaftliche Ausbeute zu Störquellen wie künstliche Lichtquellen oder ermöglichen, müssen die verfügbaren Ressour- Rundfunk die Beobachtungsdaten verfälschen. cen gezielt und optimal eingesetzt werden. Eine Deshalb werden hochtechnisierte Teleskope an strategische Planung ist also unabdingbar: Wo den abgelegensten Orten unserer Erde, auf Bal- und wie kann sich Deutschland als wissenschafts- lonplattformen, in Flugzeugen und auf Satelliten starkes europäisches Land in den Wettbewerb und im Weltraum betrieben. Die Astronomie ist zur in die Suche nach Erkenntnis einbringen? Großgeräteforschung geworden. Diese Denkschrift fasst die strategischen Über- Auch bei der Auswertung der Daten ist leistungs- legungen der astronomischen Fachgemeinschaft starke Technik nötig. Die Messkampagnen erfolgen in Deutschland zusammen. Sie informiert über parallel über verschiedene Wellenlängenberei- aktuelle Entwicklungen in der astronomischen che, von Radiowellen bis zur Gammastrahlung. und astrophysikalischen Forschung und über Die gewonnenen Daten werden mit modernsten die Perspektiven für das nächste Jahrzehnt. Die Methoden durchforstet und analysiert. Doch die Denkschrift stellt Forschungsinfrastrukturen vor, Datenmengen sind so groß, dass die Informati- die aus Sicht der Fachgemeinschaft für die optimale 1 Die Begriffe Astronomie und Astrophysik werden oft synonym verwendet. Die Disziplinen unterscheiden sich vor allem im Hinblick auf ihre historischen Ursprünge. Die Astronomie entwickelte sich aus dem Zeit- und Kalenderwesen und der Navi- gation. Die Astrophysik hat ihre Wurzeln in der Spektroskopie, die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam. 12 Einführung | 13
Weiterführung ihrer Forschung notwendig sind. Deutschland, die sich mit Astronomie und Astro- in Kapitel 4. Die Strategiepapiere können auf der 2017 wurde die Denkschrift 2017 auf einer Son- Sie verdeutlicht Deutschlands Potenzial bei Bau physik befassen. Unter ihnen sind Universitäts- Website http://www.denkschrift2017.de herunter- dersitzung des RDS in Potsdam einstimmig ver- und Nutzung dieser Infrastrukturen und betont institute, Landesinstitute und Einrichtungen der geladen werden. abschiedet. die Wirkung, die davon auf andere Bereiche der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz-Gemein- Forschung und Entwicklung, auf die Ausbildung schaft und der Helmholtz-Gemeinschaft. Kapitel Ein Autorenteam des RDS fasste danach die we- von Fachkräften und auf die Öffentlichkeit aus- 2.3 sowie Anhang B und C geben eine Übersicht sentlichen Punkte dieser Strategiepapiere zur geht. Die Denkschrift möchte Empfehlungen für der RDS-Institute. vorliegenden Denkschrift 2017 zusammen. Im die Förderung dieser Infrastrukturen zur Dis- Frühjahr 2017 wurde sie mit den 38 Einrichtungen kussion stellen, aber auch Empfehlungen für die Der RDS wurde ursprünglich 1959 als Rat west- des RDS diskutiert und abgestimmt. Am 3. Juli Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses deutscher Sternwarten gegründet, um den Bau und von Wissenschaftlerinnen in der Astronomie einer deutschen Sternwarte auf der Südhalbku- und Astrophysik. gel anzustoßen. Schnell etablierte er sich als Gre- mium zur Koordinierung der astrophysikalischen 1.3 Inhalt und Wirkung der früheren Astronomischen Denkschriften Die Denkschrift 2017 richtet sich in erster Linie Forschungsaktivitäten in Deutschland. Seit 2012 an wissenschaftliche und wissenschaftspolitische ist der Rat deutscher Sternwarten als Organ in die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungs- Astronomische Gesellschaft integriert. Sie ist der Bereits 1962, 1987 und 2003 erschienen Denk- Denkschrift 1962: Anstoß zu Bau und Betrieb träger an den Universitäten, in den Wissenschafts- Fachverband der Wissenschaftlerinnen und Wis- schriften der astronomischen Fachgemeinschaft, von Observatorien organisationen sowie in den Parlamenten und den senschaftler, die in Deutschland in der Astrono- die jeweils die nationalen und internationalen zuständigen Landes- und Bundesministerien. Sie mie und Astrophysik forschen. Entwicklungen in der Astronomie und Astrophysik Zu Beginn der 1960er-Jahre bot sich der Astro- steht in der Tradition einer Reihe von Denkschrif- darstellten und daraus Handlungsempfehlungen nomie in der Bundesrepublik Deutschland ein ten, die von der astronomischen Gemeinschaft in Der RDS berät Ministerien und Forschungsorga- ableiteten. Wie in der Denkschrift 2017 standen ernüchterndes Bild: Optische Großteleskope mit Deutschland seit den 1960er-Jahren herausge- nisationen zu strategischen Fragen im Bereich auch bei diesen früheren Veröffentlichungen not- mehr als 2 Metern Durchmesser befanden sich geben wurden. Die Denkschriften der Jahre 1962, der astrophysikalischen Forschung. Außerdem wendige Investitionen in die Forschungsinfra- ausschließlich in den USA und zum neuen 2-Me- 1987 und 2003 haben eine effiziente strategische schlägt er Kandidatinnen und Kandidaten für das strukturen und in deren Förderung im Verbund ter-Teleskop in Thüringen hatten bundesdeutsche Planung der astronomischen Forschung ermög- Fachkollegium 311 „Astrophysik und Astronomie“ der deutschen Forschungs- und Fördereinrich- Astronominnen und Astronomen spätestens seit licht und wichtige Entwicklungen angestoßen. Sie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) tungen2 an zentraler Stelle. dem Mauerbau keinen Zugang mehr. Das neue werden im Abschnitt 1.3 vorgestellt. vor sowie für die Gremien der Europäischen Süd- Gebiet der Radioastronomie wurde von Austra- sternwarte (ESO), für den Gutachterausschuss für Viele der Empfehlungen in den früheren Denk- lien, Großbritannien, Schweden und den Nie- Herausgeber der Denkschrift 2017 ist der Rat die Verbundforschung des Bundesministeriums schriften wurden umgesetzt. Insbesondere die derlanden dominiert. In der Weltraumforschung deutscher Sternwarten (RDS). Er ist ein Zusam- für Bildung und Forschung (BMBF) und für wei- Infrastrukturen haben sich dadurch deutlich hatten die USA mit der NASA in der westlichen menschluss von 38 Forschungseinrichtungen in tere Gremien. verbessert, aber auch die Förderstrukturen Hemisphäre eine Alleinstellung. Die Denkschrift selbst. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit 1962 zielte darauf, diese unzulängliche Situation der astrophysikalischen Forschung in Deutsch- grundsätzlich zu verbessern. land konnte nachhaltig gesteigert werden. Die 1.2 Zur Entstehung der Denkschrift 2017 überproportional erfolgreiche Entwicklung von Die Denkschrift 1962 förderte Bestrebungen, die zur Astronomie und Astrophysik im Vergleich zu an- Gründung der ESO führten und der europäischen deren Disziplinen belegt eindrucksvoll eine 2010 Astronomie den Zugang zum Südhimmel öffneten. Diese Denkschrift wurde in einem dreistufigen schaftler. Ergänzend wurden Forschungsmethoden im Auftrag des BMBF veröffentlichte Studie zum Im Bereich der Weltraumforschung unterstützte Verfahren erstellt: und -technologien, Infrastrukturen, Messinstru- Impact der Forschung in Deutschland über einen die Denkschrift 1962 die Gründung der heutigen mente für Licht in den verschiedenen Wellenlängen Zeitraum von 20 Jahren.3 Europäischen Weltraumorganisation ESA. Die Welt- Vom 7. bis 9. Dezember 2015 trafen sich 150 Teil- und Höchstleistungsrechner präsentiert, die für die raumforschung wurde später fest im Ressort des nehmerinnen und Teilnehmer aus allen Einrich- jeweiligen Forschungsprogramme notwendig sind. Bundesministeriums für Forschung und Technolo- tungen des Rats deutscher Sternwarten auf einem gie etabliert. Auf die Gründung des Max-Planck-In- dreitägigen Kongress in Potsdam. Hier wurden die Im Laufe des Jahres 2016 verfassten die ver- stituts für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn 1966 aktuellen Themen der astrophysikalischen For- schiedenen Fachgebiete des RDS basierend auf folgte der Bau des 100-m-Teleskops in Effelsberg. schung vorgestellt und die wesentlichen Fragen den Ergebnissen der Potsdamer Tagung 20 eng- Damit wurde ein Radioteleskop der Weltklasse für die nächste Dekade aus Sicht der Fachgemein- lischsprachige Strategiepapiere, die die aktuellen schaft formuliert. Im Vordergrund standen Beiträ- Forschungsfragen und das dafür notwendige Ins- 2 Heute sind dies die DFG, Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Helmholtz-Gemeinschaft sowie die Projekt- ge deutscher Einrichtungen und in Deutschland trumentarium aus Sicht der jeweiligen Fachgruppe förderung des BMBF. forschender Wissenschaftlerinnen und Wissen- darstellen. Eine Übersicht bietet Tabelle 4.1 3 Vgl. Abbildung 2.1 in Kapitel 2. 14 Einführung | 15
installiert. Durch das neue Max-Planck-Institut für bundforschung „Erdgebundene Astrophysik und Neben der Beteiligung an Großteleskopen und technisch orientierter Universitätsgruppen sichern. Astronomie (MPIA) in Heidelberg und das von ihm Astroteilchenphysik“ fördert seitdem die Grund- Weltraummissionen empfahl die Denkschrift 1987 Mehrere deutsche Institute engagierten sich zudem betriebene Observatorium auf dem Calar Alto in lagenforschung mit Großgeräten. Sie ermöglicht auch ein deutsches Engagement in einer damals an 8- bis 10-Meter-Teleskopen in den USA, insbe- Spanien bekamen bundesdeutsche Astronominnen deutschen Universitätsinstituten, sich aktiv am neuen Methode der Astrophysik. Sie sprach sich sondere am Large Binocular Telescope in Arizona und Astronomen Zugang zu wettbewerbsfähigen Bau von Kameras und Spektrografen für Groß- für eine Beteiligung bei der Interferometrie in der und am Hobby-Eberly Telescope in Texas. Die deut- optischen Teleskopen auf der Nordhalbkugel. teleskope zu beteiligen. Beispiele für solche Millimeter-Radioastronomie aus. Die sogenannte sche Fachgemeinschaft bekam so Zugang zu Welt- Projekte sind die UV-visuellen Kamera-Spektro- Very Long Baseline Interferometry (VLBI) kombi- klasse-Teleskopen auf der Nordhalbkugel. Die Nutzung dieser Teleskope durch die Fachge- grafen-Systeme FORS1 und FORS2 für das VLT. niert mehrere Radioteleskope, um Messungen mit meinschaft, insbesondere auch durch die Uni- FORS2 ist bis heute das meistgenutzte Instrument höchster räumlicher Auflösung und Positionsge- Das in der Denkschrift 2003 empfohlene Ra- versitäten, hat die Entwicklung der Astronomie in am VLT. Die Mitarbeit an Instrumentierungspro- nauigkeit durchzuführen. Außerdem empfahl die dio-Interferometer Atacama Large Millimeter/ Deutschland sehr stark beflügelt. Beobachtungs- grammen löste einen Sprung in der Technologie- Denkschrift 1987 den Beginn der Forschung in submillimeter Array (ALMA) konnte über die aufenthalte am Calar-Alto-Observatorium oder am entwicklung aus. Außerdem erhielten die am Bau der Hochenergieastrophysik, der Neutrinoastro- ESO mit Beteiligung ostasiatischer und nord- Effelsberg-Teleskop sind für viele Nachwuchswis- beteiligten Institute garantierte Beobachtungs- physik und der Gravitationswellenastrophysik. amerikanischer Partner realisiert werden. Unter senschaftlerinnen und -wissenschaftler der Ein- zeiten an den Observatorien. Damit bekamen sie Leitung des MPIfR wurde dafür das Submilli- stieg in die professionelle Astronomie. Noch heute Zugang zu Messkampagnen, die im Antragsver- meter-Einzelteleskop APEX entwickelt. Dieses ermöglichen diese Teleskope großartige wissen- fahren außerhalb ihrer Möglichkeiten gelegen Denkschrift 2003: Deutsche Beteiligung an neuartige Instrument zur Untersuchung chemi- schaftliche Entdeckungen, zum Beispiel den Nach- hätten. Forscherinnen und Forscher aus Deutsch- der nächsten Generation der Großgeräte in scher und physikalischer Bedingungen in Mole- weis von Wasser im Kosmos bis in kosmologische land erzielten seitdem zahlreiche wissenschaftli- der Astronomie külwolken erfüllte seine Rolle als Wegbereiter Entfernungen und von Gasausflüssen, sogenann- che Durchbrüche. Zum Beispiel trugen sie dazu hervorragend. ten Jets, von jungen Sternen. bei zu verstehen, wie sich in der Frühphase des Für die optische Astronomie stand in der Denk- Kosmos Galaxien entwickelt haben. schrift 20035 der Bau des European Extremely Im Bereich der Weltraummissionen rückten in Large Telescope (ELT) als langfristiges Ziel im Vor- der Denkschrift 2003 Empfehlungen für das For- Denkschrift 1987: Einführung der Verbund- In Kombination mit der außeruniversitären For- dergrund. Basierend auf der Denkschrift empfahl schungsprogramm der ESA in den Vordergrund, forschung Astronomie/Astrophysik schung der Max-Planck-Gesellschaft und der der Rat deutscher Sternwarten dem BMBF im Jahr insbesondere die deutsche Beteiligung an den Sa- Leibniz-Gemeinschaft4 hat die Verbundforschung 2009 den Vorzug des ELT als technologisch hinrei- tellitenteleskopen Herschel, Planck, INTEGRAL, Solar In den 1980er-Jahren wandelte sich der Bedarf die internationale Sichtbarkeit deutscher For- chend fortgeschrittenes Projekt vor dem damals Orbiter und Gaia. Damals befanden sich internati- an Beobachtungsmöglichkeiten. Die astronomi- schungsbeiträge enorm gesteigert. Heute sind die noch in seiner Frühphase befindlichen Square Kilo- onale Weltraummissionen zur Röntgenastronomie sche Forschung benötigte größere Teleskope, mit Teleskope des VLT mit einem exquisiten Portfolio metre Array (SKA). Im Dezember 2014 beschlossen und zur Gravitationswellendetektion noch in Vor- Spiegeldurchmessern von 8 Metern und mehr. an Instrumenten verschiedenster Fähigkeiten die Mitgliedsländer der Europäischen Südsternwarte studien. Mittlerweile sind die Missionen als Athena Sie konnten nur gebaut werden, wenn sich gro- ausgerüstet. Zu vielen haben deutsche Institute den Bau des Teleskops, mit dem mittlerweile be- und LISA fest unter den großen L-Klasse-Missionen ße, meist internationale Konsortien liierten. In der wichtige Anteile beigetragen, in einigen Fällen gonnen wurde. Deutsche Institute sind führend an (L2 und L3) im Cosmic-Vision-Programm der ESA Weltraumforschung hatte sich die ESA mittlerwei- wurden sie unter deutscher Leitung realisiert. der Instrumentierung beteiligt. Das Max-Planck-In- verankert. Als Mission des nationalen Weltraum- le neben der NASA positionieren können. Aber die stitut für extraterrestrische Physik in Garching programms wurde bereits 1987 das US-amerika- Förderstrukturen in Deutschland reichten nicht Auch die wissenschaftliche Ausbeute von Welt- (MPE) leitet zum Beispiel die Entwicklung und den nisch-deutsche Stratosphärenobservatorium für mehr aus, um sicherzustellen, dass die Ausbeute raummissionen wurde durch die Verbundfor- Bau der astrometrischen Infrarotkamera MICADO Infrarotastronomie (SOFIA) mit Priorität empfohlen. dieser Weltraumobservatorien auch tatsächlich schung nachhaltig gefördert. Heute ist sie als als First Light Instrument, also der Kamera, die als Die „fliegende Sternwarte“ hat mittlerweile den vollständig wissenschaftlich ausgewertet werden „Extraterrestrische Verbundforschung Astro- erstes Instrument bei der Inbetriebnahme des ELT Beobachtungsbetrieb aufgenommen und sichert konnte. Das betraf besonders Projekte zur Grund- nomie/Astrophysik“ Teil des nationalen Raum- zur Verfügung stehen wird. Das Max-Planck-Institut den kontinuierlichen Zugang zum ferninfraroten lagenforschung an den Universitäten, die sich al- fahrtprogramms und im Bundesministerium für Astronomie in Heidelberg ist verantwortlich für Spektralbereich. Zwei deutsche Instrumente tragen lein auf die Förderung durch die DFG stützten. für Wirtschaft und Energie angesiedelt. Sie die adaptive Optik und das Kamerasystem des In- erfolgreich zum Beobachtungsprogramm bei. Hin- wird durch das Deutsche Zentrum für Luft- und struments METIS für den mittleren Infrarotbereich. zu kommt das Röntgenteleskop eROSITA auf dem Die Denkschrift 1987 empfahl eine deutsche Be- Raumfahrt Bonn-Oberkassel (DLR) verwaltet. russischen Satelliten Spektrum-Röntgen-Gamma. teiligung an den vier 8-Meter-Teleskopen des Beispiele für besonders erfolgreiche Projekte Für die mittelfristige Planung betonte die Denk- Very Large Telescope (VLT) der Europäischen sind der deutsche Röntgensatellit ROSAT, das schrift 2003 unter anderem die Bedeutung einer Die Denkschrift 2003 empfahl die Erweiterung der Südsternwarte. Das war auch der Anlass für ei- Hubble-Weltraumteleskop der NASA/ESA und Beteiligung an der zweiten Generation der Instru- Mess- und Beobachtungseinrichtungen mit Geräten nen neuen Fördermechanismus, der direkt am die ESA-Missionen SOHO, XMM-Newton und ISO. mentierung des Very Large Telescopes und dessen der Neutrinoastrophysik, Gammaastronomie und damaligen Bundesministerium für Forschung Interferometer VLTI, die mittlerweile in Betrieb Gravitationswellenastronomie. Zwischen Astrono- und Technologie angesiedelt wurde. Die Ver- sind. Die Verbundforschung konnte die Teilnahme mie und Elementarteilchenphysik etablierte sich die 4 5 Damals noch unter der Bezeichnung „Institute der Blauen Liste“. Die Denkschrift 2003 kann unter dem Link http://www.denkschrift2017.de/denkschrift_2003-16.pdf heruntergeladen werden. 16 Einführung | 17
Astroteilchenphysik als eigenständiges Fachgebiet. Graduiertenschulen und durch Maßnahmen der Es bearbeitet astrophysikalische Themen mit den Exzellenzinitiative inzwischen teilweise um- Methoden der Elementarteilchen- und Kernphysik. gesetzt. Die Denkschrift 2003 griff auch kriti- sche Themen auf, zum Beispiel, dass für den Nicht zuletzt richtete die Denkschrift 2003 den wissenschaftlichen Nachwuchs oft nur unklare Blick auf die Ausbildung und Karriereförderung Karriereperspektiven bestehen und dass Wissen- des wissenschaftlichen Nachwuchses. Sie emp- schaftlerinnen insbesondere in Führungsposi- fahl etwa eine stärkere Vernetzung zwischen den tionen deutlich unterrepräsentiert sind. Beide Forschungsorganisationen und Universitäten. Dies Problemfelder sind nach wie vor aktuell, nicht wurde über die Einrichtung von gemeinsamen nur in der Astrophysik. 1.4 Internationale Perspektive Strategische Überlegungen und Ausblicke für ■■ Entstehung und Entwicklung von Galaxien die Astrophysik sind seit vielen Jahren auch in von der Frühphase des Kosmos bis heute, anderen Ländern üblich, etwa in Australien, der ■■ Entstehung von Sternen und ihren Planeten- Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Zwei systemen, Leben auf anderen Welten, viel beachtete Beispiele sind die entsprechenden ■■ unsere Sonne und das Sonnensystem. Dokumente der Europäischen Union und der USA. Die Spiralgalaxie NGC 6744. Die Infrastructure Roadmap empfiehlt für die Be- antwortung dieser Forschungsfragen die wich- Europäische Union tigsten Infrastrukturen: komplexer Computersimulationssoftware im Be- in Chile empfohlen, außerdem Programme zur reich der theoretischen Forschung hervorgehoben. Technologieentwicklung, zur Förderung des Baus Die wissenschaftlichen Förderinstitutionen der ■■ als große erdgebundene Observatorien das Im Herbst 2016 verlängerten die Mitglieder die AS- astronomischer Instrumentierung und ein Theo- Europäischen Union gründeten 2006 das Konsor- optische 39-m-Extremely Large Telescope der TRONET-Vereinbarung für die Periode 2015-2025. rieprogramm. tium ASTRONET. Sein Ziel ist, eine koordinierte ESO und das Square Kilometre Array im Ra- astrophysikalische Forschungsplanung in der EU diobereich, Wurde der Decadal Report 2010 noch unter der zu etablieren. ASTRONET wurde durch das 6. und ■■ als mittelgroße erdgebundene Forschungs- USA haushälterischen Vorgabe eines moderat wach- 7. EU-Forschungsrahmenprogramm gefördert. infrastrukturen das Europäische 4-m-Son- senden Budgets erstellt, musste das Programm Von deutscher Seite sind das BMBF, die DFG, nenteleskop (EST) und das Gammastrah- Alle zehn Jahre gibt der National Research Coun- mittlerweile an die Vorgaben eines auf absehbare die Max-Planck-Gesellschaft sowie der Projekt- lenobservatorium Cherenkov Telescope Array cil einen Decadal Report heraus, der die Ziele der Zeit nicht wachsenden Budgets angepasst wer- träger DESY beteiligt. Zahlreiche Wissenschaft- (CTA), astronomischen Forschung in den USA spezifi- den, mit weitreichenden Folgen: Das begrenzte lerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland ■■ als große Weltraummission das Gravitati- ziert. Budget der NSF wird durch die beiden großen sind Mitglieder der jeweiligen Arbeitsgruppen. onswellenobservatorium LISA und das Rönt- Teleskopprojekte ALMA und LSST so stark be- Die Ergebnisse von ASTRONET wurden in zwei genobservatorium Athena6, In der aktuellen Fassung von 2010, „New Worlds, ansprucht, dass viele der bestehenden NSF-ge- Dokumenten veröffentlicht, der Science Vision ■■ unter den mittelgroßen Missionen insbe- New Horizons in Astronomy and Astrophysics“, förderten Observatorien nicht mehr unterstützt (2007) und der Infrastructure Roadmap (2009), die sondere den Astrometriesatelliten Gaia, wird bei den erdgebundenen Vorhaben die Um- werden und, wie im Fall des Green Bank Teles- 2013 beziehungsweise 2014 aktualisiert wurden. die ESA-M-Klasse-Missionen Solar Orbiter setzung des Large Synoptic Survey Telescope cope und des Very Long Baseline Array, abge- (Sonnenphysik) und Euclid (extragalaktische (LSST) mit höchster Priorität empfohlen, bei den wickelt oder in private Förder- organisationen Die Science Vision umfasst die wesentlichen Fra- Astrophysik und Kosmologie) sowie später Weltraumprojekten die Weltraumdurchmuste- überführt wurden (sogenanntes Divestment). Die gestellungen zu vier Themenkomplexen: die PLATO-Mission (stellare Astrophysik und rung mit dem Wide Field Infrared Survey Teles- im Decadal Report 2010 empfohlene Entwicklung Exoplaneten). cope (WFIRST). LSST ist derzeit im Bau, WFIRST des CCAT-Teleskops wird derzeit nur im Rahmen ■■ Extremzustände des Kosmos und deren befindet sich in der aktiven Implementierungs- eines Pilotprojekts (CCAT-prime) verfolgt, mit Physik, Außerdem wurde die Bedeutung der Laborastro- phase. Mit Nachdruck wurde auch eine Beteili- deutscher Beteiligung. physik, von Virtuellen Observatorien (VO) sowie von gung der National Science Foundation (NSF) am geplanten 25-m-Klasse-Submillimeterteleskop Im Moment laufen in den USA die ersten Vorberei- 6 Bis 2010 XEUS/IXO. Cerro Chajnantor Atacama Telescope (CCAT) tungen für den Decadal Report 2020. 18 Einführung | 19
2 Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland 2.1 Astronomie und Astrophysik – ein goldenes Zeitalter 2003 stellten die Verfasser der DFG-Denkschrift Plausibel erklären lässt sich das nur durch ein „Status und Perspektiven der Astronomie in Schwarzes Loch im Zentrum mit einer Masse von Deutschland 2003-2016“ fest, dass die Astrono- 4,4 Millionen Sonnenmassen. Ebenso spektaku- mie am Beginn eines goldenen Zeitalters stehe. lär war 2016 der Nachweis des Verschmelzens Aus heutiger Sicht hat sich die Prognose erfüllt. zweier Schwarzer Löcher über das von ihnen Diese Einschätzung lässt sich an drei Beispielen ausgesandte Gravitationswellensignal. verdeutlichen: Präzisionskosmologie: Noch in den 1990er-Jah- Exoplaneten: 1995 wurde der erste Planet ent- ren waren die Werte der verschiedenen kosmo- deckt, der um einen anderen Stern als die Sonne logischen Parameter nicht genau bekannt. Heute kreist. Heute sind mehr als 3000 extrasolare Pla- haben sich das Forschungsfeld der Präzisionskos- neten bekannt, sogenannte Exoplaneten. Immer mologie und ein Standardmodell der Kosmologie häufiger finden wir auch Planeten mit ähnlicher etabliert. Dieses Modell ist überaus erfolgreich Masse wie die Erde. Besondere Beachtung finden darin, die Entwicklung des Kosmos, seiner groß- Exoplaneten in der sogenannten bewohnbaren räumigen Strukturen und der Galaxien von der Zone, auf denen prinzipiell günstige Bedingungen frühesten Phase (10-11 Sekunden nach dem Ur- für die Entstehung von Leben herrschen. Inzwi- knall) bis heute (13,8 Milliarden Jahre nach dem schen haben wir sogar erste Informationen, wie Urknall) zu beschreiben. Die unmittelbare Kon- sich die Atmosphären einiger Exoplaneten zu- sequenz des Modells ist jedoch, dass 95 Prozent sammensetzen. Der Fokus der Forschung hat des Kosmos aus sogenannter Dunkler Materie sich deutlich erweitert. Astronominnen und As- und Dunkler Energie bestehen müssen. Diese tronomen suchen Planetensysteme heute nicht Annahme lässt sich nicht mehr im Rahmen des nur, sondern charakterisieren sie und bestimmen Standardmodells der Teilchenphysik beschrei- ihre Demografie, indem sie versuchen herauszu- ben. Die Fragen nach Ursprung und Eigenschaften finden, wie oft Exoplaneten verschiedener Masse von Dunkler Materie und Dunkler Energie rütteln und Komposition vorkommen. Es zeichnet sich somit an den Grundfesten unseres physikali- ab, dass unser Sonnensystem mit seinen spezifi- schen Weltbilds und führen zu neuen Gebieten schen Eigenschaften eher die Ausnahme als die der Physik. Regel zu sein scheint. Schwarze Löcher: Zu den faszinierendsten Ob- jekten im Kosmos zählen die Schwarzen Löcher. Sie sind so massereich und kompakt, dass ihnen nicht einmal Licht entweichen kann. Wir konnten mittlerweile nachweisen, dass sich in den Zen- tren vieler Galaxien Schwarze Löcher befinden, deren Massen mehrere Millionen Mal so groß sind wie die Masse unserer Sonne. Das am bes- ten untersuchte Beispiel befindet sich in unserer Milchstraße. Um das Galaktische Zentrum krei- sen Sterne mit extrem hohen Geschwindigkeiten. 20 Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 21
Preisträgerinnen und Preisträger von hochrangigen nationalen und internationalen Forschungspreisen (Auswahl) Immo Karsten Rudolf Rolf-Peter Appenzeller Danzmann Kippenhahn Kudritzki 2015 Karl-Schwarz- 2017 Körber-Preis 2007 Karl-Schwarz- 2009 Karl-Schwarz- schild-Medaille schild-Medaille schild-Medaille AEI Hannover LSW/ ZAH Heidelberg MPA Garching IfA Hawaii Universität Göttingen MPA Garching LMU München Reinhard Eva Karl-Heinz Volker Genzel Grebel Rädler Springel 2008 Shaw-Preis 2015 Hector Wissen- 2013 Karl-Schwarz- 2010 Klung-Wilhelmy- 2011 Karl-Schwarz- schaftspreis schild-Medaille Weberbank-Preis schild-Medaille 2012 Crafoord-Preis ARI/ ZAH Heidelberg AIP Potsdam HITS & ARI / 2012 Tycho-Brahe-Preis ZAH Heidelberg MPE Garching UC Berkeley Rashid Joachim Günther Guinevere Sunyaev Trümper Hasinger Kauffmann 2003 Gruber-Kosmologie- 1994 Karl-Schwarz- 2004 Leibniz-Preis 2007 Leibniz-Preis Preis schild-Medaille 2008 Crafoord-Preis 2016 Tycho-Brahe-Preis IfA Hawaii MPA Garching 2008 Karl-Schwarz- MPE Garching schild-Medaille MPE Garching MPA Garching Simon Richard White Wielebinski 2011 Gruber-Kosmologie- 2017 Karl-Schwarz- Preis schild-Medaille 2017 Shaw-Preis MPIfR Bonn MPA Garching 22 Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 23
2.2 Ein dynamisches Forschungsfeld 350 Astronomy and Astrophysics Astronomie und Astrophysik sind hochmoderne physik ist ein Zugpferd für junge Menschen: Sie 300 Basic Life Sciences und aktuelle Forschungsgebiete der Physik. Sie fördert das Interesse an naturwissenschaftlichen Biological Sciences spielen an allen Universitäten eine wichtige Rolle Problemstellungen und motiviert den Nachwuchs 250 Chemistry and Chemical Engineering in der Physikausbildung und sind in die Bachelor- für die naturwissenschaftliche Forschung. Die Instruments and Instrumentation und Masterstudiengänge integriert. Die Astro- folgende Tabelle verdeutlicht das. 200 Mathematics Physics and Materials Science 150 Statistical Sciences Jahr Bachelor Master/Diplom Promotion Habilitation 100 2003 2 90 111 18 50 2004 2 101 117 8 0 2005 2 134 137 7 09 91 93 95 97 99 01 03 05 07 2006 2 134 142 8 20 19 19 19 19 19 20 20 20 20 2007 1 153 136 8 Abb. 2.1: Publikationen in den Journalen des Web of Science für die Naturwissenschaften in Deutschland 1990 bis 2009.7 2008 16 155 145 5 2009 22 161 148 3 An den auf Seite 21 erwähnten Erfolgen und Auch in Nachbargebieten der Astrophysik waren weiteren Erkenntnissen waren deutsche For- Forschende deutscher Einrichtungen an spek- 2010 47 162 167 0 schergruppen maßgeblich beteiligt. Sei es an takulären neuen Ergebnissen signifikant betei- der wissenschaftlichen Idee und deren Umset- ligt. 2016 gelang erstmals die direkte Messung 2011 79 128 164 4 zung, an der theoretischen Modellierung und an von Gravitationswellen (Fundamentalphysik), 2012 102 150 157 3 numerischen Simulationen, an der Entwicklung 2015 der Nachweis von hochenergetischen kos- der notwendigen Messeinrichtungen oder an mischen Neutrinos (Astroteilchenphysik) und 2013 123 144 171 7 der Datenanalyse. Der Erfolg astronomischer die Landung auf dem Kometen 67P/Tschurju- Forschung aus Deutschland lässt sich sogar mes- mov-Gerasimenko (Planetenforschung). 2014 123 154 182 5 sen. Eine 2010 vom BMBF veröffentlichte biblio- metrische Analyse ergab, dass zwischen 1990 Für ihre Beiträge wurden zahlreiche Forscherin- 2015 152 178 186 8 und 2009 in zwei Fachgebieten der Einfluss deut- nen und Forscher mit renommierten nationalen 2016 180 172 188 3 scher Forschung im internationalen Vergleich und internationalen Preisen ausgezeichnet, wie deutlich überproportional gewachsen ist: in der die Übersicht auf der vorhergehenden Doppel- Tab. 2.1: Abschlüsse mit astronomischen Themen an deutschen Universitäten 2003-2016. Statistik und in der Astronomie. seite zeigt. Das zunehmende Gewicht von Astronomie und gerichtet.9 Die Astroteilchenphysik mit ihrer Astrophysik lässt sich auch an der Zahl der Wis- aktuell sehr dynamischen Entwicklung ist hier senschaftlerinnen und Wissenschaftler feststel- noch gar nicht einbezogen. Etwa 800 Wissen- len. Sie stieg zwischen 2000 und 2016 von rund schaftlerinnen und Wissenschaftler sind Mit- 1400 auf 2700 Beschäftigte.8 An deutschen glieder in der Astronomischen Gesellschaft, Universitäten wurden seit 2004 24 zusätzliche 655 in der Internationalen Astronomischen Professuren im Bereich der Astrophysik ein- Union (IAU). 8 Gemäß Jahresbericht 2000 der Astronomischen Gesellschaft und Tabelle 2.2. 7 9 Bibliometrische Analyse des deutschen Forschungsoutputs im internationalen Vergleich. In Heidelberg wurden 6 Professuren eingerichtet, in Potsdam 5, in München 3, in Göttingen, Köln und Bonn jeweils 2 und je Indikatorenbericht 2010 (vgl. Anhang A). eine Professur in Würzburg, Stuttgart, Bielefeld und Hamburg. 24 Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 25
Frauen in Führungspositionen Prof. Dr. Svetlana Berdyugina Paola Caselli ist Expertin auf den Gebieten Astrochemie und Sternentstehung. Sie schließt aus Mo- lekülspektren auf die physikalischen und chemischen Prozesse, die während der Entstehung von wurde 2008 auf einen Lehrstuhl an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg be- Sternsystemen aus Gas- und Staubwolken eine Rolle spielen. Dafür kombiniert sie Beobachtungsda- rufen. Seit 2017 ist sie Direktorin am Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik (KIS). ten mit chemisch-dynamischen Modellen und speziellen Strahlungstransfercodes. Zuvor war sie Professorin an der ETH Zürich und zuletzt Stellvertretende Direktorin Prof. Caselli ist Mitglied der American Astronomical Society, Gastprofessorin an der University of Leeds, am KIS. Sie forscht multidisziplinär mit Schwerpunkten auf solaren/stellaren Ma- wurde 2012 mit einem ERC Advanced Grant ausgezeichnet und erhielt vor Kurzem eine Jubiläumspro- gnetfeldern, Exoplanetenatmosphären und in der Astrobiologie. fessur an der Chalmers University of Technology in Göteborg, Schweden. Sie ist die Sprecherin der Svetlana Berdyugina ist eine führende Wissenschaftlerin im Bereich der Polari- International Max Planck Research School für Astrophysik an der LMU. metrie der Sonne, Sterne und Exoplaneten. Sie entwickelte die molekulare Po- larimetrie für Astrophysik und Astrobiologie und entdeckte neue Strukturen und Zyklen in solaren und stellaren Magnetfeldern. Ihre Gruppe war die erste, die den Albedo und die Farbe eines Exoplaneten Prof. Dr. Eva Grebel vermessen hat. Für ihre Forschungsarbeiten hat sie prestigereiche Auszeichnungen wie den EURYI Award (2005), einen ERC Advanced Grant (2012) und ein NASA Astrobiology Fellowship (2012) gewonnen. wurde 2007 auf einen Lehrstuhl für Astronomie an der Universität Heidelberg be- Seit 2016 ist sie Mitglied im Editorial Board von „Solar Physics“, seit 2012 Mitglied der Preisjury der rufen und ist Direktorin am Astronomischen Rechen-Institut. Zuvor leitete sie das Leibniz-Gemeinschaft. 2007 und 2008 war sie Stellvertretende Vorsitzende des ESO Observing Pro- Astronomische Institut der Universität Basel. grammes Committee. Eva Grebel ist eine führende Wissenschaftlerin im Bereich der Galaxienentwick- lung und im aufkommenden Forschungsfeld der Galaktischen Archäologie. Sie nutzt das Alter, die Bewegungen und die chemische Komposition von Sternen als Prof. Dr. Alessandra Buonanno Zeugnis der Entwicklung naher Galaxien und der Milchstraße. Für ihre Forschungs- arbeiten zur galaktischen Archäologie erhielt sie unter anderem den Johann-Wempe-Preis (2006), den ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, dem Albert-Ein- Lautenschläger-Forschungspreis (2009) und den Hector Wissenschaftspreis (2015). Sie ist Mitglied der stein-Institut in Potsdam. Sie ist zudem Professorin an der University of Maryland, Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Hector Fellow Academy. College Park, USA, und lehrt als Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität Von 2008 bis 2013 war sie Sprecherin des Fachkollegiums 311 „Astrophysik und Astronomie“ der Deut- zu Berlin sowie der Universität Potsdam. schen Forschungsgemeinschaft. Seit 2013 ist sie Senatorin der DFG. Zudem ist sie seit 2011 Sprecherin Alessandra Buonanno ist eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Gra- des Sonderforschungsbereichs 881 „The Milky Way System“. vitationswellenphysik und Mitglied der LIGO Scientific Collaboration. Ihre Forschung am Schnittpunkt zwischen analytisch-relativistischer Modellierung und numerisch- relativistischen Simulationen trug entscheidend zu der Entdeckung von Gravitationswellen und der Prof. Dr. Guinevere Kauffmann physikalischen Interpretation ihrer Signale bei. Für ihre Arbeiten zur Gravitationswellenmessung in der LIGO-Kollaboration erhielt sie den Nieder- ist seit 2013 Direktorin am Max-Planck-Institut (MPI) für Astrophysik in Garching sächsischen Staatspreis sowie den Preis für Astrophysik, Kosmologie und experimentelle Gravitation und Honorarprofessorin an der LMU München. der Italienischen Gesellschaft für Allgemeine Relativität und Gravitation. Der erstmalige direkte Nach- Guinevere Kauffmann studierte Angewandte Mathematik und absolvierte ihr Mas- weis von Gravitationswellen durch die LIGO-Kollaboration wurde unter anderem mit dem Gruber-Kos- terstudium in Astronomie 1990 in Kapstadt, Südafrika. Nach ihrer Promotion bei mologie-Preis und dem Prinzessin-von-Asturien-Preis gewürdigt. Simon White forschte sie als Miller Fellow an der University of California at Berkeley. Anschließend war sie Postdoc am MPI für extraterrestrische Physik und später am MPI für Astrophysik, wo sie seit 2003 eine eigene Forschungsgruppe leitete. Prof. Dr. Paola Caselli Zu ihren Forschungsgebieten gehören Galaxienentstehungsmodelle und die Analyse der beobachteten Eigenschaften von Galaxien. Dabei interessieren sie besonders die atomaren und molekularen Eigen- ist seit 2014 Direktorin des Zentrums für astrochemische Studien am schaften des Gases in Galaxien und in aktiven galaktischen Kernen. Sie hat eine eigene Methodik ent- Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und Honorarpro- wickelt, um aus sehr großen Galaxienstichproben Informationen über ihre Entstehung und Evolution zu fessorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Von 2007 bis gewinnen. 2014 war sie Professorin an der University of Leeds, zuvor forschte sie am Arcetri- Die DFG zeichnete Prof. Kauffmann 2007 mit dem Leibniz-Preis aus. Sie ist Trägerin des Bundesver- Observatorium in Florenz. Die Jahre 2006/2007 verbrachte sie als Gastwissen- dienstkreuzes sowie gewähltes Mitglied der Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der National schaftlerin an der Harvard University. Academy of Sciences, USA. 26 Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 27
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