Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030

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Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
Denkschrift 2017
Perspektiven der Astrophysik in
Deutschland 2017-2030
Von den Anfängen des Kosmos bis zu Lebensspuren
auf extrasolaren Planeten

Matthias Steinmetz, Marcus Brüggen, Andreas Burkert, Eva Schinnerer, Jürgen Stutzki,
Linda Tacconi, Joachim Wambsganß, Jörn Wilms (Redaktionskomitee des Rats deutscher Sternwarten)
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
VORWORT
                                                                                                                                             Das Verfassen einer solchen Denkschrift ist ein
                                                                                                                                             konzertiertes Vorhaben einer ganzen Fachge-
                                                                                                                                             meinschaft. Dank gilt hier insbesondere den Au-
                                                                                                                                             torinnen und Autoren der 20 Strategiepapiere,
                                                                                                                                             die dieser Denkschrift zugrunde liegen, und den
                                                                                                                                             zahlreichen Beiträgen von Wissenschaftlerinnen
                                                                                                                                             und Wissenschaftlern der Institute des Rats deut-
                                                                                                                                             scher Sternwarten. Wir danken der Journalistin
                                                                                                                                             Stefanie Hardick, die das Verfassen des Textes
                                                                                                                                             aktiv begleitete, der Generalsekretärin des Rats
                                                                                                                                             deutscher Sternwarten Dr. Janine Fohlmeister
IMPRESSUM                                                                                                                                    und dem Team der medienlabor GmbH für ihren
                                                                                       Wenige Forschungsgebiete faszinieren die Men-         unermüdlichen Einsatz bei der Gestaltung und
Denkschrift 2017                                                                       schen so sehr wie die Astronomie und Astrophysik.     Drucklegung.
Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017–2030                                  Die Fragen, die wir uns stellen, sind grundlegend:
Von den Anfängen des Kosmos bis zu Lebensspuren auf extrasolaren Planeten              Sind wir allein im Weltall? Wie entstand unser heu-
                                                                                       tiges Universum? Wie bilden sich Schwarze Lö-         Für das Redaktionskomitee
                                                                                       cher? Astronomie und Astrophysik sind moderne
Herausgeber:                                                                           physikalische Forschungsfelder. Astronomische         Potsdam, im August 2017
Astronomische Gesellschaft (AG)                                                        Forschung führt regelmäßig zu neuen Erkenntnis-
                                                                                       sen in anderen Bereichen der Physik, etwa der Ele-    Prof. Dr. Matthias Steinmetz
c/o                                                                                    mentarteilchenphysik. Schon seit Tycho Brahe und      Präsident der Astronomischen Gesellschaft
Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam                                               Galileo Galilei ist die Astronomie auch ein Techno-   Vorsitzender des Rats deutscher Sternwarten
An der Sternwarte 16                                                                   logietreiber. Fortschritt beruht neben der Neugier
14482 Potsdam                                                                          der besten Köpfe auch auf dem Zugang zu mo-
GERMANY                                                                                dernsten Großgeräten: Höchstleistungsrechnern,
                                                                                       Teleskopen und Satelliten.

Redaktionskomitee:                                                                     Die vorliegende Denkschrift 2017 steht in der Tra-
Matthias Steinmetz, Marcus Brüggen, Andreas Burkert, Eva Schinnerer, Jürgen Stutzki,   dition ihrer drei Vorgängerinnen von 1962, 1987
Linda Tacconi, Joachim Wambsganß, Jörn Wilms                                           und 2003. Sie fasst die Ergebnisse der Forschung
(Redaktionskomitee des Rats deutscher Sternwarten)                                     der vergangenen Jahre zusammen. Sie stellt die
                                                                                       aktuellen Fragen der Astrophysik vor und skiz-
Redaktion:                                                                             ziert die Erkenntnisse, die wir im kommenden
Stefanie Hardick, Janine Fohlmeister                                                   Jahrzehnt zu gewinnen erhoffen. Sie schließt mit
                                                                                       Empfehlungen zur Beteiligung an den wichtigs-
Gestaltung:                                                                            ten, überwiegend internationalen Infrastrukturen
medienlabor GmbH Potsdam                                                               und Beobachtungseinrichtungen auf der Erde und
                                                                                       im Weltraum. Die Denkschrift 2017 adressiert
Auflage:                                                                               aber auch Fragen der Vernetzung zwischen den
3.000 Exemplare                                                                        verschiedenen Forschungsinstitutionen, der Fi-
                                                                                       nanzierungsstrukturen, der Nachwuchsförderung
ISBN:                                                                                  und der Personalentwicklung in Deutschland. Da-
978-3-00-057645-4                                                                      mit richtet sich die Denkschrift an Universitäten,
                                                                                       an Forschungs- und Förderorganisationen wie
                                                                                       auch an politisch verantwortliche Stellen beim
Potsdam, September 2017                                                                Bund und bei den Ländern.
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
INHALTSVERZEICHNIS
    Zusammenfassung / Executive Summary                                                  7

    1. Einführung                                                                      13
    1.1 Intention, Adressaten und Autoren der Denkschrift 2017                          13
    1.2 Zur Entstehung der Denkschrift 2017                                             14
    1.3 Inhalt und Wirkung der Astronomischen Denkschriften                             15
    1.4 Internationale Perspektive                                                      18

    2. Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland                       21
    2.1 Astronomie und Astrophysik – ein goldenes Zeitalter                             21
    2.2 Ein dynamisches Forschungsfeld                                                  25
    2.3 Astronomie und Astrophysik in den Einrichtungen des RDS                         31

    3. Astronomie und Gesellschaft                                                     33
    3.1 Industriepartnerschaften                                                        33
    3.2 Wissens- und Technologietransfer                                                34
    3.3 Öffentlichkeitsarbeit                                                           35
    3.4 Wissenschaftlicher Nachwuchs in den MINT-Fächern                                36

    4. Aktuelle Forschungsthemen der Astronomie und Astrophysik                        39
    4.1 Sonne, Sterne und ihre Planetensysteme                                          40
    4.2 Der kosmische Materiekreislauf                                                  45
    4.3 Die Milchstraße und andere Galaxiensysteme                                      50
    4.4 Kosmologie und junges Universum                                                 56
    4.5 Extremzustände des Kosmos, fundamentale Astrophysik                             61

    5. Herausforderungen für das kommende Jahrzehnt                                    67
    5.1 Astronomische Forschungsinfrastrukturen im kommenden Jahrzehnt                  67
        5.1.1 Die großen erdgebundenen Teleskope                                        67
        5.1.2 Die mittelgroßen erdgebundenen Teleskope                                  69
        5.1.3 Kleinere erdgebundene Teleskope                                           70
        5.1.4 Große Weltraummissionen – Das Cosmic-Vision-Programm der ESA              71
        5.1.5 Mittelgroße Weltraummissionen – Das nationale Weltraumprogramm des DLR    74
        5.1.6 Laborastrophysik                                                          76
        5.1.7 Großskalige massiv-parallele Computersimulationen                         76
        5.1.8 Big Data, Data-Mining und Virtuelles Observatorium                        78
    5.2 Strategische Beendigungen                                                       79
    5.3 Förderung der Beteiligung an Aufbau und Betrieb von Infrastrukturen             80
    5.4 Wissenschaftlicher Nachwuchs und Führungskräfte von morgen                      82

    6. Empfehlungen                                                                    85

    Anhang                                                                              92

    Das Redaktionskomitee des Rats deutscher Sternwarten                               101

4
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
Zusammenfassung

    Seit den 1960er-Jahren verfasst der Rat deut-         2017 die wesentlichen Ergebnisse des Forschungs-
    scher Sternwarten (RDS) alle 15 bis 20 Jahre eine     felds seit der letzten Denkschrift zusammen und
    Denkschrift Astronomie, um die Öffentlichkeit und     gibt einen Ausblick bis zum Ende des kommenden
    die Vertreterinnen und Vertreter der Forschungs-      Jahrzehnts. Die Themen gruppieren sich in folgen-
    politik über die Ergebnisse des Forschungsfelds       de Bereiche:
    zu informieren und Perspektiven für das kom-
    mende Jahrzehnt darzulegen. Diese Denkschrif-         ■■   die Sonne, andere Sterne und ihre Planeten-
    ten formulierten auch jeweils Empfehlungen zur             systeme,
    Förderung von Projekten mit nationaler oder in-       ■■   der kosmische Materiekreislauf,
    ternationaler Bedeutung sowie zu notwendigen          ■■   die Milchstraße und andere Galaxiensysteme,
    Fördermechanismen. In der Folge wurden die            ■■   das frühe Universum,
    Forschungsinfrastrukturen wesentlich verbes-          ■■   Extremzustände des Kosmos, fundamentale
    sert und die Möglichkeiten sich an ihnen zu be-            Astrophysik.
    teiligen für deutsche Institute deutlich erweitert.
                                                          Diese Themen sind eng mit benachbarten For-
    Die Denkschrift 2017 „Perspektiven der Astrophy-      schungsfeldern verknüpft, insbesondere mit der
    sik in Deutschland 2017-2030: Von den Anfängen        Planetenforschung, der Astroteilchenphysik und
    des Kosmos bis zu Lebensspuren auf extrasola-         der Fundamentalphysik.
    ren Planeten“ konstatiert eine beeindruckende
    Entwicklung des Forschungsfelds in den vergan-        Um die gute Position der astronomischen und
    genen 15 Jahren – weltweit und insbesondere           astrophysikalischen Forschung in Deutschland
    auch in Deutschland. Forschende in Deutschland        im kommenden Jahrzehnt weiter zu stärken, hat
    waren an zahlreichen wissenschaftlichen Durch-        der RDS mit der Denkschrift 2017 eine Reihe von
    brüchen beteiligt, oft in führender Rolle. Folglich   Empfehlungen erarbeitet. Diese Empfehlungen
    hat das Forschungsgebiet innerhalb des Wissen-        lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen. Die
    schaftsprogramms an deutschen Universitäten           Empfehlungsgruppe 1 betrifft die Forschungsin-
    und Forschungsinstituten sowohl qualitativ als        frastrukturen am Boden (Empfehlungen B1-B5),
    auch quantitativ deutlich an Bedeutung gewon-         im Weltraum (Empfehlungen W1 und W2) und für
    nen, wie zahlreiche Kennzahlen zeigen. Maß-           Höchstleistungsrechnen und Big-Data-Wissen-
    geblich für diesen Erfolg war die zentrale Rolle,     schaft (Empfehlungen H1 und H2). Die Empfeh-
    die deutsche Einrichtungen beim Bau des For-          lungsgruppe 2 widmet sich der Vernetzung und
    schungsinstrumentariums gespielt haben.               der gemeinsamen Förderung (Empfehlungen V1-
                                                          V3). Die Empfehlungsgruppe 3 schließt die Denk-
    Astronomie und Astrophysik spielen auch eine          schrift 2017 mit Überlegungen zu Know-how und
    wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Tech-        Personalentwicklung (Empfehlungen K1-K5).
    nologien. Die Beteiligung deutscher Institute an
    Großteleskopen und Satellitenmissionen haben
    zu zahlreichen Kooperationen mit industriellen        Im Bereich der erdgebundenen Observatorien
    Partnern geführt. Über die große Wirkung der          empfiehlt der RDS:
    Astronomie in der Öffentlichkeit trägt das Fach
    auch maßgeblich dazu bei, wissenschaftlichen          B1 Die Beteiligung am Bau des 39-m-Extremely
    Nachwuchs für die mathematischen, naturwis-              Large Telescope (ELT) der Europäischen Süd-
    senschaftlichen und technischen Fächer zu ge-            sternwarte in Chile und seiner Instrumentie-
    winnen.                                                  rung.

    Basierend auf 20 Strategiepapieren fasst die astro-   B2 Die Förderung der nächsten Generation von
    nomische Fachgemeinschaft in dieser Denkschrift          Detektoren, Empfängern und Spektrografen

6                                                                        Zusammenfassung / Executive Summary | 7
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
für das La-Silla-Paranal-Observatorium und     H2 Die Weiterentwicklung von Hoch- und Höchst-      K5 Die Etablierung längerer Förderzyklen für          Mit den in der Denkschrift 2017 formulierten Vor-
    für das Antennenfeld ALMA in Chile.               leistungsrechenzentren zu einer eng vernetz-        den Bau astronomischer Instrumentierung            haben und Maßnahmen sehen sich die Wissen-
                                                      ten Hochleistungsdateninfrastruktur.                und astronomischer Satelliten.                     schaftlerinnen und Wissenschaftler an den For-
B3 Eine Beteiligung Deutschlands bei der Er-                                                                                                                 schungsinstituten in Deutschland hervorragend
   richtung des Radio-Observatoriums Square                                                                                                                  positioniert, um gemeinsam mit ihren internatio-
   Kilometre Array (SKA) in Südafrika und Aus-     Im Rahmen der Empfehlungsgruppe 2 empfiehlt         Die vorgestellten Empfehlungen beziehen sich          nalen Partnern neue Erkenntnisse über unseren
   tralien.                                        der RDS für die Vernetzung und Internationalisie-   vorwiegend auf das Forschungsfeld Astronomie          Kosmos entscheidend voranzutreiben.
                                                   rung der Forschungslandschaft und ihrer Infra-      und Astrophysik. Allgemeingültige Themen der
B4 Die Weiterentwicklung von Großobservatori-      strukturen:                                         Personalentwicklung für Wissenschaft und For-         Die Denkschrift 2017 wurde am 3. Juli 2017 vom
   en auf der Nordhalbkugel durch die betrei-                                                          schung sind zu ergänzen. Die Denkschrift 2017         Rat deutscher Sternwarten einstimmig verab-
   benden Institutionen, beispielsweise dem        V1 Eine stärkere Vernetzung beim gemeinsamen        thematisiert hier den Bedarf an klaren Karriere-      schiedet.
   Large Binocular Telescope in Arizona (LBT),        Bau und Betrieb internationaler Großvorha-       perspektiven für den wissenschaftlichen Nach-
   dem Antennenfeld NOEMA auf dem Plateau             ben.                                             wuchs, etwa über Tenure-Track-Modelle. Sie
   de Bure, dem Antennenfeld LOFAR in Mittel-                                                          stellt zudem fest, dass Wissenschaftlerinnen in
   europa und dem Radioteleskop Effelsberg.        V2 Die nachhaltige Förderung von Zentren für        der Astronomie und Astrophysik nach wie vor
                                                      die technische Unterstützung von Software        unterrepräsentiert sind, insbesondere in Lei-
B5 Die Beteiligung Deutschlands am Europäi-           und Instrumenten sowie von weiteren unter-       tungsfunktionen. Diese grundsätzlichen Themen
   schen Sonnenteleskop EST.                          stützenden Infrastrukturen, zum Beispiel im      müssen im Gesamtkontext der universitären wie
                                                      Bereich der Laborastrophysik, des Höchst-        außeruniversitären Nachwuchs- und Personal-
                                                      leistungsrechnens und der e-Science.             planung gelöst werden.
Im Bereich der weltraumgestützten Astrophysik
sieht der RDS die folgenden Prioritäten:           V3 Die verstärkte Koordinierung von Infrastruk-
                                                      turvorhaben am Boden mit Vorhaben im
W1 Die Umsetzung des Cosmic-Vision-Pro-               Weltraum.
   gramms der ESA mit seinen verschiede-
   nen Satellitenmissionen sowie des NASA/                                                             Executive Summary
   ESA-Weltraumteleskops JWST.                     Die Förderung von Know-how und die Personal-
                                                   entwicklung stehen im Fokus der Empfehlungs-
W2 Die Fortführung und Weiterentwicklung des       gruppe 3. Der RDS empfiehlt:                        Since the 1960s every 15-20 years the Council of      leading roles. As a result, the research field has
   nationalen Weltraumprogramms mit der                                                                German Observatories (Rat deutscher Sternwar-         gained importance within the scientific program-
   fliegenden Sternwarte SOFIA und dem Rönt-       K1 Die Etablierung von Universitätsprofessuren      ten, RDS) has published a Denkschrift (Position       me at German universities and research institu-
   genobservatorium eRosita sowie der Beteili-        zu astronomischen Schlüsselthemen des            Document) to inform the public and policy makers      tes, both qualitatively and quantitatively. This is
   gung an künftigen binationalen Missionen mit       kommenden Jahrzehnts.                            of the results of their field as well as to present   reflected in a number of key figures. The decisive
   Weltraumagenturen anderer Länder.                                                                   perspectives for the next decade. In these position   factor for this success has been the central role
                                                   K2 Die Weiterführung und den Ausbau der „Ex-        documents, recommendations were given for the         played by German institutions in the construction
                                                      traterrestrischen Verbundforschung Astro-        funding of projects with national or international    of a wide portfolio of research facilities.
Eine überregionale Infrastruktur für Höchstleis-      nomie/Astrophysik“ zur wissenschaftlichen        scope, and vital support mechanisms were pro-
tungsrechnen und Big Data ist notwendig für die       Auswertung von Weltraummissionen.                posed. As a result, substantial progress has been     Astronomy and astrophysics also play an im-
Vorbereitung und Analyse der astronomischen                                                            made to develop research infrastructures and to       portant role in the development of new techno-
Großvorhaben am Boden und im Weltraum sowie        K3 Die Etablierung von Big-Data-Analytics-Labo-     ensure the participation of German research in-       logies. The participation of German institutes in
für Simulationsrechnungen, die unabdingbar für        ren zur Entwicklung von Algorithmen für das      stitutes.                                             large telescope projects and satellite missions
das theoretische Verständnis sind. Der RDS emp-       Maschinenlernen und für künstliche Intelli-                                                            has led to numerous cooperations with indust-
fiehlt:                                               genz, sowohl für die Analyse astronomischer      The Denkschrift 2017 „Perspectives of astrophy-       rial partners. Thanks to the great public impact
                                                      Daten wie auch zur Übertragung des Know-         sics in Germany 2017-2030: From the beginnings        of astronomy, it has become invaluable for the
H1 Den Ausbau der nationalen und europäischen         hows in andere Forschungsbereiche.               of the cosmos to clues for life on extrasolar pla-    recruitment of young academics in the fields of
   Zentren für Hoch- und Höchstleistungsrech-                                                          nets“ bears testament to an impressive develop-       mathematics, natural sciences and engineering.
   nen und deren systematische Vernetzung mit      K4 Die Etablierung geeigneter Förderprogramme       ment of the research field in the past 15 years
   regionalen und lokalen Hochleistungsrech-          für die wissenschaftliche Analyse von großen     - both worldwide and in particular in Germany.
   nern und Cloudstrukturen.                          Beobachtungsprogrammen am Boden und im           Researchers in Germany have been involved
                                                      Weltraum.                                        in numerous scientific breakthroughs, often in

8                                                                                                                                                                           Zusammenfassung / Executive Summary | 9
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
Based on 20 strategy papers, the astronomical           B3 German participation in the construction of       The second group of recommendations concern           The recommendations presented here primarily
community has summarised the main findings of              the radio observatory Square Kilometre Array      networking and the internationalisation of rese-      refer to specific aspects of the field of astronomy
the field in the last decade and has charted the           (SKA) in South Africa and Australia.              arch landscape and its infrastructures:               and astrophysics. They are to be supplemented by
future course up until the end of the next decade.                                                                                                                 more general proposals for career development
The topics are divided into the following areas:        B4 The further development of major observa-         V1 Enhanced collaboration and networking in           in science and research. These include impro-
                                                           tories in the Northern Hemisphere such as            the construction and operation of major in-        ved career perspectives for the next generation
■■   the Sun, other stars, and their planetary             the Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona,      ternational research projects.                     of scientists, such as via tenure-track positions.
     systems,                                              the antenna array NOEMA on the Plateau de                                                               Female scientists are still underrepresented in
■■   the cosmic cycle of matter                            Bure, the antenna array LOFAR in Central Eu-      V2 Sustainable funding for supporting infra-          astrophysics, in particular in leadership func-
■■   the Milky Way and other galaxies,                     rope and the Effelsberg radio telescope.             structures, such as in the field of laboratory     tions. These more fundamental issues will have
■■   the early Universe,                                                                                        astrophysics or high-performance computing         to be solved in the wider context of university and
■■   extreme states of the cosmos, 		                   B5 A German participation in the European Solar         and e-Science as well as for software and in-      non-university personnel planning.
     fundamental astrophysics.                             Telescope (EST).                                     strument support centers.
                                                                                                                                                                   With the projects and recommendations laid out
Links to neighbouring research fields are empha-                                                             V3 Increased coordination between ground-ba-          in this document astronomers at German rese-
sized, in particular to planetary research, astro-      In the area of space-based astrophysics, the RDS        sed infrastructure projects and those in spa-      arch institutes believe they are well-positioned to
particle physics and fundamental physics.               prioritizes the following:                              ce.                                                unravel together with their international partners
                                                                                                                                                                   the mysteries of the Universe.
In order to further strengthen the position of astro-   W1 The implementation of the Cosmic Vision
nomical and astrophysical research in Germany              programme of the European Space Agency            Knowledge transfer and personnel development          The Denkschrift 2017 was unanimously adopted
in the coming decade, the RDS has developed a              (ESA) and its various satellite missions and      are the focus of the third group of recommenda-       by the Council of German Observatories on 3 July
series of recommendations. These recommenda-               the NASA/ESA James Webb Space Telescope           tions:                                                2017.
tions can be divided into three groups. The first          (JWST).
group of recommendations concerns ground-ba-                                                                 K1 The establishment of university professor-
sed research infrastructures (recommendations           W2 The continuation and advancement of the na-          ships in key areas of astronomical research of
B1-B5), space-based infrastructure (recom-                 tional space programme with the airborne             the next decade.
mendations W1 and W2), and infrastructure for              observatory SOFIA and the X-ray observato-
high-performance computing and big data science            ry eRosita as well as participation in future     K2 The continued development of the federally
(recommendations H1 and H2). The second group              bi-national missions with other space agen-          funded Verbundforschung „Extraterrestrial
of recommendations is devoted to networking and            cies.                                                Astronomy / Astrophysics“ that facilitates the
coordination (recommendations V1-V3). Finally,                                                                  scientific analysis of space missions.
the third group of recommendations lays out pro-
posals regarding the transfer of knowledge and          A national infrastructure for high-performance       K3 The establishment of big data analytics labo-
human resource development (recommendations             computing and big data is instrumental for the          ratories for the development of algorithms
K1-K5).                                                 preparation and analysis of major astronomical          for machine learning and artificial intelligen-
                                                        projects on the ground and in space. It is equal-       ce. This is important, both, for the analysis of
                                                        ly important for numerical simulations that have        astronomical data as well as for the transfer
In the area of ground-based observatories, the          become an indispensable part of theory. The RDS         of knowledge into other research areas.
RDS recommends:                                         recommends:
                                                                                                             K4 The establishment of suitable funding sche-
B1 The participation in the construction of the         H1 The development of national and European             mes for the scientific analysis of large obser-
   39m Extremely Large Telescope (ELT) of the              centres for high-performance computing and           ving programmes from, both, the ground and
   European Southern Observatory in Chile and              their sustainable integration into a network         space.
   its instrumentation programme.                          of regional and local computing centres and
                                                           cloud architectures.                              K5 The establishment of longer funding cycles
B2 The funding of the next generation of detec-                                                                 for the construction of astronomical instru-
   tors, receivers, and spectrographs, for the La       H2 The further development of high-performan-           mentation and astronomical satellites.
   Silla Paranal Observatory and for the antenna           ce computing centres into a closely linked
   array ALMA in Chile.                                    network of high-performance data infra-
                                                           structure.

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Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
1           Einführung

     1.1		 Intention, Adressaten und Autoren der Denkschrift 2017

     Die Astronomie ist die älteste aller Wissenschaf-                onstechnologie immer wieder an ihre Grenzen
     ten.1 Sie sucht Antworten auf Fragen, die sich die               stößt und weiterentwickelt werden muss. Um die
     Menschheit seit ihren Anfängen stellt: Wo kommen                 Beobachtungsdaten physikalisch zu verstehen,
     wir her? Und sind wir allein? Neue Erkenntnisse der              müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissen-
     Astronomie zu den Ursprüngen der Welt und bei                    schaftler außerdem auf theoretische Modelle zu-
     ihrer Suche nach anderen bewohnbaren Planeten                    rückgreifen können. Dafür werden atomare und
     im All werden in der Öffentlichkeit mit besonde-                 nukleare Eigenschaften und Vorgänge im Labor
     rem Interesse verfolgt. Astronomische Forschung                  untersucht. In umfassenden multidimensionalen
     wird als hohes Kulturgut wahrgenommen.                           Simulationsrechnungen werden die theoretischen
                                                                      Modelle mit den Beobachtungsdaten verglichen.
     Astronominnen und Astronomen wollen das Uni-                     Die entsprechenden Hochleistungsrechner sind in
     versum räumlich von seinen kleinsten Teilchen                    der Lage, Modelle für das Aussehen kosmischer
     bis in seine Gesamtheit und zeitlich vom Urknall                 Objekte bei verschiedenen Wellenlängenberei-
     bis in unsere Gegenwart verstehen. Als Natur-                    chen und über einen weiten Bereich an Längen-
     wissenschaft basiert die Astronomie auf der                      skalen zu erstellen. Mit ihnen lassen sich große
     Beobachtung unserer Welt. Beobachtungsdaten                      Zeiträume mit sehr feiner Zeitauflösung verfolgen.
     gewinnt sie vor allem durch die Messung von Licht
     aus dem Weltraum in verschiedenen Wellenlän-                     Wissenschaftliche Entdeckungen und Fortschritt
     genbereichen: als optisches Licht, als ultravio-                 in der Astrophysik sind also nur möglich, wenn
     lettes oder infrarotes Licht, als Radio-, Röntgen-               Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mo-
     und Gammastrahlung. Unsere Atmosphäre filtert                    dernste Forschungseinrichtungen nutzen können.
     Teile der Strahlung heraus. Auf der Erde können                  Um eine maximale wissenschaftliche Ausbeute zu
     Störquellen wie künstliche Lichtquellen oder                     ermöglichen, müssen die verfügbaren Ressour-
     Rundfunk die Beobachtungsdaten verfälschen.                      cen gezielt und optimal eingesetzt werden. Eine
     Deshalb werden hochtechnisierte Teleskope an                     strategische Planung ist also unabdingbar: Wo
     den abgelegensten Orten unserer Erde, auf Bal-                   und wie kann sich Deutschland als wissenschafts-
     lonplattformen, in Flugzeugen und auf Satelliten                 starkes europäisches Land in den Wettbewerb und
     im Weltraum betrieben. Die Astronomie ist zur                    in die Suche nach Erkenntnis einbringen?
     Großgeräteforschung geworden.
                                                                      Diese Denkschrift fasst die strategischen Über-
     Auch bei der Auswertung der Daten ist leistungs-                 legungen der astronomischen Fachgemeinschaft
     starke Technik nötig. Die Messkampagnen erfolgen                 in Deutschland zusammen. Sie informiert über
     parallel über verschiedene Wellenlängenberei-                    aktuelle Entwicklungen in der astronomischen
     che, von Radiowellen bis zur Gammastrahlung.                     und astrophysikalischen Forschung und über
     Die gewonnenen Daten werden mit modernsten                       die Perspektiven für das nächste Jahrzehnt. Die
     Methoden durchforstet und analysiert. Doch die                   Denkschrift stellt Forschungsinfrastrukturen vor,
     Datenmengen sind so groß, dass die Informati-                    die aus Sicht der Fachgemeinschaft für die optimale

     1   Die Begriffe Astronomie und Astrophysik werden oft synonym verwendet. Die Disziplinen unterscheiden sich vor allem im
         Hinblick auf ihre historischen Ursprünge. Die Astronomie entwickelte sich aus dem Zeit- und Kalenderwesen und der Navi-
         gation. Die Astrophysik hat ihre Wurzeln in der Spektroskopie, die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam.

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Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
Weiterführung ihrer Forschung notwendig sind.        Deutschland, die sich mit Astronomie und Astro-       in Kapitel 4. Die Strategiepapiere können auf der             2017 wurde die Denkschrift 2017 auf einer Son-
Sie verdeutlicht Deutschlands Potenzial bei Bau      physik befassen. Unter ihnen sind Universitäts-       Website http://www.denkschrift2017.de herunter-               dersitzung des RDS in Potsdam einstimmig ver-
und Nutzung dieser Infrastrukturen und betont        institute, Landesinstitute und Einrichtungen der      geladen werden.                                               abschiedet.
die Wirkung, die davon auf andere Bereiche der       Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz-Gemein-
Forschung und Entwicklung, auf die Ausbildung        schaft und der Helmholtz-Gemeinschaft. Kapitel        Ein Autorenteam des RDS fasste danach die we-
von Fachkräften und auf die Öffentlichkeit aus-      2.3 sowie Anhang B und C geben eine Übersicht         sentlichen Punkte dieser Strategiepapiere zur
geht. Die Denkschrift möchte Empfehlungen für        der RDS-Institute.                                    vorliegenden Denkschrift 2017 zusammen. Im
die Förderung dieser Infrastrukturen zur Dis-                                                              Frühjahr 2017 wurde sie mit den 38 Einrichtungen
kussion stellen, aber auch Empfehlungen für die      Der RDS wurde ursprünglich 1959 als Rat west-         des RDS diskutiert und abgestimmt. Am 3. Juli
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses         deutscher Sternwarten gegründet, um den Bau
und von Wissenschaftlerinnen in der Astronomie       einer deutschen Sternwarte auf der Südhalbku-
und Astrophysik.                                     gel anzustoßen. Schnell etablierte er sich als Gre-
                                                     mium zur Koordinierung der astrophysikalischen        1.3 Inhalt und Wirkung der früheren Astronomischen Denkschriften
Die Denkschrift 2017 richtet sich in erster Linie    Forschungsaktivitäten in Deutschland. Seit 2012
an wissenschaftliche und wissenschaftspolitische     ist der Rat deutscher Sternwarten als Organ in die
Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungs-          Astronomische Gesellschaft integriert. Sie ist der    Bereits 1962, 1987 und 2003 erschienen Denk-                  Denkschrift 1962: Anstoß zu Bau und Betrieb
träger an den Universitäten, in den Wissenschafts-   Fachverband der Wissenschaftlerinnen und Wis-         schriften der astronomischen Fachgemeinschaft,                von Observatorien
organisationen sowie in den Parlamenten und den      senschaftler, die in Deutschland in der Astrono-      die jeweils die nationalen und internationalen
zuständigen Landes- und Bundesministerien. Sie       mie und Astrophysik forschen.                         Entwicklungen in der Astronomie und Astrophysik               Zu Beginn der 1960er-Jahre bot sich der Astro-
steht in der Tradition einer Reihe von Denkschrif-                                                         darstellten und daraus Handlungsempfehlungen                  nomie in der Bundesrepublik Deutschland ein
ten, die von der astronomischen Gemeinschaft in      Der RDS berät Ministerien und Forschungsorga-         ableiteten. Wie in der Denkschrift 2017 standen               ernüchterndes Bild: Optische Großteleskope mit
Deutschland seit den 1960er-Jahren herausge-         nisationen zu strategischen Fragen im Bereich         auch bei diesen früheren Veröffentlichungen not-              mehr als 2 Metern Durchmesser befanden sich
geben wurden. Die Denkschriften der Jahre 1962,      der astrophysikalischen Forschung. Außerdem           wendige Investitionen in die Forschungsinfra-                 ausschließlich in den USA und zum neuen 2-Me-
1987 und 2003 haben eine effiziente strategische     schlägt er Kandidatinnen und Kandidaten für das       strukturen und in deren Förderung im Verbund                  ter-Teleskop in Thüringen hatten bundesdeutsche
Planung der astronomischen Forschung ermög-          Fachkollegium 311 „Astrophysik und Astronomie“        der deutschen Forschungs- und Fördereinrich-                  Astronominnen und Astronomen spätestens seit
licht und wichtige Entwicklungen angestoßen. Sie     der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)            tungen2 an zentraler Stelle.                                  dem Mauerbau keinen Zugang mehr. Das neue
werden im Abschnitt 1.3 vorgestellt.                 vor sowie für die Gremien der Europäischen Süd-                                                                     Gebiet der Radioastronomie wurde von Austra-
                                                     sternwarte (ESO), für den Gutachterausschuss für      Viele der Empfehlungen in den früheren Denk-                  lien, Großbritannien, Schweden und den Nie-
Herausgeber der Denkschrift 2017 ist der Rat         die Verbundforschung des Bundesministeriums           schriften wurden umgesetzt. Insbesondere die                  derlanden dominiert. In der Weltraumforschung
deutscher Sternwarten (RDS). Er ist ein Zusam-       für Bildung und Forschung (BMBF) und für wei-         Infrastrukturen haben sich dadurch deutlich                   hatten die USA mit der NASA in der westlichen
menschluss von 38 Forschungseinrichtungen in         tere Gremien.                                         verbessert, aber auch die Förderstrukturen                    Hemisphäre eine Alleinstellung. Die Denkschrift
                                                                                                           selbst. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit               1962 zielte darauf, diese unzulängliche Situation
                                                                                                           der astrophysikalischen Forschung in Deutsch-                 grundsätzlich zu verbessern.
                                                                                                           land konnte nachhaltig gesteigert werden. Die
1.2 Zur Entstehung der Denkschrift 2017                                                                    überproportional erfolgreiche Entwicklung von                 Die Denkschrift 1962 förderte Bestrebungen, die zur
                                                                                                           Astronomie und Astrophysik im Vergleich zu an-                Gründung der ESO führten und der europäischen
                                                                                                           deren Disziplinen belegt eindrucksvoll eine 2010              Astronomie den Zugang zum Südhimmel öffneten.
Diese Denkschrift wurde in einem dreistufigen        schaftler. Ergänzend wurden Forschungsmethoden        im Auftrag des BMBF veröffentlichte Studie zum                Im Bereich der Weltraumforschung unterstützte
Verfahren erstellt:                                  und -technologien, Infrastrukturen, Messinstru-       Impact der Forschung in Deutschland über einen                die Denkschrift 1962 die Gründung der heutigen
                                                     mente für Licht in den verschiedenen Wellenlängen     Zeitraum von 20 Jahren.3                                      Europäischen Weltraumorganisation ESA. Die Welt-
Vom 7. bis 9. Dezember 2015 trafen sich 150 Teil-    und Höchstleistungsrechner präsentiert, die für die                                                                 raumforschung wurde später fest im Ressort des
nehmerinnen und Teilnehmer aus allen Einrich-        jeweiligen Forschungsprogramme notwendig sind.                                                                      Bundesministeriums für Forschung und Technolo-
tungen des Rats deutscher Sternwarten auf einem                                                                                                                          gie etabliert. Auf die Gründung des Max-Planck-In-
dreitägigen Kongress in Potsdam. Hier wurden die     Im Laufe des Jahres 2016 verfassten die ver-                                                                        stituts für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn 1966
aktuellen Themen der astrophysikalischen For-        schiedenen Fachgebiete des RDS basierend auf                                                                        folgte der Bau des 100-m-Teleskops in Effelsberg.
schung vorgestellt und die wesentlichen Fragen       den Ergebnissen der Potsdamer Tagung 20 eng-                                                                        Damit wurde ein Radioteleskop der Weltklasse
für die nächste Dekade aus Sicht der Fachgemein-     lischsprachige Strategiepapiere, die die aktuellen
schaft formuliert. Im Vordergrund standen Beiträ-    Forschungsfragen und das dafür notwendige Ins-        2   Heute sind dies die DFG, Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Helmholtz-Gemeinschaft sowie die Projekt-
ge deutscher Einrichtungen und in Deutschland        trumentarium aus Sicht der jeweiligen Fachgruppe          förderung des BMBF.
forschender Wissenschaftlerinnen und Wissen-         darstellen. Eine Übersicht bietet Tabelle 4.1         3   Vgl. Abbildung 2.1 in Kapitel 2.

14                                                                                                                                                                                                                   Einführung | 15
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
installiert. Durch das neue Max-Planck-Institut für             bundforschung „Erdgebundene Astrophysik und         Neben der Beteiligung an Großteleskopen und                    technisch orientierter Universitätsgruppen sichern.
Astronomie (MPIA) in Heidelberg und das von ihm                 Astroteilchenphysik“ fördert seitdem die Grund-     Weltraummissionen empfahl die Denkschrift 1987                 Mehrere deutsche Institute engagierten sich zudem
betriebene Observatorium auf dem Calar Alto in                  lagenforschung mit Großgeräten. Sie ermöglicht      auch ein deutsches Engagement in einer damals                  an 8- bis 10-Meter-Teleskopen in den USA, insbe-
Spanien bekamen bundesdeutsche Astronominnen                    deutschen Universitätsinstituten, sich aktiv am     neuen Methode der Astrophysik. Sie sprach sich                 sondere am Large Binocular Telescope in Arizona
und Astronomen Zugang zu wettbewerbsfähigen                     Bau von Kameras und Spektrografen für Groß-         für eine Beteiligung bei der Interferometrie in der            und am Hobby-Eberly Telescope in Texas. Die deut-
optischen Teleskopen auf der Nordhalbkugel.                     teleskope zu beteiligen. Beispiele für solche       Millimeter-Radioastronomie aus. Die sogenannte                 sche Fachgemeinschaft bekam so Zugang zu Welt-
                                                                Projekte sind die UV-visuellen Kamera-Spektro-      Very Long Baseline Interferometry (VLBI) kombi-                klasse-Teleskopen auf der Nordhalbkugel.
Die Nutzung dieser Teleskope durch die Fachge-                  grafen-Systeme FORS1 und FORS2 für das VLT.         niert mehrere Radioteleskope, um Messungen mit
meinschaft, insbesondere auch durch die Uni-                    FORS2 ist bis heute das meistgenutzte Instrument    höchster räumlicher Auflösung und Positionsge-                 Das in der Denkschrift 2003 empfohlene Ra-
versitäten, hat die Entwicklung der Astronomie in               am VLT. Die Mitarbeit an Instrumentierungspro-      nauigkeit durchzuführen. Außerdem empfahl die                  dio-Interferometer Atacama Large Millimeter/
Deutschland sehr stark beflügelt. Beobachtungs-                 grammen löste einen Sprung in der Technologie-      Denkschrift 1987 den Beginn der Forschung in                   submillimeter Array (ALMA) konnte über die
aufenthalte am Calar-Alto-Observatorium oder am                 entwicklung aus. Außerdem erhielten die am Bau      der Hochenergieastrophysik, der Neutrinoastro-                 ESO mit Beteiligung ostasiatischer und nord-
Effelsberg-Teleskop sind für viele Nachwuchswis-                beteiligten Institute garantierte Beobachtungs-     physik und der Gravitationswellenastrophysik.                  amerikanischer Partner realisiert werden. Unter
senschaftlerinnen und -wissenschaftler der Ein-                 zeiten an den Observatorien. Damit bekamen sie                                                                     Leitung des MPIfR wurde dafür das Submilli-
stieg in die professionelle Astronomie. Noch heute              Zugang zu Messkampagnen, die im Antragsver-                                                                        meter-Einzelteleskop APEX entwickelt. Dieses
ermöglichen diese Teleskope großartige wissen-                  fahren außerhalb ihrer Möglichkeiten gelegen        Denkschrift 2003: Deutsche Beteiligung an                      neuartige Instrument zur Untersuchung chemi-
schaftliche Entdeckungen, zum Beispiel den Nach-                hätten. Forscherinnen und Forscher aus Deutsch-     der nächsten Generation der Großgeräte in                      scher und physikalischer Bedingungen in Mole-
weis von Wasser im Kosmos bis in kosmologische                  land erzielten seitdem zahlreiche wissenschaftli-   der Astronomie                                                 külwolken erfüllte seine Rolle als Wegbereiter
Entfernungen und von Gasausflüssen, sogenann-                   che Durchbrüche. Zum Beispiel trugen sie dazu                                                                      hervorragend.
ten Jets, von jungen Sternen.                                   bei zu verstehen, wie sich in der Frühphase des     Für die optische Astronomie stand in der Denk-
                                                                Kosmos Galaxien entwickelt haben.                   schrift 20035 der Bau des European Extremely                   Im Bereich der Weltraummissionen rückten in
                                                                                                                    Large Telescope (ELT) als langfristiges Ziel im Vor-           der Denkschrift 2003 Empfehlungen für das For-
Denkschrift 1987: Einführung der Verbund-                       In Kombination mit der außeruniversitären For-      dergrund. Basierend auf der Denkschrift empfahl                schungsprogramm der ESA in den Vordergrund,
forschung Astronomie/Astrophysik                                schung der Max-Planck-Gesellschaft und der          der Rat deutscher Sternwarten dem BMBF im Jahr                 insbesondere die deutsche Beteiligung an den Sa-
                                                                Leibniz-Gemeinschaft4 hat die Verbundforschung      2009 den Vorzug des ELT als technologisch hinrei-              tellitenteleskopen Herschel, Planck, INTEGRAL, Solar
In den 1980er-Jahren wandelte sich der Bedarf                   die internationale Sichtbarkeit deutscher For-      chend fortgeschrittenes Projekt vor dem damals                 Orbiter und Gaia. Damals befanden sich internati-
an Beobachtungsmöglichkeiten. Die astronomi-                    schungsbeiträge enorm gesteigert. Heute sind die    noch in seiner Frühphase befindlichen Square Kilo-             onale Weltraummissionen zur Röntgenastronomie
sche Forschung benötigte größere Teleskope, mit                 Teleskope des VLT mit einem exquisiten Portfolio    metre Array (SKA). Im Dezember 2014 beschlossen                und zur Gravitationswellendetektion noch in Vor-
Spiegeldurchmessern von 8 Metern und mehr.                      an Instrumenten verschiedenster Fähigkeiten         die Mitgliedsländer der Europäischen Südsternwarte             studien. Mittlerweile sind die Missionen als Athena
Sie konnten nur gebaut werden, wenn sich gro-                   ausgerüstet. Zu vielen haben deutsche Institute     den Bau des Teleskops, mit dem mittlerweile be-                und LISA fest unter den großen L-Klasse-Missionen
ße, meist internationale Konsortien liierten. In der            wichtige Anteile beigetragen, in einigen Fällen     gonnen wurde. Deutsche Institute sind führend an               (L2 und L3) im Cosmic-Vision-Programm der ESA
Weltraumforschung hatte sich die ESA mittlerwei-                wurden sie unter deutscher Leitung realisiert.      der Instrumentierung beteiligt. Das Max-Planck-In-             verankert. Als Mission des nationalen Weltraum-
le neben der NASA positionieren können. Aber die                                                                    stitut für extraterrestrische Physik in Garching               programms wurde bereits 1987 das US-amerika-
Förderstrukturen in Deutschland reichten nicht                  Auch die wissenschaftliche Ausbeute von Welt-       (MPE) leitet zum Beispiel die Entwicklung und den              nisch-deutsche Stratosphärenobservatorium für
mehr aus, um sicherzustellen, dass die Ausbeute                 raummissionen wurde durch die Verbundfor-           Bau der astrometrischen Infrarotkamera MICADO                  Infrarotastronomie (SOFIA) mit Priorität empfohlen.
dieser Weltraumobservatorien auch tatsächlich                   schung nachhaltig gefördert. Heute ist sie als      als First Light Instrument, also der Kamera, die als           Die „fliegende Sternwarte“ hat mittlerweile den
vollständig wissenschaftlich ausgewertet werden                 „Extraterrestrische Verbundforschung Astro-         erstes Instrument bei der Inbetriebnahme des ELT               Beobachtungsbetrieb aufgenommen und sichert
konnte. Das betraf besonders Projekte zur Grund-                nomie/Astrophysik“ Teil des nationalen Raum-        zur Verfügung stehen wird. Das Max-Planck-Institut             den kontinuierlichen Zugang zum ferninfraroten
lagenforschung an den Universitäten, die sich al-               fahrtprogramms und im Bundesministerium             für Astronomie in Heidelberg ist verantwortlich für            Spektralbereich. Zwei deutsche Instrumente tragen
lein auf die Förderung durch die DFG stützten.                  für Wirtschaft und Energie angesiedelt. Sie         die adaptive Optik und das Kamerasystem des In-                erfolgreich zum Beobachtungsprogramm bei. Hin-
                                                                wird durch das Deutsche Zentrum für Luft- und       struments METIS für den mittleren Infrarotbereich.             zu kommt das Röntgenteleskop eROSITA auf dem
Die Denkschrift 1987 empfahl eine deutsche Be-                  Raumfahrt Bonn-Oberkassel (DLR) verwaltet.                                                                         russischen Satelliten Spektrum-Röntgen-Gamma.
teiligung an den vier 8-Meter-Teleskopen des                    Beispiele für besonders erfolgreiche Projekte       Für die mittelfristige Planung betonte die Denk-
Very Large Telescope (VLT) der Europäischen                     sind der deutsche Röntgensatellit ROSAT, das        schrift 2003 unter anderem die Bedeutung einer                 Die Denkschrift 2003 empfahl die Erweiterung der
Südsternwarte. Das war auch der Anlass für ei-                  Hubble-Weltraumteleskop der NASA/ESA und            Beteiligung an der zweiten Generation der Instru-              Mess- und Beobachtungseinrichtungen mit Geräten
nen neuen Fördermechanismus, der direkt am                      die ESA-Missionen SOHO, XMM-Newton und ISO.         mentierung des Very Large Telescopes und dessen                der Neutrinoastrophysik, Gammaastronomie und
damaligen Bundesministerium für Forschung                                                                           Interferometer VLTI, die mittlerweile in Betrieb               Gravitationswellenastronomie. Zwischen Astrono-
und Technologie angesiedelt wurde. Die Ver-                                                                         sind. Die Verbundforschung konnte die Teilnahme                mie und Elementarteilchenphysik etablierte sich die

4                                                                                                                   5
     Damals noch unter der Bezeichnung „Institute der Blauen Liste“.                                                    Die Denkschrift 2003 kann unter dem Link http://www.denkschrift2017.de/denkschrift_2003-16.pdf heruntergeladen werden.

16                                                                                                                                                                                                                              Einführung | 17
Denkschrift 2017 Perspektiven der Astrophysik in Deutschland 2017-2030
Astroteilchenphysik als eigenständiges Fachgebiet.   Graduiertenschulen und durch Maßnahmen der
Es bearbeitet astrophysikalische Themen mit den      Exzellenzinitiative inzwischen teilweise um-
Methoden der Elementarteilchen- und Kernphysik.      gesetzt. Die Denkschrift 2003 griff auch kriti-
                                                     sche Themen auf, zum Beispiel, dass für den
Nicht zuletzt richtete die Denkschrift 2003 den      wissenschaftlichen Nachwuchs oft nur unklare
Blick auf die Ausbildung und Karriereförderung       Karriereperspektiven bestehen und dass Wissen-
des wissenschaftlichen Nachwuchses. Sie emp-         schaftlerinnen insbesondere in Führungsposi-
fahl etwa eine stärkere Vernetzung zwischen den      tionen deutlich unterrepräsentiert sind. Beide
Forschungsorganisationen und Universitäten. Dies     Problemfelder sind nach wie vor aktuell, nicht
wurde über die Einrichtung von gemeinsamen           nur in der Astrophysik.

1.4 Internationale Perspektive

Strategische Überlegungen und Ausblicke für          ■■   Entstehung und Entwicklung von Galaxien
die Astrophysik sind seit vielen Jahren auch in           von der Frühphase des Kosmos bis heute,
anderen Ländern üblich, etwa in Australien, der      ■■   Entstehung von Sternen und ihren Planeten-
Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Zwei              systemen, Leben auf anderen Welten,
viel beachtete Beispiele sind die entsprechenden     ■■   unsere Sonne und das Sonnensystem.
Dokumente der Europäischen Union und der USA.                                                              Die Spiralgalaxie NGC 6744.
                                                     Die Infrastructure Roadmap empfiehlt für die Be-
                                                     antwortung dieser Forschungsfragen die wich-
Europäische Union                                    tigsten Infrastrukturen:                              komplexer Computersimulationssoftware im Be-         in Chile empfohlen, außerdem Programme zur
                                                                                                           reich der theoretischen Forschung hervorgehoben.     Technologieentwicklung, zur Förderung des Baus
Die wissenschaftlichen Förderinstitutionen der       ■■   als große erdgebundene Observatorien das         Im Herbst 2016 verlängerten die Mitglieder die AS-   astronomischer Instrumentierung und ein Theo-
Europäischen Union gründeten 2006 das Konsor-             optische 39-m-Extremely Large Telescope der      TRONET-Vereinbarung für die Periode 2015-2025.       rieprogramm.
tium ASTRONET. Sein Ziel ist, eine koordinierte           ESO und das Square Kilometre Array im Ra-
astrophysikalische Forschungsplanung in der EU            diobereich,                                                                                           Wurde der Decadal Report 2010 noch unter der
zu etablieren. ASTRONET wurde durch das 6. und       ■■   als mittelgroße erdgebundene Forschungs-         USA                                                  haushälterischen Vorgabe eines moderat wach-
7. EU-Forschungsrahmenprogramm gefördert.                 infrastrukturen das Europäische 4-m-Son-                                                              senden Budgets erstellt, musste das Programm
Von deutscher Seite sind das BMBF, die DFG,               nenteleskop (EST) und das Gammastrah-            Alle zehn Jahre gibt der National Research Coun-     mittlerweile an die Vorgaben eines auf absehbare
die Max-Planck-Gesellschaft sowie der Projekt-            lenobservatorium Cherenkov Telescope Array       cil einen Decadal Report heraus, der die Ziele der   Zeit nicht wachsenden Budgets angepasst wer-
träger DESY beteiligt. Zahlreiche Wissenschaft-           (CTA),                                           astronomischen Forschung in den USA spezifi-         den, mit weitreichenden Folgen: Das begrenzte
lerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland         ■■   als große Weltraummission das Gravitati-         ziert.                                               Budget der NSF wird durch die beiden großen
sind Mitglieder der jeweiligen Arbeitsgruppen.            onswellenobservatorium LISA und das Rönt-                                                             Teleskopprojekte ALMA und LSST so stark be-
Die Ergebnisse von ASTRONET wurden in zwei                genobservatorium Athena6,                        In der aktuellen Fassung von 2010, „New Worlds,      ansprucht, dass viele der bestehenden NSF-ge-
Dokumenten veröffentlicht, der Science Vision        ■■   unter den mittelgroßen Missionen insbe-          New Horizons in Astronomy and Astrophysics“,         förderten Observatorien nicht mehr unterstützt
(2007) und der Infrastructure Roadmap (2009), die         sondere den Astrometriesatelliten Gaia,          wird bei den erdgebundenen Vorhaben die Um-          werden und, wie im Fall des Green Bank Teles-
2013 beziehungsweise 2014 aktualisiert wurden.            die ESA-M-Klasse-Missionen Solar Orbiter         setzung des Large Synoptic Survey Telescope          cope und des Very Long Baseline Array, abge-
                                                          (Sonnenphysik) und Euclid (extragalaktische      (LSST) mit höchster Priorität empfohlen, bei den     wickelt oder in private Förder- organisationen
Die Science Vision umfasst die wesentlichen Fra-          Astrophysik und Kosmologie) sowie später         Weltraumprojekten die Weltraumdurchmuste-            überführt wurden (sogenanntes Divestment). Die
gestellungen zu vier Themenkomplexen:                     die PLATO-Mission (stellare Astrophysik und      rung mit dem Wide Field Infrared Survey Teles-       im Decadal Report 2010 empfohlene Entwicklung
                                                          Exoplaneten).                                    cope (WFIRST). LSST ist derzeit im Bau, WFIRST       des CCAT-Teleskops wird derzeit nur im Rahmen
■■    Extremzustände des Kosmos und deren                                                                  befindet sich in der aktiven Implementierungs-       eines Pilotprojekts (CCAT-prime) verfolgt, mit
      Physik,                                        Außerdem wurde die Bedeutung der Laborastro-          phase. Mit Nachdruck wurde auch eine Beteili-        deutscher Beteiligung.
                                                     physik, von Virtuellen Observatorien (VO) sowie von   gung der National Science Foundation (NSF) am
                                                                                                           geplanten 25-m-Klasse-Submillimeterteleskop          Im Moment laufen in den USA die ersten Vorberei-
6    Bis 2010 XEUS/IXO.                                                                                    Cerro Chajnantor Atacama Telescope (CCAT)            tungen für den Decadal Report 2020.

18                                                                                                                                                                                                  Einführung | 19
2         Entwicklung der Astronomie und
                  Astrophysik in Deutschland

     2.1 Astronomie und Astrophysik – ein goldenes Zeitalter

     2003 stellten die Verfasser der DFG-Denkschrift      Plausibel erklären lässt sich das nur durch ein
     „Status und Perspektiven der Astronomie in           Schwarzes Loch im Zentrum mit einer Masse von
     Deutschland 2003-2016“ fest, dass die Astrono-       4,4 Millionen Sonnenmassen. Ebenso spektaku-
     mie am Beginn eines goldenen Zeitalters stehe.       lär war 2016 der Nachweis des Verschmelzens
     Aus heutiger Sicht hat sich die Prognose erfüllt.    zweier Schwarzer Löcher über das von ihnen
     Diese Einschätzung lässt sich an drei Beispielen     ausgesandte Gravitationswellensignal.
     verdeutlichen:
                                                          Präzisionskosmologie: Noch in den 1990er-Jah-
     Exoplaneten: 1995 wurde der erste Planet ent-        ren waren die Werte der verschiedenen kosmo-
     deckt, der um einen anderen Stern als die Sonne      logischen Parameter nicht genau bekannt. Heute
     kreist. Heute sind mehr als 3000 extrasolare Pla-    haben sich das Forschungsfeld der Präzisionskos-
     neten bekannt, sogenannte Exoplaneten. Immer         mologie und ein Standardmodell der Kosmologie
     häufiger finden wir auch Planeten mit ähnlicher      etabliert. Dieses Modell ist überaus erfolgreich
     Masse wie die Erde. Besondere Beachtung finden       darin, die Entwicklung des Kosmos, seiner groß-
     Exoplaneten in der sogenannten bewohnbaren           räumigen Strukturen und der Galaxien von der
     Zone, auf denen prinzipiell günstige Bedingungen     frühesten Phase (10-11 Sekunden nach dem Ur-
     für die Entstehung von Leben herrschen. Inzwi-       knall) bis heute (13,8 Milliarden Jahre nach dem
     schen haben wir sogar erste Informationen, wie       Urknall) zu beschreiben. Die unmittelbare Kon-
     sich die Atmosphären einiger Exoplaneten zu-         sequenz des Modells ist jedoch, dass 95 Prozent
     sammensetzen. Der Fokus der Forschung hat            des Kosmos aus sogenannter Dunkler Materie
     sich deutlich erweitert. Astronominnen und As-       und Dunkler Energie bestehen müssen. Diese
     tronomen suchen Planetensysteme heute nicht          Annahme lässt sich nicht mehr im Rahmen des
     nur, sondern charakterisieren sie und bestimmen      Standardmodells der Teilchenphysik beschrei-
     ihre Demografie, indem sie versuchen herauszu-       ben. Die Fragen nach Ursprung und Eigenschaften
     finden, wie oft Exoplaneten verschiedener Masse      von Dunkler Materie und Dunkler Energie rütteln
     und Komposition vorkommen. Es zeichnet sich          somit an den Grundfesten unseres physikali-
     ab, dass unser Sonnensystem mit seinen spezifi-      schen Weltbilds und führen zu neuen Gebieten
     schen Eigenschaften eher die Ausnahme als die        der Physik.
     Regel zu sein scheint.

     Schwarze Löcher: Zu den faszinierendsten Ob-
     jekten im Kosmos zählen die Schwarzen Löcher.
     Sie sind so massereich und kompakt, dass ihnen
     nicht einmal Licht entweichen kann. Wir konnten
     mittlerweile nachweisen, dass sich in den Zen-
     tren vieler Galaxien Schwarze Löcher befinden,
     deren Massen mehrere Millionen Mal so groß
     sind wie die Masse unserer Sonne. Das am bes-
     ten untersuchte Beispiel befindet sich in unserer
     Milchstraße. Um das Galaktische Zentrum krei-
     sen Sterne mit extrem hohen Geschwindigkeiten.

20                                                       Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 21
Preisträgerinnen und Preisträger von hochrangigen nationalen und
internationalen Forschungspreisen (Auswahl)

                Immo                                 Karsten               Rudolf                                                  Rolf-Peter
                Appenzeller                          Danzmann              Kippenhahn                                              Kudritzki

                2015 Karl-Schwarz-                   2017 Körber-Preis     2007 Karl-Schwarz-                                      2009 Karl-Schwarz-
                schild-Medaille                                            schild-Medaille                                         schild-Medaille
                                                     AEI Hannover
                LSW/ ZAH Heidelberg                                        MPA Garching                                            IfA Hawaii
                                                                           Universität Göttingen                                   MPA Garching
                                                                                                                                   LMU München

                Reinhard                             Eva                   Karl-Heinz                                              Volker
                Genzel                               Grebel                Rädler                                                  Springel

                2008 Shaw-Preis                      2015 Hector Wissen-   2013 Karl-Schwarz-                                      2010 Klung-Wilhelmy-
                2011 Karl-Schwarz-                   schaftspreis          schild-Medaille                                         Weberbank-Preis
                schild-Medaille
                2012 Crafoord-Preis                  ARI/ ZAH Heidelberg   AIP Potsdam                                             HITS & ARI /
                2012 Tycho-Brahe-Preis                                                                                             ZAH Heidelberg

                MPE Garching
                UC Berkeley

                                                                           Rashid                                                  Joachim
                Günther                              Guinevere             Sunyaev                                                 Trümper
                Hasinger                             Kauffmann
                                                                           2003 Gruber-Kosmologie-                                 1994 Karl-Schwarz-
                2004 Leibniz-Preis                   2007 Leibniz-Preis    Preis                                                   schild-Medaille
                                                                           2008 Crafoord-Preis                                     2016 Tycho-Brahe-Preis
                IfA Hawaii                           MPA Garching          2008 Karl-Schwarz-
                MPE Garching                                               schild-Medaille                                         MPE Garching

                                                                           MPA Garching

                                                                           Simon                                                   Richard
                                                                           White                                                   Wielebinski

                                                                           2011 Gruber-Kosmologie-                                 2017 Karl-Schwarz-
                                                                           Preis                                                   schild-Medaille
                                                                           2017 Shaw-Preis
                                                                                                                                   MPIfR Bonn
                                                                           MPA Garching

22                                                                                                   Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 23
2.2 Ein dynamisches Forschungsfeld
     350
                                                                                         Astronomy and Astrophysics
                                                                                                                              Astronomie und Astrophysik sind hochmoderne                      physik ist ein Zugpferd für junge Menschen: Sie
     300                                                                                 Basic Life Sciences
                                                                                                                              und aktuelle Forschungsgebiete der Physik. Sie                   fördert das Interesse an naturwissenschaftlichen
                                                                                         Biological Sciences
                                                                                                                              spielen an allen Universitäten eine wichtige Rolle               Problemstellungen und motiviert den Nachwuchs
     250                                                                                 Chemistry and Chemical Engineering
                                                                                                                              in der Physikausbildung und sind in die Bachelor-                für die naturwissenschaftliche Forschung. Die
                                                                                         Instruments and Instrumentation      und Masterstudiengänge integriert. Die Astro-                    folgende Tabelle verdeutlicht das.
     200                                                                                 Mathematics
                                                                                         Physics and Materials Science
     150                                                                                 Statistical Sciences
                                                                                                                                      Jahr                Bachelor               Master/Diplom                Promotion                Habilitation
     100
                                                                                                                                      2003                     2                        90                       111                        18
      50
                                                                                                                                      2004                     2                       101                       117                         8
       0
                                                                                                                                      2005                     2                       134                       137                         7

                                                                             09
             91

                    93

                            95

                                   97

                                          99

                                                 01

                                                        03

                                                                05

                                                                       07                                                             2006                     2                       134                       142                         8
                                                                            20
           19

                   19

                          19

                                 19

                                         19

                                                20

                                                      20

                                                              20

                                                                     20

                                                                                                                                      2007                     1                       153                       136                         8
Abb. 2.1: Publikationen in den Journalen des Web of Science für die Naturwissenschaften in Deutschland 1990 bis 2009.7
                                                                                                                                      2008                    16                       155                       145                         5

                                                                                                                                      2009                    22                       161                       148                         3
An den auf Seite 21 erwähnten Erfolgen und                         Auch in Nachbargebieten der Astrophysik waren
weiteren Erkenntnissen waren deutsche For-                         Forschende deutscher Einrichtungen an spek-                        2010                    47                       162                       167                         0
schergruppen maßgeblich beteiligt. Sei es an                       takulären neuen Ergebnissen signifikant betei-
der wissenschaftlichen Idee und deren Umset-                       ligt. 2016 gelang erstmals die direkte Messung                     2011                    79                       128                       164                         4
zung, an der theoretischen Modellierung und an                     von Gravitationswellen (Fundamentalphysik),
                                                                                                                                      2012                   102                       150                       157                         3
numerischen Simulationen, an der Entwicklung                       2015 der Nachweis von hochenergetischen kos-
der notwendigen Messeinrichtungen oder an                          mischen Neutrinos (Astroteilchenphysik) und                        2013                   123                       144                       171                         7
der Datenanalyse. Der Erfolg astronomischer                        die Landung auf dem Kometen 67P/Tschurju-
Forschung aus Deutschland lässt sich sogar mes-                    mov-Gerasimenko (Planetenforschung).                               2014                   123                       154                       182                         5
sen. Eine 2010 vom BMBF veröffentlichte biblio-
metrische Analyse ergab, dass zwischen 1990                        Für ihre Beiträge wurden zahlreiche Forscherin-                    2015                   152                       178                       186                         8
und 2009 in zwei Fachgebieten der Einfluss deut-                   nen und Forscher mit renommierten nationalen                       2016                   180                       172                       188                         3
scher Forschung im internationalen Vergleich                       und internationalen Preisen ausgezeichnet, wie
deutlich überproportional gewachsen ist: in der                    die Übersicht auf der vorhergehenden Doppel-               Tab. 2.1: Abschlüsse mit astronomischen Themen an deutschen Universitäten 2003-2016.
Statistik und in der Astronomie.                                   seite zeigt.
                                                                                                                              Das zunehmende Gewicht von Astronomie und                        gerichtet.9 Die Astroteilchenphysik mit ihrer
                                                                                                                              Astrophysik lässt sich auch an der Zahl der Wis-                 aktuell sehr dynamischen Entwicklung ist hier
                                                                                                                              senschaftlerinnen und Wissenschaftler feststel-                  noch gar nicht einbezogen. Etwa 800 Wissen-
                                                                                                                              len. Sie stieg zwischen 2000 und 2016 von rund                   schaftlerinnen und Wissenschaftler sind Mit-
                                                                                                                              1400 auf 2700 Beschäftigte.8 An deutschen                        glieder in der Astronomischen Gesellschaft,
                                                                                                                              Universitäten wurden seit 2004 24 zusätzliche                    655 in der Internationalen Astronomischen
                                                                                                                              Professuren im Bereich der Astrophysik ein-                      Union (IAU).

                                                                                                                              8   Gemäß Jahresbericht 2000 der Astronomischen Gesellschaft und Tabelle 2.2.
7                                                                                                                             9
     Bibliometrische Analyse des deutschen Forschungsoutputs im internationalen Vergleich. 				                                   In Heidelberg wurden 6 Professuren eingerichtet, in Potsdam 5, in München 3, in Göttingen, Köln und Bonn jeweils 2 und je
     Indikatorenbericht 2010 (vgl. Anhang A).                                                                                     eine Professur in Würzburg, Stuttgart, Bielefeld und Hamburg.

24                                                                                                                                                                                           Entwicklung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland | 25
Frauen in Führungspositionen

                     Prof. Dr. Svetlana Berdyugina                                                           Paola Caselli ist Expertin auf den Gebieten Astrochemie und Sternentstehung. Sie schließt aus Mo-
                                                                                                             lekülspektren auf die physikalischen und chemischen Prozesse, die während der Entstehung von
                      wurde 2008 auf einen Lehrstuhl an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg be-          Sternsystemen aus Gas- und Staubwolken eine Rolle spielen. Dafür kombiniert sie Beobachtungsda-
                      rufen. Seit 2017 ist sie Direktorin am Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik (KIS).    ten mit chemisch-dynamischen Modellen und speziellen Strahlungstransfercodes.
                      Zuvor war sie Professorin an der ETH Zürich und zuletzt Stellvertretende Direktorin    Prof. Caselli ist Mitglied der American Astronomical Society, Gastprofessorin an der University of Leeds,
                      am KIS. Sie forscht multidisziplinär mit Schwerpunkten auf solaren/stellaren Ma-       wurde 2012 mit einem ERC Advanced Grant ausgezeichnet und erhielt vor Kurzem eine Jubiläumspro-
                      gnetfeldern, Exoplanetenatmosphären und in der Astrobiologie.                          fessur an der Chalmers University of Technology in Göteborg, Schweden. Sie ist die Sprecherin der
                      Svetlana Berdyugina ist eine führende Wissenschaftlerin im Bereich der Polari-         International Max Planck Research School für Astrophysik an der LMU.
                      metrie der Sonne, Sterne und Exoplaneten. Sie entwickelte die molekulare Po-
larimetrie für Astrophysik und Astrobiologie und entdeckte neue Strukturen und Zyklen in solaren und
stellaren Magnetfeldern. Ihre Gruppe war die erste, die den Albedo und die Farbe eines Exoplaneten                                 Prof. Dr. Eva Grebel
vermessen hat. Für ihre Forschungsarbeiten hat sie prestigereiche Auszeichnungen wie den EURYI
Award (2005), einen ERC Advanced Grant (2012) und ein NASA Astrobiology Fellowship (2012) gewonnen.                                wurde 2007 auf einen Lehrstuhl für Astronomie an der Universität Heidelberg be-
Seit 2016 ist sie Mitglied im Editorial Board von „Solar Physics“, seit 2012 Mitglied der Preisjury der                            rufen und ist Direktorin am Astronomischen Rechen-Institut. Zuvor leitete sie das
Leibniz-Gemeinschaft. 2007 und 2008 war sie Stellvertretende Vorsitzende des ESO Observing Pro-                                    Astronomische Institut der Universität Basel.
grammes Committee.                                                                                                                 Eva Grebel ist eine führende Wissenschaftlerin im Bereich der Galaxienentwick-
                                                                                                                                   lung und im aufkommenden Forschungsfeld der Galaktischen Archäologie. Sie
                                                                                                                                   nutzt das Alter, die Bewegungen und die chemische Komposition von Sternen als
                      Prof. Dr. Alessandra Buonanno                                                                                Zeugnis der Entwicklung naher Galaxien und der Milchstraße. Für ihre Forschungs-
                                                                                                             arbeiten zur galaktischen Archäologie erhielt sie unter anderem den Johann-Wempe-Preis (2006), den
                      ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, dem Albert-Ein-          Lautenschläger-Forschungspreis (2009) und den Hector Wissenschaftspreis (2015). Sie ist Mitglied der
                      stein-Institut in Potsdam. Sie ist zudem Professorin an der University of Maryland,    Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Hector Fellow Academy.
                      College Park, USA, und lehrt als Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität        Von 2008 bis 2013 war sie Sprecherin des Fachkollegiums 311 „Astrophysik und Astronomie“ der Deut-
                      zu Berlin sowie der Universität Potsdam.                                               schen Forschungsgemeinschaft. Seit 2013 ist sie Senatorin der DFG. Zudem ist sie seit 2011 Sprecherin
                      Alessandra Buonanno ist eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Gra-        des Sonderforschungsbereichs 881 „The Milky Way System“.
                      vitationswellenphysik und Mitglied der LIGO Scientific Collaboration. Ihre Forschung
                      am Schnittpunkt zwischen analytisch-relativistischer Modellierung und numerisch-
relativistischen Simulationen trug entscheidend zu der Entdeckung von Gravitationswellen und der                                   Prof. Dr. Guinevere Kauffmann
physikalischen Interpretation ihrer Signale bei.
Für ihre Arbeiten zur Gravitationswellenmessung in der LIGO-Kollaboration erhielt sie den Nieder-                                 ist seit 2013 Direktorin am Max-Planck-Institut (MPI) für Astrophysik in Garching
sächsischen Staatspreis sowie den Preis für Astrophysik, Kosmologie und experimentelle Gravitation                                und Honorarprofessorin an der LMU München.
der Italienischen Gesellschaft für Allgemeine Relativität und Gravitation. Der erstmalige direkte Nach-                           Guinevere Kauffmann studierte Angewandte Mathematik und absolvierte ihr Mas-
weis von Gravitationswellen durch die LIGO-Kollaboration wurde unter anderem mit dem Gruber-Kos-                                  terstudium in Astronomie 1990 in Kapstadt, Südafrika. Nach ihrer Promotion bei
mologie-Preis und dem Prinzessin-von-Asturien-Preis gewürdigt.                                                                    Simon White forschte sie als Miller Fellow an der University of California at Berkeley.
                                                                                                                                  Anschließend war sie Postdoc am MPI für extraterrestrische Physik und später am
                                                                                                                                  MPI für Astrophysik, wo sie seit 2003 eine eigene Forschungsgruppe leitete.
                     Prof. Dr. Paola Caselli                                                                 Zu ihren Forschungsgebieten gehören Galaxienentstehungsmodelle und die Analyse der beobachteten
                                                                                                             Eigenschaften von Galaxien. Dabei interessieren sie besonders die atomaren und molekularen Eigen-
                     ist seit 2014 Direktorin des Zentrums für astrochemische Studien am                     schaften des Gases in Galaxien und in aktiven galaktischen Kernen. Sie hat eine eigene Methodik ent-
                     Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und Honorarpro-           wickelt, um aus sehr großen Galaxienstichproben Informationen über ihre Entstehung und Evolution zu
                     fessorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Von 2007 bis              gewinnen.
                     2014 war sie Professorin an der University of Leeds, zuvor forschte sie am Arcetri-     Die DFG zeichnete Prof. Kauffmann 2007 mit dem Leibniz-Preis aus. Sie ist Trägerin des Bundesver-
                     Observatorium in Florenz. Die Jahre 2006/2007 verbrachte sie als Gastwissen-            dienstkreuzes sowie gewähltes Mitglied der Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der National
                     schaftlerin an der Harvard University.                                                  Academy of Sciences, USA.

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