Der Beitrag Oberitaliens zur Entwicklung der Künste durch den Jesuitenorden im Kontext der europäischen Kunstgeschichte

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168   FRÜHNEUZEIT-INFO                                                                     PROJEKTBERICHT

     Der Beitrag Oberitaliens zur Entwicklung
       der Künste durch den Jesuitenorden
   im Kontext der europäischen Kunstgeschichte
                        Ausblicke auf ein Forschungsprojekt*
                                           Paolo Sanvito (Wien)

Eine Sichtung der jesuitischen Quellen in den             der italienischen Kunst erfolgte z. B. die Erfindung
historischen Bibliotheken und eine Zusammen-              der Quadratur-Malerei und auch vornehmlich in
stellung der in den Staatsarchiven Oberitaliens           Bologna die des Carraccismus. Jede Schule spielte
aufbewahrten Handschriften erbrachte neuerdings           in diesem dichten Netz von Kunstzentren eine ei-
interessante Erkenntnisse zu den Gründungen der           gene Rolle. Nach jahrzehntelanger Konzentration
Jesuiten sowie deren Relevanz in einer kunsthis-          unserer Studien auf den römischen, florentinischen
torisch dichten Landschaft. Der Fokus lag auf der         und/oder venezianischen Kunstkreis sollte daher
heutigen Region Emilia-Romagna, auf Padua sowie           den oberitalienischen Lokalschulen vermehrte
auf dem ehemaligen Herzogtum Mantua. Letzteres            Aufmerksamkeit geschenkt werden – und dies be-
Gebiet gehört heute aus praktischen Gründen zur           vorzugt für das Zeitalter der Konfessionalisierung,
Mailänder Kirchenprovinz, war jedoch genauso              als der Jesuitenorden ungemein an künstlerischer
wie die anderen Gebiete früher unmittelbar der            Präsenz und Ansehen gewann.
Provincia Veneta der Societas Jesu zugeordnet. Das        In der Tat wundert sich die Forschung nicht mehr
ausgedehnte Territorium zwischen Piacenza und Is-         über die Konzentration von jesuitischen Bauten, wie
trien war politisch zwar zersplittert, aber strategisch   Kirchen, Kollegien, sogar Theatern bzw. manchmal
und wirtschaftlich für Italien und für das Reich eine     auch von Jesuiten verwaltete Universitäten, in der
unentbehrliche Drehscheibe. Eine Schlüsselrolle für       kon­ventionell als „venezianisch“ bezeichneten
den Handel und die militärische Kontrolle nahm            Ordens­provinz, die 1578 aus der großen oberitalieni-
dabei der Farnese-Staat ein mit dem Po-Übergang           schen Ordensprovinz exkorporiert worden war. Die
an seiner nördlichen Grenze und seiner Anbindung          Bearbeitung dieser an Untersuchungsgegenständen
an die Via Emilia. Allen ins Auge gefassten Gebieten      reichen Kunstlandschaft steht jedoch erst am Be-
war eine unmittelbare Verbindung zu den vielleicht        ginn. Der Hauptteil der Provinz war die Emilia.
relevantesten gelehrten Orten der Frühen Neuzeit          Alleine in der Emilia befand sich bemerkenswerter-
eigen: Bologna und Padua an erster Stelle, aber auch      weise die höchste Ansammlung von namhaften Uni-
Modena, Ferrara und Parma. Zugleich befanden              versitäten und speziellen Ausbildungseinrichtungen
sich hier zahlreiche, florierende Malerei- und Archi­     für die Oberschicht des ancien régime (Collegi, Col-
tekturwerkstätten und die für Italien typischen           legi dei Nobili). In der Zeit kurz vor 1600 oder knapp
regionalen Kunstschulen.                                  danach waren in der Tat die Studia in Modena,
Nicht ohne Grund unterscheidet man für die                Ferrara und Parma eingerichtet oder neugegründet
Zeit um 1600 noch heute nicht nur die größeren            worden; diejenigen dei Nobili in jedem Hauptort
Malerschulen in Bologna oder in Ferrara vonein-           waren meistens die aufwendigere Schwesterinstitu-
ander, sondern auch die kleineren in Parma oder           tion des Jesuitenkollegs. Sie gewannen in den da-
in Padua. Die nachgeordnete Stellung der Pro-             rauffolgenden Jahrzehnten an Breitenwirkung und
vinzschulen mindert keinesfalls deren Wert im             Bedeutung. In zeitlicher Folge waren dies: Piacenza
europäischen Vergleich. Während dieser Blütezeit          (1584–1587 Kirche, 1594 gleichnamiges Kolleg San
Paolo Sanvito      Oberitalien und der Jesuitenorden                              FRÜHNEUZEIT-INFO 169

Pietro in Foro, Architekt Giorgio Soldati), Parma        privilegierte Lage des Farnese-Staates gelegt
(1607 Kolleg an der Kirche San Rocco, sogar zuvor        werden, sondern auch auf dessen jesuitische
1601 das Adelskolleg Santa Caterina als Stiftung         Orien­tierung speziell in den Künsten und in der
von Ranuccio I. Farnese), Modena (durch denselben        Kulturpolitik allgemein. Er bildet ein paradigmati-
Architekten Soldati: 1607 Kolleg von San Bartolo-        sches Fallbeispiel. Parma hatte 1412 einen frühen
meo und 1626 Adelskolleg Congregazione della             Wiederaufbau einer älteren universitären Einrich-
Madonna e di San Carlo, nicht jesuitisch, aber nach      tung während der kurzen estensischen Herrschaft
jesuitischem Modell), Busseto (1617 Igna­tius-Kirche     unter Herzog Niccolò III. von Ferrara erlebt, der die
mit Kolleg mittels Dekret von Ranuccio I. Farnese)       Stadt dann an die Mailänder abgab. Jedoch erst die
und Fidenza (1697 Kolleg, 1707 Santuario-Kirche).        Farnese zeigten ab ihrer Macht­übernahme im Jahre
Im seit 1598 Rom zugeordneten Staat Ferrara sind         1545 ein besonderes Interesse an der Etablierung
folgende Orte anzuführen: Ferrara (ab 1551 Kolleg;       solider Studieneinrichtungen in einem Staat, den
hier hatte bereits um 1524 kein geringerer als der Hl.   sie sich eigens aus ehemaligen Mailänder Gebieten
Ignatius von Loyola selbst eine Gründung persön-         geformt hatten. Die 1601 mit herzoglicher Unter-
lich angebahnt), Ravenna (Collegio dei Nobili, 1695      stützung gegründeten parmesanischen Kollegien
von Kardinal Barberini gestiftet, die Kolleg-Kirche      verfügten über enge, gut dokumentierte Beziehun-
San Francesco Saverio erst 1719), Forlì (Sant’Anto-      gen zum kaiserlichen Machtbereich (u.a. den Höfen
nio-Kirche, jetzt San Francesco, Ende des 16. Jahr-      in Wien, Prag und Innsbruck). Insgesamt gab es
hunderts dem Orden übertragen, der einen Neubau          nicht weniger als fünf jesuitische Stützpunkte im
errichtete) und Bagnacavallo (1667 Kolleg).              Herzogtum. Ihre Analyse würde den hier verfügba-
Nicht einmal die wichtigste römische Provinz konnte      ren Rahmen jedoch sprengen.
damals mit einer entsprechenden Anzahl von Einrich-      Die Paradeeinrichtung in Parma war das Kolleg
tungen aufwarten. Politische Instabilität und kirchen-   Santa Caterina, das aus einem Umbau des zur
feindliche Allianzen bewirkten, dass 1606 jegliche       Verfügung gestellten, an die Kirche angrenzenden
Präsenz des Jesuitenordens aus dem venezianischen        großen Adels­palastes der Bernieri hervorging. Der
Staat (einschließlich Dalmatien) verbannt wurde.         Lehrbetrieb fing am Kolleg Santa Caterina offiziell
Das führte zu einem Exodus von Kollegienmitglie-         ab frühestens 1604 an. In diesem kulturellen Prunk-
dern und Lehrenden in die westlichen und südlichen       stück in der Stadt studierten im 17. Jahrhundert
Restgebiete der provincia veneta. Allerdings dauerte     unter anderen schwedische Erb­prinzen und Hohen­
der Ausschluss 51 Jahre, bis 1657, ehe es zu der Auf-    zollernfürsten. Wie üblich in der Hauptstadt des
hebung des venezianischen Interdetto (Verbots) kam.      wohlhabenden Herzogtums, sparte der Herzog nicht
Die Schlüsselrolle der Universitäten und Kollegien in    an künstlerischen und öffentlichkeitswirk­     samen
den nicht unter der politischen Herrschaft Venedigs      Maßnahmen. So betraute man Ferdinando Galli da
stehenden Gebieten konnte jedoch auch in der Folge       Bibbiena mit der stark barockisierenden und illusio­
gewahrt werden (darunter diejenigen dei Nobili mit       nistischen Ausschmückung der Fassaden, die zum
ihren besonders hohen Ansprüchen). Alle anderen          Piazzale del Collegio schauten.
Häuser des Ordens in diesem geographischen Be-           Angesichts der großen Anzahl der von den Jesuiten
reich lehnten sich schließlich stark an das Modell der   nachgelassenen Archivalien wurde 1991 im Ar-
Universität des kirchenstaatlichen Bologna an und        chivio di Stato di Parma auf Initiative der Archiv­
wurden zumindest indirekt durch das Mutterhaus in        direktion die Erstellung einer viele hundert Seiten
Rom kontrolliert.                                        langen und kommentierten Bestandserfassung Ge-
                                                         suiti di Parma (Collegio di San Rocco, Collegio dei
                                                         Nobili, Fidenza, Busseto, Piacenza, usw.) veranlasst.
      Ein Blick auf die Herzogtümer                      Sie ist eine lückenlose Auflistung aller auffindbaren
       Parma und Modena-Reggio                           Quellen und Urkunden aus drei Archiven, leider
                                                         maschinschriftlich und unpubliziert. Alte Grund-
Ein spezielles Augenmerk sollte darum künftig            und Aufrisse der Gebäude des Herzogtums ver-
auf die nicht nur strategische und geopolitisch          zeichnet im Staats-Archiv ein Inventario analitico
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                                                              der vom Orden vielfach herumgereichte, aus den
                                                              Abruzzen stammende Giuseppe Valeriano S.J., dann
                                                              Giorgio Soldati S.J., Giovanni de Rosis S.J. aus Como,
                                                              der Mantuaner Luca Bienni S.J. und schließlich
                                                              der ebenfalls am römischen Kolleg ausgebildete
                                                              Tommaso Blandino S.J. Valeriano war für den Orden
                                                              auch in Rom und in Genua prägend gewesen, und
                                                              de Rosis hatte am neapolitanischen Kolleg gewirkt;
                                                              beide gehören deshalb zu den Hauptfiguren der
                                                              Archi­tekturgeschichte des Ordens.!
                                                              Wichtig war die Ausstrahlung von baukünstleri-
1     Ferdinando Galli Bibiena: Decorazione di facciata,
      wohl aus dem ausgeführten Projekt für das Piazzale      schen Innovationen aus eben gerade dieser Region
      del Collegio dei Nobili (Rom, Gabinetto Nazionale       auch für die allgemeine Geschichte des Ordens, nicht
      dei Disegni e delle Stampe; nach Marinella Pigozzi:     nur bei der „Rückeroberung“ der ab 1657 wieder zu-
      Ferdinando Galli Bibiena: Varie opere di prospettiva.   gänglichen Republik Venedig. Eine vorbildliche, in
      Traduzione e diffusione di modelli e tipologie, in      manchen Fällen geradezu zensorische Funktion üb-
      centri e periferie, in: Il Barocco romano e l’Europa.   ten Architekten der Region auch für die Ordenspro-
      Centri e periferie del barocco: corso internazionale
                                                              vinz Germania Superior aus. Zu dieser Gruppe
      di alta cultura, a c. di Marcello Fagiolo and Maria
                                                              gehörte der oben erwähnte Giuseppe Valeriano,
      Luisa Madonna, Roma 1992, S. 635–658, Abb. 16).
                                                              überregionalen Ruhm erlangten jedoch nur Gio­
                                                              vanni Tristano S.J. aus Ferrara, der erste Entwerfer
Inv. 54 bis, welches sämtliche Mappe e Disegni der            des Collegio Romano, und Orazio Grassi. Architek-
für die Forschung sehr interessanten Pläne umfasst:           tonische Lebensläufe führten die Ordensarchitekten
viele Ordenskirchen nicht nur aus dem Herzogtum,              manchmal in sehr weit entfernte Landschaften, wo
sondern aus allen Gegenden, die auch nur einen in-            sie mitunter auch für die Ordenspropaganda wirken
direkten Bezug zur lokalen Architektur und den lo-            sollten: So war der Sizilianer Tommaso Blandino
kalen Bauten (einschließlich Vergleichsbeispielen)            ebenfalls 1612 am römischen Kolleg ausgebildet
aufweisen; Zeichnungen aus den Landhäusern bzw.               worden, nach seinem Wirken in Parma kehrte er
den Erholungsheimen („di vacanze“) für die Patres,            wieder zurück nach Süditalien. Viele weitere, deren
etwa im Nachbardorf Carona oder in der ehe­                   Laufbahnen eine nähere Untersuchung verdienen
maligen Zisterzienser­ abtei Fontevivo; schließlich           sollten, gingen aus den gleichen oberitalienischen
Grundrisse, entweder aus dem späteren Kataster                Ausbildungsstätten oder Bauhütten hervor.
oder in großer Anzahl original aus der Entstehungs-           Es ist jedenfalls auch dokumentarisch bezeugt, dass
zeit bis zum 18. Jahrhundert. Letztere kommen der             insbesondere Ranuccio I. (1569–1622) und seine
Erforschung von San Rocco zugute, denn die Patres             Nachfolger ein privates Interesse an der Förderung
gaben sich nach der Entstehung des Kirchenkollegs             des Ordens in ihrer Hauptstadt hatten. Dies belegt
um 1607 mit der alten, 1564 entstandenen Kirche               eine Handschrift über das Santa-Caterina-Kolleg
allmählich nicht mehr zufrieden und veranlassten              in der Rara-Sammlung der Palatina-Bibliothek, wie
einen prachtvolleren Neubau (definitiv 1737 durch             auch die lebhafte Korrespondenz Ranuccios I. und
den Architekten Edelberto della Nave). Diese Pläne            diejenige seines Neffen Ranuccio II. (1630–1694) mit
beginnen im ausgehenden 17. Jahrhundert.                      dem Haus Habsburg. Die Übernahme Parmas am
Die komplexen Zusammenhänge der farnesischen                  Ausklang der Frühen Neuzeit durch Marie-Louise
Gründungen bieten deshalb mitunter für die Ge-                von Habsburg-Lothringen bedeutete ab 1815 eine
schichte der Ordensarchitektur einmaliges: ein                nochmalige und nachdrückliche Förderung dieser
hochkarätiges Material, weil in Parma nur erst-               Einrichtung. Das Kolleg wurde aus räumlichen
klassige (Ordens-)Architekten tätig waren oder                Gründen von ihr mit einem anderen Adelskolleg
zumindest mit Anregungen mitwirkten. Im Falle                 fusioniert, womit die Geschichte des ursprünglichen
der früheren San-Rocco-Kirche war es zunächst                 Hauses aber ihr Ende fand.
Paolo Sanvito       Oberitalien und der Jesuitenorden                              FRÜHNEUZEIT-INFO 171

2
Pianta e spaccati
di un maneggio,
wohl aber
Grundriss und
Aufriss im
Schnitt des
Theaters des
Collegio dei
Nobili, Parma,
um 1800
(Archivio di
Stato di Parma
[Raccolta mappe
e disegni], Vol.
11, Nr. 8/a-b-c).

Während der Blütezeit von Santa Caterina verfasste      den Erweiterungen von 1662 und danach.
der seit 1637 am Kolleg tätige Pater Orazio Sme-        Es stellt sich die Frage, ob jesuitische Wissenschaftler
raldi eine Geschichte der Anfänge und Fortschritte      bzw. Lehrer eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung
des Kollegs [bis ca. 1670].2 Smeraldi war zeitweise,    neuer Ansätze in der staatlichen Kulturpolitik im
ab 1650 bis spätestens 1658, auch Rektor. Eine          Allgemeinen einnahmen, auch in nicht kirchenstaat-
Verflechtung der Lehre an diesem Kolleg mit der         lichen Gebieten – wie es immer wieder zu vermuten
herzoglichen Universität war vereinbart: Von den        wäre. Die emilianische Verbreitung jesuitischen
durchschnittlich 25 Professoren waren ungefähr          Gedankengutes wirft diese Frage ein erneutes Mal
zehn Jesuitenpatres. Dabei ist zu berücksichtigen,      nachdrücklich auf, nachdem ähnliche Fragestellun-
dass die Lehre vieler Fächer wie der Medizin nur mit    gen bereits auf der Wiener Tagung im Jahre 2000
Laien bewerkstelligt werden konnte.3                    unter Berücksichtigung Wiens im Rahmen der For-
Dieser Handschrift entnehmen wir unschätzbare           schungen von Richard Bösel, Herbert Karner und
Informationen über das gesamte Kulturleben im           Werner Telesko lebhaft diskutiert wurden.4
Staat Parma. Hervorgehoben seien hier aber die          An dieser Stelle empfiehlt es sich auch einen Blick
sehr wichtigen Anmerkungen zu Bauarbeiten,              auf eine andere emilianische Hauptstadt zu werfen,
Erweiterungen und Hinzufügungen ganzer Bau-             diejenige der Este. Während die Farnese eine lan-
körper am Kolleg, etwa die der beiden Theatersäle,      ge historische Verbindung zum Orden aufweisen
einer für den Sommer (Abb. 2), ein anderer für den      konnten, kann man gleiches von der Familie Este
Winter. Beigegeben sind auch zwei präzise und           nicht behaupten. Allerdings kann man auch hier
größere Bestandspläne der Anlage im Zustand vor         einige größere Gründungen anführen, sowohl in
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                                                                   noch seinesgleichen sucht (Sign. Campori Ms. 172,
                                                                   Abb. 3–5).5 Offensichtlich dienten die Zeichnungen
                                                                   auch zu Demonstrations- und Übungszwecken bei
                                                                   der Lehre der Baukunst, vielleicht auch zur Diskus-
                                                                   sion von Modellen, weswegen sogar die Urphase
                                                                   von Bramantes Entwurf für Sankt Peter (fol. 27r)
                                                                   vertreten ist. Der ursprüngliche Aufbewahrungs-
                                                                   ort der Handschrift ist unbekannt: jedoch ist eine
                                                                   lokale Provenienz, aus Mangel an weiteren Infor-
                                                                   mationen, naheliegend, blieb wohl der geographi-
                                                                   sche Interessenhorizont des Markgrafen Campori
                                                                   immer relativ begrenzt.
                                                                   Außerdem leistete sich auch Modena, wie Parma, die
                                                                   Lehre der Künste an den Kollegien, wie eine weitere
                                                                   Handschrift, sec. XVIII, aus der gleichen Sammlung
                                                                   Campori nahelegt, die mit der Signatur γ B.2.14.
                                                                   versehen ist. Der gedruckte Katalog der Biblioteca
                                                                   Estense von Lodi und Vandini verzeichnet sie als „23
                                                                   opuscoli … del dotto gesuita [scil.: Mauro Boni]“ zur
                                                                   „[…] arte del disegno, specie dell’incisione“6 und gibt
                                                                   als Herkunftsort den collegio in Modena an, was bei
                                                                   einem jesuitischen Gelehrten nur die Möglichkeit
3     Jesuitischer Ordensarchitekt: Grundriss des alten
                                                                   der Identifizierung des Ortes mit dem Ordenshaus
      Sant’Ivo-alla-Sapienza-Komplexes in Rom, Entwurf
      von 1597, Detail (Modena, Biblioteca Universitaria ed        San Bartolomeo zulässt.
      Estense, Coll. Campori, Ms. 172, fol. 15 r; Foto: Autor).   Das Phänomen, dass die emilianischen Provinzen in
                                                                   diesem speziellen Sektor der Architekturgeschichte
                                                                   eine Führungsrolle übernommen haben, darf nicht
der Hauptstadt Modena als auch in der kleinen,                     überraschen. Selbst wenn man von einem früheren
untergeordneten Grafschaft von Carpi (Ignatius-                    längeren Aufenthalt von Leon Battista Alberti in
kirche seit 1622; dortige Lehre zeitweise urkundlich               Ferrara absieht, ist unübersehbar, dass während des
belegt durch die Professoren des parmesanischen                    Cinquecento und bereits vor dem Tridentinum die
Kollegs). Der modenensische Komplex (San Barto­                    nicht religiös verankerte bzw. profane Baukunst in
lomeo, mit Kolleg) geht interessanterweise auf den                 Ferrara und Bologna wesentliche architekturtheo-
Architekten Soldati zurück, der bereits an zwei                    retische Leitbilder hervorgebracht hatte, dank der
farnesischen Bauhütten begegnet ist. Eine nähere                   Persönlichkeit eines Vignola oder eines Aleotti.
Untersuchung des Komplexes kann an dieser Stelle                   Eher zufällig gelangte Vignola zu unübertroffenem
nur angekündigt werden.                                            Ruhm, obwohl Aleotti heute als genauso produktiv
Vielmehr lohnt ein Besuch der ehemaligen Bücher-                   und relevant eingeschätzt werden darf. Mit der
sammlung der Este. Hier hat der verdienstvolle                     Expansion der Jesuiten im ausgehenden 16. Jahr-
lokale Historiker und Gelehrte Marchese Giuseppe                   hundert und der Ausbreitung des protestantischen
Campori verschiedene architektonische Zeich-                       Glaubens wurde es immer offensichtlicher, dass
nungshefte und Handschriften zur Geschichte                        die Grenzregionen Italiens nach Norden und nach
der Künste und Literatur in den modenensischen                     Osten in der Kirchenpolitik eine zunehmend unver-
Provinzen gesammelt, darunter ein Konvolut von                     zichtbare Rolle bei den Prioritäten der Verbreitung
ungefähr vierzig Architekturzeichnungen von                        evangelisierender Orden zugewiesen bekamen.
disparaten (doch mehrheitlich jesuitischen) Kir-
chen und Kollegien aus den unterschiedlichsten
italienischen Gebieten, welches in seiner Anmut
Paolo Sanvito        Oberitalien und der Jesuitenorden                                     FRÜHNEUZEIT-INFO 173

4   Giuseppe Valeriano: Entwurf für das Jesuitische
    Kolleg in Cosenza (Kalabrien), um 1597 (Modena/            5   Giuseppe Valeriano oder Umkreis, Jesuitenkolleg und
    Campori wie Abb. 3, hier fol. 23r Foto: Autor).                Kirche in Catanzaro (Kalabrien), um 1597 (Modena/
                                                                   Campori wie Abb. 3, hier fol. 20 r; Foto: Autor).

Anmerkungen

*   Der vorliegende Beitrag entstand auf Basis erster          4   Herbert Karner / Werner Telesko (Hg.): Die Jesuiten
    Untersuchungen im Zusammenhang mit einem                       in Wien. Zur Kunst- und Kulturgeschichte der öster-
    weiter ausgreifendenden Forschungsprojekt „Bil-                reichischen Ordensprovinz der „Gesellschaft Jesu“ im
    dende Künste als psychagogische Medien des                     17. und 18. Jahrhundert (Österreichische Akademie
    Jesuiten­ordens“ (I4706-G) an der Österreichischen             der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kom-
    Akademie der Wissenschaften in Wien unter der                  mission für Kunstgeschichte, Bd. 5) Wien, 2003. Siehe
    Leitung von Herbert Karner. Bei diesem Projekt ist             dazu auch den Tagungsbericht von Friedrich Polleroß:
    der Autor Hauptbearbeiter.                                     Nuestro Modo de Proceder, in: Frühneuzeit-Info 12/1,
1   Zur langjährigen Debatte über eine ordenseigene                2001, S. 93–128. Bezüglich der Provincia veneta siehe
    Architektur, die sich von zeitgleichen Strömungen              die umfassende Studie von Richard Bösel: Episodi
    absetzt, siehe Richard Bösel: La chiesa di S. Lucia.           emergenti dell’architettura gesuitica in Italia, in: La
    L’invenzione spaziale nel contesto dell’architettura           arquitectura jesuítica, Actas del Simposio Internacio­
    gesuitica, in Gian Paolo Brizzi / Giancarlo Angelozzi          nal celebrado en Zaragoza del 9 al 11 de diciembre
    (Hg.): Dall’isola alla città, Bologna: Nuova Alfa Ed.          de 2010, hrsg. v. Isabel Álvaro Zamora, Javier Ibáñez
    1988, S. 19–31.                                                Fernández u. Jesús Criado Mainar, Zaragoza 2012,
2   De’ principi, e progressi del Collegio de’ Nobili di           S. 71–89.
    Parma eretto dal ser.mo Dvca Ranvccio l’anno MDCI.         5   S. Raimondo Vandini / Luigi Lodi: Catalogo dei codici
    Racconto disteso dal P. Oratio Smeraldi della Comp.a           e degli autografi posseduti dal Marchese Giuseppe
    di Giesù. Hs, ca. 1670. Parma, Biblioteca Palatina, Ms.        Campori: Seconda edizione autorizzata, Modena: Tip.
    Parm. 561, cc. 63–251. Die Einführungsabschnitte des           Domenico Tonietto, 1895, II, S. 123. Die Zuschreibung
    Textes scheinen mir nicht autographisch von Sme-               an de Rosis scheint forciert, selbst wenn eine Datie-
    raldi zu sein; ein Kopist, der eine bella copia verfasst       rung gegen Ende des 16. Jahrhunderts sicher ist. Dies
    hat, wäre aber auch denkbar, das Exemplar sieht zu             auch auf Grundlage des Datums 1597 auf fol. 15r, wo
    elegant aus.                                                   ein Grundriss des alten Sant’Ivo-alla-Sapienza-Kom-
3   AS Pr, Rotoli 1666–1667 Archivio del Comune, Studio,           plexes wiedergegeben ist. Die Sammlung Campori
    Busta 1909, n. nummeriert. Siehe auch aber zur Rolle           wird auch erwähnt bei Evonne Levy: Propaganda and
    der jesuitischen Lehrkraft in Parma Paul F. Grendler:          the Jesuit Baroque, Berkeley: University of California
    The Jesuits and and Italian Universities, 1548–1773,           Press, 2004, S. 339 (ohne verbindliche Zuschreibung
    Washington, D. C.: Catholic University Press, 2017,            des Inhalts, nachdem Bösel sie häufig anwendete).
    S. 177, insbes. „A Jesuit served as a promoter, along-     6   Vandini / Lodi (Anm. 5), II, S. 363.
    side four non-Jesuit promoters, for a man who ob-
    tained a doctorate.“                                                                                                □
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