Der Beitrag Oberitaliens zur Entwicklung der Künste durch den Jesuitenorden im Kontext der europäischen Kunstgeschichte
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168 FRÜHNEUZEIT-INFO PROJEKTBERICHT Der Beitrag Oberitaliens zur Entwicklung der Künste durch den Jesuitenorden im Kontext der europäischen Kunstgeschichte Ausblicke auf ein Forschungsprojekt* Paolo Sanvito (Wien) Eine Sichtung der jesuitischen Quellen in den der italienischen Kunst erfolgte z. B. die Erfindung historischen Bibliotheken und eine Zusammen- der Quadratur-Malerei und auch vornehmlich in stellung der in den Staatsarchiven Oberitaliens Bologna die des Carraccismus. Jede Schule spielte aufbewahrten Handschriften erbrachte neuerdings in diesem dichten Netz von Kunstzentren eine ei- interessante Erkenntnisse zu den Gründungen der gene Rolle. Nach jahrzehntelanger Konzentration Jesuiten sowie deren Relevanz in einer kunsthis- unserer Studien auf den römischen, florentinischen torisch dichten Landschaft. Der Fokus lag auf der und/oder venezianischen Kunstkreis sollte daher heutigen Region Emilia-Romagna, auf Padua sowie den oberitalienischen Lokalschulen vermehrte auf dem ehemaligen Herzogtum Mantua. Letzteres Aufmerksamkeit geschenkt werden – und dies be- Gebiet gehört heute aus praktischen Gründen zur vorzugt für das Zeitalter der Konfessionalisierung, Mailänder Kirchenprovinz, war jedoch genauso als der Jesuitenorden ungemein an künstlerischer wie die anderen Gebiete früher unmittelbar der Präsenz und Ansehen gewann. Provincia Veneta der Societas Jesu zugeordnet. Das In der Tat wundert sich die Forschung nicht mehr ausgedehnte Territorium zwischen Piacenza und Is- über die Konzentration von jesuitischen Bauten, wie trien war politisch zwar zersplittert, aber strategisch Kirchen, Kollegien, sogar Theatern bzw. manchmal und wirtschaftlich für Italien und für das Reich eine auch von Jesuiten verwaltete Universitäten, in der unentbehrliche Drehscheibe. Eine Schlüsselrolle für konventionell als „venezianisch“ bezeichneten den Handel und die militärische Kontrolle nahm Ordensprovinz, die 1578 aus der großen oberitalieni- dabei der Farnese-Staat ein mit dem Po-Übergang schen Ordensprovinz exkorporiert worden war. Die an seiner nördlichen Grenze und seiner Anbindung Bearbeitung dieser an Untersuchungsgegenständen an die Via Emilia. Allen ins Auge gefassten Gebieten reichen Kunstlandschaft steht jedoch erst am Be- war eine unmittelbare Verbindung zu den vielleicht ginn. Der Hauptteil der Provinz war die Emilia. relevantesten gelehrten Orten der Frühen Neuzeit Alleine in der Emilia befand sich bemerkenswerter- eigen: Bologna und Padua an erster Stelle, aber auch weise die höchste Ansammlung von namhaften Uni- Modena, Ferrara und Parma. Zugleich befanden versitäten und speziellen Ausbildungseinrichtungen sich hier zahlreiche, florierende Malerei- und Archi für die Oberschicht des ancien régime (Collegi, Col- tekturwerkstätten und die für Italien typischen legi dei Nobili). In der Zeit kurz vor 1600 oder knapp regionalen Kunstschulen. danach waren in der Tat die Studia in Modena, Nicht ohne Grund unterscheidet man für die Ferrara und Parma eingerichtet oder neugegründet Zeit um 1600 noch heute nicht nur die größeren worden; diejenigen dei Nobili in jedem Hauptort Malerschulen in Bologna oder in Ferrara vonein- waren meistens die aufwendigere Schwesterinstitu- ander, sondern auch die kleineren in Parma oder tion des Jesuitenkollegs. Sie gewannen in den da- in Padua. Die nachgeordnete Stellung der Pro- rauffolgenden Jahrzehnten an Breitenwirkung und vinzschulen mindert keinesfalls deren Wert im Bedeutung. In zeitlicher Folge waren dies: Piacenza europäischen Vergleich. Während dieser Blütezeit (1584–1587 Kirche, 1594 gleichnamiges Kolleg San
Paolo Sanvito Oberitalien und der Jesuitenorden FRÜHNEUZEIT-INFO 169 Pietro in Foro, Architekt Giorgio Soldati), Parma privilegierte Lage des Farnese-Staates gelegt (1607 Kolleg an der Kirche San Rocco, sogar zuvor werden, sondern auch auf dessen jesuitische 1601 das Adelskolleg Santa Caterina als Stiftung Orientierung speziell in den Künsten und in der von Ranuccio I. Farnese), Modena (durch denselben Kulturpolitik allgemein. Er bildet ein paradigmati- Architekten Soldati: 1607 Kolleg von San Bartolo- sches Fallbeispiel. Parma hatte 1412 einen frühen meo und 1626 Adelskolleg Congregazione della Wiederaufbau einer älteren universitären Einrich- Madonna e di San Carlo, nicht jesuitisch, aber nach tung während der kurzen estensischen Herrschaft jesuitischem Modell), Busseto (1617 Ignatius-Kirche unter Herzog Niccolò III. von Ferrara erlebt, der die mit Kolleg mittels Dekret von Ranuccio I. Farnese) Stadt dann an die Mailänder abgab. Jedoch erst die und Fidenza (1697 Kolleg, 1707 Santuario-Kirche). Farnese zeigten ab ihrer Machtübernahme im Jahre Im seit 1598 Rom zugeordneten Staat Ferrara sind 1545 ein besonderes Interesse an der Etablierung folgende Orte anzuführen: Ferrara (ab 1551 Kolleg; solider Studieneinrichtungen in einem Staat, den hier hatte bereits um 1524 kein geringerer als der Hl. sie sich eigens aus ehemaligen Mailänder Gebieten Ignatius von Loyola selbst eine Gründung persön- geformt hatten. Die 1601 mit herzoglicher Unter- lich angebahnt), Ravenna (Collegio dei Nobili, 1695 stützung gegründeten parmesanischen Kollegien von Kardinal Barberini gestiftet, die Kolleg-Kirche verfügten über enge, gut dokumentierte Beziehun- San Francesco Saverio erst 1719), Forlì (Sant’Anto- gen zum kaiserlichen Machtbereich (u.a. den Höfen nio-Kirche, jetzt San Francesco, Ende des 16. Jahr- in Wien, Prag und Innsbruck). Insgesamt gab es hunderts dem Orden übertragen, der einen Neubau nicht weniger als fünf jesuitische Stützpunkte im errichtete) und Bagnacavallo (1667 Kolleg). Herzogtum. Ihre Analyse würde den hier verfügba- Nicht einmal die wichtigste römische Provinz konnte ren Rahmen jedoch sprengen. damals mit einer entsprechenden Anzahl von Einrich- Die Paradeeinrichtung in Parma war das Kolleg tungen aufwarten. Politische Instabilität und kirchen- Santa Caterina, das aus einem Umbau des zur feindliche Allianzen bewirkten, dass 1606 jegliche Verfügung gestellten, an die Kirche angrenzenden Präsenz des Jesuitenordens aus dem venezianischen großen Adelspalastes der Bernieri hervorging. Der Staat (einschließlich Dalmatien) verbannt wurde. Lehrbetrieb fing am Kolleg Santa Caterina offiziell Das führte zu einem Exodus von Kollegienmitglie- ab frühestens 1604 an. In diesem kulturellen Prunk- dern und Lehrenden in die westlichen und südlichen stück in der Stadt studierten im 17. Jahrhundert Restgebiete der provincia veneta. Allerdings dauerte unter anderen schwedische Erbprinzen und Hohen der Ausschluss 51 Jahre, bis 1657, ehe es zu der Auf- zollernfürsten. Wie üblich in der Hauptstadt des hebung des venezianischen Interdetto (Verbots) kam. wohlhabenden Herzogtums, sparte der Herzog nicht Die Schlüsselrolle der Universitäten und Kollegien in an künstlerischen und öffentlichkeitswirk samen den nicht unter der politischen Herrschaft Venedigs Maßnahmen. So betraute man Ferdinando Galli da stehenden Gebieten konnte jedoch auch in der Folge Bibbiena mit der stark barockisierenden und illusio gewahrt werden (darunter diejenigen dei Nobili mit nistischen Ausschmückung der Fassaden, die zum ihren besonders hohen Ansprüchen). Alle anderen Piazzale del Collegio schauten. Häuser des Ordens in diesem geographischen Be- Angesichts der großen Anzahl der von den Jesuiten reich lehnten sich schließlich stark an das Modell der nachgelassenen Archivalien wurde 1991 im Ar- Universität des kirchenstaatlichen Bologna an und chivio di Stato di Parma auf Initiative der Archiv wurden zumindest indirekt durch das Mutterhaus in direktion die Erstellung einer viele hundert Seiten Rom kontrolliert. langen und kommentierten Bestandserfassung Ge- suiti di Parma (Collegio di San Rocco, Collegio dei Nobili, Fidenza, Busseto, Piacenza, usw.) veranlasst. Ein Blick auf die Herzogtümer Sie ist eine lückenlose Auflistung aller auffindbaren Parma und Modena-Reggio Quellen und Urkunden aus drei Archiven, leider maschinschriftlich und unpubliziert. Alte Grund- Ein spezielles Augenmerk sollte darum künftig und Aufrisse der Gebäude des Herzogtums ver- auf die nicht nur strategische und geopolitisch zeichnet im Staats-Archiv ein Inventario analitico
170 FRÜHNEUZEIT-INFO PROJEKTBERICHT der vom Orden vielfach herumgereichte, aus den Abruzzen stammende Giuseppe Valeriano S.J., dann Giorgio Soldati S.J., Giovanni de Rosis S.J. aus Como, der Mantuaner Luca Bienni S.J. und schließlich der ebenfalls am römischen Kolleg ausgebildete Tommaso Blandino S.J. Valeriano war für den Orden auch in Rom und in Genua prägend gewesen, und de Rosis hatte am neapolitanischen Kolleg gewirkt; beide gehören deshalb zu den Hauptfiguren der Architekturgeschichte des Ordens.! Wichtig war die Ausstrahlung von baukünstleri- 1 Ferdinando Galli Bibiena: Decorazione di facciata, wohl aus dem ausgeführten Projekt für das Piazzale schen Innovationen aus eben gerade dieser Region del Collegio dei Nobili (Rom, Gabinetto Nazionale auch für die allgemeine Geschichte des Ordens, nicht dei Disegni e delle Stampe; nach Marinella Pigozzi: nur bei der „Rückeroberung“ der ab 1657 wieder zu- Ferdinando Galli Bibiena: Varie opere di prospettiva. gänglichen Republik Venedig. Eine vorbildliche, in Traduzione e diffusione di modelli e tipologie, in manchen Fällen geradezu zensorische Funktion üb- centri e periferie, in: Il Barocco romano e l’Europa. ten Architekten der Region auch für die Ordenspro- Centri e periferie del barocco: corso internazionale vinz Germania Superior aus. Zu dieser Gruppe di alta cultura, a c. di Marcello Fagiolo and Maria gehörte der oben erwähnte Giuseppe Valeriano, Luisa Madonna, Roma 1992, S. 635–658, Abb. 16). überregionalen Ruhm erlangten jedoch nur Gio vanni Tristano S.J. aus Ferrara, der erste Entwerfer Inv. 54 bis, welches sämtliche Mappe e Disegni der des Collegio Romano, und Orazio Grassi. Architek- für die Forschung sehr interessanten Pläne umfasst: tonische Lebensläufe führten die Ordensarchitekten viele Ordenskirchen nicht nur aus dem Herzogtum, manchmal in sehr weit entfernte Landschaften, wo sondern aus allen Gegenden, die auch nur einen in- sie mitunter auch für die Ordenspropaganda wirken direkten Bezug zur lokalen Architektur und den lo- sollten: So war der Sizilianer Tommaso Blandino kalen Bauten (einschließlich Vergleichsbeispielen) ebenfalls 1612 am römischen Kolleg ausgebildet aufweisen; Zeichnungen aus den Landhäusern bzw. worden, nach seinem Wirken in Parma kehrte er den Erholungsheimen („di vacanze“) für die Patres, wieder zurück nach Süditalien. Viele weitere, deren etwa im Nachbardorf Carona oder in der ehe Laufbahnen eine nähere Untersuchung verdienen maligen Zisterzienser abtei Fontevivo; schließlich sollten, gingen aus den gleichen oberitalienischen Grundrisse, entweder aus dem späteren Kataster Ausbildungsstätten oder Bauhütten hervor. oder in großer Anzahl original aus der Entstehungs- Es ist jedenfalls auch dokumentarisch bezeugt, dass zeit bis zum 18. Jahrhundert. Letztere kommen der insbesondere Ranuccio I. (1569–1622) und seine Erforschung von San Rocco zugute, denn die Patres Nachfolger ein privates Interesse an der Förderung gaben sich nach der Entstehung des Kirchenkollegs des Ordens in ihrer Hauptstadt hatten. Dies belegt um 1607 mit der alten, 1564 entstandenen Kirche eine Handschrift über das Santa-Caterina-Kolleg allmählich nicht mehr zufrieden und veranlassten in der Rara-Sammlung der Palatina-Bibliothek, wie einen prachtvolleren Neubau (definitiv 1737 durch auch die lebhafte Korrespondenz Ranuccios I. und den Architekten Edelberto della Nave). Diese Pläne diejenige seines Neffen Ranuccio II. (1630–1694) mit beginnen im ausgehenden 17. Jahrhundert. dem Haus Habsburg. Die Übernahme Parmas am Die komplexen Zusammenhänge der farnesischen Ausklang der Frühen Neuzeit durch Marie-Louise Gründungen bieten deshalb mitunter für die Ge- von Habsburg-Lothringen bedeutete ab 1815 eine schichte der Ordensarchitektur einmaliges: ein nochmalige und nachdrückliche Förderung dieser hochkarätiges Material, weil in Parma nur erst- Einrichtung. Das Kolleg wurde aus räumlichen klassige (Ordens-)Architekten tätig waren oder Gründen von ihr mit einem anderen Adelskolleg zumindest mit Anregungen mitwirkten. Im Falle fusioniert, womit die Geschichte des ursprünglichen der früheren San-Rocco-Kirche war es zunächst Hauses aber ihr Ende fand.
Paolo Sanvito Oberitalien und der Jesuitenorden FRÜHNEUZEIT-INFO 171 2 Pianta e spaccati di un maneggio, wohl aber Grundriss und Aufriss im Schnitt des Theaters des Collegio dei Nobili, Parma, um 1800 (Archivio di Stato di Parma [Raccolta mappe e disegni], Vol. 11, Nr. 8/a-b-c). Während der Blütezeit von Santa Caterina verfasste den Erweiterungen von 1662 und danach. der seit 1637 am Kolleg tätige Pater Orazio Sme- Es stellt sich die Frage, ob jesuitische Wissenschaftler raldi eine Geschichte der Anfänge und Fortschritte bzw. Lehrer eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Kollegs [bis ca. 1670].2 Smeraldi war zeitweise, neuer Ansätze in der staatlichen Kulturpolitik im ab 1650 bis spätestens 1658, auch Rektor. Eine Allgemeinen einnahmen, auch in nicht kirchenstaat- Verflechtung der Lehre an diesem Kolleg mit der lichen Gebieten – wie es immer wieder zu vermuten herzoglichen Universität war vereinbart: Von den wäre. Die emilianische Verbreitung jesuitischen durchschnittlich 25 Professoren waren ungefähr Gedankengutes wirft diese Frage ein erneutes Mal zehn Jesuitenpatres. Dabei ist zu berücksichtigen, nachdrücklich auf, nachdem ähnliche Fragestellun- dass die Lehre vieler Fächer wie der Medizin nur mit gen bereits auf der Wiener Tagung im Jahre 2000 Laien bewerkstelligt werden konnte.3 unter Berücksichtigung Wiens im Rahmen der For- Dieser Handschrift entnehmen wir unschätzbare schungen von Richard Bösel, Herbert Karner und Informationen über das gesamte Kulturleben im Werner Telesko lebhaft diskutiert wurden.4 Staat Parma. Hervorgehoben seien hier aber die An dieser Stelle empfiehlt es sich auch einen Blick sehr wichtigen Anmerkungen zu Bauarbeiten, auf eine andere emilianische Hauptstadt zu werfen, Erweiterungen und Hinzufügungen ganzer Bau- diejenige der Este. Während die Farnese eine lan- körper am Kolleg, etwa die der beiden Theatersäle, ge historische Verbindung zum Orden aufweisen einer für den Sommer (Abb. 2), ein anderer für den konnten, kann man gleiches von der Familie Este Winter. Beigegeben sind auch zwei präzise und nicht behaupten. Allerdings kann man auch hier größere Bestandspläne der Anlage im Zustand vor einige größere Gründungen anführen, sowohl in
172 FRÜHNEUZEIT-INFO PROJEKTBERICHT noch seinesgleichen sucht (Sign. Campori Ms. 172, Abb. 3–5).5 Offensichtlich dienten die Zeichnungen auch zu Demonstrations- und Übungszwecken bei der Lehre der Baukunst, vielleicht auch zur Diskus- sion von Modellen, weswegen sogar die Urphase von Bramantes Entwurf für Sankt Peter (fol. 27r) vertreten ist. Der ursprüngliche Aufbewahrungs- ort der Handschrift ist unbekannt: jedoch ist eine lokale Provenienz, aus Mangel an weiteren Infor- mationen, naheliegend, blieb wohl der geographi- sche Interessenhorizont des Markgrafen Campori immer relativ begrenzt. Außerdem leistete sich auch Modena, wie Parma, die Lehre der Künste an den Kollegien, wie eine weitere Handschrift, sec. XVIII, aus der gleichen Sammlung Campori nahelegt, die mit der Signatur γ B.2.14. versehen ist. Der gedruckte Katalog der Biblioteca Estense von Lodi und Vandini verzeichnet sie als „23 opuscoli … del dotto gesuita [scil.: Mauro Boni]“ zur „[…] arte del disegno, specie dell’incisione“6 und gibt als Herkunftsort den collegio in Modena an, was bei einem jesuitischen Gelehrten nur die Möglichkeit 3 Jesuitischer Ordensarchitekt: Grundriss des alten der Identifizierung des Ortes mit dem Ordenshaus Sant’Ivo-alla-Sapienza-Komplexes in Rom, Entwurf von 1597, Detail (Modena, Biblioteca Universitaria ed San Bartolomeo zulässt. Estense, Coll. Campori, Ms. 172, fol. 15 r; Foto: Autor). Das Phänomen, dass die emilianischen Provinzen in diesem speziellen Sektor der Architekturgeschichte eine Führungsrolle übernommen haben, darf nicht der Hauptstadt Modena als auch in der kleinen, überraschen. Selbst wenn man von einem früheren untergeordneten Grafschaft von Carpi (Ignatius- längeren Aufenthalt von Leon Battista Alberti in kirche seit 1622; dortige Lehre zeitweise urkundlich Ferrara absieht, ist unübersehbar, dass während des belegt durch die Professoren des parmesanischen Cinquecento und bereits vor dem Tridentinum die Kollegs). Der modenensische Komplex (San Barto nicht religiös verankerte bzw. profane Baukunst in lomeo, mit Kolleg) geht interessanterweise auf den Ferrara und Bologna wesentliche architekturtheo- Architekten Soldati zurück, der bereits an zwei retische Leitbilder hervorgebracht hatte, dank der farnesischen Bauhütten begegnet ist. Eine nähere Persönlichkeit eines Vignola oder eines Aleotti. Untersuchung des Komplexes kann an dieser Stelle Eher zufällig gelangte Vignola zu unübertroffenem nur angekündigt werden. Ruhm, obwohl Aleotti heute als genauso produktiv Vielmehr lohnt ein Besuch der ehemaligen Bücher- und relevant eingeschätzt werden darf. Mit der sammlung der Este. Hier hat der verdienstvolle Expansion der Jesuiten im ausgehenden 16. Jahr- lokale Historiker und Gelehrte Marchese Giuseppe hundert und der Ausbreitung des protestantischen Campori verschiedene architektonische Zeich- Glaubens wurde es immer offensichtlicher, dass nungshefte und Handschriften zur Geschichte die Grenzregionen Italiens nach Norden und nach der Künste und Literatur in den modenensischen Osten in der Kirchenpolitik eine zunehmend unver- Provinzen gesammelt, darunter ein Konvolut von zichtbare Rolle bei den Prioritäten der Verbreitung ungefähr vierzig Architekturzeichnungen von evangelisierender Orden zugewiesen bekamen. disparaten (doch mehrheitlich jesuitischen) Kir- chen und Kollegien aus den unterschiedlichsten italienischen Gebieten, welches in seiner Anmut
Paolo Sanvito Oberitalien und der Jesuitenorden FRÜHNEUZEIT-INFO 173 4 Giuseppe Valeriano: Entwurf für das Jesuitische Kolleg in Cosenza (Kalabrien), um 1597 (Modena/ 5 Giuseppe Valeriano oder Umkreis, Jesuitenkolleg und Campori wie Abb. 3, hier fol. 23r Foto: Autor). Kirche in Catanzaro (Kalabrien), um 1597 (Modena/ Campori wie Abb. 3, hier fol. 20 r; Foto: Autor). Anmerkungen * Der vorliegende Beitrag entstand auf Basis erster 4 Herbert Karner / Werner Telesko (Hg.): Die Jesuiten Untersuchungen im Zusammenhang mit einem in Wien. Zur Kunst- und Kulturgeschichte der öster- weiter ausgreifendenden Forschungsprojekt „Bil- reichischen Ordensprovinz der „Gesellschaft Jesu“ im dende Künste als psychagogische Medien des 17. und 18. Jahrhundert (Österreichische Akademie Jesuitenordens“ (I4706-G) an der Österreichischen der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Kom- Akademie der Wissenschaften in Wien unter der mission für Kunstgeschichte, Bd. 5) Wien, 2003. Siehe Leitung von Herbert Karner. Bei diesem Projekt ist dazu auch den Tagungsbericht von Friedrich Polleroß: der Autor Hauptbearbeiter. Nuestro Modo de Proceder, in: Frühneuzeit-Info 12/1, 1 Zur langjährigen Debatte über eine ordenseigene 2001, S. 93–128. Bezüglich der Provincia veneta siehe Architektur, die sich von zeitgleichen Strömungen die umfassende Studie von Richard Bösel: Episodi absetzt, siehe Richard Bösel: La chiesa di S. Lucia. emergenti dell’architettura gesuitica in Italia, in: La L’invenzione spaziale nel contesto dell’architettura arquitectura jesuítica, Actas del Simposio Internacio gesuitica, in Gian Paolo Brizzi / Giancarlo Angelozzi nal celebrado en Zaragoza del 9 al 11 de diciembre (Hg.): Dall’isola alla città, Bologna: Nuova Alfa Ed. de 2010, hrsg. v. Isabel Álvaro Zamora, Javier Ibáñez 1988, S. 19–31. Fernández u. Jesús Criado Mainar, Zaragoza 2012, 2 De’ principi, e progressi del Collegio de’ Nobili di S. 71–89. Parma eretto dal ser.mo Dvca Ranvccio l’anno MDCI. 5 S. Raimondo Vandini / Luigi Lodi: Catalogo dei codici Racconto disteso dal P. Oratio Smeraldi della Comp.a e degli autografi posseduti dal Marchese Giuseppe di Giesù. Hs, ca. 1670. Parma, Biblioteca Palatina, Ms. Campori: Seconda edizione autorizzata, Modena: Tip. Parm. 561, cc. 63–251. Die Einführungsabschnitte des Domenico Tonietto, 1895, II, S. 123. Die Zuschreibung Textes scheinen mir nicht autographisch von Sme- an de Rosis scheint forciert, selbst wenn eine Datie- raldi zu sein; ein Kopist, der eine bella copia verfasst rung gegen Ende des 16. Jahrhunderts sicher ist. Dies hat, wäre aber auch denkbar, das Exemplar sieht zu auch auf Grundlage des Datums 1597 auf fol. 15r, wo elegant aus. ein Grundriss des alten Sant’Ivo-alla-Sapienza-Kom- 3 AS Pr, Rotoli 1666–1667 Archivio del Comune, Studio, plexes wiedergegeben ist. Die Sammlung Campori Busta 1909, n. nummeriert. Siehe auch aber zur Rolle wird auch erwähnt bei Evonne Levy: Propaganda and der jesuitischen Lehrkraft in Parma Paul F. Grendler: the Jesuit Baroque, Berkeley: University of California The Jesuits and and Italian Universities, 1548–1773, Press, 2004, S. 339 (ohne verbindliche Zuschreibung Washington, D. C.: Catholic University Press, 2017, des Inhalts, nachdem Bösel sie häufig anwendete). S. 177, insbes. „A Jesuit served as a promoter, along- 6 Vandini / Lodi (Anm. 5), II, S. 363. side four non-Jesuit promoters, for a man who ob- tained a doctorate.“ □
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