Der Berner, der die Schweiz durch die Corona-Epidemie führt
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Der Berner, der die Schweiz durch die Corona-Epidemie führt Daniel Koch ist derzeit omnipräsent. Doch wer ist der BAG- Beamte in Anzug und Turnschuhen, und wie schafft er es, in der aktuellen Corona-Krise so ruhig zu bleiben? Benjamin Bitoun Publiziert am 20. März 2020 um 21:35 UhrAktualisiert vor 7 Stunden 91 Daniel Koch, der oberste Bekämpfer der Corona-Epidemie in der Schweiz und die Ruhe in Person. Foto: Alessandro della Valle (Keystone) Er ist das Schweizer Gesicht im Kampf gegen das Coronavirus: Daniel Koch. Tagtäglich informiert der 64-jährige Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) Schweizerinnen und Schweizer über die Ausbreitung des Virus. Er spricht über neueste Infektionszahlen, über Tests und Tote, über verfügbare Intensivbetten und Beatmungsgeräte. Dabei bleibt er immer sachlich, verständlich und absolut professionell auch in seinem Auftritt. Mit unendlicher Geduld beantwortet er souverän an den Medienkonferenzen immer wieder dieselben Fragen. Etwa, warum die Schweiz nicht flächendeckend testet. Koch: «Selbstverständlich würden wir mehr testen, wenn wir mehr Tests hätten.» Oder, warum die Schweiz nicht früher härtere Zwangsmassnahmen ergriffen habe. «Nicht
Massnahmen stoppen das Virus, sondern die Verhaltensänderung der Leute – und diese kann nur freiwillig geschehen», so der Mann in Anzug, Krawatte und Turnschuhen. Eines zeichnet Daniel Koch bei seinen Auftritten stärker aus als alles andere: seine Ruhe. Einem asketischen Meditations-Guru gleich scheint es ihm zu gelingen, den kollektiven Puls der Schweizer Bevölkerung um ein paar Schläge pro Minute auf ein erträgliches, gesünderes Mass zu senken. Im selben, ruhigen Tonfall kann er aber auch direkt in die Kameras betonen: «Es geht jetzt ernsthaft ums Überleben von vielen Leuten.» Seine von Sorgenfalten durchfurchte Stirn deutet dabei an, dass ihm dieser Satz wohl nicht leicht, aber nicht zum ersten Mal in seiner Karriere über die Lippen kommt. «Ich habe in meiner gesamten Karriere niemanden erlebt, der in Krisen- oder Stresssituationen so ruhig bleiben kann wie er.» Thomas Zeltner, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Gesundheit (BAG) Die stoische Ruhe, die Koch bei Fernsehauftritten an den Tag legt: Sie sei nicht aufgesetzt, sagen Kolleginnen und Kollegen über Daniel Koch. Einer von ihnen ist der ehemalige BAG-Direktor Thomas Zeltner. Zeltner leitete das BAG von 1991 bis Ende 2009. Koch sei eine aussergewöhnliche Persönlichkeit, sagt Zeltner. «Ich habe in meiner gesamten Karriere niemanden erlebt, der in ausserordentlichen Krisen- oder Stresssituationen so ruhig bleiben kann wie er.» Stellt sich die Frage: Wie schafft der Mann das? Geprägt von Kriegsleid in Afrika Nach seinem Medizinstudium in Bern arbeitete Koch zunächst einige Jahre als Assistenzarzt. Danach war er während 15 Jahren für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) tätig – und sah sehr viel Schlimmes, wie Koch selbst sagt. Den Bürgerkrieg in Sierra Leone, der von 1991 bis 2002 dauerte, erlebte er als medizinischer Koordinator des IKRK hautnah mit. «Es war ein besonders brutaler Krieg mit ganz üblen Taten. Hände wurden abgehackt, Kindersoldaten instrumentalisiert», sagte Koch gegenüber dem «Blick». Es folgte die Stationierung in Uganda, wo er 1993 Opfer von Massakern medizinisch versorgte. Den Völkermord im Nachbarstaat Ruanda nur ein Jahr später, bei dem radikale Hutu 1994 in einem hundert Tage währenden Blutrausch mehr als 800’000 Menschen ermordeten, erlebte Koch von Südafrika aus. Nach einer Zwischenstation in Peru kehrte der Berner 1997 in die Schweiz zurück und arbeitete zunächst für das IKRK in Genf. 2002 folgte der Wechsel zum BAG, wo er zunächst für den Bereich Impfungen zuständig war. Später wurde er in die Taskforce gegen übertragbare Krankheiten wie Sars und die Vogelgrippe berufen.
Daniel Koch, Lima Ging dorthin, wo es brannte: Daniel Koch als IKRK-Mitarbeiter in Peru. Foto: PD/Wikipedia Seine Ruhe verdanke Daniel Koch zu einem grossen Teil den einschneidenden Erlebnissen als IKRK-Mitarbeiter, glaubt Ex-BAG-Direktor Zeltner. Doch daneben besitze Koch einfach einen «grundsoliden moralischen Kompass» und sei «das Gegenteil eines Showman», sagt der ehemalige Chef über den BAG-Spitzenbeamten. Dieser erwarte stets, dass Entscheide basierend auf Daten und Fakten gefällt würden. «Ob er damit bei Politikern und der Bevölkerung gut ankommt oder nicht, ist Daniel Koch egal.» Das mache ihn zur bestmöglichen Variante eines Staatsdieners. «Vor allem aber zum Glücksfall für diese aktuelle Krise», sagt Zeltner. 18 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche Der Ex-BAG-Direktor hat Koch zuletzt nach dem Ausbruch der Schweinegrippe in einem Ausnahmezustand erlebt und gesehen, was dieser mit seinem nur sechsköpfigen Team zu leisten imstande ist. Er sagt: «Zurzeit arbeiten sie 18 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche – und hatten seit Januar keinen einzigen Tag frei.» Kein Wunder also, dass der Vater zweier erwachsener Töchter und frischgebackene Grossvater im Fernsehen blass und müde wirkt. Doch kein Grund zur Sorge, beruhigt Koch. «Ich schlafe genug. Ich esse genug. Ich war immer schon mager», so der 64-Jährige gegenüber SRF.
Koch lebe für solche Herausforderungen, ergänzt eine Arbeitskollegin. «Er ist wahnsinnig empathisch und mag die Menschen sehr. Darum geht er in dieser jetzigen Aufgabe völlig auf.» Trotzdem könne er sich emotional gut distanzieren und in seiner spärlichen Freizeit gut abschalten, so die Kollegin weiter. «Man kann sich auf das Tragen von Verantwortung nicht vorbereiten. Man kann sie einfach tragen.» Daniel Koch Dies gelingt dem Hundeliebhaber auch dank seinem Hobby: seinen beiden Boxerhündinnen. Mit ihnen nimmt der Ausdauersportler an Geländerennen teil, vor knapp vier Jahren gewann er gar den Europameistertitel. Topfit sei er, der Koch, heisst es bei seinem Hundeclub, dem Boxerclub Bern. Die 20-km-Ausdauerprüfung habe er locker unter 100 Minuten gerannt. «Er war schneller als mancher auf dem Velo», so der Vizepräsident des Clubs. Corona-Mission zum Abschluss Und nun also das Coronavirus – es ist vermutlich die letzte grosse Mission in Daniel Kochs Karriere. Dabei feiert er am 13. April seinen 65. Geburtstag und wollte eigentlich in Pension gehen. Nun dürfte das Virus den Zeitpunkt bestimmen, wann der oberste Schweizer Corona-Bekämpfer abtreten kann und ein Nachfolger bereit ist, an seiner statt die Verantwortung zu übernehmen. Obwohl: Darauf angesprochen, ob man sich auf das Tragen einer derartigen Verantwortung wie im aktuellen Fall der Corona-Krise überhaupt vorbereiten könne, sagte Daniel Koch gegenüber Fernsehen SRF: «Ich glaube nicht. Man kann sie einfach tragen.» Genau das tut er.
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