Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungs-gerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen
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www.jusletter.ch Prof. Dr. Thomas Cottier / Prof. Dr. René Matteotti Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungs- gerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen Erste Einschätzung und Auswirkungen Das Bundesverwaltungsgericht legt das UBS-Amtshilfeabkommen in einer umstrittenen Ent- scheidung eng aus und verbietet damit die Auslieferung von Bankdaten bei Verdacht schwe- rer Steuerhinterziehung in den USA an die amerikanischen Behörden. Die enge Auslegung verkennt den besonderen Kontext des Abkommens, seinen Spielraum in der Interpretation von Betrugsdelikten und dergleichen (tax fraud or the like) und den Vorrang des Völkerrechts gegenüber einer bisher restriktiven Praxis der Bundesbehörden. Rechtsgebiet(e): Völkerrecht; Übriges Verfassungsrecht; Steuerrecht Zitiervorschlag: Thomas Cottier / René Matteotti, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen, in: Jusletter 8. März 2010 ISSN 1424-7410, www.jusletter.ch, Weblaw AG, info@weblaw.ch, T +41 31 380 57 77
Thomas Cottier / René Matteotti, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen, in: Jusletter 8. März 2010 Inhaltsübersicht Schweiz und missachtet verfassungsrechtliche Grundlagen I. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache X. c. Eidg. Steuerverwaltung zum Staatsvertragsrecht. Es ist rechtskräftig und muss re- vom 22. Januar 2010 spektiert werden. Eine kritische Beurteilung ist indessen für II. Völkerrechtliche, verfassungsrechtliche und methodische Defizite das weitere Vorgehen von Bedeutung. III. Mögliche Vertragsanpassung und Genehmigung durch das Parlament I. Das Urteil des Bundesverwaltungsge- II. Völkerrechtliche, verfassungsrecht- richts in der Sache X. c. Eidg. Steuer- liche und methodische Defizite verwaltung vom 22. Januar 2010 [Rz 4] Vorerst ist auffallend, dass das Gericht nicht auf die besonderen Umstände des UBS-Amtshilfeabkommens ein- [Rz 1] Das mit Spannung erwartete erste Urteil des Bundes- geht. Ziel und Zweck des Abkommens und seine operativen verwaltungsgerichts zum Amtshilfeabkommen zwischen der Bestimmungen bleiben weitgehend ausgeklammert. Der Schweiz und den USA vom 19. August 2009 (UBS-Amtshil- aussenpolitische Kontext der Vertragsverhandlung wird als feabkommen) legt sich quer zum eingeschlagenen Weg im irrelevant beurteilt. Dabei ist offensichtlich, dass es nicht um Steuerstreit. In der Sache X. c. Eidg. Steuerverwaltung vom eine übliche Verständigungsvereinbarung geht. Der enge 22. Januar 2010 (BVGE A-7789/2009) wird eine Beschwerde Zeitplan und die damit verbundene Notwendigkeit direkter vom 14. Dezember 2009 gegen die am 17. November 2009 Umsetzung können nicht unberücksichtigt bleiben. Das UBS- verfügte Herausgabe von Akten wegen Verdachts schwerer Amtshilfeabkommen kann daher nicht allein unter Rekurs auf und fortgesetzter Steuerhinterziehung gutgeheissen. Das die vor seinem Inkrafttreten bestandene Rechtslage beurteilt Gericht blockiert damit in wichtigen Punkten die Umsetzung werden. Vielmehr liegt ein Abkommen vor, das Teil einer Ver- des UBS-Amtshilfeabkommens. Offensichtlich von langer gleichsverhandlung in einem laufenden Streitfall ist. Es hat Hand vorbereitet, geht die umfangreiche und komplexe Ent- selbständige Bedeutung und muss als solches nach Treu scheidung auf völkerrechtliche und steuerrechtliche Grund- und Glauben auch völkerrechtlich berücksichtigt und zum lagen ein. Das Gericht stützt sich dabei massgeblich auf Tragen gebracht werden. Unverständlich ist die Auffassung, die Rechtslage, wie sie vor dem Zeitpunkt des Abschlusses dass das UBS-Amtshilfeabkommen sogar nach dem Willen des UBS-Amtshilfeabkommens bestanden hat. Das UBS- der Parteien nicht über die bisherige restriktive Auslegungs- Amtshilfeabkommen selbst tritt in der Begründung erst spät praxis der schweizerischen Steuerbehörden zu «tax fraud or auf den Plan. Eine selbständige Bedeutung wird ihm abge- the like» hinausgehen solle. sprochen. Es sei lediglich eine für das Gericht unverbindli- che Auslegungshilfe für das Doppelbesteuerungsabkommen [Rz 5] Methodisch vermischt das Gericht in Anlehnung an von 1996 (DBA USA 1996). Soweit es über das bestehende das von ihm zitierte steuerrechtliche Schrifttum die Frage der Doppelbesteuerungsabkommen hinausgehe, komme es in- völkerrechtlichen Geltung mit der innerstaatlichen Anwen- nerstaatlich nicht zur Anwendung. Das treffe vorliegend zu. dung. Es folgt der Auffassung, wonach eine Verständigungs- Die Schlüsselformulierung «Betrugsdelikte und dergleichen» vereinbarung das bestehende Abkommen weder erweitern (tax fraud or the like) wird restriktiv ausgelegt. Das Gericht noch abändern darf. Die etwas differenziertere Stellungnah- stellt sich auf den Standpunkt, dass betrügerisches oder täu- me des OECD-Kommentars, wonach die zuständigen Be- schendes Verhalten vorliegen müsse, und selbst schwere hörden «die Definition von Ausdrücken, die im Abkommen und wiederholte Steuerhinterziehung für die Amtshilfe an die unvollständig oder nicht eindeutig definiert sind, ergänzen USA nicht in Betracht fallen könne. oder klarstellen können, um etwaigen Schwierigkeiten vor- zubeugen» (OECD-Kommentar, Ziff. 34 zu Art. 25), wird vom [Rz 2] In ersten Reaktionen wurde das Urteil zum Nennwert Bundesverwaltungsgericht ignoriert. genommen, weitum als Sieg der Rechtstaatlichkeit und als weitere aussenpolitische Schlappe des Bundesrates be- [Rz 6] Völkerrechtlich, verfassungsrechtlich und methodisch urteilt. Einmal mehr habe das Bundesverwaltungsgericht hält das Urteil aus folgenden Gründen nicht stand: zum Rechten geschaut und die Privatsphäre geschützt. Bei [Rz 7] Das DBA USA 1996 ist in deutscher und englischer näherer Beurteilung vermag das Urteil indessen nicht zu Sprache abgeschlossen worden. Gemäss Art. 33 Abs. 1 überzeugen. VRK sind bei mehrsprachigen Verträgen die verschiedenen [Rz 3] In seinen allgemeinen Ausführungen betont das Ge- sprachlichen Fassungen in gleicher Weise verbindlich. Dabei richt die Grundsätze der Vertragstreue (Pacta sunt servan- wird vermutet, dass die Ausdrücke des Vertrags in jedem au- da), des Vorranges des Völkerrechts, der unmittelbaren thentischen Text dieselbe Bedeutung haben (Art. 33 Abs. 3 Anwendung von Staatsverträgen (Monismus), von Treu und VRK). Wenn ein Vergleich der authentischen Texte einen Be- Glauben und dem Verbot widersprüchlichen Handelns. Im deutungsunterschied aufdeckt, welcher nicht durch die An- praktischen Ergebnis wird diesen Grundsätzen in den Urteil- wendung der in Art. 31 und 32 VRK erwähnten Auslegungs- serwägungen jedoch nicht hinreichend Rechnung getragen. mittel ausgeräumt werden kann, ist diejenige Auslegung zu Das Urteil verstösst gegen völkerrechtliche Pflichten der 2
Thomas Cottier / René Matteotti, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen, in: Jusletter 8. März 2010 wählen, die die Texte am besten miteinander in Einklang verwendeten Begriff «Betrugsdelikte» oder auf die gesamte bringt (Art. 33 Abs. 4 VRK). Formulierung «Betrugsdelikte und dergleichen» bezieht. Der deutsche Vertragstext gibt hierzu keine klare Antwort. Nichts- [Rz 8] Das UBS-Amtshilfeabkommen legt materiell die im destotrotz stellt das Bundesverwaltungsgericht apodiktisch Doppelbesteuerungsrecht mit den USA verankerte Formu- fest, die Umschreibung des Abgabebetrugs gemäss Proto- lierung «tax fraud or the like» für den vorliegenden Streitfall koll definiere die Formulierung «Betrugsdelikte und derglei- der UBS mit den US-Behörden aus. Es geht über die bishe- chen» gemäss DBA USA 1996 abschliessend. Entsprechend rige Zurückhaltung der schweizerischen Praxis hinaus. Die weist es dem Zusatz «und dergleichen» keine eigenständige Streitfrage wurde dahingehend gelöst, dass «or the like» sich Bedeutung zu, mit der Folge, dass die schwere, fortgesetz- auf vergleichbare, aber eben nicht nur betrügerische Tatbe- te Steuerhinterziehung gemäss UBS-Amtshilfeabkommen stände bezieht. Gerade die Lockerung der bisherigen Praxis als nicht amtshilfefähig bezeichnet wird. Das Gericht folgt entspricht Ziel und Zweck des Vertrages und war notwendige damit unkritisch einer in der Literatur vertretenen Meinung, Voraussetzung einer Verständigung im Streitfall. Den Staaten ohne sich vertieft mit den gegenteiligen Auffassungen aus- ist es völkerrechtlich unbenommen, dies zu tun. Wesentlich einanderzusetzen. Es blendet aus, dass das Protokoll ge- ist, dass sich die neue Definition im Rahmen des bestehen- mäss Wortlaut eben gerade nicht «Betrugsdelikte und der- den Staatsvertragsrechts zur Doppelbesteuerung mit den gleichen», sondern den Abgabebetrug definiert und die als USA bewegt. Die im UBS-Amtshilfeabkommen geregelten Abgabebetrug definierten Tatbestände sich ohne Weiteres Tatbestände lassen sich ohne Mühe als Konkretisierung von als Konkretisierung des Begriffs «Betrugsdelikte» verstehen «tax fraud or the like» verstehen. lassen. [Rz 9] Die deutsche Fassung des DBA USA 1996 bezeichnet [Rz 11] Die ebenfalls massgebende englische Version des «Betrugsdelikte und dergleichen» als amtshilfefähige Steuer- DBA USA 1996 bezeichnet «tax fraud or the like» als amts- delikte. Ziff. 10 des zum DBA USA 1996 gehörenden Proto- hilfefähige Steuerdelikte. Sie offenbart mit aller Deutlichkeit, kolls hält zu Art. 26 DBA USA 1996 Folgendes fest: dass das Protokoll keine abschliessende Definition der For- «Es besteht Einvernehmen darüber, dass der Aus- mulierung «Betrugsdelikte und dergleichen» enthält. Ziff. 10 druck «Abgabebetrug» ein betrügerisches Verhalten der englischen Fassung des zum DBA USA 1996 gehören- bedeutet, welches eine gesetzwidrige und wesentliche den Protokolls definiert nämlich nur den Begriff «tax fraud» Herabsetzung des Betrags der einem Vertragsstaat und fasst darunter diejenigen Tatbestände, welche im deut- geschuldeten Steuer bewirkt oder bezweckt. Ein be- schen Protokolltext als «Abgabebetrug» bezeichnet werden. trügerisches Verhalten wird angenommen, wenn ein Daraus erhellt, dass «tax fraud» «Betrugsdelikte» gemäss Steuerpflichtiger sich zum Zwecke der Täuschung der DBA USA 1996 bzw. «Abgabebetrug» gemäss Ziff. 10 Proto- Steuerbehörden einer falschen oder gefälschten Ur- koll meint und der unbestimmte Begriff «und dergleichen» (or kunde (beispielsweise einer doppelt geführten Buch- the like) im Protokoll nicht interpretiert worden ist. Das DBA haltung, einer gefälschten Rechnung, einer inhaltlich USA 1996 und das dazugehörige Protokoll enthalten damit unrichtigen Bilanz oder Gewinn- und Verlustrechnung, entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts einer fiktiven Bestellung oder allgemein eines gefälsch- keine abschliessende Definition von «tax fraud or the like». ten Beweismittels) oder eines Lügengebäudes bedient [Rz 12] Aus dem englischen und deutschen Abkommenstext oder zu bedienen beabsichtigt. Die vorstehende Auf- ergeben sich somit folgende Schlussfolgerungen: 1. Amts- zählung ist beispielhaft und nicht abschliessend. Der hilfe ist nicht nur bei «Steuerbetrug», sondern bereits bei Ausdruck «Abgabebetrug» kann auch Handlungen ein- «Abgabebetrug» zu leisten; 2. Amtshilfe ist aber auch bei schliessen, die im Zeitpunkt, in dem ein Gesuch gestellt Vorliegen eines Verdachts auf ein Steuerdelikt zu gewäh- wird, als betrügerisches Verhalten gelten, für das der ren, welches unter den unbestimmten Begriff «the like» bzw. ersuchte Vertragsstaat nach seinem Recht oder seiner «dergleichen» subsumiert werden kann. Verwaltungspraxis Auskünfte beschaffen kann». [Rz 13] Wenn der Abkommenstext aufgrund des Zusatzes [Rz 10] Abgabebetrug im Sinne des DBA USA 1996 umfasst «or the like» bzw. «und dergleichen» über den in Ziff. 10 des somit sowohl den Tatbestand des Steuerbetrugs nach Art. 186 Protokolls definierten Abgabebetrug hinausgeht, greift er lo- DBG, bei welchem gefälschte, verfälschte oder inhaltlich gischerweise in den Bereich der Steuerhinterziehung hinein. unwahre Urkunden zum Zwecke einer Steuerhinterziehung Aufgrund der offenen Formulierung des Abkommenstextes verwendet werden, als auch den Tatbestand des landes- ist es nun eine Wertungsfrage, wo die Grenze des amtshil- rechtlichen Abgabebetrugs nach Art. 14 VStrR, bei welchem fefähigen Bereichs genau zu ziehen ist. Eine Schranke setzt die Steuerbehörde durch Vorspiegelung oder Unterdrückung Art. 26 Abs. 1 DBA USA 1996 insofern, als nur die gemäss von Tatsachen zum Zwecke der Steuerhinterziehung arglis- den Steuergesetzgebungen der beiden Staaten erhältlichen tig irregeführt wird. Bei dieser textlichen Ausgangslage stellt Auskünfte auszutauschen sind. Da das Bankgeheimnis nach sich die Frage, ob die im Protokoll vorgenommene Definition Landesrecht bei Steuerhinterziehungen nur durchbrochen des Abgabebetrugs sich bloss auf den im DBA USA 1996 werden kann, wenn es als schwere Steuerwiderhandlung im 3
Thomas Cottier / René Matteotti, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen, in: Jusletter 8. März 2010 Sinne von Art. 190 DBG qualifiziert, muss auch die Amtshilfe Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages bemisst sich unter dem Titel «tax fraud or the like» auf schwere Steuerde- ausserdem nicht nach seiner Vereinbarkeit mit dem inner- likte beschränkt sein. Darunter fällt nach Art. 190 Abs. 2 DBG staatlichen Recht, sondern nach der Frage, ob seine Bestim- insbesondere die fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuer- mungen hinreichend bestimmt und damit justiziabel sind. beträge. Die im UBS-Amtshilfeabkommen enthaltenen Kri- Das ist in Bezug auf das UBS-Amtshilfeabkommen klar der terien zur Bestimmung von «tax fraud or the like» bewegen Fall. Die Bestimmungen des Annexes zum Abkommen eig- sich damit innerhalb des DBA USA 1996. Mit dem Abschluss nen sich zur unmittelbaren Anwendung und sind mit dem im des UBS-Amtshilfeabkommens haben die Exekutivbehörden Vertrag gewählten Fahrplan auch dazu eigens bestimmt. Es der beiden Vertragsstaaten den Interpretationsspielraum des stand dem Gericht nicht zu, die Anwendung unter Rekurs DBA USA 1996 somit kompetenzgemäss ausgefüllt, als sie auf die bisherige schweizerische Rechtslage zu verweigern. die fortgesetzte und schwere Steuerhinterziehung als amts- Dazu kommt, dass die schwere Steuerhinterziehung auch im hilfefähige Steuerdelikte bezeichnet haben. schweizerischen Recht zur Aufhebung des Bankkundenge- heimnisses führt. [Rz 14] Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 5. März 2009 den vergleichbaren Unrechtsgehalt von [Rz 17] Das Bundesverwaltungsgericht hat wie jedes Organ Betrug und schwerer Steuerhinterziehung sogar selber aner- des Staates dafür zu sorgen, dass die Schweiz ihre völker- kannt. «Nach rein schweizerischem Verständnis», so führte rechtlich eingegangenen Verpflichtungen erfüllen kann. Es das Gericht damals aus, «können unter Umständen durch- ist an den Grundsatz der Vertragstreue gebunden und muss aus auch Steuerhinterziehungen den gleichen Unrechtsge- eine Anwendung und Auslegung wählen, die mit dem ge- halt wie ein Abgabebetrug haben, nämlich dann, wenn sie samten Völkerrecht so weit wie möglich in Einklang gebracht insbesondere die fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuer- werden kann (Art. 26 und Art. 31 Abs. 3 Bst. c VRK sowie beträge betreffen. Dies zeigt sich daran, dass unter diesen Art. 5 Abs. 4 und Art 190 BV). Diesem Grundsatz kommt Umständen (…) das Bankkundengeheimnis (auch innerstaat- das Gericht mit seiner dem courant normal verpflichteten Ar- lich) nicht greift». Diese gerichtlichen Erwägungen waren in gumentation nicht nach. Das Urteil bringt ein für komplexe den Verhandlungen mit den USA von grosser Bedeutung. aussenpolitische Konstellationen fehlendes Sensorium zum Das Gericht nimmt diese Auffassung nunmehr zurück und Ausdruck. Es beschneidet nicht nur in unzulässigerweise die handelt damit widersprüchlich. Kompetenz des Bundesrates, die Formulierung «tax fraud or the like» staatsvertraglich auszulegen, sondern verstösst [Rz 15] Wie das Bundesverwaltungsgericht bei dieser Aus- gleichzeitig gegen den Grundsatz der Massgeblichkeit des gangslage apodiktisch zum Schluss kommen konnte, die Völkerrechts. Vertragsparteien hätten den Begriff «Betrugsdelikte und der- gleichen» im Protokoll abschliessend definiert, bleibt unklar. [Rz 18] Den USA werden die Schwächen des Urteils nicht Die gerichtliche Schlussfolgerung, dass das UBS-Amtshilfe- verborgen bleiben. Sie werden bei allem Respekt für die Ge- abkommen über den Text des Doppelbesteuerungsabkom- waltenteilung auf die völkerrechtliche Umsetzung und Durch- mens hinausgehe und daher nicht Anwendung finden könne, führung des Abkommens nach Treu und Glauben drängen. lässt sich bei einer sorgfältigen Analyse des zweisprachi- Das Abkommen nun gestützt auf ein zweifelhaftes Gerichts- gen Vertragstextes jedenfalls nicht aufrechterhalten. Es er- urteil fallen zu lassen, kann nicht in Frage kommen. Das wei- staunt, wie ein schweizerisches Gericht, dem der Umgang tere Vorgehen muss diesen Kontext berücksichtigen und den mit mehrsprachigen Gesetzestexten nicht fremd sein kann, UBS-Fall weiterhin im Rahmen des Abkommens als Sonder- grundlegende methodische Kenntnisse bei der Auslegung fall behandeln. eines mehrsprachigen Vertrages vermissen lässt. Indem das Gericht den englischen Vertragstext ignorierte, verletzte es Art. 33 VRK. III. Mögliche Vertragsanpassung und [Rz 16] Im Übrigen schlägt die Argumentation, das UBS- Genehmigung durch das Parlament Amtshilfeabkommen gehe über die bisherige Rechtsauffas- [Rz 19] Gemäss Art. 3 und 5 des UBS-Amtshilfeabkommens sung der Schweiz hinaus und könne daher nicht Anwendung hat die Schweiz zur Umsetzung des Abkommens Zeit bis am finden, fehl. Die im UBS-Amtshilfeabkommen vorgenom- 26. August 2010 (360 Tage nach Unterzeichung). Zeichnen mene Interpretation der Formulierung «Betrugsdelikte und sich Schwierigkeiten ab, finden Konsultationen und Verhand- dergleichen» geht zugegebenermassen über die bisheri- lungen statt, welche gemäss Art. 9 auch die Möglichkeit der ge Zurückhaltung der schweizerischen Praxis hinaus. Sie Anpassung des Abkommens umfassen. Man wird klären bewegt sich aber − und dies ist entscheidend − innerhalb müssen, wie viele der insgesamt erwarteten 4450 Konten des möglichen Wort- und Normsinns von Art. 26 DBA USA vom vorliegenden Präjudiz nach Durchführung des freiwilli- 1996. Aufgrund der weiten Formulierung im Doppelbesteu- gen Meldeverfahrens (voluntary compliance) und der rechts- erungsabkommen konnten die Steuerpflichtigen nach Treu kräftigen Verfügungen bereits vorliegen. Die USA haben sich und Glauben nicht auf die bisherige restriktive Praxis der verpflichtet, die Klage gegen die UBS in den USA endgültig schweizerischen Steuerbehörden vertrauen. Die Frage der 4
Thomas Cottier / René Matteotti, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum UBS-Amtshilfeabkommen, in: Jusletter 8. März 2010 zurückzuziehen, wenn sie bis am 24. August 2010 Auskünf- te von über 10'000 nicht offengelegten Konten der UBS AG erhalten haben werden. Zeichnet sich auf Grund des Ur- teils ernsthaft eine Nichteinhaltung seitens der Schweiz ab, müssen die im Vertrag vorgesehenen Konsultationen und Anpassungsverhandlungen rasch an die Hand genommen werden. [Rz 20] Das Urteil impliziert, dass das UBS-Amtshilfeabkom- men nicht allein auf der Grundlage von Art. 25 und 26 des DBA USA 1996 standhält. Das UBS-Amtshilfeabkommen muss in Folge des Urteils seitens der Schweiz zusätzlich auf eine vom DBA 1996 unabhängige, explizite verfassungs- rechtliche Grundlage gestellt werden und somit als selbstän- diger vom Bundesrat gestützt auf Art. 101 und 184 Abs. 2 BV abgeschlossener Staatsvertrag ausgestaltet werden. Dies kann in Form eines den Vertrag ergänzenden Protokolls geschehen. Angesichts des Zeitdrucks empfiehlt es sich, den so angepassten Vertrag vorläufig anzuwenden und das Abänderungsprotokoll dem Verfahren der nachträglichen Genehmigung durch das Parlament gestützt auf Art. 7b des Regierungs- und Organisationsverwaltungsgesetzes (SR 172.010) zu unterstellen. Da der Vertrag zeitlich beschränkt ist, sich auf die Bewältigung eines Einzelfalles bezieht und in Bezug auf die Konkretisierung von «tax fraud or the like» nicht eigentlich rechtsetzender Natur ist, unterliegt das Proto- koll bei einer strikt rechtlichen Betrachtungsweise nicht dem fakultativen Referendum. Dazu kommt, dass er bei Unterstel- lung unter das Referendum zeitlich nicht rechtzeitig erfüllt werden kann und die Schweiz mit entsprechenden Gegen- massnahmen rechnen müsste. Mit der vorgeschlagenen Lö- sung besteht die Möglichkeit, vor dem Vollzug von rechts- kräftigen Verfügungen und der Auslieferung der Daten an die USA die Zustimmung des Parlamentes einzuholen. Auf diese Weise kann der Vertrag dem Urteil des Verwaltungsgerichts gerecht und gleichwohl rechtzeitig bis zum 26. August 2010 erfüllt werden. Die Autoren sind ordentliche Professoren am Departement für Wirtschaftsrecht der Universität Bern und haben als un- abhängige Gutachter im November 2009 zum UBS-Amtshil- feabkommen Stellung genommen (Das Abkommen über ein Amtshilfegesuch zwischen der Schweizerischen Eidgenos- senschaft und den Vereinigten Staaten vom 19. August 2009: Grundlagen und innerstaatliche Anwendbarkeit; Archiv für Schweizerisches Abgaberecht 78 (2009), S. 349-392). Eine Kurzfassung des vorliegenden Textes erschien unter dem Titel Rückwärtsgewandtes Bundesverwaltungsgericht in der NZZ vom 26. Januar 2010, S. 21. * * * 5
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