Der sogenannte Ehrenmord - Zwischen Diskriminierung und Partizipation - Migration und Integration aus nationaler und internationaler Perspektive ...

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Der sogenannte Ehrenmord

Zwischen Diskriminierung und Partizipation – Migration und
Integration aus nationaler und internationaler Perspektive
Volker Kaufmann
22.05.2017
Referat von Sarah Löfflath und Charlotte Häußler
Gliederung
•   Vorkommen
•   Der Begriff „Ehre“
•   Gründe
•   Ausführung des Ehrenmordes
•   Einfluss der Geschlechterrollen auf die Entwicklung zu Opfern und Tätern
•   Zahlen und Fakten
•   Strafrechtliche Ahndung in Deutschland und in der Türkei
•   Schutz- und Hilfsmöglichkeiten für Betroffene
•   Diskussion
Vorkommen

Östlicher Teil der Türkei           Kosovo
Jordanien                           Mexiko
Syrien                              Ecuador
Pakistan                            Brasilien
Indien                              Ostafrika
Bangladesch                         Malaysia
Iran                                Papua-Neuguinea
Irak                                Kambodscha
Israel/Palästina                    Schweiz
Libanon                             Italien
Äthiopien                           Deutschland
Der Begriff „Ehre“
„Allgemeine“ Ehre
•   (arab. sharaf)
•   Personen, die stark und mutig, gastfreundlich, großzügig und hilfsbereit sind
 tragfähige Säule der Gesellschaft
•   Verminderung der Ehre: durch gesellschaftlich unangemessenes Verhalten
•   Vermehrung der Ehre: durch Großzügigkeit und der Gemeinschaft förderliches
    Verhalten

•   (türk. saygi)
•   die Achtung, die jüngere Personen den älteren Personen entgegenbringen oder Kinder
    den Eltern
•   respektvolles Verhalten, insbesondere dem Vater gegenüber gemeint
Ehre, die einen sogenannten Ehrenmord zur Folge haben kann
•   (arab. ´ird, türk. namus)
•   sexuelle Reinheit und Unbescholtenheit der Frauen einer Familie
•   von dieser hängt die Ehre einer ganzen Sippe ab
•   Ehre in Bezug auf das Verhalten der Geschlechter zueinander

Bedeutung für Frauen:
•   sie sollen den Kontakt zu nichtverwandten Männern außerhalb der Familie so gut es geht vermeiden

•   Dort, wo sich der Kontakt nicht vermeiden lässt, müssen Frauen Zurückhaltung zeigen, das heißt, sie
    müssen sich zum Beispiel angemessen kleiden (sich bedecken), niemandem direkt in die Augen schauen,
    unnötige Worte vermeiden und auch durch ihre Körperhaltung äußerste Zurückhaltung wahren

 Im Konfliktfall wird diese Ehre als wichtiger betrachtet als ein Menschenleben.
Grund: Niemand kann ohne diese Ehre in der tribal geprägten Gesellschaftsstruktur leben.
Gründe für einen sogenannten Ehrenmord

 Zu  einem Ehrenmord kann es kommen, wenn die Familie
eines Mädchens oder einer Frau glaubt, dass sie die Grenzen
des gesellschaftlich anerkannten Verhaltens überschritten hat,
ihren guten Ruf gefährdet oder zerstört hat und damit die Ehre
der Familie in den Schmutz gezogen hat.
   Verlust der Jungfräulichkeit
 Blick oder Gesprächskontakt mit einem Mann außerhalb der eigenen Familie
   Vermutungen oder Gerüchte können ausreichen, um eine Frau in Verruf zu bringen
 die Weigerung einer Frau, den Ehekandidaten zu heiraten, der ihr versprochen wurde
 Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben oder das Durchsetzen der eigenen Meinung
 Trennung oder Scheidung von ihrem Mann
 Uneheliche Schwangerschaften – wenn Kind zur Welt gebracht wird, wird es ebenfalls getöte
 wenn die Frau Opfer einer Vergewaltigung wurde
 wirtschaftliche Gründe (hauptsächlich in Pakistan)

 sehr  selten werden auch Männer zu Opfern eines sogenannten Ehrenmordes:
    wenn ihre Homosexualität öffentlich bekannt geworden ist
Die Ausführung der „Tat“

 Familienrat beschließt, was zu tun ist
 in leichteren Fällen wird das Mädchen oder die Frau von der Schule genommen,
eingesperrt, geschlagen oder in einer anderen Stadt ohne Mitspracherecht verheiratet
 in schweren Fällen beschließt die Familie den Tod des Mädchens oder der Frau, diese
wird aber nicht davon unterrichtet
 sie wird eines Tages oder Nachts erschossen, erwürgt, erstochen, erschlagen,
gesteinigt, verbrannt, vor ein Auto gestoßen oder von einer Brücke hinabgestürzt
 in Bangladesch sind Säureattentate auf Frauen sehr verbreitet, in Indien sind es
Verbrennungen, die den Frauen zugefügt werden und als Unfälle in der Küche getarnt
werden - auch diese Taten werden aus Gründen der Ehre begangen
 sogenannter Ehrenmord kann sofort begangen werden oder auch erst Monate oder
sogar Jahre nach dem „Vergehen“ der Frau
 geschieht nicht im Affekt, sondern wird vorsätzlich geplant und geheim gehalten  ist
gewissermaßen eine Hinrichtung
Einfluss der Geschlechterrollen auf die
  Entwicklung zu Opfern und Tätern
Die Opfer:
•   Opfer werden hauptsächlich Frauen und Mädchen jeden Alters
•   Risiko steigt mit der Pubertät
•   „typische“ Opfer sind unverheiratete junge Frauen, deren Verhalten gegen
    die Norm der sexuellen Reinheit verstößt & untreue/scheidungsbereite
    Ehefrauen
•   Tod der Opfer wird nach der Beerdigung oftmals nicht weiter betrauert
•   nach einem Überleben eines Mordversuches kommt es meist zu weiteren
    Übergriffen und Tötungsversuchen
•   auch männliche Opfer aufgrund von Ehrverstößen (bspw. außereheliche
    Beziehungen & Homosexualität)
Die konservative Rolle der Frauen:
•   Geringe Bedeutung von Begabungen, Persönlichkeit, Interessen &
    Bildung
•   Frauen werden auf ehrenhaftes Verhalten, ihren (guten) Ruf & ihre
    Sexualität reduziert
•   diese Aspekte werden von der Gesellschaft als bedrohlich betrachtet
•   durch unangebrachtes/ „unehrenhaftes“ (sexuelles) Verhalten wird
    Schaden für Familie & Gesellschaft angerichtet
Die Täter:
•   größtenteils männliche Verwandte einer Frau (Väter, Brüder, Verlobte,
    Ehemänner, Cousins & Onkel der Frauen)
•   nach dem Bekanntwerden einer Ehrverletzung wird die Tat durch einen
    Familienrat beschlossen, wodurch auch Frauen an der Tatplanung beteiligt
    sind
•   ältere Frauen & Mütter haben die Aufgabe, über die Moral jüngerer Frauen
    zu wachen
•   ausführender Täter wird durch den Familienrat bestimmt (häufig
    minderjähriges Familienmitglied)
Der sogenannte Ehrenmord aus Sicht der Täter
•   Umfeld erwartet die Wiederherstellung der Familienehre durch Tötung der Frau
 enormer    Druck für die auserwählten Täter
•   bei Nicht-Begehen der Tat
 eventueller gesellschaftlicher Ausschluss des Täters und seiner Familie
•   Täter werden in diese spezielle Lage und Position gebracht:

•   durch: die ihnen kulturell zugeschriebene Geschlechterrolle

            starke Einbindung in Familien-& Sozialstrukturen
•   oftmals kaum persönliche Meinungs- und Handlungsmöglichkeit
•   in Rolle des Rächers der Familienehre gedrängt
•   Opfer der Traditionen, kulturellen Normen- und Wertvorstellungen, Kollektiv
Zahlen und Fakten
Weltweites Ausmaß:
•   keine offizielle Kriminalstatistiken & hohe Dunkelziffer
•   es kann keine genaue und verlässliche Aussage über das tatsächliche,
    weltweite Ausmaß getroffen werden
•   jährlich werden ca. 5.000 Mädchen und Frauen Opfer sogenannter
    Ehrenmorde (Schätzung der Vereinten Nationen)

Vorkommen und Häufigkeit in Deutschland:
•   unzureichende kriminalstatistische Erfassung/keine gesonderten Statistiken
•   zwei bundesweite Sonderauswertungen zu dieser Thematik:
•   durch die anonyme Schutz- und Kriseneinrichtung „Papatya“ & das deutsche
    Bundeskriminalamt
•   Materialsammlung beider Institutionen der polizeilich bekannten Fälle von
    1996-2009
Die strafrechtliche Ahndung der
  sogenannten „Ehrenmorde“
  Der Begriff „Ehre“ im deutschen und türkischen Gesetz

            http://www.pc-magazin.de/ratgeber/cloud-und-das-deutsche-recht-1215847.html
Rechtliche Lage und Ahndung in der
Türkei
•   Strafrechtsreform & Verabschiedung eines moderneren
    Strafgesetzbuches im Jahr 2005
•   Verschärfung des Strafmaßes für Täter durch Aufnahme des Merkmals
    der „vorsätzlichen Tötung mit Traditionsmotiv“
•   den Täter erwartet eine erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe im
    Rahmen eines strengen Sicherheitssystems
•   minderjährige Täter werden nach dem türkischen Jugendstrafrecht
    bestraft: die erschwerte lebenslange Haftstrafe wird auf eine
    Freiheitsstrafe von 12-15 Jahren herabgesetzt
•   Gesetzbuch sieht dennoch eine mildere Bestrafung für eine infolge
    unerlaubter Provokation begangene Tat vor
Art. 29 TCK:
„Wer eine Straftat unter dem Eindruck einer Zorn oder heftiges Leid auslösenden unerlaubten Handlung
begeht, wird anstelle von erschwerter lebenslanger Freiheitsstrafe mit einer Haftstrafe von 17-24 Jahren
und anstelle von lebenslanger Freiheitsstrafe mit einer Haftstrafe von 12-18 Jahren bestraft. In den
übrigen Fällen wird die Strafe von einem Viertel bis zu drei Vierteln gemindert.“

•   eine solche „unerlaubte“ Handlung setzt ein rechtlich relevantes Fehlverhalten des
    Opfers voraus & muss für eine Strafmilderung nachgewiesen werden
•   die erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe wird auf eine Haftstrafe von 17-24 Jahren
    herabgesetzt
 knappe gesetzliche Definition dieser unerlaubten Provokationen der Norm „Tötung
aus Traditionsmotiv“ eröffnet großen Spielraum für Rechtsprechung
Rechtliche Lage und Ahndung in Deutschland

   Inwieweit   beeinflussen fremdkulturelle Wertevorstellungen die
     strafrechtliche Beurteilung der Täter?
   Fallen „Ehrenmorde“ im Sinn des deutschen StGb unter den Tatbestand
  „Mord“ oder unter „Totschlag“?

§ 211 StGb Mord                                         § 212 StGb Totschlag
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe    (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu
bestraft.                                               sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht
(2) Mörder ist, wer                                     unter fünf Jahren bestraft.
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs,   (2) In besonders schweren Fällen ist auf
aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,      lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen
Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu
verdecken,
einen Menschen tötet.
-   Beschluss BGH 2002: „die Frage, ob das Mordmerkmal der niedrigen
    Beweggründe in Fällen der sogenannten Ehrenmorde vorliegt, ist nicht
    vom kulturellen Standpunkt des Täters aus zu beurteilen, sondern nach
    Vorstellungen der deutschen Rechtsgemeinschaft und Kultur“
    (Gaede/BGH 2002)
-   nach deutschem Strafrecht außerdem alle weiteren Tatbeteiligten
    ebenfalls wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu verurteilen
-   Möglichkeit einer Strafmilderung bei Unzurechnungsfähigkeit oder
    mangelnder Möglichkeit zur Einsicht des Täters zum Zeitpunkt der Tat
 in diesem Fall lediglich Verurteilung wegen Totschlag
Einsatzmöglichkeiten der Sozialen Arbeit

http://www.wisemuslimwomen.org/activism/organizatio
ns/papatya/

                                                      http://www.eva-stuttgart.de/unsere-angebote/angebot/wohnprojekt-
                                                      rosa/
Diskussion
Was kann getan werden, um sogenannte
Ehrenmorde zu verhindern?
Wo kann die Soziale Arbeit ansetzen?
-   Kultur
-   Integration
-   Religion
-   …?
Literatur
•   CÖSTER, Anna Caroline, 2009. Ehrenmord in Deutschland. Marburg: Tectum.

•   ELYAFI-SCHULZ, Senan, 2012. Das Phänomen des „Ehrenmordes“: Eine rechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung der Täter-Opfer-
    Perspektive. Marburg: Tectum.

•   Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V., [o.J.]. Beratungsstelle YASEMIN: Hilfe und Beratung für junge Migrantinnen in Konfliktsituation. [Online-
    Quelle]. Stuttgart: Evangelische Gesellschaft. [Zugriff am 10.05.2017]. Verfügbar unter:
    https://www.google.de/search?q=yasemin+stuttgart&oq=yasemin&aqs=chrome.1.69i59l2j0l4.3726j0j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8

•   GAEDE, Karsten, 2002. BGH 5 StR 538/01: Beschluss vom 20. Februar 2002 (LG Bremen). Hamburg: Rechtsanwaltskanzlei Strate und Ventzke
    [Zugriff am: 03.05.2017]. Verfügbar unter: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/01/5-538-01.php3

•   GRECO, Luis, 2014. Ehrenmorde im deutschen Strafrecht. Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik [Online-Quelle]. Gießen: Universität
    Gießen. 9 (7-8), 309-319 [Zugriff am 02.05.2017]. Verfügbar unter: http://zis-online.com/dat/ausgabe/2014_7-8_ger.pdf

•   JAMES, Sabatina, 2015. Scharia in Deutschland: Wenn die Gesetze des Islam das Recht brechen. München: Knaur.

•   POHLREICH, Erol Rudolf, 2009. „Ehrenmorde“ im Wandel des Strafrechts: Eine vergleichende Untersuchung des römischen, französischen,
    türkischen und deutschen Rechts. Berlin: Duncker & Humblot GmbH.

•   SCHIRRMACHER, Christine, 2009. Ehrenmord und Emanzipation: Geschlechterrollen in Migrantenkulturen vor dem Hintergrund nahöstlicher
    Begriffe von „Ehre“ und „Schande“. In: Bernhard HEINIGER, Ruth LINDNER und Elmar KLINGER, Hrsg. Ehrenmord und Emanzipation: Die
    Geschlechterfrage in Ritualen von Parallelgesellschaften. Band 6. Berlin: LIT, 11-30.

•   VAN LIJNDEN, Constantin Baron, 2014. Härtere Strafen für Ehrenmörder: „Einen kulturellen Rabatt gibt es nicht“. Legal Tribune Online [Online-
    Quelle]. Köln: Wolters Kluwer Deutschland GmbH. [Zugriff am 02.05.2017]. Verfügbar unter: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/strafrecht-
    ehrenmord-blutrache-dissertation-islam-rabatt/

•   ZEHETGRUBER, Christoph, 2007. Der Ehrenmord in Österreich, Deutschland und der Türkei: Strafrechtliche Fragen eines gesellschaftlichen
    Phänomens. In: Heike KRIEGER, Hrsg. Berliner Online-Beiträge zum Völker- und Verfassungsrecht [Online-Quelle]. Berlin: Freie Universität Berlin, 1-
    97 [Zugriff am 02.05.2017]. Verfügbar unter: http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentliches-
    recht/lehrende/kriegerh/dokumente/berliner_online_beitraege_zehetgruber.pdf
Vielen Dank für eure
  Aufmerksamkeit!
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