Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch
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Materialien Kunst Der Staubsaugereffekt Text kolja reichert Kunst hat heute mehr Publikum denn je – und patrick panetta, „sold“, 2013, siebdruck auf holz, 41 × 56 cm, courtesy of the artist and exile gallery, vienna steckt in ihrer tiefsten Krise. Die Konzentration von Kaufkraft in immer weniger Händen sorgt für eine Machtkonzentration wie einst in Hollywood. Was wird Kunst in Zukunft sein: Investment? Schönheit? Widerstand? Eine Reise durch das Ökosystem der Kunstwelt. bild: Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 141
Materialien Kunst Der Kurator der Kunstbiennale von Venedig, Ralph So wie das Publikum in der fertigen Ausstellung Die Macht Rugoff, versinkt in einem schwarzen Ledersofa im opu- von diesen Schwierigkeiten nichts ahnen wird, so ver- im Kunst- lenten Kaminsaal der italienischen Botschaft in Berlin. mitteln auch die immer neuen Preisrekorde auf dem markt kon- Nur noch wenige Wochen bleiben ihm, bis die Kunst- Kunstmarkt den Eindruck, es gebe dort keine Probleme. zentriert sich welt nach Venedig strömt, um sich von dem Amerikaner Aber unter der Oberfläche mehren sich die Anzeichen zeigen zu lassen, was die Kunst heute umtreibt. Eine dafür, dass die Kunst in einer ihrer tiefsten Sinnkrisen immer mehr. Aufgabe, die nicht leichter geworden ist, seit auf dem steckt: überrannt von der Digitalisierung, überteuert Das Galerie- Kunstmarkt regelmäßig Millionenpreise erzielt werden durch die immer weiter auseinanderklaffenden Ver- Imperium und alle Nebenkosten gestiegen sind, die Produktion, mögen, übersättigt vom weltumspannenden Parcours Gagosian der Transport, die Versicherung. Seit milliardenschwere der sich gleichenden Kunstmessen, und von Erstarrung etwa macht Sammler wie François Pinault und sogar Künstler wie bedroht durch die Machtkonzentration in vier großen alleine mehr Damien Hirst in den Palazzi eigene Parallelausstellungen Galeriekonzernen, die kleineren Galerien erfolgreiche einrichten und in die Marke Venedig hineinfahren wie Künstler wegschnappen. Gagosian alleine macht mehr Umsatz als die hochhausgroßen Kreuzfahrtschiffe. „Die Preise an Umsatz als der gesamte deutsche Kunstmarkt. „Es gibt der gesamte der Spitze des Marktes werden von einer sehr kleinen Künstler, die sehr einflussreich sind, gute Besprechungen deutsche Gruppe von Sammlern bestimmt. Diese Welt dreht sich bekommen und deren Galerien trotzdem zu kämpfen Kunstmarkt. nur um Trophäen und hat jede Verbindung zu der Art, haben“, erzählt Rugoff. „Galeristen, von denen ich Dieses Gefäl- wie der Rest der Kunstwelt um Werte ringt, verloren.“ dachte, sie wären reich, erzählen mir, sie hätten in den le bildet die Rugoff schickt seine Pointen mit einem warmen letzten eineinhalb Jahren kein Geld verdient.“ Intellektuellenlächeln in den Raum. Er spricht von Vielen sind diese Gefälle nicht bewusst, die schlicht Gefälle der „Hofkünstlern der Superreichen“ und „Pinkelwettbe- die Gefälle der realen Welt abbilden: Der Kunstmarkt ist realen Welt werben“, bei denen Sammler auf einer Auktion ein Werk das Nervensystem der Weltwirtschaft. Er ist das realis- ab. fotos: 1 poulomi basu / the new york times / redux / laif 2 kin cheung / ap photo / picture alliance von zwei auf zwanzig Millionen hochtreiben, einfach tischste Bild, das die Kunst je geschaffen hat. Bevor 2008 weil sie es können. Er erinnert sich, wie der Künstler die Subprime-Krise zuschlug, ging die Nachfrage auf Carl Andre in den Sechzigern bestimmte, seine Werke den Messen zurück. „Manchmal frage ich mich, ob es sollten zehn Prozent des Einkommens des Käufers ist wie mit Ameisen beim Erdbeben“, sagt Ralph Rugoff. kosten: praktizierte Umverteilung. „Heute lassen alle „Sie spüren das Beben als Erstes kommen und verlassen Künstler ihre Galeristen den Preis bestimmen. Damit den Bau. Wenn Leute spüren, dass andere Investitionen haben sie eine wichtige Rolle aufgegeben.“ nicht mehr so gut laufen oder es ihren Firmen schlech- 2 Als Rugoff vor eineinhalb Jahren berufen wurde, war man überrascht: Der 62-Jährige ist kein Kuratoren- ter geht, werden sie als Erstes bei der Kunst sparen.“ einem Milliardärspaar hinterher, das gerade den Gang star. Er leitete zwölf Jahre lang die städtische Hayward Was bedeutet es dann, dass in sechs Jahren von New hinunter den Blicken entschwindet. Gallery in London und erfand dort Programme, um York bis Berlin über vierzig mittelständische Galerien Gut, die VIP-Lounge von Hongkong ist vielleicht Schulklassen und Laien für Kunst zu begeistern. Jetzt geschlossen haben, von denen viele wichtige Künstler ein bisschen größer. Und es führt eine Rolltreppe weiter organisiert er die bedeutendste Großausstellung der Welt hervorgebracht hatten? Und dass nur wenige Galeristen in die VIP-VIP-Lounge für Großkunden der UBS-Bank. und muss mit dem großen Geld verhandeln. Was in bilder: nicht darüber klagen, dass in Europa und Amerika die Dort werden die Geräusche vom eierschalenfarbenen vorherige seite Venedig zu sehen ist, ist meist von Galerien, Sammlern Sammler auszusterben scheinen? Teppich gedämpft, und aufmerksame Kellner reichen Patrick Panetta, oder Stiftungen bezahlt. Die paar Millionen, die die „SOLD“, 2013 Die Frau, die es wissen muss, Clare McAndrew, Frittiertes. Hier, unter den dezent gekleideten Super- italienische Regierung zur Verfügung stellt, gehen zu 1 sitzt in einem Besprechungszimmer in der VIP-Lounge reichen, kann man auch endlich das Handy aufladen. großen Teilen für die hohen venezianischen Handwer- Der Kurator der der Art Basel Hongkong. Die VIP-Lounge der Art Clare McAndrew hat gerade mit ihrer Analysefirma kerkosten drauf. Der Pavillon geflüchteter Künstler, den Kunstbiennale Basel Hongkong gleicht den VIP-Lounges der Art Basel Art Economics den „Art Market Report“ veröffentlicht, von Venedig: Ralph der Kurde Halil Altindere beiträgt, wird von einer tür- Rugoff Miami, der Art Basel in Basel, der Frieze London, der den die Art Basel und ihr Sponsor UBS jedes Jahr bei kischen Stiftung bezahlt. Die immer schrillen, überbor- 2 Frieze New York und der Frieze Los Angeles. So wie ihr in Auftrag geben. Der Marktbericht versammelt alle denden und entsprechend teuren Video-Installationen Werden die beiden sich das Schauspiel draußen in den Hallen gleicht: Von verfügbaren Daten über die Vermögensentwicklung und des Thailänders Korakrit Arunanondchai finanziert Besucher das Bild allen Seiten bohren sich aus engen Ständen Kunst- zeichnet so eine globale Karte der potentiellen Kund- dessen Galerie. Und wer für die noch größeren Video- kaufen? Das hoffen werke ins Auge, als würde man sehr schnell durch schaft, zum Beispiel: Kunstsammler verfügen in der Regel Installationen Ed Atkins’ aufkommt, einem der derzeit die Angestellten das Fernsehprogramm zappen; Galeristen, die für die über ein Jahreseinkommen von 100 000 Euro aufwärts. der Art Basel spannendsten Künstler, ist Ralph Rugoff noch gar nicht in Hongkong im Standmiete und den Transport mal wieder ihre Existenz Das trifft auf weltweit 479 Millionen Menschen zu, klar. „Notfalls müssen wir Werke einsparen.“ März 2019 gefährdet haben, lugen, ihre Nervosität überspielend, doppelt so viele wie im Jahr 2000. Oder: Im Jahr 2000 1 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 142 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 143
Materialien Kunst gab es 12,9 Millionen Millionäre, 2018 waren es 42,2 Der Kunst- Dollar Umsatz, und das sind die meisten, sind um Millionen. Deren Gesamtvermögen stieg im letzten Jahr markt als achtzehn Prozent zurückgegangen. Viele verdankten um zehn Prozent auf 142 Trillionen US-Dollar. Oder: Seismograph die Hälfte ihrer Einnahmen einem einzigen Künstler. In China entstehen jede Woche zwei neue Milliardäre. „Wenn der von einer größeren Galerie abgeworben der Welt- Vor allem aber reisen McAndrew und ihr Team um den wird, sind sie in einer sehr gefährlichen Lage.“ Zwischen Globus und befragen Galeristen und Auktionshäuser. So wirtschaft: 2008 und 2018 ist die Zahl der Galerien um 86 Prozent kommen Zahlen zustande wie: 2018 hatte der Kunst- Die Spitzen- gesunken. Das ist auch für die Großen schlecht: „Wenn markt, Auktionen und Galerieverkäufe addiert, einen vermögen der Markt auf einer kleinen Zahl von Leuten beruht, ist Umfang von 67,4 Milliarden Dollar, neun Prozent mehr wachsen er einem größeren Risiko ausgesetzt, sobald ein Schock als 2008. Die Zahl der verkauften Werke ist im gleichen stark, und die Ultra High Networth Individuals trifft.“ Zeitraum um neun Prozent gesunken: Während weniger die Ungleich- Wenn wir also den Kunstmarkt als Seismograph Kunst verkauft wird, wird mehr für sie bezahlt. der Weltwirtschaft betrachten, welches Bild ergibt sich Dazu passt diese Zahl: Das Wachstum des Kunst- heit wird dann? „Es geht ein bisschen langsamer aufwärts als im markts seit dem Jahr 2000 verläuft zu achtzig Prozent immer vorigen Jahr. Die Spitzenvermögen wachsen weltweit analog zum Wachstum der größten Vermögen. größer. weiter stark, aber die Ungleichheit wird immer größer.“ Solche Zahlen, bestellt von einem Unternehmen, Die Maschine aus Hongkong landet kurz nach das ein existentielles Interesse daran hat, das Vertrauen Sonnenaufgang in Zürich. Auf den Serpentinen ins in den Markt stabil zu halten, sind natürlich angreifbar. Engadin wird verständlich, dass es immer mehr Men- Wenn die Art Basel die doch recht bestürzende Tatsache, schen aus der Kunstwelt hier hochzieht. Die sanften, dass nur noch sechzehn Prozent der amerikanischen schneebedeckten Riesen schirmen das Tal, dessen Licht Sammler unter fünfzig sind, hinter der Sensation ver- schon Nietzsche, Segantini und Beuys liebten, gegen steckt, dass 42 Prozent der Sammler in Singapur nach die Außenwelt ab. Bis zu 14 500 Maschinen landen 1980 geboren wurden, dann ist klar, welchem Zweck und starten im Jahr auf einem der höchsten Flug- das dient: dem Eindruck entgegenzuwirken, die nächste plätze Europas bei St. Moritz, was in einem gewissen Generation interessiere sich nicht mehr fürs Kunst- Missverhältnis zu 8879 abgefertigten Passagieren steht. sammeln. Oder alle amerikanischen und europäischen 2021 wird er ausgebaut. Der Architekt Norman Foster Galeristen, die spüren, dass es so ist, zu ermuntern, nach wohnt und zeichnet hier, der Kurator Adam Szymczyk Asien zu kommen, wo etwa für den jungen kolumbia- hat hier eine Wohnung. Zwischen den Jahren tanzt nischen Künstler Oscar Murillo, in dessen Werk man Art-Basel-Direktor Marc Spiegler im „Dracula“, dem vor wenigen Jahren noch mit 18 000 Euro einsteigen konnte, jetzt bis zu 300 000 Dollar bezahlt werden. fotos: 3 courtesy art basel 4 landon nordeman / trunk archive 4 In diesem Jahr ist der Marktbericht seltsam. Er spricht zwei Sprachen zugleich: die der Zahlen und die Member’s Club von Gunter Sachs. „Du tanzt mit den in der Ausstellung von Pat Steir, auf der die Farbe der der Gefühle. Und die widersprechen einander. Rich Kids dieser Erde und hast das Gefühl, draußen Schwerkraft folgt, kosten eine halbe Million Dollar. Auch 2018 gingen zwar die Verkäufe um drei könnte der Dritte Weltkrieg ausbrechen, es wäre egal“, St. Moritz und die umliegenden Dörfer zählen Prozent zurück, doch der Markt ist um sechs Prozent erzählt ein Galerist, der an Silvester oben war. In der die meisten Galerien pro Einwohner auf dem Planeten. gewachsen. Die Zahlen sind stabil. Aber die Stimmung Hotelsauna trifft man die Galeristen und Sammler, die „An den kurzen Wintertagen sind die Leute froh, nach ist pessimistisch: Sollte 2020 eine Finanzkrise zuschla- man auf Eröffnungen in Berlin, London, New York Sonnenuntergang noch in eine Ausstellung gehen zu gen, wären die Staaten weniger darauf vorbereitet als oder Zürich sieht. können“, sagt Filippo Percassi, „hier haben sie Zeit für 2008. Die meisten Galeristen und Auktionshäuser be- „Das Beste am Engadin ist, dass die Landschaft die Kunst.“ Percassi leitet die Mailänder Galerie Monica fürchten, dass wegen der wirtschaftlichen Entwicklung noch dieselbe ist“, sagt Julian Schnabel, der, wenn er De Cardenas, die jüngst ihren Hauptsitz nach Zuoz die Nachfrage sinkt – und auf dem Kunstmarkt sind es nicht in seinem Neo-Renaissance-Palazzo in Manhat- verlegte: „Wir haben hier mehr Laufpublikum als in bilder: eher Befürchtungen als Fakten, die das Kaufverhalten tan ist, in der kleinen Künstlerpension „Villa Flor“ in 3 der Stadt.“ Das Engadin ist das Gegenprogramm zur prägen. S-chanf wohnt, ein paar Schritte vom provisorischen Die Ökonomin gehetzten Erfahrung der Kunstmesse. „Hier machen Clare McAndrew ist ein Zahlenmensch, und sie ist Atelier, und so redet, als hätte er nichts mit dem Jetset zu Clare McAndrew einige der anspruchsvollsten Sammler der Welt Urlaub“, Britin: nüchtern, streng und sachlich. Aber sie sagt: „Es tun, den sein Sohn 2015 mit der Eröffnung der Galerie 4 schwärmt der Galerist Iwan Wirth. „Eine wunderschöne war 2019 für Teile des Marktes ein langsamer Start. Es Vito Schnabel herlockte. „Watch your head“, hat der Julian Schnabel Umgebung, um Kunst zu zeigen und zu verkaufen.“ im Aufzug des wird vor allem für kleine Galerien immer schwieriger.“ Vater in fettem roten Pinselstrich über die enge Treppe Whitney Museum Wenn es so weitergeht, dann muss, wer mit Kunst sein Die Umsätze von Unternehmen mit weniger als 500 000 geschrieben, die ins Untergeschoss führt. Die Gemälde New York Geld verdient, den Urlaubsort immer seltener verlassen. 3 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 144 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 145
Materialien Kunst Einige Sammler wohnen auch hier, wie die reichste fotos: 5 studio stefano graziani 6 anoush abrar for art stations foundation ch / muzeum susch 7 carla accardi, „rolls(rotoli), 1966-71. foto: błażej pindor for muzeum susch / Frau Polens, Grażyna Kulczyk, die im Januar talabwärts in einer alten Klosterbrauerei das Muzeum Susch eröff- net hat. Man steigt über schmale Stiegen in verwinkel- te Räume, ganze Höhlen sind in den Fels gesprengt, über die Böden rinnt Quellwasser. Ein feinsinnigeres Denkmal, demütiger gegenüber dem Ort und seiner Geschichte, kann man kaum bauen. Künstler schufen Installationen für die Räume, eröffnet wurde mit einer phantastisch kuratierten Ausstellung feministischer Kunst. Kulczyk sitzt in der fünfhundert Jahre alten holz- verkleideten Klosterstube im Obergeschoss, sie spricht zurückhaltend, fast schüchtern. „An der Riviera war es im letzten Jahr furchtbar heiß, wegen des Klimawandels. Hier ist es im Sommer am schönsten. Sie müssen nicht am Strand liegen und sich fragen: Oh mein Gott, was mache ich die nächsten paar Stunden? Viele Asiaten kommen hierher. Die Mentalität der Engadiner ist 7 der japanischen verwandt. Menschen brauchen Ruhe, frische Luft, gesundes Essen. Das Tal gibt ihnen alles.“ unterbezahlten Künstlern, Kunsthistorikern, Kuratoren Dass Norman Foster hier ein kleines Silicon Valley und Kritikern produziert wird, die nicht nur für neue aufbauen will, findet Kulczyk eine phantastische Idee. Ware sorgen, sondern auch den öffentlichen Glauben Das Internet ist ja schon jetzt schneller als in der Stadt. an die Kunst hochhalten, und damit die Preise stabil. St. Moritz, das seit jüngstem einen Opernsän- Die aber nie eine Chance haben werden, in die Schlösser ger zum Bürgermeister hat, wird zum Zentrum einer zu ziehen, die sie mit ihren Gutachten aufwerten, oder 6 jim stephenson 7 mvrdv, © vg bild-kunst, bonn 2018 8 frank hülsbömer Modellregion für die Ökonomie der Bereicherung, die sich die Gemälde zu leisten, die sie anpreisen. die Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre Mit Yachten und Fußballclubs kann man sich art stations foundation ch, courtesy art stations foundation ch, muzeum susch jüngst analysiert haben. Sie legen dar, wie der Reichtum immer weniger von ähnlich Vermögenden abheben. Das derer, die über bedeutende Kunstwerke, Weingüter und ist neben den niedrigen Zinsen ein Grund dafür, dass alte Immobilien verfügen, sich inzwischen ganz von immer mehr Geld in die Kunst strebt, jene Branche, die selbst vermehrt: dank des Rohstoffs Kultur, das Öl des wirklich einzigartige Werke und Werte herstellt. „Ich 21. Jahrhunderts, das durch Luxustouristen und Staats- kenne eine Sammlerin, die sagt: ‚Ich kaufe Gagosian‘“, subventionen finanziert und von einer Reserve-Armee an bilder: erzählt Galeriedirektor Percassi, „so wie man sagt: ‚Ich 5 kaufe Prada.‘“ So wird der seiner Bildung und seinem Ein Eingang zum Muzeum Susch eigenen Geschmack vertrauende Sammler zunehmend im Engadin überrollt vom Spekulanten, der in sichere Marken inves- 6 tiert: Art Basel, David Zwirner, Richard Serra. Sie hat es eröffnet: Diesen Markt bedient niemand so geschickt wie Grażyna Kulczyk, die reichste Frau das Schweizer Galeristenpaar Manuela und Iwan Wirth, Polens das auf seiner Website ganze 84 Künstler und Künstler- 7 nachlässe führt und neben zwei Standorten in New York Ein Teil der Filialen in Hongkong, London, Gstaad und Zürich Eröffnungs-Aus- stellung „A Woman hat, wo die Zollbehörden der Galerie sogar ein eigenes Looking at Men Freihandelslager zugestanden haben – und seit neuestem Looking at in St. Moritz, gegenüber vom imperialen „Palace Hotel“. Women“ im Das gebeizte Pinienparkett duftet betörend. Muzeum Susch bilder: (noch bis zum 30. Wer das elegante Logo von Hauser & Wirth pas- Juni 2019) siert, tritt in eine ganze Welt ein. Die Dependance in 5 6 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 146 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 147
Materialien Kunst Los Angeles tritt auf wie ein Museum, inklusive Souve- Was pas- zum Hotel vor. Antragsteller: Hauser & Wirth. Was nirgeschäft, das von Jack Whitten entworfene Einsteck- siert, wenn passiert, wenn sich der Kunstmarkt in einen Luxusmarkt tücher oder von Paul McCarthy gestaltete Skateboards auf dem verwandelt, auf dem nicht Qualität entscheidet, sondern anbietet. In der Grafschaft Somerset im Süden Englands das Investitionsklima der Marke? Die Wertschöpfung Kunstmarkt kann man auf einem Bio-Hof mit Skulpturenpark der Kunst beruhte bislang auf der Voraussetzung, dass übernachten, und seit Dezember betreiben Iwan und das Investi- jedes Kunstwerk, egal, wem es gehört, prinzipiell allen Manuela Wirth in den schottischen Highlands das aus tionsklima gehört. Auch deshalb ist die Radikalisierung der Ver- dem 19. Jahrhundert stammende Hotel „Fife Arms“, das der Marke mögensunterschiede hier stärker spürbar als in den sie mit Handwerkern aus der Region saniert und dessen entscheidet? meisten anderen Branchen: Jeder kann eine gefälschte neunzig Zimmer sie mit antiken Möbeln und zeitge- Wird die Louis-Vuitton-Handtasche tragen. Aber ein von Wade nössischen Werken ausgestattet haben – was genau der unterbezahlte Guyton am Riesen-Tintenstrahldrucker ausgedrucktes Strategie der „Anreicherung“ entspricht, die Boltanski abstraktes Bild, das für eine Million versteigert wird, und Esquerre beschreiben: Historische Monumente Künstler- kann man sich, auch wenn es technisch möglich wäre, werden mit zeitgenössischer Kunst aufgewertet, regional assistentin nicht noch einmal ausdrucken. Ein Kunstwerk, das Typisches mit Weltläufigkeit verknüpft. Bei Hauser & dann noch außer Reichweite ist, ist wirklich außer Reichweite. Wirth nimmt die Kunst ein neues Wesen an, sie wird neben der Das Maß des Ewigkeitsanspruchs erlaubt es, den Was- zur Lebenswelt: Die Aura der Werke überträgt sich auf Milliardärin serstand zu sehen. die Räume, auf die Souvenirs, auf die im hauseigenen am selben Wie lange wird der Glaube halten, dass es in der Verlag erscheinenden Bücher und damit auf die Marke Kunst um das Gleiche geht, sich der Aufenthalt in Dinnertisch selbst. Das galerie-eigene Magazin „Ursula“, dessen Her- Somerset um dieselben Werte dreht wie der Projekt- ausgeber Randy Kennedy von der „New York Times“ sitzen? Wenn raum in Berlin-Neukölln? Wie lange wird eine weitere abgeworben wurde, rundet die Welt sinnstiftend ab. nicht: Bricht Besonderheit der Kunstwelt bestehen, nämlich dass sich Zwei Drifts zerren an der Kunst: die Drift nach das System hier die unterbezahlte Künstlerassistentin neben der Asien und die Drift nach oben. Alles Ständische wird dann zusam- Milliardärin am selben Dinnertisch findet? Und wenn aufgesogen, alles einmal Aufgewertete oben zur Weiter- men? der Glaube bricht, werden die Preise halten? verwertung abgegriffen. Oben aber herrscht die Idylle Es ist meist nach Mitternacht, wenn die Kunst- 9 von Somerset. Das Bio-Fleisch kommt aus den aufge- welt zu sich kommt: Fast alle haben die Dinnerparty kauften Bauernhöfen, und die Künstler der Galerie verlassen, die eine Galerie für Künstler, Sammler und werden mit Quittenmarmelade und Decken aus der Museumsdirektoren gegeben hat, zurück bleiben nur Wolle der Schafe von Somerset versorgt. zwei Sammler und zwei Kritiker, die Gespräche münden Vor kurzem wurde im beschaulichen Sils Maria, mal wieder in die Einsicht, dass es irgendwie vorbei ist eine Viertelstunde von St. Moritz, die beliebte Pension mit der zeitgenössischen Kunst. „Vor fünf Jahren musste 10 heather edwards „Andreola“ mit dem Restaurant „Chesa Marchetta“ ver- man noch auf der Art Basel Miami sein, sonst hat man kauft. Bei der Gemeinde liegt ein Antrag für Umbauten was verpasst. Jetzt ist es total egal. Man sieht eh überall das Gleiche.“ „Es ist die Übersättigung“, sagt die eine. „Es ist die Überproduktion“, sagt der andere. Warum bilder: sind ein Viertel der von Hauser & Wirth geführten 8 Positionen Nachlässe verstorbener Künstler? „Wegen Das Schweizer 9 hélène binet Galeristenpaar eines tiefen Misstrauens in die zeitgenössische Kunst.“ Manuela Es ist einer der Momente, in denen man sich auf das und Iwan Wirth Eigentliche besinnt, einen Qualitätsanspruch, der eben 9 nicht das Gleiche ist wie Geschmack, eher ein Wissen In der Grafschaft oder eine Ahnung zumindest, die einen Faden berührt, fotos: 8 vincent evans Somerset im Süden Englands betreiben der die Kunst der alten Griechen etwa mit dem Schlitten sie einen Bio-Hof von Joseph Beuys verbindet und mit einer zusammenge- mit Skulpturenpark rollten Filzdecke und einer Taschenlampe, der auf dem 10 Stand der Galerie David Zwirner für 330 000 Euro zum Dort steht etwa der Radić Pavilion Verkauf steht; das schönste Werk auf der Art Cologne, von Smiljan Radić ist man sich einig, in seiner Klarheit, seiner Kargheit, 8 10 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 148 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 149
Materialien Kunst seiner andersweltlichen Aufgeladenheit, ein Gast aus licherweise auf Ideen. Und weiß, wo er ihn einliefern einer vordigitalen Ära, als ein Ding noch ein Ding kann. Der Schlitten steht für eine Schubumkehr: Auch war, ein Maß noch ein Maß, ein Gewicht ein Gewicht. Zwirners Vater Rudolf hat in Köln, auf der ältesten Könnten wir ihn uns doch leisten. Kunstmesse der Welt, einst Beuys verkauft. Jetzt nutzt Und dann sagt der Sammler das Ungeheuerliche, sein Sohn die Messe, um einzuwerben, was sein Vater in dem sich die ganze Ungeheuerlichkeit des heutigen einst verkaufte. Der Stand von David Zwirner ist ein Kunstmarkts spiegelt: Diesen Schlitten habe David Geisterstand, der Schlitten ein Köder. Zwirner wird Zwirner, der selbst gar nicht angeflogen ist, nicht zum ihn vielleicht an einen der neuen Milliardäre in Asien Verkauf dorthin gestellt. Wer sollte im Rheinland verkaufen, wo die Kunstwelt, die im Westen in der einen Beuys kaufen? Hier haben alle seit den Sechzi- Sinnkrise steckt, noch einmal entsteht: mit noch gern Beuys gekauft, für ein Hundertstel des Preises. größeren Privatmuseen und noch höheren Preisen. Wie 1969, als der Galerist René Block Beuys’ VW-Bus Kunstmessen haben Galerien in einen globalen mit 24 DDR-Sportschlitten für 110 000 D-Mark an Wanderzirkus gezwungen. Jetzt, fünfzig Jahre nach den Sachbuchautor Jost Herbig verkaufte und damit Gründung der Art Basel, könnte sogar die marktbe- den deutschen Markt für Zeitgenössisches auf ameri- stimmende Messe selbst auf den Markt kommen: Ihr kanisches Niveau brachte. Heute gibt es nicht mehr so Träger, die Schweizer Messegesellschaft, leidet unter viele Sachbuchautoren, die sich für das Kunstsammeln der massiven Schrumpfung anderer Messemärkte, interessieren, und es gibt auch nicht so viele Leute, die meldete im letzten Jahr einen Verlust von 190,4 Mil- sich einen Beuys-Schlitten für 330 000 Euro leisten lionen Franken und hat Schwierigkeiten, die 2013 könnten. Die Häuser im Rheinland aber sind voll mit eingeweihte Messehalle abzubezahlen. Zuletzt hat sie Kunst, und die Sammler mit ihren Industriellen- und bild: sich aus kleineren Messen in Düsseldorf oder Neu- Zahnarztkarrieren sind alt geworden, und ihre Kinder 11 Delhi zurückgezogen. Der Basler Wirtschaftsberater Dieser Schlitten jetten in Kreativ- und Planungsjobs um die Welt und von Joseph Beuys Tobias Gombert, der gerade das Engadin für sich können keine Kunstsammlung gebrauchen. für 330 000 Euro entdeckt, empfiehlt eine Zerschlagung. Sollte die Art foto: 11 joseph beuys, „schlitten“, 1969, © vg bild-kunst, bonn 2019. foto: akg-images / album Der Schlitten sucht also kein Zuhause. Er ruft will nicht verkauft Basel einen neuen Eigentümer suchen, wären zwei seine Artgenossen zurück auf den Markt. Wer einen werden, er ruft Szenarien denkbar: Hauser & Wirth übernimmt die lediglich seine Beuys im Keller hat, der einst 3000 Mark kostete und Artgenossen zurück Messe mit ihren Ablegern in Hongkong und Miami jetzt einen sieht, der 330 000 Euro bringt, kommt mög- auf den Markt zusammen mit weiteren Megagalerien wie Gago- sian, Pace und David Zwirner. Oder einer der beiden größten Profiteure der Bereicherungsökonomie erwei- tert seine Wertschöpfungskette: Bernard Arnault, der mit 94,6 Milliarden Dollar Vermögen viertreichste Mann der Welt, zu dessen Imperium Louis Vuitton, Dior, Céline, Kenzo, Rimowa, Givenchy, Moët & Chandon und Hennessy gehören; oder François Pinault, der die Modelabels Gucci, Yves Saint Laurent, Balenciaga, Alexander McQueen und Brioni besitzt, das Auktionshaus Christies’s und eine der größten Kunstsammlungen der Welt, die er im Palazzo Grassi in Venedig zeigt (Vermögen: 31,5 Milliarden Dollar). Ihre Kaufkraft haben beide zuletzt im Spendenwett- kampf für die Restaurierung der vom Feuer zerstör- ten Kirche Notre-Dame bewiesen. Würde einer von ihnen auch noch die größte Kunstmesse übernehmen, schlösse sich in seiner Hand der Luxus-Kunst-Mode- Tourismus-Komplex zum feudalen Wertschöpfungs- kreislauf – gefüttert durch die Selbstausbeutung von Künstlern und Kunstexpertinnen, die noch an andere Werte glauben als das Geld. 11 Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 150
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