Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch

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Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch
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                                                                                                                                             Kunst

                                                                                                                    Der Staubsaugereffekt
                                                                                                                                               Text
                                                                                                                                          kolja reichert

                                                                                                                    Kunst hat heute mehr
                                                                                                                   Publikum denn je – und

patrick panetta, „sold“, 2013, siebdruck auf holz, 41 × 56 cm, courtesy of the artist and exile gallery, vienna
                                                                                                                    steckt in ihrer tiefsten
                                                                                                                  Krise. Die Konzentration
                                                                                                                   von Kaufkraft in immer
                                                                                                                  weniger Händen sorgt für
                                                                                                                  eine Machtkonzentration
                                                                                                                   wie einst in Hollywood.
                                                                                                                      Was wird Kunst in
                                                                                                                  Zukunft sein: Investment?
                                                                                                                   Schönheit? Widerstand?
                                                                                                                     Eine Reise durch das
                                                                                                                  Ökosystem der Kunstwelt.
bild:

                                                                                                                     Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 141
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                                                                 Kunst

Der Kurator der Kunstbiennale von Venedig, Ralph                                   So wie das Publikum in der fertigen Ausstellung                                                                                                                  Die Macht
Rugoff, versinkt in einem schwarzen Ledersofa im opu-                        von diesen Schwierigkeiten nichts ahnen wird, so ver-                                                                                                                  im Kunst-
lenten Kaminsaal der italienischen Botschaft in Berlin.                      mitteln auch die immer neuen Preisrekorde auf dem                                                                                                                     markt kon-
Nur noch wenige Wochen bleiben ihm, bis die Kunst-                           Kunstmarkt den Eindruck, es gebe dort keine Probleme.
                                                                                                                                                                                                                                                  zentriert sich
welt nach Venedig strömt, um sich von dem Amerikaner                         Aber unter der Oberfläche mehren sich die Anzeichen
zeigen zu lassen, was die Kunst heute umtreibt. Eine                         dafür, dass die Kunst in einer ihrer tiefsten Sinnkrisen                                                                                                             immer mehr.
Aufgabe, die nicht leichter geworden ist, seit auf dem                       steckt: überrannt von der Digitalisierung, überteuert                                                                                                                Das Galerie-
Kunstmarkt regelmäßig Millionenpreise erzielt werden                         durch die immer weiter auseinanderklaffenden Ver-                                                                                                                      Imperium
und alle Nebenkosten gestiegen sind, die Produktion,                         mögen, übersättigt vom weltumspannenden Parcours                                                                                                                        Gagosian
der Transport, die Versicherung. Seit milliardenschwere                      der sich gleichenden Kunstmessen, und von Erstarrung                                                                                                                  etwa macht
Sammler wie François Pinault und sogar Künstler wie                          bedroht durch die Machtkonzentration in vier großen                                                                                                                  alleine mehr
Damien Hirst in den Palazzi eigene Parallelausstellungen                     Galeriekonzernen, die kleineren Galerien erfolgreiche
einrichten und in die Marke Venedig hineinfahren wie                         Künstler wegschnappen. Gagosian alleine macht mehr                                                                                                                    Umsatz als
die hochhausgroßen Kreuzfahrtschiffe. „Die Preise an                         Umsatz als der gesamte deutsche Kunstmarkt. „Es gibt                                                                                                                 der gesamte
der Spitze des Marktes werden von einer sehr kleinen                         Künstler, die sehr einflussreich sind, gute Besprechungen                                                                                                               deutsche
Gruppe von Sammlern bestimmt. Diese Welt dreht sich                          bekommen und deren Galerien trotzdem zu kämpfen                                                                                                                      Kunstmarkt.
nur um Trophäen und hat jede Verbindung zu der Art,                          haben“, erzählt Rugoff. „Galeristen, von denen ich                                                                                                                   Dieses Gefäl-
wie der Rest der Kunstwelt um Werte ringt, verloren.“                        dachte, sie wären reich, erzählen mir, sie hätten in den                                                                                                              le bildet die
      Rugoff schickt seine Pointen mit einem warmen                          letzten eineinhalb Jahren kein Geld verdient.“
Intellektuellenlächeln in den Raum. Er spricht von                                 Vielen sind diese Gefälle nicht bewusst, die schlicht
                                                                                                                                                                                                                                                    Gefälle der
„Hofkünstlern der Superreichen“ und „Pinkelwettbe-                           die Gefälle der realen Welt abbilden: Der Kunstmarkt ist                                                                                                              realen Welt
werben“, bei denen Sammler auf einer Auktion ein Werk                        das Nervensystem der Weltwirtschaft. Er ist das realis-                                                                                                                    ab.

                                                                                                                                           fotos: 1 poulomi basu / the new york times / redux / laif 2 kin cheung / ap photo / picture alliance
von zwei auf zwanzig Millionen hochtreiben, einfach                          tischste Bild, das die Kunst je geschaffen hat. Bevor 2008
weil sie es können. Er erinnert sich, wie der Künstler                       die Subprime-Krise zuschlug, ging die Nachfrage auf
Carl Andre in den Sechzigern bestimmte, seine Werke                          den Messen zurück. „Manchmal frage ich mich, ob es
sollten zehn Prozent des Einkommens des Käufers                              ist wie mit Ameisen beim Erdbeben“, sagt Ralph Rugoff.
kosten: praktizierte Umverteilung. „Heute lassen alle                        „Sie spüren das Beben als Erstes kommen und verlassen
Künstler ihre Galeristen den Preis bestimmen. Damit                          den Bau. Wenn Leute spüren, dass andere Investitionen
haben sie eine wichtige Rolle aufgegeben.“                                   nicht mehr so gut laufen oder es ihren Firmen schlech-
                                                                                                                                                                                                                                                                       2
      Als Rugoff vor eineinhalb Jahren berufen wurde,
war man überrascht: Der 62-Jährige ist kein Kuratoren-                                                                                                                                                                                                                 ter geht, werden sie als Erstes bei der Kunst sparen.“   einem Milliardärspaar hinterher, das gerade den Gang
star. Er leitete zwölf Jahre lang die städtische Hayward                                                                                                                                                                                                               Was bedeutet es dann, dass in sechs Jahren von New       hinunter den Blicken entschwindet.
Gallery in London und erfand dort Programme, um                                                                                                                                                                                                                        York bis Berlin über vierzig mittelständische Galerien         Gut, die VIP-Lounge von Hongkong ist vielleicht
Schulklassen und Laien für Kunst zu begeistern. Jetzt                                                                                                                                                                                                                  geschlossen haben, von denen viele wichtige Künstler     ein bisschen größer. Und es führt eine Rolltreppe weiter
organisiert er die bedeutendste Großausstellung der Welt                                                                                                                                                                                                               hervorgebracht hatten? Und dass nur wenige Galeristen    in die VIP-VIP-Lounge für Großkunden der UBS-Bank.
und muss mit dem großen Geld verhandeln. Was in                                                                                                                                                                                                         bilder:        nicht darüber klagen, dass in Europa und Amerika die     Dort werden die Geräusche vom eierschalenfarbenen
                                                                                                                                                                                                                                                   vorherige seite
Venedig zu sehen ist, ist meist von Galerien, Sammlern                                                                                                                                                                                                                 Sammler auszusterben scheinen?                           Teppich gedämpft, und aufmerksame Kellner reichen
                                                                                                                                                                                                                                                    Patrick Panetta,
oder Stiftungen bezahlt. Die paar Millionen, die die                                                                                                                                                                                                „SOLD“, 2013              Die Frau, die es wissen muss, Clare McAndrew,     Frittiertes. Hier, unter den dezent gekleideten Super-
italienische Regierung zur Verfügung stellt, gehen zu                                                                                                                                                                                                      1           sitzt in einem Besprechungszimmer in der VIP-Lounge      reichen, kann man auch endlich das Handy aufladen.
großen Teilen für die hohen venezianischen Handwer-                                                                                                                                                                                                 Der Kurator der    der Art Basel Hongkong. Die VIP-Lounge der Art                 Clare McAndrew hat gerade mit ihrer Analysefirma
kerkosten drauf. Der Pavillon geflüchteter Künstler, den                                                                                                                                                                                             Kunstbiennale     Basel Hongkong gleicht den VIP-Lounges der Art Basel     Art Economics den „Art Market Report“ veröffentlicht,
                                                                                                                                                                                                                                                  von Venedig: Ralph
der Kurde Halil Altindere beiträgt, wird von einer tür-                                                                                                                                                                                                  Rugoff
                                                                                                                                                                                                                                                                       Miami, der Art Basel in Basel, der Frieze London, der    den die Art Basel und ihr Sponsor UBS jedes Jahr bei
kischen Stiftung bezahlt. Die immer schrillen, überbor-                                                                                                                                                                                                    2
                                                                                                                                                                                                                                                                       Frieze New York und der Frieze Los Angeles. So wie       ihr in Auftrag geben. Der Marktbericht versammelt alle
denden und entsprechend teuren Video-Installationen                                                                                                                                                                                               Werden die beiden
                                                                                                                                                                                                                                                                       sich das Schauspiel draußen in den Hallen gleicht: Von   verfügbaren Daten über die Vermögensentwicklung und
des Thailänders Korakrit Arunanondchai finanziert                                                                                                                                                                                                  Besucher das Bild   allen Seiten bohren sich aus engen Ständen Kunst-        zeichnet so eine globale Karte der potentiellen Kund-
dessen Galerie. Und wer für die noch größeren Video-                                                                                                                                                                                              kaufen? Das hoffen   werke ins Auge, als würde man sehr schnell durch         schaft, zum Beispiel: Kunstsammler verfügen in der Regel
Installationen Ed Atkins’ aufkommt, einem der derzeit                                                                                                                                                                                               die Angestellten   das Fernsehprogramm zappen; Galeristen, die für die      über ein Jahreseinkommen von 100 000 Euro aufwärts.
                                                                                                                                                                                                                                                     der Art Basel
spannendsten Künstler, ist Ralph Rugoff noch gar nicht                                                                                                                                                                                             in Hongkong im      Standmiete und den Transport mal wieder ihre Existenz    Das trifft auf weltweit 479 Millionen Menschen zu,
klar. „Notfalls müssen wir Werke einsparen.“                                                                                                                                                                                                           März 2019       gefährdet haben, lugen, ihre Nervosität überspielend,    doppelt so viele wie im Jahr 2000. Oder: Im Jahr 2000
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                                      Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 142                                                                                                                                                                                          Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 143
Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch
Materialien
                                                                   Kunst

gab es 12,9 Millionen Millionäre, 2018 waren es 42,2          Der Kunst-       Dollar Umsatz, und das sind die meisten, sind um
Millionen. Deren Gesamtvermögen stieg im letzten Jahr          markt als       achtzehn Prozent zurückgegangen. Viele verdankten
um zehn Prozent auf 142 Trillionen US-Dollar. Oder:          Seismograph       die Hälfte ihrer Einnahmen einem einzigen Künstler.
In China entstehen jede Woche zwei neue Milliardäre.                           „Wenn der von einer größeren Galerie abgeworben
                                                               der Welt-
Vor allem aber reisen McAndrew und ihr Team um den                             wird, sind sie in einer sehr gefährlichen Lage.“ Zwischen
Globus und befragen Galeristen und Auktionshäuser. So         wirtschaft:      2008 und 2018 ist die Zahl der Galerien um 86 Prozent
kommen Zahlen zustande wie: 2018 hatte der Kunst-            Die Spitzen-      gesunken. Das ist auch für die Großen schlecht: „Wenn
markt, Auktionen und Galerieverkäufe addiert, einen            vermögen        der Markt auf einer kleinen Zahl von Leuten beruht, ist
Umfang von 67,4 Milliarden Dollar, neun Prozent mehr           wachsen         er einem größeren Risiko ausgesetzt, sobald ein Schock
als 2008. Die Zahl der verkauften Werke ist im gleichen       stark, und       die Ultra High Networth Individuals trifft.“
Zeitraum um neun Prozent gesunken: Während weniger           die Ungleich-           Wenn wir also den Kunstmarkt als Seismograph
Kunst verkauft wird, wird mehr für sie bezahlt.                                der Weltwirtschaft betrachten, welches Bild ergibt sich
      Dazu passt diese Zahl: Das Wachstum des Kunst-            heit wird      dann? „Es geht ein bisschen langsamer aufwärts als im
markts seit dem Jahr 2000 verläuft zu achtzig Prozent            immer         vorigen Jahr. Die Spitzenvermögen wachsen weltweit
analog zum Wachstum der größten Vermögen.                        größer.       weiter stark, aber die Ungleichheit wird immer größer.“
      Solche Zahlen, bestellt von einem Unternehmen,                                 Die Maschine aus Hongkong landet kurz nach
das ein existentielles Interesse daran hat, das Vertrauen                      Sonnenaufgang in Zürich. Auf den Serpentinen ins
in den Markt stabil zu halten, sind natürlich angreifbar.                      Engadin wird verständlich, dass es immer mehr Men-
Wenn die Art Basel die doch recht bestürzende Tatsache,                        schen aus der Kunstwelt hier hochzieht. Die sanften,
dass nur noch sechzehn Prozent der amerikanischen                              schneebedeckten Riesen schirmen das Tal, dessen Licht
Sammler unter fünfzig sind, hinter der Sensation ver-                          schon Nietzsche, Segantini und Beuys liebten, gegen
steckt, dass 42 Prozent der Sammler in Singapur nach                           die Außenwelt ab. Bis zu 14 500 Maschinen landen
1980 geboren wurden, dann ist klar, welchem Zweck                              und starten im Jahr auf einem der höchsten Flug-
das dient: dem Eindruck entgegenzuwirken, die nächste                          plätze Europas bei St. Moritz, was in einem gewissen
Generation interessiere sich nicht mehr fürs Kunst-                            Missverhältnis zu 8879 abgefertigten Passagieren steht.
sammeln. Oder alle amerikanischen und europäischen                             2021 wird er ausgebaut. Der Architekt Norman Foster
Galeristen, die spüren, dass es so ist, zu ermuntern, nach                     wohnt und zeichnet hier, der Kurator Adam Szymczyk
Asien zu kommen, wo etwa für den jungen kolumbia-                              hat hier eine Wohnung. Zwischen den Jahren tanzt
nischen Künstler Oscar Murillo, in dessen Werk man                             Art-Basel-Direktor Marc Spiegler im „Dracula“, dem
vor wenigen Jahren noch mit 18 000 Euro einsteigen
konnte, jetzt bis zu 300 000 Dollar bezahlt werden.

                                                                                                                                           fotos: 3 courtesy art basel 4 landon nordeman / trunk archive
                                                                                                                                                                                                           4
      In diesem Jahr ist der Marktbericht seltsam. Er
spricht zwei Sprachen zugleich: die der Zahlen und die                                                                                                                                                     Member’s Club von Gunter Sachs. „Du tanzt mit den                                 in der Ausstellung von Pat Steir, auf der die Farbe der
der Gefühle. Und die widersprechen einander.                                                                                                                                                               Rich Kids dieser Erde und hast das Gefühl, draußen                                Schwerkraft folgt, kosten eine halbe Million Dollar.
      Auch 2018 gingen zwar die Verkäufe um drei                                                                                                                                                           könnte der Dritte Weltkrieg ausbrechen, es wäre egal“,                                 St. Moritz und die umliegenden Dörfer zählen
Prozent zurück, doch der Markt ist um sechs Prozent                                                                                                                                                        erzählt ein Galerist, der an Silvester oben war. In der                           die meisten Galerien pro Einwohner auf dem Planeten.
gewachsen. Die Zahlen sind stabil. Aber die Stimmung                                                                                                                                                       Hotelsauna trifft man die Galeristen und Sammler, die                             „An den kurzen Wintertagen sind die Leute froh, nach
ist pessimistisch: Sollte 2020 eine Finanzkrise zuschla-                                                                                                                                                   man auf Eröffnungen in Berlin, London, New York                                   Sonnenuntergang noch in eine Ausstellung gehen zu
gen, wären die Staaten weniger darauf vorbereitet als                                                                                                                                                      oder Zürich sieht.                                                                können“, sagt Filippo Percassi, „hier haben sie Zeit für
2008. Die meisten Galeristen und Auktionshäuser be-                                                                                                                                                             „Das Beste am Engadin ist, dass die Landschaft                               die Kunst.“ Percassi leitet die Mailänder Galerie Monica
fürchten, dass wegen der wirtschaftlichen Entwicklung                                                                                                                                                      noch dieselbe ist“, sagt Julian Schnabel, der, wenn er                            De Cardenas, die jüngst ihren Hauptsitz nach Zuoz
die Nachfrage sinkt – und auf dem Kunstmarkt sind es                                                                                                                                                       nicht in seinem Neo-Renaissance-Palazzo in Manhat-                                verlegte: „Wir haben hier mehr Laufpublikum als in
                                                                                                                                                                                                                                                                               bilder:
eher Befürchtungen als Fakten, die das Kaufverhalten                                                                                                                                                       tan ist, in der kleinen Künstlerpension „Villa Flor“ in                3          der Stadt.“ Das Engadin ist das Gegenprogramm zur
prägen.                                                                                                                                                                                                    S-chanf wohnt, ein paar Schritte vom provisorischen             Die Ökonomin      gehetzten Erfahrung der Kunstmesse. „Hier machen
      Clare McAndrew ist ein Zahlenmensch, und sie ist                                                                                                                                                     Atelier, und so redet, als hätte er nichts mit dem Jetset zu   Clare McAndrew     einige der anspruchsvollsten Sammler der Welt Urlaub“,
Britin: nüchtern, streng und sachlich. Aber sie sagt: „Es                                                                                                                                                  tun, den sein Sohn 2015 mit der Eröffnung der Galerie                  4          schwärmt der Galerist Iwan Wirth. „Eine wunderschöne
war 2019 für Teile des Marktes ein langsamer Start. Es                                                                                                                                                     Vito Schnabel herlockte. „Watch your head“, hat der             Julian Schnabel   Umgebung, um Kunst zu zeigen und zu verkaufen.“
                                                                                                                                                                                                                                                                            im Aufzug des
wird vor allem für kleine Galerien immer schwieriger.“                                                                                                                                                     Vater in fettem roten Pinselstrich über die enge Treppe        Whitney Museum     Wenn es so weitergeht, dann muss, wer mit Kunst sein
Die Umsätze von Unternehmen mit weniger als 500 000                                                                                                                                                        geschrieben, die ins Untergeschoss führt. Die Gemälde              New York       Geld verdient, den Urlaubsort immer seltener verlassen.
                                                             3

                                       Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 144                                                                                                                                                    Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 145
Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch
Materialien
                        Kunst

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Einige Sammler wohnen auch hier, wie die reichste

                                                                                                                                         fotos: 5 studio stefano graziani 6 anoush abrar for art stations foundation ch / muzeum susch 7 carla accardi, „rolls(rotoli), 1966-71. foto: błażej pindor for muzeum susch /
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Frau Polens, Grażyna Kulczyk, die im Januar talabwärts
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          in einer alten Klosterbrauerei das Muzeum Susch eröff-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          net hat. Man steigt über schmale Stiegen in verwinkel-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          te Räume, ganze Höhlen sind in den Fels gesprengt,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          über die Böden rinnt Quellwasser. Ein feinsinnigeres
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Denkmal, demütiger gegenüber dem Ort und seiner
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Geschichte, kann man kaum bauen. Künstler schufen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Installationen für die Räume, eröffnet wurde mit einer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          phantastisch kuratierten Ausstellung feministischer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Kunst.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Kulczyk sitzt in der fünfhundert Jahre alten holz-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          verkleideten Klosterstube im Obergeschoss, sie spricht
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          zurückhaltend, fast schüchtern. „An der Riviera war es
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          im letzten Jahr furchtbar heiß, wegen des Klimawandels.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Hier ist es im Sommer am schönsten. Sie müssen nicht
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          am Strand liegen und sich fragen: Oh mein Gott, was
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          mache ich die nächsten paar Stunden? Viele Asiaten
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          kommen hierher. Die Mentalität der Engadiner ist
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        7
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          der japanischen verwandt. Menschen brauchen Ruhe,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          frische Luft, gesundes Essen. Das Tal gibt ihnen alles.“                              unterbezahlten Künstlern, Kunsthistorikern, Kuratoren
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Dass Norman Foster hier ein kleines Silicon Valley                                    und Kritikern produziert wird, die nicht nur für neue
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          aufbauen will, findet Kulczyk eine phantastische Idee.                                Ware sorgen, sondern auch den öffentlichen Glauben
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Das Internet ist ja schon jetzt schneller als in der Stadt.                           an die Kunst hochhalten, und damit die Preise stabil.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                St. Moritz, das seit jüngstem einen Opernsän-                                   Die aber nie eine Chance haben werden, in die Schlösser
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          ger zum Bürgermeister hat, wird zum Zentrum einer                                     zu ziehen, die sie mit ihren Gutachten aufwerten, oder

                                                                6 jim stephenson 7 mvrdv, © vg bild-kunst, bonn 2018 8 frank hülsbömer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Modellregion für die Ökonomie der Bereicherung, die                                   sich die Gemälde zu leisten, die sie anpreisen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          die Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre                                            Mit Yachten und Fußballclubs kann man sich

                                                                                                                                         art stations foundation ch, courtesy art stations foundation ch, muzeum susch
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          jüngst analysiert haben. Sie legen dar, wie der Reichtum                              immer weniger von ähnlich Vermögenden abheben. Das
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          derer, die über bedeutende Kunstwerke, Weingüter und                                  ist neben den niedrigen Zinsen ein Grund dafür, dass
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          alte Immobilien verfügen, sich inzwischen ganz von                                    immer mehr Geld in die Kunst strebt, jene Branche, die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          selbst vermehrt: dank des Rohstoffs Kultur, das Öl des                                wirklich einzigartige Werke und Werte herstellt. „Ich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          21. Jahrhunderts, das durch Luxustouristen und Staats-                                kenne eine Sammlerin, die sagt: ‚Ich kaufe Gagosian‘“,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          subventionen finanziert und von einer Reserve-Armee an               bilder:          erzählt Galeriedirektor Percassi, „so wie man sagt: ‚Ich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   5
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                kaufe Prada.‘“ So wird der seiner Bildung und seinem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Ein Eingang zum
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Muzeum Susch          eigenen Geschmack vertrauende Sammler zunehmend
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             im Engadin         überrollt vom Spekulanten, der in sichere Marken inves-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   6            tiert: Art Basel, David Zwirner, Richard Serra.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Sie hat es eröffnet:         Diesen Markt bedient niemand so geschickt wie
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Grażyna Kulczyk,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          die reichste Frau
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                das Schweizer Galeristenpaar Manuela und Iwan Wirth,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Polens          das auf seiner Website ganze 84 Künstler und Künstler-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   7            nachlässe führt und neben zwei Standorten in New York
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Ein Teil der       Filialen in Hongkong, London, Gstaad und Zürich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Eröffnungs-Aus-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        stellung „A Woman
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                hat, wo die Zollbehörden der Galerie sogar ein eigenes
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Looking at Men        Freihandelslager zugestanden haben – und seit neuestem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Looking at        in St. Moritz, gegenüber vom imperialen „Palace Hotel“.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Women“ im          Das gebeizte Pinienparkett duftet betörend.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Muzeum Susch
                                                                bilder:

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         (noch bis zum 30.            Wer das elegante Logo von Hauser & Wirth pas-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Juni 2019)        siert, tritt in eine ganze Welt ein. Die Dependance in
                                                            5                                                                                                                                                                                                                                                             6

Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 146                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 147
Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch
Materialien
                                                               Kunst

Los Angeles tritt auf wie ein Museum, inklusive Souve-        Was pas-           zum Hotel vor. Antragsteller: Hauser & Wirth. Was
nirgeschäft, das von Jack Whitten entworfene Einsteck-      siert, wenn          passiert, wenn sich der Kunstmarkt in einen Luxusmarkt
tücher oder von Paul McCarthy gestaltete Skateboards           auf dem           verwandelt, auf dem nicht Qualität entscheidet, sondern
anbietet. In der Grafschaft Somerset im Süden Englands                           das Investitionsklima der Marke? Die Wertschöpfung
                                                            Kunstmarkt
kann man auf einem Bio-Hof mit Skulpturenpark                                    der Kunst beruhte bislang auf der Voraussetzung, dass
übernachten, und seit Dezember betreiben Iwan und           das Investi-         jedes Kunstwerk, egal, wem es gehört, prinzipiell allen
Manuela Wirth in den schottischen Highlands das aus          tionsklima          gehört. Auch deshalb ist die Radikalisierung der Ver-
dem 19. Jahrhundert stammende Hotel „Fife Arms“, das         der Marke           mögensunterschiede hier stärker spürbar als in den
sie mit Handwerkern aus der Region saniert und dessen      entscheidet?          meisten anderen Branchen: Jeder kann eine gefälschte
neunzig Zimmer sie mit antiken Möbeln und zeitge-              Wird die          Louis-Vuitton-Handtasche tragen. Aber ein von Wade
nössischen Werken ausgestattet haben – was genau der       unterbezahlte         Guyton am Riesen-Tintenstrahldrucker ausgedrucktes
Strategie der „Anreicherung“ entspricht, die Boltanski                           abstraktes Bild, das für eine Million versteigert wird,
und Esquerre beschreiben: Historische Monumente
                                                              Künstler-          kann man sich, auch wenn es technisch möglich wäre,
werden mit zeitgenössischer Kunst aufgewertet, regional     assistentin          nicht noch einmal ausdrucken. Ein Kunstwerk, das
Typisches mit Weltläufigkeit verknüpft. Bei Hauser &         dann noch           außer Reichweite ist, ist wirklich außer Reichweite.
Wirth nimmt die Kunst ein neues Wesen an, sie wird           neben der           Das Maß des Ewigkeitsanspruchs erlaubt es, den Was-
zur Lebenswelt: Die Aura der Werke überträgt sich auf       Milliardärin         serstand zu sehen.
die Räume, auf die Souvenirs, auf die im hauseigenen         am selben                 Wie lange wird der Glaube halten, dass es in der
Verlag erscheinenden Bücher und damit auf die Marke                              Kunst um das Gleiche geht, sich der Aufenthalt in
                                                            Dinnertisch
selbst. Das galerie-eigene Magazin „Ursula“, dessen Her-                         Somerset um dieselben Werte dreht wie der Projekt-
ausgeber Randy Kennedy von der „New York Times“            sitzen? Wenn          raum in Berlin-Neukölln? Wie lange wird eine weitere
abgeworben wurde, rundet die Welt sinnstiftend ab.          nicht: Bricht        Besonderheit der Kunstwelt bestehen, nämlich dass sich
      Zwei Drifts zerren an der Kunst: die Drift nach       das System           hier die unterbezahlte Künstlerassistentin neben der
Asien und die Drift nach oben. Alles Ständische wird       dann zusam-           Milliardärin am selben Dinnertisch findet? Und wenn
aufgesogen, alles einmal Aufgewertete oben zur Weiter-          men?             der Glaube bricht, werden die Preise halten?
verwertung abgegriffen. Oben aber herrscht die Idylle                                  Es ist meist nach Mitternacht, wenn die Kunst-
                                                                                                                                                                        9
von Somerset. Das Bio-Fleisch kommt aus den aufge-                               welt zu sich kommt: Fast alle haben die Dinnerparty
kauften Bauernhöfen, und die Künstler der Galerie                                verlassen, die eine Galerie für Künstler, Sammler und
werden mit Quittenmarmelade und Decken aus der                                   Museumsdirektoren gegeben hat, zurück bleiben nur
Wolle der Schafe von Somerset versorgt.                                          zwei Sammler und zwei Kritiker, die Gespräche münden
      Vor kurzem wurde im beschaulichen Sils Maria,                              mal wieder in die Einsicht, dass es irgendwie vorbei ist
eine Viertelstunde von St. Moritz, die beliebte Pension                          mit der zeitgenössischen Kunst. „Vor fünf Jahren musste

                                                                                                                                               10 heather edwards
„Andreola“ mit dem Restaurant „Chesa Marchetta“ ver-                             man noch auf der Art Basel Miami sein, sonst hat man
kauft. Bei der Gemeinde liegt ein Antrag für Umbauten                            was verpasst. Jetzt ist es total egal. Man sieht eh überall
                                                                                 das Gleiche.“ „Es ist die Übersättigung“, sagt die eine.
                                                                                 „Es ist die Überproduktion“, sagt der andere. Warum
                                                                  bilder:        sind ein Viertel der von Hauser & Wirth geführten
                                                                      8
                                                                                 Positionen Nachlässe verstorbener Künstler? „Wegen
                                                              Das Schweizer                                                                    9 hélène binet
                                                              Galeristenpaar     eines tiefen Misstrauens in die zeitgenössische Kunst.“
                                                                 Manuela               Es ist einer der Momente, in denen man sich auf das
                                                             und Iwan Wirth      Eigentliche besinnt, einen Qualitätsanspruch, der eben
                                                                      9          nicht das Gleiche ist wie Geschmack, eher ein Wissen
                                                            In der Grafschaft
                                                                                 oder eine Ahnung zumindest, die einen Faden berührt,
                                                                                                                                               fotos: 8 vincent evans

                                                           Somerset im Süden
                                                           Englands betreiben    der die Kunst der alten Griechen etwa mit dem Schlitten
                                                            sie einen Bio-Hof    von Joseph Beuys verbindet und mit einer zusammenge-
                                                           mit Skulpturenpark    rollten Filzdecke und einer Taschenlampe, der auf dem
                                                                     10
                                                                                 Stand der Galerie David Zwirner für 330 000 Euro zum
                                                           Dort steht etwa der
                                                              Radić Pavilion     Verkauf steht; das schönste Werk auf der Art Cologne,
                                                           von Smiljan Radić     ist man sich einig, in seiner Klarheit, seiner Kargheit,
8                                                                                                                                                                       10

                                      Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 148                                                                              Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 149
Der Staubsaugereffekt - Muzeum Susch
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                                                                Kunst

seiner andersweltlichen Aufgeladenheit, ein Gast aus                              licherweise auf Ideen. Und weiß, wo er ihn einliefern
einer vordigitalen Ära, als ein Ding noch ein Ding                                kann. Der Schlitten steht für eine Schubumkehr: Auch
war, ein Maß noch ein Maß, ein Gewicht ein Gewicht.                               Zwirners Vater Rudolf hat in Köln, auf der ältesten
Könnten wir ihn uns doch leisten.                                                 Kunstmesse der Welt, einst Beuys verkauft. Jetzt nutzt
      Und dann sagt der Sammler das Ungeheuerliche,                               sein Sohn die Messe, um einzuwerben, was sein Vater
in dem sich die ganze Ungeheuerlichkeit des heutigen                              einst verkaufte. Der Stand von David Zwirner ist ein
Kunstmarkts spiegelt: Diesen Schlitten habe David                                 Geisterstand, der Schlitten ein Köder. Zwirner wird
Zwirner, der selbst gar nicht angeflogen ist, nicht zum                           ihn vielleicht an einen der neuen Milliardäre in Asien
Verkauf dorthin gestellt. Wer sollte im Rheinland                                 verkaufen, wo die Kunstwelt, die im Westen in der
einen Beuys kaufen? Hier haben alle seit den Sechzi-                              Sinnkrise steckt, noch einmal entsteht: mit noch
gern Beuys gekauft, für ein Hundertstel des Preises.                              größeren Privatmuseen und noch höheren Preisen.
Wie 1969, als der Galerist René Block Beuys’ VW-Bus                                     Kunstmessen haben Galerien in einen globalen
mit 24 DDR-Sportschlitten für 110 000 D-Mark an                                   Wanderzirkus gezwungen. Jetzt, fünfzig Jahre nach
den Sachbuchautor Jost Herbig verkaufte und damit                                 Gründung der Art Basel, könnte sogar die marktbe-
den deutschen Markt für Zeitgenössisches auf ameri-                               stimmende Messe selbst auf den Markt kommen: Ihr
kanisches Niveau brachte. Heute gibt es nicht mehr so                             Träger, die Schweizer Messegesellschaft, leidet unter
viele Sachbuchautoren, die sich für das Kunstsammeln                              der massiven Schrumpfung anderer Messemärkte,
interessieren, und es gibt auch nicht so viele Leute, die                         meldete im letzten Jahr einen Verlust von 190,4 Mil-
sich einen Beuys-Schlitten für 330 000 Euro leisten                               lionen Franken und hat Schwierigkeiten, die 2013
könnten. Die Häuser im Rheinland aber sind voll mit                               eingeweihte Messehalle abzubezahlen. Zuletzt hat sie
Kunst, und die Sammler mit ihren Industriellen- und                 bild:         sich aus kleineren Messen in Düsseldorf oder Neu-
Zahnarztkarrieren sind alt geworden, und ihre Kinder                 11           Delhi zurückgezogen. Der Basler Wirtschaftsberater
                                                              Dieser Schlitten
jetten in Kreativ- und Planungsjobs um die Welt und          von Joseph Beuys
                                                                                  Tobias Gombert, der gerade das Engadin für sich
können keine Kunstsammlung gebrauchen.                       für 330 000 Euro     entdeckt, empfiehlt eine Zerschlagung. Sollte die Art

                                                                                                                                           foto: 11 joseph beuys, „schlitten“, 1969, © vg bild-kunst, bonn 2019. foto: akg-images / album
      Der Schlitten sucht also kein Zuhause. Er ruft        will nicht verkauft   Basel einen neuen Eigentümer suchen, wären zwei
seine Artgenossen zurück auf den Markt. Wer einen             werden, er ruft     Szenarien denkbar: Hauser & Wirth übernimmt die
                                                               lediglich seine
Beuys im Keller hat, der einst 3000 Mark kostete und        Artgenossen zurück    Messe mit ihren Ablegern in Hongkong und Miami
jetzt einen sieht, der 330 000 Euro bringt, kommt mög-        auf den Markt       zusammen mit weiteren Megagalerien wie Gago-
                                                                                  sian, Pace und David Zwirner. Oder einer der beiden
                                                                                  größten Profiteure der Bereicherungsökonomie erwei-
                                                                                  tert seine Wertschöpfungskette: Bernard Arnault, der
                                                                                  mit 94,6 Milliarden Dollar Vermögen viertreichste
                                                                                  Mann der Welt, zu dessen Imperium Louis Vuitton,
                                                                                  Dior, Céline, Kenzo, Rimowa, Givenchy, Moët &
                                                                                  Chandon und Hennessy gehören; oder François
                                                                                  Pinault, der die Modelabels Gucci, Yves Saint Laurent,
                                                                                  Balenciaga, Alexander McQueen und Brioni besitzt,
                                                                                  das Auktionshaus Christies’s und eine der größten
                                                                                  Kunstsammlungen der Welt, die er im Palazzo Grassi
                                                                                  in Venedig zeigt (Vermögen: 31,5 Milliarden Dollar).
                                                                                  Ihre Kaufkraft haben beide zuletzt im Spendenwett-
                                                                                  kampf für die Restaurierung der vom Feuer zerstör-
                                                                                  ten Kirche Notre-Dame bewiesen. Würde einer von
                                                                                  ihnen auch noch die größte Kunstmesse übernehmen,
                                                                                  schlösse sich in seiner Hand der Luxus-Kunst-Mode-
                                                                                  Tourismus-Komplex zum feudalen Wertschöpfungs-
                                                                                  kreislauf – gefüttert durch die Selbstausbeutung von
                                                                                  Künstlern und Kunstexpertinnen, die noch an andere
                                                                                  Werte glauben als das Geld.
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                                        Frankfurter Allgemeine Quarterly . ausgabe 03 /2019 . 150
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