Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen - Archäologie Schweiz
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SPM-Koll VIII_CoverWeb_SPM VIII – KOLL 14.11.18 09:22 Seite 1 SPM Kolloquium — colloque Bern 2018 AS – Archäologie Schweiz SAM – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit SBV – Schweizerischer Burgenverein (Herausgeber) Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen Die Schweiz von 1350 bis 1850 — La Suisse de 1350 à 1850 AS – Archéologie Suisse SAM – Groupe de travail suisse pour l’archéologie du Moyen Age et de l’époque moderne SBV – Association suisse Châteaux forts (éditeurs) La Suisse de 1350 à 1850 à travers les sources archéologiques Akten des Kolloquiums Actes du Colloque Bern, 25.–26.1.2018 Verlag Archäologie Schweiz SPM Basel 2018 ISBN 978-3-908006-48-0
Umschlag: Dudelsackbläser vom so genannten Holbein-Brunnen. Werk eines unbekannten Künstlers, um 1545. Sandstein mit farbiger Fassung. Höhe 91 cm. Heute Basel, Historisches Museum, Inv. 1910.132. Umzeichnung Archäologie Baselland, S. Schäfer. Schellen-Under. Schaffhauser Spielkarte. Schaffhausen, um 1800. Holzschnitt, schablonenkoloriert. Drucker David Hurter; Bearbeitung I. D. Zeder. Couverture: Joueur de cornemuse de la fontaine dite de Holbein. Oeuvre d’un artiste inconnu, ver 1545. Grès avec décor polychrome. Hauteur 91 cm. Aujourd’hui à Bâle, Musée Historique, Inv. 1910.132. Dessin Archéologie Baselland, S. Schäfer. Schellen-Under (Under de grelot). Carte à jouer de Schaffhouse. Schaffheouse, vers 1800. Gravure sur bois peinte au pochoir. Imprimeur David Hurter. Infogra- phie I. D. Zeder. Wissenschaftliche Leitung / Direction scientifique : Steuerungsgruppe SPM VIII (s. S. 7), im Auftrag der Wissenschaftlichen Kommission der Archäologie Schweiz / sur mandat de la Commission Scientifique d’Archéologie Suisse. Die Umsetzung dieser Internet-Publikation wurde unterstützt durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozial- wissenschaften SAGW. Der Band ist gratis online verfügbar unter www.archaeologie-schweiz ▻ Publikationen ▻ Online-Publi- kationen. La réalisation de cette publication éléctronique a été largement soutenue par l’Académie des Sciences humaines et sociales ASSH. Le volume est mis à disposition en ligne gratuitement sur www.archeologie-suisse.ch ▻ Publications ▻ Publications en ligne. Hardcopy produziert mit Unterstützung der Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. / Version imprimée réalisée avec le soutien du Groupe de Travail pour l’Archéologie du Moyen Age et de l’Epoque moderne. Bestelladresse für die gedruckte und gebundene Version: Archäologie Schweiz, Petersgraben 51, CH-4051 Basel, admin@archaeologie-schweiz.ch Adresse de commande pour la version imprimée et reliée: Archéologie Suisse, Petersgraben 51, CH-4051 Bâle, admin@archeologie-suisse.ch Projektleitung / Direction du projet : Urs Niffeler. Redaktion / Rédaction : Catherine Leuzinger-Piccand (Beitrag Liboutet/Vanetti); Urs Niffeler (übrige Teile). Druckvorstufe / Prépresse : Isabelle D. Zeder. Copyright by Archäologie Schweiz, Basel 2018. ISBN 978-3-908006-48-0
Inhaltsverzeichnis – Table de matière – Indice Dank ....................................................7 Zur Chronologie und Typologie der Wohnbauten Graubündens im Zeitraum von 1350 bis 1850 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Mathias Seifert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 Alpnutzung in Spätmittelalter und Frühneuzeit 1. Siedlungen – Habitat am Beispiel Andermatt UR Brigitte Andres und Christian Auf der Maur . . . . . . . . . . . . . . .129 1.1 Städte – Villes Der Oberwalliser Wohnbau in Spätmittelalter und Basel – Transformationen einer Stadt Neuzeit. Das Bespiel Schnydrighaus in Mund, Frank Löbbecke, Martin Möhle, Gemeinde Naters Werner Bellwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .139 Christoph Matt und Marco Bernasconi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11 Vom Lagerbau zum Stadthaus. Innerschweizer Holzbau Ulrike Gollnick und Christoph Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 Die bauliche Entwicklung des Städtchens Werdenberg (Grabs SG) im 14. und frühen 15. Jh. Carolin Krumm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 Bauernhäuser aus Altholzbeständen – eine Erscheinung des Taunerwesens im 18./19. Jh.? Katharina König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161 Städtischer Wohnbau am Beispiel Zug Anette JeanRichard und Christoph Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 Archéologie du « village vigneron » : l’exemple Freiburg: Rue Neuveville 46, du Vignoble neuchâtelois (15e–17e siècles). ein spezieller Typ von Gerbereigebäude Comment le développement de l’économie viticole Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49 du 15e au 17e siècle a durablement influencé le paysage, l’urbanisme et l’architecture de la région Christian de Reynier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .175 Murten: Ein Dachstuhltyp zu Wohnbauten ab dem frühen 16. Jh. Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53 1.3 Sonderbauten und Infrastruktur – Bossonnens FR: Von der mittelalterlichen Burg Bâtiments spécialisés et infrastructures bis zur Artillerieplattform Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .57 Münzstätten im archäologischen Befund Rahel C. Ackermann und Christoph Ph. Matt . . . . . . . . . . . . . .189 Saint-Ursanne, premières investigations en archéologie urbaine dans le Jura Die gemeineidgenössischen, bernischen und vorder- Sébastien Saltel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .63 österreichischen Landvogteischlösser des Aargaus Peter Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195 1.2 Ländliche Siedlungen – Habitat rural Baden AG: vom Wildbad zum Kurort Andrea Schaer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .197 Der städtische Einfluss auf die Haus- und Siedlungsentwicklung im Basler Untertanengebiet Bad Weissenburg und das Badewesen (Kanton Baselland ohne Laufental) im Berner Oberland Anita Springer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69 Volker Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 Hochstudbauten im Aargau. Bauarchäologische und bauhistorische Unter- Typologische Entwicklung vom 16. Jh. bis 19. Jh. suchungen am Escher- und am Linthkanal Cecilie Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79 Jakob Obrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 Alles unter Schutt und Asche. Das ehemalige Gasthaus Ochsen in Flüelen UR: Ofenkachelfunde des 14.–18. Jh. in Brandhorizonten Gasthof, Kaufhaus und Sust an der Gotthardroute. von Fricktaler Bauerndörfern Ein stattlicher Bau am Übergang zwischen Land David Wälchli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93 und See Ulrike Gollnick und Christian Auf der Maur . . . . . . . . . . . . . .229 Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen Moritz Flury-Rova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 3
Le pavillon de chasse de Guillaume de La Baume : 3. Glaubenswelt – Croyances une source d’inspiration pour le Canton de Fribourg Rocco Tettamanti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237 3.1 Bauten und Zeichen – Pour une relecture du statut économique du Canton Bâtiments et symboles de Vaud à l’époque moderne : les cas du fer et des fours à chaux du Jura-Nord vaudois Die Mikwe von Lengnau AG Peter Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .397 Alice Vanetti et Marion Liboutet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .239 Das «Cappeli» im Berner Stockental Volker Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .399 2. Materielle Kultur – Culture matérielle Ermitages religieux des environs de la ville de Fribourg Laufenburg-Siechebifang – ein aussergewöhnlicher (15e–19e siècles) : un patrimoine à redécouvrir Fundkomplex aus dem 15. Jh. Ludovic Bender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .407 Ein Einblick in das Inventar des ehemaligen Laufenburger Siechenhauses Aménager un temple réformé en terres neuchâteloises Reto Bucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .255 (1530–1850). Apports de l’archéologie Jacques Bujard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .417 Bunte Schüsseln, schlichte Tassen. Gefässkeramik- entwicklung in der Nordostschweiz (1350–1850) An Holzbauten beobachtete Zeichen Valentin Homberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .271 von Praktiken der Volksfrömmigkeit Ulrike Gollnick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .427 Ein geschlossenes Geschirrensemble des 18. Jh. aus Winterthur Annamaria Matter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .283 3.2 Bestattungen – Sépultures Alles im grünen Bereich. Die Haushaltskeramik Grabbeigaben im Gebiet der Deutschschweiz vom Bauschänzli in Zürich, datiert vor 1662 Martina Kaelin-Gisler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .431 Jonathan Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297 Die Bestattungen im Kanton Bern im Wandel der Zeit. Spätmittelalterliche und neuzeitliche Keramik- Interdisziplinäre Betrachtungen zu den Gräbern und komplexe im Kanton Zug Verstorbenen Eva Roth Heege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .309 Amelie Alterauge und Sandra Lösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .441 Reperti ceramici in Ticino dal 1350 al 1850: Evolution des ensembles funéraires de la fin du prime considerazioni Moyen-Âge au début du 20e siècle. Quelques exemples Maria-Isabella Angelino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325 de fouilles récentes dans les cantons de Vaud et de Neuchâtel L’atelier de potiers de Bulle-rue de la Poterne Lucie Steiner et Sophie Thorimbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .457 (1765–1895). Etat de la recherche Gilles Bourgarel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .337 Temple de Daillens VD : sépultures découvertes dans le chœur désaffecté – un cas d’école L’évolution du vaisselier genevois entre 1350 et 1850 Anna Pedrucci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .469 Michelle Joguin Regelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .361 Tabak und Tabakpfeifen in der Schweiz Andreas Heege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .371 4. Umwelt und Naturressourcen – Environnement et ressources naturelles Konjunkturen und Kleingeldwanderung. Kirchenfunde des 16.–19. Jh. Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, Benedikt Zäch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .383 1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Plomben und Marken Archäologie Rahel C. Ackermann und Benedikt Zäch . . . . . . . . . . . . . . . . . .391 Christian Rohr und Chantal Camenisch . . . . . . . . . . . . . . . . . .479 Landwirtschaft und Umwelt im Spiegel archäobiologischer Funde – Materialvorlage Marlu Kühn, Sabine Deschler-Erb und Simone Häberle . . . . .489 4
Abkürzungen – Abréviations – Abbreviazioni AAS Annuaire d’Archéologie Suisse AS et al. 2011 AS et al. (Hrsg.; 2011) Archäologie Schweiz AS/ ABBS Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel- Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäo- Stadt logie des Mittelalters und der Neuzeit SAM/ ADSO Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solo- Schweizerischer Burgenverein SBV (Hrsg.; 2011) thurn SPM – Siedlungsbefunde und Fundkomplexe der AF Archéologie Fribourgeoise Zeit zwischen 800 und 1350. Akten des Kollo- AiZ Archäologie im Kanton Zürich quiums zur Mittelalterarchäologie in der Schweiz, AKBE Archäologie im Kanton Bern Frauenfeld, 28.–29.10.2010. Basel. – Archéologie AM Archeologia Medievale Suisse AS/Groupe de travail suisse pour l’archéolo- ArchBE Archäologie Bern – Archéologie bernoise. Jahrbuch gie du Moyen Âge et de l’époque moderne SAM/ des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern Association suisse Châteaux forts SBV (éds.; 2011) as. archäologie schweiz – archéologie suisse – archeo- SPM – Habitat et mobilier archéologiques de la logia svizzera période entre 800 et 1350. Actes du colloque ASA Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde «Archéologie du Moyen Âge en Suisse», Frauen- ASSPA Annuaire de la Société Suisse de Préhistoire et feld, 28.–29.10. 2010. Bâle. d’Archéologie – Annuario della Società Svizzera di SPM VII Urs Niffeler (Projektleitung u. Red.), Reto Marti et Preistoria e di Archeologia al. (wissenschaftl. Leitung) SPM VII, Archäologie BSSI Bollettino Storico della Svizzera Italiana der Zeit von 800 bis 1350 – L’archéologie de la BZ Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums- période entre 800 et 1350 – L’archeologia del kunde periodo tra l’800 ed il 1350. Basel 2014. CAF Cahiers d’Archéologie Fribourgeoise, Fribourg CAR Cahiers d’Archéologie Romande, Lausanne ENr. Ereignisnummer Kantone – Cantons – Cantoni FA Freiburger Archäologie FHA Freiburger Hefte für Archäologie AG Aargau HLS Historisches Lexikon der Schweiz AI Appenzell Innerrhoden HS Helvetia Sacra AR Appenzell Ausserrhoden ISOS Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der BE Bern Schweiz von nationaler Bedeutung BL Basel-Landschaft JbAB Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung BS Basel-Stadt Basel-Stadt FR Fribourg JbADG Jahresbericht des Archäologischen Dienstes Grau- GE Genève bünden und der Denkmalpflege Graubünden GL Glarus JbAS Jahrbuch der Archäologie Schweiz GR Graubünden JbHGL Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern JU Jura (1983–2001); Historische Gesellschaft Luzern, Ar- LU Luzern chäologie, Denkmalpflege, Geschichte (seit 2002) NE Neuchâtel JbHVFL Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürsten- NW Nidwalden tum Liechtenstein OW Obwalden JbSGUF Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- SG St. Gallen und Frühgeschichte SH Schaffhausen KA Kantonsarchäologie SO Solothurn KDM Die Kunstdenkmäler des Kantons … SZ Schwyz KdS Die Kunstdenkmäler der Schweiz TG Thurgau RHV Revue historique vaudoise TI Ticino SBKAM Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Ar- UR Uri chäologie des Mittelalters VD Vaud SAEF/AAKF Service archéologique de l’Etat de Fribourg/Amt VS Valais für Archäologie des Kantons Freiburg ZG Zug SCA Service Cantonal d’Archéologie ZH Zürich SPM Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum Mittelalter – La Suisse du Paléolithique au Moyen-Age – La Sviz- FL Fürstentum Liechtenstein zera dal Paleolitico al Medioevo ZA Zürcher Archäologie ZD Zürcher Denkmalpflege, Stadt Zürich, Bericht ZAK Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte ZAM Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 5
Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen Moritz Flury-Rova Der Bohlenständerbau tritt heute im Kanton St. Gallen kaum a in Erscheinung. In den Städten stehen neben den Steinbauten und den vielen verputzten Holzbauten ab und zu Sichtfach- werkgebäude. Die ländlichen Hauslandschaften sind im Wesentlichen vom Blockbau geprägt; im Toggenburg, im Rheintal (inkl. Werdenberg) und im Sarganserland ist fast nur Blockbau zu sehen, im Fürstenland nimmt gegen den Bodensee und gegen den Thurgau die Fachwerkbauweise zu. Hier sowie im untersten Toggenburg sind sehr vereinzelt, im ehemaligen Seebezirk (v. a. Gemeinden Rapperswil-Jona und Eschenbach) etwas öfter Bohlenständerbauten zu ver- zeichnen. Doch der Schein trügt in zweifacher Hinsicht. Erstens sind in den letztgenannten Gebieten mehr Bohlen- ständerbauten vorhanden, sie treten aber aufgrund von Verkleidungen nicht in Erscheinung; es scheint, dass, wohl aufgrund der relativ dünnwandigen Konstruktion, die Boh- lenständerbauten öfter verkleidet wurden als Block- und Fachwerkbauten. Zweitens lässt sich aufgrund der in den letzten 30 Jahren erfolgten baugeschichtlichen Untersuchun- gen fast im ganzen Kanton eine ältere Schicht von Bohlen- ständerbauten nachweisen. Der vorliegende Artikel versucht einen Überblick über die Verbreitung der Bohlenständerbauweise zu geben. Er stützt b sich dabei im Wesentlichen auf die Berichte über Baufor- schungen von Peter Albertin, Arnold Flammer, Laurenz Hungerbühler und Hermann Obrist. Die Übersicht kann aufgrund der Quellenlage natürlich nur sehr beschränkt als repräsentativ gelten. Sie gliedert sich nach Baugattungen. Burgen Bei den gemauerten Burgen tritt die Bohlenständerbauweise natürlich höchstens im Innenausbau auf. Am markantesten ist dies im Hof zu Wil der Fall. Angrenzend an den älteren Turm und innerhalb der Umfassungsmauer entstand um Abb. 1. Oberriet SG, Burg/Zehntenhaus mit Aufbau in Ständerbauweise von 1537. 1400 ein über vier Geschosse sich erstreckender Ausbau in a Ansicht von Südosten um 1940/50; b Bohlenausfachung auf der Nordseite, 1976. Bohlenständerbauweise.1 In Rapperswil, Neu-Altstätten und Foto H. Schmidt, Bad Ragaz (a); Foto M. Kaiser, St. Gallen (b). wohl auch andernorts sind gotische Stabwände als Binnen- wände zu verzeichnen. In Rapperswil wurde beim habsbur- gischen Wiederaufbau 1394 praktisch der ganze Innenausbau grösste Teil des Aufbaus ist heute eine Fachwerkkonstruktion, derart angefertigt, erhalten haben sich einige Reste im zwei- zwei Kompartimente hingegen weisen liegende Bohlenfüllun- ten Obergeschoss.2 gen auf, versteift durch geschosshohe Streben, die mit den Interessanter für den Bohlenständerbau als Konstruktion Ständern überblattet sind. Ursprünglich war der ganze hölzer- sind bescheidenere Herrschaftsbauten mit einer Holzkon- ne Aufbau eine reine Bohlenständerkonstruktion, die 1642 struktion über Steinsockel. Bei der «Burg» (oder Zehnten- grösstenteils durch Fachwerk ersetzt wurde.3 haus) Oberriet im St. Galler Rheintal erhebt sich über einem In einem Zug als Mischform von Fachwerk- und Bohlen- hohen gemauerten Sockel ein dendrochronologisch auf 1537 ständerbauweise entstand dagegen unweit davon der auf datiertes Geschoss in Ständerbauweise, das eine Bohlen- einem älteren Steinsockel 1578 errichtete hölzerne Aufbau balkendecke mit der Jahreszahl 1539 enthält (Abb. 1). Der der 1228 erstmals erwähnten Burg Rebstein.4 M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen 107
Abb. 2. Niederhelfenschwil SG, Schloss Zuckenriet mit Aufbau in Ständerbauweise Abb. 3. Rapperswil SG, Hintergasse 12–14, undatierter Bohlenständerbau, bei von 1474. Aufnahme von Südwesten 1974. Foto B. Anderes, Rapperswil. der Renovation 1991 wieder sichtbar gemacht. Foto M. Flury-Rova 2017. Ebenfalls in Mischbauweise errichtet war der Kernbau des In St. Gallen und Rapperswil sind nach den Stadtbränden von Schlosses Dottenwil (Gde. Wittenbach) von 1543: Das Stän- 1418 bzw. 1350 verbreitet Wiederaufbaumassnahmen nach- dergerüst füllten mehrheitlich Bollensteinausfachungen, im zuweisen; in beiden Städten scheint es sich grundsätzlich um ersten Obergeschoss fanden sich aber Bohlen, die aussen mit Bohlenständerbauten zu handeln.7 Ebenso sind in Wil die Tonplatten verkleidet und verputzt waren, so dass sich diese frühen Holzbauten in Bohlenständerbauweise erstellt.8 Ein- Gefache optisch nicht von den ausgemauerten Gefachen unter- zuschränken ist, dass die städtischen (im Gegensatz zu den schieden. Die Erweiterung 1597 erfolgte rein in Fachwerk.5 ländlichen) Bohlenständerbauten zuweilen nicht reine Bohlen- In der Art vergleichbar, aber noch deutlich interessanter ist ständerkonstruktionen waren, sondern auch andere Wand- Schloss Zuckenriet (Abb. 2). Der gemauerte Sockel stammt füllungen, insbesondere Lehm-Flechtwerk, enthielten.9 von einer auf die Zeit um 1280 zurückgehenden Burg von In Wil und in der Stadt St. Gallen ist ab dem späten 15. Jh. Ministerialen der Abtei St. Gallen. Nach einem Brand wurde Fachwerk verbreitet. In Wil ist das 1467 errichtete Haus dem Sockel 1474 ein Aufbau in Ständerbauweise aufgesetzt. Marktgasse 37 der erste Fachwerkbau. In St. Gallen wurden Während Nord- und Ostfassade von Anfang an eine Ausfa- im letzten Drittel des 15. Jh. die Bohlenständerbauten an der chung in Tuffstein hatten, weisen einige Ständer an der Süd- Schmiedgasse 18 («Bäumli» um 1467), an der Spisergasse 24 und Westfassade eine Doppelnut für Bohlenwände auf. Es (1475) und an der Schwertgasse 19/21 (um 1500) in Fachwerk konnte nicht eruiert werden, ob diese Bohlen (insbesondere aufgestockt, bzw. vergrössert; frühe Sichtbacksteinausfachun- wohl für die Räume in der Südwestecke auf beiden Geschos- gen haben die Häuser Webergasse 15 (wohl um 1450–70) sen) eingefügt waren und später ersetzt wurden (wie in Ober- und Schwertgasse 23 (1529), letzteres noch in Kombination riet), oder ob es sich um eine Planänderung während der mit Bohlen in Stube und Nebenstube.10 In Rapperswil erfolgte Bauzeit handelt.6 der Wechsel zum Fachwerk offenbar etwas später. Im Haus zum Engel (Engelplatz 1) weist ein Bohlenständerbau von 1576 Fachwerkausfachungen von 1583 auf, sei es als Planände- Stadt rung oder frühe Reparatur; 1589 folgte an der Kluggasse 19 der erste nachgewiesene Fachwerkbau in der Altstadt.11 In den Städten im Kanton St. Gallen bestehen grosse Unter- In der Kleinststadt Werdenberg sind ab 1375 verbreitet Boh- schiede bezüglich der Bauforschung. Nur in St. Gallen, Wil lenständerbauten fassbar.12 Bis heute wurden unter den ins- und Rapperswil wurden bei Umbauten in der Regel Bau- gesamt rund 35 Bauten des Städtchens bei 25 Gebäuden untersuchungen vorgenommen. Bohlenständerbauten festgestellt. Im 16. Jh. treten Bohlen- 108 M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen
Abb. 4. Wil SG, Toggenburgerstrasse 14, Bohlenständerbau von 1491. Querschnitt IGA/H. Obrist 2009, Umzeichnung R. Tschirky, Trogen. ständerbauweise, Fachwerk und Blockbauweise nebeneinan- der auf. Auffällig ist hierbei vor allem die Blockbauweise, die in den grossen Städten des Kantons keine Rolle spielt. Auf die Typologie der Bohlenständerbauten kann hier nur ganz vereinfacht eingegangen werden. Es handelt sich fast durchwegs um traufständige, zweigeschossige Mehrreihen- Ständerbauten in Geschossbauweise. Bei einer deutlichen Mehrheit ruht der Ständerbau auf einem massiven Erdge- schoss, über das er wenig oder bis zur Ausbildung einer Laube auskragt. Hochständergerüste kommen neben einstöckigen Unterbaugerüsten vor. In Wil z. B. wurden an der Toggen- burgerstrasse 12–14 im selben Jahr 1482 direkt nebeneinan- der zwei Bohlenständerbauten erstellt, von denen jeder eine der beiden Varianten verkörpert (Abb. 4).13 Schliesslich sei noch auf zwei etwas spezielle Objekte in Alt- Abb. 5. Will SG, Tonhallestrasse 7. Bohlenwand mit Kielbogentüre im 1. Oberge- stätten hingewiesen: Am Haus Engelgasse 8 ist nur im 1. Ober- schoss. Foto IGA Zürich/H. Obrist 1995. geschoss eine eingeschossige Bohlenständerkonstruktion sichtbar.14 Die Häuser Rathausplatz 3 und 5 zeichnen sich dadurch aus, dass von den beiden 1689 miteinander errichte- ser war in der Regel nicht sehr viel erhalten. Entsprechend ten Häusern das eine ein reiner Fachwerkbau ist, das andere spärlich sind bauliche Einzelheiten oder Bauschmuck. Zu aber eine Mischform mit Bohlenständerkonstruktion (samt nennen ist eine Kielbogentüre an Tonhallenstrasse 7 in Wil Bohlenbalkendecke) im gassenseitigen Stubenbereich und (um 1500), die direkt in die Wandbohlen eingeschnitten ist Fachwerkkonstruktion im hinter Teil gegen den Hof auf- (Abb. 5). Etwas ergiebiger sind Stabwände, die zwar nicht weist.15 Auffällig ist dabei – im Vergleich mit St. Gallen, Wil direkt mit der Bohlenständerbauweise verknüpft sind, aber und Rapperswil – nicht nur die Mischbauweise, sondern vor doch schliesslich demselben Prinzip folgen. So steht eine auf allem auch das späte Baudatum. 1467 datierte Wand mit stehenden Bohlen, die mit einer Von der ursprünglichen Bausubstanz der oben genannten, in Kreuzigungsdarstellung bemalt ist, in einem Wiler Fachwerk- den letzten Jahren veränderten und dabei untersuchten Häu- haus.16 Eine kleine Trouvaille war die Stabwand im Alten M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen 109
Abb. 6. Rapperswil SG, Alter Schwanen an der Marktgasse. Stabwand von 1405 Abb. 7. Walenstadt SG, Berschis, Schulhausstrasse 6–8, Bohlenständerbau von im 1. Obergeschoss. Ansicht vom Vorraum mit geschnitztem Kielbogenbortal. Foto 1417. Ansicht von Südosten. Foto P. Albertin, Winterthur, 2005. IBID Winterthur/M. Flury-Rova 1999. a Schwanen in Rapperswil (Abb. 6).17 Die auf 1405 datierte Wand in dem gemauerten Haus hatte 12 cm dicke Bohlen in doppelter Nut; auf der Zimmerseite trugen sie eine gotische Rankenbemalung. Besonders kunstvoll war das nur noch zur Hälfte vorhandene, reich geschnitzte Kielbogenportal. Zu diesem Raum gehörte über einem zierlichen Fries eine Boh- len-Balken-Decke. Solche, natürlich nicht auf Bohlenständer- bauten beschränkt, sind sowohl in der gewölbten wie in der geraden Form weit verbreitet. Land bis 1500 Mit der genannten Ausnahme in Altstätten von 1689 sind in den Städten bisher keine Bohlenständerbauten aus der Zeit nach 1600 aufgetaucht. Anders sieht es bei den ländlichen Gebieten aus, jedenfalls in manchen von ihnen. Zuerst aber zu den ältesten Bohlenständerbauten auf dem Land. Voraus- b zuschicken ist, dass im Kanton St. Gallen überhaupt erst rund 15 Bauernhäuser vor 1500 datiert sind. Davon sind die eine Hälfte Block-, die andere Hälfte Bohlenständerbauten. Die Letzteren verteilen sich über fast den ganzen Kanton (Wald- kirch, Wittenbach, Berneck, Balgach [2 ×], Mels, Walenstadt/ Berschis, Wattwil; Abb. 7–9). Weisse Flecken sind das obere Toggenburg, das Oberrheintal sowie die Regionen Werden- berg und See-Gaster. Anders als Bohlenständerbauten findet man Blockbauten aus dem 15. Jh. nur im oberen Toggenburg und in der Region Werdenberg. Im Toggenburg ist der älteste das auf 1449 datierte Geburtshaus Huldrych Zwinglis in Wildhaus,18 drei weitere aus der Zeit bis 1500 stehen in der Gemeinde Ness- lau, alles giebelständige Tätschdachhäuser. Im Werdenberg befindet sich das Walserhaus auf Palfris, mit Datum 1410 das bisher älteste Bauernhaus des Kantons, sowie ein Block- bau mit gemauertem Stock von 1477 in Sax.19 Es sind dies Abb. 8. Mels SG, Wangserstrasse 24, Mehrreihen-Bohlenständerbau von 1444. genau die Gebiete, in denen Bohlenständerbauten fehlen. Es a Südostfassade vor dem Abbruch 2010; b Querschnitt Südost-Nordwest, 2010. sei somit die These gewagt, dass das Toggenburg oberhalb Foto und Zeichnung P. Albertin, Winterthur, Umzeichnung R. Tschirky, Trogen. Wattwil bereits im 15. Jh. (und wohl seit jeher) ein reines 110 M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen
Städtli Werdenberg und mit dem dreiraumtiefen Grundriss bleibt der Melser Bau wie derjenige aus Wattwil (1455, heute im Freilichtmuseum Ballenberg; Abb. 9) vorläufig ein Son- derling im Kanton. Land nach 1500 Die weitere Entwicklung verläuft unterschiedlich. Im Sargan- serland ist abgesehen von einem städtisch anmutenden, auf 1579 datierten Gebäude in Tscherlach mit einem Bohlen- ständerteil24 kein weiterer Bohlenständerbau bekannt. Im Gaster, im Obertoggenburg, in Werdenberg und im Ober- rheintal sind gar keine Bohlenständerbauten nachgewiesen. Mit aller gebotenen Vorsicht kann vermutet werden, dass – Abb. 9. Wattwil SG, Egeten 937. Bohlenständerbau von 1455 während den Vor- nach einer frühen Schicht von Bohlenständerbauten vor bereitungen zur Translozierung in den Ballenberg. Foto Archiv kantonale Denkmal- pflege um 1989. 1500 – sich hier in der südöstlichen Hälfte des Kantons ein Blockbaugebiet abzeichnet, das die beiden Appenzell (ausser dem ausserrhodischen Vorderland) mit einschliesst. Dieselbe Ablösung von Bohlenständerbauten durch Blockbauten beob- Blockbaugebiet war und mit ihm die hinter der Wasserscheide achtete Peter Albertin bereits für das liechtensteinische Rhein- bei Wildhaus anschliessenden Hänge des Werdenberg. Ob- tal der Zeit um 1500.25 wohl sich in der Region Werdenberg auch in der Talsohle – In der nordwestlichen Hälfte des Kantons hingegen wurden abgesehen einer einzelnen, wohl wiederverwendeten Kam- Bohlenständerbauten bis ins 18., teilweise sogar bis ins 19. Jh. mer20 – bisher überhaupt keine ländlichen Bohlenständerbau- errichtet. Typisch für das Unterrheintal, angrenzend an das ten fanden, ist dies wohl doch mit Vorsicht zu interpretieren, Appenzell-Ausserrhodische Vorderland, sind viele Häuser in da östlich des Rheins im Fürstentum Liechtenstein die Holz- Mischbauweise, bei denen der vordere Teil mit Stuben und bauten des 15. Jh. durchwegs Bohlenständerbauten waren.21 Kammern in Blockbauweise, der hintere mit Küche und Vor- Die Lücke in der Region See-Gaster ist ebenfalls mit Vorsicht räumen als Bohlenständerbau ausgeführt ist.26 Angesichts zu interpretieren. Mindestens in der Linthebene und am der Wertigkeit der Räume ist man geneigt anzunehmen, dass Obersee dürften im 15. Jh. sehr wohl Bohlenständerbauten der für die Stuben verwendete Blockbau als wertvoller und errichtet worden sein, denn einerseits sind im angrenzenden besser galt und wohl teurer war. Zwar ist je nach Dicke der Zürcher Oberland für die Zeit vor 1500 nur Bohlenständer- Bohlen die Holzersparnis des Ständerbaus nicht erheblich, bauten nachgewiesen,22 anderseits ist der älteste datierte Bau sicher aber waren dafür weniger lange Hölzer als für Block- der Region ebenfalls ein Bohlenständerbau (Wagen 1566). bauten notwendig. Gemeinsam ist den frühen ländlichen Bohlenständerbauten Im Unterrheintal und in der östlichen Hälfte des Fürsten- im Kanton St. Gallen, dass sie zweigeschossig und in Ge- landes (östlich von Gossau ungefähr) ist die Bohlenständer- schossbauweise errichtet sind, die Ständer also über beide bauweise vor allem ein Merkmal älterer, traufständiger Bauten Geschosse bis zum Dachwerk durchlaufen. Mit Ausnahme der aus dem 16. und 17. Jh. Daneben gibt es hier Blockbauten, beiden Häuser, die ehemals in Wattwil und Mels standen, vor allem an den Hängen gegen Appenzell-Ausserrhoden weisen alle den typischen alpenländischen Grundriss mit hin und dann vereinzelt schon im 16., verstärkt im 17. und Stube und Nebenstube und dahinter liegender Küche auf. Die- schliesslich vorherrschend im 18. Jh. Fachwerkbauten. Als be- ser asymmetrische Grundriss schliesst bis ins Dach hinein- sonders interessanter, wenn auch aussergewöhnlicher Bohlen- laufende Hochständer von vornherein aus, auch das Gebäude ständerbau sei ein 1997 transloziertes Haus aus Anschwilen in Mels hatte keine solchen, wohl aber – als bisher einziges – (Gemeinde Gaiserwald) genannt (Abb. 10). Erbaut 1518 als das Haus in Wattwil. Das Dach ist bei allen anderen also traufständiger Bohlenständerbau, wurde es 1616 auf der Gie- immer eine konstruktive Einheit für sich. Bezüglich Ausrich- belseite verlängert, wieder in Bohlenständerbauweise. Dabei tung des Dachs ist sowohl in der Rheintaler (Balgach/ Bern- wurde erstaunlicherweise das Dach nicht einfach verlängert, eck) wie in der Sarganserländer (Mels/ Berschis) Gruppe je sondern mit gedrehter Firstrichtung ein neues, breitgelager- sowohl die giebel- wie die traufständige Variante vertreten. tes und stark über die Hauptfassade vorkragendes Dach mit Am eindrücklichsten präsentierte sich der weitgehend unver- einer Firstkammer aufgesetzt.27 fälscht erhaltene Bau von 1444 in Mels, der 2010 abgebrochen Westlich von Gossau und das Thurtal hinauf bis Bütschwil wurde (Abb. 8).23 Es handelte sich um ein traufständiges, hingegen sind bisher wenig alte Bohlenständerbauten nach- dreiraumtiefes Gebäude. Im bis unters Dach offenen Mittel- gewiesen, dafür umso mehr aus dem 18. Jh. (Abb. 11).28 Zu teil befand sich die Küche, beidseits davon die je traufseitig diesem – bisher allerdings nur durch ganz wenige Dendro- ausgerichteten Wohnteile mit Stube und Nebenstube. Der daten gesicherten – Befund passt, dass in den angrenzenden Bau wies besonders breite, dekorativ geschnittene Kopf- und thurgauischen Gebieten Bohlenständerbauten teilweise bis Fussbänder auf. Mit seiner Verwandtschaft zu Bauten im in den Anfang des 19. Jh. vorherrschend sind.29 M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen 111
Heute noch am ausgeprägtesten als Bohlenständer-Region cher Oberlandes, wo in den benachbarten Gemeinden Wald tritt der ehemalige Seebezirk in Erscheinung, das Gebiet am ZH und Fischenthal noch diverse Bohlenständer-Neubauten Obersee von Rapperswil über Eschenbach bis Goldingen. nach 1812 nachgewiesen sind.32 Wie im Unterrheintal ist Armin Eberle stellte fest, dass in Eschenbach und Rappers- auch im Seebezirk neben dem reinen Bohlenständerbau die wil-Jona die Bohlenständerbauten gegenüber den Blockbau- Mischbauweise mit Vorderhaus in Blockbauweise, Hinter- ten in der Mehrzahl sind und in Goldingen etwa die Hälfte haus und Dach in Bohlenständerbauweise verbreitet.33 ausmachen.30 Der älteste datierte Bohlenständerbau ist der Wurmsbacherhof in Wagen, ein Flarz, dessen älteste Teile Moritz Flury-Rova auf 1566 zurückgehen (Abb. 12). Ein Bohlenständerbau in Kantonale Denkmalpflege Goldingen von 1815 ist der jüngste datierte im Kanton.31 St. Leonhardstrasse 40 Ähnlich wie im Fürstenland mit dem angrenzenden Thurgau 9001 St. Gallen entspricht dieser Befund dem Bauernhausbestand des Zür- moritz.flury@sg.ch Anmerkungen 1 Bericht IGA Archäologie Konservierung, Zürich/ Hermann Obrist zur 18 Flury-Rova, Zwinglis Geburtshaus in Wildhaus. Ein aussergewöhnliches 2. Bauetappe 2010, S. 4, Archiv KDP (Kantonale Denkmalpflege) SG. mittelalterliches Holzhaus. Artikel des Autors in Vorbereitung für das 2 Bericht Peter Albertin 2015, Archiv KDP SG. Toggenburger Jahrbuch 2019. 3 Freundliche Mitteilung von Peter Albertin, Winterthur (Bauforschung 19 Bericht Laurenz Hungerbühler 2013, Archiv KDP SG; in dieser Publi- zurzeit im Gang). kation Beitrag C. Krumm. 4 Bericht Peter Albertin 2011, S. 20, Archiv KDP SG. 20 Zehntenhaus Salez; C. Krumm, Rätsel um einen Bau des Spätmittelal- 5 Berichte Arnold Flammer 1997 und 1998, beide Archiv KDP SG; ters. Werdenberger Jahrbuch 30, 2017, 228–241. A. Flammer, Zur Geschichte des Schlosses Dottenwil. Wittenbach 1998. 21 C. Herrmann, Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechtenstein, 6 Berichte Arnold Flammer 2007, Peter Albertin 2015, beide Archiv Neue Ausgabe. 1, Das Unterland, 40. Bern 2013. KDP SG. 22 B. Frei, Die Bauernhäuser des Kantons Zürich. 2, Das Zürcher Ober- 7 In Rapperswil: Engelplatz 12: 1353; Herrenberg 35/ 37: 1355; Herren- land, 58–77. Basel/Baden 2002. berg 40: 1355; Marktgasse 4: 1356; Marktgasse 20: 1354 (alle Berichte 23 Bericht Peter Albertin 2010, Archiv KDP SG. Peter Albertin, Archiv KDP SG). – In St. Gallen z. B. Kirchgasse 2: 1460; 24 Dorfstrasse 1, Bericht Peter Albertin 2006, Archiv KDP SG. Schmiedgasse 18: 1421; Schwertgasse 19/21: 1467; Spisergasse 18: 1421; 25 Freundlicher Hinweis von Peter Albertin, Winterthur. Spisergasse 24–32: 1418–22; Webergasse 26: 1446; Zeughausgasse 20: 26 Bauernhausforschung SG, Manuskript Kapitel Hauslandschaft Rhein- 1470 (Denkmalpflege und Archäologie im Kanton St. Gallen 1986– tal-Werdenberg von Armin Eberle; im Appenzeller Vorderland v. a. im 1996, 223–243. St. Gallen 1999; Denkmalpflege und Archäologie im 17. Jh., dazu I. Hermann, Die Bauernhäuser beider Appenzell, 89f. Kanton St. Gallen 1997–2003, 268f.281–283. St. Gallen 2005). Basel/ Herisau 2004. Vergleichbares stellte Peter Albertin im liechten- 8 Berichte IGA/Hermann Obrist zu Marktgasse 28, 32, Toggenburger- steinischen Rheintal fest. strasse 12, 14, 22; Bericht Laurenz Hungerbühler 1992 zu Marktgas- 27 Bericht Arnold Flammer 1995, Archiv KDP SG. se 20; alle Archiv KDP SG. 28 Nach Armin Eberle, Bauernhausforschung SG, Manuskript Kapitel 9 dazu auch B. Moser, Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Holzbau- Hauslandschaft Toggenburg, sind in Bütschwil und Lütisburg rund ein ten im Kanton Zug. Der Bohlenständerbau, 13. Zug 2015. Drittel der Bauernhäuser Bohlenständerbauten. 10 Freundliche Hinweise von Arnold Flammer und Laurenz Hungerbüh- 29 E. Tanner, Die Bauernhäuser des Kantons Thurgau, 96f.510f. Basel ler, beide St. Gallen. 1998. Die Ablösung des Bohlenständerbaus durch Fachwerk wird vor- 11 Berichte Peter Albertin 2007 und 2013, Archiv KDP SG. sichtig als eine von West nach Ost verlaufende Bewegung im Verlauf 12 s. dazu in dieser Publikation Beitrag C. Krumm. vom 16. bis ins 18. Jh. beschrieben. 13 Bericht IGA/Hermann Obrist 2011, Archiv KDP SG. 30 Bauernhausforschung SG, Manuskript Kapitel Hauslandschaft See- 14 Ortsbildinventar Daniel Studer 2018, Archiv KDP SG. Es ist anzunehmen, Gaster von Armin Eberle. dass in den ähnlichen Nachbarhäusern noch mehr Bohlenständerkon- 31 Bauernhausforschung SG, Manuskript Monographie Goldingen, Vor- struktionen verborgen sind. dermülistrasse 1, von Armin Eberle. 15 Bericht Peter Albertin 2015, Archiv KDP SG. 32 Frei 2002 (wie Anm. 22), 62. 16 Denkmalpflege und Archäologie im Kanton St. Gallen 2004–2008, 33 z. B. Hintergoldingen, Haus Hintergoldingerstrasse 45 von 1773, Bau- 270f. St. Gallen 2009. ernhausforschung SG, Manuskript Monographie Hintergoldingen von 17 Bericht Institut für Bauforschung, Inventarisation und Dokumentation, Armin Eberle. Winterthur/Moritz Flury-Rova 2000, Archiv KDP SG. 112 M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen
Abb. 10. Gaiserwald SG, Anschwilen 14. Bohlenständerbau von 1518 mit Erweiterung 1616. Fassade vor der Translozierung nach Oberhelfenschwil. Zeichnung A. Flammer 1994, Umzeichnung R. Tschirky, Trogen. Abb. 11. Oberbüren SG, Im Dorf 3. Bohlenständerbau des 18. Jh., noch ohne die Abb. 12. Rapperswil-Jona SG, Wagen, Wurmsbacherhof, Bohlenständerbau von später üblichen Verkleidungen. Ölbild von Georg Wilhelm Issel (1785–1870), Foto 1566. Foto B. Boari 1977. M. Kaiser. M. Flury-Rova, Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen 113
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