Künstliche Welten steigern die Effizienz - IT-News ...
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Business & IT Virtual Reality Foto: Shutterstock / Halfpoint Virtual Reality (VR) Künstliche Welten steigern die Effizienz VR-Technologien werden teamfähig und verkürzen Produktionszeiten. D er Virtual-Reality-Markt boomt. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte und des Branchenver- bands Bitkom soll der Umsatz mit VR allein im deutschen lung, Tourismus und Entertainment, aber auch der produzie- renden Industrie sowie aus Transport und Logistik haben das Thema adaptiert und nutzen bereits VR-Lösungen. Consumer-Markt bis 2020 auf über eine Milliarde Euro stei- gen, weltweit werden es nach Prognosen von Statista und Di- Das Angebot an VR-Brillen wächst gi-Capital über 20 Milliarden Dollar sein. Bis 2021 werden Die Hersteller von VR-Brillen, auch Head-Mounted Devices laut IDC rund 67 Millionen VR-Brillen einen Käufer finden. (HMDs) genannt, reagieren auf die steigende Nachfrage und Jeder dritte Deutsche werde 2018 eine Virtual-Reality-Brille erweitern ihr Angebot oder haben zumindest neue Modellva- besitzen, prognostiziert die Hamburger Initiative für die Me- rianten angekündigt. So liefert etwa Samsung seine neueste dien- und Digitalwirtschaft NextMedia.Hamburg. Variante der gemeinsam mit dem VR-Pionier Oculus Rift ent- Knapp 30 Prozent der Headsets werden nach der Prognose wickelten Gear VR auch mit einem zusätzlichen Controller der IDC-Marktforscher nicht in Gamer-Haushalten landen, aus, der die Bedienung komfortabler machen soll und erwei- sondern für kommerzielle Zwecke eingesetzt werden. Immer terte Aktionen in der virtuellen Welt ermöglicht. Mit einem mehr Branchen entdecken das Potenzial der Technologie für empfohlenen Verkaufspreis von 129 Euro liegt das Set aller- Entwicklung, Projektierung, Simulation, Training und Mar- dings über der von Samsung selbst ausgerufenen psycholo- keting. Unternehmen aus den Bereichen Immobilienentwick- gischen Verkaufsschwelle von 100 Euro. Etwas preisgünsti- 26 1/2018 com! professional
Virtual Reality Business & IT ger ist die Daydream View von Google, die mit 109 Euro zu Buche schlägt und ebenfalls mit einem Controller geliefert wird. Beide Geräte benötigen zum Betrieb ein VR-fähiges Smartphone, das in die Brille eingelegt wird. Das Samsung- Modell unterstützt die unternehmenseigenen Galaxy-Model- le ab der Version S6 sowie das Galaxy Note 5, während die Google-Variante ein Smartphone voraussetzt, das mindes- tens Version 7.1 des Betriebssystems Android installiert hat. Ganz unabhängig von einem Smartphone sollen Brillen funktionieren, die zwar wie die Daydream View auf Googles Bild: Audi AG VR-Plattform Daydream basieren, Bildschirm und Rechner- Hardware aber bereits eingebaut haben. Bisher gibt es aller- dings nur Ankündigungen. So will etwa das mittlerweile zu Gemeinsames Arbeiten bei Audi: Im virtuellen Raum soll die großen Teilen von Google übernommene Unternehmen HTC Entwicklung neuer Produkte beschleunigt werden. mit der Vive Standalone eine solche Brille anbieten und auch von Lenovo soll eine Daydream-Standalone-Variante kommen. VR-Brillen auf Basis von Smartphone-Technologie eignen HTC Vive BE, die neben der Lizenz zur kommerziellen Nut- sich vor allem für vorgefertigte Inhalte. Sie werden in Ver- zung eine Support-Hotline für Unternehmenskunden und ei- gnügungsparks eingesetzt, um Achterbahnfahrten noch auf- ne zusätzliche Gewährleistung von zwölf Monaten bietet. regender zu machen, erlauben es im Tourismus, Hotels und Eine Sonderstellung bei den VR-Brillen nimmt die Holo- Urlaubsorte vor der Reise virtuell zu besuchen, oder geben Lens von Microsoft ein. Sie bettet virtuelle Elemente in eine potenziellen Autokäufern einen Eindruck ihres Fahrzeugs. holografische Darstellung der realen Umgebung ein und Wesentlich anspruchsvoller sind dagegen Einsatzszenari- stellt so eine Mischung aus beiden Welten dar, die als Mixed en, in denen die virtuellen Inhalte in Echtzeit verändert wer- Reality bezeichnet wird. Möglich macht das ein in die Brille den sollen, oder in denen sehr vielschichtige und komplexe integrierter PC, der über Sensoren und Kameras Informatio- Welten zu sehen sind, etwa im Design von Automobilen, nen aus der Umgebung und den Bewegungen des Trägers er- Schiffen oder Flugzeugen, bei der Entwicklung von Indust- hält. Das macht die Brille mit knapp 600 Gramm allerdings rieanlagen oder der Simulation wissenschaftlicher Experi- recht schwer – und hat seinen Preis. Die Developer Edition mente. In diesen Fällen reicht die Rechenkapazität eines der HoloLens liegt bei knapp 3300 Euro, die Commercial Smartphones nicht aus. Stattdessen muss die Brille mit einer Suite, die zusätzliche Funktionen für Sicherheit und Geräte High-End-Workstation oder zumindest einem leistungsfähi- management enthält, ist für rund 5500 Euro zu haben. gen PC verbunden werden. Brillenmodelle für diesen Ein- Für die HoloLens hat Microsoft eine eigene Entwicklerplatt- satzzweck sind beispielsweise HTC Vive oder Oculus Rift. Sie form geschaffen, die ursprünglich Windows Holographic hieß, verfügen über eigene Displays und sind nicht nur deutlich mittlerweile aber als Windows Mixed Reality vermarktet wird. schwerer als die Smartphone-Varianten, sondern auch erheb- Auf dieser Plattform lassen sich nicht nur Anwendungen für lich teurer. Das Modell Oculus Rift schlägt mit circa 450 Eu- die HoloLens, sondern auch für eine ganze Reihe preisgünsti- ro, die Alternative HTC Vive mit 700 Euro zu Buche. Von letz- gerer Mixed-Reality-Brillen programmieren, die von Hard- terer gibt es außerdem für 1150 Euro eine Business Edition ware-Herstellern wie Acer, Asus, Dell, HP, Lenovo und ▶ Virtuelles Training bei der Deutschen Bahn Vom neuen ICE 4 sind derzeit erst wenige Züge im Einsatz. Dennoch müssen alle Mitarbeiter aus Fahrbetrieb und Bord- service auf das neue Modell geschult werden, ein Training am „lebenden Objekt“ ist aus logistischen, personellen und Kostengründen aber kaum sinnvoll umsetzbar. Zusammen mit den Mitarbeitern hat das EVE-Team (Engaging Virtual Education) der Bahn-Tochter DB Systel eine Schulung entwickelt, die auf VR setzt. Aufgaben wie die Bedienung des Hublifts, der Fahrgästen mit Handicap das Ein- und Aussteigen ermöglicht, das Öffnen der Bugklappen oder die Wartung der Bild: DB AG Stromabnehmer lassen sich so trainieren. Erste Ergebnisse zei- gen, dass sich die virtuell eingeübten Arbeitsschritte gut in die physische Welt übertragen lassen. Das VR-Training soll daher ICE-4-Schulung: Bahnmitarbeiter lernen in einer 3D-Simulation 2018 fest in die Fortbildung der Zugbegleiter integriert werden. zum Beispiel, wie der neue Hublift zu bedienen ist. com! professional 1/2018 27
Business & IT Virtual Reality Samsung angeboten werden. Bei diesen Headsets, „Unsere These ist folgende: Entscheider, die zwischen 350 und 500 Euro kosten, handelt es die sich den Prototypen in der virtuellen sich aber genau genommen nicht um Mixed-Reali- Welt angesehen haben, vertrauen stärker auf die zugrunde liegenden 3D-Daten, ty-Devices, auch wenn der Name dies suggeriert, die sonst häufig infrage g estellt werden.“ sondern um reine VR-Brillen. Sie benötigen zum Be- trieb zudem einen Windows-10-PC mit aktuellem Dr.-Ing. Martin H. Rademacher Windows-Creator-Update. Bild: Audi AG Abteilung Daten-Kontroll-Modell/ Toleranzmanagement bei Audi Virtual Reality für Teams www.audi.de Ein großer Schwachpunkt vieler VR-Systeme für den industriellen Bereich ist ihre mangelnde Team- fähigkeit. Sollen sich mehrere Teilnehmer im selben virtuel- weise die Firmen Mechdyne und Visbox. Die Preise für CAVE- len Raum bewegen, ist ein erheblicher Aufwand zu treiben. Systeme sind in den vergangenen Jahren stark gesunken. Jeder Anwender benötigt eine eigene Workstation mit Hoch- „Musste man vor fünf Jahren für eine CAVE mit einer einsei- leistungskomponenten, eine Lizenz der VR-Software und ei- tigen Projektionsfläche noch rund 400.000 Euro rechnen, er- ne Kopie der verwendeten CAD-Daten, die über ein weiteres hält man portable Einseitensysteme heute bereits ab 30.000 System synchronisiert werden müssen. Zudem sind die Head- Euro“, sagt Michael Grethler, Leiter der Forschung bei der sets per Kabel mit den Workstations verbunden, man kann Bechtle-Tochter SolidLine AG. Eine qualitativ hochwertige sich also nicht frei im Raum bewegen, ohne Kabelsalat zu Einseiten-CAVE mit Tracking-System schlage mit rund riskieren. 50.000 bis 80.000 Euro zu Buche, so Grethler weiter. Eine Möglichkeit, zumindest das letzte Problem zu lösen, Eine flexible Alternative zur CAVE stellt die Holodeck- sind sogenannte Backpack-PCs – leistungsfähige, akkube- Plattform dar, die Nvidia im Mai 2017 angekündigt hatte. Das triebene Endgeräte, die über ein Tragesystem (Harness) auf System soll es Teams erlauben, gemeinsam in einer virtuellen dem Rücken getragen werden können. Solche Systeme sind Umgebung zu arbeiten. Es basiert auf der Unreal Engine 4 von beispielsweise von der deutschen Firma Schenker Technolo- Epic Games, der Nvidia-Middleware GameWorks und den gies (XMG Walker), von MSI (VR One), Zotac (VR GO) und API- beziehungsweise Library-Sammlungen VRWorks und Hewlett Packard (Z VR Backpack) erhältlich. DesignWorks. Die leistungsfähige Hardware muss mindes- Eine andere Option, ohne Kabel gemeinsam in eine VR- tens mit einem Intel-Core-i7-6700K-Prozessor sowie einer Welt einzutauchen, bieten sogenannte CAVEs (Cave Auto- Grafikkarte vom Typ Quadro P6000, Geforce GTX 1080Ti oder matic Virtual Environment). Bei der bereits 1992 vorgestell- Titan Xp ausgestattet sein. Zur GPU Technology Conference ten Technologie werden 3D-Bilder auf eine oder mehrere (GTC) Europe 2017, die im Oktober 2017 in München statt- Wände eines Raums projiziert. Die Bewegungen der Nutzer fand, öffnete Nvidia Holodeck offiziell für 3D-Designer und im Inneren der „Höhle“ werden registriert und die virtuelle lud sie ein, ihre Modelle in die Plattform zu importieren. Welt wird entsprechend verändert. Für das stereoskopische Das Nvidia Holodeck ist allerdings nicht die einzige VR-Lö- Sehen genügen handelsübliche 3D-Shutter-Brillen. Eine sung, die sich mit ihren Namen auf die Science-Fiction- Weiterentwicklung stellt die CAVE2 dar, die vom Electronic Serie Star Trek bezieht. So setzt beispielsweise das Large Visualization Laboratory (EVL) an der University of Illinois at Scale VR/ LS Holodeck des Stuttgarter 3D-Spezialisten Light Chicago (UIC) entwickelt wurde. Ihre Wände bestehen aus shape (www.lightshape.net) zwar auch Nvidia-Grafikkarten 3D-LCD-Bildschirmen mit einer Gesamtauflösung von bis zu ein, hat aber sonst keine direkte Verbindung zu der gleich- 74 Megapixeln. Anbieter von CAVE-Systemen sind beispiels- namigen Lösung des GPU-Spezialisten. „Unser Projekt hat schon zu Zeiten der Oculus DK2 begonnen, noch bevor HTC die Vive an den Markt brachte“, sagt Robin Wenk, Geschäfts- Absatz von VR- und AR-Brillen führer der Lightshape GmbH und Co. KG. Das System wur- de unter anderem in gemeinsamen Projekten mit Audi entwi- Absatz in Millionen ckelt und soll noch im ersten Quartal 2018 auch als Produkt Stück 24,57 für andere Kunden, vorrangig aus der Industrie, zur Verfü- gung stehen. Bei der Lösung können nicht nur mehrere Ent- wickler zusammen im selben physischen Raum virtuell inter- 67,11 agieren, es lassen sich auch mehrere Systeme via Internet 0,16 miteinander verbinden. „Damit können dann Entwickler- 9,24 teams und Entscheider von überall auf der Welt in einer ‚VR 2016 2021 Conference‘ zusammenarbeiten“, sagt Wenk. Virtual-Reality-Brillen Augmented-Reality-Brillen Stark steigender Absatz: Bis 2021 sollen rund 67 Millionen VR-Teamwork in der Praxis Ein Beispiel, wie die Zusammenarbeit in einer virtuellen Welt VR-Brillen einen Käufer finden. praktisch aussehen kann, zeigte Audi auf der GTC Europe. com! professional 1/18 Quelle: IDC Der Automobilhersteller setzt schon seit 2007 computergene- 28 1/2018 com! professional
Virtual Reality Business & IT rierte 3D-Modelle (Computer Generated Imaginery, CGI) in der Produktentwicklung ein. Allerdings sind im Evaluie- rungsprozess nach wie vor handgefertigte physische Prototy- pen notwendig, deren Fertigstellung jeweils mehrere Wo- chen dauert. Der Hersteller sucht deshalb nach Wegen, die Zahl notwendiger physischer Prototypen zu reduzieren und so die Zeit bis zur Markteinführung eines neuen Modells zu verkürzen. Das Unternehmen prüft derzeit, inwieweit sich ein VR-Mehrbenutzersystem für diese Aufgabe eignet, und hat dazu in Zusammenarbeit mit der erwähnten Stuttgarter Fir- ma Lightshape ein System entwickelt. Noch reiche die Auf- Bild: BMW lösung der verwendeten HTC-Vive-Brillen nicht aus, um Strukturen und Oberflächen mit genügend hohem Detailgrad anzuzeigen, sagt Projektleiter Martin H. Rademacher von der Virtuelle Realität beim bayerischen Autobauer: Auch BMW Abteilung Daten-Kontroll-Modell/Toleranzmanagement bei setzt im Entwicklungsprozess Virtual Reality ein. der Audi AG. Der Aufenthalt im virtuellen Raum gebe den Nutzern aber eine gute Vorstellung von den Proportionen und dem Gesamteindruck des Modells. „Unsere These ist folgen- Audi setzt im Handel bereits an rund 600 Stationen welt- de: Entscheider, die sich den Prototypen in der virtuellen Welt weit einen 3D-Konfigurator ein. „Dieser erlaubt es dem Kun- angesehen haben, vertrauen stärker auf die zugrunde liegen- den, bei allen Modellen sämtliche Ausstattungsoptionen in- den 3D-Daten, die sonst häufig infrage gestellt werden“, sagt klusive der Scheinwerfer und der Lichtführung direkt im 3D- Rademacher. Modell zu erleben“, sagt Thomas Orenz, Teamlead Virtual Die Produktentwicklung ist nicht der einzige Bereich, in Reality/Digital Content bei Audi, „derzeit testen wir in Pilot- dem Autofirmen wie Audi, BMW oder VW Virtual Reality be- projekten in Deutschland und Holland den Einsatz des 3D- reits im Einsatz haben. Auch bei der Schulung von Mitarbei- Konfigurators auf den Audi-Webseiten.“ Erste Messungen tern oder im Handel kommt VR schon zur Anwendung. Be- des Konzerns zeigen, dass bei einer Modelldarstellung in 3D sonders große Hoffnungen setzen die Autobauer auf Virtual die Nutzerinteraktion und das Kaufinteresse deutlich steigen. Reality in Marketing und Vertrieb. Laut einer Studie von McKinsey lassen sich mit Hilfe der Digitalisierung die Besu- VR für den Mittelstand che im Autohaus vor der Kaufentscheidung von fünf auf Während die großen Konzerne aus der Automobil- und Luft- durchschnittlich 1,6 senken. fahrtindustrie Virtual Reality längst einsetzen, sind kleine und mittelständische Unternehmen oft noch skeptisch. „Mittelständler zögern, in Tech- Virtual Reality in Wirtschaft und Verwaltung nologien zu investieren, deren Mehrwert sich nicht auf den ersten Blick erschließt“, In diesen Bereichen kommt VR schon zum Einsatz sagt Michael Grethler von SolidLine. Um Bereich Vorteile diesen Mehrwert erlebbar zu machen, wur- Planung und Projektierung Beschleunigung der Entscheidungs- und Planungsphasen, de bereits 2014 am Karlsruher Institut für von Gebäuden Reduktion von Missverständnissen und Nachbesserungen Technologie (KIT) das Industrie 4.0 Colla- Virtuelle Inbetriebnahme Vorprüfung aller Prozesse, Vermeidung von Steuerungs boration Lab eröffnet, zu dessen Koopera von Produktionsanlagen und problemen und Kollisionen in der Robotik, s chnellerer tionspartnern neben Bechtle und SolidLine Rechenzentren Produktionsstart auch das Institut für Informationsmanage- Produktdesign Reduktion der Prototypenzahl, beschleunigte Review- ment im lngenieurwesen (IMI) am KIT und Prozesse, schnellere Markteinführung das FZI Forschungszentrum Informatik ge- Medizin Simulation von Operationen, Therapie von Angster- hören. Eine institutseigene 3D-CAVE macht krankungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Schlaganfallpatienten virtuelle Welten erfahrbar. „Unternehmen Fortbildung kostengünstigere Trainings, Reduktion von R eisekosten können ganz unmittelbar erleben, wie sich und -zeit, weniger Präsenzveranstaltungen n otwendig mit Hilfe von Virtual und Augmented Rea- Bildung virtuelle Museumsrundgänge, Unterricht an verteilten lity etwa der Bau von Werkshallen, Produk- Standorten tionsanlagen oder Rechenzentren be- Forschung Simulationen, virtuelle Vorbereitung von Experimenten, schleunigen lässt“, sagt Grethler. Einsatz von VR-Brillen in der Empirik, Tests von Assistenz- Ein Beispiel, wie sich diese Erkenntnisse und Automatisierungssystemen anwenden lassen, ist die Firma Gabler aus Marketing und Vertrieb erhöhte Kundenbindung, stärkere Emotionalisierung, dem badischen Malsch bei Ettlingen. Das beschleunigte Kaufentscheidungen, höhere Conversion 1906 gegründete Familienunternehmen fer- Dienstleistung Entwicklung neuer Services auf VR-Basis in Beratung und tigt Produktionsanlagen für die Lebensmit- Projektierung tel- und Pharmaindustrie und ist ein typi- ▶ com! professional 1/2018 29
Business & IT Virtual Reality Interview „Mixed Reality wird langfristig gesehen viele sinnvolle Einsatzzwecke finden“ Der Einsatz von Virtual Reality in Unterneh- Verbreitung in Branchen wie der Automobil- men erfordert nicht nur leistungsfähige Hard- und der Luftfahrtindustrie oder im Immobilien- und Software, sondern ein Ökosystem, das bereich. Persönlich finde ich die Entwicklungen die entsprechenden Lösungen umfasst. David im Gesundheitswesen sehr spannend. Neben Weinstein, Director VR bei Nvidia, erklärt, wel- der Simulation von Operationen sind das Mög- che Voraussetzungen notwendig sind. lichkeiten in der Psychologie, Patienten mit Angststörungen wie Agoraphobie oder Arach- com! professional: Herr Weinstein, Virtual Re- nophobie direkt, aber gefahrlos in der virtuel- ality galt lange als Spielerei. Hat die Industrie len Welt mit den Auslösern zu konfrontieren. das Potenzial von VR mittlerweile erkannt? Auch bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen kann VR eine positive David Weinstein: Absolut, wir sehen ein Rolle spielen. Im Unterhaltungsbereich gibt es starkes Wachstum, auch wenn es in manchen auch jede Menge Anwendungsmöglichkeiten. Bereichen noch an konkreten Lösungen fehlt. David Weinstein Regisseure nutzen VR beispielsweise, um Film- Wir brauchen daher unabhängige Hersteller, Director VR bei Nvidia szenen zu planen, und es kommen auch immer die ihre Software für VR lauffähig machen und www.nvidia.de mehr VR-Inhalte auf den Markt. zertifizieren. Wenn das geschehen ist, werden wir eine noch breitere Akzeptanz bei den Un- com! professional: Viele Unternehmenskunden ternehmenskunden sehen. lassen sich schwer davon überzeugen, während einer Bespre- chung eine VR-Brille aufzusetzen. Wie wollen Sie diese Vorbehalte com! professional: Werden wir VR auch als Service aus der überwinden? Cloud sehen? Oder ist der Rechenaufwand dafür zu hoch? Weinstein: Das mag sein, Ingenieure und Techniker haben da- Weinstein: Die Rechenleistung ließe sich sicher zur Verfügung gegen kaum Berührungsängste und sind von der Technologie stellen, die Netzverbindung ist das Problem. Dabei geht es begeistert. Aber Sie haben recht: Wenn wir wollen, dass die gan- weniger um Bandbreite. Wir haben genügend Durchsatz, um ze Welt VR nutzt, muss das Design der Brillen besser werden. 90 Bilder pro Sekunde zu übertragen, aber die Latenz macht uns Schwierigkeiten. Ist der Zeitversatz zwischen einer Kopfbewe- com! professional: Die komplette Ausblendung der Realität ist gung und der entsprechenden Veränderung in der virtuellen ein weiterer Kritikpunkt an VR-Lösungen. Wird es zukünftig ver- Umgebung zu groß, wird dem Nutzer in kürzester Zeit schlecht mehrt Mixed-Reality-Produkte geben, die eine bessere Orientie- und er reißt sich das Headset vom Kopf. rung im realen Raum ermöglichen? Weinstein: Ja, ich denke es wird in diese Richtung gehen, und „Ingenieure und Techniker haben mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Auch wenn das Ein- kaum Berührungsängste und sind tauchen in virtuelle Realitäten großen Spaß macht, leben wir von der Technologie begeistert.“ schließlich in einer physischen Welt. Es kann bei bestimmten Anwendungen sehr wichtig sein mitzubekommen, was um com! professional: Wo liegt die Grenze für eine realistische Wie- einen herum vorgeht. Deshalb wird Mixed Reality langfristig dergabe von Bewegungen in VR? gesehen viele sinnvolle Einsatzzwecke finden. Weinstein: Die Latenz muss unter 20 Millisekunden betragen, com! professional: Warum sehen wir noch vergleichsweise weni- manche Sinnespsychologen sagen auch 15 Millisekunden. Das ge Mixed-Reality-Anwendungen? ist über die meisten heutigen Netzwerkverbindungen nicht er- reichbar. Als erster Schritt wird vielleicht nicht VR aus der Cloud Weinstein: Wir mussten in VR eine Menge kniffliger Probleme möglich sein, aber über LAN aus dem eigenen Rechenzentrum. lösen, um die Qualität zu erreichen, die wir heute haben. In Mixed Reality sind die Herausforderungen um eine Größenord- com! professional: Welche Branchen und Unternehmen profitie- nung schwieriger. Die Tracking-Genauigkeit muss Bruchteile ei- ren am meisten von VR? nes Millimeters betragen, um virtuelle Gegenstände passgenau in einer realen Welt zu platzieren, die Probleme der Lichtfüh- Weinstein: Die Vorteile im Bereich Produktdesign und -entwick- rung sind immens. Die Komplexität hier ist der Grund, warum lung sind offensichtlich, deshalb sehen wir bereits eine große die Entwicklung einige Jahre hinter der von VR hinterherhinkt. 30 1/2018 com! professional
Virtual Reality Business & IT scher „Hidden Champion“, der mit sei- nen Fertigungsstraßen für die Kaugum- miproduktion gegen große Konkurren- ten eine marktführende Stellung be- Bild: L. Long und A. Nishimoto, Electronic haupten kann. Das bisher genutzte an- gemietete Werksgebäude war für die Visualization Laboratory (EVL) Bedürfnisse der Firma nicht optimal, Zeitverluste bei der Produktion und un- nötige Aufwände waren die Folge. Um die Schwachstellen zu identifi- zieren, wurden die Arbeitsabläufe ana- lysiert und virtuell nachgestellt, sodass sie in der 3D-Umgebung der CAVE Cave Automatic Virtual Environment (CAVE): Erlaubt das Eintauchen in eine 3D-Welt. nachvollzogen werden konnten. Von der Anlieferung des Materials über La- ger, Warenverteilung und Fertigung bis hin zum Aufbau der dern auch zur Visualisierung und Optimierung bestehender fertigen Produktionsanlagen, die bis zu 300 Meter lang sind Prozesse. Noch fehle es aber häufig an der dafür notwendi- und sich über zwei Etagen erstrecken, wurden gemeinsam mit gen digitalen Durchgängigkeit, sagt Grethler: „Um perma- dem Planungsbüro und Bauunternehmen Vollack sämtliche nente Optimierungen zu ermöglichen, benötigt man eine tie- Arbeitsabläufe virtuell nachgestellt und der rund 4100 Qua fe Integration von Product Lifecycle Management und Enter- dratmeter große Neubau geplant, in dem nun sämtliche Pro- prise Resource Planning, die meist noch nicht vorhanden ist.“ zesse optimal ablaufen können. Gabler nutzt Virtualisierungsmethoden auch, um neue Fer- Neue Geschäftsmodelle tigungsstraßen schneller und reibungsloser produzieren zu VR eröffnet aber auch neue Geschäftsfelder. So erkundet zum können. „Bei der Konstruktion solcher Anlagen müssen Beispiel das Forschungsprojekt „dimenSion“ Möglichkeiten, Fachleute aus der Starrkörper- neue Dienstleistungen auf Basis von Simulationen anzubie- physik, der Sensorik, der Kine- ten. Ein solcher Service, um beim Beispiel Gabler zu bleiben, matik und der Aktorik interdis- könnte etwa in der kundenindividuellen Anpassung von Pro- ziplinär zusammenarbeiten“, duktionsstraßen liegen. Ein Unternehmen scannt dazu das sagt Michael Grethler, „das Gebäude, in dem die Fertigungsanlage aufgebaut werden führt häufig zu Engpässen, vor soll, inklusive aller notwendigen Anschlüsse für Wasser und allem in den Bereichen Elektro- Energie. Auf Basis dieser Informationen wird ein virtuelles nik und Steuerungsprogram- Modell der Produktionsstraße entwickelt, das exakt in das Bild: SolidLine AG mierung.“ Komponenten und bestehende Gebäude passt. „So sieht der Kunde schon vorab Programme für die Kommunika- genau, was er bekommt“, sagt Grethler. tion zwischen der Speicherpro- „Mittelständler zögern, grammierbaren Steuerung (SPS) Fazit in Technologien zu inves- und Robotern würden häufig Industrie und Wirtschaft finden immer mehr Anwendungs- tieren, deren Mehrwert erst während des Aufbaus einer möglichkeiten für Virtual Reality – auch durch die Arbeit von sich nicht auf den ersten Anlage realisiert, so Grethler Institutionen wie dem Industrie 4.0 Collaboration Lab. Gerade Blick erschließt.“ weiter, „das kann zu erhebli- im Mittelstand gilt der Satz „Seeing is believing“, und so über- Michael Grethler chen Verzögerungen und Pro zeugen Anwendungsmöglichkeiten wie die virtuelle Inbe- Leiter der Forschung blemen führen.“ Mit Hilfe der triebnahme von Bauten, Produktionsanlagen oder Rechenzen- bei SolidLine Virtualisierung lässt sich dieser tren vor allem dann, wenn sie direkt erfahrbar werden. www.solidline.de Prozess standardisieren und die Konzerne sind auf diesem Weg schon viel weiter. In der Au- interdisziplinäre Zusammenar- tomobil- und Luftfahrtindustrie, aber auch im Tourismus stellt beit vereinfachen. Probleme in sich längst nicht mehr die Frage, ob VR eingesetzt werden soll. der Steuerung können so bereits bei der virtuellen Inbetrieb- Es geht vielmehr darum, wie sich die Einsatzmöglichkeiten nahme erkannt und behoben werden. Eine fehlerhafte räum- ausweiten und optimieren lassen. Noch setzen die technischen liche Verteilung der einzelnen Komponenten und Roboter, Möglichkeiten den Szenarien Grenzen. Für etliche Probleme die zu Kollisionen im Arbeitsablauf führen würde, lässt sich wurden aber bereits Lösungen angekündigt oder sind sogar intuitiv in der 3D-Ansicht erkennen. Gabler hat dazu im neu- schon verfügbar. Einem en Betriebsgebäude extra ein 3D-Kino eingerichtet, in dem weiteren Siegeszug von die mit der 3D-CAD-Software SolidWorks konstruierten Mo- VR steht also kaum et- delle von allen Seiten betrachtet werden können. was im Weg, höchstens Thomas Hafen/kpf Virtuelle Welten lassen sich aber nicht nur bei der Inbe- noch die Skepsis man- kpf@com-professional.de triebnahme neuer Gebäude oder Maschinen einsetzen, son- cher Manager. ◾ com! professional 1/2018 31
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