Der Totenkopf, der vor Rauschgift warnte - Vor 50 Jahren entwarf ein Grafik-Student Zürichs erstes Anti-Drogenplakat - Stadt Zürich

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Der Totenkopf, der vor Rauschgift warnte - Vor 50 Jahren entwarf ein Grafik-Student Zürichs erstes Anti-Drogenplakat - Stadt Zürich
Stadt Zürich
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Zürich, 20. Februar 2018 \ mr

Der Totenkopf, der vor Rauschgift warnte
Vor 50 Jahren entwarf ein Grafik-Student Zürichs erstes Anti-Drogenplakat.

1968 lancierte die Stadtpolizei einen Wettbewerb für Zürichs erste Kampagne gegen
Drogen. Die Jury entschied sich für den Entwurf des Grafik-Studenten Andreas Fierz.
Im Interview wirft Fierz einen Blick zurück – auf die Zeit und sein Plakat, das nur kurz
hing, aber bis heute für Aufsehen sorgt.

Tanzende Buchstaben. Sie stehen für den
Rausch. Eine junge Frau. Ihr Gesicht
verschwimmt hinter einem Totenschädel. Die
Botschaft des Plakates ist klar: Wer Drogen
nimmt, riskiert sein Leben, auch wenn mit
Rauschgift vornehmlich Cannabis gemeint war.
Damals, Ende der 1960er-Jahre, als
Jugendliche das Kiffen entdeckten, und die
Eltern noch wenig Ahnung hatten, was ihre
Söhne und Töchter da rauchten. Und sie sollte
das Plakat aufrütteln, die Eltern. Das war der
Auftrag des Wettbewerbs in der
Grafikfachklasse der Kunstgewerbeschule. Die
Polizei hatte diesen 1968 lanciert, und die Jury
wählte den Entwurf des damals 23-jährigen
Andreas Fierz. Mitte Januar 1969 wurde die «Fratze des Todes» – so umschrieb die «NZZ»
– ausgehängt. Sie hing nur gerade zwei Wochen. Für Aufsehen sorgt das Plakat bis heute.
Es landete im «Spiegel», in einer US-Krimiserie - und hing in manchem Zürcher Partykeller.
Unter den Jungen wurde der «Totenkopf» schnell zum Kultobjekt, wie sich Andreas Fierz 50
Jahre später erinnert. Im Gespräch, das mit einem Wiedersehen beginnt:

Eine Fachstelle des Schul- und Sportdepartements
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Andreas Fierz, Ihr Plakat, was sehen Sie?
Dasselbe wie damals.

Was sahen Sie damals?
Ich muss präzisieren. Ich sah das Plakat nicht, ich machte es. Das ist ein Unterschied. Ich
war in der Grafikklasse der Kunstgewerbeschule. Von der Stadtpolizei erhielten wir 1968 den
Auftrag, ein Plakat gegen Rauschgift zu entwerfen.

Wie wurden Sie gebrieft?
Wir sollten Eltern klarmachen, dass jede Form von Drogenkonsum schlimm ist und zum Tod
führen kann. Der Hintergrund war, dass damals mehr und mehr Jugendliche ins Rauschgift-
Milieu abglitten. Gleichzeitig wussten die Eltern nichts von Drogen, weder von Morphin noch
von Haschisch, das damals ja vornehmlich konsumiert wurde. Das Plakat sollte und wollte
sie aufrütteln, nicht mehr und nicht weniger.

Sie waren Anfang 20 und dürften als angehender Grafiker wohl eher mit dem Zeitgeist
unterwegs gewesen sein. Auf welcher Seite standen Sie?
Sie fragen, ob ich Konsument gewesen sei?

Nein, ich frage, wo Ihre Sympathien lagen. Es war 1968, und sie entwarfen für das
«Establishment» ein Plakat gegen Drogen. Ging Ihnen das nicht gegen den Strich?
Im Gegenteil. Ob man nun für oder gegen Drogen war, das war doch einfach eine
grossartige Aufgabe. Natürlich habe ich die 68er-Bewegung gekannt und auch geliebäugelt
mit ihr. Ich verkehrte in der Platte 27 (Anmerkung: DER Szene-Treffpunkt jener Zeit, wo sich
von H.R. Giger bis Dieter Meier viele trafen, die sich später einen Namen machen sollten.).
Ich kannte viele Leute dort und hatte auch etliche Freunde, die solches Zeugs nahmen, und
sich auch schon Spritzen setzten. Ich selber habe es mal mit Haschisch probiert, mehr nicht.
Ich hatte ein Erlebnis, das mich schon früh geprägt hatte.

Was für ein Erlebnis hatten Sie?
Ich war acht oder neun und zündelte gerne. Einmal versuchte ich einen «Chlapf» zu bauen.
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Mit Schwarzpulver. Ich verschüttete ein wenig davon, ein Funke, wham! Mein Gesicht war
verbrannt. Ich spüre den Schmerz heute noch. Es tat irrsinnig weh. Mein Vater war Arzt. Er
gab mir eine Morphium-Spritze. Und was passierte? Der Schmerz war weg, einfach weg.
Und mehr als das: Es war alles nur noch schön. Wie ein Traum. Als ob ein Engel mich befreit
hätte. Das hielt allerdings nur eine gewisse Zeit. Dann waren die Schmerzen wieder da. Ab
da wusste ich tief in mir: Der Engel fliegt wieder weg. Als wir den Plakat-Auftrag erhielten,
kam mir dieses Erlebnis wieder in den Sinn.

Eindrücklich. Wurden Sie kritisiert für Ihr Plakat?
Immer wieder. So könne man das doch nicht machen. Ich müsse doch die Konsumenten
ansprechen. Ich empfand es als Geschwafel, denn für mich klar: Die Eltern müssen mit ihren
Kindern reden, nicht ich.

Sie liessen einen Totenkopf sprechen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Nicht von heute auf morgen. Für uns war es damals die letzte grosse Arbeit vor der
Abschlussprüfung. Entsprechend hatten wir Zeit, uns damit zu beschäftigen. Im Briefing
zeigte man uns Fotos aus Amerika, von Drogenkonsumenten. Elend. Die Bilder blieben mir
im Kopf. Als ich in der Stadt später dann hübsche Mädchen sah, begann ich mir vorzustellen,
wie sie aussehen würden, wenn sie genauso verfallen würden. So ist die Idee entstanden,
und neu war sie übrigens nicht. Auch der Maler Hans Erni hatte schon mit dem Sujet
gearbeitet. Was ich aber nicht wusste. Als das Plakat dann hing, bekam ich aber prompt zu
hören, der Erni habe und so weiter. Dann halt, dachte ich mir nur.

Heute ist man sich grauenhafte Bilder fast schon gewohnt. Aber 1968, wirkte das
Plakat nicht unglaublich abschreckend?
Das Plakat wollte und sollte ja gar nicht abschrecken!

Wirklich? Das Plakat zielt doch direkt auf die Ängste, zumal es auch keine sachlichen
Informationen oder Hilfestellungen bietet.
Bitte, ein Totenkopf schreckt doch niemanden ab. Dürrer hatte ja schon welche gemalt. Nein,
der Totenkopf sollte einfach zeigen, was passieren kann, wenn man Drogen nimmt. Die
Eltern aufrütteln. Das sollte er. Ihnen klarmachen, dass Rauschgift gefährlich ist.
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Was für ein Echo löste Ihr Plakat aus?
Ein enormes. Das Plakat hing zwar nur während zweier Wochen und auch das nur an
wenigen Orten, zum Beispiel an der Bahnhofstrasse. Trotzdem erhielt die Schule jede
Menge Briefe von Eltern. Sie wüssten nun, worum es ging, schrieben sie.

Und die jungen Kiffer, wie reagierten die?
Denen war das Plakat wohl so egal wie Rauchern heute die Warnbilder auf den
Zigarettenpackungen. Einen amüsanten Nebeneffekt gab es allerdings. Die ersten
Probedrucke machte man auf alte Plakate, die danach weggeschmissen wurden. In diesem
Fall waren es alte Zigarettenplakate, was dann ziemlich schräg wirkte. Und prompt ging ein
Run auf diese los. Bald hingen sie in jedem Partykeller, so gesucht waren sie.

Wer war eigentlich die junge Frau?
Eine Bekannte. Ich weiss gar nicht, was aus ihr geworden ist. Jedenfalls, ich hatte sich noch
gewarnt, dass sie nicht allzu schön aussehen werde.

Das ist Ihnen gelungen. Vom gestalterischen her, was war die Herausforderung?
Heute wäre es ja eine einfache Geschichte, aber damals. Ich fotografierte meine Bekannte
und einen Schädel, der von einem Skelett in der Schule stammte. Das Retuschieren wurde
dann zu einer Gratwanderung. Wie viel Mensch, wie viel Totenkopf braucht es? Und ewig
brauchte ich auch für die Schrift. Die Buchstaben hatte ich mit einem Teigrädchen aus
Seidenpapier geschnitten. So verfransten sie und die Schrift wurde durchlässig.

Was diesen rauschhaften Effekt ergibt.
Genau.

Es war ja ein Wettbewerb und die Jury wählte Ihr Plakat. Was glauben Sie, wieso?
Wahrscheinlich, weil es der direkteste war. Ein Kollege aus der Klasse hatte einen Kopf
entworfen. Der sah zwar aus wie eine Ruine, aber ich glaube das verstand man etwas
weniger gut. Ein Plakat muss eine Geschichte in kürzester Zeit erzählen. Bei meinem
kapierte jeder sofort: Rauschgift, Tod.
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Hat Ihnen dieser Wurf beruflich die Türen geöffnet?
Nein (lacht). Da half nicht mal, dass das Plakat im «Spiegel» erschien. Und trotzdem: Von all
den Werbekampagnen, die ich gemacht habe, schlug wohl keine derart ein. Wenig Aufwand,
wenig Geld, 100 Prozent Response – und das über Jahrzehnte. Vor fünf, sechs Jahren
erzählte mir der Direktor der Hochschule der Künste, sie hätten mit Studenten eine Unmenge
von Plakaten analysiert. An welches sie sich erinnerten, wurden die Studenten hinterher
gefragt. Deren Antwort: An das mit dem Totenkopf.

Und trotzdem: So eindringlich Ihr Plakat auch warnte, wenig später kippte die Szene
mehr und mehr genau in diese Richtung. Ab den 1970er-Jahren kommt Heroin auf und
die Leute verwahrlosen zunehmend.
Ja, leider, mit dem Unterschied aber, dass man nun wusste, worum es ging. Das was das
Ziel und das Plakat erfüllte es vollauf. Die Eltern hatten damals wirklich keine Ahnung, was
vor sich ging. Sie realisierten, dass mit ihrem Kind etwas los war, dass es etwas plemm war.
Aber wieso, davon hatten sie keine Ahnung.
6/6

Suchtpräventionskampagnen 1968 vs. 2018
Der junge Mann im Bild hat nur eines im Kopf: den nächsten Joint. Die Suchtkopf-Kampagne
ist die jüngste der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich. 2015 erstmals geschaltet,
scheint sie sich vom «Rauschgift»-Plakat auf den ersten Blick nicht gross zu unterscheiden.
Und doch stehen die Motive für ein Präventionsverständnis, das sich grundlegend verändert
hat. Das Totenkopf-Plakat von Ende der 1960er-Jahre spitzte seine Botschaft auf eine
Gleichung zu: Drogen gleich Tod. Bestimmt war sie für eine Öffentlichkeit, der Cannabis & Co
noch weitgehend fremd waren. Abstinenz war das Ziel. Mit Abschreckung versuchte man es
zu erreichen – und scheiterte, schaut man sich die weitere Geschichte an. Den Preis bezahlte
der Süchtige. Die Bildsprache stempelte ihn zum Todgeweihten. Hilfestellungen fehlten.

Die Web-Kampagne mit dem Kiffer auf der Bank geht einen anderen Weg. Einen
pragmatischeren angesichts der Tatsache, dass in der Schweiz über 200‘000 Menschen
Cannabis konsumieren. Die Kampagne zielt auf junge Kiffer. Sie verurteilt sie nicht, sondern
fragt nur, ob sie den Konsum im Griff hätten. Mit dem Online-«Suchttest» bietet sie dazu eine
Hilfestellung. Wenn konsumieren, dann bitte risikoarm. Dieses Verständnis liegt der
Kampagne zu Grunde. Für die optische Umsetzung setzt sie auf Humor. Auf das Stilmittel
also, dem die Kampagnen gegen Aids die Türen öffnete. Ob der Suchtkopf dabei als
tatsächlich als witzig empfunden wird? Zumindest die internationale Werbe-Fachzeitschrift
«Lürzer’s Archive» bejahte die Frage. Sie nahm die Arbeit in ihre digitale Auswahl auf.

Noch einen Schritt weiter gehen jüngste Präventionsprojekte. Etwa der MobileCoach Alkohol,
ein Pilot der Universität Zürich. Mit individualisierten SMS-Nachrichten und Online-Feedbacks
zum eigenen Umgang mit Alkohol spricht er direkt den einzelnen Konsumenten an.
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