Dermatologie live - InfectoPharm

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Dermatologie live - InfectoPharm
Dermatologie live

 Top-Themen der
 praktischen Dermatologie 2018
 Kongressbericht

                                                 29. September 2018 in Frankfurt

                                                    Wir diskutieren, was Sie interessiert. Es entspricht dem Konzept der
                                                    consilium Dermatologie live-Fortbildungen, regelmäßig Ihre favorisierten
                                                     Fachthemen aufzugreifen und auf unseren jährlichen Symposien
                                                     didaktisch umzusetzen.

                                                      So präsentierten wir auf dem dritten consilium Dermatologie live erneut
                                                     Ihre Wunschthemen: Mit hochkarätigen Referenten, mit hoher Praxis-
                                                    relevanz und mit diesem Sonderheft und seinen sechs Beiträgen
                                                   als Service nun auch zum Nachlesen.

                                                 Mit dieser Ausgabe können Sie 2 CME-Punkte erwerben.

Kostenfreie Hotline: 0800 113 6464 · consilium@infectopharm.com · www.infectopharm.com
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Wissenschaftliche Leitung der Zusammenfassung

                  Prof. Dr. med. Cord Sunderkötter
                  Facharzt für Dermatologie und Venerologie. Direktor der Klinik
                  für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Halle
                  (Saale). Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische
                  Infektiologie

IMPRESSUM

Herausgeber                                                              Hotline
InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH                             Deutschland: 0800 113 6464
Von-Humboldt-Straße 1
64646 Heppenheim                                                         Zusammenfassung der Inhalte und Redaktion
                                                                         Julian Stünkel, Köln
Telefon: 06252 95-7000                                                   Dr. Thomas Börner
Telefax: 06252 95-8856                                                   Dr. Andreas Rauschenbach
                                                                         InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH
E-Mail: consilium@infectopharm.com
www.infectopharm.com                                                     ISSN
                                                                         2365-7618

6501700-02-0419

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               Top-Themen der
               praktischen Dermatologie 2018

               Liebe Leserinnen und Leser,

               eine gute Fortbildung vereint einen hohen wissenschaftlichen Standard mit Praxisrelevanz. Wir
               alle möchten am Montag anwenden können, was wir am Wochenende gelernt haben. Deshalb
               freut es uns, dass wir diesen Symposiumsbericht als CME-zertifizierte Fortbildung anbieten kön-
               nen. Erfahren Sie mehr über einen Querschnitt durch die praktische Dermatologie.

               Prof. Dr. Peter Höger aus Hamburg erklärt in seinem Beitrag unter anderem die Besonderheiten
               der Therapie der Kinderhaut und was sie für die Therapie bedeuten. Prof. Dr. Sonja Ständer
               aus Münster berichtet, dass ein Drittel aller Patienten in einer dermatologischen Praxis über Pru-
               ritus klagen. Sie stellt Strategien vor, diesem Symptom Herr zu werden.

               In den letzten Jahren hat sich die Therapie der atopischen Dermatitis weiterentwickelt. Prof.
               Dr. Johannes Wohlrab aus Halle berichtet, was sich bewährt hat und was neu kommt. Dr. Hol-
               ger Reimann aus Eschborn behandelt mit den Herausforderungen der Rezepturverordnung
               einen wichtigen Aspekt der dermatologischen Therapie. Dabei zeigt er auf, wie wichtig die
               Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker ist.

               Mit den verschiedenen Formen von Alopezie beschäftigt sich der Vortrag von Prof. Dr. Hen-
               ning Hamm aus Würzburg. Er spannt inhaltlich einen breiten Bogen von der androgenetischen
               Alopezie über die Alopecia Areata bis hin zu den primär vernarbenden Alopezien. Den Abschluss
               bildet der Beitrag von Prof. Dr. Cord Sunderkötter aus Halle, der sich mit Parasiten beschäftigt.
               Er berichtet sowohl von häufigen Gästen der dermatologischen Praxis wie der Skabiesmilbe als
               auch von verhältnismäßig seltenen Erkrankungen wie der Myiasis.

               Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieser interessanten Beiträge und beim Beantworten
               der CME-Fragen. Wir hoffen, Sie auf den nächsten Fortbildungen des consilium Dermatologie live
               begrüßen zu können!

               Ihre wissenschaftliche Leitung

               Prof. Dr. med Cord Sunderkötter

               Inhalt
               1 Neue Entwicklungen in der pädiatrischen Dermatologie � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 4

               2 Pruritus – EIN Symptom, VIELE Ursachen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 10

               3 Therapie der atopischen Dermatitis: Bewährtes, wenig Bewährtes und Neues� � � Seite 16

               4 Herausforderung Rezepturverordnung an Praxisbeispielen � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 19

               5 Mehr über weniger – Alopezien 2018 � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 24

               6 Ektoparasitosen – Was der heimische Dermatologe wissen sollte � � � � � � � � � � � � �Seite 30
                                                                                                                                                        3
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Peter H. Höger
                                                                   mTORC-Signalweg

1 Neue Entwicklungen in der                                                          VM∙BRBN

Pädiatrischen Dermatologie                                            Zell‐
                                                                    membran      
                                                                                    TIE2 (TEK)
                                                                                                       
                                                                                                          RTK
                                                                                                                               
                                                                                                                                    GPCR

                                                                                          CLOVES                                      N. flammeus
                                                                                            KTS       RASA1        KRAS        GNAQ SWS
                                                                                 PIK3CA                            NRAS        GNA11
                                                                                           M‐CM                    HRAS               RICH/NICH
                                                                                                      CM‐AVM
                                                                                            LM      Parkes‐Weber
1.1 Einleitung                                                                    AKT1    PROTEUS                   BRAF        *Sporadische VM

                                                                                                                     MEK1/2
Das Gebiet der Pädiatrischen Dermatologie umfasst sowohl                         TSC1/2     TS                     MEK
                                                                                                                   1/2MAP
                                                                                                                    MAPK2
                                                                                                                      K2
sehr häufige Erkrankungen wie kutane Infektionen und das Ato-
                                                                                                                   ERK 1/2
                                                                                                                   ERK 1/2    Verruköses
pische Ekzem als auch sehr seltene wie die Genodermatosen.                       mTORC1                            MAPK3
                                                                                                                   MAPK3      Hämangiom
In den letzten Jahren wurden neue Erkrankungen beschrieben,
neue Erreger isoliert und neue Behandlungen gefunden. Im              Zellkern               Transkription
Folgenden sollen dazu einige Beispiele vorgestellt werden.

                                                                   Abb. 1: mTOR-Signalweg und seine genetischen Defekte.
1.2 Neue Therapieansätze bei genetisch bedingten                   VM = vaskuläre Malformationen, BRBN = Blue rubber bleb naevus,
Erkrankungen der Haut und Gefäße                                   CLOVE = congenital lipomatous overgrowth, vascular malformation,
                                                                   epidermal naevus, KTS = Klippel-Trénaunay-Syndrom, M-CM = Me-
Die molekulargenetische Ursache vieler Genodermatosen              galenzephalie + kapilläre Malformation, LM = lymphatische Malfor-
konnte in den letzten Jahren aufgeklärt werden. Diese Er-          mation, TS = tuberöse Sklerose. CM-AVM = kapilläre + arteriovenöse
kenntnisse haben zwar unser Verständnis der Architektur und        Malformation, N. flammeus = Naevus flammeus, SWS = Sturge-Weber-
Funktion der normalen Haut und ihrer Erkrankungen wesent-          Syndrom, RICH/NICH = rapidly/non involuting congenital haemangio-
lich erweitert, lieferten bisher aber wenig neue therapeutische    ma, RTK = Rezeptor-Tyrosinkinasen
Ansätze. Dies ändert sich jetzt – und zwar nicht nur bei vielen
Genodermatosen, sondern auch den entzündlichen Dermato-
sen und Tumorerkrankungen.                                        mTOR vermittelte Angiogenese und damit die Neubildung und
                                                                  das Wachstum der Angiome bei BRBN (2). Dadurch wird das
1.2.1 Beispiel 1: Tuberöse Sklerose (TS)                          Blutungsrisiko signifikant verringert. Sirolimus kann daher bei
                                                                  dieser Erkrankung zu Recht als „Lebensretter“ bezeichnet wer-
Die TS wird durch eine Mutation des TSC1/2-Gens verursacht        den (3). Allerdings ist eine lebenslange Behandlung erforder-
und führt in variabler Ausprägung zu Veränderungen der in-        lich. Zur Vermeidung bzw. Senkung des Risikos von Nebenwir-
neren Organe (Tumoren von Herz, Niere, Hirn), Anfallsleiden       kungen (Infektionen, Aphthen, Hypertriglyzeridämie) sollen
und Entwicklungsverzögerung sowie dem charakteristischen          die regelmäßig zu kontrollierenden Blutspiegel möglichst im
Adenoma sebaceum. TSC1/2 ist ein zum mTOR-Signalweg               unteren therapeutischen Bereich gehalten werden.
gehörendes Gen (Abb. 1). Seine gezielte Hemmung durch
Rapamycin/Sirolimus bewirkt bei oraler Gabe eine Wachs-           Das in der mTOR-Aktivierungskaskade oben stehende Gen PIK-
tumshemmung und Rückbildung der genannten Tumoren,                3CA ist für verschiedene somatische Mutationen verantwort-
nach topischer Anwendung in Form eines 0,2 %igen Gels eine        lich (Abb. 1). Klinisch gehören zu ihnen u. a. Entitäten wie das
deutliche (wenn auch nicht immer vollständige) Rückbildung        CLOVES-Syndrom (congenital lipomatous overgrowth, vascu-
des Adenoma sebaceum. Eine kürzlich publizierte kontrollierte     lar malformation, epidermal naevus syndrome), das Klippel-
Studie (1) zeigte bei 60 % der über 12 Wochen behandelten         Trenaunay-Syndrom, fibroadipöse infiltrierende Lipomatose
TS-Patienten eine Verbesserung (im Vergleich zu 0 % der Kon-      oder die isolierte Makrodaktylie, die heute unter dem Oberbe-
trollen); die Behandlung wurde gut vertragen. Nach dem Ab-        griff „PROS-Syndrom“ (PIK3CA-related overgrowth syndrome)
setzen kommt es jedoch in der Regel zu Rezidiven.                 zusammengefasst werden (5).

1.2.2 Beispiel 2: Vaskuläre Malformationen (VM)                   Trotz scheinbar einheitlicher molekulargenetischer Grundlage
                                                                  entscheiden drei Faktoren über die so unterschiedliche klini-
Die Blue-rubber-bleb-Angiomatose (ältere Bezeichnung: Blue        sche Präsentation:
rubber bleb naevus, BRBN) führte unbehandelt aufgrund aku-        • Der Zeitpunkt der Mutation während der Embryogenese ent-
ter und chronischer Blutungen aus rupturierten intestinalen An-     scheidet darüber, wie viele unterschiedliche Zellreihen betrof-
giomen und einer begleitenden Verbrauchskoagulopathie (dis-         fen sind. Je früher die Mutation stattfindet, desto generalisier-
seminated intravascular coagulation, DIC) meist zum Tod. Sie        ter und damit schwerer sind ihre klinischen Auswirkungen.
beruht auf einer aktivierenden Mutation des Tyrosinkinase/An-     • Die Art und Anzahl der betroffenen Gewebe sind entschei-
giopoietin-Rezeptors TEK/TIE2 (2). Sirolimus hemmt die durch        dend für die klinische Manifestation.

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Dermatologie live                                                                                                             Heft 01 ∙ 2019

• Die Art der Mutation ist entscheidend für den Grad der Akti-              • Fehlende Entwicklung von Adnexstrukturen: Zu dieser Grup-
  vierung der Angiogenese.                                                    pe zählen vorwiegend Defekte des TNF-Signalweges.
                                                                            • Desorganisation des Zytoskeletts: Defekte von Nectin-1,
  PROS-Syndrom                                                                Connexin, Plakophilin oder Cadherin

              Tag 0      Tag 180            Tag 0           Tag 180         Den betroffenen Kindern sind in variablem Umfang Fehlbildun-
                                                                            gen bzw. die Nichtanlage von Schweißdrüsen, Zähnen, Haa-
                                                                            ren und Nägeln gemein. Bei den hypo- oder anhidrotischen
                                                                            ED-Formen besteht aufgrund der Unfähigkeit zu schwitzen die
Patient 1

                                                                            Gefahr einer Hyperthermie, die vor allem bei Säuglingen und
                                                                            Kleinkindern lebensgefährlich sein kann.

                                                                            Einer Arbeitsgruppe aus Erlangen (7) gelang es nun, diesen De-
                                                                            fekt durch die Injektion eines rekombinanten Proteins mit der
                                                                            rezeptorbindenden Domäne des Ektodysplasin-Proteins EDA
            Effekt von Alpelisib bei Kindern mit PROS                       in das Amnion zweier Mütter, die ein Kind mit X-gebundener
                                                                            hypohidrotischer ED erwarteten, pränatal zu korrigieren. Die
                                                                            Injektion in der 26. bzw. 31. Gestationswoche führte dazu, dass
                                                                            die Kinder eine normale Schweißdrüsenaktivität aufwiesen. Die
                                                                            Zahl der Zahnanlagen war bei beiden höher als bei einem äl-
Patient 2

                                                                            teren Bruder. Zudem waren Schweißdrüsen und Meibomsche
                                                                            Drüsen angelegt. Anders als frühere Versuche impliziert diese
                                                                            Methode keinen viralen Vektor. Durch die Gabe des Proteins –
                                                                            zu einem für ektodermale Gewebe kritischen Zeitpunkt – kann
                                                                            gleichsam ein „Schalter umgelegt“ werden, der die ansonsten
                                                                            gehemmte weitere Entwicklung der Adnexstrukturen freigibt.
                                                                            Dies ist ein vollkommen neuer Therapieansatz, der sich mög-
                                                                            licherweise auch für die pränatale Korrektur anderer Genoder-
Patient 3

                                                                            matosen eignen könnte.

                                                                            1.3 Infektiöse Exantheme im ersten Lebensjahr: Das
                                                                            Erregerspektrum wächst

  Abb. 2: Verlaufsbilder bei einer Behandlung mit Alpelisib über ein Jahr   Die klassischen Erreger perinataler Infektionen wurden früher
  (Dosis: 50 mg/d) (6).                                                     unter dem Akronym „TORCH“ zusammengefasst. Vor einigen
                                                                            Jahren wurde dieses um wesentliche Erreger auf „TORCHE-
                                                                            SCLAP“ erweitert.

Bei diesen Mutationen wurde mit bisher beschränktem Erfolg
                                                                              Erreger fetaler/neonataler Infektionen
auch Sirolimus eingesetzt, das jedoch das betroffene PIK3CA-
Gen nicht selektiv hemmt und dadurch viele Nebenwirkungen
                                                                              TO        Toxoplasma gondii
aufweist. Eine französische Arbeitsgruppe berichtete kürzlich
                                                                              R         Rubellavirus
erstmals über den Effekt eines selektiven PIK3CA-Inhibitors,
                                                                              C         CMV
Alpelisib, bei Patienten mit PROS/CLOVES-Syndrom (6). Die
                                                                              H         HSV
einjährige Behandlung mit Alpelisib (50 mg/d) führte bei allen
                                                                              E         Enteroviren
Patienten (n=19) zu einem deutlichen Rückgang der Weich-
                                                                              S         Syphilis (Treponema pallidum)
teil- und vaskulären Tumoren (Abb. 2), der sich auch in der
                                                                              C         Chickenpox (VZV)
Bildgebung (MRT, PET) objektivieren ließ. Gleichzeitig war ein
                                                                              L         Lyme disease (Borrelia burgdorferi)
Rückgang der durch das Überwachstum bedingten Skoliose
                                                                              A         AIDS (HIV)
und der vielfach vorliegenden kardialen Hypertrophie festzu-
                                                                              P         Parvovirus B19
stellen. Die Behandlung wurde gut vertragen, führte allerdings
                                                                              E         Emerging Infections
bei etwa 20 % der Patienten zu einer Hyperglykämieneigung.

1.2.3 Beispiel 3: Ektodermale Dysplasie                                     Alle Erreger können Exantheme beim Neugeborenen bzw. jun-
                                                                            gen Säugling auslösen. Je nach Erreger ist dies in 20–80 % der
Die verschiedenen Formen der ektodermalen Dysplasie (ED)                    infizierten Patienten der Fall. Allerdings sind die Exantheme nicht
lassen sich molekulargenetisch in zwei Gruppen einteilen:                   erregerspezifisch: Makulopapuläre oder auch purpuriforme Ex-

                                                                                                                                             5
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antheme können von verschiedenen Erregern verursacht wer-                            verbreitet ist HPeV-1, das vorwiegend bei Kleinkindern gast-
den und erlauben daher keinen Rückschluss auf die Auslöser.                          rointestinale und respiratorische Infektionen auslöst. Der wich-
                                                                                     tigste Genotyp ist jedoch das 2004 entdeckte HPeV-3, das
Auf zwei Erreger bzw. Erregergruppen neonataler Infektionen                          weltweit immer häufiger als Auslöser eines Sepsis-/Meningitis-
soll hier etwas genauer eingegangen werden:                                          artigen Krankheitsbildes, seltener auch als eine Hepatitis, bei
                                                                                     Neugeborenen und jungen Säuglingen erkannt wird. Das typi-
1.3.1        Enteroviren und humane Parechoviren                                     sche klinische Bild ist durch Fieber, Irritabilität und in 25–35 %
                                                                                     der Fälle durch ein feinfleckiges Exanthem gekennzeichnet. Die
Enteroviren sind die häufigsten Auslöser meist „unspezifischer“                      Laborbefunde (leichte Thrombozytopenie, geringe Erhöhung
Virusexantheme bei Säuglingen und Kleinkindern. Bis auf das                          von CRP und Liquorzellzahl) sind unspezifisch. Klinik und Labor
Eczema coxsackium, das vorwiegend durch das Coxsackievirus                           sind anfangs nicht von einer bakteriellen Sepsis/Meningitis zu
Typ A6 ausgelöst wird und ein distinktes klinisches Bild bietet,                     unterscheiden, weshalb viele Kinder zunächst parenteral an-
sind die meisten enteroviralen Exantheme unspezifisch.                               tibiotisch behandelt werden. Daher wird bei entsprechender
                                                                                     Symptomatik empfohlen, in dieser Altersgruppe routinemäßig
Von besonderer Bedeutung für das erste Lebensjahr ist das                            eine HPeV-3-PCR zu veranlassen (9).
Humane Parechovirus (HPeV), das zur Familie der Picornaviren
gehört und derzeit 19 Genotypen umfasst (9). Am weitesten

    Verbreitungsgebiete neuer Vektoren in Europa

                                                                                                        West-Nil-Virus
                   Sandmücke (Plebotomus mascittii)                                  Nachweis bei Vögeln in Sachsen-Anhalt, Bayern, Sachsen

                                                                                                                               2018 bisher 1504 Fälle
                                                                                                                               in EU+Nachbarstaaten

                                 Leishmaniose                                                                  West-Nil-Fieber

                 Schildzecke (Hyalomma marginatum)                                            Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus)

                Hämorrhagisches Krim-Kongo-Virus
               Rickettsia spp. (Mediterranes Fleckfieber)
                                                                                       Etabliert      Eingeführt       nicht nachgewiesen         keine Daten

    Abb. 3: Mit der Verbreitung bestimmter Tiere steigt auch die Übertragungsrate viraler, bakterieller und parasitärer Erkrankungen in Europa, die diese Tiere
    als Vektor nutzen.

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Auch bei initial nur geringen Laborveränderungen können sich        von Externa aufgrund einer möglichen transkutanen Absorpti-
bei einem erheblichen Teil der Kinder mit initialen meningiti-      on von Inhaltsstoffen allerdings zu unerwünschten Wirkungen
schen oder enzephalitischen Symptomen neurologische Spät-           führen. Vor dem Hintergrund, dass schon Säuglinge im ersten
folgen wie Krampfanfälle zeigen (10, 11).                           Lebensjahr mit durchschnittlich acht pflegenden Externa mit
                                                                    durchschnittlich jeweils 48 Inhaltsstoffen „konfrontiert“ wer-
Die Behandlungsmöglichkeiten sind bisher beschränkt. Das Vi-        den, ist dieses Risiko real. Das erhöhte Risiko der transkutanen
rustatikum Pleconaril hemmt die Bindung des Virus an zelluläre      Absorption beruht auf Besonderheiten der kindlichen Haut:
Rezeptoren. In einer randomisierten Studie (12) senkte es nach      • Dünnere Epidermis
einwöchiger oraler Gabe die Überlebensrate und beschleunig-         • Unreife der epidermalen Barriere
te die Zeit bis zur Virus-Clearance.                                • Höhere Zahl von Talgdrüsen pro cm² Körperoberfläche
                                                                    • Größere Körperoberfläche pro kg Körpergewicht
1.3.2 „Emerging Infections“
                                                                    Bei Kindern mit Atopischem Ekzem ist das Risiko der transku-
Mit neonatalen Exanthemen können ebenfalls verschiedene,            tanen Absorption nach dem Ergebnis verschiedener Studien
durch Vektoren übertragene, virale, bakterielle und parasitäre      nochmals um einen durchschnittlichen Faktor von 2,2 erhöht
Erkrankungen einhergehen – sie betreffen jedoch alle Alters-        (13). Transkutan werden nicht nur Wirkstoffe wie Hydrocortison
gruppen. Parallel mit der globalen Erwärmung dehnen sich die        oder Antibiotika absorbiert, sondern auch Konservierungs- und
Siedlungsgebiete bestimmter Insekten, die diese Erreger über-       andere Inhaltsstoffe. Bei einer Untersuchung von 845 dänischen
tragen können, immer weiter nach Norden aus (Abb. 3).               Kindern im Alter von 4–9 Jahren fanden sich im Urin erhöhte
                                                                    Konzentrationen von Parabenverbindungen, die als Konservie-
Sandmücke (Phlebotomus mascittii). Die Sandmücke, schon             rungsmittel in Externa Verwendung finden, sowie Phthalaten, die
lange in Mittelmeer-Anrainerstaaten verbreitet, ist jetzt auch in   als Weichmacher u. a. in Salbentuben eingesetzt werden (14).
verschiedenen Regionen im Landesinneren von Italien, Frank-
reich und Griechenland sesshaft – ferner im Süden Österreichs       Wenig beachtet wird bisher auch das Penetrationspotential
und im südlichen Rheintal. Autochthone Fälle der Leishmaniose       chemischer UV-Filter wie Octocrylen, das sich in der Mutter-
wurden in diesen Regionen bei Hunden nachgewiesen, die für          milch (15) und im Fischfleisch (16) anreichert und dann von
Leishmanien besonders empfindlich sind.                             Kindern nicht nur transkutan, sondern auch mit der Nahrung
                                                                    aufgenommen werden kann. Octocrylen zählt wie Parabene
Schildzecke (Hyalomma marginatum). Die Schildzecke ist              und Triclosan aufgrund einer östrogenen Wirkung zur Gruppe
mittlerweile in großen Bereichen Spaniens und Italiens sowie        der „endocrine disrupting agents“ (EDA) und sollte daher bei Kin-
auf dem Balkan sesshaft. Sie kann das Hämorrhagische Krim-          dern gänzlich vermieden werden; de facto ist Octocrylen aber
Kongovirus und Rickettsien übertragen, die das Mediterrane          derzeit noch in jeder zweiten für Kinder ausgelobten Sonnen-
Fleckfieber hervorrufen.                                            schutzcreme enthalten.

Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus). Tigermücken sind          Ein weiteres Risiko, das mit der Langzeitanwendung von Exter-
entlang der gesamten nördlichen Mittelmeerküste sowie in            na verbunden ist und bisher zu wenig beachtet wird, ist das
Israel, Libanon und Syrien ansässig. Sie können verschiedene        Risiko der Kontaktsensibilisierung. Unter den „Top Ten“ der
„tropische“ Viren übertragen, nämlich das Dengue-Virus, das         Kontaktallergene bei Kindern mit Atopischem Ekzem finden
Zika-Virus und das Chikungunya-Virus. Noch wird die Mehrzahl        sich vier gängige Inhaltsstoffe pflegender Externa: Duftstoffe,
der in Europa nachgewiesenen Infektionen mit diesen Erregern        Propylenglykol, Wollwachs und Wollwachsalkohol (17). Lano-
aus Asien oder Südamerika importiert. Autochthone innereu-          lin/Wollwachs ist ein potentes und weit verbreitetes Kontaktal-
ropäische Fälle, also nicht importierte Fälle mit dem Dengue-       lergen (18), das auch in Deutschland in vielen gängigen Pfle-
Virus sowie insbesondere mit dem Chikungunya-Virus, gab es          geprodukten enthalten ist. Die (ungeschützte) Bezeichnung
in Italien und Frankreich.                                          „hypoallergen“ garantiert übrigens nicht die Abwesenheit po-
                                                                    tentieller Kontaktallergene: Bei einer Untersuchung der meist-
Zugvögel. Zugvögel importieren das West-Nil-Virus. In diesem        verkauften Kosmetikprodukte fanden Xu et al. (19) in den als
Jahr wurde es erstmals in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern        „hypoallergen“ vermarkteten Produkten bis zu acht bekannte
in Vögeln nachgewiesen. EU-weit wurden 2018 bisher fast             Kontaktallergene.
2000 Fälle von West-Nil-Fieber registriert.
                                                                    In der folgenden Tabelle werden die für Kinder problematischen
                                                                    Inhaltsstoffe in Pflegecremes/Kosmetika zusammengefasst.
1.4 Besonderheiten der Externatherapie im ersten
Lebensjahr

Die Externatherapie ist eine Domäne der Dermatologie. Sie ist
beim Atopischen Ekzem essentiell zur Kompensation des Bar-
rieredefektes. Bei Kindern kann die unkritische Anwendung

                                                                                                                                   7
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    Problematische Inhaltsstoffe in Pflegecremes/Kosmetika für Kinder

     Inhaltsstoff                     Funktion                  Nebenwirkung
     Puder                            Keine                     Aspiration, Verklebung, Ovarialkarzinom?
     Lanolin                          Grundlage                 Kontaktallergen
     Duftstoffe                       Kaufanreiz                Kontaktallergen
     Triclosan                        Antiseptikum              EDA

     Parabene                         Konservierung             EDA, Kontaktallergen

     Octocrylen                       UV-Filter                 EDA, Umweltkontamination
     Mineralöle                       Grundlage                 Akkumulation von MOSH + MAOH im Fettgewebe
     Emulgatoren                      Emulgation W/Ö            Emulgation epidermaler Lipide

    MOSH = mineral oil saturated hydrocarbons, MAOH = mineral oil aromatic hydrocarbons, EDA = endocrine disrupting agent

1.5 Zusammenfassung                                                            Literatur

Wie die Beispiele zeigen, wurden in den vergangenen Jahren                     1. Wataya-Kameda M, Ohno Y, Fujita Y et al. Sirolimus gel
vielversprechende Therapieansätze sowohl bei Genodermato-                         treatment vs. Placebo for facial angiofibromas in patients
sen als auch bei entzündlichen Dermatosen und Tumorerkran-                        with tuberous sclerosis complex: a randomized clinical
kungen gefunden und erfolgreich angewendet. Exantheme                             trial. JAMA Dermatol 2018; 154: 781-788.
bei Neugeborenen und jungen Säuglingen können auf eine
perinatale Infektion hindeuten. Infektionen mit dem Humanen                    2. Soblet J, Tankas J, Nätynki M et al. Blue rubber bleb nevus
Parechovirus 3 sind häufig für Sepsis-/Mengitis-ähnliche Krank-                   (BRBN) is caused by somatic TEK (TIE2) mutation. J Invest
heitsbilder in dieser Altersgruppe verantwortlich. Auch muss                      Dermatol 2017; 137: 207-216.
in der Externatherapie im ersten Lebensjahr stärker für das Ri-
siko der transkutanen Absorption problematischer Inhaltsstoffe                 3. Kizilocak H, Dikme G, Celkan T. Sirolimus Experience in
sowie damit einhergehender unerwünschter Nebenwirkungen                           Blue Rubber Bleb Nevus Syndrome. J Pediatr Hematol
sensibilisiert werden.                                                            Oncol. 2018; 40: 168-169.

Prof. Dr. med. Peter H. Höger                                                  4. Wang KL, Ma SF, Pang LY et al. Sirolimus alternative to
Facharzt für Dermatologie und Venerologie,                                        blood transfusion as a life saver in blue rubber bleb nevus
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin.                                           syndrome: A case report. Medicine (Baltimore). 2018; 97:
Ärztlicher Direktor des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift             e9453.

                                                                               5. Martinez-Lopez A, Blasco-Morente G, Perez-Lopez I et al.
                                                                                  CLOVES syndrome: review of a PIK3CA-related overgrowth
                                                                                  spectrum (PROS). Clin Genet. 2017; 91:14-21.

                                                                               6. Venot Q, Blanc T, Rabia SH. Targeted therapy in patients
                                                                                  with PIK3CA-related overgrowth syndrome. Nature 2018;
                                                                                  558:540-546.

                                                                               7. Schneider H, Faschingbauer F, Schuepbach-Mallepell et al.
                                                                                  Prenatal correction of X-linked hypohidrotic ectodermal
                                                                                  dysplasia. N Engl J Med 2018; 378: 1604-1610.

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Dermatologie live - InfectoPharm
Dermatologie live                                                   Heft 01 ∙ 2019

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                                                                                 9
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Nach einem Vortrag von Sonja Ständer (1)                            Und genau dieses Kratzen ist das große Problem. Durch das
                                                                    Kratzen kann es nämlich nicht nur zu Chronifizierungsmecha-
                                                                    nismen kommen, auch im zentralen Nervensystem führt das
2 Pruritus – Ein Symptom, viele Ursachen                            Kratzen und die ständige Aktivierung bestimmter Hirn- und
                                                                    Rückenmarksareale zu einer Maladaption der Nervenbahnen.
                                                                    Nicht selten berichten Patienten dann von schlaflosen Näch-
                                                                    ten, aufgekratzter Haut und einer Hilflosigkeit gegenüber dem
2.1 Einleitung                                                      Symptom. Daraus resultieren drastische Einschränkungen der
                                                                    Lebensqualität sowie psychosomatische Reaktionen.
Mit einer Lebenszeitprävalenz von 22 % und einer Prävalenz
von 16,8 % innerhalb der arbeitenden Bevölkerung (16–70 Jah-        Genau hier liegt ein entscheidendes Spannungsfeld: Die Pa-
re) lässt sich ohne Zweifel sagen: Pruritus kann jeden betreffen,   tienten wenden sich mit ihren Beschwerden zwar an Derma-
vom Baby bis zum 100-Jährigen (2, 3). Doch so leicht die Pati-      tologen, vermuten aber gleichzeitig, dass eine psychische
entengruppe zu bestimmen ist, so schwierig ist es bei den Ur-       Erkrankung die Ursache
sachen der Pruritus-Erkrankung. Daher ist es stets wichtig, den     der Krankheit sein könn-
Patienten individuell zu betrachten und die passende Therapie       te. Sie verwechseln also        Psychosomatische Reaktionen
zu finden. Doch gerade hierbei treten in der Praxis nicht selten    Ursache und Folge des           können sowohl Auslöser als
Schwierigkeiten auf.                                                Pruritus. Befragt man die
                                                                    Patienten dann danach,          auch Folge des Pruritus sein.
                                                                    ob der Ausbruch des
2.2 Pruritus – ein interdisziplinäres Symptom                       Pruritus nicht woanders
                                                                    herrühren könnte und die psychischen Beschwerden (z. B. De-
Ob mit Dermatosen, auf primär unveränderter Haut oder chro-         pression) erst die Folge der Erkrankung sind, sind sie nicht sel-
nischen Kratzläsionen: Patienten mit einem Pruritus stellen sich    ten einsichtig und erleichtert.
in der Regel zunächst bei ihrem Dermatologen vor. Das bele-
gen auch die Zahlen einer Studie von Kopyciok et al. (4), in der    Die größte Herausforderung sind die „unsichtbaren“ Dermato-
eine Punktprävalenz von 36,2 % in einer ländlichen dermatolo-       sen (z. B. Mastozytose), die sowohl Dermatosen aber auch sys-
gischen Praxis ohne Schwerpunkt auf Pruritus ermittelt wurden.      temische Erkrankungen als Ursache haben können und Pruritus
Konkret stellten sich dort innerhalb einer Woche 75 Patienten       am ganzen Körper verursachen (Abb. 2; 6). Zu häufig werden
vor, die nach einer Therapie gegen Pruritus bei chronischen         dabei jedoch Vermutungen basierend auf Menschenkenntnis
Symptomen fragten.                                                  und Lebenserfahrung gestellt. Daher liegt es nahe, eine psy-
                                                                    chosomatische Grundausbildung, wie sie in der Onkologie ge-
Jedoch haben nicht alle Patienten mit chronischen Kratzläsio-       fordert wird, auch in der Dermatologie anzustreben.
nen Dermatosen (Abb. 1; 5). Auch systemische, neurologische
oder psychische Erkrankungen können beispielhaft zu einem
                                                                     Klinischer Algorithmus des chronischen Pruritus
zwanghaften Kratzen führen. Daher wird Pruritus als ein inter-
disziplinäres Symptom verstanden, das z. B. auch in der Neuro-
logie Beachtung findet.

 Chronischer Pruritus

                                                                     Abb. 2: Besonders die „unsichtbaren“ Dermatosen stellen eine große
                                                                     Herausforderung für Dermatologen dar (6).

                                                                    2.3 Warum Messungen beim Pruritus relevant sind

                                                                    Da der Pruritus ein subjektives Empfinden ist, kann der Arzt
 Abb. 1: Dynamik des chronischen Pruritus (≥ 6 Wochen Dauer).       nicht beurteilen, ob sich die Beschwerden gebessert haben.
                                                                    Zwar lässt sich dies indirekt über Kratzläsionen ausmachen, die-
                                                                    se sind aber nicht immer vorhanden. Daher sind Messungen

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    in diesem Bereich besonders wichtig, um eine sinnvolle The-                Patienten enorme Fortschritte. Liegen die Angaben der Patien-
    rapieentscheidung fällen zu können. Darüber hinaus können                  ten schließlich im Bereich des milden Juckens (0 bis 3), lässt sich
    die festgehaltenen Ergebnisse als Dokumentationssicherheit                 in vielen Fällen schon von juckreizfreien Tagen sprechen, mit de-
    gegenüber Krankenkassen verwendet werden.                                  nen der Großteil der Patienten sehr gut leben kann.

    Wenn bei der Dokumentation zusätzlich auch die Lebensqua-                  2.4.2 Lebensqualität
    lität hinzugenommen wird, erfährt man noch mehr darüber,
    wie es dem Patienten geht. Je schwerer nämlich die Lebensqua-              Zur Ermittlung der Lebensqualität bei Pruritus wurde als Ge-
    lität beeinträchtigt ist, desto mehr kann davon ausgegangen                genstück zum Dermatology Life Quality Index (DLQI) der Pru-
    werden, dass sich ein Patient mit chronischen Kratzläsionen                ritus Lebensqualitätsfragebogen 5PLQ entwickelt und validiert
    stigmatisiert fühlt. Dadurch können weitere psychische Symp-               (Abb. 4; 7). In diesem beantwortet der Patient fünf Fragen dar-
    tome wie Ängstlichkeit, Depressivität, aber auch eine Beein-               über, wie er sich in den letzten sieben Tagen durch den Pruritus
    trächtigung der Arbeitsfähigkeit hinzukommen. Es liegt also                beeinflusst fühlte. Bei fünf Fragen und fünf Antwortmöglichkei-
    eine Korrelation zwischen dem Pruritus, einer Einschränkung                ten erlaubt der Test eine einfache Scoreberechnung: Liegt die
    der Lebensqualität und der Symptomintensität vor.                          Angabe des Patienten über einem 5PLQ-Score von >10 gilt die
n                                                                              Lebensqualität als eingeschränkt.

    2.4 Was soll gemessen werden?
                                                                                Fragebogen zur Lebensqualität (5PLQ)
    Mithilfe von Fragebögen lassen sich die zwei wichtigsten Para-
    meter zur Erfassung in der Routine messen: die Intensität des                Fragebogen zur Lebensqualität (5PLQ)
    Pruritus und die Lebensqualität (7). Sie erlauben es, eine sinn-             Dieser Fragebogen bezieht sich auf die letzten 7 Tage, es ist nur
    volle Therapieentscheidung bei einem Pruritus mit Dermatose                  eine Auswahl pro Frage zu treffen.
    oder Kratzläsionen zu treffen.                                               1. Wie häufig haben Sie an der Haut Jucken, Brennen,
                                                                                    Stechen, Kribbeln oder Schmerz verspürt?
                                                                                    0 = nie
    2.4.1 Intensität des Pruritus                                                   1 = selten
                                                                                    2 = manchmal
    Die Intensität des Pruritus lässt sich mit der numerischen Ra-                  3 = oft
    tingskala (NRS) und der visuellen Analogskala (VAS) messen                      4 = immer
    (Abb. 3). Mit diesen Skalen lässt sich beim Patienten abfragen,              2. Wie sehr hat das Jucken Sie negativ in Ihrem alltäglichen
    wie schwer der Juckreiz auf einer Skala von 0 bis 10 durch-                     Leben (z. B. Tragen bestimmter Kleidung), in Ihrer Freizeit
                                                                                    oder im Beruf beeinflusst?
    schnittlich in den letzten 24 Stunden war. Zwei Werte sollten                   0 = gar nicht
    dabei besonders beachtet werden: Stuft sich der Patient unter                   1 = etwas
    einem Wert von 3 ein, liegt ein milder Juckreiz vor; oberhalb                   2 = mäßig
    von 7 ist es ein schwerer oder sehr schwerer Juckreiz.                          3 = ziemlich
                                                                                    4 = sehr

    Damit lassen sich die individuellen Therapieziele leichter festma-           3. Wie sehr fühlen Sie sich aufgrund des Juckens im Umgang
                                                                                    mit Mitmenschen (z. B. durch Scham, Unsicherheit) einge-
    chen: Liegt der Patient über einem Wert von 7, sollte versucht                  schränkt?
    werden, sie in den Bereich von 3 bis 7 zu bringen (moderater                    0 = gar nicht
    Juckreiz). Schon die Verbesserung um nur eine Stufe bringt dem                  1 = etwas
                                                                                    2 = mäßig
                                                                                    3 = ziemlich
     Erfassung von Pruritus: Intensitätsskalen                                      4 = sehr
                                                                                 4. Wie sehr beeinflusst das Jucken negativ Ihren Schlaf?
                                                                                    0 = gar nicht
                                                                                    1 = etwas
                                                                                    2 = mäßig
                                                                                    3 = ziemlich
                                                                                    4 = sehr
                                                                                 5. Wie sehr hat das Jucken Ihre Lebensfreude und Ihre
                                                                                    Stimmung beeinflusst?
                                                                                    0 = gar nicht
                                                                                    1 = etwas
                                                                                    2 = mäßig
                                                                                    3 = ziemlich
                                                                                    4 = sehr

     Abb. 3: Mithilfe der Intensitätsskalen NRS und VAS kann der Patient die    Abb. 4: Auch die Erfassung der Lebensqualität (anhand des 5PLQ) gibt
     Intensität des Pruritus benennen und den Arzt bei der Therapiefindung      dem Arzt wichtige Hinweise über den Zustand des Patienten.
     unterstützen (8).

                                                                                                                                                       11
Dermatologie live

2.5 Grundsätzliche Untersuchungen bei Pruritus                           Bei Pruritus in der Schwangerschaft gilt es zu unterscheiden, ob
                                                                         der Pruritus auf unauffälliger Haut (ggf. mit sekundären Kratz-
Ist die Ursache des Pruritus beim Patient unbekannt, sollten             läsionen) auftritt. Dann nämlich könnte eine intrahepatische
verschiedene Basisuntersuchungen durchgeführt werden (6).                Schwangerschaftscholestase vorliegen, woraufhin nüchtern
Bei einem Patienten mit Prurigo nodularis, der keine Dermato-            die Gallensäure abgenommen werden sollte.
se aufweist, sollte gemäß Leitlinie das Blutbild betrachtet und
ein Lymphom, Diabetes mellitus sowie eine Leber-, Nieren- und            Bei weiteren Untersuchungen, die je nach Pathologika in der Leit-
Schilddrüsenerkrankung ausgeschlossen werden.                            linie ausführlich definiert sind, ist besonders wichtig, dass eine
                                                                         interdisziplinäre Kooperation frühzeitig angestoßen wird. Dabei
Sind dagegen primäre oder sekundäre Hautveränderungen                    sind besonders die bildgebenden Verfahren zu nennen, da regel-
zu erkennen, sollten die üblichen dermatologischen Untersu-              mäßig Fälle beschrieben
chungen wie bakteriologische/mykologische Abstriche bis hin              wurden, in denen da-             Haben Patienten einen Pruritus
zu einer Hautbiopsie durchgeführt werden. Bei Patienten mit              durch letztlich ein Tumor
                                                                                                          kürzer als 12 Monate, kann ein
Prurigo nodularis und sehr roten Knoten kann sich auch eine              gefunden wurde. Das
direkte Immunfluoreszenz lohnen, um möglicherweise das bul-              belegen auch Kohorten-           Tumor dahinterstecken.
löse Pemphigoid diagnostizieren zu können. Darüber hinaus                analysen aus Dänemark,
zeigte sich in der Klinik, dass auch Skabiesmilben eine Rolle            in denen nachgewiesen wurde, dass die ersten 12 Monate vulne-
spielen können.                                                          rabel sind. Bei relativ kurzen Anamnesen sollte also stets auch nach
                                                                         Lymphomen und Leberzellkarzinomen untersucht werden (6).

 Fallbeispiel 1

 Anamnese: Eine 51-jährige Patientin lei-       wurde kurzfristig eine Diät eingesetzt – al-   werden sollte (10 cm über Malleolus late-
 det seit drei Jahren an einem attackenarti-    lerdings nur von kurzer Dauer, da die Pa-      ralis rechts). Hier zeigte sich eine für das
 gen Pruritus (Jucken, Ameisenlaufen, Krib-     tientin Vegetarierin ist. Entsprechend der     Alter der Patientin leicht eingeschränkte
 beln, Stechen), der an den Oberschenkeln       Leitlinie wurden im ersten Schritt hochdo-     Nervenfaserdichte (7,96 Fasern/mm ge-
 begann und nun generalisiert vorhanden         sierte Antihistaminika verabreicht, die, ge-   genüber Normwert >10,55 Fasern/mm).
 ist. Ein Auslöser ist nicht bekannt. Die er-   nau wie eine Vortherapie mit Dapson über       Da auch der Vitamin-B12-Spiegel der
 hobenen Parameter ergeben einen sehr           drei Monate, keinen Effekt hatten. Auch zu     Patientin mit 160 pg/ml erniedrigt war,
 schweren Pruritus mit einer Intensität auf     Komorbiditäten wie Migräne oder einer          wurde schließlich die Diagnose „Pruritus
 der NRS von maximal 9, Trigger sind Wär-       atopischen Diathese und einem unauffälli-      bei Kleinfaserneuropathie auf dem Boden
 me und körperliche Anstrengung, eine           gen Integument mit etwas Keratosis pilaris     eines relativen Vitamin-B12-Mangels auf-
 kurzzeitige Linderung kann durch Kälte         an Oberschenkeln und Oberarmen konnte          grund vegetarischer Ernährung“ gestellt.
 herbeigeführt werden. Darüber hinaus           kein Zusammenhang hergestellt werden.          Therapie und Verlauf: Entsprechend der
 beklagt sie eine starke Einschränkung der      Lösung: Nachdem eine atopische Dia-            Diagnose wurden eine Substitutionsthe-
 Lebensqualität einschließlich Schlafstörun-    these, cholinerge Urtikaria, Mastozytose       rapie mit Vitamin-B12 sowie Gabapentin
 gen. Die erweiterte Anamnese ergab eine        und ein paraneoplastischer Pruritus aus-       eingeleitet, was innerhalb von drei Wo-
 Laktose-, Fruktose- und Sorbitolunverträg-     geschlossen werden konnte wurde eine           chen eine deutliche Linderung des Pruri-
 lichkeit. Da diese Unverträglichkeiten ei-     Hautbiopsie durchgeführt, mit der die int-     tus (auch bei Provokation) bewirkte.
 nen Effekt auf den Pruritus haben können,      raepidermale Nervenfaserdichte bestimmt

 Exkurs: Kleinfaserneuropathie

 Im Gegensatz zur Neurologie ist die Kleinfaserneuropathie in          Bestimmung der intraepidermalen Nervenfaserdichte anhand
 der Dermatologie noch weitestgehend unbekannt. Sie kann               einer 4 mm durchmessenden Stanzbiopsie relativ leicht zu si-
 meist distal betonte aber auch generalisierte Symptome wie            chern. Wichtig dabei ist, die Biopsie 10 cm oberhalb des Mal-
 Schmerz und Taubheit, aber auch Pruritus herbeiführen. Zu             leolus lateralis durchzuführen und die entnommenen Proben
 der häufigsten Ursachen einer Kleinfaserneuropathie gehört            in einem neurologischen bzw. dermatologischen Labor bear-
 Diabetes mellitus (Abb. 5). Die Diagnose Pruritus ist durch die       beiten zu lassen.

12
Dermatologie live                                                                                                                         Heft 01 ∙ 2019

     2.6 Die Therapie von Pruritus                                                     Auch wenn sich die Ära der Antihistaminika (Stufe 1) für alle
                                                                                       Pruritusformen dem Ende zuneigt, müssen sie weiterhin ver-
     Eine wichtige Säule der Versorgung von Pruritus-Patienten ist                     wendet werden, da es hierzu aktuell keine alternativ zugelas-
     stets die Frage danach, welche Ziele der Patient durch die Be-                    senen Mittel gibt. Darüber hinaus gibt es Entitäten, bei denen
     handlung verfolgt. Hier zeigen sich durchaus unterschiedliche                     sie eine gewisse Wirksamkeit haben (Mastzelldegranulation,
     Wünsche – und dabei steht nicht immer, wie sich vermuten                          aquagener Pruritus). Hier ist es legitim, einen Therapieversuch
     ließe, die Symptomlinderung an erster Stelle. Tatsächlich führt                   über vier Wochen zu unternehmen. Allerdings sollte der Patient
     das „Finden einer klaren Diagnose“ die Top 5 der Therapieziele                    damit nicht über mehrere Jahre behandelt werden, da sonst
     von Pruritus-Patienten an. Dicht gefolgt von der „Symptomlin-                     einer Chronifizierung Vorschub geleistet wird.
     derung“ und den Wünschen „Weniger zum Arzt zu müssen“,
     „Vertrauen in die Therapie zu haben“ und „geheilt zu sein“.                       Grundsätzlich sollte die Pruritustherapie so lange durchgeführt
us   Was Patienten in erster Linie also wollen, ist Aufklärung. Aber                   werden, bis die Läsionen abgeheilt sind, da diese Pruritus er-
     auch eine Verbesserung der Lebensqualität, also weniger ner-                      neut auslösen können.
n
     vös zu sein oder besser zu schlafen (besonders Berufstätige)
     gelten als wichtige Therapieziele, die von Patient zu Patient
                                                                                         Spezifische antipruritische Therapie: AWMF-Leitlinie
     variieren können.

     Zu den weiteren Säulen der Versorgung zählen die interdiszipli-
     näre Therapie der Grunderkrankung sowie allgemeine Dos and
     Don’ts des Patienten – Dinge also, die der Patient während der
     Therapie tun bzw. nicht tun sollte (vgl. hierzu die ausführliche
     Liste aus der Leitlinie; 9). Des Weiteren ist auch der Einsatz von
     Topika, etwa zur Rückfettung oder die kurzfristige Linderung,
     wenn der Patient unterwegs ist („Erste Hilfe“ z. B. durch Menthol
     oder ein Cooling Compound; 10) oder anderen potenten Thera-
     pien (CS, CI, Capsaicin) sowie die Systemtherapie entscheidend.

     Gemäß der AWMF-Leitlinie wird zur spezifischen antipruriti-
     schen Therapie darüber hinaus eine Stufenschemaempfehlung
                                                                                         Abb. 6: Die Stufenschemaempfehlung aus der Leitlinie gibt einen Überblick
     gegeben (10). Diese gestaltet sich wie in Abbildung 6 darge-
                                                                                         zur spezifischen antipruritischen Therapie des chronischen Pruritus (10).
     stellt.

      Exkurs: Ursachen der Kleinfaserneuropathie

      Abb. 5: Die Liste der Krankheiten, die eine Kleinfaserneuropathie auslösen können, ist lang (9).

                                                                                                                                                                     13
Dermatologie live

2.7 Wie wirksam ist die Therapie?                                             nals z. B. durch die Gabe von Gabapentin und Antidepressiva
                                                                              zu unterdrücken. Bei unklaren Fällen gilt es stets zu reevaluie-
Die folgenden zwei Fallbeispiele geben einen Eindruck über                    ren und sich je nach Verlauf und klinischem Befund leitlinien-
die Wirksamkeit und das unterschiedliche Ansprechen der Pru-                  gemäß einmal pro Jahr darüber Gedanken zu machen, welche
ritustherapie.                                                                Ursache der Pruritus haben könnte (6). Darüber hinaus sollten
                                                                              die Aufklärung der Patienten sowie die Behandlung etwaiger
                                                                              Nebenwirkungen einen wichtigen Stellenwert bei der Therapie
2.8 Zusammenfassung                                                           einnehmen.

Um die Chronifizierung des Pruritus zu verhindern und den
Patienten vom Kratzen abzuhalten, muss die Therapie individu-
ell angepasst werden. Dazu sollte sie möglichst früh beginnen
und nicht zu kurz sein. Im ersten Schritt stehen dabei die Rück-
fettung sowie gegebenenfalls Antihistaminika im Fokus. Die
spezifische Therapie richtet sich nach der jeweiligen Ursache
des Pruritus. Dabei ist es wichtig, die Weiterleitung des Sig-

 Fallbeispiel 2

 Eine 55-jährige Patientin leidet seit elf         wie eine eingeschränkte Lebensqualität         Linderung. Die Verordnung von Prega-
 Jahren an einer generalisierten Prurigo.          und Schlafstörungen an. Vortherapien           balin (300 mg/d) zeigte bereits nach vier
 Bei der Erstvorstellung gibt sie auf der          mit topischen Steroiden, eine UV-              Monaten deutliche Verbesserungen des
 VAS eine durchschnittliche Pruritusin-            Therapie und Antihistaminika (Cetirizin        Hautbildes.
 tensität von 5 (moderater Juckreiz) so-           1-0-1, Loratadin 1-0-1) brachten keine

 Abb. 7: Hautbild bei der Erstvorstellung.

 Abb. 8: Verbessertes Hautbild und gutes Ansprechen auf Pregabalin nach vier Monaten Therapie.

14
Dermatologie live                                                                                                                     Heft 01 ∙ 2019

 Fallbeispiel 3

 Eine 55-jährige Patientin hat seit 13 Jahren       Kribbeln an. Darüber hinaus hat sie eine            zwei als auch nach vier Monaten nur ge-
 eine generalisierte Prurigo nodularis. Auf         Cholestase unklarer Genese und wurde er-            ringfügige Besserung hervorbrachte. Auf-
 der VAS gibt sie bei der Erstvorstellung           folglos mit Antihistaminika (Cetirizin 0-0-1)       grund dieser Ergebnisse und der stärkeren
 eine durchschnittliche Intensität von 8            und einer UV-Therapie vorbehandelt. Nach            Pruritusintensität sowie den zahlreicher
 (schwerer Juckreiz) sowie Mischqualitäten          der Erstvorstellung wurde Gabapentin                vorhandenen Knoten ist hier eine längere
 wie Ameisenlaufen, Brennen, Jucken und             (900 mg/d) eingeleitet, das sowohl nach             und höherdosierte Therapie notwendig.

 Abb. 9: Hautbild bei der Erstvorstellung, nach zwei Monaten und nach vier Monaten (v. l. n. r.). Die Therapie mit Gabapentin ergab nur eine geringfügige
 Besserung des Hautbildes.

Prof. Dr. med. Sonja Ständer                                                    8. Reich A et al. Acta Derm Venereol, 2017; 97: 759-760; Phan
Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.                                        NQ et al. Acta Derm Venereol, 2012; 92: 502-507; Reich A
Oberärztin der Klinik für Hautkrankheiten,                                          et al. Acta Derm Venereol, 2012; 92: 497-501.
Universitätsklinikum Münster.
Leiterin des Kompetenzzentrums chronischer Pruritus                             9. Pereira MP, Mühl S., Ständer S., Small fiber neuropathy as a
                                                                                   possible cause for chronic pruritus, Hautarzt, 2016, 67(8),
                                                                                   615-21.
Literatur
                                                                                10. Ständer S, Zeidler C, Augustin M et al, S2k-Leitlinie zur
1. Das Manuskript wurde anhand einer Aufzeichnung erstellt                          Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. Leitlinie
   und vom Referenten durchgesehen und freigegeben.                                 der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG),
                                                                                    AWMF online 2016 (Reg.-Nr. 013/048).
2. Matterne U. et al., Acta Dermatol Venereol, 2013, 93, 532-7.
                                                                                11. Ständer S. et al., J Eur Acad Dermatol Venereol, 2017.
3. Ständer S. et al., Dermatology, 2010, 221, 229-35.

4. Kopyciok ME et al., Acta Dermatol Venereol, 2016, 96, 50-5.

5. Ständer S. et al., Acta Dermatol Venereol, 2007, 87, 291-
   294.

6. Ständer S. et al., J Dtsch Dermatol Ges., 2017, 15, 860-873.

7. Ständer S. et al., J Eur Acad Dermatol Venereol, 2016, 30,
   1144-7.

                                                                                                                                                        15
Dermatologie live

Johannes Wohlrab                                                                 chronischen Akuitätsphase der Erkrankung. Zudem können
                                                                                 exogene Faktoren den Aktivitätsverlauf und das klinische Bild
                                                                                 erheblich beeinflussen. Dabei spielen sowohl Veränderungen
3 Therapie der Atopischen Dermatitis:                                            der physikalischen (Serin-Proteasen, Filaggrin-Defekt, Mangel
                                                                                 an Ceramiden und langkettigen freien Fettsäuren, Abnahme
Bewährtes, wenig Bewährtes und Neues
                                                                                 der Wasserbindungskapazität) als auch der mikrobiellen Barri-
                                                                                 ere (antimikrobielle Peptide, erhöhte Adhärenz von Staphylo-
                                                                                 kokken) eine wesentliche Rolle.

3.1 Einleitung
                                                                                 3.2 Therapeutische Strategien
Die Atopische Dermatitis ist ein häufiger Symptomenkomplex,
der auf einer genetischen Disposition beruht und zum For-                        Durch die hohe Diversität pathogenetischer Faktoren und da-
menkreis des Atopischen Syndroms gezählt wird. Im Zentrum                        mit auch klinischer Symptome ist ein hohes Maß an Individu-
der Pathogenese stehen entzündliche und neurosensorische                         alisierung therapeutischer Maßnahmen angezeigt. Dennoch
Phänomene, die durch eine immunologische Dysbalance mit                          gibt es Grundprinzipien der Therapie, die sich an den o. g.
Aktivierung einer Th2-mediierten Immunantwort und einer                          pathogenetischen Faktoren sowie dem Akuitätsverlauf der Er-
pathologischen B-Zellaktivierung mit vermehrter Bildung spe-                     krankung orientieren (Abb. 1).
zifischer IgE-Moleküle gekennzeichnet sind. Darüber hinaus
liegt ein polyvalenter Schaden der epidermalen Barriere mit                      3.2.1 Barriere-assoziierte Basistherapie
Dysregulation des kutanen Mikrobioms vor. Da die genannten
pathogenetischen Faktoren eine hohe interindividuelle Variabi-                   Die Substitution und Protektion der physikalischen Barriere
lität und die daraus resultierenden klinischen Phänotypen eine                   orientieren sich vordergründig an den physiologischen Ge-
große Diversität besitzen, ist davon auszugehen, dass die Ato-                   gebenheiten. Da das morphologische Äquivalent der Barriere-
pische Dermatitis keine einheitliche Entität darstellt.                          funktion durch die Bildung von Membranen vermittelt wird,
                                                                                 die in einem dreidimensionalen Netzwerk in der physikoche-
Die entzündlichen Kaskaden und die ihnen zugrundeliegen-                         mischen Interaktion mit Wasser spontan formiert werden, ist
den Milieufaktoren unterscheiden sich in der akuten und der                      die Applikation von membranbildenden Lipiden (z. B. Cerami-

 Grundprinzipien der Therapie

 Abb. 1: Pathogenese-orientierte Therapieempfehlungen in Abhängigkeit von der Krankheitsakuität.
 Krankheitsakuität; TIX: therapeutischer Index; TGC: topische Glukokortikoide; TGK: topische Calcineurin-Inhibitoren; GK: Glukokortikoide; CsA: Cyclosporin
 A; AZA: Azathioprin; MMF: Mometasonfuroat; Dupi: Dupilumab; AB: Antibiotika

16
Dermatologie live                                                                                                 Heft 01 ∙ 2019

  Anwendungs-Tipp 1 – fett-feucht-Verbände                           Anwendungs-Tipp 2 – Umschläge mit Schwarztee

  • Eincremen mit Kühlcreme DAB + 20 % Wasser.                       • Zubereitung: 2 Teebeutel unparfümierten Schwarztee
  • Eng anliegende Schlauchbinde, angefeuchtet in                      in 250 ml Wasser zubereiten.
    handwarmem Leitungswasser.                                       • Abkühlen bis handwarm oder kalt.
  • Überzug mit trockener Schlauchbinde.                             • Kompressen oder dünne Baumwolltücher in Tee
  • Alle 4 Stunden über ca. 3 Tage erneuern (außer                     getränkt applizieren.
    Nachtruhe).                                                      • Alternativ: feuchte Teebeutel direkt applizieren
                                                                       (z. B. Lidekzem).

de, Lecithine) in Kombination mit Wasser und wasserbinden-         ausreichend lange, aber kontrollierte Anwendung. So sollte
den Substanzen (sogenannte humectants wie Urea, Glycerol)          eine 1–2x tägliche Anwendung (außer im Gesicht und Genital-
zielführend. In jüngster Zeit ist deutlich geworden, dass die      bereich) solange erfolgen, bis die entzündlichen Phänomene
substituierte wässrige Phase einen sauren pH-Wert von ≤ 5,5        weitgehend inaktiviert sind. Zudem hat sich eine 1–2-wöchige,
sowie ein effizientes Puffersystem zur Korrektur pathologisch      ausschleichende Anwendung mit Applikation alle 2–3 Tage be-
veränderter pH-Bedingungen enthalten sollte. Die Korrektur         währt. Alternativ können, insbesondere für die Langzeitanwen-
pathologischer pH-Verhältnisse und die Wiederherstellung des       dung in der chronischen Erkrankungsphase, auch topische Cal-
physiologischen pH-Gradienten innerhalb des Stratum corne-         cineurin-Inhibitoren (TCI; insbesondere Tacrolimus) verwendet
um sind wesentlich für die Aktivierung der Enzymsysteme.           werden. Sowohl für TCI als auch für TGC besteht darüber hin-
Sie katalysieren die Umbau der Lipidvorläufermoleküle in die       aus die Option der proaktiven Anwendung in der klinisch er-
Membran-charakterisierenden aktiven Substanzen und tragen          scheinungsfreien Erkrankungsphase. Dabei werden die Schwe-
wesentlich zur Regeneration der Barrierefunktion bei.              re und die Häufigkeit eines Schubes (aktive Erkrankungsphase)
                                                                   durch zwei wöchentliche Applikationen der Zubereitungen auf
Durch bestimmte Milieufaktoren kommt es zur Aktivierung            die vormals entzündlichen Areale wirksam reduziert.
neurosensorischer Kaskaden, die zum Symptom Juckreiz füh-
ren. In dessen Auslösung, zentralnervöser Verarbeitung und         Im klinischen Alltag haben sich auch Umschläge mit Schwarz-
ggf. Chronifizierung sind vielfältige neuroimmunologische          tee bewährt (Kasten 2). Diese reduzieren die entzündliche Ak-
Vorgänge involviert. Eine spezifische Therapie des atopischen      tivität, lindern den Juckreiz und wirken zudem antibakteriell.
Juckreizes ist bisher nur sehr begrenzt möglich. Antihistaminika
mit H1R- bzw. H2R-blockierender Wirkung sind unwirksam, da         Bei besonders schweren Verläufen kann auch eine systemische
der Juckreiz nicht vordergründig histaminerg vermittelt wird.      Applikation von immunsuppressiven Medikamenten erwogen
Die therapeutische Nutzung von zentral sedierenden Antihis-        werden. Neben einer kurzzeitigen Gabe von Prednisolonäqui-
taminika wird nicht empfohlen, da diese die REM-Schlafphasen       valent (1 mg/kg KG/d p. o. oder i. v.) ist auch eine Applikation
reduzieren und so zur Vigilanzminderung sowie zur Abnah-           von Ciclosporin (bis 5 mg/kg KG/d in 2 Einzeldosen p.o.) mög-
me der Leistungsfähigkeit führen. Topisch können z. B. das         lich. Bei Erwachsenen ist zudem die Gabe von Dupilumab, ei-
Lokalanästhetikum Polidocanol oder der Cannabinoidagonist          nem therapeutischen Antikörper, der gegen IL-4Ra gerichtet ist
N-Palmitoylethanolamin (PEA) zum Einsatz kommen. Bei chro-         und die Aktivierung durch IL-4 und IL-13 blockiert, zu erwägen.
nischen Ekzemen kann zudem auf Capsaicin-Zubereitungen             Im Off-Label-Bereich kann die Verwendung von Azathioprin
zurückgegriffen werden. Im klinischen Alltag hat sich aber auch    bzw. Methotrexat erwogen werden. Zudem liegen Erfahrun-
der Einsatz sogenannter fett-feucht-Verbände bewährt. Diese        gen mit speziellen UV-Bestrahlungsmodalitäten vor.
vermitteln durch Okklusion, Verdunstungskälte sowie einen
intensiven taktilen Reiz einen starken antipruriginösen Effekt     3.2.3 Regulation des kutanen Mikrobioms
(Kasten 1). Bei Kindern sollten die großflächige Anwendung
sowie die Anwendung im Gesicht aber nur unter stationären          Durch die pathologische Kolonisation der Haut mit Staphy-
Bedingungen und durch professionelle Therapeuten erfolgen,         lococcus aureus und die Abnahme der Diversität des kutanen
da die Gefahr einer Unterkühlung besteht.                          Mikrobioms werden proinflammatorische Induktoren auf und
                                                                   in der Haut wirksam. Zunächst ist von Bedeutung, dass es sich
3.2.2 Entzündungshemmende Therapie                                 hierbei nicht um eine Infektion, sondern um eine Kolonisation
                                                                   handelt. Der Einsatz von Antibiotika ist also in den seltensten
Zur entzündungshemmenden Therapie werden am häufigsten             Fällen indiziert. Wegen der aktuellen Resistenzsituation und
topische Glukokortikoide (TGC) eingesetzt. Empfohlen wer-          der Risiken, die sich daraus in der klinischen Infektiologie erge-
den Wirkstoffe mit einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis        ben, wird der Einsatz von topischen Antibiotika im genannten
(TIX = 2,0) der Wirkstärke II (Methylprednisolonacaponat,          Zusammenhang grundsätzlich abgelehnt. In seltenen Fällen
Prednicarbat, Hydrocortisonbuteprat) bis III (Mometasonfuro-       kann eine systemische Antibiose mit einem Penicillinase-festen
at, Fluticasonpropionat) (nach Niedner). Wichtig ist dabei eine    Penicillin oder einem Cephalosporin der 1. Generation er-

                                                                                                                                  17
Dermatologie live

wogen werden. Zur therapeutischen Regulation des kutanen          Literatur
Mikrobioms kann der Einsatz von topischen Antiseptika (z.B.
Octenidin oder Polihexanid) erfolgen. Auch die Verwendung         1. Elias P.M., Primary role of barrier dysfunction in the pa-
von probiotischen Zubereitungen mit Bakterienspezies, die zur        thogenesis of atopic dermatitis, Exp Dermatol, 2018, 27,
Induktion von TLR-2-mediierten Regulationsprozessen führen,          847-851.
stellt eine Möglichkeit der Einflussnahme dar. Häufig kann auch
durch Waschprozeduren eine effektive Reduktion der Keim-          2. Gavrilova T., Immune Dysregulation in the Pathogenesis of
dichte erzielt werden.                                               Atopic Dermatitis, Dermatitis, 2018, 29, 57-62.

                                                                  3. Nowicka D., Grywalska E., The Role of Immune Defects
3.3 Zusammenfassung und Ausblick                                     and Colonization of Staphylococcus aureus in the Patho-
                                                                     genesis of Atopic Dermatitis, Anal Cell Pathol (Amst) 2018,
Durch die aktuellen Entwicklungen bei arzneilichen und Barrie-       1956403.
re-protektiven Therapiestrategien werden in naher Zukunft wei-
tere Optionen für das Management der Atopischen Dermatitis        4. Scheerer C., Eyerich K., Pathogenesis of atopic dermatitis,
zur Verfügung stehen. Neue Substanzklassen oder Wirkstoffe           Hautarzt, 2018, 69, 191-196.
zur antientzündlichen Therapie (z. B. JAK-Inhibitoren, PDE4-In-
hibitoren, Anti-IL-13-Ak) bzw. antipruriginösen Therapie (z. B.   5. Werfel T., Heratizadeh A., Aberer W. et al., S2k guideline
NK1R-Antagonisten, Anti-IL-31R-AK, H4R-Blocker) werden das           on diagnosis and treatment of atopic dermatitis - short
Instrumentarium erweitern. In der Basistherapie werden Stra-         version. Allergo J Int, 2016 25, 82-95.
tegien der forcierten Rehydratisierung (z. B. Melting-Creams),
besondere Hautschutzkonzepte (z. B. Skin-Coating) oder Mik-       6. Wollenberg A., Barbarot S., Bieber T. et al., Consensus-
robiom-regulierende Zubereitungen (z. B. Adsorbersysteme)            based European guidelines for treatment of atopic eczema
ebenfalls neue Möglichkeiten der therapiebegleitenden Basis-         (atopic dermatitis) in adults and children: part I, J Eur Acad
therapie eröffnen.                                                   Dermatol Venereol, 2018, 32, 657-682.

Zudem bleibt die Aussicht, dass in Zukunft genetische Untersu-    7. Wollenberg A, Barbarot S, Bieber T et al. Consensus-based
chungen und Mutationsanalysen eine verbesserte Individuali-          European guidelines for treatment of atopic eczema (ato-
sierung therapeutischer Strategien ermöglichen werden.               pic dermatitis) in adults and children: part II. J Eur Acad
                                                                     Dermatol Venereol, 2018, 32, 850-878.
Prof. Dr. Johannes Wohlrab
Facharzt für Dermatologie und Venerologie.
Leitender Oberarzt der Klinik für Dermatologie und Venerologie,
Universitätsklinikum Halle.

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