Dermatologie live - InfectoPharm
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Dermatologie live Top-Themen der praktischen Dermatologie 2018 Kongressbericht 29. September 2018 in Frankfurt Wir diskutieren, was Sie interessiert. Es entspricht dem Konzept der consilium Dermatologie live-Fortbildungen, regelmäßig Ihre favorisierten Fachthemen aufzugreifen und auf unseren jährlichen Symposien didaktisch umzusetzen. So präsentierten wir auf dem dritten consilium Dermatologie live erneut Ihre Wunschthemen: Mit hochkarätigen Referenten, mit hoher Praxis- relevanz und mit diesem Sonderheft und seinen sechs Beiträgen als Service nun auch zum Nachlesen. Mit dieser Ausgabe können Sie 2 CME-Punkte erwerben. Kostenfreie Hotline: 0800 113 6464 · consilium@infectopharm.com · www.infectopharm.com
Dermatologie live Wissenschaftliche Leitung der Zusammenfassung Prof. Dr. med. Cord Sunderkötter Facharzt für Dermatologie und Venerologie. Direktor der Klinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Halle (Saale). Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Infektiologie IMPRESSUM Herausgeber Hotline InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH Deutschland: 0800 113 6464 Von-Humboldt-Straße 1 64646 Heppenheim Zusammenfassung der Inhalte und Redaktion Julian Stünkel, Köln Telefon: 06252 95-7000 Dr. Thomas Börner Telefax: 06252 95-8856 Dr. Andreas Rauschenbach InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH E-Mail: consilium@infectopharm.com www.infectopharm.com ISSN 2365-7618 6501700-02-0419 2
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 Top-Themen der praktischen Dermatologie 2018 Liebe Leserinnen und Leser, eine gute Fortbildung vereint einen hohen wissenschaftlichen Standard mit Praxisrelevanz. Wir alle möchten am Montag anwenden können, was wir am Wochenende gelernt haben. Deshalb freut es uns, dass wir diesen Symposiumsbericht als CME-zertifizierte Fortbildung anbieten kön- nen. Erfahren Sie mehr über einen Querschnitt durch die praktische Dermatologie. Prof. Dr. Peter Höger aus Hamburg erklärt in seinem Beitrag unter anderem die Besonderheiten der Therapie der Kinderhaut und was sie für die Therapie bedeuten. Prof. Dr. Sonja Ständer aus Münster berichtet, dass ein Drittel aller Patienten in einer dermatologischen Praxis über Pru- ritus klagen. Sie stellt Strategien vor, diesem Symptom Herr zu werden. In den letzten Jahren hat sich die Therapie der atopischen Dermatitis weiterentwickelt. Prof. Dr. Johannes Wohlrab aus Halle berichtet, was sich bewährt hat und was neu kommt. Dr. Hol- ger Reimann aus Eschborn behandelt mit den Herausforderungen der Rezepturverordnung einen wichtigen Aspekt der dermatologischen Therapie. Dabei zeigt er auf, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker ist. Mit den verschiedenen Formen von Alopezie beschäftigt sich der Vortrag von Prof. Dr. Hen- ning Hamm aus Würzburg. Er spannt inhaltlich einen breiten Bogen von der androgenetischen Alopezie über die Alopecia Areata bis hin zu den primär vernarbenden Alopezien. Den Abschluss bildet der Beitrag von Prof. Dr. Cord Sunderkötter aus Halle, der sich mit Parasiten beschäftigt. Er berichtet sowohl von häufigen Gästen der dermatologischen Praxis wie der Skabiesmilbe als auch von verhältnismäßig seltenen Erkrankungen wie der Myiasis. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieser interessanten Beiträge und beim Beantworten der CME-Fragen. Wir hoffen, Sie auf den nächsten Fortbildungen des consilium Dermatologie live begrüßen zu können! Ihre wissenschaftliche Leitung Prof. Dr. med Cord Sunderkötter Inhalt 1 Neue Entwicklungen in der pädiatrischen Dermatologie � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 4 2 Pruritus – EIN Symptom, VIELE Ursachen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 10 3 Therapie der atopischen Dermatitis: Bewährtes, wenig Bewährtes und Neues� � � Seite 16 4 Herausforderung Rezepturverordnung an Praxisbeispielen � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 19 5 Mehr über weniger – Alopezien 2018 � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � Seite 24 6 Ektoparasitosen – Was der heimische Dermatologe wissen sollte � � � � � � � � � � � � �Seite 30 3
Dermatologie live Peter H. Höger mTORC-Signalweg 1 Neue Entwicklungen in der VM∙BRBN Pädiatrischen Dermatologie Zell‐ membran TIE2 (TEK) RTK GPCR CLOVES N. flammeus KTS RASA1 KRAS GNAQ SWS PIK3CA NRAS GNA11 M‐CM HRAS RICH/NICH CM‐AVM LM Parkes‐Weber 1.1 Einleitung AKT1 PROTEUS BRAF *Sporadische VM MEK1/2 Das Gebiet der Pädiatrischen Dermatologie umfasst sowohl TSC1/2 TS MEK 1/2MAP MAPK2 K2 sehr häufige Erkrankungen wie kutane Infektionen und das Ato- ERK 1/2 ERK 1/2 Verruköses pische Ekzem als auch sehr seltene wie die Genodermatosen. mTORC1 MAPK3 MAPK3 Hämangiom In den letzten Jahren wurden neue Erkrankungen beschrieben, neue Erreger isoliert und neue Behandlungen gefunden. Im Zellkern Transkription Folgenden sollen dazu einige Beispiele vorgestellt werden. Abb. 1: mTOR-Signalweg und seine genetischen Defekte. 1.2 Neue Therapieansätze bei genetisch bedingten VM = vaskuläre Malformationen, BRBN = Blue rubber bleb naevus, Erkrankungen der Haut und Gefäße CLOVE = congenital lipomatous overgrowth, vascular malformation, epidermal naevus, KTS = Klippel-Trénaunay-Syndrom, M-CM = Me- Die molekulargenetische Ursache vieler Genodermatosen galenzephalie + kapilläre Malformation, LM = lymphatische Malfor- konnte in den letzten Jahren aufgeklärt werden. Diese Er- mation, TS = tuberöse Sklerose. CM-AVM = kapilläre + arteriovenöse kenntnisse haben zwar unser Verständnis der Architektur und Malformation, N. flammeus = Naevus flammeus, SWS = Sturge-Weber- Funktion der normalen Haut und ihrer Erkrankungen wesent- Syndrom, RICH/NICH = rapidly/non involuting congenital haemangio- lich erweitert, lieferten bisher aber wenig neue therapeutische ma, RTK = Rezeptor-Tyrosinkinasen Ansätze. Dies ändert sich jetzt – und zwar nicht nur bei vielen Genodermatosen, sondern auch den entzündlichen Dermato- sen und Tumorerkrankungen. mTOR vermittelte Angiogenese und damit die Neubildung und das Wachstum der Angiome bei BRBN (2). Dadurch wird das 1.2.1 Beispiel 1: Tuberöse Sklerose (TS) Blutungsrisiko signifikant verringert. Sirolimus kann daher bei dieser Erkrankung zu Recht als „Lebensretter“ bezeichnet wer- Die TS wird durch eine Mutation des TSC1/2-Gens verursacht den (3). Allerdings ist eine lebenslange Behandlung erforder- und führt in variabler Ausprägung zu Veränderungen der in- lich. Zur Vermeidung bzw. Senkung des Risikos von Nebenwir- neren Organe (Tumoren von Herz, Niere, Hirn), Anfallsleiden kungen (Infektionen, Aphthen, Hypertriglyzeridämie) sollen und Entwicklungsverzögerung sowie dem charakteristischen die regelmäßig zu kontrollierenden Blutspiegel möglichst im Adenoma sebaceum. TSC1/2 ist ein zum mTOR-Signalweg unteren therapeutischen Bereich gehalten werden. gehörendes Gen (Abb. 1). Seine gezielte Hemmung durch Rapamycin/Sirolimus bewirkt bei oraler Gabe eine Wachs- Das in der mTOR-Aktivierungskaskade oben stehende Gen PIK- tumshemmung und Rückbildung der genannten Tumoren, 3CA ist für verschiedene somatische Mutationen verantwort- nach topischer Anwendung in Form eines 0,2 %igen Gels eine lich (Abb. 1). Klinisch gehören zu ihnen u. a. Entitäten wie das deutliche (wenn auch nicht immer vollständige) Rückbildung CLOVES-Syndrom (congenital lipomatous overgrowth, vascu- des Adenoma sebaceum. Eine kürzlich publizierte kontrollierte lar malformation, epidermal naevus syndrome), das Klippel- Studie (1) zeigte bei 60 % der über 12 Wochen behandelten Trenaunay-Syndrom, fibroadipöse infiltrierende Lipomatose TS-Patienten eine Verbesserung (im Vergleich zu 0 % der Kon- oder die isolierte Makrodaktylie, die heute unter dem Oberbe- trollen); die Behandlung wurde gut vertragen. Nach dem Ab- griff „PROS-Syndrom“ (PIK3CA-related overgrowth syndrome) setzen kommt es jedoch in der Regel zu Rezidiven. zusammengefasst werden (5). 1.2.2 Beispiel 2: Vaskuläre Malformationen (VM) Trotz scheinbar einheitlicher molekulargenetischer Grundlage entscheiden drei Faktoren über die so unterschiedliche klini- Die Blue-rubber-bleb-Angiomatose (ältere Bezeichnung: Blue sche Präsentation: rubber bleb naevus, BRBN) führte unbehandelt aufgrund aku- • Der Zeitpunkt der Mutation während der Embryogenese ent- ter und chronischer Blutungen aus rupturierten intestinalen An- scheidet darüber, wie viele unterschiedliche Zellreihen betrof- giomen und einer begleitenden Verbrauchskoagulopathie (dis- fen sind. Je früher die Mutation stattfindet, desto generalisier- seminated intravascular coagulation, DIC) meist zum Tod. Sie ter und damit schwerer sind ihre klinischen Auswirkungen. beruht auf einer aktivierenden Mutation des Tyrosinkinase/An- • Die Art und Anzahl der betroffenen Gewebe sind entschei- giopoietin-Rezeptors TEK/TIE2 (2). Sirolimus hemmt die durch dend für die klinische Manifestation. 4
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 • Die Art der Mutation ist entscheidend für den Grad der Akti- • Fehlende Entwicklung von Adnexstrukturen: Zu dieser Grup- vierung der Angiogenese. pe zählen vorwiegend Defekte des TNF-Signalweges. • Desorganisation des Zytoskeletts: Defekte von Nectin-1, PROS-Syndrom Connexin, Plakophilin oder Cadherin Tag 0 Tag 180 Tag 0 Tag 180 Den betroffenen Kindern sind in variablem Umfang Fehlbildun- gen bzw. die Nichtanlage von Schweißdrüsen, Zähnen, Haa- ren und Nägeln gemein. Bei den hypo- oder anhidrotischen ED-Formen besteht aufgrund der Unfähigkeit zu schwitzen die Patient 1 Gefahr einer Hyperthermie, die vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern lebensgefährlich sein kann. Einer Arbeitsgruppe aus Erlangen (7) gelang es nun, diesen De- fekt durch die Injektion eines rekombinanten Proteins mit der rezeptorbindenden Domäne des Ektodysplasin-Proteins EDA Effekt von Alpelisib bei Kindern mit PROS in das Amnion zweier Mütter, die ein Kind mit X-gebundener hypohidrotischer ED erwarteten, pränatal zu korrigieren. Die Injektion in der 26. bzw. 31. Gestationswoche führte dazu, dass die Kinder eine normale Schweißdrüsenaktivität aufwiesen. Die Zahl der Zahnanlagen war bei beiden höher als bei einem äl- Patient 2 teren Bruder. Zudem waren Schweißdrüsen und Meibomsche Drüsen angelegt. Anders als frühere Versuche impliziert diese Methode keinen viralen Vektor. Durch die Gabe des Proteins – zu einem für ektodermale Gewebe kritischen Zeitpunkt – kann gleichsam ein „Schalter umgelegt“ werden, der die ansonsten gehemmte weitere Entwicklung der Adnexstrukturen freigibt. Dies ist ein vollkommen neuer Therapieansatz, der sich mög- licherweise auch für die pränatale Korrektur anderer Genoder- Patient 3 matosen eignen könnte. 1.3 Infektiöse Exantheme im ersten Lebensjahr: Das Erregerspektrum wächst Abb. 2: Verlaufsbilder bei einer Behandlung mit Alpelisib über ein Jahr Die klassischen Erreger perinataler Infektionen wurden früher (Dosis: 50 mg/d) (6). unter dem Akronym „TORCH“ zusammengefasst. Vor einigen Jahren wurde dieses um wesentliche Erreger auf „TORCHE- SCLAP“ erweitert. Bei diesen Mutationen wurde mit bisher beschränktem Erfolg Erreger fetaler/neonataler Infektionen auch Sirolimus eingesetzt, das jedoch das betroffene PIK3CA- Gen nicht selektiv hemmt und dadurch viele Nebenwirkungen TO Toxoplasma gondii aufweist. Eine französische Arbeitsgruppe berichtete kürzlich R Rubellavirus erstmals über den Effekt eines selektiven PIK3CA-Inhibitors, C CMV Alpelisib, bei Patienten mit PROS/CLOVES-Syndrom (6). Die H HSV einjährige Behandlung mit Alpelisib (50 mg/d) führte bei allen E Enteroviren Patienten (n=19) zu einem deutlichen Rückgang der Weich- S Syphilis (Treponema pallidum) teil- und vaskulären Tumoren (Abb. 2), der sich auch in der C Chickenpox (VZV) Bildgebung (MRT, PET) objektivieren ließ. Gleichzeitig war ein L Lyme disease (Borrelia burgdorferi) Rückgang der durch das Überwachstum bedingten Skoliose A AIDS (HIV) und der vielfach vorliegenden kardialen Hypertrophie festzu- P Parvovirus B19 stellen. Die Behandlung wurde gut vertragen, führte allerdings E Emerging Infections bei etwa 20 % der Patienten zu einer Hyperglykämieneigung. 1.2.3 Beispiel 3: Ektodermale Dysplasie Alle Erreger können Exantheme beim Neugeborenen bzw. jun- gen Säugling auslösen. Je nach Erreger ist dies in 20–80 % der Die verschiedenen Formen der ektodermalen Dysplasie (ED) infizierten Patienten der Fall. Allerdings sind die Exantheme nicht lassen sich molekulargenetisch in zwei Gruppen einteilen: erregerspezifisch: Makulopapuläre oder auch purpuriforme Ex- 5
Dermatologie live antheme können von verschiedenen Erregern verursacht wer- verbreitet ist HPeV-1, das vorwiegend bei Kleinkindern gast- den und erlauben daher keinen Rückschluss auf die Auslöser. rointestinale und respiratorische Infektionen auslöst. Der wich- tigste Genotyp ist jedoch das 2004 entdeckte HPeV-3, das Auf zwei Erreger bzw. Erregergruppen neonataler Infektionen weltweit immer häufiger als Auslöser eines Sepsis-/Meningitis- soll hier etwas genauer eingegangen werden: artigen Krankheitsbildes, seltener auch als eine Hepatitis, bei Neugeborenen und jungen Säuglingen erkannt wird. Das typi- 1.3.1 Enteroviren und humane Parechoviren sche klinische Bild ist durch Fieber, Irritabilität und in 25–35 % der Fälle durch ein feinfleckiges Exanthem gekennzeichnet. Die Enteroviren sind die häufigsten Auslöser meist „unspezifischer“ Laborbefunde (leichte Thrombozytopenie, geringe Erhöhung Virusexantheme bei Säuglingen und Kleinkindern. Bis auf das von CRP und Liquorzellzahl) sind unspezifisch. Klinik und Labor Eczema coxsackium, das vorwiegend durch das Coxsackievirus sind anfangs nicht von einer bakteriellen Sepsis/Meningitis zu Typ A6 ausgelöst wird und ein distinktes klinisches Bild bietet, unterscheiden, weshalb viele Kinder zunächst parenteral an- sind die meisten enteroviralen Exantheme unspezifisch. tibiotisch behandelt werden. Daher wird bei entsprechender Symptomatik empfohlen, in dieser Altersgruppe routinemäßig Von besonderer Bedeutung für das erste Lebensjahr ist das eine HPeV-3-PCR zu veranlassen (9). Humane Parechovirus (HPeV), das zur Familie der Picornaviren gehört und derzeit 19 Genotypen umfasst (9). Am weitesten Verbreitungsgebiete neuer Vektoren in Europa West-Nil-Virus Sandmücke (Plebotomus mascittii) Nachweis bei Vögeln in Sachsen-Anhalt, Bayern, Sachsen 2018 bisher 1504 Fälle in EU+Nachbarstaaten Leishmaniose West-Nil-Fieber Schildzecke (Hyalomma marginatum) Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) Hämorrhagisches Krim-Kongo-Virus Rickettsia spp. (Mediterranes Fleckfieber) Etabliert Eingeführt nicht nachgewiesen keine Daten Abb. 3: Mit der Verbreitung bestimmter Tiere steigt auch die Übertragungsrate viraler, bakterieller und parasitärer Erkrankungen in Europa, die diese Tiere als Vektor nutzen. 6
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 Auch bei initial nur geringen Laborveränderungen können sich von Externa aufgrund einer möglichen transkutanen Absorpti- bei einem erheblichen Teil der Kinder mit initialen meningiti- on von Inhaltsstoffen allerdings zu unerwünschten Wirkungen schen oder enzephalitischen Symptomen neurologische Spät- führen. Vor dem Hintergrund, dass schon Säuglinge im ersten folgen wie Krampfanfälle zeigen (10, 11). Lebensjahr mit durchschnittlich acht pflegenden Externa mit durchschnittlich jeweils 48 Inhaltsstoffen „konfrontiert“ wer- Die Behandlungsmöglichkeiten sind bisher beschränkt. Das Vi- den, ist dieses Risiko real. Das erhöhte Risiko der transkutanen rustatikum Pleconaril hemmt die Bindung des Virus an zelluläre Absorption beruht auf Besonderheiten der kindlichen Haut: Rezeptoren. In einer randomisierten Studie (12) senkte es nach • Dünnere Epidermis einwöchiger oraler Gabe die Überlebensrate und beschleunig- • Unreife der epidermalen Barriere te die Zeit bis zur Virus-Clearance. • Höhere Zahl von Talgdrüsen pro cm² Körperoberfläche • Größere Körperoberfläche pro kg Körpergewicht 1.3.2 „Emerging Infections“ Bei Kindern mit Atopischem Ekzem ist das Risiko der transku- Mit neonatalen Exanthemen können ebenfalls verschiedene, tanen Absorption nach dem Ergebnis verschiedener Studien durch Vektoren übertragene, virale, bakterielle und parasitäre nochmals um einen durchschnittlichen Faktor von 2,2 erhöht Erkrankungen einhergehen – sie betreffen jedoch alle Alters- (13). Transkutan werden nicht nur Wirkstoffe wie Hydrocortison gruppen. Parallel mit der globalen Erwärmung dehnen sich die oder Antibiotika absorbiert, sondern auch Konservierungs- und Siedlungsgebiete bestimmter Insekten, die diese Erreger über- andere Inhaltsstoffe. Bei einer Untersuchung von 845 dänischen tragen können, immer weiter nach Norden aus (Abb. 3). Kindern im Alter von 4–9 Jahren fanden sich im Urin erhöhte Konzentrationen von Parabenverbindungen, die als Konservie- Sandmücke (Phlebotomus mascittii). Die Sandmücke, schon rungsmittel in Externa Verwendung finden, sowie Phthalaten, die lange in Mittelmeer-Anrainerstaaten verbreitet, ist jetzt auch in als Weichmacher u. a. in Salbentuben eingesetzt werden (14). verschiedenen Regionen im Landesinneren von Italien, Frank- reich und Griechenland sesshaft – ferner im Süden Österreichs Wenig beachtet wird bisher auch das Penetrationspotential und im südlichen Rheintal. Autochthone Fälle der Leishmaniose chemischer UV-Filter wie Octocrylen, das sich in der Mutter- wurden in diesen Regionen bei Hunden nachgewiesen, die für milch (15) und im Fischfleisch (16) anreichert und dann von Leishmanien besonders empfindlich sind. Kindern nicht nur transkutan, sondern auch mit der Nahrung aufgenommen werden kann. Octocrylen zählt wie Parabene Schildzecke (Hyalomma marginatum). Die Schildzecke ist und Triclosan aufgrund einer östrogenen Wirkung zur Gruppe mittlerweile in großen Bereichen Spaniens und Italiens sowie der „endocrine disrupting agents“ (EDA) und sollte daher bei Kin- auf dem Balkan sesshaft. Sie kann das Hämorrhagische Krim- dern gänzlich vermieden werden; de facto ist Octocrylen aber Kongovirus und Rickettsien übertragen, die das Mediterrane derzeit noch in jeder zweiten für Kinder ausgelobten Sonnen- Fleckfieber hervorrufen. schutzcreme enthalten. Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus). Tigermücken sind Ein weiteres Risiko, das mit der Langzeitanwendung von Exter- entlang der gesamten nördlichen Mittelmeerküste sowie in na verbunden ist und bisher zu wenig beachtet wird, ist das Israel, Libanon und Syrien ansässig. Sie können verschiedene Risiko der Kontaktsensibilisierung. Unter den „Top Ten“ der „tropische“ Viren übertragen, nämlich das Dengue-Virus, das Kontaktallergene bei Kindern mit Atopischem Ekzem finden Zika-Virus und das Chikungunya-Virus. Noch wird die Mehrzahl sich vier gängige Inhaltsstoffe pflegender Externa: Duftstoffe, der in Europa nachgewiesenen Infektionen mit diesen Erregern Propylenglykol, Wollwachs und Wollwachsalkohol (17). Lano- aus Asien oder Südamerika importiert. Autochthone innereu- lin/Wollwachs ist ein potentes und weit verbreitetes Kontaktal- ropäische Fälle, also nicht importierte Fälle mit dem Dengue- lergen (18), das auch in Deutschland in vielen gängigen Pfle- Virus sowie insbesondere mit dem Chikungunya-Virus, gab es geprodukten enthalten ist. Die (ungeschützte) Bezeichnung in Italien und Frankreich. „hypoallergen“ garantiert übrigens nicht die Abwesenheit po- tentieller Kontaktallergene: Bei einer Untersuchung der meist- Zugvögel. Zugvögel importieren das West-Nil-Virus. In diesem verkauften Kosmetikprodukte fanden Xu et al. (19) in den als Jahr wurde es erstmals in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern „hypoallergen“ vermarkteten Produkten bis zu acht bekannte in Vögeln nachgewiesen. EU-weit wurden 2018 bisher fast Kontaktallergene. 2000 Fälle von West-Nil-Fieber registriert. In der folgenden Tabelle werden die für Kinder problematischen Inhaltsstoffe in Pflegecremes/Kosmetika zusammengefasst. 1.4 Besonderheiten der Externatherapie im ersten Lebensjahr Die Externatherapie ist eine Domäne der Dermatologie. Sie ist beim Atopischen Ekzem essentiell zur Kompensation des Bar- rieredefektes. Bei Kindern kann die unkritische Anwendung 7
Dermatologie live Problematische Inhaltsstoffe in Pflegecremes/Kosmetika für Kinder Inhaltsstoff Funktion Nebenwirkung Puder Keine Aspiration, Verklebung, Ovarialkarzinom? Lanolin Grundlage Kontaktallergen Duftstoffe Kaufanreiz Kontaktallergen Triclosan Antiseptikum EDA Parabene Konservierung EDA, Kontaktallergen Octocrylen UV-Filter EDA, Umweltkontamination Mineralöle Grundlage Akkumulation von MOSH + MAOH im Fettgewebe Emulgatoren Emulgation W/Ö Emulgation epidermaler Lipide MOSH = mineral oil saturated hydrocarbons, MAOH = mineral oil aromatic hydrocarbons, EDA = endocrine disrupting agent 1.5 Zusammenfassung Literatur Wie die Beispiele zeigen, wurden in den vergangenen Jahren 1. Wataya-Kameda M, Ohno Y, Fujita Y et al. Sirolimus gel vielversprechende Therapieansätze sowohl bei Genodermato- treatment vs. Placebo for facial angiofibromas in patients sen als auch bei entzündlichen Dermatosen und Tumorerkran- with tuberous sclerosis complex: a randomized clinical kungen gefunden und erfolgreich angewendet. Exantheme trial. JAMA Dermatol 2018; 154: 781-788. bei Neugeborenen und jungen Säuglingen können auf eine perinatale Infektion hindeuten. Infektionen mit dem Humanen 2. Soblet J, Tankas J, Nätynki M et al. Blue rubber bleb nevus Parechovirus 3 sind häufig für Sepsis-/Mengitis-ähnliche Krank- (BRBN) is caused by somatic TEK (TIE2) mutation. J Invest heitsbilder in dieser Altersgruppe verantwortlich. Auch muss Dermatol 2017; 137: 207-216. in der Externatherapie im ersten Lebensjahr stärker für das Ri- siko der transkutanen Absorption problematischer Inhaltsstoffe 3. Kizilocak H, Dikme G, Celkan T. Sirolimus Experience in sowie damit einhergehender unerwünschter Nebenwirkungen Blue Rubber Bleb Nevus Syndrome. J Pediatr Hematol sensibilisiert werden. Oncol. 2018; 40: 168-169. Prof. Dr. med. Peter H. Höger 4. Wang KL, Ma SF, Pang LY et al. Sirolimus alternative to Facharzt für Dermatologie und Venerologie, blood transfusion as a life saver in blue rubber bleb nevus Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. syndrome: A case report. Medicine (Baltimore). 2018; 97: Ärztlicher Direktor des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift e9453. 5. Martinez-Lopez A, Blasco-Morente G, Perez-Lopez I et al. CLOVES syndrome: review of a PIK3CA-related overgrowth spectrum (PROS). Clin Genet. 2017; 91:14-21. 6. Venot Q, Blanc T, Rabia SH. Targeted therapy in patients with PIK3CA-related overgrowth syndrome. Nature 2018; 558:540-546. 7. Schneider H, Faschingbauer F, Schuepbach-Mallepell et al. Prenatal correction of X-linked hypohidrotic ectodermal dysplasia. N Engl J Med 2018; 378: 1604-1610. 8
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 8. Wilson CB, Nizet V, Maldonado Y, Remington JS, Klein JO. Remington and Klein´s Infectious Diseases of the Fetus and Newborn Infant. Philadelphia: W.B. Saunders. 8th edition 2016. 9. Olijve L, Jennings L, Walls T.Human Parechovirus: an Incre- asingly Recognized Cause of Sepsis-Like Illness in Young Infants. Clin Microbiol Rev. 2018;31(1). pii: e00047-17. 10. Harik N, DeBiasi RL. Neonatal nonpolio enterovirus and pa- rechovirus infections. Semin Perinatol. 2018; 42:191-197. 11. Britton PN, Dale RC, Nissen MD et al. Parechovirus Ence- phalitis and Neurodevelopmental Outcomes. Pediatrics. 2016;137(2):e20152848. 12. Abzug MJ, Michaels MG, Wald E et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of pleconaril for the treatment of neonates with enterovirus sepsis. J Pediatric Infect Dis Soc. 2016; 5:53-62. 13. Halling-Overgaard AS, Kezic S, Jakasa I et al. Skin absorpti- on through atopic dermatitis skin: a systematic review. Br J Dermatol. 2017; 177:84-106. 14. Overgaard LEK, Main KM, Frederiksen H et al. Children with atopic dermatitis and frequent emollient use have increased urinary levels of low-molecular-weight phthalate metabolites and parabens. Allergy. 2017; 72: 1768-1777. 15. Schlumpf M, Kypke K, Wittassek M et al.Exposure patterns of UV filters, fragrances, parabens, phthalates, organochlor pesticides, PBDEs, and PCBs in human milk: correlation of UV filters with use of cosmetics. Chemosphere. 2010; 81:1171-83. 16. Buser HR, Balmer ME, Schmid P, Kohler M. Occurrence of UV filters 4-methylbenzylidene camphor and octocrylene in fish from various Swiss rivers with inputs from wastewater treatment plants. Environ Sci Technol. 2006; 40:1427-31. 17. Jacob SE, McGowan M, Silverberg NB et al. Pediatric Contact Dermatitis Registry Data on Contact Allergy in Children With Atopic Dermatitis. JAMA Dermatol. 2017; 153: 765-770. 18. Fransen M, Overgaard LEK, Johansen JD, Thyssen JP. Contact allergy to lanolin: temporal changes in prevalence and association with atopic dermatitis. Contact Dermatitis. 2018; 78:70-75. 19. Xu S, Kwa M, Lohman ME et al. Consumer Preferences, Product Characteristics, and Potentially Allergenic Ingre- dients in Best-selling Moisturizers. JAMA Dermatol. 2017; 153:1099-1105. 9
Dermatologie live Nach einem Vortrag von Sonja Ständer (1) Und genau dieses Kratzen ist das große Problem. Durch das Kratzen kann es nämlich nicht nur zu Chronifizierungsmecha- nismen kommen, auch im zentralen Nervensystem führt das 2 Pruritus – Ein Symptom, viele Ursachen Kratzen und die ständige Aktivierung bestimmter Hirn- und Rückenmarksareale zu einer Maladaption der Nervenbahnen. Nicht selten berichten Patienten dann von schlaflosen Näch- ten, aufgekratzter Haut und einer Hilflosigkeit gegenüber dem 2.1 Einleitung Symptom. Daraus resultieren drastische Einschränkungen der Lebensqualität sowie psychosomatische Reaktionen. Mit einer Lebenszeitprävalenz von 22 % und einer Prävalenz von 16,8 % innerhalb der arbeitenden Bevölkerung (16–70 Jah- Genau hier liegt ein entscheidendes Spannungsfeld: Die Pa- re) lässt sich ohne Zweifel sagen: Pruritus kann jeden betreffen, tienten wenden sich mit ihren Beschwerden zwar an Derma- vom Baby bis zum 100-Jährigen (2, 3). Doch so leicht die Pati- tologen, vermuten aber gleichzeitig, dass eine psychische entengruppe zu bestimmen ist, so schwierig ist es bei den Ur- Erkrankung die Ursache sachen der Pruritus-Erkrankung. Daher ist es stets wichtig, den der Krankheit sein könn- Patienten individuell zu betrachten und die passende Therapie te. Sie verwechseln also Psychosomatische Reaktionen zu finden. Doch gerade hierbei treten in der Praxis nicht selten Ursache und Folge des können sowohl Auslöser als Schwierigkeiten auf. Pruritus. Befragt man die Patienten dann danach, auch Folge des Pruritus sein. ob der Ausbruch des 2.2 Pruritus – ein interdisziplinäres Symptom Pruritus nicht woanders herrühren könnte und die psychischen Beschwerden (z. B. De- Ob mit Dermatosen, auf primär unveränderter Haut oder chro- pression) erst die Folge der Erkrankung sind, sind sie nicht sel- nischen Kratzläsionen: Patienten mit einem Pruritus stellen sich ten einsichtig und erleichtert. in der Regel zunächst bei ihrem Dermatologen vor. Das bele- gen auch die Zahlen einer Studie von Kopyciok et al. (4), in der Die größte Herausforderung sind die „unsichtbaren“ Dermato- eine Punktprävalenz von 36,2 % in einer ländlichen dermatolo- sen (z. B. Mastozytose), die sowohl Dermatosen aber auch sys- gischen Praxis ohne Schwerpunkt auf Pruritus ermittelt wurden. temische Erkrankungen als Ursache haben können und Pruritus Konkret stellten sich dort innerhalb einer Woche 75 Patienten am ganzen Körper verursachen (Abb. 2; 6). Zu häufig werden vor, die nach einer Therapie gegen Pruritus bei chronischen dabei jedoch Vermutungen basierend auf Menschenkenntnis Symptomen fragten. und Lebenserfahrung gestellt. Daher liegt es nahe, eine psy- chosomatische Grundausbildung, wie sie in der Onkologie ge- Jedoch haben nicht alle Patienten mit chronischen Kratzläsio- fordert wird, auch in der Dermatologie anzustreben. nen Dermatosen (Abb. 1; 5). Auch systemische, neurologische oder psychische Erkrankungen können beispielhaft zu einem Klinischer Algorithmus des chronischen Pruritus zwanghaften Kratzen führen. Daher wird Pruritus als ein inter- disziplinäres Symptom verstanden, das z. B. auch in der Neuro- logie Beachtung findet. Chronischer Pruritus Abb. 2: Besonders die „unsichtbaren“ Dermatosen stellen eine große Herausforderung für Dermatologen dar (6). 2.3 Warum Messungen beim Pruritus relevant sind Da der Pruritus ein subjektives Empfinden ist, kann der Arzt Abb. 1: Dynamik des chronischen Pruritus (≥ 6 Wochen Dauer). nicht beurteilen, ob sich die Beschwerden gebessert haben. Zwar lässt sich dies indirekt über Kratzläsionen ausmachen, die- se sind aber nicht immer vorhanden. Daher sind Messungen 10
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 in diesem Bereich besonders wichtig, um eine sinnvolle The- Patienten enorme Fortschritte. Liegen die Angaben der Patien- rapieentscheidung fällen zu können. Darüber hinaus können ten schließlich im Bereich des milden Juckens (0 bis 3), lässt sich die festgehaltenen Ergebnisse als Dokumentationssicherheit in vielen Fällen schon von juckreizfreien Tagen sprechen, mit de- gegenüber Krankenkassen verwendet werden. nen der Großteil der Patienten sehr gut leben kann. Wenn bei der Dokumentation zusätzlich auch die Lebensqua- 2.4.2 Lebensqualität lität hinzugenommen wird, erfährt man noch mehr darüber, wie es dem Patienten geht. Je schwerer nämlich die Lebensqua- Zur Ermittlung der Lebensqualität bei Pruritus wurde als Ge- lität beeinträchtigt ist, desto mehr kann davon ausgegangen genstück zum Dermatology Life Quality Index (DLQI) der Pru- werden, dass sich ein Patient mit chronischen Kratzläsionen ritus Lebensqualitätsfragebogen 5PLQ entwickelt und validiert stigmatisiert fühlt. Dadurch können weitere psychische Symp- (Abb. 4; 7). In diesem beantwortet der Patient fünf Fragen dar- tome wie Ängstlichkeit, Depressivität, aber auch eine Beein- über, wie er sich in den letzten sieben Tagen durch den Pruritus trächtigung der Arbeitsfähigkeit hinzukommen. Es liegt also beeinflusst fühlte. Bei fünf Fragen und fünf Antwortmöglichkei- eine Korrelation zwischen dem Pruritus, einer Einschränkung ten erlaubt der Test eine einfache Scoreberechnung: Liegt die der Lebensqualität und der Symptomintensität vor. Angabe des Patienten über einem 5PLQ-Score von >10 gilt die n Lebensqualität als eingeschränkt. 2.4 Was soll gemessen werden? Fragebogen zur Lebensqualität (5PLQ) Mithilfe von Fragebögen lassen sich die zwei wichtigsten Para- meter zur Erfassung in der Routine messen: die Intensität des Fragebogen zur Lebensqualität (5PLQ) Pruritus und die Lebensqualität (7). Sie erlauben es, eine sinn- Dieser Fragebogen bezieht sich auf die letzten 7 Tage, es ist nur volle Therapieentscheidung bei einem Pruritus mit Dermatose eine Auswahl pro Frage zu treffen. oder Kratzläsionen zu treffen. 1. Wie häufig haben Sie an der Haut Jucken, Brennen, Stechen, Kribbeln oder Schmerz verspürt? 0 = nie 2.4.1 Intensität des Pruritus 1 = selten 2 = manchmal Die Intensität des Pruritus lässt sich mit der numerischen Ra- 3 = oft tingskala (NRS) und der visuellen Analogskala (VAS) messen 4 = immer (Abb. 3). Mit diesen Skalen lässt sich beim Patienten abfragen, 2. Wie sehr hat das Jucken Sie negativ in Ihrem alltäglichen wie schwer der Juckreiz auf einer Skala von 0 bis 10 durch- Leben (z. B. Tragen bestimmter Kleidung), in Ihrer Freizeit oder im Beruf beeinflusst? schnittlich in den letzten 24 Stunden war. Zwei Werte sollten 0 = gar nicht dabei besonders beachtet werden: Stuft sich der Patient unter 1 = etwas einem Wert von 3 ein, liegt ein milder Juckreiz vor; oberhalb 2 = mäßig von 7 ist es ein schwerer oder sehr schwerer Juckreiz. 3 = ziemlich 4 = sehr Damit lassen sich die individuellen Therapieziele leichter festma- 3. Wie sehr fühlen Sie sich aufgrund des Juckens im Umgang mit Mitmenschen (z. B. durch Scham, Unsicherheit) einge- chen: Liegt der Patient über einem Wert von 7, sollte versucht schränkt? werden, sie in den Bereich von 3 bis 7 zu bringen (moderater 0 = gar nicht Juckreiz). Schon die Verbesserung um nur eine Stufe bringt dem 1 = etwas 2 = mäßig 3 = ziemlich Erfassung von Pruritus: Intensitätsskalen 4 = sehr 4. Wie sehr beeinflusst das Jucken negativ Ihren Schlaf? 0 = gar nicht 1 = etwas 2 = mäßig 3 = ziemlich 4 = sehr 5. Wie sehr hat das Jucken Ihre Lebensfreude und Ihre Stimmung beeinflusst? 0 = gar nicht 1 = etwas 2 = mäßig 3 = ziemlich 4 = sehr Abb. 3: Mithilfe der Intensitätsskalen NRS und VAS kann der Patient die Abb. 4: Auch die Erfassung der Lebensqualität (anhand des 5PLQ) gibt Intensität des Pruritus benennen und den Arzt bei der Therapiefindung dem Arzt wichtige Hinweise über den Zustand des Patienten. unterstützen (8). 11
Dermatologie live 2.5 Grundsätzliche Untersuchungen bei Pruritus Bei Pruritus in der Schwangerschaft gilt es zu unterscheiden, ob der Pruritus auf unauffälliger Haut (ggf. mit sekundären Kratz- Ist die Ursache des Pruritus beim Patient unbekannt, sollten läsionen) auftritt. Dann nämlich könnte eine intrahepatische verschiedene Basisuntersuchungen durchgeführt werden (6). Schwangerschaftscholestase vorliegen, woraufhin nüchtern Bei einem Patienten mit Prurigo nodularis, der keine Dermato- die Gallensäure abgenommen werden sollte. se aufweist, sollte gemäß Leitlinie das Blutbild betrachtet und ein Lymphom, Diabetes mellitus sowie eine Leber-, Nieren- und Bei weiteren Untersuchungen, die je nach Pathologika in der Leit- Schilddrüsenerkrankung ausgeschlossen werden. linie ausführlich definiert sind, ist besonders wichtig, dass eine interdisziplinäre Kooperation frühzeitig angestoßen wird. Dabei Sind dagegen primäre oder sekundäre Hautveränderungen sind besonders die bildgebenden Verfahren zu nennen, da regel- zu erkennen, sollten die üblichen dermatologischen Untersu- mäßig Fälle beschrieben chungen wie bakteriologische/mykologische Abstriche bis hin wurden, in denen da- Haben Patienten einen Pruritus zu einer Hautbiopsie durchgeführt werden. Bei Patienten mit durch letztlich ein Tumor kürzer als 12 Monate, kann ein Prurigo nodularis und sehr roten Knoten kann sich auch eine gefunden wurde. Das direkte Immunfluoreszenz lohnen, um möglicherweise das bul- belegen auch Kohorten- Tumor dahinterstecken. löse Pemphigoid diagnostizieren zu können. Darüber hinaus analysen aus Dänemark, zeigte sich in der Klinik, dass auch Skabiesmilben eine Rolle in denen nachgewiesen wurde, dass die ersten 12 Monate vulne- spielen können. rabel sind. Bei relativ kurzen Anamnesen sollte also stets auch nach Lymphomen und Leberzellkarzinomen untersucht werden (6). Fallbeispiel 1 Anamnese: Eine 51-jährige Patientin lei- wurde kurzfristig eine Diät eingesetzt – al- werden sollte (10 cm über Malleolus late- det seit drei Jahren an einem attackenarti- lerdings nur von kurzer Dauer, da die Pa- ralis rechts). Hier zeigte sich eine für das gen Pruritus (Jucken, Ameisenlaufen, Krib- tientin Vegetarierin ist. Entsprechend der Alter der Patientin leicht eingeschränkte beln, Stechen), der an den Oberschenkeln Leitlinie wurden im ersten Schritt hochdo- Nervenfaserdichte (7,96 Fasern/mm ge- begann und nun generalisiert vorhanden sierte Antihistaminika verabreicht, die, ge- genüber Normwert >10,55 Fasern/mm). ist. Ein Auslöser ist nicht bekannt. Die er- nau wie eine Vortherapie mit Dapson über Da auch der Vitamin-B12-Spiegel der hobenen Parameter ergeben einen sehr drei Monate, keinen Effekt hatten. Auch zu Patientin mit 160 pg/ml erniedrigt war, schweren Pruritus mit einer Intensität auf Komorbiditäten wie Migräne oder einer wurde schließlich die Diagnose „Pruritus der NRS von maximal 9, Trigger sind Wär- atopischen Diathese und einem unauffälli- bei Kleinfaserneuropathie auf dem Boden me und körperliche Anstrengung, eine gen Integument mit etwas Keratosis pilaris eines relativen Vitamin-B12-Mangels auf- kurzzeitige Linderung kann durch Kälte an Oberschenkeln und Oberarmen konnte grund vegetarischer Ernährung“ gestellt. herbeigeführt werden. Darüber hinaus kein Zusammenhang hergestellt werden. Therapie und Verlauf: Entsprechend der beklagt sie eine starke Einschränkung der Lösung: Nachdem eine atopische Dia- Diagnose wurden eine Substitutionsthe- Lebensqualität einschließlich Schlafstörun- these, cholinerge Urtikaria, Mastozytose rapie mit Vitamin-B12 sowie Gabapentin gen. Die erweiterte Anamnese ergab eine und ein paraneoplastischer Pruritus aus- eingeleitet, was innerhalb von drei Wo- Laktose-, Fruktose- und Sorbitolunverträg- geschlossen werden konnte wurde eine chen eine deutliche Linderung des Pruri- lichkeit. Da diese Unverträglichkeiten ei- Hautbiopsie durchgeführt, mit der die int- tus (auch bei Provokation) bewirkte. nen Effekt auf den Pruritus haben können, raepidermale Nervenfaserdichte bestimmt Exkurs: Kleinfaserneuropathie Im Gegensatz zur Neurologie ist die Kleinfaserneuropathie in Bestimmung der intraepidermalen Nervenfaserdichte anhand der Dermatologie noch weitestgehend unbekannt. Sie kann einer 4 mm durchmessenden Stanzbiopsie relativ leicht zu si- meist distal betonte aber auch generalisierte Symptome wie chern. Wichtig dabei ist, die Biopsie 10 cm oberhalb des Mal- Schmerz und Taubheit, aber auch Pruritus herbeiführen. Zu leolus lateralis durchzuführen und die entnommenen Proben der häufigsten Ursachen einer Kleinfaserneuropathie gehört in einem neurologischen bzw. dermatologischen Labor bear- Diabetes mellitus (Abb. 5). Die Diagnose Pruritus ist durch die beiten zu lassen. 12
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 2.6 Die Therapie von Pruritus Auch wenn sich die Ära der Antihistaminika (Stufe 1) für alle Pruritusformen dem Ende zuneigt, müssen sie weiterhin ver- Eine wichtige Säule der Versorgung von Pruritus-Patienten ist wendet werden, da es hierzu aktuell keine alternativ zugelas- stets die Frage danach, welche Ziele der Patient durch die Be- senen Mittel gibt. Darüber hinaus gibt es Entitäten, bei denen handlung verfolgt. Hier zeigen sich durchaus unterschiedliche sie eine gewisse Wirksamkeit haben (Mastzelldegranulation, Wünsche – und dabei steht nicht immer, wie sich vermuten aquagener Pruritus). Hier ist es legitim, einen Therapieversuch ließe, die Symptomlinderung an erster Stelle. Tatsächlich führt über vier Wochen zu unternehmen. Allerdings sollte der Patient das „Finden einer klaren Diagnose“ die Top 5 der Therapieziele damit nicht über mehrere Jahre behandelt werden, da sonst von Pruritus-Patienten an. Dicht gefolgt von der „Symptomlin- einer Chronifizierung Vorschub geleistet wird. derung“ und den Wünschen „Weniger zum Arzt zu müssen“, „Vertrauen in die Therapie zu haben“ und „geheilt zu sein“. Grundsätzlich sollte die Pruritustherapie so lange durchgeführt us Was Patienten in erster Linie also wollen, ist Aufklärung. Aber werden, bis die Läsionen abgeheilt sind, da diese Pruritus er- auch eine Verbesserung der Lebensqualität, also weniger ner- neut auslösen können. n vös zu sein oder besser zu schlafen (besonders Berufstätige) gelten als wichtige Therapieziele, die von Patient zu Patient Spezifische antipruritische Therapie: AWMF-Leitlinie variieren können. Zu den weiteren Säulen der Versorgung zählen die interdiszipli- näre Therapie der Grunderkrankung sowie allgemeine Dos and Don’ts des Patienten – Dinge also, die der Patient während der Therapie tun bzw. nicht tun sollte (vgl. hierzu die ausführliche Liste aus der Leitlinie; 9). Des Weiteren ist auch der Einsatz von Topika, etwa zur Rückfettung oder die kurzfristige Linderung, wenn der Patient unterwegs ist („Erste Hilfe“ z. B. durch Menthol oder ein Cooling Compound; 10) oder anderen potenten Thera- pien (CS, CI, Capsaicin) sowie die Systemtherapie entscheidend. Gemäß der AWMF-Leitlinie wird zur spezifischen antipruriti- schen Therapie darüber hinaus eine Stufenschemaempfehlung Abb. 6: Die Stufenschemaempfehlung aus der Leitlinie gibt einen Überblick gegeben (10). Diese gestaltet sich wie in Abbildung 6 darge- zur spezifischen antipruritischen Therapie des chronischen Pruritus (10). stellt. Exkurs: Ursachen der Kleinfaserneuropathie Abb. 5: Die Liste der Krankheiten, die eine Kleinfaserneuropathie auslösen können, ist lang (9). 13
Dermatologie live 2.7 Wie wirksam ist die Therapie? nals z. B. durch die Gabe von Gabapentin und Antidepressiva zu unterdrücken. Bei unklaren Fällen gilt es stets zu reevaluie- Die folgenden zwei Fallbeispiele geben einen Eindruck über ren und sich je nach Verlauf und klinischem Befund leitlinien- die Wirksamkeit und das unterschiedliche Ansprechen der Pru- gemäß einmal pro Jahr darüber Gedanken zu machen, welche ritustherapie. Ursache der Pruritus haben könnte (6). Darüber hinaus sollten die Aufklärung der Patienten sowie die Behandlung etwaiger Nebenwirkungen einen wichtigen Stellenwert bei der Therapie 2.8 Zusammenfassung einnehmen. Um die Chronifizierung des Pruritus zu verhindern und den Patienten vom Kratzen abzuhalten, muss die Therapie individu- ell angepasst werden. Dazu sollte sie möglichst früh beginnen und nicht zu kurz sein. Im ersten Schritt stehen dabei die Rück- fettung sowie gegebenenfalls Antihistaminika im Fokus. Die spezifische Therapie richtet sich nach der jeweiligen Ursache des Pruritus. Dabei ist es wichtig, die Weiterleitung des Sig- Fallbeispiel 2 Eine 55-jährige Patientin leidet seit elf wie eine eingeschränkte Lebensqualität Linderung. Die Verordnung von Prega- Jahren an einer generalisierten Prurigo. und Schlafstörungen an. Vortherapien balin (300 mg/d) zeigte bereits nach vier Bei der Erstvorstellung gibt sie auf der mit topischen Steroiden, eine UV- Monaten deutliche Verbesserungen des VAS eine durchschnittliche Pruritusin- Therapie und Antihistaminika (Cetirizin Hautbildes. tensität von 5 (moderater Juckreiz) so- 1-0-1, Loratadin 1-0-1) brachten keine Abb. 7: Hautbild bei der Erstvorstellung. Abb. 8: Verbessertes Hautbild und gutes Ansprechen auf Pregabalin nach vier Monaten Therapie. 14
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 Fallbeispiel 3 Eine 55-jährige Patientin hat seit 13 Jahren Kribbeln an. Darüber hinaus hat sie eine zwei als auch nach vier Monaten nur ge- eine generalisierte Prurigo nodularis. Auf Cholestase unklarer Genese und wurde er- ringfügige Besserung hervorbrachte. Auf- der VAS gibt sie bei der Erstvorstellung folglos mit Antihistaminika (Cetirizin 0-0-1) grund dieser Ergebnisse und der stärkeren eine durchschnittliche Intensität von 8 und einer UV-Therapie vorbehandelt. Nach Pruritusintensität sowie den zahlreicher (schwerer Juckreiz) sowie Mischqualitäten der Erstvorstellung wurde Gabapentin vorhandenen Knoten ist hier eine längere wie Ameisenlaufen, Brennen, Jucken und (900 mg/d) eingeleitet, das sowohl nach und höherdosierte Therapie notwendig. Abb. 9: Hautbild bei der Erstvorstellung, nach zwei Monaten und nach vier Monaten (v. l. n. r.). Die Therapie mit Gabapentin ergab nur eine geringfügige Besserung des Hautbildes. Prof. Dr. med. Sonja Ständer 8. Reich A et al. Acta Derm Venereol, 2017; 97: 759-760; Phan Fachärztin für Dermatologie und Venerologie. NQ et al. Acta Derm Venereol, 2012; 92: 502-507; Reich A Oberärztin der Klinik für Hautkrankheiten, et al. Acta Derm Venereol, 2012; 92: 497-501. Universitätsklinikum Münster. Leiterin des Kompetenzzentrums chronischer Pruritus 9. Pereira MP, Mühl S., Ständer S., Small fiber neuropathy as a possible cause for chronic pruritus, Hautarzt, 2016, 67(8), 615-21. Literatur 10. Ständer S, Zeidler C, Augustin M et al, S2k-Leitlinie zur 1. Das Manuskript wurde anhand einer Aufzeichnung erstellt Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. Leitlinie und vom Referenten durchgesehen und freigegeben. der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), AWMF online 2016 (Reg.-Nr. 013/048). 2. Matterne U. et al., Acta Dermatol Venereol, 2013, 93, 532-7. 11. Ständer S. et al., J Eur Acad Dermatol Venereol, 2017. 3. Ständer S. et al., Dermatology, 2010, 221, 229-35. 4. Kopyciok ME et al., Acta Dermatol Venereol, 2016, 96, 50-5. 5. Ständer S. et al., Acta Dermatol Venereol, 2007, 87, 291- 294. 6. Ständer S. et al., J Dtsch Dermatol Ges., 2017, 15, 860-873. 7. Ständer S. et al., J Eur Acad Dermatol Venereol, 2016, 30, 1144-7. 15
Dermatologie live Johannes Wohlrab chronischen Akuitätsphase der Erkrankung. Zudem können exogene Faktoren den Aktivitätsverlauf und das klinische Bild erheblich beeinflussen. Dabei spielen sowohl Veränderungen 3 Therapie der Atopischen Dermatitis: der physikalischen (Serin-Proteasen, Filaggrin-Defekt, Mangel an Ceramiden und langkettigen freien Fettsäuren, Abnahme Bewährtes, wenig Bewährtes und Neues der Wasserbindungskapazität) als auch der mikrobiellen Barri- ere (antimikrobielle Peptide, erhöhte Adhärenz von Staphylo- kokken) eine wesentliche Rolle. 3.1 Einleitung 3.2 Therapeutische Strategien Die Atopische Dermatitis ist ein häufiger Symptomenkomplex, der auf einer genetischen Disposition beruht und zum For- Durch die hohe Diversität pathogenetischer Faktoren und da- menkreis des Atopischen Syndroms gezählt wird. Im Zentrum mit auch klinischer Symptome ist ein hohes Maß an Individu- der Pathogenese stehen entzündliche und neurosensorische alisierung therapeutischer Maßnahmen angezeigt. Dennoch Phänomene, die durch eine immunologische Dysbalance mit gibt es Grundprinzipien der Therapie, die sich an den o. g. Aktivierung einer Th2-mediierten Immunantwort und einer pathogenetischen Faktoren sowie dem Akuitätsverlauf der Er- pathologischen B-Zellaktivierung mit vermehrter Bildung spe- krankung orientieren (Abb. 1). zifischer IgE-Moleküle gekennzeichnet sind. Darüber hinaus liegt ein polyvalenter Schaden der epidermalen Barriere mit 3.2.1 Barriere-assoziierte Basistherapie Dysregulation des kutanen Mikrobioms vor. Da die genannten pathogenetischen Faktoren eine hohe interindividuelle Variabi- Die Substitution und Protektion der physikalischen Barriere lität und die daraus resultierenden klinischen Phänotypen eine orientieren sich vordergründig an den physiologischen Ge- große Diversität besitzen, ist davon auszugehen, dass die Ato- gebenheiten. Da das morphologische Äquivalent der Barriere- pische Dermatitis keine einheitliche Entität darstellt. funktion durch die Bildung von Membranen vermittelt wird, die in einem dreidimensionalen Netzwerk in der physikoche- Die entzündlichen Kaskaden und die ihnen zugrundeliegen- mischen Interaktion mit Wasser spontan formiert werden, ist den Milieufaktoren unterscheiden sich in der akuten und der die Applikation von membranbildenden Lipiden (z. B. Cerami- Grundprinzipien der Therapie Abb. 1: Pathogenese-orientierte Therapieempfehlungen in Abhängigkeit von der Krankheitsakuität. Krankheitsakuität; TIX: therapeutischer Index; TGC: topische Glukokortikoide; TGK: topische Calcineurin-Inhibitoren; GK: Glukokortikoide; CsA: Cyclosporin A; AZA: Azathioprin; MMF: Mometasonfuroat; Dupi: Dupilumab; AB: Antibiotika 16
Dermatologie live Heft 01 ∙ 2019 Anwendungs-Tipp 1 – fett-feucht-Verbände Anwendungs-Tipp 2 – Umschläge mit Schwarztee • Eincremen mit Kühlcreme DAB + 20 % Wasser. • Zubereitung: 2 Teebeutel unparfümierten Schwarztee • Eng anliegende Schlauchbinde, angefeuchtet in in 250 ml Wasser zubereiten. handwarmem Leitungswasser. • Abkühlen bis handwarm oder kalt. • Überzug mit trockener Schlauchbinde. • Kompressen oder dünne Baumwolltücher in Tee • Alle 4 Stunden über ca. 3 Tage erneuern (außer getränkt applizieren. Nachtruhe). • Alternativ: feuchte Teebeutel direkt applizieren (z. B. Lidekzem). de, Lecithine) in Kombination mit Wasser und wasserbinden- ausreichend lange, aber kontrollierte Anwendung. So sollte den Substanzen (sogenannte humectants wie Urea, Glycerol) eine 1–2x tägliche Anwendung (außer im Gesicht und Genital- zielführend. In jüngster Zeit ist deutlich geworden, dass die bereich) solange erfolgen, bis die entzündlichen Phänomene substituierte wässrige Phase einen sauren pH-Wert von ≤ 5,5 weitgehend inaktiviert sind. Zudem hat sich eine 1–2-wöchige, sowie ein effizientes Puffersystem zur Korrektur pathologisch ausschleichende Anwendung mit Applikation alle 2–3 Tage be- veränderter pH-Bedingungen enthalten sollte. Die Korrektur währt. Alternativ können, insbesondere für die Langzeitanwen- pathologischer pH-Verhältnisse und die Wiederherstellung des dung in der chronischen Erkrankungsphase, auch topische Cal- physiologischen pH-Gradienten innerhalb des Stratum corne- cineurin-Inhibitoren (TCI; insbesondere Tacrolimus) verwendet um sind wesentlich für die Aktivierung der Enzymsysteme. werden. Sowohl für TCI als auch für TGC besteht darüber hin- Sie katalysieren die Umbau der Lipidvorläufermoleküle in die aus die Option der proaktiven Anwendung in der klinisch er- Membran-charakterisierenden aktiven Substanzen und tragen scheinungsfreien Erkrankungsphase. Dabei werden die Schwe- wesentlich zur Regeneration der Barrierefunktion bei. re und die Häufigkeit eines Schubes (aktive Erkrankungsphase) durch zwei wöchentliche Applikationen der Zubereitungen auf Durch bestimmte Milieufaktoren kommt es zur Aktivierung die vormals entzündlichen Areale wirksam reduziert. neurosensorischer Kaskaden, die zum Symptom Juckreiz füh- ren. In dessen Auslösung, zentralnervöser Verarbeitung und Im klinischen Alltag haben sich auch Umschläge mit Schwarz- ggf. Chronifizierung sind vielfältige neuroimmunologische tee bewährt (Kasten 2). Diese reduzieren die entzündliche Ak- Vorgänge involviert. Eine spezifische Therapie des atopischen tivität, lindern den Juckreiz und wirken zudem antibakteriell. Juckreizes ist bisher nur sehr begrenzt möglich. Antihistaminika mit H1R- bzw. H2R-blockierender Wirkung sind unwirksam, da Bei besonders schweren Verläufen kann auch eine systemische der Juckreiz nicht vordergründig histaminerg vermittelt wird. Applikation von immunsuppressiven Medikamenten erwogen Die therapeutische Nutzung von zentral sedierenden Antihis- werden. Neben einer kurzzeitigen Gabe von Prednisolonäqui- taminika wird nicht empfohlen, da diese die REM-Schlafphasen valent (1 mg/kg KG/d p. o. oder i. v.) ist auch eine Applikation reduzieren und so zur Vigilanzminderung sowie zur Abnah- von Ciclosporin (bis 5 mg/kg KG/d in 2 Einzeldosen p.o.) mög- me der Leistungsfähigkeit führen. Topisch können z. B. das lich. Bei Erwachsenen ist zudem die Gabe von Dupilumab, ei- Lokalanästhetikum Polidocanol oder der Cannabinoidagonist nem therapeutischen Antikörper, der gegen IL-4Ra gerichtet ist N-Palmitoylethanolamin (PEA) zum Einsatz kommen. Bei chro- und die Aktivierung durch IL-4 und IL-13 blockiert, zu erwägen. nischen Ekzemen kann zudem auf Capsaicin-Zubereitungen Im Off-Label-Bereich kann die Verwendung von Azathioprin zurückgegriffen werden. Im klinischen Alltag hat sich aber auch bzw. Methotrexat erwogen werden. Zudem liegen Erfahrun- der Einsatz sogenannter fett-feucht-Verbände bewährt. Diese gen mit speziellen UV-Bestrahlungsmodalitäten vor. vermitteln durch Okklusion, Verdunstungskälte sowie einen intensiven taktilen Reiz einen starken antipruriginösen Effekt 3.2.3 Regulation des kutanen Mikrobioms (Kasten 1). Bei Kindern sollten die großflächige Anwendung sowie die Anwendung im Gesicht aber nur unter stationären Durch die pathologische Kolonisation der Haut mit Staphy- Bedingungen und durch professionelle Therapeuten erfolgen, lococcus aureus und die Abnahme der Diversität des kutanen da die Gefahr einer Unterkühlung besteht. Mikrobioms werden proinflammatorische Induktoren auf und in der Haut wirksam. Zunächst ist von Bedeutung, dass es sich 3.2.2 Entzündungshemmende Therapie hierbei nicht um eine Infektion, sondern um eine Kolonisation handelt. Der Einsatz von Antibiotika ist also in den seltensten Zur entzündungshemmenden Therapie werden am häufigsten Fällen indiziert. Wegen der aktuellen Resistenzsituation und topische Glukokortikoide (TGC) eingesetzt. Empfohlen wer- der Risiken, die sich daraus in der klinischen Infektiologie erge- den Wirkstoffe mit einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis ben, wird der Einsatz von topischen Antibiotika im genannten (TIX = 2,0) der Wirkstärke II (Methylprednisolonacaponat, Zusammenhang grundsätzlich abgelehnt. In seltenen Fällen Prednicarbat, Hydrocortisonbuteprat) bis III (Mometasonfuro- kann eine systemische Antibiose mit einem Penicillinase-festen at, Fluticasonpropionat) (nach Niedner). Wichtig ist dabei eine Penicillin oder einem Cephalosporin der 1. Generation er- 17
Dermatologie live wogen werden. Zur therapeutischen Regulation des kutanen Literatur Mikrobioms kann der Einsatz von topischen Antiseptika (z.B. Octenidin oder Polihexanid) erfolgen. Auch die Verwendung 1. Elias P.M., Primary role of barrier dysfunction in the pa- von probiotischen Zubereitungen mit Bakterienspezies, die zur thogenesis of atopic dermatitis, Exp Dermatol, 2018, 27, Induktion von TLR-2-mediierten Regulationsprozessen führen, 847-851. stellt eine Möglichkeit der Einflussnahme dar. Häufig kann auch durch Waschprozeduren eine effektive Reduktion der Keim- 2. Gavrilova T., Immune Dysregulation in the Pathogenesis of dichte erzielt werden. Atopic Dermatitis, Dermatitis, 2018, 29, 57-62. 3. Nowicka D., Grywalska E., The Role of Immune Defects 3.3 Zusammenfassung und Ausblick and Colonization of Staphylococcus aureus in the Patho- genesis of Atopic Dermatitis, Anal Cell Pathol (Amst) 2018, Durch die aktuellen Entwicklungen bei arzneilichen und Barrie- 1956403. re-protektiven Therapiestrategien werden in naher Zukunft wei- tere Optionen für das Management der Atopischen Dermatitis 4. Scheerer C., Eyerich K., Pathogenesis of atopic dermatitis, zur Verfügung stehen. Neue Substanzklassen oder Wirkstoffe Hautarzt, 2018, 69, 191-196. zur antientzündlichen Therapie (z. B. JAK-Inhibitoren, PDE4-In- hibitoren, Anti-IL-13-Ak) bzw. antipruriginösen Therapie (z. B. 5. Werfel T., Heratizadeh A., Aberer W. et al., S2k guideline NK1R-Antagonisten, Anti-IL-31R-AK, H4R-Blocker) werden das on diagnosis and treatment of atopic dermatitis - short Instrumentarium erweitern. In der Basistherapie werden Stra- version. Allergo J Int, 2016 25, 82-95. tegien der forcierten Rehydratisierung (z. B. Melting-Creams), besondere Hautschutzkonzepte (z. B. Skin-Coating) oder Mik- 6. Wollenberg A., Barbarot S., Bieber T. et al., Consensus- robiom-regulierende Zubereitungen (z. B. Adsorbersysteme) based European guidelines for treatment of atopic eczema ebenfalls neue Möglichkeiten der therapiebegleitenden Basis- (atopic dermatitis) in adults and children: part I, J Eur Acad therapie eröffnen. Dermatol Venereol, 2018, 32, 657-682. Zudem bleibt die Aussicht, dass in Zukunft genetische Untersu- 7. Wollenberg A, Barbarot S, Bieber T et al. Consensus-based chungen und Mutationsanalysen eine verbesserte Individuali- European guidelines for treatment of atopic eczema (ato- sierung therapeutischer Strategien ermöglichen werden. pic dermatitis) in adults and children: part II. J Eur Acad Dermatol Venereol, 2018, 32, 850-878. Prof. Dr. Johannes Wohlrab Facharzt für Dermatologie und Venerologie. Leitender Oberarzt der Klinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Halle. 18
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