Deutscher Ärztetag Bremen 2022

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Deutscher Ärztetag Bremen 2022
BERUFSPOLITIK

126. Deutscher Ärztetag Bremen 2022
Der diesjährige Deutsche Ärztetag be­­
 gann mit einer eindrucksvollen Rede
 des Vorstandsmitgliedes des Ukraini-
schen Ärzteverbandes, Prof. Dr. Andriy
Bazylevych. Er dankte für die beispiel-
 lose Unterstützung deutscher Ärztin-
nen und Ärzte in Form von Geld- und
Medikamentenspenden, ohne die eine
Versorgung der Patienten in dem vom
russischen Angriffskrieg betroffenen
Land noch schwieriger wäre. Zugleich
machte er deutlich, dass der Bedarf an
humanitärer Hilfe weiterhin sehr groß
sei, da die Angriffe auch auf Zivilein-
richtungen täglich anhalten und viele
verletzte Zivilisten, darunter zahlreiche
Kinder, behandelt werden müssen. Ne­­
ben Verbandsmaterial und Medikamen­

                                                                                                                                                                           © SLÄK
­ten werden vor allem auch tragbare
 Ultraschallgeräte, Prothesen und Reha-                           Die Delegierten des Deutschen Ärztetages stimmten zahlreiche Beschlüsse ab, unter anderem zur GOÄ,
bilitationsausrüstungen benötigt.                                 Ökonomisierung, Digitalisierung und MFA.

Die Delegierten der Ärzteschaft bekun-                            Triage                                    chende Fachkompetenz und klinische
deten ihre Solidarität in Bremen mit                               Das Bundesverfassungsgericht hat im Erfahrung, so die Abgeordneten. Un­­
stehendem Applaus. Der Weltärztebund                               Dezember 2021 ein Triagegesetz ver- abdingbar sei, dass Ärzte sich keinen
machte die Zusage, weitere Medikamen­                              langt. Danach muss der Bundestag rechtlichen Risiken aussetzen, wenn
tenspenden in die Ukraine zu schicken.                            „un­­verzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz sie eine einzelfallbezogene Entschei-
Dessen Präsidentin dankte zugleich                                 von Menschen mit Behinderungen im dung zur priorisierten Allokation medi-
der Sächsischen Landesärztekammer                                  Fall einer Triage treffen. Die Ärzte- zinischer Ressourcen treffen.
für die humanitäre Hilfe zu Beginn des                             schaft hat ihre Forderung bekräftigt, in
Krieges.                                                           die aktuellen Beratungen über das Streichung des § 219a StGB
                                                                   Gesetz im Gesundheitswesen einge- Die von der Bundesregierung ange-
                                                                   bunden zu werden. In der Debatte über strebte Streichung des § 219a StGB
                                                                   eine gesetzliche Regelung müsse be­­ wird von der Ärzteschaft begrüßt. Die-
                                                                   rücksichtigt werden, dass sich die be­­ ser Paragraf regelt bislang das Ver­ -
                                                                   handelnden Ärztinnen und Ärzte im bot, für Schwangerschaftsabbrüche zu
                                                                   Fall einer pandemiebedingten Triage in werben. Durch diese Regelung konnte
                                                                   einer extremen Entscheidungssituation schon die sachliche Ankündigung, in
                                                                   befinden. Nach Ansicht der Ärzteschaft einer ärztlichen Institution Schwanger-
                                                                   sollte allein nach der aktuellen und schaftsabbrüche durchzuführen, zu
                                                                   kurzfristigen Überlebenswahrschein- Strafverfolgung führen. Der Ärztetag
                                                                   lichkeit entschieden werden. Der Ge­­ teilt die Auffassung von Bundesjustiz-
                                                © Karsten Klama

                                                                   setzgeber müsse die Letztverantwor- minister Marco Buschmann (FDP), nach
                                                                   tung des ärztlichen Personals für die der dieser Rechtszustand für Ärztinnen
                                                                   Beurteilung medizinischer Sachverhal­ und Ärzte unhaltbar sei. Zudem habe
Prof. Dr. Andriy Bazylevych, Vorstandsmitglied des
Ukrainischen Ärzteverbandes, dankte für die
                                                                   te im konkreten Einzelfall beachten. der § 219a StGB in der Vergangenheit
                                                                   ­
humanitäre Hilfe.                                                  Nur Ärzte verfügten über die entspre- dazu beigetragen, dass betroffenen

Ärzteblatt Sachsen 6|2022                                                                                                                                              5
Deutscher Ärztetag Bremen 2022
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    Frauen der Zugang zum Schwanger-
    schaftsabbruch trotz bescheinigter
    Indikation nach § 218 StGB erschwert
    wurde. „Die Möglichkeit, über ange-
    wandte Methoden des Schwanger-
    schaftsabbruchs sachlich zu informie-
    ren, wird nach Streichung dieses Para-
    grafen auch in diesem sensiblen Kon-
    text die nötige Transparenz herstellen,
    die bei anderen medizinischen Inter-
    ventionen selbstverständlich und für
    die informierte Zustimmung der Pati-
    entinnen zu einem solchen Eingriff
    Voraussetzung ist“, betonten die Dele-
    gierten.

                                                                                   © SLÄK

                                                                                                                                          © SLÄK
    Novellierung der
                                               Dr. med. Wenke Wichmann sprach zu            Dr. med. Thomas Lipp wandte sich gegen den
    Approbationsordnung                        Verbesserungen im PJ.                        ökonomischen Druck.
    Die Ärzteschaft forderte auch auf
    Antrag der Sächsischen Landesärzte-
    kammer das Bundesministerium für           tionsordnung endlich für bessere Be­­        trag von Dr. med. Thomas Lipp, Sächsi-
    Gesundheit zur Wiederaufnahme des          dingungen im Praktischen Jahr (PJ) zu        sche Landesärztekammer, fordert der
    Gesetzgebungsverfahrens auf, um das        sorgen. Dazu gehöre in erster Linie eine     126. Deutsche Ärztetag die Klinikleitun-
    Medizinstudium endlich an die aktuel-      existenzsichernde verpflichtende Ge­­        gen dazu auf, den versorgungsfremden
    len Herausforderungen der medizini-        währung von Geldleistungen, mindes-          ökonomischen Druck auf die Ärzte-
    schen Versorgung anzupassen. Nur so        tens in Höhe des BAföG-Höchstsatzes          schaft sowie bürokratische Aufgaben
    könnten Ärztinnen und Ärzte nach dem       sowohl in ambulanten als auch statio-        zu reduzieren, um mehr Zeit für die
    aktuellen Kenntnisstand ausgebildet        nären PJ-Abschnitten. Der Ärztetag           eigentlichen ärztlichen Aufgaben zu
    und die Qualität des Studiums gewähr-      fordert außerdem ein Ende der Decke-         schaffen. Ökonomische Überlegungen
    leistet werden. Ein Kernelement bildet     lung der Aufwandsentschädigung im PJ.        und Bürokratie dürften sich nicht auf
    dabei die Stärkung der Lehre. Diese        Darüber hinaus lehnt er Einschränkun-        die Qualität der Patientenversorgung
    müsse aber auch ausreichend finan-         gen bei der Wahlfreiheit durch die Ein-      auswirken. Zudem seien finanzielle und
    ziert werden – ebenso wie weitere Struk­   führung weiterer PJ-Pflichtabschnitte        strukturelle Unterstützungsangebote
    turveränderungen. Kritisiert wurde,        ab. Zudem dürften Krankheitstage             bei einer Niederlassung und für den
    dass auch fünf Jahre nach der Verab-       nicht als Fehltage gewertet werden.          Praxisbetrieb in ländlichen und struk-
    schiedung des Masterplans Medizin-                                                      turschwachen Regionen notwendig.
    studium 2020 noch kein entsprechen-        Ärztliche Personalbemessung
    der Verordnungsentwurf vorliege. Da  Die Abgeordneten des Ärztetages be­­               Auf Antrag von Dr. Wenke Wichmann
    auch der Bundesrat über die neue     tonten in ihrer Aussprache zu Perso-               von der Sächsischen Landesärztekam-
    Approbationsordnung entscheide und   nalausstattung und Personalmangel in               mer wird der Ausschuss für Mutter-
    die Universitäten die neuen Strukturen
                                         Kliniken und Praxen, dass neben einer              schutz beim Bundesministerium für
    einführen müssten, sei ihr geplantes konsequenten Nachwuchsförderung                    Familie, Senioren, Frauen und Jugend
    Inkrafttreten im Jahr 2025 in Gefahr.und der Schaffung zusätzlicher Medi-               (BMFSFJ) aufgefordert, zeitnah sicher-
                                         zinstudienplätze auch die Rahmenbe-                heitstechnische, arbeitsmedizinische
    Auf Antrag von Dr. med. Wenke Wich- dingungen für ärztliche Arbeit neu ge­­             und arbeitshygienische Regeln zum
    mann von der Sächsischen Landesärz- staltet werden müssten. Das im Koali-               Schutz von schwangeren oder stillen-
    tekammer forderte der Ärztetag in tionsvertrag angekündigte „Bürokra-                   den Frauen und ihrer Kinder fertigzu-
    einem Beschluss die Bundesregierung tieabbaupaket“ sei zügig umzusetzen                 stellen. Diese müssen sich an erfolgrei-
    und die Bundesländer dazu auf, im und eine Digitalstrategie für das Ge­­                chen Maßnahmen von Arbeitgebern,
    Rahmen der Novellierung der Approba- sundheitswesen zu schaffen. Auf An­­               die eine Weiterbeschäftigung von

6                                                                                                                    Ärzteblatt Sachsen 6|2022
Deutscher Ärztetag Bremen 2022
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                                                         Auswirkungen der Corona-Pandemie
                                                         auf Kinder und Jugendliche
                                                         Zu den Auswirkungen der Corona-Pan-
                                                         demie auf Kinder und Jugendliche refe-
                                                         rierte unter anderem Prof. Dr. med.
                                                         habil. Reinhard Berner, Direktor der
                                                         Klinik und Poliklinik für Kinder- und
                                                         ­
                                                         Jugendmedizin, Universitätsklinikum
                                                         Carl Gustav Carus, Dresden. Seiner Ein-
                                                         schätzung nach haben die Kinder durch
                                                         Einschränkungen in der Pandemie
                                                         mehr gelitten, als notwendig. Zur Ver-
                                                         besserung der Datenlage habe er ein
                                                         gemeinsames Register initiiert, damit
                                                         nicht jede Kinderklinik ein eigenes
                                                         Register führt. Danach gab es bei unter
                                                © SLÄK

                                                         18-Jährigen so gut wie keine Erkran-
Prof. Dr. med. habil. Reinhard Berner, Direktor der
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
                                                         kungen. Die meisten positiven Fälle
Universitätsklinikum Dresden, referierte zum             waren nicht hospitalisiert. Die häufigs-
Schwerpunkt „Auswirkungen der Corona-Pandemie
auf Kinder und Jugendliche“.
                                                         ten Symptome waren Fieber, Atem-
                                                         wegserkrankungen und Magen-Darm-
                                                         Infekte. Die meisten Erkrankten haben
schwangeren Frauen bereits heute                         im Anschluss keine spezifische Thera-
unter Einhaltung adäquater Schutz-                       pie bekommen. Vorerkrankte waren
maßnahmen ermöglichen, orientieren.                      häufiger von Corona-Infektionen be­­
                                                         troffen (Adipositas, Atemwege). 21 Kin-
Der Deutsche Ärztetag hält zudem die                     der und Jugendliche sind in der zurück-
Einführung valider Berechnungen für                      liegenden Pandemie verstorben. Alle
die patienten- und aufgabengerechte                      hatten schwere Vorerkrankungen. Der
ärztliche Personalausstattung für drin-                  Krankheitsverlauf sei insgesamt nicht
gend geboten. Die Bundesärztekam-                        auffälliger als bei anderen Infektionen
mer will dafür ein vom Berufsverband                     gewesen. Laut Studienlage brachten
Deutscher Anästhesisten und der                          die Maskenpflicht an Schulen keine
Deutschen Gesellschaft für Anästhesi-                    Unterschiede bei den Infektionen im
ologie und Intensivmedizin entwickel-                    Vergleich zu Schulen ohne Masken.
tes Excel-Kalkulations-Instrument zur                    Auffällig sei dagegen das Auftreten
Personalbedarfskalkulation weiterent-                    eines Pediatric Inflammatory Multisys-
wickeln.                                                 tem Syndrome (PIMS) vier bis sechs
Damit könnten Inhalte und Zeitkontin-                    Wochen nach Infektion bei Kindern
gente zur direkten und zur indirekten                    ohne Vorerkrankungen. Sollte es im
Patientenversorgung sowie für über                       Herbst zu einer weiteren Pandemie
100 weitere ärztliche Aufgaben und                       mit hohen Krankheitszahlen kommen,
Pflichten abgebildet werden. Nach sei-                   seien die Kinderkliniken nicht auf die
ner Fertigstellung soll eine integrierte                 Intensivversorgung von vielen Kindern
Gesamtkalkulation der be­­nötigten Voll-                 und Jugendlichen vorbereitet, so Prof.
zeitkräfte auf Basis qualitativ verbind-                 Berner.
licher Kriterien möglich sein. Nicht der
Erlös darf den Bedarf bestimmen – Zu den weiteren Folgen nach Beginn
vielmehr muss der Bedarf durch die der Pandemie für Kinder und Jugendli-
Aufgaben bestimmt werden.                che referierte Dr. med. Annic Weyers-

Ärzteblatt Sachsen 6|2022                                                                           7
Deutscher Ärztetag Bremen 2022
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    berg, Köln, Sprecherin COVerCHILD (Kin-                                                         zu begleiten, im Sinne und zum Nutzen
    der- und Jugendgesundheit in der Pan-                                                           der Ärzte. Die Technik müsse für die
    demie) im Netzwerk Universitätsmedi-                                                            Praxis kompatibel sein und den Praxis­
    zin, Universitätsklinik Köln. Es habe                                                           alltag optimal abbilden. Zudem sei ein
    einen sprunghaften Anstieg der Ge­­                                                             Ausbau der Netze dringend erforderlich,
    wichtszunahme (BMI) und Diabetes I                                                              sonst bleibt Deutschland bei der Digi-
    gegeben. Vorhandene familiäre Pro­                                                              talisierung Schlussschlicht, betonte
    bleme haben sich verstärkt. Es kam zu                                                           Erik Bodendieck. „Und wir müssen end-
    einer sozialen Isolation durch einen zu                                                         lich die vorhandenen Patientendaten
    langen Lockdown. Depressionen seien                                                             im eigenen Land stärker für die For-
    der häufigste Grund für einen Kranken-                                                          schung nutzen, anstatt immer nur Stu-
    hausaufenthalt vor allem bei vorbelas-                                                          dien und Daten aus China, Israel oder
    teten Familien gewesen. Schließungen                                                            den USA für medizinische oder politi-
    von Kindertageseinrichtungen und                                                                sche Entscheidungen zu verwenden.“
    Schulen haben zu chronischem Stress                                                             Dazu forderte er für Deutschland ein
    bei Kindern geführt, vor allem in beeng-                                                        Datennutzungsgesetz.

                                                                                           © SLÄK
    ten Räumlichkeiten. Es gab auch einen                                                           Notwendig seien auch Qualitätspara-
                                               Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen
    signifikanten Anstieg bei Magersucht.      Landesärztekammer, forderte unter anderem eine
                                                                                                    meter für die Entwicklung neuer digi­
    Die Schulschließungen waren für 2/3        Digitalisierungsstrategie der Ärzte.                 taler Anwendungen. „Digitalisierung
    aller psychischen Probleme ursächlich.                                                          muss den Patienten dienen, nicht der
    Die entstandenen physischen und psy-                                                            Politik oder dem Profit“, so Bodendieck.
    chischen Schäden führen zu lebenslan-      stärkt werden. Auch kinderethische                   Die Praxisreife von An­­wen­dungen
    gen Auswirkungen. Die gesundheitli-        Aspekte bei komplexen Güterabwägun-                  müsse durch die Ärzteschaft bewertet
    chen Folgen der Lockdowns für Kinder       gen müssten berücksichtigt werden.                   werden. Für die Zukunft brauche die
    und Jugendliche würden den ange-           Und Kinder sollten für die Umsetzung                 Ärzteschaft zudem eine eigene Digita­
    strebten Infektionsschutz für die Allge-   der Corona-Schutzmaßnahmen gewür-                    lisierungsstrategie, die den Mehrwert
    meinheit überwiegen.                       digt werden.                                         und die Versorgungsqualität statt
                                                                                                    Mehrkosten im Blick habe. Eine digitale
    Fazit: Das Wohl der Kinder müsse           Digitalisierung                                      Verweigerung könne nicht das Ziel der
    immer im Mittelpunkt stehen. Politi-       Auch die Weiterentwicklung der Patien-               Ärzte sein, denn die Patienten seien
    sche Entscheidungen mit Auswirkun-         tenversorgung durch Digitalisierung                  längst auf dem Online-Weg.
    gen auf Kinder und Jugendliche dürfen      bildete einen eigenen Schwerpunkt.
    nur auf Basis von Studien und mit,         Erik Bodendieck, Präsident der Sächsi-               Weitere Informationen, alle Beschlüsse
    nicht über Kinder getroffen werden.        schen Landesärztekammer, und Priv.-                  und Fotos zum Deutschen Ärztetag
    Deutschland brauche dazu eine alters-      Doz. Dr. med. Peter Bobbert, Präsident               2022 unter www.baek.de oder www.
    adjustierte Erfassung der Krankheits-      der Ärztekammer Berlin, stellten die                 slaek.de. 
    last, da es große Unterschiede zu          Eckpunkte vor. Der Digitalisierungszug
    anderen Ländern gibt. Die Resilienz von    fährt, mit oder ohne Ärzte, so Bobbert.                                            Knut Köhler M.A.
    Kindern und Jugendlichen müsse ge­­        Besser sei es, die Fahrt im Führerstand                     Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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